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Visionen für Freiham

Analyse ausgewählter Strategien zur Förderung von Identifikation und sozialem Gleichgewicht am Beispiel der Münchner Großsiedlungsprojekte Freiham und der Messestadt Riem

©2015 Masterarbeit 79 Seiten

Zusammenfassung

Im März 2015 begannen die Arbeiten für den 2. Bauabschnitt in München-Freiham. Hier entsteht in den nächsten Jahren Wohnraum für ca. 20.000 Menschen. Das Siedlungsprojekt Freiham ist, seit Neuperlach Ende der Sechziger Jahre und der Messestadt Riem in den Neunzigern, im Raum München das Größte seiner Art.
Dass die bayerische Landeshauptstadt München (LHM) ein massives Wohnungsproblem hat, ist unumstritten. München braucht Wohnraum für seine Bürger und für die, die es werden wollen, hineingeboren werden oder Zuflucht suchen. Auf das „Stadt-Land-Leben von morgen“ wird, im wahrsten Sinne des Wortes, mit Hochdruck gebaut. Jetzt noch kaum vorstellbar, entsteht entlang der Bodenseestraße, zwischen Aubing und der Kreisstadt Germering im Münchner Westen, ein neuer Stadtteil. Ein Zuhause, ein Lebensraum und liest man sich in die visionären Zukunftspläne ein, kann sogar von einer neuen Welt gesprochen werden; von einer Heimat und dabei sind große Visionen erlaubt.
In Teil A dieser Arbeit geht es um drei ausgewählte Strategien zur Förderung von Identifikation und sozialem Gleichgewicht. Strategie 1: »Imagebildung«, Strategie 2: »Gartenstadt-Idee« und Strategie 3: »Soziale Mischung«. Allen drei Strategien gemeinsam ist, dass es sich um Visionen handelt, wie Freiham sein soll bzw. wie die Menschen in Freiham leben sollen. Die Image-Kampagne der LHM für Freiham ist bei der Auswahl der drei Strategien entscheidend, da sie runtergebrochen diese drei Elemente beinhaltet. Aufhänger ist hier die Imagebroschüre des Referats für Stadtplanung und Bauordnung (PLAN) aus dem Jahr 2014.
In Teil B werden zwei Evaluierungen der Messestadt Riem untersucht und mit den drei Strategien in Verbindung gesetzt. Wo finden sie sich in der Praxis wieder und woran erkennt man, dass die Strategien bereits in der Messestadt umgesetzt wurden und welche Empfehlungen für Freiham lassen sich ableiten.
In Teil C werden die Visionen und Strategien im Interview mit Prof. Dr. Ingrid Krau erörtert und beurteilt. Ziel ist es, die Strategien zu hinterfragen, andere Ansätze beizutragen und ein realistisches Zukunftsbild von Freiham zu entwickeln.
Im Fazit werden die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst und als Handlungsempfehlungen für die beinahe unbebaute Fläche Freihams niedergeschrieben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


5. Auswertung und Methode ... 45
5.1 Stadtperipherie und freundliche neue Nachbarn ... 46
5.2 Neues Image vs. alte Gewohnheiten und Realität ... 46
5.3 Funktionstrennung und der Wunsch nach Ordnung ... 48
5.4 Kann Gemeinschaftssinn gebaut werden? ... 49
5.5 Fantastische Auflagen und bedauerliche Entwicklungen ... 50
5.6 Erdgeschosszonen als kommunikativer Bereich ... 54
5.7 Ein Wunsch für Freiham ... 55
Fazit ... 56
Quellenverzeichnis ... 59
Anhang ... 64
2

Abkürzungsverzeichnis
BR
Bayrischer
Rundfunk
C.K.
Christine
Kopatsch
iaw
Institut Arbeit und Wirtschaft
Jusos
Jungsozialist_innen
LHM
Landeshauptstadt München
Min.
Minute
OB
Oberbürgermeister
PLAN
Referat für Stadtplanung und Bauordnung
SoBoN Soziale
Bodennutzung
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Std.
Stunde
Transk. Transkription
3

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Titelblatt der Imagebroschüre
S. 9
Abbildung 2:
Unbeschnittenes
Titelblatt
S.
9
Abbildung 3:
Logo
von
Freiham
S.
10
Abbildung 4:
Vorwort des Oberbürgermeisters
S. 12
Abbildung 5:
Werbeblatt Gartenstadt Frohnau
S. 17
Abbildung 6:
Villenkolonie I in Pasing
S. 18
Abbildung 7:
Diagramm I Die drei Magneten 1907
S. 20
Abbildung 8:
Diagramm II Gartenstadt 1907
S. 22
Abbildung 9:
München-Perlach
1967
S.
24
Abbildung 10:
Grafik München Mischung
S. 26
Abbildung 11:
Lehnbachgärten in München
S. 52
Abbildung 12:
Schwarzes Haus im Arnulfpark
S. 52
Abbildung 13:
Erste Wohngebäude in Freiham und Spielplatz
S. 53
4

Visionen für Freiham
,,Es wäre zu hoffen, daß man sich in ,diesem unseren` wohnbornierten Land
endlich einmal an den tatsächlichen Bedürfnissen orientiert. Sieht man sich
allerdings um, so sind die Chancen für einen solchen Einbruch der Vernunft
nicht eben gewaltig." (Hackelsberger 1990, S. 14).
Im März 2015 begannen die Arbeiten für den 2. Bauabschnitt in München-Freiham.
Hier entsteht in den nächsten Jahren Wohnraum für ca. 20.000 Menschen. Das
Siedlungsprojekt Freiham ist, seit Neuperlach Ende der Sechziger Jahre und der
Messestadt Riem in den Neunzigern, im Raum München das Größte seiner Art.
Dass die bayerische Landeshauptstadt München (LHM) ein massives
Wohnungsproblem hat, ist unumstritten. München braucht Wohnraum für seine
Bürger und für die, die es werden wollen, hineingeboren werden oder Zuflucht
suchen. Auf das ,,Stadt-Land-Leben von morgen" wird, im wahrsten Sinne des
Wortes, mit Hochdruck gebaut. Jetzt noch kaum vorstellbar, entsteht entlang der
Bodenseestraße, zwischen Aubing und der Kreisstadt Germering im Münchner
Westen, ein neuer Stadtteil. Ein Zuhause, ein Lebensraum und liest man sich in die
visionären Zukunftspläne ein, kann sogar von einer neuen Welt gesprochen werden;
von einer Heimat und dabei sind große Visionen erlaubt.
In Teil A dieser Arbeit geht es um drei ausgewählte Strategien zur Förderung von
Identifikation und sozialem Gleichgewicht. Strategie 1: »Imagebildung«, Strategie 2:
»Gartenstadt-Idee« und Strategie 3: »Soziale Mischung«. Allen drei Strategien
gemeinsam ist, dass es sich um Visionen handelt, wie Freiham sein soll bzw. wie die
Menschen in Freiham leben sollen. Die Image-Kampagne der LHM für Freiham ist
bei der Auswahl der drei Strategien entscheidend, da sie runtergebrochen diese drei
Elemente beinhaltet. Aufhänger ist hier die Imagebroschüre
1
des Referats für
Stadtplanung und Bauordnung (PLAN) aus dem Jahr 2014.
Im Laufe der Strategien-, Theorie- und Begriffsbildungen werden weitere
Unterbegriffe wie Quartierszentrum und Inklusion erläutert. Das Prinzip des
München Modells wird vorgestellt, sowie das über allen Stadtplanungen liegende
1
Die Imagebroschüre ist erhältlich im Referat für Stadtplanung und Bauordnung in der Blumenstraße
in München oder als Download verfügbar über:
https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Stadtplanung-und-
Bauordnung/Projekte/Freiham/download.html.
5

Dach der ,,Perspektive München". Das gemeinsame Ziel ist hier unter anderem eine
Segregation und Gentrifizierung zu verhindern, auch diese Begriffe werden erklärt.
In Teil B werden zwei Evaluierungen der Messestadt Riem untersucht und mit den
drei Strategien in Verbindung gesetzt. Wo finden sie sich in der Praxis wieder und
woran erkennt man, dass die Strategien bereits in der Messestadt umgesetzt wurden
und welche Empfehlungen für Freiham lassen sich ableiten.
In Teil C werden die Visionen und Strategien im Interview mit Prof. Dr. Ingrid Krau
erörtert und beurteilt. Ziel ist es, die Strategien zu hinterfragen, andere Ansätze
beizutragen und ein realistisches Zukunftsbild von Freiham zu entwickeln.
Im Fazit werden die wichtigsten Erkenntnisse dieser Arbeit zusammengefasst und als
Handlungsempfehlungen für die beinahe unbebaute Fläche Freihams
niedergeschrieben.
Am Ende der Arbeit soll eine Einschätzung darüber gegeben werden, wie wirksam
die ausgewählten Strategien sind. Und, ob die Hoffnung von Prof. Dr. Christoph
Hackelsberger
2
aus dem Jahr 1990 (siehe einleitendes Zitat) sich erfüllen könnte und
die Bedenken, dass die Chancen schlecht stünden, im Fall von Freiham nicht
gerechtfertigt wären.
Teil A ­ Strategien
Im folgenden Teil A werden die drei ausgewählten Strategien zur Förderung von
Identifikation und sozialem Gleichgewicht vorgestellt. Der Begriff der Strategie
wurde gewählt, da sie ein Plan des eigenen Vorgehens ist, der dazu dient, ein Ziel zu
erreichen (vgl. Duden 2006, S. 994). Wie eine neue Heimat entsteht, was zu tun ist,
um einen gut funktionierenden, attraktiven Stadtteil zu planen und umzusetzen ist an
Komplexität kaum zu übertreffen. Diese Arbeit widmet sich lediglich den Strategien,
die in der Imagebroschüre als Visionen für Freiham bebildert sind. Die Strategie der
Imagebildung ist die Broschüre an sich und in Abschnitt 1 wird erklärt, was darunter
verstanden werden kann. Die Strategie der Gartenstadt-Idee (Abschnitt 2), ist ein
markantes Merkmal für Freiham sowohl in der Broschüre, als auch sofern sie ernst
2
2012 verstorbener, einst in München lebender und wirkender Architekt und Wohnbaukritiker.
6

gemeint ist, in der Bauweise und dem Entgegenwirken von Desintegration. Die
Strategie der Sozialen Mischung (Abschnitt 3) findet sich ebenfalls in der Broschüre
wieder und ist eine der wichtigsten Ziele in einer Großstadt wie München um
Segregation und Ghettoisierung zu vermeiden und für einen sozialen Ausgleich zu
sorgen. Teil A hat zum Ziel, die theoretischen Hintergründe zu kennen.
1. Strategie 1: Imagebildung
Die Adressaten der Imagepflege von Freiham setzen sich aus verschiedensten
Interessensgruppen zusammen: aus Investoren, Wohnungsbaugesellschaften,
Politikern, zukünftigen Eigentümern, Nachbarn, Kritikern und letztlich aus allen
Menschen, die im neuen Stadtteil leben, arbeiten und investieren werden.
Das Image, also das Charakterbild von Freiham, wird von der Landeshauptstadt
München mittels Prospekten und Dokumenten zu den Planungsabsichten seit Jahren
gepflegt. Unter Image könne man nach Markus M. Jung das innere Gesamt- und
Stimmungsbild bzw. den unwillkürlich entstehenden Gesamteindruck, den jemand
von einem Meinungsgegenstand habe, verstehen. Aber auch ,,Trugbild, Vorstellung"
treffe die Bedeutung (vgl. Jung 2010, S. 34).
Das lateinische Wort Imago bedeutet im psychologischen Sinn ein ,,im
Unterbewusstsein existierendes [Ideal]bild einer anderen Person der sozialen
Umwelt." (Duden 2006, S. 439). Dass die Imagebildung einer Stadt, eines Stadtteils
oder wie im Falle von Freiham eines riesigen Siedlungsprojekts wichtig ist, zeigt
Markus M. Jung. Dieser widmete seine Masterarbeit dem Thema und veröffentlichte
2010 ,,RAUMimage ­ ImageRÄUME. Marketing von (urbanen) Räumen als
Instrument von Gemeinwesenentwicklung". In seinem Resümee stellt er nochmals
fest, ,,[...] dass Images eine große Bedeutung für die Gemeinwesenentwicklung
haben. Vor allem Negativimages von Stadtteilen wurden als
Entwicklungshemmnisse für eine gelingende Stadtteilentwicklung betrachtet." (Jung
2010, S. 219). Weiter schreibt er, dass sich in den untersuchten Quartieren ein
Kompetenzmangel bezüglich des Umgangs mit raumbezogenen Imagefragen
feststellen lasse, im Gegenzug aber das Handlungsfeld des Urban Marketing im
Dienste einer Urban Governance eine erstaunliche Routine im Einsatz von
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Kommunikations- und Marketinginstrumenten aufweise, wenn es darum gehe,
urbane Räume als Produkt zu vermarkten (vgl. ebd. S. 219).
1.1 Markenbildung
Freiham bekommt eine Marke. Die österreichische Branding Agentur brainds wurde
2013 für die Bildung dieser Marke beauftragt. In ihrem Internetauftritt erläutert die
Agentur, wie sie die Entstehung des Stadtteils durch die Entwicklung einer
attraktiven und zukunftsorientierten Marke unterstütze. So werde schon vor der
Bautätigkeit eine spezifische Identität formuliert und kommuniziert (vgl. Brainds
2015). Nach der Erarbeitung der Markenpositionierung in einem partizipativen
Prozess, der durch die Einbeziehung von ca. 100 internen und externen Stakeholdern
der Bedeutung des städtebaulichen Projektes Rechnung trug, übersetzte Brainds die
Strategie in Symbole, Bilder und Texte. Die zu vermittelnde Hauptbotschaft der
Marke sei "Freiham verbindet" (vgl. ebd.). Diese Hauptbotschaft findet sich auch auf
der Internetseite ,,muenchen.de" wieder. Das Referat für Stadtplanung und
Bauordnung (PLAN) schreibt über Freiham:
,,Dessen Entstehung wird durch ein attraktives und zukunftsorientiertes
Markendesign unterstützt. Damit kann München Freiham bereits visualisiert
werden, bevor Straßen gebaut werden und die ersten Häuser stehen. Das Design
macht neugierig auf diesen neuen Stadtteil und vermittelt die Hauptbotschaft der
Marke: Freiham verbindet." (LHM PLAN, 2015a).
Das von Brainds entwickelte Logo von Freiham taucht in der der Broschüre relativ
klein am rechten unteren Rand in der Farbe Weiß auf (vgl. Abb. 1 oder Anhang). Auf
,,muenchen.de" allerdings, ist es wie von seinen Machern designt platziert: der Kreis
im blau/grünen Farbverlauf (vgl. auch Abb. 3).
8

Abbildung 1: Titelblatt der Imagebroschüre
Abbildung 2: Unbeschnittenes
Titelblatt
Quelle: Brainds.com 2015
Quelle: Brainds.com 2015
Das Logo von Freiham soll die Verbindung zwischen Stadt und Land darstellen (der
Kreis). Die Form des geschwungenen Kreises orientiert sich möglicherweise an den
Stadtumrissen von München. Die Farben bzw. der Farbverlauf symbolisieren
Himmel und Felder. Interpretierbar aufgrund von Abbildung 3.
Abbildung 3: Logo von Freiham
Quelle: Brainds.com 2015
9

Für eine Imagekampagne ist es typisch, Gefühle zu vermitteln und zu erzeugen. Und
dies geschieht häufig durch Bilder, vergleiche beispielsweise die Nivea-Werbung
oder Merci-Schokolade. Hier steht nicht das Produkt an sich, seine
Inhaltsstoffe/Zutaten etc. im Vordergrund, sondern Assoziationen wie Familie,
Geborgenheit, Freundschaft und Dankbarkeit. Die semiotische Bildersprache am
Beispiel des unbeschnittenen Titelblatts von Brainds scheint eindeutig zu sein: ein
glückliches Paar, ein glückliches Kind spielend in der blumigen Natur, an der Leine
der Familie treuester Freund; sowie ein fliegender Drache in Gestalt eines bunten
Schmetterlings (vgl. Abb. 2).
Die Imagebroschüre wurde auf Papier aus zertifiziertem Holz, aus kontrollierten
Quellen und aus Recyclingmaterial gedruckt (vgl. Imagebroschüre 2014,
Impressum). Ein Wink auf den ökologischen Wert, für den Freiham stehen soll.
1.2 Vision, Leitbild und Werte
Von zentraler Bedeutung, die die Richtung einer Organisation oder eines Vorhabens
geben sollen, sind die Begriffe ,,Vision", ,,Leitbild" und ,,Werte". Im Vorwort (vgl.
Abb. 4) des Oberbürgermeisters von München, Dieter Reiter, lassen sich Vision,
Leitbild und Werte gut ablesen bzw. werden explizit genannt. Selbst die typische
Bebilderung bei der Entwicklung eines Images benennt Reiter: ,,Die hiermit
vorgelegte erste Ausgabe eines regelmäßig erscheinenden Magazins wagt einen
ersten Ausblick und bebildert schon heute das Lebensgefühl des noch ungebauten
Stadtteils [..]" (Imagebroschüre 2014, S. 3).
Geht man davon aus, dass Freiham nicht nur ein Projekt ist, sondern ein
Unternehmen darstellt, kann man die Gesamtheit von allem, was München für
Freiham plant und schafft, als Corporate Identity bezeichnen. Eine häufig genannte
Bedingung hierbei stellt der Begriff der Nachhaltigkeit dar, die eine wirtschaftliche,
eine ökologische und eine gesellschaftliche Dimension, auch als Magisches Dreieck
bezeichnet, innehat (vgl. Kiessling und Babel 2011, S. 17f). Ein Ungleichgewicht
dieser drei Dimensionen führe zu Asymmetrie und Instabilität, so Kiessling und
Babel. Corporate Identity, als die gemeinsame Identität, kann folgendermaßen
definiert werden:
10

,,Corporate Identity ist der abgestimmte Einsatz von Verhalten,
Kommunikation und Erscheinungsbild nach innen und außen auf der Basis
eines sich dadurch mit Leben füllenden Unternehmensleitbilds mit dem Ziel
einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung." (ebd. S. 23).
Zusammenfassend kann das Vorwort des Oberbürgermeisters in der Imagebroschüre
als Leitbild des Unternehmens Freiham gelesen werden ­ neben der Nachhaltigkeit
ein weiterer wichtiger Bestandteil der Corporate Identity. Kiessling und Babel
beschreiben das Unternehmensleitbild als vital, d. h. es orientiere sich an der im
Unternehmen gelebten Realität und richte den Blick auf die Zukunft. Es solle
mitreißen, alle Kräfte im Unternehmen mobilisieren und auf gemeinsame Ziele hin
bündeln und die Zielgruppen ,,sowohl im Kopf, als auch im Herzen" treffen (vgl.
ebd. S. 31). Zudem, so die Autoren, gibt es auch Orientierung nach außen. ,,Um den
aufgeklärten, kritischen Kunden an sich zu binden, die Medienvertreter zu
überzeugen, sich im Wettbewerb klar zu positionieren, ist ebenfalls das Leitbild
Stütze und Instrument." (ebd. S. 32).
Wichtig ist, das Leitbild auch tatsächlich zu leben und umzusetzen. Anderenfalls
verfehle es seine Wirkung und führe eher zu Abwehr und Widerstand und damit ins
Gegenteil (vgl. ebd. S. 32). Die Vision im Leitbild der Imagebroschüre wird mit den
Worten ,,ersten Ausblick" und ,,schon heute" eingeleitet:
,,das Gefühl einer Gartenstadt des 21. Jahrhunderts, die die Vorteile von Stadt
und Land verbindet. Diese Vorstellungen helfen, das Ziel immer vor Augen
zu behalten: klug zu planen und zu denken und einen Stadtteil zu schaffen, in
dem jeder Mensch frei und gelassen sein kann und niemand alleingelassen
wird. In dieser Vision von Freiham sind die Werte Ökologie, Familie und
Menschlichkeit zu Hause." (Imagebroschüre 2014, S. 3).
Die Vision beschreibe den Beitrag eines Unternehmens für Gesellschaft und
Gesamtwirtschaft. Eine kraftvolle Vision, die Leitidee einer Organisation enthalte ein
Ziel, das einen regelrechten Sog ausübe (vgl. Kiessling und Babel 2011, S. 36). Die
verschieden Merkmale einer Vision sind gut erkennbar. Vergleiche die gelben
Markierungen und Beschriftungen im Vorwort des Oberbürgermeisters (Abb. 4):
11

Abbildung 4: Vorwort des Oberbürgermeisters
Quelle: Markierungen C.K., Imagebroschüre 2014, S. 3
,,In dieser Vision von Freiham sind die Werte Ökologie, Familie und Menschlichkeit
zu Hause." (Imagebroschüre 2014, S. 3). Dieter Reiters Worte können als Leitsatz
oder als Leitwerte für Freiham gelesen werden. Sie sind ,,Die Summe der Werte,
welche die Aktivitäten der Organisationsmitglieder dauerhaft prägen und sich über
die Instrumente Verhalten, Kommunikation und Erscheinungsbild sichtbar
manifestieren." (Kiessling und Babel 2011, S. 37).
,,Werte manifestieren sich in gemeinsamen Erfahrungen. Diese sind eng mit
dem Selbstverständnis, den Lebens- und Bildungsmöglichkeiten einer
Generation oder einer Gruppe verbunden. Basis für unsere generelle
Werteorientierung sind das christliche Welt- und Menschenbild mit dem
Leitwert ,Nächstenliebe` und die Verfassungen mit dem Leitwert ,Würde des
Menschen`." (ebd. S. 38).
Sogenannte ,,traditionelle Werte" (vgl. ebd. S. 39) ergeben sich aus Reiters Vision
von Qualitäten, vorbildhaft, sowie klug zu planen und zu denken. Dass jeder Mensch
frei sein soll und niemand alleingelassen werde entspricht den Grundwerten Freiheit
und Sicherheit. Gelassenheit entspreche einem sog. ,,postmateriellen Wert".
12

Auf welche Weise will Freiham diese Visionen und Werte umsetzen? Diese Frage
beantwortet der Unternehmenszweck (vgl. ebd. S. 48). Ist es also beispielsweise die
Vision von Freiham, Stadt und Land zu verbinden, stellt die neue S-Bahn Linie den
Zweck dar. Ist es die Vision Inklusion und Integration zu schaffen, dann können
beispielsweise gemeinsame Veranstaltungen, leicht zugängliche Wege und ein
gemeinsamer Sportplatz, sowie ein Bildungscampus den Zweck erfüllen. Ist es die
Vision eine gute Nahversorgung und Teilhabe zu garantieren, dann kann ein
Stadtteil- oder ein Quartierszentrum den Zweck erfüllen. Die beiden letzten Begriffe
werden im folgenden Kapitel näher beleuchtet.
1.3 Begriffsklärungen: Was steckt dahinter?
1.3.1 Stadtteil- und Quartierszentrum
Auf den Seiten acht und neun in der Imagebroschüre tauchen die Begriffe
,,Stadtteilzentrum" und ,,Quartierszentrum" auf. Es ist von zwei Zentren die Rede.
Einem großen Stadtteilzentrum an der S-Bahnstation Freiham und einem kleineren,
nördlichen Quartierszentrum. Man kann sich die Frage stellen, was ein Stadtteil-
bzw. Quartierszentrum definiert und was den Unterschied ausmacht. Ist es die
flächenmäßige Größe oder die Vielfalt des Angebots an Einkaufsmöglichkeiten und
Dienstleistungen oder haben beide verschiedene Aufträge? Die Vermutung liegt
nahe, dass die beiden Begriffe in der Imagebroschüre synonym verwendet werden
und doch liegt wohl eine bewusste Unterscheidung vor. Denn weiter heißt es auf
Seite acht, dass es im Quartierszentrum, in der Mitte des nördlichen Wohngebiets ein
kulturelles Bürgerzentrum, ein offenes Kinder- und Familienzentrum und einen
Ableger der Münchner Volkshochschule zu entdecken geben werde (vgl.
Imagebroschüre 2014, S. 8).
Zunächst folgt eine Definition von Stadtteilzentren:
,,Stadtteilzentren befinden sich zumeist an wichtigen Hauptverkehrsachsen.
Ihr Waren- und Dienstleistungsangebot geht häufig über die Nahversorgung
der unmittelbaren Anwohner hinaus, weist aber in der Regel nicht die Breite
und Tiefe der Sortimente in den innerstädtischen Geschäftslagen auf. Zu
ihrem Gesamtangebot gehören Dienstleistungsunternehmen wie Banken und
Postämter, Arztpraxen und Versicherungsbüros, kleine und mittlere
Einzelhandelsbetriebe (ergänzt durch moderne Supermärkte und größere
13

Einkaufscenter), Wochenmärkte, einzelne gastronomische Angebote und
soziale Einrichtungen, wie die vereinzelt vorhandenen Kultur- und
Bürgerhäuser." (Prediger 2011, S.5).
Auch Quartierszenten bieten Einkaufsmöglichkeiten an. Doch im Unterschied zum
Stadtteilzentrum wird das Quartierszentrum häufiger mit einem integrativen
Charakter und Teilhabeprozessen in Verbindung gebracht. Das Institut Arbeit und
Wirtschaft (iaw) definiert ein Quartierszentrum als eine Bündelung von sozialen
Angeboten unter einem Dach, sei vernetzt mit anderen örtlichen Einrichtungen, liege
in zentraler Lage, aktiviere zur Selbsthilfe und besitze organisatorische Aspekte für
einen niedrigschwelligen Zugang (vgl. Schröder 2010, S. 5).
Warum eigentlich der Begriff des Quartiers und nicht etwa Siedlung?
Cord Soehlke beschreibt, dass ein Quartier kein geschützter Begriff sei. Er werde
schillernd verwendet und erlebe in der Praxis eine enorme Bandbreite. Beim Versuch
einer Definition, sei ein Quartier ein räumlich abgrenzbarer, aber mit der Umgebung
eng vernetzter Teil einer Stadt oder einer Agglomeration
3
. Von der Siedlung
unterscheide sich das Quartier durch seine soziale und funktionale Mischung (vgl.
Soehlke 2009).
1.3.2 Integration - Inklusion ­ Teilhabe
,,Hier wird auf gute Nachbarschaft gebaut" lautet eine der Überschriften in der
Imagebroschüre (vgl. Imagebroschüre 2014, S. 10). Nachbarschaft ist hier ein
Grundwert heißt es weiter und dass sich die Menschen gut verstehen und es keine
Berührungsängste mit den Nachbarn in Aubing und Germering gibt (vgl. ebd. S. 12).
Schlägt man ,,Integration" im Taschenwörterbuch Soziale Arbeit nach wird dieser
von Margit Brückner mit Inklusion synonym verwendet und wird als Prozess zur
Herstellung eines Zusammenhaltes unterschiedlicher aufeinander verwiesener
Gruppen in einer Gesellschaft bezogen:
,,Als Voraussetzung zur Schaffung eines derartigen Zusammenhaltes werden auf
Gerechtigkeit zielende Herrschafts- und Sozialstrukturen gesehen, die einen
Interessensausgleich ermöglichen, Konfliktbewältigungsmechanismen vorsehen und
3
Agglomeration wird im Duden mit ,,Anhäufung, Zusammenballung" und ,,Ballungsraum" übersetzt
(vgl. Duden 2006, S. 35).
14

eine soziale Praxis gegenseitiger Anerkennung fördern. In diesem Prozess kommt
dem Zugang zu Bildung, der Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt unter
Einbeziehung von Familienarbeit und der staatsbürgerlichen Anerkennung unter
jeweiliger Berücksichtigung der strukturellen Faktoren Klasse, Geschlecht und
Ethnie eine zentrale Bedeutung zu." (Brückner 2015, S. 141).
Fehlende Integration heutiger, postindustrieller Gesellschaften führe zu zunehmender
Individualisierung einerseits und zur Entwicklung sog. Parallelgesellschaften
andererseits. Inklusion erfordere auch Teilhabe an allen gesellschaftlichen
Teilsystemen und müsse durch große gesellschaftliche Institutionen und Verbände,
sowie Bürgerinitiativen usw. gesichert werden, um Exklusion entgegenzuwirken
(vgl. ebd. S. 141f). ,,Jede Stimme wir gehört. Mitbestimmung ist in allen Münchner
Stadtteilen Thema." Weiter heißt es in der Imagebroschüre, dass es bereits 2011 eine
offene Podiumsdiskussion in Freiham gab, die Ergebnisse öffentlich präsentiert und
diskutiert wurden und jede Altersgruppe bereits schon jetzt ihre Vorstellungen in die
weitere Umsetzung mit einbringe (vgl. Imagebroschüre 2014, S. 12).
Auf den folgenden Seiten beschreibt die Broschüre ein ,,Zusammen leben ohne
Barrieren" sowie ,,Menschen jeder kulturellen oder sozialen Herkunft mit und ohne
Beeinträchtigungen finden in Freiham zusammen." Diese Visionen sollen in den
nächsten Jahren auf Freihams Gesamtfläche von 350 Hektar verwirklicht werden.
Ein zu-schön-um-wahr-zu-sein Bild, welches mittels der Imagekampagne aufgebaut
wird. Und doch ist diese Idee in ihren Ursprüngen eine aus dem ausgehenden 19.
Jahrhundert. Die Idee einer Gartenstadt, die all die Idealbilder von Freiham eint und
der Freiham das Label ,,Gartenstadt des 21. Jahrhunderts" verdankt.
2. Strategie 2: Gartenstadt-Idee
,,Howard hat den beiden Magneten Stadt und Lande einen dritten, Stadt-Land,
zugesellen wollen. In der inneren Kolonisation, der lebensfähigen Stadt auf dem
wiederbelebten Lande, glaubte er einen Magneten gefunden zu haben, welcher
die Vorteile des Landlebens mit denen des Stadtlebens vereinigt und die
Nachtteile beider ausschließt." (Posener 1968, S. 9f).
Die von dem Briten Sir Ebenezer Howard entwickelte Idee der Gartenstadt, Ende des
19. Jahrhunderts findet sich in der Imagebroschüre in überraschend sprachlicher
Genauigkeit wieder. ,,Das Stadt-Land-Leben von Morgen", so eine der fünf
15

Überschriften der Imagebroschüre und Teil des Vorworts von OB Reiter, benennt
diese Vision:
,,Die künftigen Freihamerinnen und Freihamer leben in München und auf
dem Land. Das klingt wie ein Widerspruch, trifft es aber genau. Das Beste
aus beiden Welten kommt hier zusammen: die städtische Vielfalt einer
Metropole und die direkte Nachbarschaft zur idyllischen Natur. Beides liegt
vor der Haustüre." (Imagebroschüre, 2014 S. 6).
Der Begriff der ,,Natur", welcher in der Imagebroschüre oft Verwendung findet, ist
nach Hartmut Häußermann und Walter Siebel aber keineswegs mit der Natürlichkeit
der Umwelt in Verbindung zu bringen. Seit der Industrialisierung sei ,,Natur" vor
allem als Ressource für ein möglichst bequemes und angenehmes Leben zu sehen
und bezeichnend als ,,[...] Kampfbegriff für Strategien, die hochverdichteten
Stadtstrukturen, die in der Gründerzeit in den Großstädten entstanden waren, zu
überwinden. [...] Die Gartenstadt als Gegenbild zum ,Moloch` der Großstadt des 19.
Jahrhunderts wurde zum Leitbild des ,modernen` Städtebaus." (Häußermann und
Siebel 2000, S. 301)
2.1 Eine Reformidee zur Überwindung von Klassenantagonismus
Die Idee der Gartenstadt war ein wichtiger Impuls zur Verbesserung der
bedrückenden Wohnverhältnisse Ende des 19. Jahrhunderts. Die Stadtquartiere
wiesen eine starke Homogenität und Klassenkonflikte auf (vgl. Kuhn 2012b, S. 30).
In Zeiten der Industrialisierung, so Sabine Seidel, drängten immer mehr Menschen in
die Großstädte und die Arbeiterfamilien lebten meist in kleinen, völlig überfüllten
und unhygienischen Mietwohnungen (vgl. Seidel 2006, S. 1). ,,Durch den hohen
Bodenpreis in den Städten stiegen die Mieten und so verschlimmerte sich die
bestehende Wohnungsnot." (Seidel 2006, S. 1).
Howards Idee, Klassenantagonismus
4
zu überwinden, folgten zwar Beispiele wie
Karlsruhe-Rüppurr, Dresden-Hellerau oder Nürnberg-Werderau. Diese entstanden
aber eher als unselbständige Gartenvorstädte und soziale Segregation konnte nicht
aufgehoben werden (vgl. Kuhn 2012b S. 30f). Mehr und mehr, so Kuhn,
4
Antagonismus wird im Duden mit ,,Gegensatz, Gegnerschaft, Widerstreit, Widerstand" übersetzt
(vgl. Duden 2006, S. 71).
16

entwickelten sich an den Rändern der Großstädte sozial homogene Quartiere als
,,Gartenvorstädte" oder Villenquartiere mit ,,gartenstädtischem Charakter" aus, bei
denen die privaten Projektentwickler das Wort Gartenstadt ungeachtet der
ursprünglichen genossenschaftlichen und kooperativen Ziele nur noch als Label für
die Vermarktung ihrer suburbanen Einfamilienhausgebiete für zahlungskräftige
Schichten benutzten (vgl. ebd. S. 31).
Abbildung 5: Werbeblatt Gartenstadt Frohnau 1913
Quelle: Kuhn 2012, S. 31
,,Erst das Überangebot an erschlossenen, aber noch nicht bebauten Grundstücken
führte in Einzelfällen, wie bei der Villenkolonie ,Gartenstadt Frohnau`, die erst kurz
vor dem Ersten Weltkrieg vermarktet wurde, zu einer behutsamen sozialen
Öffnung." (Kuhn 2012, S. 31). Vergleiche hier das Werbeblatt in dem von günstigen
,,[...] Vorbedingungen für die Ansiedlung von Angehörigen aller Berufs- und
Gesellschaftskreise." (Abb. 5) die Rede ist.
17

2.2 Bilder von der Villenkolonie in München-Pasing
Kuhn beschreibt, dass ähnlich wie in Berlin-Frohnau auch in München-Pasing (vgl.
Abb. 6) ein Prozess von schrittweiter sozialer Öffnung innerhalb einer ,,Gartenstadt"
stattfand. Zunächst entstanden ab 1897 nur sehr repräsentative Bauten. ,,Um aber
Bauwillige für die zahlreichen unbebauten Grundstücke zu finden, wurde die
Bebauung auch für statusniedrigere soziale Gruppen geöffnet." (Kuhn 2012, S. 32).
Allerdings sei dies nur unter erbitterten Widerstand der bisherigen Bewohner
geschehen, da diese den Verlust des Charakters und eine Wertminderung ihrer
Villenkolonie fürchteten (vgl. ebd. S. 32). Eine Kurzfassung zur Pasinger
Villenkolonie liefert die Einladung zu einer Stadtführung im Juli 2015 von ,,lust auf
kunst.de":
,,Als der Architekt August Exter am Ende des 19. Jahrhunderts die
Villenkolonie I zwischen den Pasinger Bahngleisen und dem Nymphenburger
Kanal baute, war das eine ganz moderne Idee: eine ,Gartenstadt`! Von hier
aus konnte man mit dem Zug bequem in die nahegelegene ,Großstadt`
München fahren, war aber auch genauso schnell durch die Verbindung mit
dem Nymphenburger Kanal im Grünen. Stadt und Land sollten
zusammenwachsen und ein angenehmes, modernes Wohnen für Groß und
Klein bieten." (Lust auf Kunst 2015).
Abbildung 6: Villenkolonie I in Pasing
Quelle: Fotos C.K. 2015, August-Exter-Straße in München Pasing
18

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Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783961160297
ISBN (Paperback)
9783961165292
Dateigröße
9.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule München – Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften
Erscheinungsdatum
2016 (August)
Note
1,7
Schlagworte
Freiham Siedlungsprojekt München Imagebildung Messestadt Riem
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Titel: Visionen für Freiham
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