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Widersprüchliches professionelles Handeln in der Krise der Arbeitsgesellschaft

Eine Analyse am Beispiel der Jugendberufshilfe

©2010 Masterarbeit 168 Seiten

Zusammenfassung

Wenn Jugendliche und junge Erwachsene lediglich hinsichtlich ihrer Hemmnisse für eine gelingende Arbeitsmarktintegration betrachtet werden, ja sogar auf diese reduziert werden, besteht die Frage, ob die Sozialarbeiter*innen in der Jugendberufshilfe die Hinwendung des Arbeitsauftrages von der Inklusionsvermittlung hin zur Exklusionsverwaltung auch als Herausforderung wahrnehmen und wie sie damit umgehen.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es demnach, die Frage zu beantworten, wie die Sozialarbeiter*innen in der Jugendberufshilfe Widersprüchlichkeiten in ihrem Arbeitsalltag bewältigen.
Das Forschungsinteresse des Autors galt der Generierung von Professionalität innerhalb der Praxis Sozialer Arbeit. Es ging hierbei darum, die Sicht der handelnden Sozialarbeiter*innen im Handlungsfeld der Jugendberufshilfe zu rekonstruieren.
Der Autor wollte herausfinden, wie sich die Sozialarbeiter*innen „einrichten“, wenn trotz ihres Engagements nicht erreicht werden kann, was erreicht werden müsste – nämlich eine (Berufs-)Perspektive für junge Menschen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


2
5.4.3 Der Zugang zum Feld - Die Auswahl der
S. 58 ­ 61
Interviewpartner/innen
5.4.3.1
Die
Auswahl
S.
59
des 1. Interviewpartners
5.4.3.2
Die Auswahl weiterer
S. 59 ­ 61
Interviewpartner/innen
5.4.4
Die Interviewdurchführung und
S. 61 ­ 63
die Transkription
5.5
Die Ergebnisauswertung der Erhebung
S. 63 ­ 98
5.5.1 Paraphrasierung der einzelnen Interviews
S. 63
5.5.2
Thematisches
Ordnen
S.
63
Kodieren und Überschriftenbildung für die
einzelnen Interviews
5.5.3 Thematischer Vergleich der Interviews
S. 64
Bildung thematischer Kategorien
5.5.4 Soziologische Konzeptualisierung
S. 64 ­ 89
5.5.4.1 Die Kategorie
S. 65 ­ 70
Zielerwartungen und Zielvorstellungen
5.5.4.2
Die Kategorie
S. 70 ­ 80
Gestaltungsräume und Problemlagen
5.5.4.3
Die Kategorie
S. 80 ­ 86
Berater/in und Klient/in
5.5.4.4
Die Kategorie Theorie und Praxis S. 86 ­ 89
5.5.5
Theoretische Generalisierung
S. 90 ­ 98
6.
Resümee
S.
98
­
106
6.1
Die
Ziele
der
Sozialarbeiter/innen
S.101
­
102
6.2
Die Zielumsetzung zwischen Persönlichkeitsentwicklung S.102 ­ 103
und Marktintegration
6.3
Das Problembewusstsein und die Reflexion
S.103 ­ 104
6.4
Der
gesellschaftliche
Kontext
S.104
­
105
6.5
Nachtrag
S.105
Literaturverzeichnis
S.106
­
112
Anhang
Anhang
1
Interviewleitfaden
S.
1
­
2
Anhang 2
Interview mit Herrn Wagner
S. 1 ­ 21
Anhang 3
Interview mit Herrn Schmidt
S. 1 ­ 19
Anhang 4
Interview mit Frau Müller
S. 1 ­ 14

3
Abkürzungsverzeichnis
Abs.
=
Absatz
AG
= Arbeitsgemeinschaft
ALG II
=
Arbeitslosengeld II (Grundsicherungsleistung für
erwerbsfähige Hilfebedürftige nach dem SGB II
ASD
=
Allgemeiner
Sozialer
Dienst
BA
=
Bundesagentur für Arbeit
BaE
=
Berufsausbildung in außerbetrieblichen Ausbildungen
BIBB
=
Bundesinstitut für Berufsbildung
BMFSFJ
=
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
BQF
=
Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit
besonderem Förderbedarf
BSHG
=
Bundessozialhilfegesetz
bzw.
=
beziehungsweise
d. h.
=
das heißt
DJI
= Deutsches
Jugendinstitut
ebd.
=
ebenda
ESF
=
Europäischer
Sozialfond
et al.
=
und andere
etc.
=
und so weiter
EU
= Europäische
Union
e. V.
=
eingetragener Verein
f. = folgende
ff. = fortfolgende
FH
= Fachhochschule
Hg.
= Herausgeber
Hrsg.
=
Herausgeber
Ich ­ AG
=
bezeichnet ein Einzelunternehmen, das von einem
Arbeitslosen gegründet worden ist, der für diese
Existenzgründung einen Existenzgründungszuschuss
erhält. Das Konzept der Ich ­ AG trat mit dem
Gesetzespaket ,,Hartz II" am 01.01.2003 in Kraft.
INBAS
=
Institut für berufliche Bildung,
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
KJHG
=
Kinder- und Jugendhilfegesetz
MAE
=
Mehraufwandsentschädigung nach SGB II
(,,Ein-Euro-Job")
m. E.
=
meines Erachtens
o. g.
=
oben genannten
OK
=
Okay, Ausdruck der Zustimmung
P. A.
=
Peter Assmann

4
PDF
=
Portable
Document
Format
(transportables Dokumentenformat)
per se
=
an sich
Reha ­
=
Ausbildung für Menschen mit Behinderungen nach
Ausbildung
§ 102 SGB III
S. = Seite
SAM
=
Strukturanpassungsmaßnahme
SGB
=
Sozialgesetzbuch
SGB II
=
Grundsicherung für Arbeitssuchende
(Zusammenlegung
von
Arbeitslosen-
und
Sozialhilfe)
SGB III
=
Arbeitsförderung
SGB VIII
=
Kinder- und Jugendhilfegesetz
u.a.
=
unter anderem, und andere
usw.
=
und so weiter
versus
=
gegen im Sinne von gegenüber gestellt
vgl.
=
vergleiche
z. B.
=
zum Beispiel

5
,,Nicht die `Arbeit` als solche ist erstes Lebensbedürfnis, sondern
`Arbeit` nur insoweit, wie sie dem Einzelnen die Teilhabe an der
Verfügung über den gesellschaftlichen Prozess erlaubt, ihn also
`handlungsfähig` macht" (Holzkamp 1985, S. 243).
1. Motivation
zur
Auswahl
des
Themas
Die Motivation mich ­ in meiner Masterarbeit ­ mit dem widersprüchlichen
professionellen Handeln der Sozialarbeiter/innen in der Jugendberufshilfe
auseinander zu setzen, entspringt eigenen empirischen Erfahrungen in Form
einer jahrelangen Zusammenarbeit mit den Trägern Arbeit und Bildung e.V. und
der Universal-Stiftung Helmut Ziegner im Rahmen von Projekten zur
Berufsorientierung, sowie einer zwanzigjährigen offenen Arbeit mit
arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Jugendlichen und jungen
Erwachsenen als Sozialarbeiter / Sozialpädagoge in Jugendfreizeiteinrichtungen
des Bezirkes Pankow.
Im Zuge dieser Erfahrungen ist mir nur allzu deutlich geworden, dass sich
insbesondere die Gruppe der Sozialarbeiter/innen in dem sich seit Anfang der
1980er Jahre entwickelnden Feld der Jugendberufshilfe im Spannungs -
verhältnis zwischen der Bildung vom ganzen Menschen (vgl. Schroer 1999)
und der Herstellung von ,,Beschäftigungsfähigkeit" im Sinne des Erwerbs von
Sozialisation und Integration durch junge Menschen befindet.
2. Einleitung
Folgt man dem ,,öffentlichen Diskurs", befindet sich unsere
,,Arbeitsgesellschaft", gemessen am ,,Normalzustand" einer (offiziell immer
noch angestrebten) ,,Vollbeschäftigung
1
", ob der kontinuierlich steigenden
1
So hat Ursula von der Leyen - die derzeitige Bundesarbeitsministerin - am 28.04. 2010
in der Sendung ,,Menschen bei Maischberger" betont, dass noch viele Stellen in
Deutschland zu besetzen sind und dass am Ziel der Vollbeschäftigung unbedingt
festzuhalten sei (vgl. Maischberger 2010).

6
strukturell bedingten Arbeitslosenzahlen
2
in einer veritablen Krise.
,,Die Politik" reagiert auf das Phänomen seit nunmehr über drei Jahrzehnten
unter anderem mit dem arbeitsmarktpolitischen Instrument sozialarbeiterisch
fundierter Qualifikationsmaßnahmen. Oberstes und seitens der öffentlichen
Auftraggeber einzig relevantes Ziel dieser Projekte ist die (Re)Integration der
ihr zugeführten, aus dem ,,ersten Arbeitsmarkt" exkludierten Arbeitskräfte, in
eben jenen Arbeitsmarkt.
Gemessen am einzig auf ,,Vermittlungsquoten" bezogenen Erfolg scheint diese
Strategie zunehmend wirkungsloser. Die Erfüllung dieses eindimensionalen
Auftrags wird angesichts der sich kontinuierlich verschärfenden Situation auf
dem Arbeitsmarkt immer unmöglicher. Darüber hinaus scheinen ebensolche
Bemühungen um Integration eher vermehrt zur Individualisierung des sozialen
Phänomens Arbeitslosigkeit beizutragen.
Diese offensichtliche Diskrepanz zwischen der realen Situation im
Erwerbssystem bzw. auf dem Arbeitsmarkt und dessen Verwerfungen einerseits
sowie dem Auftrag, junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu (re-)integrieren,
generieren zunehmend spezifische Dilemmata, mit denen diese zwischen
,,Hilfe" und ,,Kontrolle", agierende bzw. ,,balancierende" Berufsgruppe der
Sozialarbeiter/innen in der Jugendberufshilfe permanent konfrontiert ist.
Verstärkt stößt ein ,,unterstelltes" berufshabituell motiviertes Bedürfnis nach
2
Dementsprechend hat der Rat der Europäischen Union am 19.02.2010 eingeräumt,
,,dass die Krise die strukturellen Arbeitsmarktprobleme verschärft hat, wodurch sich
das Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit und strukturell bedingter Arbeitslosigkeit in
den kommenden Jahren erhöht hat. Trotz hoher Arbeitslosigkeit besteht ein
anhaltendes Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und Qualifikations -
nachfrage, was kontinuierliche Investitionen in Humankapital und eine verbesserte
Antizipierung und Abstimmung des Qualifikationsbedarfs erfordert. Die Krise hat
auch deutlich gemacht, dass bestimmte Gruppen besonders gefährdet sind
(Jugendliche, Migranten, Geringqualifizierte) und dass das Problem der Ausgrenzung
benachteiligter Gruppen vom Arbeitsmarkt ohne gezielte und aktive politische
Maßnahmen nicht zu beheben ist" (Rat der Europäischen Union 2010, S. 1).

7
kritischer Reflexion unserer Arbeitsgesellschaft zunehmend auf Ablehnung
seitens der sie beauftragenden und finanzierenden staatlichen Auftraggeber.
Die damit einhergehende Zwangslage verschärft sich zusätzlich durch
forcierten Konkurrenzdruck, der unter verordneter Ökonomisierung ,,ums wirt-
schaftliche Überleben kämpfenden", ursprünglich ,,sozialen", arbeitsmarkt-
politischen Maßnahmen.
Unter der Ägide schrumpfender Arbeitsmärkte und aktivierender
Sozialstaatspolitik verlagert sich nun, so Scheer (1999), die Funktion Sozialer
Arbeit von Exklusionsvermeidung und Inklussionsvermittlung hin zu mehr
Exklusionsverwaltung oder anders ausgedrückt: Soziale Arbeit spielt wieder
mehr Wächter und Aufpasser an den flüssigeren Grenzlinien sozialer
Integration und Desintegration. Der aktivierende Sozialstaat ist in der Tat ohne
Sozialarbeit nicht denkbar, aber es dürfte eine andere Soziale Arbeit sein, als sie
in der heute als Phase des kompensierenden Wohlfahrtsstaats bezeichneten Ära
gedacht, konzipiert und auf den Weg gebracht wurde.
Paternalistische Programme schränken nun ersichtlich die Ermessensspielräume
der Sozialarbeiter/innen in der Jugendberufshilfe ein. ,,In der Fallarbeit (so
Hans-Jürgen Dahme und Norbert Wohlfahrt 2002, S. 24) werden
Ursachensuche, hermeneutisches Fallverstehen und Lebensweltorientierung
zunehmend unwichtig, da lediglich die von den jeweiligen Programmen
vorgegebenen Verhaltensstandards durchgesetzt werden müssen. Die
Autonomie in der Fallbearbeitung wie Expertise, freie Wahl der Mittel,
Autonomie im Umgang mit Klienten u.ä. wird schrittweise eingeschränkt und
führt auf absehbarer Zeit möglicherweise zu einer grundsätzlich veränderten
Professionalität in der sozialen Arbeit. Hier ist der neue Paternalismus
anschlussfähig an den neuen Managerialismus in Staat und Verwaltung."

8
Die Jugendberufshilfe befindet sich damit heute in einem doppelten Dilemma,
dem ,,Orientierungsdilemma" (Galuske 1993) zwischen individualisierend -
pädagogisierenden Maßnahmen angesichts struktureller Ursachen von
Jugendarbeitslosigkeit und dem ,,Aktivierungsdilemma", das heißt Erfüllungs-
gehilfin einer Arbeitsmarktpolitik zu sein, die den Individuen höhere
Eigenverantwortlichkeit und weitergehende Anpassung an institutionelle
Vorgaben und vermeintliche Anforderungen des Arbeitsmarktes abverlangt,
ohne dafür verlässliche Ausbildungs- und Erwerbsperspektiven bieten zu
können.
Wenn Jugendliche und junge Erwachsene lediglich hinsichtlich ihrer
Hemmnisse für eine gelingende Arbeitsmarktintegration betrachtet werden, ja
sogar auf diese reduziert werden, besteht für mich die Frage darin, ob die
Sozialarbeiter/innen in der Jugendberufshilfe die Hinwendung des
Arbeitsauftrages von der Inklusionsvermittlung hin zur Exklusionsverwaltung
auch als Herausforderung wahrnehmen und wie sie damit umgehen. Ziel der
vorliegenden Arbeit ist es demnach, die Frage zu beantworten wie die
Sozialarbeiter/innen in der Jugendberufshilfe Widersprüchlichkeiten in ihrem
Arbeitsalltag bewältigen.
Mein Forschungsinteresse gilt somit der Generierung von Professionalität
innerhalb der Praxis Sozialer Arbeit. Es geht mir hierbei darum, die Sicht der
handelnden Sozialarbeiter/innen im Handlungsfeld der Jugendberufshilfe zu
rekonstruieren. Ich möchte herausfinden, wie sich die Sozialarbeiter/innen
,,einrichten", wenn trotz ihres Engagements nicht erreicht werden kann, was
erreicht werden müsste ­ nämlich eine (Berufs-)Perspektive für junge
Menschen.
Dazu bedarf es vorab eines reflexiven Bewusstseins über die Rahmenbedin-
gungen des von verschiedenen sozialen Akteuren und deren jeweiligen

9
Interessen geprägten sozialen Feldes der Jugendberufshilfe.
In den folgenden Kapiteln 3.1 und 3.2 wird dementsprechend der theoretische
Hintergrund zum Thema der vorliegenden Master - Arbeit dargelegt. Hierzu wird
in Bezug auf die Krise der Arbeitsgesellschaft die Situation Jugendlicher und
junger Erwachsener am Übergang von der Schule in die Arbeitswelt dargestellt.
Des Weiteren wird im Kapitel 3.3 erläutert, wie der ,,aktivierende Sozialstaat" mit
individualisierenden Problemzuweisungen auf eben solche gesellschaftliche
Problemlagen reagiert.
Nach Darstellung des theoretischen Hintergrundes folgt die Vorstellung des
Handlungsfeldes Jugendberufshilfe. Im Kapitel 4.1 werden die Aufgaben und Ziele
der Jugendberufshilfe beschrieben. Die neuen Anforderungen und Rahmen -
bedingungen, vor denen die Jugendberufshilfe steht, werden im Kapitel 4.2
angeführt.
Den Kapiteln zum Handlungsfeld Jugendberufshilfe schließen sich die
Erläuterungen zum Forschungsfeld Jugendberufshilfe an. Im Kapitel 5.1 werden
das Forschungsinteresse und die Forschungsfrage hinsichtlich der Heraus -
forderungen für die Sozialarbeiter/innen in der Jugendberufshilfe begründet.
Hierzu wird der diesbezügliche Forschungsstand (Kapitel 5.2) ausgewertet, das
Forschungsdesign und die Forschungsmethode (Kapitel 5.3) ausgewählt. Im
Kapitel 5.4 werden die Erhebungsschritte offengelegt und im Kapitel 5.5 werden
die Ergebnisse der Erhebung ausgewertet.
Abschließend wird ein Resümee (Kapitel 6) in Auswertung der
Forschungsergebnisse hinsichtlich der Beantwortung der Forschungsfrage
gezogen: Wie bewältigen die Sozialarbeiter/innen in der Jugendberufshilfe
Widersprüchlichkeiten in ihrem Arbeitsalltag, wie ,,richten" sie sich ,,ein",
wenn trotz ihres Engagements nicht erreicht werden kann, was erreicht werden
müsste - nämlich eine (Berufs)Perspektive für junge Menschen.

10
3. Theoretischer
Hintergrund
3.1 Die
Krise
der
Arbeitsgesellschaft
Die für unsere Gegenwartsgesellschaft geläufige Bezeichnung
,,Arbeitsgesellschaft" verweist nachdrücklich auf die dominante Stellung von
Arbeit als zentraler Kategorie des individuellen und gesellschaftlichen Lebens
(vgl. Beck 1997 / Gorz 2002 / Rifkin 2004). Damit verbunden ist die
Reduzierung von Arbeit auf die reine ,,Poiesis" (Arendt 1981), also das
Hervorbringen von Dingen sowie die weitere begriffliche Engführung
menschlicher Arbeit auf lohnabhängige, fremdbestimmte, aus der Lebenswelt
heraus gelöste und in der Rolle des ,,Arbeitenden" institutionalisierte
,,Erwerbsarbeit".
Es bleibt also festzustellen, dass Lohnarbeit noch immer der Königsweg
sozialer Sicherung und Integration ist (vgl. Galuske 2002, S. 72) und das
Denken der Menschen dominiert. Auf der einen Seite gilt Lohnarbeit in unserer
Gesellschaft nach wie vor als selbstverständliche und als schier unersetzliche
Grundlage dafür, im Leben Fuß zu fassen und aus dem eigenen Leben etwas zu
machen. Auf der anderen Seite ist genau dieser Weg vielen (jungen) Menschen
versperrt. Hierbei ist zu konstatieren:
1. Moderne kapitalistische Gesellschaften brauchen nicht mehr alle
Menschen, um Reichtum zu produzieren. Im Jahre 2000 wurden
annähernd dreimal soviel Güter und Dienstleistungen wie vor rund 40
Jahren produziert, allerdings mit immer weniger menschlicher Kraft und
Zeit (vgl. Galuske 2006, S. 57). ,,Menschliche Arbeit ist immer
erfolgreicher - und schwindet deshalb. Dabei sind die [...] Arbeitslosen
nur die Spitze des Eisbergs. Deutlicher wird die Dramatik, wenn man
die Abnahme der gesamtgesellschaftlich geleisteten Arbeitstunden
betrachtet" (ebd., S.57; Auslassung: P. A.). Nach Berechnungen des
Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (vgl. Statistisches

11
Bundesamt 2008) leistete im Jahr 1970 in Westdeutschland jeder
Erwerbstätige durchschnittlich 1.966 Arbeitsstunden. Im Jahr 1991
waren es nur noch 1.559 Stunden. Die Wiedervereinigung Deutschlands
veränderte das durchschnittliche Arbeitspensum kaum. Zwischen 1991
und 2003 sank die Zahl der durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden
in Deutschland von 1.548 auf 1.439. Seitdem hat sie sich weitgehend
stabilisiert. Im Jahr 2007 lag die Zahl der durchschnittlich geleisteten
Arbeitsstunden bei 1.433. Das heißt, dass zwischen 1970 und 2007 das
durchschnittliche Arbeitspensum um 27,11 % zurückgegangen ist. ,,Der
langfristige Trend zeigt, dass es sich dabei nicht um ein konjunkturell
bedingtes Phänomen handelt, sondern um ein strukturelles" (Galuske
2006, S. 57f.), das in allen industrie-kapitalistischen Gesellschaften zu
beobachten ist. Moderne Arbeitsgesellschaften sind zu erfolgreich, um
noch genügend existenzsichernde Lohnarbeit zur Verfügung zu stellen.
2. ,,Die Arbeit der Zukunft ist flexibel, mobil und flüchtig." (Galuske
2006, S. 58). Dauerhafte Normalarbeitsverhältnisse, tarif-, arbeits ­ und
sozialrechtlich abgesichert, verändern sich hin zu flexiblen, mobilen
Beschäftigungsformen wie befristeter Beschäftigung, Leih ­ bzw.
Zeitarbeit, gering entlohnte Dienstwarentätigkeiten (z. B. Mini ­ Jobs, 1
Euro ­ Jobs), Scheinselbstständige und Ich ­ AGs (vgl. Galuske 2006,
S. 58). In Deutschland hat sich nicht nur die absolute Zahl, sondern
auch die Struktur der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung
verändert. Eine wesentliche Veränderung ist die zunehmende Bedeutung
der Teilzeitbeschäftigung (vgl. Statistisches Bundesamt 2008):
Zwischen 1993 und 2007 erhöhte sich der Anteil der Teilzeitbeschäf-
tigten an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 11,0 auf
17,7 %. Für Westdeutschland lässt sich diese Entwicklung auch für
frühere Zeiträume feststellen: Lag der Anteil der Teilzeitbeschäftigten
1976 noch bei 7,1 %, waren es 1992 bereits 11,4 %. Unter den
Erwerbstätigen gingen im Jahr 2007 von den rund 35,3 Millionen

12
beschäftigten Arbeitnehmern 23,5 Millionen einer Vollzeit- und 11,8
Millionen einer Teilzeitbeschäftigung nach. Die Teilzeitquote lag bei
den beschäftigten Arbeitnehmern damit bei 33,5 %. Noch 1996 waren
lediglich 21,6 % aller Arbeitnehmer teilzeitbeschäftigt. Diese
Entwicklung findet sich sowohl in West- als auch in Ostdeutschland
wieder. Während die Teilzeitquote bei den beschäftigten Arbeitnehmern
in Westdeutschland zwischen 2001 und 2007 von 29,2 auf 34,1 % stieg,
erhöhte sie sich in Ostdeutschland im selben Zeitraum von 23,7 auf 31,2
%. Auffällig ist, dass die Teilzeitquoten sowohl bei den
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und den beschäftigten
Arbeitnehmern insgesamt als auch bei den Selbstständigen
kontinuierlich gestiegen sind. Während bei vielen ökonomischen
Prozessen wellenförmige Entwicklungen typisch sind, hat sich die
Teilzeitquote sowohl in West- als auch in Ostdeutschland nur einmal ­
von 1998 auf 1999 ­ minimal gegen den Trend entwickelt. Auch eine
Betrachtung der Teilzeitquoten nach Geschlecht bestätigt diese
Entwicklung.
3. Die Zukunft des Arbeitsmarktes liegt ,,in der Umwandlung von bislang
privat erbrachten Dienstleistungen in einfache, gering qualifizierte,
gering entlohnte, und sozial schlecht geschützte Dienstbotentätigkeiten"
(Galuske 2006, S. 59). ,,Wenn Arbeit weniger und flüchtiger wird,
gleichzeitig die sozialen Schutzschichten der Gesellschaft immer
weniger Wärme vermitteln und die Menschen immer unvermittelter auf
den Markt verwiesen werden, dann wird die individuelle Bedeutung von
Lohnarbeit notwendig wachsen." (ebd., S.59). Gefragt ist ,,der
unternehmerische Mensch bzw. der Arbeitskraftunternehmer, mobil,
flexibel, auf ständige Optimierung seiner Marktgängigkeit bedacht,
eigenverantwortlich im Erfolg wie im Scheitern" (ebd., S.59).
4. Allerdings ändert diese Optimierung der individuellen Marktgängigkeit
,,nichts an der Tatsache, dass die moderne Arbeitsgesellschaft nicht

13
mehr genügend existenzsichernde Lohnarbeit zur Verfügung stellt"
(ebd., S.59). Mit ihr einher geht somit eine zunehmende soziale
Ungleichheit, die zur Ausgrenzung und Unsicherheit (junger) Menschen
führt und weiterhin führen wird.
3.2 Die Situation Jugendlicher und junger Erwachsener am
Übergang von der Schule in die Arbeitswelt
In die obige Problemdarstellung zur Lohnarbeit ist ebenso die
Ausgangssituation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen am Übergang
von der Schule in die Arbeitswelt mit einzubeziehen:
1.
Im ersten Nationalen Bildungsbericht (vgl. Konsortium
Bildungsberichterstattung 2006) wurde ein ,,Übergangssystem
3
"
begrifflich gefasst, das in den Jahren von 1995 bis 2004 einen
quantitativen Zuwachs von insgesamt 43,1 % zu verzeichnen hat (vgl.
ebd., S. 258). Den höchsten Anstieg weisen die Maßnahmen der
Bundesagentur für Arbeit auf, aber auch die unterschiedlichen
schulischen Formen der Berufsvorbereitung haben sich beträchtlich
ausgeweitet (vgl. ebd., S. 81).
Baethge, Solga und Wieck (2007) sprechen von ca. einer halben Million
Jugendlichen, die in unterschiedlichen Maßnahmen der Berufsvor -
bereitung mit wenig beruflicher Perspektive aufgefangen werden. Die
Autoren kennzeichnen eine ,,Umschichtung", die die Schwierigkeiten
am Übergang von der Schule in die Ausbildung widerspiegelt und
konstatieren, dass die duale Ausbildung ihre dominante Position verliert
(vgl. ebd., S. 7). Das Konsortium Bildungsberichterstattung (vgl. 2006,
S. 82) sieht eine ernsthafte bildungspolitische Herausforderung, da zwei
3
Die BIBB-Übergangsstudie (nach: Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008,
S.169) zählt zum ,,Übergangssystem" alle außerschulischen Maßnahmen sowie schu-
lische Bildungsgänge, die zu keinem qualifizierenden Berufsabschluss führen: das
Berufsgrundbildungsjahr und das Berufsvorbereitungsjahr, die berufsvorbereitenden
Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, die Einstiegsqualifizierung Jugendlicher
und die Berufsfachschulen ohne Abschluss, sowie Teilqualifizierung und Praktika.

14
Fünftel der Ausbildungsanfänger ihren Berufsstart mit Unsicherheit und
ohne konkrete Berufsbildungsperspektive beginnen.
2. Die Autorengruppe Bildungsberichterstattung (vgl. 2008, S. 163 f.)
weist im zweiten Nationalen Bildungsbericht aus, dass Jugendliche mit
und ohne Hauptschulabschluss die größten Schwierigkeiten des
Übergangs haben. Deshalb stellen sie die größte Gruppe der
Teilnehmenden dar. Bezogen auf alle Jugendlichen, die nach dem
Schulabschluss eine der angebotenen Maßnahmen beginnen, befinden
sich nach 30 Monaten immer noch fast ein Drittel (31%) im
,,Übergangssystem".
3 Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung belegen in
Bezug auf die berufliche Integration von Jugendlichen mit
Migrationshintergrund, dass auch durch die Teilnahme an
berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Übergangsstatus der
Teilnehmenden eher verfestigt und die Chancen der Jugendlichen auf
einen Ausbildungsplatz nicht überzeugend erhöht werden (vgl. Granato
2004).
4 Eine weitere Brisanz im Übergang von der Schule in den Beruf zeigt
sich darin, dass das Durchschnittsalter der Jugendlichen bei
Ausbildungsbeginn mittlerweile bei 19,3 Jahren liegt - wie die BIBB-
Bewerberstatistik für 2006 (vgl. Beicht u.a. 2007, S. 1) ausweist. Gerade
ältere Jugendliche, Altbewerber und Jugendliche mit Migrations -
hintergrund stellen ausgewiesene Risikogruppen des Ausbildungs -
marktes dar.
5. Auswirkungen der Probleme an der so genannten ersten Schwelle
verdeutlichen sich auch in den Wünschen und Plänen der Jugendlichen,
ihren Orientierungs- und Entscheidungsprozessen und entsprechenden
Berufs- und Ausbildungsverläufen (vgl. Reißig u.a. 2006). Mehr als die
Hälfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrund allgemeinbildender
und beruflicher Schulen bekundet Interesse an einer dualen Ausbildung,

15
allem voran jene mit Hauptschulabschluss (vgl. Friedrich 2009). Rund
40 % der jungen Menschen verlassen aber die Real - oder Hauptschule
ohne konkreten oder realistischem Berufswunsch (vgl. Bergzog 2008).
Diese neue Situation hat schließlich auch erhebliche Konsequenzen für
die verschiedenen beteiligten Bildungseinrichtungen, z.B. durch eine
zunehmende Adressatenheterogenität, ethnische Vielfalt in der
Gruppenzusammensetzung, wachsende Unterschiede bezüglich der
Vorbildung, der Altersjahrgänge wie der angestrebten Abschlüsse.
Trotz der eingangs beschriebenen ,,um sich greifenden" Realitäten in unserer
Gesellschaft gilt bis heute als Leitvorstellung, dass prinzipiell berufliche
Integration für alle jungen Menschen erreichbar und dauerhaft zu sichern sei.
Und wer es dann doch nicht schafft, so folgt daraus umgekehrt, der oder die
zeige erhebliche Defizite oder bemühe sich nicht genügend.
So wird letztlich den jungen Menschen angelastet und als Problem aufgebürdet,
dass zwischen der tatsächlichen Lebensrealität junger Menschen und den in
unserer Gesellschaft herrschenden und richtungweisenden Lebenskonzepten
eine immer größere Kluft entsteht.
Das, was unsere Gesellschaft jungen Menschen zur Bewältigung des Übergangs
in das Erwerbsleben anbietet, bewegt sich letztlich noch immer innerhalb der
Muster der Vollbeschäftigungsgesellschaft. Dieser gesellschaftliche Normali -
tätsentwurf unterstellt einen im Prinzip unproblematischen Übergang von der
Schule in die Ausbildung (erste Schwelle) sowie einen daran anschließenden
Eintritt in qualifizierte Beschäftigung (zweite Schwelle). Jugendliche, die aus
welchen Gründen auch immer bei diesem Hürdenlauf scheitern oder sich
schwer tun, werden als ,,Benachteiligte" zu Zielgruppen einer
individualisierenden Fallbearbeitung transformiert, womit Zutrittsmög-
lichkeiten zu besonderen Fördermaßnahmen eröffnet, aber zugleich immer auch

16
stigmatisierende Zuschreibungen personaler und sozialer Defizite
vorgenommen werden.
Es werden zwar immer mehr und immer zahlreichere zusätzliche Angebote der
Förderung und Unterstützung gemacht, aber die Richtung wird nicht geändert,
allenfalls die Legitimationsmuster für diese Richtung.
3.3 Der
,,aktivierende
Sozialstaat"
Spätestens mit der Agenda 2010 lässt sich ein Umbauprogramm des
bundesdeutschen Sozialstaats erkennen, das eine neue Verantwortungsteilung
zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft realisieren und ,,die Rechte und
Pflichten gesellschaftlicher Akteure in eine neue Balance bringen soll" (Dahme
/ Wohlfahrt 2005, S.9). Das zentrale Schlagwort dieses Umbaus lautet
,,Aktivierung", der dazugehörige Leitbegriff ist der des ,,aktivierenden
Sozialstaats". Die Rechte und Pflichten der einzelnen gesellschaftlichen
Akteure sollen dabei neu austariert und neu definiert werden. Der Staat
investiert hierbei vor allem in die Beschäftigungsfähigkeit seiner Bürgerinnen
und Bürger (vgl. Dahme / Wohlfahrt 2005, S. 10).
Im Kern beinhalten die Strategien des aktivierenden Sozialstaats eine
Verschiebung staatlicher Leistungen weg von der Gewährung materieller Hilfen
hin zu einem verstärkten Angebot an Dienstleistungen, deren oberste
Zielsetzung die Aufnahme einer Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt ist (vgl.
Reis 2003, S. 70). Der aktivierende Sozialstaat verändert somit seine
Ausrichtung von welfare und workfare, also Wohlfahrt auf die Förderung von
Arbeitsfähigkeit. Damit geht der Versuch einher, im Klienten ­ oder in der
Sprache der ,,modernen Dienstleister": im Kunden ­ Verhaltensänderungen
auszulösen. So wird angestrebt, vor allem diejenigen zu aktivieren, die nicht
oder nicht mehr am Wirtschaftsleben teilnehmen und die wieder dem
Arbeitsmarkt zugeführt werden sollen. Zielgruppe dieser Aktivierungspolitik

17
sind vor allem Arbeitslose und Hartz ­ IV - Empfänger. Unterstellt wird hierbei,
dass diese ,,Kundschaft" zwar durchaus arbeiten könnte, dies aber aufgrund
fehlender Initiative und mangelnder Bereitschaft nicht tut. André Gorz
konstatiert daher, dass ,,alle Formen von workfare [...] die Arbeitslosen als
Versager und Faulenzer [stigmatisieren], die von der Gesellschaft
berechtigterweise und zu deren eigenem Besten zur Arbeit zu zwingen sind. Die
Gesellschaft überzeugt so selbst von der Ursache der Arbeitslosigkeit: Diese
Ursache seien die Arbeitslosen selbst. Sie besäßen weder die Qualifikation noch
die sozialen Kompetenzen, noch den notwendigen Willen, um einen
Arbeitsplatz zu erhalten" (Gorz 2000, S. 114; Auslassung und Einfügung: P.
A.). Notwendigerweise müssen workfare ­ Strategien also strukturelle Gründe
für Arbeitslosigkeit aus dem Blickfeld lassen, da sie der eigenen Binnenlogik
widersprechen.
Ein Paradebeispiel dieser Aktivierungspolitik bilden die seit ihrer Vorstellung
im August 2002 rasant umgesetzten Hartz - Reformen. Durch die Verschärfung
von Zumutbarkeitskriterien und den möglichen Einsatz von Sanktionen zielen
die Hartz - Gesetze auf eine Aktivierung der Bürger im Sinne der Förderung der
Bereitschaft zur Aufnahme von Arbeit um jeden Preis (vgl. Galuske 2005, S.
200). Zum Grundprinzip wird hierbei die Formel ,,Fördern und Fordern"
erhoben, wobei dem Fordern durch verschärfte Zumutbarkeitsregelungen und
Sanktionsinstrumente Nachdruck verliehen werden soll. Beispielhaft hierfür
steht das folgende Zitat aus dem Bericht der Hartz - Kommission: ,,Das Job -
Center
4
lässt sich auf keine Spiele mit Kunden ein, die erkennbar nicht willig
und bereit sind, wieder eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Kunden
können von sich aus auf die Inanspruchnahme der Leistungen des Job - Centers
verzichten. Durch ihren Verzicht auf Leistungen werden sie nicht vermittelt und
nicht in der Statistik geführt" (Kommissionsbericht 2002, S. 98).
4
Das hier genannte Job - Center stellt einen organisatorischen Kernpunkt der Hartz ­
Reformen dar. Es hat nicht nur das ursprüngliche Arbeitsamt abgelöst, sondern
integriert sämtliche arbeitsmarktrelevanten Beratungs- und Betreuungsleistungen.

18
Soziale Arbeit ist demnach auf allen Ebenen hiervon betroffen (Galuske 2007,
S. 344f.): ,,Auf der Ebene der Ziele und Inhalte wird Soziale Arbeit mehr und
mehr eingeschworen auf die Programmatik des aktivierenden Sozialstaats, der
sich nicht an der umfassenden Förderung `gelingenden Alltags` orientiert,
sondern nur die Förderung von Arbeitsfähigkeit als Kern von Selbständigkeit
im flexiblen Kapitalismus kennt. Soziale Arbeit soll präventiv, fördernd und
fordernd, kurativ, kontrollierend und sanktionierend die Anerkennung dieses
Normalitätsmusters sichern und den Einzelnen in seiner Konkurrenzfähigkeit
am Arbeitsmarkt stärken ­ perspektivisch von Kindesbeinen an. Auf der Ebene
der Organisation und Finanzierung Sozialer Arbeit werden die etablierten
korporatistischen Strukturen des Sozialsektors durch Konkurrenz, kosten- und
leistungsorientierte Auftrags- und Mittelvergabe und die Öffnung für
privatgewerbliche Anbieter in Richtung auf ein inszeniertes Marktmodell
verändert. Wettbewerb und Konkurrenz sollen die Anbieter sozialer Leistungen
vor allem zu mehr Kostenbewusstsein und Effizienz motivieren." Auf der
Ebene der Methoden und Handlungsformen wird der Sozialen Arbeit die
Rückkehr zu fürsorglich-belagernden, autoritären Handlungsmustern
verschrieben (vgl. Galuske 2007). ,,Aktivierungspädagogik wird zum weit
greifenden staatlichen Regierungsprinzip erklärt, die `Klientel` in diesem Sinne
`fürsorglich belagert`" (Kessel 2005, S. 35). Die Waage des doppelten Mandats
Sozialer Arbeit schlägt wieder deutlicher und heftiger zur Kontrollseite aus.
Der Gang dieser Arbeit dokumentiert die Strategie der aktivierenden Sozial-
und Arbeitsmarktpolitik, auf gesellschaftlich erzeugte Problemlagen mit
individualisierenden Problemzuweisungen zu reagieren. So verlagert sich
Soziale Arbeit unter der Ägide der aktivierenden Hartz - Gesetze weg von
lebensweltorientierten (sozial-)pädagogischen Unterstützungsangeboten (vgl.
Galuske 2004), hin zu einer rein erwerbsarbeitzentrierten
,,Qualifizierungsagentur", die insbesondere durch eine Verantwortungs -
verlagerung auf die einzelne Person geprägt ist.

19
Diese aktuellen Modernisierungsstrategien der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
führen in kaum einem anderen Feld der Sozialen Arbeit zu größeren
Herausforderungen und neueren Entwicklungen als dort, ,,wo die Pädagogik
ihren Beitrag zur Berufsfindung und zur Integration junger Menschen in die
Arbeitswelt bringen soll" (Arnold / Bönisch / Schröer 2005, S. 9). Insbesondere
das Feld der Jugendberufshilfe steht somit vor dem Hintergrund des oben
beschriebenen Paradigmenwechsels in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik vor
neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen, während die Zielgruppe der
Jugendberufshilfe, nämlich arbeitslose bzw. von Arbeitslosigkeit bedrohte
Jugendliche und junge Erwachsene, ganz besonders im Fokus aktivierender
Arbeitsmarktpolitik steht.
Bevor nun die neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen vor denen die
Jugendberufshilfe steht in den Mittelpunkt dieser Arbeit gerückt werden
können, sind hier die Aufgaben und Ziele der Jugendberufshilfe darzustellen.
4. Handlungsfeld
Jugendberufshilfe
4.1
Die Aufgaben und Ziele der Jugendberufshilfe
Jugendberufshilfe meint eine Ansammlung unterschiedlichster Politik- und
Förderbereiche, welche im Bereich der Bildungs- und Jugendpolitik
vorzufinden sind (vgl. Fülbier / Münchmeier 2001, S. 486). Der Begriff
,,Jugendberufshilfe" beinhaltet demnach ganz unterschiedliche Arbeitsformen
und Ansätze, die sich in vielfältige Arbeitsfelder ausdifferenzieren lassen.
Beispielhaft seien hier genannt:
Vermittlung von Allgemeinbildung
-
Sprachkurse
-
Schulabschlüsse

20
Berufsorientierung/Vorbereitung
-
Tip-Lehrgänge (testen, informieren, probieren)
-
Grundausbildungslehrgänge
-
Förderlehrgänge
-
Lehrgänge zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und
Eingliederungschancen
-
Pflegevorschulen/Hauswirtschaftliche Grundlehrgänge
-
Diverse Länderprogramme ­ auch aus dem Bereich der Jugendhilfe
-
Berufsvorbereitende Programmteile des Sofortprogramms der
Bundesregierung
Berufsausbildung
-
Berufsausbildung in außerbetrieblichen Ausbildungen
-
Reha-Ausbildung
-
Vollzeitschulische Ausbildung
-
Ausbildungsbegleitende Hilfen
-
Übergangshilfen nach BaE
-
Programme der Länder
-
Berufsqualifizierende Anteile des Sofortprogramms
Berufliche Weiterbildung und (qualifizierende) Beschäftigung
-
Nachqualifizierung
-
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
-
Arbeiten und Lernen
-
Beschäftigung nach dem BSHG
-
Sonstige Beschäftigungsprojekte (z.B. SAM)
-
Programme der Länder (häufig mit ESF-Mitteln kofinanziert)
-
Beschäftigungswirksame Anteile des Sofortprogramms
Weitere Angebote
-
(sozialpädagogische) Beratungsstellen
-
aufsuchende Ansätze
-
schulbezogene Jugendsozialarbeit

21
-
Projekte für Schulverweigerer
-
Modellprojekte (z.B. des Kinder- und Jugendplans der Bundesregierung,
aber auch der Länder, der Bundesanstalt für Arbeit , EU etc.)
-
Internationaler berufsbezogener Austausch
(vgl. BMFSFJ 2002, S. 176).
,,Jugendberufshilfe umfasst" demnach ,,Hilfen, Maßnahmen und Projekte, die
jungen Menschen beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung und
beim Übergang von der Ausbildung in Berufstätigkeit bzw. in Arbeit behilflich
sind. Ferner gehören beschäftigungswirksame Maßnahmen und qualifizierende
Beschäftigungsprojekte für noch nicht qualifizierte junge Menschen, für die
eine Berufsausbildung nicht [mehr] in Frage kommt, zum Handlungsfeld."
(Fülbier 2001, S. 486; Einfügung: P. A.).
Der Jugendberufshilfe - als Teil der Jugendsozialarbeit - kommt dabei gemäß §
13 des SGB VIII die Aufgabe zu, sich der beruflichen und sozialen Integration
von sogenannten sozial benachteiligten und individuell beeinträchtigten
Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu widmen. Die Zuordnung zum § 13
des SGB VIII stellt somit eine Kombination aus beruflicher Bildung,
Jugendhilfe und Arbeitsmarktpolitik dar (vgl. Jordan / Sengling 2000, S. 153).
Die Sozialarbeiter/innen in der Jugendberufshilfe ,,sollen" vor allem die
vielfältigen Probleme der Geförderten bearbeiten, die im psycho ­ emotionalen
Bereich (Motivation, Versagensängste usw.), in der Entwicklung akzeptierter
Verhaltensnormen (Umgangsformen, Verbindlichkeit usw.) oder die sie in Form
sozialer Belastungen aus ihrem Umfeld mitbringen (Wohnungsprobleme,
Suchtmittelmissbrauch, häusliche Lernbedingungen usw.). Dabei ,,soll"
vermieden werden, die Geförderten im pädagogischen Vorgehen auf diese
Defizite zu reduzieren, vielmehr ,,sollen" ihre Stärken erkannt und mobilisiert
werden, um ihre Anpassungsfähigkeit an die Anforderungen der Berufs-,
Arbeits-, und Lebenswelt zu stärken.

22
In dieser Funktion verstand und versteht sich die Jugendberufshilfe stets als
umfassende Sozialisationshilfe für junge Menschen, die sich zwar klassisch als
,,Brücke zur Arbeitswelt" begreift und deren Fixpunkt eine Orientierung am
ersten Arbeitsmarkt darstellt (vgl. Galuske 1999, S. 71), die jedoch gleichzeitig
Hilfestellungen bei Entwicklungs- und Orientierungsproblemen gibt und eine
Anwaltsfunktion für die betroffenen Jugendlichen übernimmt (vgl. Proksch
2002, S. 218).
Dieses eher ganzheitlich angelegte Handlungsverständnis der Jugendberufshilfe
,,wird jedoch von den anderen Professionsgruppen in den Projekten nicht selten
als Anmaßung seitens ihrer sozialpädagogischen Kolleg/innen aufgefasst und
deshalb zurückgewiesen. Denn die berufspraktische Anleitung (Ausbilder,
Meister) und die berufsfachliche Unterrichtung (Stützlehrer) kennzeichnen ein
deutlich abgrenzbares Aufgabenprofil als die ´sozialpädagogische Begleitung`
in ihrer Allzuständigkeit. Deshalb sehen die anderen Professionen die
Sozialpädagogik auch weitgehend in der Rolle eines zusätzlichen Hilfsdienstes,
den sie bevorzugt mit der sozialdisziplinierenden Regulierung von
Normproblemen betraut sehen wollen" (Arnold 2000, S. 235f.). Das
entsprechende Bedürfnis nach einer Begrenzung des Einflusses und der
Reichweite der ,,sozialpädagogischen Orientierung" beinhaltet, das sich eine so
orientierte sozialpädagogische Handlungspraxix nicht ,,überall" einmischt (vgl.
ebd.).
An dieser Stelle wird m. E. auch sichtbar, dass es für die Sozialarbeiter/innen
der Jugendberufshilfe in der ,,beruflichen Integrationsförderung" darauf
ankommt, ihre eigene professionelle Rolle zu finden und zu definieren. Eine
solche Definition richtet sich zuerst nach innen, also gegenüber dem eigenem
Berufs- und Handlungsfeld, sodann vor allem nach außen, also gegenüber den
anderen Fachlichkeiten in der ,,Integrationsförderung", gegenüber den

23
Geförderten, den Arbeitsgebern (Bildungsträgern), den anderen Akteuren (etwa
den Wirtschaftsunternehmen als Partner in der Förderung und spätere
Arbeitgeber der Geförderten), und nicht zuletzt auch gegenüber der
Arbeitsagentur als Mitfinanzier. Eine solche Rollendefinition kommt dabei auf
Dauer sicherlich nicht allein mit einer ,,deklaratorischen" Darstellung der
Selbstwahrnehmung im Sinne eines Leitbildes aus; vielmehr wird den externen
Kooperationspartnern, Auftraggebern oder Zielgruppen sozialarbeiterischen
Handelns bei der ,,beruflichen Integrationsförderung" durch praktische
Überprüfbarkeit (oder zumindest Plausibilität) zu vermitteln sein, worin sich für
diese anderen Akteure der professionelle Input der Sozialarbeiter/innen der
Jugendberufshilfe im Ergebnis der Förderung bemerkbar macht. Mit anderen
Worten, die Sozialarbeiter/innen der Jugendberufshilfe haben zu vermitteln und
praktisch nachvollziehbar zu machen, worin ihr spezifischer Beitrag zugunsten
dieser Gruppen liegt, der unverzichtbar ist, weil er nicht durch andere Momente
der ,,Integrationsförderung" ersetzt werden kann.
Nach der Betrachtung dieser Problemdarstellung zur Jugendberufshilfe, die die
Diskussion bis heute prägt und deren Ausgangspunkt in die 80er Jahre
zurückverfolgt werden kann, sollen nun die neuen Anforderungen und
Rahmenbedingungen, vor denen die Jugendberufshilfe steht, in Augenschein
genommen werden.
4.2 Die neuen Anforderungen und Rahmenbedingungen vor
denen die Jugendberufshilfe steht
4.2.1 Die Kooperation zwischen dem Job - Center und der
Jugendberufshilfe
Mit der Einrichtung von spezifischen Job - Centern für Personen unter 25
Jahren wird ein besonderes Augenmerk auf die Integration junger Menschen
gelegt. Gleichzeitig werden die vollständige Struktur und die spezifischen
Leistungsprozesse zur beruflichen Integration junger Menschen mit der

24
Zielsetzung vorgegeben, eine umfassende Beratung und Betreuung junger
Menschen zu gewährleisten. Hierbei kommt den Job - Centern ein
Arbeitsvermittlungs- und Existenzsicherungsmonopol zu, welches sich darin
ausdrückt, dass alle erwerbsfähigen Arbeitssuchenden im Alter von 15 bis 25
Jahren dem gesetzlichen Zwang unterworfen sind, sich unverzüglich in
Beschäftigung, Ausbildung oder eine Arbeitsgelegenheit vermitteln zu lassen
(vgl. Schruth 2005, S. 55). Doch auch umgekehrt unterliegen die Job - Center
einem besonderen Vermittlungsdiktat für junge Arbeitssuchende. So sind junge
Menschen unter 25 Jahren nach § 3, Abs. 2 SGB II ,,unverzüglich nach
Antragstellung auf Leistungen nach diesem Buch in eine Arbeit, eine
Ausbildung oder eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln". Diese Behandlung
junger Menschen soll - so der Anspruch des Gesetzgebers ­ Jugendarbeits -
losigkeit nach Erfüllung der Schulpflicht weitestgehend reduzieren. Die
Vorschrift zwingt das Job - Center, ohne vermeidbaren Zeitverzug irgendetwas -
also Ausbildung, Arbeit oder zumindest eine Arbeitsgelegenheit - in jedem
Einzelfall anzubieten; sie stellt somit eine unbedingte Handlungs- bzw.
Aufgabenverpflichtung dar.
Dieser Aufgabenverpflichtung folgt eine weitere gesetzliche Hinwirkungs -
verpflichtung hinsichtlich junger Menschen ohne Berufsabschluss. Immer dann,
wenn Jugendliche und junge Erwachsene ohne Berufsabschluss nicht in eine
Ausbildung vermittelt werden können, sollen diese in eine die beruflichen
Kenntnisse und Fähigkeiten verbessernde Arbeit oder Arbeitsgelegenheit
vermittelt werden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob sich der gesetzlich
formulierte Vorrang von Vermittlung in Arbeit und Ausbildung vor anderen
Unterstützungsformen nicht auch ein gewisses Risiko darstellt oder gar als
falsch zu bezeichnen ist. Eine solche ,,work - first"- Orientierung verstellt den
Blick auf andere notwendige Unterstützungen. Insbesondere für junge
Menschen mit spezifischem Förderbedarf werden so mögliche Entwicklungs -
räume eingeengt und reduziert (vgl. Wende 2005, S. 39).

25
Insgesamt wird für diese Zielgruppe, und dies lässt sich als erste Konsequenz
für die Jugendberufshilfe festhalten, eine Kooperation aller Fachkräfte der
Jugendberufshilfe mit den Arbeitsagenturen gefordert, diesen gar aufgedrängt
(vgl. Schruth 2005, S. 58). Aus fachlicher Sicht ist dies nicht unbedingt negativ
zu bewerten, stehen doch individuelle und passgenaue Hilfen für den einzelnen
jungen Menschen im Fokus dieser Kooperationsbemühungen. Zu beachten ist
bei den entsprechenden Kooperationsformen jedoch, dass es sich hier nicht
lediglich um einen gesetzlichen Auftrag zur Zusammenarbeit handelt, sondern
die Kommunen bzw. die Jugendhilfeträger sind durch Verwaltungs- bzw.
Leistungsvereinbarungen zu Angeboten und deren verbindlicher
Gewährleistung aufgefordert (vgl. ebd.). Was genau diese individuell
passgenauen Hilfen - im Sinne der ,,work - first" - Orientierung - sind, wird in
vorher definierten Verwaltungs- und Leistungsvereinbarungen festgelegt.
4.2.2 Das ,,Profiling" der Fallmanager und die Folgen für die
Jugendberufshilfe
Eine zentrale Position kommt bei der ,,passgenauen" Vermittlung den
Fallmanagern zu, welche den Integrationsprozess mit weitgehender Budget -
verantwortung steuern und koordinieren. Folgende Prozessschritte des
Fallmanagements sollen dabei durchlaufen werden:
Ziel- und Bedarfsklärung,
Abschluss von Hilfeplan bzw. Eingliederungsvereinbarung,
Koordination erforderlicher Sach-, Geld- und Dienstleistungen,
Einschaltung traditioneller Vermittlung, ggf. Nachbetreuung nach
Eingliederung sowie
Dokumentation und Wirkungskontrolle (vgl. Rietzke 2006, S. 198).
Entscheidend ist, dass der Fallmanager / die Fallmanagerin nicht selbst Teil der
einzelnen Hilfeleistung ist, sondern sich ,,externer Dienstleister" - also auch der

26
Jugendberufshilfe - bedient.
Um die angesprochene Ziel- und Bedarfsklärung zu gewährleisten, steht
zunächst einmal ein ,,Profiling" zur Ableitung einzelner Kundengruppen am
Anfang eines jeden Integrationsprozesses. Die Differenzierung der ,,Kunden" in
unterschiedliche Gruppen erfolgt hierbei anhand unterschiedlicher Dimen -
sionen, die im Rahmen des Profilings mit Hilfe von Leitfragen und
Einschätzungshilfen abgefragt werden. Zu diesen Dimensionen gehören zum
einen Engagement, Motivation und Einstellung der Jugendlichen, wobei auch
die Umgangsformen, das Erscheinungsbild oder die Körperhygiene der
,,Kunden" in den Blick genommen werden. Weitere Dimensionen stellen die
Fähigkeiten und Qualifikationen der arbeitsuchenden Jugendlichen dar. Gefragt
sind also Berufserfahrungen, Sprachkenntnisse, formale Abschlüsse sowie die
so formulierten ,,spezifischen Arbeitsmarktbedingungen" und die ,,berufsbe -
zogenen Hemmnisse bzw. der soziale Kontext". Unter den spezifischen
Arbeitsmarktbedingungen versteht man personenbezogene Merkmale, die
Aufschluss darüber geben, wie sehr das persönliche Profil auf die
Gegebenheiten des regionalen und überregionalen Arbeitsmarktes passt. Die
berufsbezogenen Hemmnisse und der soziale Kontext beschreiben hingegen
Fragen der Flexibilität und Mobilität, etwaiger gesundheitlicher
Einschränkungen oder etwaiger Sucht- oder Schuldenproblematiken der
Jugendlichen (vgl. BA o. J., 2006, S. 4).
Anhand dieser insgesamt vier Dimensionen werden die jungen Menschen nun
unterschieden als:
Marktkunden, das sind Jugendliche, für die in der Folge des ,,Profiling" kein
Handlungsbedarf zu erkennen ist und denen gute Integrationschancen zuge -
sprochen werden.
Beratungskunden, das sind Jugendliche, die je nach Handlungsbedarf
aktiviert bzw. gefördert werden müssen und für die durch

27
Einstellungsänderung, weitere Qualifizierung und Abbau von
Beschäftigungshürden erhöhte Integrationschancen gesehen werden.
Betreuungskunden, das sind Jugendliche, die einen hohen Handlungsbedarf
in mehreren Dimensionen und nur sehr geringe Integrationschancen
aufweisen (vgl. BA o. J., 2006, S. 4f.).
Insgesamt dient die Einteilung in Kundengruppen dazu, bestimmte
Zieloptionen nach einheitlichen Kriterien zu definieren und Passgenauigkeit
auch zu Maßnahmen der Jugendberufshilfe zu erzeugen. Andreas Polutta merkt
hierzu an: ,,Besonders auffällig ist, dass je nach Kundengruppe Ziele auf
unterschiedlichem Niveau vorgesehen sind und genau eine spezifische Auswahl
an Produkten zur Verfügung steht. Leistungskatalogartig ist festgelegt, welche
Integrationsformen jeweils in Frage kommen. Für alle Gruppen ist die
Beendigung des Leistungsbezugs vorrangiges Ziel, für Markt- und
Beratungskunden ist eine Integration in den ersten, für Betreuungskunden in
den zweiten Arbeitsmarkt beziehungsweise [zunächst] die Zielperspektive
`Soziale Integration` vorgesehen" (Polutta 2005, S. 26; Einfügung: P. A.).
Insbesondere für ,,benachteiligte" junge Menschen ist diese Form der
Differenzierung nach Maßnahmetypen je nach ihrer Zuordnung zum Beratungs-
oder Betreuungskunden als kritisch zu beurteilen. Stellt bereits die
Benachteiligung eine Stigmatisierung dar, werden nunmehr einzelne Formen
der Benachteiligung identifiziert und die betroffenen Jugendlichen
dementsprechend unterschiedlich behandelt, womit ein Stufensystem von
Benachteiligung eingeführt wird (vgl. Wende 2005, S. 41).
Den durch das ,,Profiling" als Betreuungskunden selektierten Jugendlichen wird
somit von vorneherein eine berufliche Integration in den ersten Arbeitsmarkt so
gut wie verwehrt. Es besteht die Gefahr, dass die Jugendberufshilfe in der
Praxis gar nicht mehr alle möglichen notwendigen Maßnahmen zur Verfügung

28
stellen kann und stellen darf, sondern nur solche, die der Vorauswahl durch die
Job - Center entsprechen.
Wurde Jugendberufshilfe bisher als umfassende Sozialisationshilfe für junge
Menschen verstanden, die Hilfestellungen bei Entwicklungs- und
Orientierungsproblemen geben und eine Anwaltsfunktion für die betroffenen
Jugendlichen übernehmen sollte (vgl. Proksch 2002, S. 218), ,,geht es nun
darum, junge Menschen durch Training und Qualifizierung beschäftigungsfähig
zu machen" (Wende 2005, S. 41). Auf die Spitze getrieben wird die
Philosophie des Forderns und Förderns zudem durch einen geänderten Umgang
mit Widerständen. Stellten sich jugend- und zielgruppenspezifische
Verweigerungshaltungen bisher noch als pädagogisch bearbeitbar dar, ,,führt
nun die Feststellung einer Verweigerung der angebotenen Maßnahmen
unweigerlich zu einer 3-monatigen Sperrzeit" (ebd.).
In besonders autoritärer und durchgreifender Weise werden mit dieser
verordneten Sanktionierung ,,benachteiligte" junge Menschen ihrer materiellen
Existenzgefährdung überlassen (vgl. Schruth 2005, S. 60). Genau diese Form
der autoritär erzwungenen Anpassung kennen eben diese ,,benachteiligten"
jungen Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen
zur Genüge. So ist festzustellen, dass gerade sie Strategien und Wege entwickelt
haben, sich vor Bevormundungen zu schützen, auszuweichen und sich oftmals
auf prekäre Weise durchzuschlagen. Die Vermutung liegt nahe, dass dieser
,,autoritäre Denk- und Handlungsansatz [...] deshalb gegenüber vielen dieser
ohnehin benachteiligten Jugendlichen scheitern [wird]" (ebd.; Auslassung und
Einfügung: P. A.).
Festzuhalten bleibt, dass eine Missachtung der individuellen Problemlagen der
Jugendlichen und ein damit einhergehender Mangel der Ursachenbekämpfung
in der Regel eher zu einer Verschärfung oder zumindest zur Stabilisierung eben

29
dieser Problemlagen führen. Selektion und Differenzierung der Jugendlichen
nach unterschiedlichen Kundentypen münden, so bleibt zu befürchten, in
Stigmatisierung und Biographiezuschreibungen, die den Karriereweg
bestimmen. Eine Konzentration auf Vermittlung im Niedriglohnbereich, auf
Vermittlung in nur eingeschränkt qualifizierende Arbeitsgelegenheiten und auf
Vermittlung in nur suboptimale Ausbildungsmöglichkeiten prägt Biographien,
deren prekärer Verlauf vorbestimmt erscheint. Die hier implizierte
individualisierte ,,work - first" - Programmatik ignoriert zudem gänzlich, dass
es strukturelle Gründe sind, die die derzeitige hohe Jugendarbeitslosigkeit
bestimmen, wie ein Blick in die Arbeits- und Ausbildungsmarktstatistik zeigt
(vgl. Kapitel 3.1 und 3.2). Eine Reduzierung auf die unmittelbare
Arbeitsmarktintegration mit der Ausrichtung auf die dazu benötigten
Verhaltensänderungen der Jugendlichen führt schließlich dazu, bestehende
Integrationsproblematiken statistisch zu verwalten, statt sie qualitativ zu lösen.
4.2.3 Die Ökonomisierung der Jugendberufshilfe
Die dargestellten einschneidenden Konsequenzen für die Jugendberufshilfe
verstärken sich noch durch die zunehmend marktförmig orientierte
Organisation ihrer Angebote und Maßnahmen. Insbesondere am Beispiel des
Fachkonzeptes ,,Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen" der Bundesagentur
für Arbeit vom 12. Januar 2004 zeigen sich die Auswirkungen auf die Anbieter
und Träger von Maßnahmen der Förderung ,,benachteiligter" junger Menschen.
Der Wechsel des Vergabeverfahrens von vormals festgelegten Qualitätskriterien
hin zu dominierenden Preis-/Leistungskriterien hat seit der Einführung des
Fachkonzepts - schon nach einem Jahr - zu einer 25 %igen Kostensenkung bei
den entsprechenden Maßnahmen geführt. Als unmittelbare Folge davon lassen
sich die Etablierung eines Niedriglohnsektors im Bereich der Bildungsträger
und ein kräftiger Stellenabbau in der Trägerlandschaft beobachten. Redu -
zierungen der Betreuungsschlüssel um 25 bis 30 %, scheinen keine Seltenheit

30
zu sein und auch der zu attestierende Trägerwechsel von 30 % deutet auf die
Vernichtung von aufgebauten Kapazitäten und von langjährig erworbenem
Know - how hin (vgl. Schierholz, 2005, S. 37).
Darüber hinaus stellen Lutz Wende und Gerhard Christe auch eine ,,drohende
Ausgrenzung der jugendhilfeorientierten Entwicklungsunterstützung aus dem
Set der erwerbsintegrierenden Angebote" fest (Wende / Christe 2006, S. 53).
In Beantwortung der Frage, ob bisher bestehende Qualitätsstandards der
Jugendberufshilfe beibehalten werden können, dürfen hiernach durchaus
berechtigte Zweifel angemeldet werden.
Nachdem die Jugendberufshilfe als Handlungsfeld dargestellt wurde, geht es
nun darum, die Jugendberufshilfe als Forschungsfeld - in Bezug zum Thema
dieser Master - Arbeit - vorzustellen.
5. Forschungsfeld
Jugendberufshilfe
5.1 Das Forschungsinteresse und die Forschungsfrage
hinsichtlich der Herausforderungen für die
Sozialarbeiter/innen in der Jugendberufshilfe
Geht man von den (im Kapitel 4.1) beschriebenen Aufgaben- und
Funktionsbeschreibungen aus, so stehen die Sozialarbeiter/innen im
Handlungsfeld Jugendberufshilfe durch eine der aktivierenden Sozialpolitik
immanente ,,work ­ first" ­ Orientierung vor Herausforderungen bzw.
Zumutungen, die den Standards professioneller Sozialer Arbeit im Grunde nicht
genügen können. Vor dem Hintergrund, dass gesellschaftliche Teilhabe und
Zugehörigkeit in sogenannten modernen ,,Arbeitsgesellschaften" in der Regel
über Erwerbsarbeit ermöglicht wird, fokussiert der aktivierende Sozialstaat
seine Inklusionsbemühungen auf die Integration in Erwerbsarbeit und setzt
diese vor alle anderen sozialstaatlichen Ziele.

31
Eingebettet in den skizzierten Zustandsbericht (im Kapitel 3.1) zu unserer
lohnarbeitszentrierten Arbeitsgesellschaft, an der - obgleich das Erwerbs -
volumen schwindet ­ weiterhin festgehalten wird, führt der aktivierende
Sozialstaat (vgl. Kapitel 3.3) dazu, dass jedwede sozialstaatlich beauftragte
Jugendberufshilfe ihrer Klientel vorrangig bzw. ausschließlich Unterstützung
und Hilfe bei der Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarktintegration anzubieten und
Problemlagen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen von vornherein gar
nicht mehr in ihrer gesamten Breite in den Blick zu nehmen hat. Wenn
Jugendliche und junge Erwachsene lediglich hinsichtlich ihrer Hemmnisse für
eine gelingende Arbeitsmarktintegration betrachtet werden, ja sogar auf diese
reduziert werden, besteht für mich die Frage darin, ob die Sozialarbeiter/innen
in der Jugendberufshilfe die Hinwendung des Arbeitsauftrages von der
Inklusionsvermittlung hin zur Exklusionsverwaltung auch als Herausforderung
wahrnehmen und wie sie damit umgehen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es
demnach, die Frage zu beantworten wie die Sozialarbeiter/innen in der
Jugendberufshilfe Widersprüchlichkeiten in ihrem Arbeitsalltag bewältigen.
Mein Forschungsinteresse gilt somit der Generierung von Professionalität
innerhalb der Praxis Sozialer Arbeit. Es geht mir hierbei darum, die Sicht der
handelnden Sozialarbeiter/innen im Handlungsfeld der Jugendberufshilfe zu
rekonstruieren. Ich möchte herausfinden, wie sich die Sozialarbeiter/innen
,,einrichten", wenn trotz ihres Engagement das nicht erreicht werden kann, was
erreicht werden müsste ­ nämlich eine (Berufs-)Perspektive für junge
Menschen. Diesbezüglich sind weitere vertiefende Fragestellungen zu klären:
Halten die Sozialarbeiter/innen ungeachtet der Entwicklungen ­ hinsichtlich
des aktivierenden Sozialstaates ­ an ihren Zielen fest? Was für Ziele verfolgen
sie überhaupt unter den gegebenen Umständen? Verfolgen sie hierbei (noch)
gesellschaftsverändernde Visionen oder werden sie gar zu Zynikern? Oder
versuchen sie ­ in kleinen Schritten ­ zusammen mit den jungen Menschen

32
den Weg sozialpädagogischer Verständigung auf der Basis von
,,Verhandlungen" (vgl. Thiersch 1998, S. 40) mit ihren Klienten gemeinsam zu
beschreiten, die der Individualisierung und Pluralisierung ihrer Lebenslagen
und Lebenswege gerecht werden (vgl. Thiersch 1992, S. 20ff.).
Bevor nun die Klärung der Forschungsfrage und die damit
zusammenhängenden Fragestellungen angegangen werden können, muss
zunächst der diesbezügliche Forschungsstand aufbereitet werden.
5.2
Der Forschungsstand im Bezug zur Forschungsfrage
Zunächst ist zu bewerkstelligen, das Forschungsfeld Jugendberufshilfe für den
weiteren Verlauf dieser Master - Arbeit, im Sinne der Klärung der
Forschungsfrage, nutzbar zu machen
Hiernach werden ­ eingebettet in den diesbezüglichen Theorie - Ertrag (siehe
Kapitel 2, 3 und 4) ­ zwei Dimensionen zur Erfassung ausgewählt: Es werden
Einzel- oder Modellprojekte
5
, sowie relevante empirische Studien (Kapitel
5.2.1) hinsichtlich möglicher Erkenntnisse zur Beantwortung der
Forschungsfrage gesichtet.
5
Die Vielzahl der entwickelten Modelle und der unterschiedlichen Ansätze kann hier
nur angedeutet werden. Inhaltliche Differenzierung und handlungsleitende Prämissen
bilden so unterschiedliche Ausrichtungen und konzeptionelle Ansätze wie z. B.:
Arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit, Fördern und Fordern, Qualifizierung,
Modularisierung etc. (vgl. DJI 2000; Gericke et al. 2002). Für die Weiterentwicklung
von Pädagogischen Methoden und Prinzipien kennzeichnend sind Schlagworte wie z.
B.: Lebensweltorientierte Jugendsozialarbeit, Kompetenz- statt Defizitansatz,
ganzheitliche Förderung und individueller Förderplan, Assessmentcenter und
Potentialanalyse, lern-coaching und Lernen lernen oder e-learning (vgl. von
Bothmer / Fülbier 2003, S. 2f.). Den Versuch der konzeptionellen Steuerung und
Verwaltung dieser heterogenen Vielfalt unternimmt die Bundesagentur für Arbeit, in
Zusammenarbeit mit den zuständigen Bundesministerien und ihren angegliederten
Instituten, wie etwa dem Bundesinstitut für Berufsbildung sowie wissenschaftlichen
Institutionen wie dem Deutschen Jugendinstitut oder INBAS.

33
5.2.1
Relevante empirische Studien
Obgleich Praktiker/innen bis heute immer wieder realisier(t)en, dass die
Verfügbarkeit über methodisches Können und Alltagswissen die Paradoxien
und die Diffusität sozialpädagogischer Arbeit nicht aufzuheben vermögen,
therapeutisch und juristisch erworbenes Wissen zwar die Deutungs- und
Handlungskompetenzen im Alltag erweitert, aber keineswegs umfänglich einen
gelingenden Alltag garantiert, blieb ­ nach meinen Recherchen ­ bis in die 90er
Jahre die Idee einer wissenschaftlich fundierten Professionalisierung für die
curriculare Ausformulierung der akademischen Ausbildung und die
wissenschaftlich abgestützte Verfachlichung der sozialpädagogischen Praxis
aber weitgehend bedeutungslos.
Wenn dem zugestimmt werden kann, ist zu fragen, welche Bezugspunkte und
Handlungsorientierungen Sozialarbeiter/innen (in der Jugendberufshilfe) in
ihrer Praxis heranziehen (können).
Zumindest quantitativ konnte die Soziale Arbeit im letzten Jahrhundert ihre
Bedeutung als Teil des Dienstleistungssektors und als Wirtschaftsfaktor
kontinuierlich ausbauen. Ob sich die quantitative Ausweitung an Einrichtungen
und Personal (vgl. Rauschenbach 1999) jedoch auch qualitativ in einer
voranschreitenden Professionalisierung des Personals widerspiegelt, kann
anhand des gestiegenen Verberuflichungs- und Akademisierungsgrades
verberuflichter Sozialer Arbeit lediglich strukturell und formal bestimmt
werden. Unbeantwortet bleibt jedoch die entscheidende Frage, in welcher Form
sich die disziplinären Professionalisierungsanstrengungen in der Praxis
manifestieren, wie professionell also die in der Praxis tätigen Mitarbeiter/innen
real handeln und in welcher Form sie ihr Handeln (wissenschaftlich) abstützen.
Unabhängig von der Berufsfeld- und Berufseinmündungsforschung war die
sozialpädagogische Professionalität kein hervorstechendes Thema der

34
empirischen Forschung. Erst angeregt durch die Verwendungsforschung (vgl.
Böhm / Mühlbach / Otto 1989; zusammenfassend Lüders 1991) rückten Studien
im zurückliegenden Jahrzehnt die Frage nach den typischen Konstitutions -
formen sozialpädagogischer Fachlichkeit und Professionalität entlang indivi -
dueller Entwürfe stärker ins Zentrum empirischer Aufklärungsversuche.
Die nachfolgenden 3 Studien bewegen sich im Spannungsfeld von
Einzelfallbeschreibungen und typenbildenden Gesamtbetrachtungen. Insgesamt
werden dabei unterschiedliche theoretische Annahmen und forschungsleitende
Fragestellungen zugrundegelegt.
a.)
(Thole / Küster-Schapfl 1996)
Studie: Erfahrung und Wissen ­ Deutungsmuster und Wissensformen von
Diplompädagogen und Sozialpädagogen in der außerschulischen Kinder-
und Jugendarbeit
Unter Rückgriff auf das Bourdieusche Habituskonzept zeigten W. Thole und E.-
U. Küster-Schapfl (1996, 1997), welche Formen Pädagogen / Pädagoginnen mit
den unterschiedlichsten Profilen finden, um die in der hochschulischen
Ausbildung erworbenen Kenntnisse für einen ,,gelungenen", fachlich
abgesicherten Berufsalltag in der außerschulischen Pädagogik mit Kindern und
Jugendlichen fruchtbar zu machen ­ mit anderen Worten, wie sie Wissen in
Können und Handeln, Theorie in Praxis, disziplinäre Kenntnisse in
professionelles Tun überführen.
Die Arbeiten von Thole et al. betten die Frage nach dem Verhältnis von Theorie
und Praxis in einen biographischen Kontext, so dass im Zentrum ihrer
Rekonstruktionen die Frage nach dem Zusammenhang von Biographie,
Hochschulsozialisation, beruflicher Sozialisation und dem Verlauf der
Berufskarrieren steht, somit nach jenen routinisierten und praxisgenerierenden
Deutungsmustern, die sich im beruflichen Habitus niederschlagen. Gemäß

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dieser Fokussierung wählten sie für ihre Fragestellung das narrative Interview,
bei dessen Gestaltung sie sich im Wesentlichen an Schütze (1994) orientieren.
Insgesamt wurden 22 Interviews mit zwölf Sozialpädagogen /
Sozialpädagoginnen bzw. Sozialarbeiter/innen (FH), sieben Diplompädagogen /
Diplompädagoginnen und drei ­ ebenfalls akademisch qualifizierten ­
,,Quereinsteigern" durchgeführt.
Im Wesentlichen kommen Thole et al. zu dem Schluss, dass dem Studium in
der Wahrnehmung der Interviewten für die Einmündung in den Beruf nur eine
geringe, zum Teil sogar marginale Bedeutung zukommt. Es wird weniger im
Rahmen einer zielorientierten Studienplanung genutzt, um berufliche
Kompetenzen zu erwerben, sondern vielmehr, um in möglichst viele
Handlungs- und Themenfelder einen Einblick zu erhalten. Die hieraus
resultierenden Schwerpunkte entwickeln sich jedoch einerseits eher zufällig
und sind zumeist von informellen Ratschlägen, persönlichen Neigungen und
den Erfahrungen mit den Dozent/innen geprägt, oder resultieren aus
Erfahrungen und Fähigkeiten, die bereits vor dem Studium gewonnen wurden.
Biographische Erfahrungen werden in der Regel durch das Studium nicht
entscheidend beeinflusst, so dass auch in der Wahrnehmung der Studierenden
kein Bedarf besteht, diese Verunsicherungen theoretisch zu füllen. Vielmehr
äußert sich das Verhältnis zu den theoretischen Referenzsystemen der Disziplin
in einer Ignoranz gegenüber sozialpädagogischer wie sozial- oder erziehungs -
wissenschaftlicher Literatur. Diese wird lediglich in den Fällen rezipiert, wo
Lösungswege für gravierende Alltagsprobleme gesucht werden oder aber die
Themen gerade im Trend stehen (z.B. Rechtsradikalismus, geschlechts -
spezifische Sozialisation). Die Informationsquellen sind hierbei oft beliebig,
nicht spezifisch ausgewählt und nicht einschlägig fachlich; sozialpädagogische
oder psychologische Periodika stehen dabei in der Lesegunst weit vor
wissenschaftlichen Monographien.

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Die biographischen Vorerfahrungen und vorberuflich gewonnenen
Interpretationsfolien beruflichen Handelns konnten demnach im Studium weder
,,verunsichert, neu modelliert oder aber innovativ so angereichert werden, dass
die dadurch veranlassten Verunsicherungen die Zuführung von Wissen
herausforderten" (Thole/Küster-Schapfl 1997, S. 47 f.).
Eine entgegengesetzte Typik weisen Studienbiographien auf, bei denen die
Befragten ,,im Zuge ihrer Studienzeit sowohl die Gelegenheit nutzten, ihre
biographischen Wurzeln zu reflektieren und aufgrund der dort gesammelten
Erfahrungen ihren Deutungshorizont zu modifizieren und zu erweitern als auch
über eine Auseinandersetzung mit fachrelevanten Diskursen eine disziplinäre
Heimat zu finden" (Thole/Küster-Schapfl 1997, S. 48).
Zusammenfassend kommen Thole et al. zu dem Ergebnis, dass ,,das Studium
die Herausbildung einer pädagogischen respektive sozialpädagogischen
Fachlichkeit und Performanz bei den Mitarbeitern der Sozialpädagogik des
Kindes- und Jugendalters nicht grundlegend zu habitualisieren (scheint). Ein
anderes Bezugssystem als die über fachliches Wissen leicht unterfütterten
sozialen biographischen Erfahrungen als zentrale Ressourcen zur Bewältigung
des beruflichen Alltags und der Entwicklung von ´Professionalität` liegt
offensichtlich entfaltet nicht vor" (Thole/Küster-Schapfl 1996, S. 849).
Kommt somit dem Studium schon nur ein geringer sozialisierender Stellenwert
für die Herausbildung beruflichen Handelns zu, verfügt auch die
sozialpädagogische Praxis über keinen Kanon, ,,der die Ritualisierung,
Verwertung und Verberuflichung sozialer biographischer Erfahrungen und
Ressourcen im Kontext der institutionellen Netzwerke fachlich kodifiziert"
(ebd.); die Soziale Arbeit verfügt damit über kein eindeutiges und vor allem
fachlich ausgewiesenes Vergesellschaftungs- bzw. Vergemeinschaftungsmuster.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (PDF)
9783961160969
ISBN (Paperback)
9783961165964
Dateigröße
909 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Erziehungswissenschaft
Erscheinungsdatum
2017 (März)
Note
1,3
Schlagworte
Profession Soziale Arbeit Jugendliche Jugendberufshilfe Arbeitsmarktintegration
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Titel: Widersprüchliches professionelles Handeln in der Krise der Arbeitsgesellschaft
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