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Der Stellenwert der schulischen Berufsorientierung

Eine empirische Analyse aus Sicht der Jugendlichen im dualen Ausbildungssystem

©2015 Examensarbeit 80 Seiten

Zusammenfassung

Mit fortlaufender Schulzeit gewinnt auch die Berufsorientierung immer mehr an Bedeutung. Doch trotz höherer Bedeutung fällt die Berufswahl dennoch nicht unbedingt einfacher. Deshalb sind gerade Schulen gefragt, die Jugendlichen zu unterstützen.

Ziel der Arbeit ist es, die Frage zu beantworten, wie die Jugendlichen die schulische Berufsorientierung mit Blick auf ihre Berufswahl erlebt haben und wie sie deren Stellenwert für die Berufswahl einschätzen. Mit Hilfe dieser Arbeit soll gewissermaßen „hinter die Kulissen“ geblickt werden und Jugendliche sollen zu Wort kommen und berichten, wie sie zu einer Berufswahl und zu ihrer anschließenden Berufsausbildung gelangt sind.

In der qualitativen Untersuchung soll, wie bereits erwähnt, die Sichtweise der Jugendlichen im Mittelpunkt stehen. Deswegen sind Jugendliche ausgewählt worden, die sich bereits im ersten Ausbildungsjahr des dualen Ausbildungssystems befinden und somit eine erfolgreiche Berufswahl getroffen haben. Ihre Erfahrungen und Einschätzungen werden mit Hilfe einer qualitativen Befragung aufgezeichnet. Die Ergebnisse werden daraufhin methodisch ausgewertet und mit den theoretischen Grundlagen und dem Forschungsstand verglichen. Die Frage, wie die befragten Jugendlichen ihre erlebte schulische Berufsorientierung wahrgenommen haben und welchen Stellenwert die schulische Berufsorientierung in diesem Zusammenhang eingenommen hat, wird ebenfalls erörtert. Anschließend wird ein thesenförmiges Fazit gezogen. Diese Erkenntnisse münden in einen Ausblick, wie die Institution Schule Berufsorientierung gestalten kann, sodass diese eine wirksame Unterstützung für Jugendliche darstellt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


4.1.7
Berufswahlunterricht ... 43
4.1.8
Berufswahlmesse ... 43
4.1.9
Betriebsbesichtigung ... 44
4.2
Unterstützungen und Hilfen zur Berufswahl von persönlich betroffenen Akteuren ... 44
4.2.1
Eltern und Familie ... 44
4.2.2
Peers ... 46
4.2.3
Bekannte ... 47
4.2.4
Hobbys & Interessen ... 48
4.2.5
Selbst erarbeitete Informationen/ Internet ... 48
4.3
Einschätzungen zum Stellenwert der schulischen Berufsorientierung für die Berufswahl 49
4.3.1
Positiv konnotierte Einschätzungen ... 49
4.3.2
Negativ konnotierte Einschätzungen ... 51
4.4
Genannte Gründe für die Berufswahl ... 52
4.5
Zusammenfassende Analyse und Interpretation der Interviewergebnisse ... 52
4.6
Entwicklung von Vorschlägen für eine wirksame schulische Berufsorientierung ... 54
5
Fazit und Ausblick ... 58
6
Literaturverzeichnis ... 60
7
Anhang ... 66
7.1
Übersicht des Kategoriensystems ... 66
7.2
Strukturierung der Interviewaussagen mit Hilfe des Kategoriensystems ... 68

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Modell nach Gottfredson (Steinritz et al., 2012, S. 3) ... 10
Abbildung 2: die drei Hauptgruppen nach Kayser (Kayser, 2013, S. 27) ... 14


1. Einleitung
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1 Einleitung
1.1 Problemaufriss
,,Berufsorientierung und Berufswahl sind zentrale Bestandteile der Jugendphase und Jugendbiographie
in modernen Gesellschaften." (Wensierski, Schützler & Schütt, 2005, S. 9)
Dieser Aussage würden die meisten bereitwillig zustimmen, denn dem Beruf wird in
Deutschland eine sehr hohe Bedeutung beigemessen. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt ist
der Beruf für die eigene Identität und die gesellschaftliche Teilhabe entscheidend (vgl. Famu-
lla, 2008, S. 34). Demnach ist es für die Jugendlichen eine wichtige Entwicklungsaufgabe eine
Berufswahl zu treffen. Und genau hier entfaltet sich das Problem: Die Berufswahl. Für man-
che steht diese schon recht früh fest, für andere wird diese allerdings zu einem zähen Beglei-
ter über die letzten Schuljahre. Letzteres ist bei etwa 56 % aller Schüler
1
der Fall, die diese
Entscheidung schwer finden. Jeder zehnte Schüler findet diese Entscheidung sogar sehr
schwer (vgl. Hurrelmann, Köcher & Sommer, 2013, S. 55).
Da viele Schüler Schwierigkeiten haben eine Berufswahl zu treffen, ist es umso wichtiger die
Schüler in dem beruflichen Orientierungsprozess zu unterstützen. Die Berufsorientierung
rückte schon in den 90er Jahren in den Fokus, da viele Jugendliche durch die Verschlechte-
rung der Situation auf dem Ausbildungsmarkt keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. So
erhielten neue Inhalte der Berufsorientierung Einzug in die Lehrpläne der Schulen, die vor
allem auf die Vorbereitung für die Berufs- und Arbeitswelt abzielten. Allerdings wurde davon
wenig in den Lehralltag umgesetzt und vieles blieb beim Alten (vgl. Butz, 2008, S. 43­47;
Hurrelmann, 2014, S. 19). Trotz dieser nüchternen Einschätzung erkennen viele Schulen die
Wichtigkeit der Berufsorientierung und versuchen, mit Angeboten und Konzepten ihre Schü-
ler in diesem Prozess zu unterstützen. In den letzten Jahren bieten auch viele andere Akteu-
re berufsorientierende Maßnahmen für Jugendliche an, sodass förmlich ein ,,Chaos von Pro-
jekten und Unterstützungsangeboten" (Oehme, 2013, S. 645) entstanden ist. In diesem Zu-
sammenhang stellt sich die Frage, wie hilfreich diese vielen Angebote für die Heranwach-
senden bezüglich der Berufswahl wirklich sind. Im Blickfeld stehen in erster Linie die Angebo-
te der Schule und deren Unterstützung zur beruflichen Orientierung. Denn die Schule ist die
Institution, welche direkt vor dem Berufseinstieg angesiedelt ist und die alle Jugendlichen
durchlaufen müssen.
1
Der besseren Lesbarkeit halber wird im Folgenden die männliche Form verwendet. Personen weiblichen wie
männlichen Geschlechts sind darin gleichermaßen eingeschlossen.

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Ziel der Arbeit ist es, die Frage zu beantworten, wie die Jugendlichen die schulische Berufs-
orientierung mit Blick auf ihre Berufswahl erlebt haben und wie sie deren Stellenwert für die
Berufswahl einschätzen. Mit Hilfe dieser Arbeit soll gewissermaßen ,,hinter die Kulissen"
geblickt werden und Jugendliche sollen zu Wort kommen und berichten, wie sie zu einer
Berufswahl und zu ihrer anschließenden Berufsausbildung gelangt sind.
1.2 Aufbau der Arbeit
Um dieser Frage nachzugehen, sollen zu Beginn die zentralen Begrifflichkeiten erläutert
werden. Dabei geht es in Kapitel 2.1 darum, den Begriff der Berufsorientierung differenziert
darzustellen und eine Definition zu erarbeiten.
Im Zuge des Kapitels 2.2 werden einige wichtige Berufswahltheorien grob umrissen, um den
Prozess der Berufswahl im Jugendalter darzustellen. Diese Theorien geben Aufschluss dar-
über, welche Einflussgrößen bei der Berufswahl der Jugendlichen eine entscheidende Rolle
spielen (vgl. Bührmann & Wiethoff, 2013, S. 45).
Daraufhin wird dem Leser in Kapitel 2.3 ein Überblick gegeben, welche Akteure bei der Be-
rufsorientierung von Jugendlichen überhaupt eine Rolle spielen. In einer näheren Betrach-
tung des Akteurs Schule wird die Bedeutung der Schule herausgestellt und aufgezeigt, was
diese gesetzlich an Berufsorientierung leisten muss und wo Unterschiede in den Schulfor-
men bestehen. Ebenfalls wird auf die Betriebe im dualen Ausbildungssystem eingegangen,
da die interviewten Jugendlichen in einer betrieblichen Ausbildung stehen.
Darauffolgend wird in Kapitel 2.4 der aktuelle Forschungsstand aufgezeigt. Der Forschungs-
stand gibt einen Überblick über empirische Befunde und aktuelle Studien, welche die Be-
rufsorientierung unter Jugendlichen untersucht haben. Der Theorieteil mündet in die For-
schungsfrage (Kapitel 2.5), welche die eigene Untersuchung einleitet.
In der qualitativen Untersuchung soll, wie bereits erwähnt, die Sichtweise der Jugendlichen
im Mittelpunkt stehen. Deswegen sind Jugendliche ausgewählt worden, die sich bereits im
ersten Ausbildungsjahr des dualen Ausbildungssystems befinden und somit eine erfolgreiche
Berufswahl getroffen haben. Ihre Erfahrungen und Einschätzungen werden mit Hilfe einer
qualitativen Befragung aufgezeichnet (Kapitel 3). Die Ergebnisse werden daraufhin metho-
disch ausgewertet und mit den theoretischen Grundlagen und dem Forschungsstand vergli-
chen (Kapitel 4). Die Frage, wie die befragten Jugendlichen ihre erlebte schulische Berufsori-

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entierung wahrgenommen haben und welchen Stellenwert die schulische Berufsorientierung
in diesem Zusammenhang eingenommen hat, wird ebenfalls erörtert. Anschließend wird in
Kapitel 5 ein thesenförmiges Fazit gezogen. Diese Erkenntnisse münden in einen Ausblick,
wie die Institution Schule Berufsorientierung gestalten kann, sodass diese eine wirksame
Unterstützung für Jugendliche darstellt.

2. Theoretische Grundlagen zur Berufsorientierung bei Jugendlichen
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2 Theoretische Grundlagen zur Berufsorientierung bei Jugendlichen
2.1 Der Begriff der schulischen Berufsorientierung
Der Begriff der Berufsorientierung ist nicht eindeutig definiert und wird von Institutionen,
Autoren und Schule oftmals verschieden ausgelegt. Viele verstehen unter Berufsorientierung
lediglich die Unterstützung im Finden eines passenden Berufes (vgl. Butz, 2008, S. 48).
Durch den starken Wandel der Berufs- und Arbeitswelt, den Famulla (2008) beschreibt, kann
die Berufsorientierung allerdings nicht mehr so eng gesehen werden. Das klassische Arbeits-
verhältnis, bei dem ein Beruf gewählt und diesen lebenslang ausübt wird, löst sich fortwäh-
rend auf. Viele Jugendliche, die heutzutage eine Berufsausbildung in einem Berufszweig ab-
schließen, arbeiten in einem anderen Beruf weiter. Die Anforderungen der Berufe verändern
sich und fordern mehr Eigenverantwortung und Handlungsstrategien (vgl. S. 35-36).
Damit steht in der beruflichen Orientierung nicht mehr wie vor einiger Zeit der Qualifikati-
onsbegriff
2
, sondern der sogenannte Kompetenzbegriff
3
im Mittelpunkt. Der Qualifikations-
begriff ist geprägt von einzelnen Anforderungen des Berufs, die das Individuum erlernen soll.
Im Gegensatz dazu stellt der Kompetenzbegriff die Person mit seinen Fähigkeiten in den
Vordergrund, welche durch Eigeninitiative und praktische Erfahrungen angeeignet werden.
Dieses Kompetenzverständnis geht Hand in Hand mit den aktuellen Veränderungen in der
betrieblichen Arbeitsorganisation. Somit stehen die Stärkung der Persönlichkeit sowie die
Handlungsfähigkeit des Jugendlichen mehr im Fokus. Daraus folgern Butz und Famulla (2008)
ein Verständnis von Berufsorientierung, welches dynamisch gesehen und als lebenslanger
Prozess der Abstimmung zwischen Individuum und Arbeits- und Berufswelt begriffen wird
(vgl. S. 39-40).
Butz (2008) stellt zwei Facetten der Berufsorientierung heraus. Auf der einen Seite muss sich
der Handelnde selber kennenlernen und wissen, was er kann, was er will und wo er sich be-
2
,,Zum einen faßt man unter dem Qualifikationsbegriff alle kognitiven, affektiven und motorischen Fähigkeiten
und Kenntnisse zusammen, über die ein Mensch verfügt, um Leistungsanforderungen in gesellschaftlich-
ökonomischen Prozessen zu bewältigen und zum anderen sollten diese Fähigkeiten und Kenntnisse in Unter-
weisungssituationen vermittelt werden. Qualifikationen werden somit als individuelle Voraussetzungen für das
Arbeitsarrangement angesehen." (Graichen, 2002, S. 30)
3
Im Gegensatz zum Qualifikationsbegriff werden beim Kompetenzbegriff nicht nur die Fähigkeiten und Kennt-
nisse bezeichnet, sondern die Motivation und die letztendliche Ausführung des Handelns in Situationen.
Weinert (2001) definiert Kompetenzen als ,,die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kogniti-
ven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivatio-
nalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situatio-
nen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können." (S. 27­28)

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findet ­ er muss sich also orientieren. Auf der anderen Seite muss sich der Handelnde aber
an den Anforderungen und Bedingungen der Berufswelt ausrichten. Es ist eine Art des Aus-
tarierens zwischen diesen beiden Positionen.
Somit kommt Butz zu der Definition, dass ,,Berufsorientierung [...] ein lebenslanger Prozess der Annä-
herung und Abstimmung zwischen Interessen, Wünschen, Wissen und Können des Individuums auf
der einen und Möglichkeiten, Bedarfen und Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt auf der ande-
ren Seite [ist]. Beide Seiten, und damit auch der Prozess der Berufsorientierung, sind sowohl von ge-
sellschaftlichen Werten, Normen und Ansprüchen, die wiederum einem ständigen Wandel unterlie-
gen, als auch den technologischen und sozialen Entwicklungen im Wirtschafts- und Beschäftigungssys-
tem geprägt." (Butz, 2008, S. 49­51)
Wensierski et al. (2005) betonen ebenfalls den komplexen Prozesscharakter der Berufsorien-
tierung. Jedoch sehen sie diesen Prozess eng verbunden mit dem jeweiligen familiären Her-
kunftsmilieu. Damit betonen sie den komplexen berufsbiografischen Bildungs- und Sozialisa-
tionsprozess von Heranwachsenden, die unter Berücksichtigung der Anforderungen und Be-
dingungen des Arbeitsmarktes ihre Berufsbiografie planen (vgl. S. 14).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die aufgeführten Autoren sich in ihren
Definitionen des Begriffes sehr ähneln und zum Teil ergänzen. Als Resümee ist festzuhalten,
dass Berufsorientierung weit mehr darstellt als die Wahl eines Berufes oder einfach den Ein-
stieg in einen Beruf. Berufsorientierung ist von der Warte aus zu betrachten, dass diese ein
lebenslanger Prozess ist, der dazu befähigen soll, eine berufliche Karriere zu planen und zu
gestalten, die im Austarieren der eigenen Persönlichkeit mit den Anforderungen der Berufs-
welt stattfindet. Von der allgemeinen Definition der Berufsorientierung soll nachstehend der
Fokus auf die Berufsorientierung in der Schule gerichtet werden.
Vorrangig ist die Berufsorientierung in der Schule zu verorten, da dieses Bildungssystem vor
der Berufsausbildung steht und auch die zentral bildende Institution für die Heranwachsen-
den verkörpert (vgl. Oehme, 2013, S. 641).
Das Ziel der schulischen Berufsorientierung soll nach Brüggemann und Rahn (2013) sein,
dass Jugendliche gefördert werden, einzelne Teilaufgaben des Berufswahlprozesses voll-
ständig und rechtzeitig bearbeiten und lösen zu können. Damit geht die Exploration des
Selbst, die Auseinandersetzung mit dem Arbeitsmarkt bis hin zu konkreten Berufswahl und
Anschlussplanung einher (vgl. S. 16).
Famulla (2008) sieht in der schulischen Berufsorientierung eher die Erweiterung und Vertie-
fung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen, die sogenannte ganzheitliche Berufsorien-

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tierung. Fachliche Kompetenzen sollen in der konkreten Vorbereitung auf die berufliche Ar-
beitswelt vermittelt werden, wobei überfachliche Kompetenzen generell durch jedes Unter-
richtsfach vermittelt werden sollen. Darunter fallen zum Beispiel die Persönlichkeitsbildung
und die Förderung an der gesellschaftlichen Teilhabe (vgl. Famulla, 2008, S. 39­41). Das
heißt, Berufsorientierung in der Schule soll ein generelles Ziel im Unterricht darstellen. Dar-
über hinaus sollen für die Schüler aber auch spezifische Angebote zur beruflichen Orientie-
rung offeriert werden. Butz (2008) stellt in dem Bezug einen Doppelauftrag für die Schule
heraus. Einerseits sollen Jugendliche in ihrer Persönlichkeit gefördert werden, sodass diese
handlungsfähig und eigenverantwortlich werden. Andererseits sollen die Jugendlichen in
ihrer Berufswahl aktiv und konkret von der Schule unterstützt werden (vgl. S. 49-51).
Die Intention der schulischen Berufsorientierung lässt sich als eine differenzierte und selbst-
ständige Berufswahl der Jugendlichen zusammenfassen. Dieses Ziel leitet zum nächsten Ab-
schnitt über, in dem es darum geht, was relevant und bestimmend für die Wahl eines Beru-
fes ist.
2.2 Berufswahltheorien
Die Darstellung aller in den letzten Jahrzehnten entwickelten Theorien über die Berufswahl
würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. Deshalb beschränkt sich diese
Arbeit auf die Beschäftigung mit drei grundlegenden Berufswahltheorien von John L. Hol-
land, Donald E. Super und Linda S. Gottfredson. Diese Theorien ergänzen sich sehr gut zu
einem Gesamtbild, wie in der Zusammenfassung des Kapitels (vgl. Kapitel 2.2.6) festzustellen
sein wird.
2.2.1 Das Modell nach Holland
John L. Holland (1985) versucht mit seiner Theorie Antwort zu geben, welche Bedingungen
erfüllt sein müssen, um zu einer zufriedenstellenden Berufswahl zu gelangen. Dabei nimmt
er besonders die Persönlichkeitsmerkmale der Individuen in den Blick (vgl. Holland,
1985, S . 1).
Holland geht davon aus, dass jedes Individuum eine eigene Persönlichkeitsstruktur hat. Er
unterteilt diese in sechs generelle Muster: realistisch, forschend, künstlerisch, sozial, unter-
nehmerisch und konventionell
4
. Dementsprechend können Personen nach ihrem Verhalten
4
Für eine nähere Betrachtung der verschiedenen Typen vgl. Holland, 1985, S. 19-23

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und ihren Eigenschaften den genannten Typen zugeordnet werden. Des Weiteren nimmt
Holland an, dass jede Lebensumwelt von gewissen Personen dominiert wird, die ein ähnli-
ches Persönlichkeitsmuster aufweisen. So sind beispielsweise realistische Lebensumwelten
von Leuten mit realistischen Persönlichkeitstypen dominiert. Auf diese Weise gelingt es Hol-
land auch die jeweiligen Lebensumwelten in die oben genannten sechs Typen zu kategorisie-
ren. Personen suchen dabei nach einer Umgebung, die ihrer Persönlichkeit entspricht und in
welcher sie ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten ausüben, ihre Einstellungen und Werte ausdrü-
cken und die zu ihnen passenden Rollen übernehmen können (vgl. Holland, 1985, S. 2-3). Die
Berufswahl ist somit ein Ausdruck von Persönlichkeit (vgl. ebd., S. 7). Es ist ersichtlich, dass
dies eine starke Reduktion von Komplexität der Informationen über Individuen und Berufe
ist. Deshalb wird diese Theorie als eine statische Theorie bezeichnet. Dennoch ist sie interak-
tiv, da die beiden Akteure - Individuum und Umwelt - in einer wechselseitigen Beziehung
zueinanderstehen (vgl. ebd., S. 11).
Greuling (1996) führt im Bezug zu dieser Theorie einige empirische Befunde in Europa an
und kommt zu dem Schluss, dass die Passung von Personen- und von Umweltmerkmalen
möglich und für die Berufsberatung sinnvoll ist. Allerdings kritisiert er, dass sich die Merkma-
le der Umwelt und der Personen in dem Modell nicht verändern können (vgl. S. 45-46). Auch
die Autoren um Herzog (2006) üben Kritik an der Theorie von Holland, da nicht geklärt wird,
wie es zu einer Passung bzw. Kongruenz von Person und Beruf kommt. Somit ist der Ansatz
für die Analyse des Berufswahlprozesses unzureichend, auch wenn die Kernaussage der Be-
rufswahl nicht an Bedeutung verliert (vgl. Herzog, Wannack & Neuenschwander, 2006,
S. 15). Für die Jugendlichen bedeutet dies, dass sie zum einen Kenntnisse über die eigene
Persönlichkeit benötigen und zum anderen Wissen über Gegebenheiten und Anforderungen
von verschiedensten Berufsfeldern.
Von diesem statischen Modell wird nun zu dem Modell von Super übergeleitet, in welcher
die Entwicklung der Individuen im Mittelpunkt steht, die ebenso in Korrespondenz mit ihrer
Umwelt stehen.
2.2.2 Das Modell nach Super
Super (1953) verfolgt in seiner Berufswahltheorie einen entwicklungspsychologischen An-
satz. Das schließt mit ein, dass er nicht von einer einmaligen Berufswahl spricht, sondern von
einer Berufswahlentwicklung (vgl. S. 187).

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Super (1953) stellt zehn Prämissen für seine Theorie auf, die er später (1981) auf zwölf er-
weitert. Zentral ist das Selbstkonzept des Individuums, welches sich in Fähigkeit, Interesse
und Persönlichkeit von anderen unterscheidet. Dieses Selbstkonzept entwickelt sich im Laufe
der Zeit durch gemachte Erfahrungen, wobei das Selbstkonzept im späten Erwachsenenalter
recht stabil bleibt. Diese Entwicklung fasst Super in fünf Lebensphasen zusammen:
(1) Wachstum, (2) Exploration, (3) Etablierung, (4) Erhaltung und (5) Abbau. In jeder Lebens-
phase gibt es eigene Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Entscheidend ist es ein berufli-
ches Selbstkonzept zu entwickeln, welches sich durch das Wechselverhältnis von Individuum
und seiner Umwelt bildet. Dabei ist das eigene Karrieremuster stark durch die Herkunft, die
mentale Fähigkeit, Persönlichkeitsstruktur sowie den gemachten Erfahrungen festgelegt.
Ferner unterteilt Super, ähnlich wie Holland, die Berufe in verschiedene Muster, die gewisse
Fähigkeiten, Interessen und Persönlichkeitseigenschaften widerspiegeln. Obwohl Super da-
von ausgeht, dass jedes Individuum für mehrere Berufe qualifiziert ist, ist es entscheidend,
dass, wie bei Holland, eine Passung zwischen dem Selbstkonzept und der beruflichen Rolle
erfolgt. Die Zufriedenheit wird maßgeblich davon beeinflusst, wie stark das Individuum sein
Selbstkonzept in den jeweiligen Beruf mit einfließen lassen kann (vgl. Super, 1953, S. 189­
190; Super, 1981, S. 27).
Für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit ist besonders die Entwicklungsphase der
Jugendzeit bedeutend, in der Heranwachsende ihr berufliches Selbstkonzept entwickeln.
Damit einhergehend müssen sie dieses entwickelte Selbstkonzept mit entsprechenden Be-
rufskonzepten in Übereinstimmung bringen, um eine vorläufige Berufswahl zu treffen (vgl.
Greuling, 1996, S. 49). Für die schulische Berufsorientierung ist es von Bedeutung, dass Schü-
ler lernen ihre eigenen Fähigkeiten, Interessen, Motivationen etc. zu ermitteln und im Sinne
des beruflichen Selbstkonzeptes zu fördern.
Hirschi (2013) meint, dass die Entwicklungstheorie von Super nur wenig spezifisch ist. Aller-
dings ist dieses Modell grundlegend für weitere Berufswahlforschungen gewesen (vgl. S. 28).
Als Nächstes wird das Modell von Gottfredson vorgestellt, welches sich auf die oben genann-
ten Theorien von Holland und Super stützt. Dieses Modell beleuchtet die soziologische Per-
spektive der Berufswahl.

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2.2.3 Das Modell nach Gottfredson
Linda S. Gottfredson nimmt den Ansatz von Holland und den von Super auf. Diese Ansätze
erweitert sie allerdings um die soziologische Perspektive und stellt fest, dass Aspekte des
sozialen Selbst wie Geschlecht, Klasse und Intelligenz für die Berufswahl relevanter sind, als
persönliche Aspekte des psychologischen Selbst wie z.B. Interessen und Werte. Dieses Phä-
nomen leitet Gottfredson anhand der Entwicklungspsychologie ab. Während des Heran-
wachsens entwickeln Individuen nämlich ein Selbstkonzept über ihre soziale Zugehörigkeit,
ihre Fähigkeiten und Interessen. Dabei bilden sie schon früh berufliche Präferenzen aus. Die-
ses sozial verankerte Selbstkonzept wird früher entwickelt als das psychologische Selbstkon-
zept (vgl. Steinritz, Kayser & Ziegler, 2012, S. 1­3). Kayser (2013) drückt es so aus, dass die
Umweltfaktoren eine größere Bedeutung haben, als die jeweils inneren Faktoren wie bei-
spielsweise Fähigkeiten, Interessen, etc. (vgl. S. 54).
Das Selbstkonzept setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Die beruflich relevan-
ten Bestandteile sind laut Gottfredson (1981) Geschlecht, soziale Schicht, Intelligenz, berufli-
che Interessen, Kompetenzen und Werthaltungen. Das Selbstkonzept bildet sich während
des Alters aus und wird zunehmend komplexer (vgl. S. 548). Dieses Selbstkonzept und die
beruflichen Präferenzen entwickelt sich bereits in der frühen Kindheit (vgl. ebd., S. 554).
Heranwachsende ordnen ihnen bekannte Berufe in nur einige wenige Dimensionen ein: dem
Geschlecht, dem Rang oder auch Prestige des Berufes und einem Berufsfeld. Diese Dimensi-
onen helfen dem Individuum seine Berufswelt darzustellen. Gottfredson (1981) führt den
Begriff der kognitiven Landkarte ein, auf der diese Berufswelt abgebildet wird (vgl. ebd.,
S. 547).
Die Achsen dieser Landkarte bilden die Dimensionen Geschlecht und Prestige der Berufe
(siehe Abbildung 1). Auf dieser Landkarte bildet jedes Individuum, abhängig von seiner Sozia-
lisation, ein Feld akzeptabler Berufe ab. Dieses Feld wird Aspirationsfeld genannt. Dieses
Aspirationsfeld wird durch die Präferenz für bestimmte Berufe und der wahrgenommenen
Zugänglichkeit eingegrenzt. Dieser Prozess der Eingrenzung wird schon im Kindesalter initi-
iert und funktioniert in der Weise, dass mit der Zeit immer mehr Berufe ausgeschlossen
werden. Etwa ab dem 14. Lebensjahr entwickeln die Jugendlichen berufliche Interessen und
Werte, die mit dem Feld der akzeptablen Berufe abgeglichen werden. Das bedeutet, dass
sich berufliche Interessen in einem bereits eingeschränkten Bereich von Berufen ausbilden,
der sich bis dahin gebildet hat (vgl. Steinritz et al., 2012, S. 1-3; Gottfredson, 1981, S. 555).

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Abbildung 1: Modell nach Gottfredson (Steinritz et al., 2012, S. 3)
Je komplexer das Selbstkonzept wird, desto mehr Berufe werden ausgeschlossen und das
Feld der bevorzugten Berufe wird stetig enger (vgl. Gottfredson, 1981, S. 556). Die meisten
Jugendlichen haben ihre akzeptablen Berufe abhängig von Geschlecht und Prestige bereits
mit dem 13. Lebensjahr festgelegt. Wenn sie dann in die Berufsberatung kommen, haben sie
schon ein vorgefertigtes Berufsfeld im Blick. Damit geht einher, dass sich diese Personen nur
über die Berufe informieren, die in ihrem akzeptablen Bereich liegen (vgl. ebd., S. 577). Ein
weiteres Phänomen, welches Gottfredson (1981) herausstellt, lautet: Personen, die aus sozi-
alen Schichten stammen, welche geringere berufliche Erwartungen haben, streben generell
geringer bewertete Berufe an. Obwohl diese Personen höher bewertete Berufsziele verfol-
gen könnten (vgl., S. 576).
Ratschinski (2009) hat mit Hilfe von Untersuchungen belegen können, dass die Dimensionen
Geschlecht und Prestige auch in Deutschland starken Einfluss auf die Berufswahl haben (vgl.
S. 121). Ebenfalls konnte Ratschinski (2009) die Eingrenzung beruflicher Aspirationen vor der
beruflichen Erstwahl nachweisen (vgl. S. 141).
Greuling (1996) gelangt durch eine Zusammenführung mehrerer Konzepte zu dem Ergebnis,
dass der elterliche Status und die ökonomische Situation wesentliche Prädiktoren für die
Berufswahl darstellen. Weiter sieht er das berufliche Selbstkonzept des Jugendlichen sowie
sein soziales Umfeld als bedeutend an, wenn es um die Entscheidung für einen Beruf geht
(vgl. S. 50­51).

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Für den weiteren Verlauf der Arbeit kann festgehalten werden, dass die Berufswahl stark mit
der jeweiligen sozialen Entwicklung der Jugendlichen zusammenhängt und somit stark mit
dem sozialen Umfeld und Herkunftsmilieu korreliert.
2.2.4 Das Konzept der Berufswahlbereitschaft
An die Berufswahltheorien wird das Konzept der Berufswahlbereitschaft angeschlossen.
Denn neben dem Wissen über mögliche Berufe muss der Jugendliche schließlich auch die
Bereitschaft haben, eine Berufswahl aktiv zu treffen. Die Berufswahlbereitschaft bezeichnet
die Fähigkeit mit Entwicklungsaufgaben des Berufswahlprozesses erfolgreich umzugehen
(vgl. Hirschi, 2008, S. 155).
Dazu sind laut Hirschi (2008) folgende zentrale Faktoren von Bedeutung. Dies sind erstens
Planung, zweitens Exploration und drittens die Klarheit eigener Interessen, Ziele und Werte.
Als vierten Faktor sieht Hirschi noch die Entscheidungskompetenzen (vgl. S. 158-159). Zu-
sammengefasst muss der Jugendliche fähig sein, den Berufswahlprozess in seiner zeitlichen
Perspektive eigenständig und langfristig zu planen (vgl. ebd., S. 159). Ferner muss der Ju-
gendliche fähig sein, seine eigene Persönlichkeit erkunden und sich darüber klar zu werden,
was seine eigenen Interesse, Ziele und Werte sind (vgl. ebd. S. 159-160). Als letztes beinhal-
tet die Berufswahlbereitschaft die Fähigkeit, sich für die möglichst beste Wahl aus den Be-
rufsalternativen zu entscheiden (vgl. ebd., S. 159).
Die Berufswahlbereitschaft korreliert dabei mit dem Alter, Geschlecht, der beruflichen Ent-
schiedenheit, der Familie und dem sozialen Umfeld sowie mit der beruflichen Interessen-
entwicklung (vgl. ebd., S. 161-164). Diesbezüglich wurde untersucht, dass mit steigender
kognitiver Entwicklung auch die Fähigkeit einer erfolgreichen Bewältigung der Berufswahl
einhergeht (vgl. ebd., S. 161). Mädchen weisen generell eine höhere Berufswahlbereitschaft
als Jungen auf (vgl. ebd., S. 162). Die Entschiedenheit für einen bestimmten Beruf geht oft
einher mit erhöhter Berufswahlbereitschaft. Andersherum haben Jugendliche, die länger
unentschlossen in der Berufswahl sind, eine niedrigere Berufswahlbereitschaft (vgl. ebd.,
S. 162). Ein positives Rollenmodell seitens der Eltern und eine sichere Bindung zu den Eltern
hängt positiv mit der Berufswahlbereitschaft zusammen (vgl. ebd., S. 163). Jugendliche, de-
ren Berufswünsche sich mit eigenen Interessen decken, besitzen ebenfalls eine höhere Be-
rufswahlbereitschaft (vgl. ebd., S. 164).

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Insgesamt gelangt Hirschi zu dem Schluss, dass ,,Jugendliche mit einer größeren Berufswahl-
bereitschaft auch eine erfolgreichere Berufswahl treffen und den Übergang von Schule zu
Beruf leichter meistern [sollten]." (S. 164)
2.2.5 Weitere Einflussgrößen bei der Berufswahl
Für die Entscheidung eines Berufes sehen Herzog et al. (2006) das Individuum als ein rationa-
les Subjekt an, welches sich in einer begrenzten Rationalität befindet. Begrenzt deshalb, weil
keine vollständige Kenntnis von Informationen vorliegt. Mit Hilfe von Problemlösestrategien,
personaler (Fähigkeiten, Motivation etc.) und sozialer Ressourcen
5
(Eltern, Peers, etc.) sowie
institutioneller Unterstützung (Schule, Agentur für Arbeit, etc.) kann sich das Individuum für
einen Beruf entscheiden. Informationen über sich selbst und über die Berufswelt spielen,
wie oben bereits erwähnt, eine sehr bedeutende Rolle und bilden die Basis der Entscheidung
(vgl. S. 25). Zusammengefasst sehen die Autoren die Berufswahl folgendermaßen:
,,Die verschiedenen Aspekte der Berufswahl lassen sich zu einem Gesamtmodell zusammenfügen, das
ein aktives Subjekt supponiert, das unter Einsatz seiner persönlichen und unter Nutzung seiner sozia-
len Ressourcen, in Kenntnis seiner Fähigkeiten, Interessen und Werthaltungen sowie in Abwägung sei-
ner Chancen, eingeschränkt durch äussere Bedingungen (wie Arbeitsmarkt und Berufsangebot), aber
auch gestützt durch institutionelle Vorgaben eine Serie von Entscheidungen trifft, die seiner Situation
angepasst sind und im Rahmen eines Übergangprozesses in eine berufliche Ausbildung führen." (Her-
zog et al., 2006, S. 25­26)
Entscheidend für die Wahl des Berufes sind nach Herzog et al. (2006) vor allem die Qualität
der personalen und sozialen Ressourcen. Personale Ressourcen sind in der jeweiligen Person
verankert. Das können Einstellungen, Werthaltungen, Interessen, Persönlichkeitsmerkmale
und ähnliches sein. Soziale Ressourcen lassen sich in erster Linie als Formen der Unterstüt-
zung durch andere verstehen. Das kann die Schule, als institutionelle Unterstützung, sein.
Die Hilfestellung der Eltern und Peers sind ebenso darunter zu fassen (vgl. S. 45-46).
2.2.6 Zusammenfassung und Zwischenfazit
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die Konzepte der Berufswahl ergänzen und
das Bild der Berufswahl vervollständigen. Es lässt sich festhalten, dass die Berufswahl eine
Aufgabe darstellt, die die Jugendlichen in ihrem Erwachsenwerden bewältigen müssen. Die-
5
Ressourcen stellen Mittel dar, die Jugendliche sich erschließen und aktivieren können, um den Prozess ihrer
Berufswahl zu gestalten. Diese Mittel können als eine Art von materiellem oder immateriellem Kapital verstan-
den werden. Beispielsweise können materielle Ressourcen Finanzen darstellen. Immaterielle Ressourcen kön-
nen soziale Beziehungen sein, die hilfreich sind, um eine Berufswahl zu treffen (vgl. Eberhard, 2012, S. 46-47;
Heinz, 2011, S. 20-21).

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se Aufgabe erstreckt sich über einen gewissen Zeitraum, was die Berufswahl zu einem Pro-
zess werden lässt, wie Super (1951) und Gottfredson (1981) postulieren. Zentral ist die Ex-
ploration und Entwicklung des beruflichen Selbstkonzeptes. Dieses gebildete Selbstkonzept
muss in Einklang mit einem Beruf gebracht werden. Dies erfordert Informationen über die
Berufswelt, die grundlegend dafür sind, eine passende Wahl zu treffen. Allerdings ist die Be-
rufswahl laut Gottfredson (1981) aufgrund der Sozialisierung je nach Herkunftsfamilie be-
reits eingeschränkt und von dem sozialen Umfeld bestimmt. Dieses soziale Umfeld ist laut
Herzog et al. (2006) eine bedeutende Ressource in der Bewältigung der Aufgabe der Berufs-
wahl. Auch die generelle Berufswahlbereitschaft bildet eine Einflussgröße bei dieser Aufga-
be.
Daraus kann abgeleitet werden, dass dem sozialen Umfeld eine zentrale Rolle zukommt, wie
Greuling (1996) betont hat. Auch andere Ressourcen spielen bei der Bewältigung der Be-
rufswahl eine Rolle und sollen im folgenden Unterkapitel in Form von verschiedenen Akteu-
ren, die an der Berufsorientierung beteiligt sind, differenziert dargestellt werden.
2.3 Akteure der Berufsorientierung
Die Betrachtung der verschiedenen Akteure ist unter anderem deshalb von Bedeutung, da es
in der Arbeit um den Stellenwert der Berufsorientierung geht. Dieser Stellenwert kann dem-
nach nur im Hinblick auf Alternativen herausgestellt werden. In Bezug auf das Thema der
Arbeit wird der Akteur Schule eingehender behandelt. Auch die Betriebe, die sich im dualen
Ausbildungssystem befinden, werden näher betrachtet. Die weiteren Akteure werden ledig-
lich oberflächlich dargestellt.
2.3.1 Die drei Hauptgruppen von Akteuren nach Kayser
Im Folgenden wird sich auf die drei Hauptgruppen beschränkt, die Kayser (2013) in seiner
Dissertation herausgearbeitet hat (siehe Abbildung 2). Hierbei geht es um diejenigen Akteu-
re, die für Schule überhaupt potenzielle Ansprechpartner darstellen. Er kategorisiert diese in
gesetzlich zur Berufsorientierung verpflichtete, in systembedingt involvierte und in persön-
lich betroffene Akteure (vgl. S. 20; 25-26).

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Abbildung 2: die drei Hauptgruppen nach Kayser (Kayser, 2013, S. 27)
2.3.1.1 Akteure, die gesetzlich verpflichtet sind
Insbesondere die Schule als konstanter Akteur im Leben von Jugendlichen besitzt den Auf-
trag zur Berufsorientierung. Allerdings ist Schule durch Zeit- und Personalmangel nicht in der
Lage, diesen Auftrag ausreichend auszuführen (vgl. Kayser, 2013, S. 20­21). Deswegen ist ihr
die Agentur für Arbeit zur Seite gestellt. Diese übernimmt den Auftrag die Schüler beruflich
zu beraten. Dies ist gesetzlich geregelt und geht aus dem § 33 SGB III hervor. Dazu gehören
Schulbesprechungen, Informations- und Vortragsveranstaltungen sowie Workshops zu Be-
rufswahlthemen, Medienangebote und Selbsterkundungsangebote im Internet
6
(vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung
7
, 2014, S. 72). Die Jugendhilfe ist stark
eingebunden, wenn es darum geht, Jugendliche mit stärkerem Förderbedarf in ihrem beruf-
lichen Übergang zu unterstützen. Individuelle Maßnahmen, Seminare und Kompetenzfest-
stellungsverfahren sind häufig Angebote der Jugendhilfen (vgl. Kayser, 2013, S. 25).
2.3.1.2 Akteure, die systembedingt involviert sind
Akteure wie Betriebe, Stiftungen, soziale Träger oder Hochschulen, haben keine Verpflich-
tung, die Berufsorientierung für Jugendliche mitzugestalten. Jedoch sind diese systembe-
dingt involviert, da die Betriebe und Hochschulen eigenes Interesse daran haben, qualifizier-
ten Nachwuchs zu akquirieren. Die Stiftungen und sozialen Träger sind in der Berufsorientie-
6
z. B. planet-beruf, Berufe.TV, BERUF AKTUELL, Studien- und Berufswahl, BERUFENET
7
Im weiteren Verlauf wird das Akronym BMBF verwendet

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783956365584
ISBN (Paperback)
9783956369025
Dateigröße
709 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Paderborn – Erziehungswissenschaft
Erscheinungsdatum
2015 (September)
Note
1,3
Schlagworte
Berufsorientierung Schule Jugendliche Analyse Ausbildungssystem schulische Berufsorientierung Berufswahl Berufswahltheorien Qualitative Studie Schüler Auszubildende
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Titel: Der Stellenwert der schulischen Berufsorientierung
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