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Syntax und Semantik der deutschen Sprichwörter

©2015 Magisterarbeit 79 Seiten

Zusammenfassung

Neuere Untersuchungen zum Wesen und Gebrauch der deutschen Sprichwörter zeigen, dass Sprichwörter weiterhin lebendig sind und in den unterschiedlichsten Kontexten sowohl in der mündlichen als auch in der schriftlichen Kommunikation vorkommen.
Sie sind im ständigen Gebrauch auf allen Ebenen und Wegen der menschlichen Mitteilung. Sprichwörter begegnen uns in den Werken der schönen Literatur, in Buchtiteln, in Zeitungs- und Zeitschriftenüberschriften, Benennungen von Radio- oder Fernsehsendungen, in wissenschaftlichen Abhandlungen. Die Verbindung z. B. einer politisch wichtigen Mitteilung mit einem Sprichwort führt zur Emotionalisierung des Zeitungsstils. Die Schlagkraft der Überschriften in Form eines Phraseologismus dient dazu, das Interesse und die Aufmerksamkeit des Lesers zu wecken. Die Verwendung von traditionellen Sprichwörtern ist heute ein wirksames Werbemittel. Besonders ist die häufige Verwendung von Sprichwörtern in der Fernsehwerbung verbreitet, weil sie in relativ kurzer Zeit zu einem ganz besonderen Erfolg beiträgt. Viele Sagen, Märchen haben ihren Ursprung in Sprichwörtern.
Das Ziel meiner Magisterarbeit besteht darin, die Form und den Inhalt der deutschen Sprichwörter zu analysieren; die wichtigsten inhaltlichen und soziolinguistischen Merkmale des Sprichworts zu bestimmen und zu beschreiben; die Übersetzungsmöglichkeiten der Sprichwörter aus deutscher Sprache in die ukrainische Sprache zu erwägen und dabei bestimmte Gesetzmäßigkeiten zu formulieren.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



3
Einleitung
Neuere Untersuchungen zum Wesen und Gebrauch der deutschen
Sprichwörter zeigen, dass Sprichwörter weiterhin lebendig sind und in den
unterschiedlichsten Kontexten sowohl in der mündlichen als auch in der
schriftlichen Kommunikation vorkommen.
Sie sind im ständigen Gebrauch auf allen Ebenen und Wegen der
menschlichen Mitteilung. Sprichwörter begegnen uns in den Werken der schönen
Literatur, in Buchtiteln, in Zeitungs- und Zeitschriftsüberschriften, Benennungen
von Radio- bzw. Fernsehsendungen, in wissenschaftlichen Abhandlugen. Die
Verbindung z. B. einer politisch wichtigen Mitteilung mit einem Sprichwort führt
zur Emotionalisierung des Zeitungsstils. Die Schlagkraft der Überschriften in Form
eines Phraseologismus dient dazu, das Interesse und die Aufmerksamkeit des
Lesers zu wecken. Die Verwendung von traditionellen Sprichwörtern ist heute ein
wirksames Werbemittel. Besonders ist die häufige Verwendung von Sprichwörtern
in der Fernsehwerbung verbreitet, weil sie in relativ kurzer Zeit zu einem ganz
besonderen Erfolg beiträgt. Viele Sagen, Märchen haben ihren Ursprung in Sprich-
wörtern.
Fast jedes literarische Werk eignet sich für eine Sprichwortuntersuchung.
Von stilistischem Standpunkt aus ist der Gebrauch der Sprichwörter bei Johann
Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, Heinrich von Kleist, Theodor Storm, Gerhart
Hauptmann, Bertold Brecht, Erwin Strittmatter u.v.a. sehr interessant. Adelbert
von Chamisso benutzt, z.B. die leitmotivische Verarbeitung des berühmten
Sprichworts in seiner Ballade ,,Die Sonne bringt es an den Tag".
Die Sprichwörter einer Sprache können in eine andere Sprache auf verschie-
denartige Weise übersetzt werden. Dabei betrachtet man den Inhalt als primäre und
die Form als sekundäre Bezugsgröße der Übersetzung. Deswegen sollen bei der
Übersetzung die Sprichwörter der beiden Sprachen unbedingt in ihrer Bedeutung
übereinstimmen, das heißt äquivalent sein. Die Suche nach der richtigen Art der
Übersetzung der Sprichwörter ist eine schwierige Aufgabe für die Übersetzer.

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Die Sprichwortforschung erlebt in den letzten Jahren eine bedeutende inter-
nationale Renaissance, denn Linguisten, Literaturwissenschaftler, Kulturhistoriker,
Volkskundler, Übersetzer u.a. befassen sich wieder eingehend mit dem Sprichwort.
Die theoretische Grundlage der phraseologischen Forschung bieten die Arbeiten von
I. Tschernyschova [11; 18], H. Burger [16], W. Fleischer [24], A.Graf [27],
W. Mieder [33; 34], W. Friedrich [25]. Ein bekannter ukrainischer Forscher und
Theoretiker der deutschen Phraseologie war Jaroslaw Baran [1; 2], heute befassen
sich erfolgreich mit der deutschen Phraseologie die Germanisten W. Gawrysj [4; 26],
O. Prorotschenko [4; 6], O. Kudina [6], K. Misin [8], A. Zhovkivsjkyj [5].
Das Ziel meiner Magisterarbeit besteht darin, die Form und den Inhalt der
deutschen Sprichwörter zu analysieren; die wichtigsten inhaltlichen und sozio-
linguistischen Merkmale des Sprichworts zu bestimmen und zu beschreiben; die
Übersetzungsmöglichkeiten der Sprichwörter aus deutscher Sprache in die
ukrainische Sprache zu erwägen und dabei bestimmte Gesetzmäßigkeiten zu
formulieren.
Entsprechend dem Ziel besteht die Magisterarbeit aus folgenden Teilen:
Einleitung, drei Kapiteln, Schlussfolgerungen, Literaturverzeichnis und Anhang.
Die Kapitel behandeln folgende Teilthemen: ,,Definition, Entstehungsgeschichte
der Sprichwörter", ,,Form und Inhalt der Sprichwörter", ,,Übersetzung der
Sprichwörter".
Das erste Kapitel behandelt unter dem Aspekt der Entstehung die
Sprichwörter als eine Art der Phraseologismen, die ihre Geschichte haben. Viele
Sprichwörter entstanden auf dem Wege der Entlehnung aus dem Griechischen und
Lateinischen, umfangreiche Spichwörtersammlungen seit dem 15. Jh. zeugen von
der Produktivität und Häufigkeit dieser satzwertigen Phraseologismen.
Auf diesem Gebiet sind die Werke von folgenden Germanisten bekannt:
Sprichwörtersammlungen: Annelies und Horst Beyer [12], Duden [22],
W. Borchard - G. Wustmann - G. Schoppe [14].
Lexikologische und lexikografische Beschreibung der Sprichwörter findet
man in den wissenschaftlichen Arbeiten K. Daniels [19; 20], T.Kispal [29],

5
G. Wahrig [40], E. Riesel [36], A. Graf [27], J. Baran [1].
Das zweite Kapitel befasst sich mit folgenden Fragen: Die Form der Sprich-
wörter und ihre Modelle, die Knappheit und der Reim.
Inhaltliche und soziolinguistische Merkmale der Sprichwörter sind
Gegenstand des dritten Kapitels der Magisterarbeit. Als wichtigste inhaltliche
Merkmale der Sprichwörter verzeichnen die Wissenschaftler die lehrhafte Tendenz
und die Abgeschlossenheit des Gedankens; als soziolinguistische Merkmale gelten
die Volksläufigkeit und die Polysituativität.
Die Bildhaftigkeit und verschiedene Mittel für ihren Ausdruck sind
unerlässliche Eigenschaften der Sprichwörter; andere satzwertige Phraseologis-
men, die neben den Sprichwörtern bestehen, werden in diesem Kapitel anschlie-
ßend erwähnt..
Im letzten Kapitel der Magisterarbeit befasse ich mich mit der Übersetzung
der Sprichwörter aus dem Deutschen ins Ukrainische. Dieses Kapitel hat außer
dem theoretischen auch einen methodisch-didaktischen Aspekt. Im Unterricht
,,Deutsch als Fremdsprache" ergibt sich oft die Frage: ,,Wie übersetzt man jenes
oder anderes Sprichwort?" Zur Antwort verhelfen die Ergebnisse unserer Analyse.
Ausgehend von der Forderung nach äquivalenter Übersetzung unterscheiden wir
äquivalent-genaue, äquivalent-ungenaue Übersetzung und die Übersetzung durch
freie Umschreibung.
Im Anhang führen wir Sprichwörter mit verschiedenen syntaktischen Modellen
an, die in der Magisterarbeit betrachtet wurden. Das Material dieser Anhänge könnte
später bei der Zusammenstellung der Übungen für den Unterricht "Deutsch als
Fremdsprache" verwendet werden.

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1. Definition und Entstehung der Sprichwörter
Man unterscheidet mehrere Definitionen des Sprichworts. Vom Standpunkt
der Phraseologie aus wird das Sprichwort als ein satzartiger Phraseologismus (ein
festgeprägter Satz) bestimmt. In der philologischen Literatur wird das Sprichwort
folgendermaßen definiert:
1. Im Wörterbuch ,,Der große Brockhaus. Handbuch des Wissens" findet
man folgende Definition: ,,Sprichwörter, lat. Proverbia, in allen Volkskreisen und
Volksschichten umlaufende kurze Sprüche oder Lebensregeln in behauptender
Form, die durch eigentümliche sprachliche Mittel eine bewährte
Erfahrungstatsache mit besonderer Bündigkeit festzulegen suchen" [15, 744].
2. W. Borchard definiert in seinem Buch ,,Sprichwörtliche Redensarten im
deutschen Volksmund" das Sprichwort so: ,,Ein Sprichwort ist ein im Volksmund
umlaufender kurzer Spruch, der eine Lebensregel mit lehrhafter Tendenz und meist
in bildlicher Einkleidung vorträgt" [14, 9].
3. Bei A. Graf findet man folgende Definition satzwertiger Phraseologis-
men: ,,Ein Sprichwort ist ein im Volke entstandener und im Volksmunde lebender,
in knapper Form ausgesprochener Erfahrungssatz, oder es ist ein Urteil, eine
Meinung, die belehren, mahnen oder warnen will" [27, 9].
4. A. Müller-Hegemann definiert das Sprichwort auf folgende Weise: ,,Das
Sprichwort ist ein kurz und prägnant gefasster, volktümlicher und bildhafter
Ausdruck weitverbreiteter, menschlicher, oft zeitbedingter Wahrheit ohne
bekannten Urheber. Das Sprichwort ist durch seine Entstehung aus den jeweiligen
Erfahrungen und Erkenntnissen des Volkes, die es unmittelbar zum Ausdruck
bringt, auch ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse" [35, 7].
5. Im ,,Duden. Deutsches Universalwörterbuch" definiert man diese
phraseologische Einheit so: ,,Sprichwort ­ kurzer, einprägsamer Satz, der eine
praktische Lebensweisheit enthält" [21, 144].
6. Bei L. Röhrich findet man solche Definition des Sprichworts: ,,Unter

7
einem Sprichwort verstehen wir einen festgeprägten Satz, der eine unser Verhalten
betreffende Einsicht oder eine Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten
ausspricht" [37, 23]
1
.
Also die meisten Wissenschaftler heben solche Eigenschaften des
Sprichworts hervor: Volkstümlichkeit, kurze Spruchform, Erfahrungssatz,
Ausdruck belehrenden Inhalts, Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse, Satzform.
In unserer Magisterarbeit werden wir uns an die Definition des Sprichworts
bei A. Graf halten:
,,Ein Sprichwort ist ein im Volke entstandener und im Volksmunde
lebender, in knapper Form ausgesprochener Erfahrungssatz, oder es ist ein Urteil,
eine Meinung, die belehren, mahnen oder warnen will" [27, 9]. Diese Definition
umfasst alle wichtigen Merkmale des Sprichworts.
Das Sprichwort ist historisch fixiert. Das älteste überlieferte deutsche
Sprichwort ist im althochdeutschen ,,Hildebrantslied" (9. Jh.), einem Zeugnis aus
der Zeit der Völkerwanderung enthalten: mit gêru scal man geba infâhan, ort
widar orte ("mit dem Speer soll man die Gabe in Empfang nehmen, hart auf hart"
2
)
[23, 376]. "Und dieser eine Fall", so G. Ehrismann, "lässt erkennen, dass es zur
Volkssitte gehörte, zur Bekräftigung von Meinungen, Entschlüssen und
Handlungen sich auf das Gewicht der allgemeinen Erfahrung zu berufen" [27, S.
377].
Im 11. Jh. kommen einzelne deutsche Sprichwörter im Werk des Mönch-
lehrers Notker Labeo vor; trotz ihrer geringen Zahl lassen sie den Einfluss einer
durch Sesshaftigkeit und Christianisierung veränderten Moral erkennen.
Als älteste deutsche Sprichwortsammlung gilt ,,Fecunda ratis" (,,Das
vollbeladene Schiff"), um 1023 von Egbert von Lüttich verfasst; sie enthält neben
deutschen Sprichwörtern Entsprechungen in lateinischer Fassung.
1
Das Interesse der Philologen zum Sprichwort bezeugt die Arbeit von Tamas Kispal
"Sprichwörtersammlungen" [29].
2
https:/books.google.de/booka?id=7MhDAQAAIAAJ&q=mit+geru+scal...

8
Um die Wende des 15./16. Jh.s wandten sich humanistische Gelehrte der
Sammlung einheimischer Sprichwörter in oder mit lateinischer Übersetzung zu.
Die ,,Adagiorum collectanea" (,,Gesammelte Sprichwörter", 1500) des Erasmus
von Rotterdam waren ein europäisches Ereignis.
Das 15. und das 16. Jahrhundert wurden zur Blütezeit des deutschen
Sprichworts, hier und noch bis zur Mitte des 17. Jh.s erfuhr es seine reichste
Entfaltung. Sebastian Brant, Hans Sachs und viele andere machten die
volkssprachlichen Ausdrücke unmittelbar literaturfähig. Martin Luther verschaffte
mit seiner Bibelübersetzung (1522-1534) den biblischen Sprichwörtern, die zwar
schon vorher in lateinischen und deutschen Versionen im Umlauf waren, ihre
kraftvolle Volkstümlichkeit und allgemeine Verbreitung.
Die Zeit war damals reif für deutsche Sprichwörtersammlungen ohne
lateinische Einkleidung. Den Anfang machten Johannes Agricola 1529 mit seinem
Buch ,,Dreyhundert Gemeyner Sprichwörter", Sebastian Franck 1514 mit seinem
Hauptwerk ,,Sprichwörter" (es umfasste 7000 Ausdrücke). Durchschlagenden
Erfolg hatte die Kompilation aus Agricola und Franck, die unter dem Titel
,,Sprichwörter, schöne, weise Klugreden" 1548 erschien und bis zum Ende des
17. Jh.s ständig gedruckt wurde. Diese Ausgabe eröffnete die Reihe bedeutender
Sprichwortsammlungen, die sich bis ins 19. Jh. fortsetzten und auf die sich neue
Sprichwörtersammlungen stützen.
Die erste im 19. Jh. erschienene Sprichwörtersammlung spricht daher etwas
herablassend von ,,Weisheit auf der Gasse". Wageners Sprichwortlexikon (1813)
und die Sammlungen von Körte, Eiselein und Simrock wendeten die alphabetische
Ordnung an.
1867-1880 erschien ,,Deutsches Sprichwörterlexikon" von Karl Friedrich
Wilhelm Wander (ca. 250 000 Sprichwörter).
Aus den neueren Arbeiten auf dem Gebiet der Sprichwörterforschung kann
man Lutz Röhrichs ,,Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten" in drei
Bänden nennen [12, 11-17].

9
Das Sprichwort wird als hohes Kulturgut angesehen, das das Wesen und die
Besonderheiten einer nationalen Kultur erfassen und verstehen hilft. Es ist gar
nicht so einfach zu bestimmen, was ein Sprichwort ist.

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2. Syntaktische Form der Sprichwörter
Zu den Kennzeichen des Sprichworts gehört seine seit alters her feststehende
und von einer Generation auf die andere vererbte Form. Bemerkenswert ist der
Umstand, dass viele Sprichwörter nach einheitlichen, formelhaften Grundmustern
konstruiert sind.
2. 1. Modelle der Satzstrukturen in Sprichwörtern
Bei den Sprichwörtern lassen sich im Allgemeinen fünf Satzmodelle,
manche mit Varianten, unterscheiden [12]:
Modell 1 -- ,,Kein A ohne B" mit Varianten
Modell 2 -- ,,Wie A, so B" mit Varianten
Modell 3 -- ,,Besser / lieber A als B"
Modell 4 -- ,,Erst A, dann B"
Modell 5. -- ,,Wer A tut, tut B"
Modell 1. ,,Kein A ohne B"
Dieses Modell hat zwei Varianten: Variante A ,,Kein A ohne B" und
Variante B ,,Ohne A kein B"; manchmal erhält der elliptische Satz des Modells
eine Eweiterung durch Subjekt und Prädikat oder durch Kopula des Prädikats
(Variante C).
Modell 1. Variante A ,,Kein A ohne B"
Kein Acker ohne Disteln.
Kein Alter ohne Jugend.
Kein Feuer ohne Rauch (keine Tugend ohne Neid).
Kein Fleisch ohne Bein, kein Fisch ohne Grät'.

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Kein Garten ohne Nessel.
Kein Genuss ohne Verdruss.
Kein Gewinn ohne Mühe.
Kein Gift ohne Gegengift.
Kein Haus ohne Winkel.
Kein Kind wird groß ohne Beulen.
Kein Korn ohne Spreu
Kein Licht ohne Schatten.
Kein Mädchen ohne Liebe, kein Jahrmarkt ohne Diebe.
Kein Schloss ohne Geist.
Kein Streit ohne Ursache.
Kein Trost ohne Seufzer
Kein Übel ohne Trost.
Kein Vorteil ohne Nachteil.
Kein Weg ohne Schmutz.
Kein Zaun ohne Stecken, kein Mensch ohne Flecken.
Keine Beute ohne Streit.
Keine Brühe ohne Mühe.
Keine Flamme ohne Rauch, keine Tugend ohne Neid.
Keine Garbe ohne taube Ähren.
Keine Geburt ohne Wehen.
Keine Liebe ohne Leid.
Keine Mühle ohne Mehl, kein Freund ohne Fehl.
Keine Nuss ohne Schale.
Keine Regel ohne Ausnahme.
Keine Rose ohne Dornen
Keine Wirkung ohne Ursache.
Keine Würde ohne Bürde.

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Modell 1. Variante B ,,Ohne A kein B"
Ohne Fleiß kein Preis.
Ohne Frauen keine Freude.
Ohne Kampf kein Sieg.
Ohne Mühle gibt's kein Mehl.
Ohne Reibung kein Feuer.
Ohne Verdruss ist kein Genuss.
Modell 1. Variante C (Vollständiger Satz)
Es ist kein Was ohne Weil.
Gänse ohne Schnattern gibt es nicht.
Macht ohne Verstand hat keinen Bestand.
Modell 2. ,,Wie A, so B"
Der elliptische Satz dieses Modells ist im Sprichwörtergut reichlich
vertreten (Variante A), die erweiterte Satzstruktur mit anderen Satzgliedern kommt
seltener vor (Variante B).
Modell 2. Variante A
Wie die Arbeit, so der Lohn.
Wie das Feld, so die Ernte.
Wie das Fleisch, so die Brühe.
Wie das Füllen, so das Pferd.
Wie das Garn, so das Tuch.
Wie das Herz, so der Dank.
Wie das Korn, so das Mehl.

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Wie das Land, so das Sprichwort.
Wie das Land, so die Sitte.
Wie das Maul, so der Salat
(Mehr s. im Anhang 2).
Modell 2. Variante B
Wie das Herz, so sind die Reden.
Wie der Mann ist, so redet er.
Wie der Mann, so sind seine Träume.
Wie der Mann, so wird ihm getan.
Wie der Sinn, so das Leben.
Wie der Verstand, so die Rede
Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen.
Wie die Glocke geläutet wird, so klingt sie.
Wie die großen Uhren schlagen, so folgen die kleinen.
Wie die Rede, so sind die Ohren.
Modell 3. ,,Besser / lieber A als B"
Dieses Modell stellt einen Vergleich der Ungleichheit dar, das Gerüst des
Sprichworts bilden hier die komparativische Form des Adjektivs ,,besser" und die
mit ihr inhaltlich verbundene Konjunktion ,,als" [3, 20]. Beispiele:
Besser ein Fleck als ein Loch.
Besser abwarten als übereilen.
Besser ackern und düngen als beten und singen.
Besser allein als in böser Gemein (Gemeinde).
Besser am Rande sparen als am Boden.
Besser arm in Ehren als reich in Schanden.

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Besser ein freier Vogel als ein gefangener König.
Besser ein geborgtes Hemd als gar keins.
Lieber grob als falsch.
Lieber gutlos als ehrlos.
Lieber Neid als Mitleid.
Lieber reich und gesund als arm und krank.
Sprichwörter in der Form der Satzgefüge mit der vergleichenden Partikel als
sind als Ausdrucksmittel des Feldes der Ungleichheit in der deutschen
Phraseologie vertreten:
Es kommt oft anders, als man denkt; Das Herz denkt oft anders, als der
Mund redet; Ein Narr kann mehr befehlen, als zehn Kluge ausrichten können;
Lebe, als solltest du morgen sterben, und arbeite, als solltest du ewig leben.
Eine ganze Reihe der phraseologisierten Satzgefüge mit den Nebensätzen
der Ungleichheit stellen Sprichwörter mit dem Satzmodell ,,Besser ..., als ...".
Die thematische Fächerung dieser Sprichwörter reicht vom Alltag bis zu
moralischen Werten. Die Philosophie der Volksweisheit belehrt den Menschen,
-- sich im Alltag und im materiellen Verhältnis mit Geringerem zu
begnügen: Besser am Rande sparen als am Boden; Besser barfuß als in geborgten
Schuhe; Besser das Dach verloren als das Hau; Besser ein Bein brechen als den
Hals; Besser ein Fleck als ein Loch; Besser ein Vogel in der Hand als zehn über
Land.
-- sich vorzusehen in allen möglichen Sachen: Besser abwarten als
übereilen; Besser biegen als brechen; Besser durch fremden Schaden klug werden
als durch eigenen; Besser furchtsam als unvorsichtig; Besser geflohen als
gestorben; Besser geschämt als gegrämt; Besser geschielt als ganz blind; Besser
im Leben eine Brotrinde als nach dem Tode ein Denkmal.
-- moralische Werte materiellen Werten vorzuziehen:
Besser arm mit Ehren als reich mit Schanden; Besser auf dem rechten Wege
hinken als auf dem falschen reiten; Besser ein freier Vogel als ein gefangener

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König; Besser ein Heller in Ehren als ein Taler in Schande; Besser einen
Schoppen zuviel bezahlt als zuviel getrunken; Besser einen Spatz gefangen als
müßiggegangen; Besser wenig mit Liebe als viel mit Fäusten; Besser wenig mit
Recht als viel mit Unrecht.
Die verbreiteten Modelle dieser Sprichwörter sind:
,,Besser Substantiv 1 im Nominativ als Substantiv 2 im Nominativ": Besser
ein Fleck als ein Loch; Besser Scheu als Reu'; Besser Vorrede als Nachrede;
Dasselbe mit Erweiterung des betreffenden Substantivs:
Besser ein hölzerner Riegel als eine offene Tür; Besser ein kleiner Schimpf
(Verdruss) als großer Schade; Besser ein alter Topf als ein neuer Scherben.
,,Besser Substantiv 1 im obliquen Kasus als Substantiv 2 im obliquen
Kasus": Besser dem Bäcker als dem Doktor!; Besser einen Flicken als ein Loch;
Besser zwei Tage zu früh als einen zu spät; Besser eigen Brot als fremden Braten.
,,Besser Substantiv 1 im Präpositionalkasus als Substantiv 2 im
Präpositionalkasus": Besser ohne Bart als ohne Kopf; Besser ohne Fest als ohne
Nest; Besser auf eigenen Füßen als auf fremden Stühlen; Besser mit Worten als mit
Schlägen.
,,Besser Infinitiv 1 als Infinitiv 2": Besser biegen als brechen; Besser
abwarten als übereilen; Besser kaufen als bitten; Besser nicht beginnen als nicht
beenden; Besser haben als hoffen; Besser halten als versprechen; Besser singen
als fluchen; Besser schenken als borgen.
,,Besser Infinitivgruppe 1 als Infinitivgruppe 2": Besser auf dem rechten
Wege hinken als auf dem falschen reiten; Besser auf Worte hören als auf Schläge
warten; Besser den Esel treiben als selbst Säcke tragen; Besser eine Unze geben
als einen Zentner versprechen; Besser mit den Weisen weinen als mit Narren
lachen; Besser mit Recht anklagen als mit Unrecht argwöhnen.
,,Besser Adjektiv 1 als Adjektiv 2": Besser einäugig als blind; Besser karg
als arg; Besser stumm als dumm; Besser arm in Ehren als reich in Schanden.
,,Besser Partizip 2 als Partizip 2": Besser geflohen als gestorben; Besser

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geniest als gehustet; Besser geschämt als gegrämt; Besser schwitzen als seufzen;
Besser nicht versprochen als nicht gehalten; Besser verhütet als beklagt.
,,Besser Partizipialgruppe 1 als Partizipialgruppe 2": Besser bäurisch
gefahren als herrisch gegangen; Besser zu Tode gehofft als zu Tode gezweifelt.;
Besser mit Schanden geflohen als mit Ehren tot geblieben; Besser zweimal
überlegt als einmal verpfuscht; Besser den Magen gekränkt (verrenkt) als dem
Wirt was geschenkt.
,,Besser Adverb 1 als Adverb 2": Besser wenig als nichts; Besser wenig mit
Liebe als viel mit Fäusten; Besser spät als nie; Besser zuviel (tun) als zuwenig;
Besser heut' ein Groschen als morgen ein Gulden; Besser heute ein Ei als morgen
die Henne; Besser heute ein Pfennig als morgen ein Taler.
,,Besser Adverbialgruppe 1 als Adverbialgruppe 2": Besser im Leben eine
Brotrinde als nach dem Tode ein Denkmal; Besser in der Ferne einen Freund als
in der Nähe einen Feind; Besser in der Tasche kein Geld als ohne Freund in dieser
Welt.
Die Zahl der satzwertigen komparativen Phraseologismen im gesammelten
Material ergibt 173 Sprichwörter mit der Struktur ,,Besser ..., als ...". Die
verkürzten (elliptischen) Satzmodelle der Sprichwörter bilden eine Grundlage für
die Entstehung der festen (stehenden) Vergleiche ­ der satzgliedwertigen
komparativen Phraseologismen.
Modell 4. ,,Erst A, dann B"
Erst anklagen, dann richten.
Erst bedacht, dann gemacht.
Erst besinn's, dann beginn's.
Erst das Hemd und dann der Rock.
Erst das Kind und dann die Wiege

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Erst denken, dann handeln (sprechen).
Erst denken, dann sprechen.
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Erst die Last, dann die Rast.
Erst die Nase und dann die Brille.
Modell 5. ,,Wer A tut, tut B"
Die Sprichwörter mit diesem Satzmodell stellen in der Regel ein Satzgefüge
dar, das aus einem Subjektsatz (,,Wer A tut") und einem Hauptsatz (,,tut auch B"
oder ,,der tut B") besteht. Manche Sprichwörter besitzen neben der bejahenden
Form auch eine verneinende Form; diese Tatsache entspricht dem universalen
Charakter der Sprichwörter, die in der Regel alle Situationen des menschlichen
Lebens schildern. Dazu folgende Beispiele:
Wer (nicht) sät, der (nicht) mäht.
Wer (nicht) viel spricht, hat (nicht) viel zu verantworten.
Wer (selbst) im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
Wer (sich) die Suppe eingebrockt hat, muss sie auch ausessen.
Wer A sagt, kommt zuletzt bis zum Z.
Wer A sagt, muss auch B sagen.
Wer abends geigt, kann morgens tanzen.
Wer akzeptiert, muss (be)zahlen.
Wer alle grüßt, dem dankt niemand.
Wer alle liebt, liebt niemand.
Wer lügt, der sticht.
Die festgestellten syntaktischen Modelle der Sprichwörter werden an
zahlreichem Material vertreten; man kann auf Grund dessen behaupten, das die
oben angeführten und mit Beispielen illustrierten Modelle der elliptischen und
zusammengesetzten phraseologisierten Sätze für die deutsche Phraseologie

18
typisch sind.
2.2. Die Knappheit der Sprichwörter
Das oberste Stilgesetz der Sprichwörter ist die Kürze; sehr häufig sind sie
Dreiwort- oder Vierwort-Sprüche, z.B.:
Dreiwort-Sprüche:
Eile mit Weile.
Würde bringt Bürde.
Nach Liebe Leid.
Trau, schau, wem!
Vierwort-Sprüche:
Ende gut, alles gut.
Wie gewonnen, so zerronnen.
Kommt Zeit, kommt Rat.
Wer zuerst zugreift, behält.
Andere Zeiten, andere Sitten.
Wenn man den Artikel zusammen mit dem Substantiv als ein Wort
betrachtet, dann lässt sich die Zahl der Vierwort-Sprüche durch elliptische
komparative Sprichwörter erweitern, z. B.:
Wie der Fuhrmann, so das Gespann.
Wie das Garn, so das Tuch.
Wie die Blüte, so die Frucht.
Wie das Herz, so der Dank.
Wie der Fürst, so die Räte.
Wie das Herz, so die Reden.
Wie das Feld, so die Ernte.
Wie das Korn, so das Mehl.
Wie das Fleisch, so die Brühe.
Wie das Land, so das Sprichwort.
Wie das Füllen, so das Pferd.
(Siehe auch Anhang 2)

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783956366208
ISBN (Paperback)
9783956369643
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Februar)
Note
5 (91/100)
Schlagworte
Sprichwort Linguistik Deutsche Sprache Satzstruktur
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Titel: Syntax und Semantik der deutschen Sprichwörter
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