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Fühlen, was andere fühlen

Empathie in Abhängigkeit von Berufsgruppe und Berufserfahrung

von Ulrike Pfeiffer (Autor:in)
©2015 Bachelorarbeit 61 Seiten

Zusammenfassung

In der vorliegenden Untersuchung wird die Empathiefähigkeit in Abhängigkeit von Berufsgruppe (sozial vs. nicht-sozial) und Berufserfahrung (mit vs. ohne Berufserfahrung) erfasst. Dabei sollen die Variablen Geschlecht, Alter, Geschwister und Kinder als mögliche Kovariaten berücksichtigt werden. Insgesamt 1676 Personen beantworteten zwei Fragebögen zur Erfassung der Empathiefähigkeit.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Kovariablen Geschlecht und Alter einen Einfluss auf die Empathiefähigkeit haben. Nachdem diese Faktoren kontrolliert wurden, zeigte sich ein bedeutsamer Effekt der Berufsgruppe auf die Empathiefähigkeit: Personen, die einen sozialen Beruf ausüben bzw. anstreben sind empathischer als Personen, die einen nicht-sozialen Beruf ausüben oder anstreben. Für die Berufserfahrung konnte kein positiver Effekt auf die Empathiefähigkeit nachgewiesen werden und die Interaktion von Berufsgruppe und Berufserfahrung erlangte keine statistische Signifikanz: Personen, die in einem sozialen Beruf arbeiten und somit über Erfahrungswissen verfügen, sind demnach nicht am empathischsten.
Methode und Ergebnisse werden kritisch hinterfragt und Implikationen für die weitere Forschung und Praxis diskutiert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung ... 1
Theoretischer Hintergrund ... 3
Einleitung ... 3
Empathie ... 4
Empathietheorie ... 5
Empathie bei sozialen Berufen ... 7
Eigenschaft versus Fähigkeit ... 9
Einflussfaktoren auf die Empathiefähigkeit ... 9
Vorliegende Untersuchung ... 11
Methode ...
14
Versuchspersonen ... 14
Versuchsmaterial ... 16
Versuchsdurchführung ... 18
Ergebnisse ...
19
Reliabilitätsanalysen ... 19
Beurteilerübereinstimmung ... 19
Kovarianzanalysen ... 21
Diskussion ...
27
Zusammenfassung der Ergebnisse ... 27
Kritische Betrachtung der Methode ... 28
Kritische Betrachtung der Ergebnisse ... 30
Implikationen für die zukünftige Forschung ... 32
Literaturverzeichnis ... 35
Abbildungsverzeichnis ... 40
Tabellenverzeichnis ... 40
Anhang ...
41
Anhang A. Online-Fragebogen exportiert aus SosciSurvey ... 41

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Theoretischer Hintergrund
Einleitung
Als Ben seinen Großeltern berichtet, dass er sein Abitur erfolgreich
abgeschlossen hat, brechen sie mit ihm gemeinsam in Jubel aus, als wenn sie selbst vor
kurzem erst die Abiprüfung bestanden hätten. Anna schießen die Tränen in die Augen,
als sie erfährt, dass die Mutter ihrer besten Freundin gestorben ist. Max verspürt einen
unwillkürlichen Schmerz, als er sieht wie eine Tür zugeschlagen wird und sein Freund
sich dabei die Finger zwischen Tür und Rahmen einklemmt. Alle haben eins
gemeinsam: Empathie. ,,Freude an der Freude und Leid am Leid des Anderen, das sind
die besten Führer der Menschen" sagte bereits Albert Einstein (1931, zitiert nach
Einstein & Calaprice, 2005, S. 131). Das Zusammenleben der Menschen würde ohne
Empathie nicht gelingen. Empathie ist ohne Frage eine wichtige Fähigkeit. Sie
ermöglicht uns zu erkennen, wie sich eine andere Person fühlt oder was diese vielleicht
denkt (Baron-Cohen & Wheelwright, 2004). Empathie erlaubt uns, die Absichten
anderer zu verstehen, ihr Verhalten vorherzusagen und ein Gefühl zu erleben, welches
durch die Emotion anderer ausgelöst wird. Kurz gesagt, ermöglicht uns die Empathie in
der sozialen Welt effektiv zu interagieren (Baron-Cohen & Wheelwright, 2004). Es gibt
dennoch interindividuelle Unterschiede im Ausmaß des Erlebens der Empathie. Warum
ist eine Person empathischer als die andere? Gibt es Merkmale, in denen sie sich
unterscheiden? Empathie spielt besonders in sozialen Berufen eine essentielle Rolle,
wie zum Beispiel bei der Beziehung zwischen Therapeut und seinem Patienten (Burns
& Nolen-Hoeksema, 1992; Clark, 2010; Rogers, 1975).
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, sowohl den Einfluss der Berufsgruppe als
auch den Einfluss der Berufserfahrung bezogen auf die Empathiefähigkeit von Personen
zu untersuchen. Dazu wird zunächst eine Definition der Empathie gegeben und es
werden verwandte Konstrukte sowie Komponenten der Empathie beschrieben. Des
Weiteren wird ein Überblick gegeben über den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf
soziale Berufe und die Erfahrung in einem sozialen Beruf zu arbeiten. Der empirische
Teil soll Aufschluss über die durchgeführte Untersuchung liefern. Dazu werden zum
einen die Methode mit der Darstellung der verwendeten Messinstrumente und zum
anderen die Auswertung und die Ergebnisse vorgestellt. Im Anschluss werden die
Ergebnisse interpretiert und diskutiert.

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An dieser Stelle ist noch anzumerken, dass auf geschlechtsneutrale
Formulierungen aus Gründen der Einfachheit und der besseren Lesbarkeit verzichtet
wurde. Im Text sind immer beiderlei Geschlechter gemeint.
Empathie
Definition. Das Wort ,,empathy" wurde von Titchener im Jahr 1909 als eine
Übersetzung des deutschen Wortes ,,Einfühlung" eingeführt (S.21). Der Begriff
Empathie stammt ursprünglich vom griechischen Wort ,,empatheia" (Leidenschaft) ab,
was sich aus ,,en" (in) und ,,pathos" (Gefühl) zusammensetzt. Trotz der offensichtlichen
Bedeutung von Empathie gibt es Schwierigkeiten dieses Konzept zu definieren (Baron-
Cohen & Wheelwright, 2004). Bis zum heutigen Zeitpunkt existiert keine allgemein
gültige Definition von Empathie (Leiberg & Anders, 2006; Singer & Lamm, 2009).
Davis (1983) versteht unter Empathie im Allgemeinen die Reaktionen einer Person auf
die beobachteten Erfahrungen anderer.
Abgrenzung. Es existieren verwandte Konstrukte, die eindeutig von Empathie
abgegrenzt werden können, die jedoch häufig mit Empathie in Beziehung gebracht und
daher auch zum Teil verwechselt werden. Verwandte Begriffe der Empathie sind
beispielsweise Gefühlsansteckung, Sympathie und Mitgefühl.
Sowohl bei Empathie als auch bei Gefühlsansteckung übernimmt man die
Gefühle einer anderen Person. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass man bei
Empathie zwischen eigenen und fremdinduzierten Gefühlen differenzieren kann. Dies
kann bei der Gefühlsansteckung jedoch nicht voneinander abgegrenzt werden und
darum handelt man so, als ob das Gefühl der anderen Person von einem selbst ausgeht
(Hsee, Hatfield & Carlson, 1990). Gefühlsansteckung ist vor allem bei Säuglingen und
Kleinkindern zu beobachten. Wenn eines der Kinder anfängt zu schreien, schreien die
anderen Kinder kurz darauf ebenfalls (Singer & Lamm, 2009).
Unter Sympathie versteht man die meist unbewusste emotionale Zuneigung
zwischen zwei Menschen. Cialdini (2007) konnte belegen, dass Sympathie primär bei
einer Person entsteht, wenn Ähnlichkeiten mit der anderen Person existieren oder die
Person diese Ähnlichkeiten nur vermutet. Die gemeinsame emotionale Verbundenheit
von zwei Personen, also die ,,gemeinsame Wellenlänge" ist sowohl bei Empathie als
auch bei Sympathie vorhanden. Dennoch kann Empathie nicht mit Sympathie

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gleichgesetzt werden, da beide etwas gänzlich Unterschiedliches bedeuten. Empathie
bezieht sich auf Verständnis, während Sympathie meist im Sinne der Zuneigung
verstanden wird (Baron-Cohen & Wheelwright, 2004).
Auch Empathie und Mitgefühl können nicht als dasselbe Konstrukt betrachtet
werden, da Mitgefühl als ein Bestandteil und als eine unspezifische Voraussetzung der
Empathie angesehen wird. Laut Hojat (2007) ist Mitgefühl als affektive Komponente in
Empathie enthalten. Empathie und Mitgefühl unterscheiden sich insofern, dass bei
Empathie die Gefühle mit denen der beobachteten Person kongruent sind, während
Mitgefühl nicht unbedingt geteilte Emotionen umfasst (Singer & Lamm, 2009). Fühlt
man beispielsweise mit einer traurigen Person mit, würde man bei Empathie ebenfalls
Trauer empfinden. Mitgefühl würde sich hingegen in Bedauern oder mitfühlender
Anteilnahme äußern (Singer & Lamm, 2009).
Empathietheorie
Affektive und kognitive Empathie. In der Literatur wird Empathie von zwei
unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven dominiert. Seit langem wird Empathie
entweder als affektives oder als kognitives Konstrukt beschrieben (Baron-Cohen &
Wheelwright, 2004).
Der affektive Ansatz definiert Empathie als eine emotionale Antwort eines
Beobachters auf einen emotionalen Zustand einer anderen Person und hebt die
Angemessenheit der emotionalen Antwort hervor (Baron-Cohen & Wheelwright, 2004).
Fühlt man Trauer aufgrund des Verlustes eines Freundes, so steht dies in keinem
Zusammenhang zu Empathie, da die Emotion egozentrisch, wenn auch angemessen ist.
Damit eine Emotion als Empathie eingeordnet werden kann, muss die Emotion eine
Konsequenz der Emotion einer anderen Person sein (Baron-Cohen & Wheelwright,
2004). Der affektive Aspekt der Empathie umfasst also das Erleben einer emotionalen
Reaktion im eigenen Inneren, die durch den Gefühlszustand einer anderen Person
hervorgerufen wird. Es wird mitgefühlt und eine emotionale Verbindung mit der Person
hergestellt (Bölte & Pforte, 2007). Affektive Empathie bedeutet sich genauso zu fühlen
wie eine andere Person (Gladstein, 1983), es geht demzufolge vor allem um das Fühlen
und Teilen der Gefühle anderer (Berg, Majdan, Berg, Veloski & Hojat, 2011).

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Der kognitive Ansatz bezeichnet Empathie hingegen als eine Fähigkeit, die
Gefühle und Gedanken anderer Personen zu erkennen und zu verstehen (Baron-Cohen
& Wheelwright, 2004), ohne notwendigerweise zum Beispiel Mitleid zu empfinden
(Bölte & Pforte, 2007). Gladstein (1983) bezeichnet die kognitive Empathie als eine
intellektuelle Perspektivübernahme, also als eine Fähigkeit, sich in die Lage einer
anderen Person zu versetzen und ihre Gefühle nachvollziehen zu können, ohne aber die
korrespondierenden Gefühle selbst erleben zu müssen (Davis & Franzoi, 1991). Die
Fähigkeit zur kognitiven Empathie wird häufig auch als ,,Theory of Mind" bezeichnet.
Diese Bezeichnung lässt sich nicht gut ins Deutsche übersetzen und ist insofern etwas
unglücklich gewählt, weil es sich nicht um eine Theorie, sondern um eine Fähigkeit
handelt (Bölte & Pforte, 2007). Die Theory of Mind besagt, dass eine Person in der
Lage ist sich und anderen Personen mentale Gefühlszustände zuzuschreiben (Premack
& Woodruff, 1978).
Empathie als multidimensionales Konstrukt. Inzwischen wird Empathie als ein
Konzept angesehen, das sowohl kognitive als auch affektive Komponenten beinhaltet
(Paulus, 2009). Die Autoren Baron-Cohen und Wheelwright, (2004) sprechen sich dafür
aus, dass beide Ansätze gleichermaßen notwendige Bestandteile für eine Definition von
Empathie sind und nehmen an, dass kognitive und affektive Komponenten in den
meisten Fällen gemeinsam auftreten und nur schwer voneinander zu trennen sind. Es
lässt sich also festhalten, dass unter Empathie die Kapazität verstanden wird, sich in
andere Menschen hineinzudenken und hineinzufühlen. Auch neurobiologische Studien
stützen diese Annahme: Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren deuten darauf hin,
dass bei kognitiven und affektiven empathischen Prozessen jeweils unterschiedliche
Regionen im Gehirn aktiviert werden (Singer, 2006). Laut Davis (1980) bestehen die
kognitive und affektive Komponente der Empathie aus einem Interdependenzsystem, in
welchem sie sich beide gegenseitig beeinflussen. Empathie ist somit ein komplexes
multidimensionales Konzept (Davis, 1980, 1983) und wird in der vorliegenden Arbeit
auch als solches verstanden.
Vier-Komponenten-Modell. Eines der in der wissenschaftlichen Forschung am
stärksten etablierten Modelle dürfte das Vier-Komponenten-Modell von Davis (1980,
1983) sein. Nach ihm gliedert sich Empathie in vier Subdimensionen:
(1) Perspektivenübernahme, (2) Fantasie, (3) empathische Anteilnahme und
(4) persönlicher Distress. Die Perspektivübernahme reflektiert die Tendenz oder die
Fähigkeit die Perspektive einer anderen Person einzunehmen und sich in ihre Situation

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hineinzudenken. Die Fantasie-Empathie wird als Tendenz bezeichnet, sich mit Figuren
in Filmen, Romanen, Theaterstücken oder anderen fiktiven Situationen zu identifizieren.
Die empathische Anteilnahme reflektiert Gefühle von Wärme, Mitgefühl und Sorge um
andere Personen in unangenehmen realen Situationen (Davis, 1980, 1983). Die
konzeptionelle Unterscheidung zwischen fiktiven und realen Auslösern der Empathie,
wird damit begründet, dass für Reaktionen auf reale Situationen möglicherweise andere
Verarbeitungsprozesse erforderlich sind als für Reaktionen auf fiktive Gegebenheiten
(Leibetseder, Laireiter, Riepler & Köller, 2001). Beim persönlichen Distress können
unangenehme Gefühle von Angst und Unbehagen erlebt werden, welche aus der
Beobachtung negativer Erfahrungen anderer resultieren (Davis, 1980, 1983; Paulus,
2009). Diese Gefühle sind aber nicht an die andere Person gerichtet, sondern es handelt
sich eher um persönliche, egozentrische Gefühle des Unbehagens, während die
empathische Anteilnahme fremdorientierte Gefühle umfasst (Hall, Davis & Conelly,
2000). Die drei Komponenten empathische Anteilnahme, Fantasie und persönlicher
Distress können laut Davis (1980) der affektiven Empathie zugeordnet werden, während
die Skala Perspektivübernahme der kognitiven Empathie zuzurechnen ist. Angesichts
der relativen Unabhängigkeit der vier Komponenten sind eine Vielzahl von
Konstellationen der Empathie möglich (Davis, 1980). Trotzdem ist bislang nicht
vollständig geklärt, wie und auf welche Weise die verschiedenen
Empathiekomponenten miteinander in Beziehung stehen. Davis (1980) konnte belegen,
dass je stärker die Tendenz zur Perspektivübernahme ausgeprägt ist, desto geringer ist
der persönliche Distress und desto stärker ist die empathische Anteilnahme für andere
ausgeprägt.
Empathie bei sozialen Berufen
Bevor näher auf Empathie bei sozialen Berufen eingegangen wird, wird
zunächst definiert was in der vorliegenden Untersuchung unter sozialen Berufen
verstanden wird. Das Wort ,,sozial" hat seinen Ursprung im lateinischen Wort
,,socialis", bedeutet ,,gesellschaftlich" und ist sinnverwandt mit den Begriffen
,,gemeinnützig" und ,,hilfsbereit" (Duden, 2014). Der Bereich der sozialen Berufe ist in
Deutschland ungeordnet, unscharf und unübersichtlich. Es existiert bisher keine
einheitliche Definition, welche Berufe dem sozialen Arbeitsfeld zugeordnet werden
können. Die vorliegende Studie stützt sich in Bezug auf die Zuordnung der Berufe auf

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die folgende Definition: Der Sozialberuf ist ein ,,Beruf, bei dem die Arbeit
hilfsbedürftigen Mitmenschen gewidmet ist" (Duden, 2014). Demzufolge können
diejenigen Berufe den sozialen Berufen zugeordnet werden, die zum Gegenstand haben,
Menschen sowohl zu begleiten, sie zu beraten und zu erziehen als auch ihnen zu helfen,
sie zu unterstützen, zu pflegen und ihnen in verunsicherten Situationen Halt zu geben.
In vielen sozialen Berufen wird Empathie als essentieller Bestandteil der
Tätigkeit betrachtet. Dies konnte zum Beispiel bei Therapeuten (Burns & Nolen-
Hoeksema, 1992; Rogers, 1975), aber auch bei anderen sozialen Berufen, wie bei
Ärzten (Adler, 2007), Beratern (Clark, 2010) oder medizinischem Pflegepersonal
(Olson, 1995) nachgewiesen werden. Empathie ist bei sozialen Berufen also von großer
Bedeutung, sie begünstigt eine gute Zusammenarbeit zwischen Therapeut und Patient
(Duan & Hill, 1996) und steuert entscheidend zu einer effektiven Therapie bei (Burns &
Nolen-Hoeksema, 1992; Hall et al., 2000). In der Studie von Burns und Nolen-
Hoeksema (1992) sollten Patienten angeben, wie empathisch sie ihre Therapeuten
wahrnehmen. Es zeigte sich, dass sich Patienten, die von Therapeuten mit den höchsten
Empathiewerten therapiert wurden schneller von ihrer Erkrankung erholten als
Patienten, die von Therapeuten mit den niedrigsten Empathiewerten behandelt wurden.
Hall und Kollegen (2000) untersuchten, ob Unterschiede zwischen Psychologen, die im
Bereich Lehre und Forschung beschäftigt sind und Psychologen, die in der klinischen
Praxis arbeiten, in Bezug auf Empathie existieren. Dazu wurden die Psychologen mit
leidenden Menschen konfrontiert. Klinische Psychologen neigten im Vergleich zu
wissenschaftlich tätigen Psychologen eher zur Perspektivübernahme, empathischen
Anteilnahme und zeigten weniger persönlichen Distress. In einer Untersuchung von
Hassenstab, Dziobek, Rogers, Wolf und Convit (2007) zeigten Psychotherapeuten im
Vergleich zu Personen, die keine Erfahrung in sozialen Berufen besitzen bessere Werte
in Bezug auf kognitive Empathie. Psychotherapeuten haben folglich eine bessere
Fähigkeit mentale Gefühlszustände anderer Personen richtig zu erkennen. Auch in der
Untersuchung von Pühringer (2012) konnte gezeigt werden, dass Klinische Psychologen
und Berater höhere Werte in den Dimensionen Perspektivübernahme und empathische
Anteilnahme sowie geringere Werte in der Dimension persönlicher Distress aufzeigen,
verglichen mit Personen aus nicht-sozialen Berufen.

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Eigenschaft versus Fähigkeit
Es stellt sich die Frage, ob Empathie eine Persönlichkeitseigenschaft oder eine
erlernbare Fähigkeit darstellt. Dieser Frage liegen zwei mögliche Modelle zugrunde. Für
manche Wissenschaftler gilt Empathie als eine Persönlichkeitseigenschaft (Buie, 1981;
Davis, 1983; Leibetseder et al., 2001) und wird zum Beispiel als ,,dispositional
empathy" (Davis, 1983, S.167) bezeichnet. Diesem Standpunkt unterliegt die
Überzeugung, dass Personen eher geneigt sind einer Beschäftigung nachzugehen, die
mit ihren Interessen übereinstimmt (Holland, 1996). Holland (1996) postuliert, dass die
Persönlichkeit einen kausalen Einfluss auf die Berufswahl ausübt. Gemäß dieser
Annahme fühlen sich Menschen auf natürliche Weise solchen Berufen hingezogen, die
ihnen die Möglichkeit bieten, sich konsistent zu ihren persönlichen Neigungen und
Vorlieben zu verhalten und vermeiden Berufe, die Verhalten erfordern, welche im
Widerspruch zu ihren natürlichen Neigungen stehen (Hall et al., 2000). In Anbetracht
dessen dürfte die Arbeit im sozialen Kontext für diejenigen zukünftigen Erwerbstätigen
mit hoher empathischer Anteilnahme, einer hohen Fähigkeit zur Perspektivübernahme
und geringem persönlichen Distress attraktiver sein als für diejenigen zukünftigen
Erwerbstätigen, die diese Eigenschaften nicht teilen (Hall et al., 2000).
Demgegenüber steht ein anderes Modell, welches annimmt, dass Empathie eine
erlernbare Fähigkeit ist. Duan und Hill (1996) definieren Empathie als einen aus
mehreren Phasen bestehenden und auf Erfahrung basierenden Prozess. Es stellt sich die
Frage, ob die Erfahrung in einem sozialen Beruf zu arbeiten, eine positive Wirkung auf
die Empathiefähigkeit hat. Machado, Beutler und Greenberg verglichen 1999 in ihrer
Untersuchung erfahrene Therapeuten mit Psychologiestudenten, die einen Beruf als
Therapeut anstrebten. Es stellte sich heraus, dass Therapeuten aufgrund ihrer Erfahrung
bessere Fähigkeiten aufwiesen, das emotionale Erleben von Klienten zu erfassen als
jüngere Personen, die den gleichen Beruf anstrebten.
Einflussfaktoren auf die Empathiefähigkeit
Bezüglich der Empathiefähigkeit konnten sowohl Unterschiede zwischen
Männern und Frauen als auch zwischen jüngeren und älteren Personen gefunden
werden. Darüber hinaus kann man aus der Literatur den Schluss ziehen, dass auch die
Geschwisteranzahl und das Vorhandensein von eigenen Kindern Einfluss auf die

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Empathiefähigkeit nehmen könnte. Im Folgenden wird auf diese vier Aspekte näher
eingegangen.
Geschlecht. Es konnte in zahlreichen Studien belegt werden, dass Frauen im
Vergleich zu Männern empathischer sind (Baron-Cohen, Jolliffe, Mortimore &
Robertson, 1997; Baron-Cohen & Wheelwright, 2004; Davis, 1980, 1983; Davis &
Franzoi, 1991; Eisenberg & Lennon, 1983; Hall, 1978; Hoffman, 1977). Davis (1980,
1983) konnte beispielsweise zeigen, dass Frauen in allen vier Empathiekomponenten
höhere Werte erzielten als Männer, wobei der größte Unterschied für die Fantasie-
komponente bestand.
Alter. Hinsichtlich eines denkbaren Effektes des Alters auf die
Empathiefähigkeit gibt es zum Teil widersprüchliche Befunde. Bei Längsschnittstudien
zur Untersuchung der Empathie anhand einer Selbstbeurteilung der Personen konnten
bislang drei unterschiedliche Muster beobachtet werden. Während in der Untersuchung
von Helson, Jones & Kwan (2002) eine Abnahme der Empathie über die Zeit zu
beobachten war, nahm die Empathie in der Studie von Davis und Franzoi (1991) bei
denselben Personen über die Zeit zu. Die Mehrheit an Studien kommt allerdings zu dem
Schluss, dass die Empathiefähigkeit über die Jahre hin unverändert bzw. stabil bleibt
(Eisenberg et al., 2002; Grühn, Rebucal, Diehl, Lumley & Labouvie-Vief, 2008). Im
Gegensatz dazu verweisen die meisten Querschnittsstudien auf einen negativen
Zusammenhang von Empathie und Alter. Jüngere Personen zeigten demnach höhere
Empathiewerte als ältere Personen, sodass von einer Abnahme der Empathiefähigkeit
auszugehen ist (Grühn et al., 2008). Richter und Kunzmann (2011) schlussfolgern aus
diesen entgegengesetzten Ergebnissen, dass die Altersunterschiede in den
Querschnittsstudien nicht auf Alterseffekte, sondern vielmehr auf Kohorteneffekte
zurückzuführen sind. Ältere Kohorten weisen demzufolge geringere Empathiewerte auf
als jüngere Kohorten.
Geschwister. Ein wesentliches Übungsfeld für Empathie stellt die Beziehung zu
Geschwistern dar. Die Wirkung von Geschwistern auf die Empathiefähigkeit ist in der
Forschung unter der Vermutung untersucht worden, dass sich Geschwister infolge einer
intensiven Wechselbeziehung eine hohe Empathiefähigkeit aneignen. So drückten
beispielsweise in einer Untersuchung von Dunn und Kendrick (1982) 24 bis 30 Monate
alte Kinder zu 40% empathische Anteilnahme gegenüber ihren acht Monate alten
Geschwistern aus und diese Häufigkeit wächst nur sechs Monate später sogar auf 65%

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an. Die Kinder drückten auf den Gesichts- und Gefühlsausdruck von Unbehagen ihres
Geschwisters Betroffenheit aus und spendeten ihnen Trost indem sie ihren Geschwistern
Spielzeug oder Essen anboten. Geschwister sind also von großer Bedeutung für die
Entwicklung von Empathie, da die Fähigkeit sich in andere hineinversetzen zu können
durch Geschwisterbeziehungen gelernt wird. Dass die Geschwisterbeziehung für die
Entwicklung der Empathie eine große Rolle spielt wurde bislang allerdings nur bei
Kleinkindern untersucht (Dunn & Kendrick, 1982).
Kinder. Bekanntlich müssen Eltern in der Lage sein, die emotionalen Signale
ihres Kindes wahrzunehmen und richtig zu interpretieren (Ainsworth, Bell & Stayton,
1974). Zum Beispiel müssen Eltern auf emotionale Signale, wie Weinen reagieren und
sie müssen wissen, ob und wann ihr Kind Hunger oder Durst hat. Daraus lässt sich
ableiten, dass Eltern empathischer sein könnten als Personen ohne Kinder, da sie in der
Lage sein müssen, die Sicht ihres Kindes zu übernehmen, um nicht nur prompt, sondern
auch angemessen auf Signale des Kindes zu reagieren (Ainsworth et al., 1974).
Vorliegende Untersuchung
In zahlreichen Untersuchungen konnte belegt werden, dass Empathie in einigen
sozialen Berufen eine bedeutende Rolle spielt, unter anderem bei Therapeuten (Burns &
Nolen-Hoeksema, 1992; Rogers, 1975), Ärzten (Adler, 2007), Beratern (Clark, 2010)
oder medizinischem Pflegepersonal (Olson, 1995). Bisher hat man jedoch nur
spezifische Berufe bezüglich der Empathie untersucht. Um aber allgemein eine Aussage
treffen zu können, ob Personen aus sozialen Berufen empathischer sind, wird in dieser
Arbeit eine Vielzahl sozialer Berufe untersucht und mit nicht-sozialen Berufen
verglichen. Man hat außerdem feststellen können, dass Therapeuten aufgrund ihrer
Erfahrung bessere Fähigkeiten aufwiesen, das emotionale Erleben von Patienten zu
erfassen als Psychologiestudenten, die den gleichen Beruf anstrebten (Machado et al.,
1999). Angesichts dieser Ergebnisse, sollten Berufstätige, die im sozialen Bereich
arbeiten aufgrund ihrer Erfahrung höhere Empathiewerte aufweisen als Personen, die
einen sozialen Beruf anstreben. Folglich dürften Personen, die einen sozialen Beruf
ausüben am empathischsten sein. Da eher von denjenigen zukünftigen Erwerbstätigen
mit hoher empathischer Anteilnahme, einer hohen Fähigkeit zur Perspektivübernahme
und geringem persönlichen Distress ein Beruf im sozialen Bereich angestrebt wird (Hall

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et al., 2000), sollten Personen, die einen sozialen Beruf anstreben empathischer sein als
Personen, die einen nicht-sozialen Beruf ausüben.
Bisherige Untersuchungen in Bezug auf Empathie haben entweder
Psychotherapeuten mit Berufstätigen nicht-sozialer Berufe (Hassenstab et al., 2007),
Psychotherapeuten mit Psychologiestudenten (Machado et al., 1999), oder Klinischen
Psychologen mit Psychologen aus Forschung und Lehre (Hall et al., 2000) verglichen.
Allerdings gibt es noch keine Untersuchung, die Unterschiede bezüglich der
Empathiefähigkeit zwischen Personen, die einen sozialen Beruf anstreben, Personen, die
einen sozialen Beruf ausüben, Personen, die einen nicht-sozialen Beruf anstreben sowie
Personen, die einen nicht-sozialen Beruf ausüben, erforscht.
Es lässt sich zusammenfassen, dass es in der Literatur sehr viele Belege dafür
gibt, dass Frauen im Vergleich zu Männern empathischer sind (Baron-Cohen et al.,
1997; Baron-Cohen & Wheelwright, 2004; Davis, 1980, 1983; Davis & Franzoi, 1991;
Eisenberg & Lennon, 1983; Hall, 1978; Hoffman, 1977). Daneben konnten in
vergangenen Querschnittsuntersuchungen ein negativer Zusammenhang zwischen Alter
und Empathie festgestellt werden (Davis & Franzoi, 1991; Eisenberg et al., 2002; Grühn
et al., 2008; Helson et al., 2002; Richter & Kunzmann, 2011). Da man auch in der
vorliegenden Studie von Geschlechtsunterschieden zugunsten der Frauen und
möglichen Alterseffekten ausgehen kann, scheint es sinnvoll zu sein sowohl das
Geschlecht als auch das Alter als Kovariate zu berücksichtigen. Auch
Geschwisterbeziehungen spielen eine große Rolle für die Entwicklung von Empathie
(Dunn & Kendrick, 1982). Dies wurde bisher allerdings nur bei Säuglingen und
Kleinkindern untersucht. Ob Geschwister auch im Erwachsenalter einen Einfluss auf die
Empathie haben, wurde bisher noch nicht erforscht. Denkbar wäre, dass Personen, die
als Einzelkind, also ohne Geschwister, aufgewachsen sind ein niedrigeres Ausmaß der
Empathiefähigkeit besitzen als Personen, die mit mindestens einem Geschwisterkind
aufgewachsen sind. Aus diesem Grund wird die Anzahl der Geschwister als weitere
Kovariate einbezogen. Des Weiteren ist bekannt, dass Eltern in der Lage sein müssen,
die emotionalen Signale ihres Kindes wahrzunehmen und richtig zu interpretieren
(Ainsworth et al., 1974). Daraus lässt sich ableiten, dass Eltern empathischer sein
könnten als Personen ohne Kinder. Daher wird in dieser Studie als weitere Drittvariable
miterfasst, ob die Probanden Kinder haben oder nicht.

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Ziel der Untersuchung. In der vorliegenden Arbeit soll der Einfluss der
Berufsgruppe (sozial vs. nicht-sozial) und der Berufserfahrung (Berufserfahrung vs.
keine Berufserfahrung) unter Berücksichtigung der vorgenannten Variablen
(Geschlecht, Alter, Anzahl der Geschwister, Kinder) bezogen auf die Empathiefähigkeit
von Personen untersucht werden. Schüler und Studenten sind der Gruppe ohne
Berufserfahrung (Berufswunsch) zugeordnet, wohingegen Auszubildende der Gruppe
mit Berufserfahrung (Berufsausübung) zugeordnet sind, da Auszubildende während
ihrer Ausbildung bereits arbeiten und somit als Berufstätige angesehen werden können.
Hypothesen. Auf Basis des beschriebenen theoretischen Hintergrundes können
folgende Hypothesen abgeleitet werden:
1. Personen, die einen sozialen Beruf ausüben bzw. anstreben sind
empathischer als Personen, die einen nicht-sozialen Beruf ausüben bzw.
anstreben.
2. Berufstätige sind empathischer als Personen, die einen Beruf anstreben.
3. Personen, die einen sozialen Beruf ausüben sind am empathischsten.

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Methode
Versuchspersonen
An der vorliegenden Untersuchung nahmen insgesamt 1710 Versuchspersonen
teil, von denen 34 ausgeschlossen werden mussten, da zwölf von ihnen noch
unschlüssig bezüglich ihres Berufswunsches waren, sieben keine oder nur ungenaue
Angaben zum aktuellen Beruf gemacht haben und 15 Personen niemals berufstätig
waren. Somit ergab sich letztendlich eine Stichprobe von 1676 Personen, von denen
581 männlich (34.7%) und 1095 weiblich (65.3%) waren. Das Alter der Probanden
variierte zwischen 14 und 71 Jahren mit einem durchschnittlichen Alter von 28.77
Jahren (SD = 10.33). Insgesamt 1306 Probanden (77.9%) hatten keine Kinder und 279
Teilnehmer (16.6%) keine Geschwister. Die meisten Teilnehmer (n = 774, 46.2%)
wuchsen mit einem Geschwisterkind, 22.5% der Probanden mit zwei Geschwistern,
9.2% mit drei, 3.8% mit vier und nur 1.7% mit fünf oder mehr Geschwistern auf. Es
handelt sich um eine Stichprobe mit einer überdurchschnittlich hohen Bildung: 831
Probanden (49.6%) gaben an das Abitur, allgemeine oder fachgebundene
Hochschulreife zu haben, weitere 361 Personen (21.5%) hatten bereits einen
Hochschulabschluss. Die restlichen 28.4% waren Schüler, Personen mit Hauptschul-
bzw. Volksschul-, Realschulabschluss, einem Abschluss der Polytechnischen
Oberschule, ohne oder einem anderen Abschluss. Die Werte zur formalen Bildung
können aus Tabelle 1 entnommen werden. Knapp die Hälfte der Probanden (n = 778,
46.4%) war erwerbstätig, 152 Probanden (9.1%) befanden sich in einer Ausbildung,
4.5% gingen noch zur Schule, 578 Teilnehmer (34.5%) gaben an zu studieren und die
restlichen 5.5% waren nicht mehr berufstätig. Die Angaben zur momentanen
Beschäftigung sind in Tabelle 2 zu finden.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783956365836
ISBN (Paperback)
9783956369278
Dateigröße
3.2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Bergische Universität Wuppertal – Psychologie
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Note
1,3
Schlagworte
Empathiefähigkeit Sozialer Beruf Affekt Kognitive Empathie Socisurvey

Autor

  • Ulrike Pfeiffer (Autor:in)

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