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Akteursnetzwerke in Kombination von synthetischem und analytischem Wissen

am Beispiel neuer Antriebstechnologien in der Automobilindustrie

©2015 Diplomarbeit 125 Seiten

Zusammenfassung

Diese Arbeit widmet sich den Strukturen von ökonomischen Akteuren bei der Kombination von unterschiedlichen Wissensbasen. Gerade bei besonders innovativen Hightechindustrien stammen die Kooperationspartner oftmals nicht aus der gleichen Branche und weisen andere Wissensbasen auf. Motor für die Kooperationsbereitschaft beider Beteiligter ist dabei die sich stets wandelnde globale Wertschöpfungskette (Strambach & Klement 2012).
Strambach und Klement (2012) haben eine dichotome Unterteilung von Wissensdynamiken vorgenommen. Sie unterteilen dabei in kumulative und kombinatorische Wissensdynamiken und arbeiten verschiedene Merkmale der Wissensdynamiken heraus. Zum Beispiel betonen sie dabei, dass bei der Kombination von unterschiedlichen Wissensbasen der Überbrückung von Interaktionsprozessen eine hohe Bedeutung zukommt. In ihren Ausführungen bleiben allerdings mehrere Fragen ungeklärt. Zwar haben sie in ihrer Studie (Strambach & Klement 2013) anhand von qualitativer Forschungsmethoden versucht, einige der erklärende Faktoren aufzuzeigen, doch bleibt zu untersuchen, ob die offenen Fragen und ihre Ergebnisse auch in einer quantitativen Studie beantwortet bzw. bestätigt werden. Die Forschungsfragen sollen hierbei sein: Welche Unterschiede gibt es zwischen den kumulativen und kombinatorischen Wissensdynamiken? Inwieweit können bei einer kombinatorischen Wissensdynamik verschiedene Nähe-Formen Interaktionsprozesse überbrücken? Welche Gewichtung kommt hierbei den verschiedenen Faktoren zu?
Diese Fragen sollen mithilfe einer logistischen Regression in der Studie beantwortet werden. Hierbei sollen die Unterschiede zwischen kumulativen und kombinatorischen Wissensdynamiken verdeutlicht werden. Diese Studie erwartet eine deutliche Unterscheidung der Gewichtung der Nähe Formen hinsichtlich der beiden Wissensdynamiken. So wird in dieser Untersuchung ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, inwieweit die kognitive Distanz der kombinatorischen Wissensdynamiken durch räumliche, institutionelle oder organisatorische Nähe kompensiert wird; darüber hinaus, welche Akteurs-Typen (etwa multinationale Unternehmen oder Universitäten) bei den Kooperationen als Partner in Erscheinung treten. Anhand des Automobilsektors hinsichtlich neuer Antriebstechnologien wird ein innovatives Feld gewählt, bei dem eine Kombinatorik der Wissensbasen von synthetischem und analytischem Wissen untersucht werden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


II
5.1 Deskriptive Analysen der Patentdaten ... 62
5.1.1 Anmelder der Patente ... 62
5.1.2 Erfinder ... 66
5.1.3 Analyse der Nähe-Formen ... 69
5.1.4 Die Wissensdynamiken der Patendaten ... 71
5.1.5 Zeitliche Betrachtung der Daten ... 72
5.2 Schließende Analyse der Daten ... 74
5.2.1 Rechnung mit vollständigem Datensatz ... 74
5.2.2 Rechnung mit reduziertem Datensatz ... 75
6. Interpretation der Empirie ... 78
6.1 Diskussion der Ergebnisse ... 78
6.2 Potentielle Fehlerquellen der Erhebung ... 80
7. Fazit ... 84
Anhang: ... 89
Literaturverzeichnis: ... 113

III
Abkürzungsverzeichnis
BIP
Bruttoinlandsprodukt
BMW
Bayerische
Motoren
Werke
BRICS
Brasilien, Russland, Indien, VR China, Südafrika
DPMA
Deutsche
Patent-
und
Markenamt
EPO
European Patent Office (Europäisches Patentamt)
EU
Europäische
Union
FCA
Fiat
Chrysler
Automobiles
FCV
Fuel Cell Vehicle (Fahrzeug mit Brennstoffzellen
Verbrennungsmotor)
FEV
Full Electric Vehicle (Fahrzeug mit reinem Elektromotor)
FPO
Free
Patents
Online
GM
General
Motors
HEV
Hybrid Electric Vehicle (Fahrzeug mit Hybridantrieb)
IPC
International Patent Classification (Internationale
Patentklassifikation)
JPO
Japan Patent Office (Japanisches Patentamt)
MSA
Metropolitan Statistical Area
NUTS
Nomenclature des unités territoriales statistiques (Einteilung der
räumlichen Bezugseinheiten für die Statistik der EU)
OEM
Original Equipment Manufacturer (Erstausrüster)
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
PCT
The Patent Cooperation Treaty (Vertrag über die Internationale
Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens)
PHEV
Plug-in Hybrid Electric Vehicle (Plug-in Hybridfahrzeug)
PSA PSA
Peugeot
Citroën
SUV
Sport Utility Vehicle (Sport- und Nutzfahrzeug)
UN
United Nations (Vereinte Nationen)
USTPO
United States Patent and Trademark Office (Amerikanisches
Patent- und Markenamt)
USA
United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika)
VR China
Volksrepublik China

IV
VW Volkswagen
WIPO
World Intellectual Property Organization (Patentamt der UN)
WTO
World Trade Organization (Welthandelsorganisation)

1
1. Einleitung und Forschungsüberblick
Bei allen Streitpunkten in der interdisziplinären Innovationsforschung gilt es als Fakt,
dass der Schlüssel für internationalen Wettbewerb und einen erhöhten Standortvor-
teil der Innovation zugesprochen wird. Innovation bildet auf der individual- oder kol-
lektiven Ebene das Fundament für wirtschaftlichen Erfolg in einer zunehmend wirt-
schaftlich komplexen und verbundenen Welt. Durch den schnellen technologischen
Fortschritt wird die Forschung an Innovation in unserer modernen, globalisierten Welt
immer wichtiger (Asheim und Coenen 2004). Um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stär-
ken und wirtschaftlich erfolgreich zu sein, sind die ökonomischen Akteure sehr stark
an einer Steigerung der Innovationskraft interessiert. Damit die Akteure ihre Innovati-
onskapazitäten erhöhen können, müssen die vorhandenen Ressourcen effektiv ein-
gesetzt und die richtigen Unternehmensentscheidungen getroffen werden. Dabei ist
die steigende Bedeutung von Innovation mit der wachsenden Notwendigkeit von
Wissensverknüpfung verbunden. Das notwendige Wissen zum Aufbau von neuen
Innovationskapazitäten wird in unserer internationalen Gesellschaft aufgrund ihrer
komplexen Struktur und Spezialisierung aufgebaut. Obwohl der Informationsfluss
durch neue Kommunikationstechnologien erhöht und eine zunehmende Internationa-
lisierung beobachtet werden kann, ist Wissen jedoch nicht homogen über den Raum
verteilt (Strambach & Klement 2012) und nicht für alle Akteure frei verfügbar (Asheim
& Gertler 2005). Trotz globaler ökonomischer Aktivitäten werden die räumlichen Dis-
paritäten zwischen den Nationen eher verstärkt. Um dies zu verstehen, ist die Unter-
scheidung zwischen Internationalisierung und Globalisierung wichtig. Bei einer Inter-
nationalisierung werden die Märkte anderer Nationen erschlossen, aber es findet nur
ein beschränkter Wissensaustausch statt. Bei der Globalisierung werden beide Län-
der funktional in die ökonomischen Aktivitäten integriert (Sturgeon & Florida 2000).
In der Innovationsforschung stehen daher oft die Wissensgenerierung und der Wis-
sensaustausch im Fokus. In Wissensgesellschaften werden Netzwerke und Kommu-
nikation für die Wissensgenerierung benötigt, da Innovation aus der Kombination von
vorhandenem Wissen resultiert. Diese Netzwerke und ihre Akteure sind wiederum
von der starken Wissensproduktion und der Reproduktionsfähigkeiten geprägt, wel-
che durch den öffentlichen Lernraum und Informationstechnologien unterstützt wer-
den. Ein besonderes Augenmerk kommt dabei den Kooperationen zwischen zwei

2
ökonomischen Akteuren zu, da man hier messbar eine Neukombination von Wissen
ausmachen kann.
Innovationen stammen aus der Kreativität, Wissen des Innovators und der Empirie,
werden jedoch meist nicht isoliert durchgeführt, sodass Innovation auch immer als
sozialer Prozess gesehen werden kann (Vodden 2013). Durch den benötigten Wis-
sensaustausch und der Erweiterung der Wissenskapazitäten sind Kooperationen von
Akteuren eine effektive Methode, um neues Wissen zu erschließen. Dabei ist es in
der Forschung unumstritten, dass eine Nähe zu einem anderen Akteur einen erhebli-
chen Vorteil zum Innovieren verschafft. In der Innovationsforschung spielte seit Be-
ginn der 1990er Jahre die räumliche Dimension in verschiedenen Konzepten eine
zentrale Rolle. In den Theorien der nationalen und regionalen Innovationssysteme,
der Clustertheorie, den innovativen Milieus und industriellen Distrikten steht der terri-
toriale Aspekt im Vordergrund. Räumliche Nähe und Agglomeration werden in den
Theorien als Vorteil zur Steigerung der Innovationskapazität aufgefasst (Gust-Bardon
2012). Jedoch wurde von Bathelt et al. (2004) festgestellt, dass lockere externe
Netzwerkverbindungen mit globaler Dimension ebenfalls einen Wettbewerbsvorteil
bieten. So profitieren Unternehmen nicht nur von ihrer lokalen Umgebung und dem
inspirierenden Umfeld der lokalen innovativen Unternehmen, sondern auch von glo-
balen Wissensverbindungen in ihren Netzwerken. Durch die globalen Verbindungen,
sogenannte global pipelines, ist es ihnen möglich, auf externe Wissenskapazitäten
zurückzugreifen (Bathelt et al. 2004). Des Weiteren muss sich jedes Unternehmen
hinsichtlich seiner Basis einem ökonomischen, globalen Wettbewerb aussetzen. Es
müssen einzigartige Kompetenzen und Ressourcen aufgebaut und dadurch nachhal-
tig Wettbewerbsfähigkeiten gestärkt werden. Daher werden häufig lokale und weiter
entfernte Netzwerke für erfolgreiche Kooperationsprojekte benötigt. Während des
Innovationsprozess ist ein interaktiver Lernprozess zwischen den beiden Akteuren
vorhanden. Dieser wird in die sozialen und territorialen Gegebenheiten eingebettet
und sowohl kulturell als auch institutionell gerahmt (Asheim & Coen 2004).
So lässt sich aus diesen theoretischen Ansätzen kein klarer Zusammenhang hinsicht-
lich der Bedeutung von räumlicher Nähe im Aufbau von Wissenskapazitäten erken-
nen. Es scheint ungeklärt, welchen Stellenwert der Faktor der geografischen bzw.
räumlichen Nähe im Innovationsprozess einnimmt. So unterlag die Bedeutung des
Faktors der räumlichen Nähe im Forschungsdiskurs durchaus Kritik. Andere Einfluss-
faktoren werden angeführt und als bedeutender betrachtet; der räumlichen Nähe wird

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lediglich eine unterstützende Funktion zugesprochen (Bunnell & Coe 2001). Bunnell
& Coe (2001) stellen heraus, dass die Abgrenzung der räumlichen Dimensionen in
lokal, regional, national und global hinsichtlich ihrer Komplexität den Innovationspro-
zessen nicht gerecht werden und dass die Individuen und Unternehmen innerhalb
der Innovationsprozesse ihre Aktionen auf verschiedenen räumlichen Ebenen durch-
führen, darüber hinaus auch andere soziale und institutionelle Faktoren eine erhebli-
che Rolle spielen. Eine genauere Klassifikation unterschiedlicher Nähe-Formen und
der Einfluss auf die Innovationsprozesse bleiben bei Bunnell und Coe (2001) jedoch
unscharf. In der Forschung wird diese Klassifikation durch den Proximity-Ansatz von
Boschma (2005) geleitet, in dem die Rolle von anderen Nähe-Formen auf den Inno-
vationsprozess klassifiziert und diskutiert wird. Boschma (2005) argumentiert, dass
die Gründe hinsichtlich einer Kooperation von Unternehmen nicht allein durch räumli-
che Faktoren bedingt werden, sondern zusätzlich durch kognitive, organisatorische,
soziale und institutionelle Nähe-Formen beeinflusst werden. Außerdem wird die Hete-
rogenität der Wissensbasen beider Kooperationspartner als Vorteil betrachtet, da
dadurch neues Wissen und neue Strukturen von dem anderen Partner erlernt wer-
den können. Jedoch muss eine gewisse Nähe zu dem Kooperationspartner gegeben
sein, sodass ein paradoxes Verhältnis von Nähe und Distanz auftritt. Einerseits müs-
sen neue Ansätze vorhanden sein und anderseits dürfen diese nicht so verschieden
sein, dass die Akteure zu weit voneinander entfernt sind. Hierbei können Nähe-
Formen als Bindeglieder bei Kooperationen fungieren, sodass zum Beispiel eine
räumliche Trennung durch andere Nähe-Formen kompensiert werden kann (Mattes
2012). Inwieweit diese dabei die räumliche Nähe komplett ersetzen können und in-
wiefern diese durch räumliche Nähe bedingt werden, bleibt umstritten (Hansen
2014).
Diese Arbeit widmet sich den Strukturen von ökonomischen Akteuren bei der Kombi-
nation von unterschiedlichen Wissensbasen. Unternehmen sind im globalen Wettbe-
werb darauf angewiesen, ihre Wissenskapazitäten zu erweitern, jedoch sind die Wis-
senskapazitäten innerhalb einer Region oder eines Nationalstaates oftmals nicht
ausreichend. Hieraus resultieren, wie bereits erwähnt, globale Akteurs-Netzwerke
von kooperierenden Unternehmen hinsichtlich ihrer Forschung und Entwicklung. Ge-
rade bei besonders innovativen Hightechindustrien stammen die Kooperations-
partner oftmals nicht aus der gleichen Branche und weisen andere Wissensbasen

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auf. Motor für die Kooperationsbereitschaft beider Beteiligter ist dabei die sich stets
wandelnde globale Wertschöpfungskette (Strambach & Klement 2012).
Wie bereits erwähnt, ist es in der Forschung anerkannt, dass durch die Einbeziehung
eines Kooperationspartners einerseits neues Wissen erschlossen und anderseits
eine zu starke Heterogenität gemieden werden soll. Durch die Kombination von un-
terschiedlichen Wissensbasen ist also davon auszugehen, dass eine Heterogenität
hinsichtlich der kognitiven Nähe gegeben ist. Unterschiedliche Arbeitsweisen und ein
anderer Wissensstand können hierbei die Kooperation erheblich erschweren, weil
verschiedene Wissensbasen eigene Innovationslogiken, Innovationsprozesse, Wis-
sensströme und Interaktionen verfolgen (Aslesen 2009). Die Unternehmen unterlie-
gen also einem Spannungsfeld zwischen kognitiver Nähe und Distanz (Mattes 2012).
Strambach und Klement (2012) haben eine dichotome Unterteilung von Wissensdy-
namiken vorgenommen. Sie unterteilen dabei in kumulative und kombinatorische
Wissensdynamiken und arbeiten verschiedene Merkmale der Wissensdynamiken
heraus. Zum Beispiel betonen sie dabei, dass bei der Kombination von unterschiedli-
chen Wissensbasen der Überbrückung von Interaktionsprozessen eine hohe Bedeu-
tung zukommt. In ihren Ausführungen bleiben allerdings mehrere Fragen ungeklärt.
Zwar haben sie in ihrer Studie (Strambach & Klement 2013) anhand von qualitativer
Forschungsmethoden versucht, einige der erklärende Faktoren aufzuzeigen, doch
bleibt zu untersuchen, ob die offenen Fragen und ihre Ergebnisse auch in einer
quantitativen Studie beantwortet bzw. bestätigt werden. Die Forschungsfragen sollen
hierbei sein: Welche Unterschiede gibt es zwischen den kumulativen und kombinato-
rischen Wissensdynamiken? Inwieweit können bei einer kombinatorischen Wis-
sensdynamik verschiedene Nähe-Formen Interaktionsprozesse überbrücken? Wel-
che Gewichtung kommt hierbei den verschiedenen Faktoren zu?
Diese Fragen sollen mithilfe einer logistischen Regression in der Studie beantwortet
werden. Hierbei sollen die Unterschiede zwischen kumulativen und kombinatorischen
Wissensdynamiken verdeutlicht werden. Diese Studie erwartet eine deutliche Unter-
scheidung der Gewichtung der Nähe Formen hinsichtlich der beiden Wissensdyna-
miken. So wird in dieser Untersuchung ein besonderes Augenmerk darauf gelegt,
inwieweit die kognitive Distanz der kombinatorischen Wissensdynamiken durch
räumliche, institutionelle oder organisatorische Nähe kompensiert wird; darüber hin-
aus, welche Akteurs-Typen (etwa multinationale Unternehmen oder Universitäten) bei
den Kooperationen als Partner in Erscheinung treten.

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Anhand des Automobilsektors hinsichtlich neuer Antriebstechnologien wird ein inno-
vatives Feld gewählt, bei dem eine Kombinatorik der Wissensbasen von syntheti-
schem und analytischem Wissen auftritt. Durch die sich absehbar erschöpfenden
Ölressourcen kann das Ende des herkömmlichen Verbrennungsmotors prognostiziert
werden. Hieraus ergibt sich ein Innovationsdruck für die Erforschung von neuen al-
ternativen Antriebssystemen, sodass sich der Sektor Automobilindustrie derzeit in
einer Transitionsphase befindet. Die Bedeutung der Technologie wird dadurch deut-
lich, dass sich die Unternehmen mit einer durchsetzungsfähigen Technologie neu auf
dem Weltmarkt platzieren können (Mazur 2012). Da es sich hierbei um ein sehr jun-
ges Technologiefeld handelt, müssen aktuelle Grundlagenforschungen mit bereits
bekannten Ingenieurstechniken verbunden werden. Die Heterogenität in der Arbeits-
weise der beiden Wissensbasen erzeugt dabei zusätzliche Problematiken hinsichtlich
der Kommunikation und der Arbeitsprozesse innerhalb des Innovationsprozesses.
Hinsichtlich dieser Heterogenität der Wissensbasen werden Muster in dem Koopera-
tionsverhalten der Akteure im internationalen Raum aufgezeigt.
Neben der Frage, welche Rolle die organisatorische, institutionelle und räumliche
Nähe in Akteurs-Netzwerke der Automobilindustrie bei alternativen Antriebssystemen
spielt, wird außerdem die zeitliche Entwicklung der Prozesse näher betrachtet. Denn
mit Hilfe des technologischen Fortschritts und der Verbesserung der globalen Lern-
prozesse könnte es der globalen Ökonomie zunehmend gelingen, neue räumliche
Distanzen abzubauen.
Diese Arbeit gliedert sich in weitere sechs Kapitel. Das folgende Kapitel 2 soll dazu
dienen, die theoretischen Hintergründe der Forschungsfrage zu erläutern. Darüber
hinaus liefert dieser theoretische Hintergrund ein besseres Verständnis für die Fall-
analyse und die Untersuchungsergebnisse. Mit Hilfe des Proximity- und des Wis-
sensbasis-Diskurses soll ein Fundament für die Einbeziehung verschiedener potenti-
eller Variablen und Untersuchungskriterien gebildet werden. Darüber hinaus wird mit
Hilfe der Theorien eine Verortung des Fallbeispiels in den jeweiligen Diskurs vorge-
nommen. Im dritten Kapitel werden die Herkunft der zu untersuchenden Daten, die
Datenerhebung und die durchgeführten Methodiken näher betrachtet. Hierbei wird
erläutert, inwieweit die Auswahl der Datenquelle erfolgte und mit welchen Techniken
die Daten erhoben wurden. Außerdem wird sowohl auf die Problematiken bei der Da-
tenerhebung als auch auf die Repräsentativität der Datenanalyse eingegangen. Zu-

6
dem werden die neu erschlossenen Variablen vorgestellt und in ihrem Ursprung
transparent gemacht. Des Weiteren werden die angewandten statistischen Methoden
mit ihren geprüften Voraussetzungen näher beschrieben. Im darauffolgenden Kapitel
4 wird das Fallbeispiel der alternativen Antriebssysteme in der Automobilindustrie
näher beleuchtet. Hierbei werden die komplexen Strukturen und besonderen charak-
teristischen Prozesse und Merkmale des Automobilsektors erläutert, da die Untersu-
chung der Daten von bestimmten sektoralen Bedingungen im Innovationsprozess
geprägt ist. Wie bei allen sektoralen Untersuchungen sind die Bedingungen und die
Einflussfaktoren auf den Innovationsprozess branchenabhängig und können nicht
ohne Weiteres auf andere Branchen übertragen werden (Malerba 2005). Weiterhin
sollen die Grundlagen für die Entstehung und Verbreitung der alternativen Antriebs-
systeme vermittelt werden. Im fünften Kapitel wird eine ausführliche deskriptive Be-
schreibung der Daten vorgenommen und darauf folgend findet die Beschreibung der
logistischen Datenanalyse statt. In Kapitel 6 werden mit Hilfe der zuvor vorgestellten
statistischen Mittel und des Theorieteils Ergebnisse der Arbeit präsentiert. Im letzten
Kapitel der Arbeit sollen dann die Endergebnisse final zusammengefasst werden,
weitere Forschungsfelder aufgezeigt und ein möglichen Ausblick hinsichtlich der
Entwicklung des Problemfeldes präsentiert werden.

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2. Innovationsprozesse und Wissensdynamiken
Um die folgenden Abschnitte und das Ergebnis vollständig erschließen zu können,
müssen die theoretischen Hintergründe hinsichtlich der Innovationsprozesse und
dem Kooperationsverhalten der Akteure näher beleuchtet werden. In diesem Teil der
Arbeit werden eine Auffassung des Begriffs der Innovation und mögliche Erklärungs-
ansätze geboten. Als erstes wird sich der Bedeutung von Wissen und Innovation ge-
widmet. Hierbei werden sowohl die Unterteilung von Wissen in kodifiziertes und im-
plizites erläutert, als auch auf bestimmte Formen des Lernens näher eingegangen.
Diese Formen spielen bei dem Wissensaustausch von interagierenden Akteuren eine
große Rolle und sind in den verschiedenen Wissensbasen von unterschiedlicher Be-
deutung. Die von Strambach und Klement (2012) vertiefte dichotome Unterteilung in
kumulative und kombinatorische Wissensdynamiken soll über den Innovationspro-
zess, die Wissensgenerierung, den Wandel und die Verbreitung von Wissen Auf-
schluss bieten und stellt die zentrale Theorie der Arbeit dar, da die Forschungsfragen
auf diese ausgerichtet sind.
Anhand des SAS-Modells von Asheim (2007) werden die unterschiedlichen Merkma-
le und Arbeitsweisen der Innovationsprozesse in den verschiedenen Wissensbasen
aufgezeigt. In dem darauffolgenden Kapitel wird mit Boschmas (2005) Unterteilung
der Nähe-Formen ein Theoriekonstrukt beleuchtet. Die unterschiedlichen Typen der
Wissensbasen besitzen dabei jeweils andere Ansprüche an Nähe, da sich ihre Ar-
beitsformen, -organisationen und Innovationsprozesse voneinander unterscheiden.
2.1. Formen und Bedeutung des Wissens und des Lernens
Der Erfolg von bestimmten Regionen in den OECD- und BRICS-Staaten hängt maß-
geblich von Innovation und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Erfolg ab (Ash-
eim & Coenen 2004). So ist nach Cooke et al. (2003) Innovation als Transformation
von Wissen in neue, Wohlstand schaffende Technologien, Produkte und Dienstleis-
tungen zu sehen ­ erzielt durch die Prozesse des Lernens und Suchens. Damit ist
der Prozess der Innovation klar von der Invention abgegrenzt. Denn, während es sich
bei einer Invention um das erste Erscheinen der Idee eines Prozesses oder eines
Produktes handelt, beinhaltet der Begriff Innovation die Umsetzung des Produktes
oder Prozesses. Damit spiegelt die Innovation einen weitaus komplexeren Prozess

8
wider und muss nicht unbedingt eine globale Neuheit sein (Fagerberg 2005). Obwohl
durch moderne Kommunikationstechnologien Wissen global zugänglicher geworden
ist, scheint dieses im Raum dennoch heterogen verteilt zu sein. Die Konzentration
von Wissen nimmt dabei im Laufe der Zeit merkbar zu und ist vor allem in Agglome-
rationen der Industriestaaten zu finden (Florida 2005). Dies deutet daraufhin, dass
manches Wissen erstens nicht einfach kodifizierbar ist und zweitens die Wissens-
vermittlung ebenfalls eine Rolle spielt (Asheim & Gertler 2005). So wird angenom-
men, dass die geographische Lage einen Einfluss sowohl auf die Wissensvermittlung
als auch auf die Erweiterung bzw. den Aufbau von Wissenskapazitäten besitzt (How-
ell 2001). Diese Annahme geht auf die dichotome Unterteilung von explizitem und
implizitem Wissen zurück: Explizites Wissen beschreibt Wissen, welches in Wörtern
und Zahlen niedergeschrieben werden kann. Es handelt sich dabei meist um techni-
sche beziehungsweise akademische Informationen, Patente, mathematische Aus-
drücke oder einfache Gebrauchsanleitungen. Das Wissen kann durch den Zugang
von Kommunikationsmittel wie Büchern oder elektronischen Medien erschlossen
werden, setzt hierbei aber zumeist ein allgemeines Vorwissen, das know-why, durch
technische oder akademische Bildung voraus. Arbeitsprozesse, die aus explizitem
Wissen gewonnen werden, sind meist routiniert, basieren auf Fakten und sind oft-
mals linear. Man kann hier von einem know-what sprechen (Lundvall & Johnson
1994).
Der Vorteil von explizitem Wissen ist, dass es durch die mediale Verfügbarkeit wie-
derholbar abrufbar ist und für viele Personen gleichzeitig zur Verfügung steht. Ein
gemeinsamer, geteilter Datenpool innerhalb eines Unternehmens wäre ein Beispiel
für explizites Wissen (Smith 2001). Durch die mediale Verfügbarkeit erscheint kodifi-
ziertes Wissen als omnipräsent und mit niedrigem Kostenaufwand verfügbar (Fujita
et al. 1999). Doch sind die Entdeckung, die Beschaffung und die Rezeption des Wis-
sens für die lernenden Akteure mit Entscheidungen, Interpretationen und Kosten zur
organisatorischen Integration verbunden (Bathelt et al. 2004).
Implizites Wissen ist an Individuen gebunden und kann daher nur schwer vermittelt
werden (Sanchez 2004). Es wird daher auch als Wissen beschrieben, für das man
keine Worte besitzt (Smith 2001). Des Weiteren hat dies zur Folge, dass die Fähig-
keiten an Personen gebunden sind und deren lokaler Aufenthaltsort für den Abruf des
Talents benötigt wird (Florida 2004). Es beschreibt Wissen, dass aus Erfahrungen in
der Praxis und der Sozialisation gewonnen wurde. Technisches und kognitives, impli-

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zites Wissen beruht auf Intuition, Schätzungen, Wertvorstellungen und Wahrneh-
mungen. Arbeitsprozesse ­ basierend auf implizitem Wissen ­ sind meist sehr krea-
tiv, spontan und intuitiv. Es werden Arbeitskompetenzen aufgebaut, die dem Begriff
des know-how entsprechen (Lundvall & Johnson 1994). Da die Wissensquellen
durchweg subjektiv gefärbt sind, kann implizites Wissen auch nur sehr schwer und
mit vielen Kosten verbunden kodifiziert werden (Lam 1998). Daher kann das implizite
Wissen durch Gespräche sehr viel besser als durch Printmedien vermittelt und aus-
gedrückt werden. So wird das Wissen am besten durch face to face-Kontakte vermit-
telt, etwa informelle Gespräche oder gemeinsames, lokales, interaktives Zusammen-
arbeiten. Dabei ist es förderlich, wenn sich beide Seiten kreativ in einer offenen Um-
gebung frei austauschen können (Smith 2001). In der Literatur wird ebenfalls disku-
tiert, inwieweit die geographische Distanz mit Hilfe von elektronischen Kommunikati-
onsmitteln überwunden werden kann (Hansen et al 1999), allerdings ist dieser Punkt
bis heute umstritten (Bardon 2012).
Wie bereits erwähnt, haben beide Wissensformen unterschiedliche Wissensquellen,
sodass der Wissensaustausch ebenfalls sehr unterschiedlich ausfällt: Das Aneignen
von explizitem Wissen kann durch Informationskanäle oder Bildung vermittelt werden
und durchaus auch isoliert stattfinden. Dennoch erfordert der Austausch von Wissen
immer eine Intention zu interagieren, zu lernen, zu teilen und Informationen zu ab-
sorbieren (Mattes 2012). Die Aneignung von implizitem Wissen ist stark von sozialen
Faktoren und institutionellen Rahmenbedingungen abhängig. Daher findet die Ver-
mittlung von Wissen durch das gemeinsame Lernen, dem learning by interacting,
statt oder muss durch Erfahrungen während der Arbeitsprozesse mit Hilfe von learn-
ing by doing erschlossen werden. Da in einer Region die gleichen institutionellen
Rahmungen gegeben und diverse soziale Netzwerke stärker ausgeprägt sind, kann
bei hohem Sozialkapital implizites Wissen leichter ausgetauscht werden (Vodden
2013). Durch die vorhandenen sozialen Verbindungen und die gemeinsame geogra-
phische Nähe kann der local buzz wahrgenommen und implizites Wissen informell
ausgetauscht werden (Bathelt et al. 2004).
Durch die Komplexität und die Diversifikation von Wissen müssen Unternehmen Zu-
griff auf diverse Wissensinputs aufweisen. Hierdurch ergeben sich verstärkt Koopera-
tionen zwischen den verschiedenen Akteuren (Unternehmen, Universitäten, For-
schungseinrichtungen und anderen Organisationen). Dabei reicht das erlangte Wis-
sen für zukünftige Innovationsprozesse jedoch nicht aus, denn mit zunehmendem

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technischem Fortschritt und Änderung der Marktbedingungen veraltet dieses Wissen.
Der rasant wachsende gesellschaftliche und technische Fortschritt erzeugt einen In-
novationsdruck auf die Unternehmen, weil diese nur mit der nötigen Innovationskraft
sich auch weiterhin in der globalen Ökonomie behaupten können. Ein stetiges Ler-
nen der Unternehmen und deren Personals ist hierfür erforderlich. Dabei ist es wich-
tig, dass die an einem Innovationsprozess beteiligten Personen voneinander lernen
und Transformation sowie Austausch von explizitem zu implizitem Wissen stattfinden
(Lundvall 2007). Die Wissensgenerierung ist als ein dynamischer Prozess, Transfor-
mation von implizitem und explizitem Wissen durch Interaktion von den Unternehmen
und Angestellten zu verstehen (Asheim et al. 2005). Dabei scheint es, als wäre die
wichtigste Basis für den Aufbau der Innovationskraft das implizite Wissen (Asheim &
Gertler 2005), doch ist die Gewichtung des Mixes von explizitem und implizitem Wis-
sen von der jeweiligen Wissensbasis abhängig (Asheim et al. 2011).
2.2 Kumulative und kombinatorische Wissensdynamiken
Im Wandel der globalen Ökonomie sind Akteure immer stärker zu Innovationen ge-
zwungen, da sie sich einer multidimensionalen Wettbewerbsebene aussetzen und
auf dieser etablieren müssen. Oft reicht ihr eigenes Wissen dafür nicht aus, sodass
externen Wissensquellen immer mehr Bedeutung zukommt. Mehr Zusammenarbei-
ten von verschiedenen Akteuren ermöglichen hierbei oft neue Perspektiven und neu-
es erforderliches Wissen für Innovationen. Diese Entwicklung ergibt sich vor allem
aus drei Gründen: Erstens muss durch die globale Ökonomie und aktuelle gesell-
schaftliche Trends bei vielen Innovationsprozesse Wissen aus unterschiedlichen
Wissensbasen erschlossen werden. Daher wird z. B. in traditionellen Branchen mit
stark ausgeprägten synthetischen Wissensbasen, etwa der Automobilindustrie, Wis-
sen aus anderen technologischen Bereichen immer wichtiger. So spielt beispielswei-
se symbolisches Wissen bei ethischen (z. B. ein steigendes Umweltbewusstsein)
oder bei gesellschaftlichen Trends (wie der Ästhetik des Produktes) eine Rolle (Cre-
voisier & Jeannerat 2009). Die Kombination mit analytischem Wissen kann bei der
Erforschung neuer Antriebstechnologien oder neuer Materialen ebenfalls von Rele-
vanz sein (Mattes 2012). Zweitens lassen sich viele moderne Technologien wie das
Internet oder andere Informationstechnologien in andere Technologien integrieren
und eröffnen durch ihre Erweiterung neue Möglichkeiten. Ihr Einbeziehen erweist

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sich dabei als äußerst modular und flexibel und bietet eine große Bandbreite von Op-
tionen (Crevoisier & Jeannerat 2009). Drittens sind durch moderne Informations- und
Kommunikationstechnologien, der untergeordneten Rolle von Transportkosten und
politischen sowie institutionellen Organisationen (z. B. WTO oder die EU) die Verfüg-
barkeit von Informationen und deren Austausch erheblich erleichtert worden. Hieraus
resultiert, dass die räumliche Nähe zunehmend in ihrer Bedeutung reduziert werden
kann (Crevoisier & Jeannerat 2009).
Die Theorie der Wissensdynamiken (Crevoisier & Jeannerat 2009; Strambach &
Klement 2012; Strambach & Klement 2013; Strambach 2013) bietet einen Erklä-
rungsansatz für diese aktuellen Entwicklungen. Als Wissensdynamik wird dabei der
Interaktionsprozess der Wissenserzeugung, des Gebrauchs, der Transformation und
der Wissensverbreitung angesehen (Strambach 2013), sodass die zeitliche Dimensi-
on des Innovationsprozesses ebenfalls eingebunden wird. Anstatt die Innovation als
statisches Ergebnis zu betrachten, wird eine dynamische Perspektive eingenommen
(Strambach & Klement 2012). Es wird davon ausgegangen, dass die Akteure in un-
terschiedlichen institutionellen Rahmungen, organisatorischen und sektoralen Kon-
texten eingebunden sind und von diesen geprägt werden. Wissen ist stark in kom-
plexen sozialen Strukturen auf der Mikro- (intersoziale Verbindungen) und Makro-
ebene (institutionelle Rahmung) eingebettet; diese bieten neben der geographischen
Nähe einen unterstützenden Einfluss auf Lerneffekte.
Um eine genauere Unterscheidung der Wissensdynamiken vorzunehmen, wird die
dichotome Klassifikation in kumulative und kombinatorische Wissensdynamiken von
Strambach & Klement (2012) vertieft. Beide Wissensdynamiken werden durch drei
Faktoren maßgeblich bestimmt: Erstens durch die spezifische Wissensbasis der Ak-
teure, zweitens durch ihre Kompetenzen und Kapazitäten und drittens durch die terri-
toriale Dimension ­ also durch die verschiedenen Kontexte, in denen sich die Akteu-
re befinden (Strambach & Klement 2013).
Die Kumulativität des Wissens bezieht sich dabei auf den Grad des neu generierten
Wissens, der aus bereits vorhandenem und existierendem Wissen besteht (Stram-
bach & Klement 2012). Daher kommt der Neukombination von vorhandenem Wissen
bei der Wissensgenerierung eine große Rolle zu (s. Tab 2). Durch die Verwendung
von kumulativen Lernprozessen ist die Neukombination jedoch limitiert (Strambach
2013), sodass für radikale Innovationen oft andere Wissensbasen für den Lernpro-
zess erforderlich sind (Crevoisier & Jeannerat 2009). Die kumulativen Wissensdyna-

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miken sind durch den institutionellen Wandel geprägt. Durch die Einbettung in die
Institutionen wird eine erste Vertrauensbasis geschaffen, sodass während der Inno-
vationsprozesse ein produktiver Umgang mit bereits vorhandenen Problemen ge-
währleistet wird und Unsicherheiten abgebaut werden können.
Die Akteure sind also von relativ starken homogenen Faktoren geprägt. Des Weite-
ren sind kumulative Innovationen immer noch stärker in traditionellen Branchen der
Industrie vertreten. Diese operieren öfter in ihren eigenen institutionellen Grenzen
(Strambach & Klement 2012). Durch das Nähe-Paradoxon, welches in Kapitel 2.5
näher erläutert wird, kann erklärt werden, warum diese Form der Wissensdynamik
häufig anzutreffen ist, sich jedoch nur selten als radikal innovativ erweist (Crevoisier
& Jeannerat 2009). Ob dieser Wissensdynamiktyp dabei an Bedeutung verliert, bleibt
umstritten. Strambach (2013) konnte allerdings keine zeitliche Abnahme der kumula-
tiven Wissensdynamiken feststellen. Dennoch vermuten Strambach & Klement
(2013), dass sich die beobachtete Automobilbranche in Baden-Württemberg durch
kombinatorische Wissensdynamiken einen Vorteil verschaffen kann.
Die kombinatorischen Wissensdynamiken vereinen verschiedene Wissensbasen und
institutionelle Rahmungen. Durch die sich stets ändernde globale Wertschöpfungs-
kette und die veränderte Organisation von Innovation wird die Bedeutung von Hete-
rogenität zunehmend stärker. Dies dient als Motor für die kombinatorischen Wis-
sensdynamiken und führt zu einem stetigen Wachstum. Durch die zunehmende Ex-
ternalisierung von Unternehmensprozessen und wissensintensiven Dienstleistungen
(Miles 2005; Strambach 2008), besonders im Forschungs- und Entwicklungsbereich,
wird der Trend hin zu einem modularisierten Wissenszugriff verdeutlicht. Infolge der
Restrukturierung der ökonomischen Prozesse wird eine zunehmende Heterogenität
hinsichtlich der Nähe-Formen hingenommen. Die neuen Partner können dabei global
verteilt sein und weisen oft eine geringe kognitive beziehungsweise selten soziale
Nähe auf. Durch die potentielle Globalität der Partner ist die institutionelle Rahmung
ebenfalls eine andere, sodass eine Zusammenarbeit aufgrund der fehlenden Ge-
meinsamkeiten deutlich erschwert wird: Je unterschiedlicher die Wissensbasen der
Akteure sind, desto mehr Aufwand erfordert der Aufbau von Arbeitsroutinen und or-
ganisatorischen Strukturen. So müssen die Akteure hohe Kosten aufwenden, um die
sozialen, organisatorischen und technologischen Distanzen zu überbrücken (Stram-
bach & Klement 2012).

13
Tab.2: Die Merkmale von kumulativen und kombinatorischen Wissensdynamiken auf der Mik-
roebene
Dimension
Kumulative Wis-
sensdynamiken
Kombinatorische Wis-
sendynamiken
Akteure
Kognitive Distanz
Niedrig
hoch
Institutionelle Überschneidungen
Hoch
niedrig
Interaktionsprozesse
Existierende Wissensbasen
Vertiefung
Vereinigung von unter-
schiedlichen Wissens-
basen
Vielfalt zu integrierenden Kontexten
Niedrig
hoch
Benötigte Investitionen für gegen-
seitiges Verstehen
Niedrig
hoch
Benötigte Überbrückung von orga-
nisatorischen, technologischen und
sektoralen Schnittstellen
Niedrig
hoch
eigene Darstellung nach Strambach 2013
Des Weiteren kann sich im Laufe der Kooperation eine dynamische, institutionelle
Transformation auf der Mikro- und Makroebene vollziehen. Hier ist es wichtig, die
Distanzen nicht als gegeben und statisch zu betrachten, sondern den dynamischen
Charakter zu bedenken (Balland et al. 2014). Die Heterogenität der verschiedenen
Nähe-Formen bietet dabei jedoch die Basis für gesteigerte Lernprozesse. Denn,
können die Distanzen abgebaut werden und eine erfolgreiche Kommunikation etab-
liert werden, ergeben sich aus den unterschiedlichen Wissensständen nicht nur an-
dere Perspektiven und Interpretationen, sondern auch neue Ansätze hinsichtlich des
Innovationsprozesses. Der Reduktion der physischen Distanz bei globalen Koopera-
tionen kommt eine große Bedeutung zu. Dies kann durch temporäre geographische
und virtuelle Nähe erzielt werden (Torre 2008).
Des Weiteren ist es durch die temporäre Nähe den Akteuren möglich, ihre bisherigen
Distanzen hinsichtlich anderer Nähe-Formen, wie z. B. der sozialen oder kognitiven

14
Dimensionen, ebenfalls zu reduzieren. Denn durch die face-to-face-Kontakte und die
Fokussierung auf einen gemeinsamen Innovationsprozess entsteht implizites Wis-
sen, welches wiederrum neue Lernprozesse in Gang setzt. Bei modernen Branchen,
z. B. Biotechnologie, lassen sich viele kombinatorische Prozesse ausmachen. Sie
suchen nach neuem Wissen außerhalb ihres lokalen Netzwerkes auf mehreren
räumlichen Ebenen (regional/national/global), um eine hohe Innovationskraft zu ge-
währleisten (Gertler & Levitte 2005). Dabei benutzen sie oftmals Informationstechno-
logien, um Netzwerksbeziehungen aufzubauen (Steinfield et al. 2010).
In ihrer empirischen Untersuchungen haben Strambach & Klement (2012) festge-
stellt, dass sich analytisches Wissen mit einer räumlichen Trennung am besten ver-
binden lässt. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sich synthetisches und symbo-
lisches Wissen wesentlich sensitiver gegenüber entfernten Kooperationspartnern
verhält. Bei der Kombination von Wissensbasen wurde erforscht, dass die Mischung
aus analytischem und synthetischem Wissen ebenfalls über Entfernung besser ver-
mittelt werden konnte, während die Kombination von symbolischem und syntheti-
schem Wissen bei entfernten Kooperationen eher selten auftrat. Dies scheint vor al-
lem an den Bedeutungen der institutionellen und sozialen Nähe der beiden Wissens-
basen (s. Kapitel 2.5) zu liegen.
In einer empirischen Untersuchung konnte Strambach (2013) deutliche Hinweise auf
eine wachsende Arbeitsteilung bei internen und externen Akteuren feststellen. Hier-
bei war es jedoch nicht möglich, die territorialen Grenzen der kombinatorischen und
kumulativen Wissensdynamiken trennscharf voneinander abzugrenzen. Vielmehr
ergab sich aus den Forschungen, dass sich der Einbezug von neuen Akteuren auf
verschiedenen räumlichen Ebenen für beide Klassifikationen als gleichbedeutend
erwies. Anhand der Verortung der neuen Akteure wurde ebenfalls deutlich, dass sich
der Diskurs um geographische Nähe als multidimensional und nicht linear erweist.
Ähnlich wie Torre & Rallett (2005) kommt Strambach (2013) zu dem Schluss, dass
Innovationsprozesse nicht nur lokal oder global, sondern auch auf regionalen oder
nationalen Ebenen stattfinden und während des Innovationsprozesses ein nicht-
linearer interaktiver Austausch zwischen Akteuren erfolgt. Des Weiteren ergab sich
aus der Analyse der empirischen Daten, dass sich die beiden Wissensdynamiktypen
bei Innovationen eher ergänzen und nicht ersetzen, sodass von keinem Typ als ob-
solete Form gesprochen werden kann.

15
2.3 Wissensbasen als analytisches Instrument
Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt, werden Innovationsprozesse und das dazu benötig-
te Wissen immer komplexer. Unternehmen haben sich aus diesen Gründen stark
spezialisiert und verfügen über unterschiedliche Charakteriska des Wissens, auf dem
ihre Innovationsaktivitäten basieren. Ihre Arbeitsweisen und -prozesse unterscheiden
sich stark voneinander. Eine bloße Unterteilung von benötigtem Wissen in explizites
und implizites Wissen erscheint bei der Erschließung des verwendeten Wissens der
verschiedenen Innovationsprozesse und dem Wissensaufbau als zu eng gefasst.
Daher erscheint eine andere Klassifikation sinnig, die Wissen in Hinblick auf ihren
Ursprung in analytisches, synthetisches und symbolisches Wissen unterteilt (Asheim
& Gertler 2005; Hansen et al. 2005; Asheim et al. 2007; Asheim et al 2011). Während
die ursprüngliche Theorie Asheims nur eine dichotome Klassifizierung aus analyti-
schen und synthetischen Wissensbasen beinhaltete (Asheim & Gertler 2005), wurde
diese später um die symbolische Wissensbasis erweitert, da beide vorherigen Typen
nur einen bedingten Erklärungsansatz für die Innovation von kulturellen Artefakten
bieten konnten.
Die verschiedenen Wissensbasen verfolgen dabei eigene Innovationslogiken, Inno-
vationsprozesse, Wissensströme und Interaktionen. Des Weiteren unterscheiden sie
sich in den Kriterien für eine erfolgreiche Umsetzung und für die Transformation des
Wissens der Invention hin zur Innovation (Aslesen & Onsager 2009). Die Beziehun-
gen der Akteure innerhalb der drei Wissensbasen weisen untereinander andere Mus-
ter auf. So unterscheiden sie sich bei der Wissenserzeugung, dem Wissensaus-
tausch und der Wissensabsorption (Asheim et al. 2011).
Analytisches Wissen trägt dazu bei, Geschehnisse in der Welt zu verstehen und Er-
eignisse in der Natur zu erklären (Asheim et al. 2007). Demzufolge beschreibt die
analytische Wissensbasis ökonomische Aktivitäten, bei denen das naturwissen-
schaftliche Denken im Vordergrund steht. Bei diesem Wissensbasistyp sind wissen-
schaftliche Berichte und mathematische Modelle ein bedeutender Wissensinput. Ty-
pische Beispiele, in denen analytisches Wissens prägend ist, sind z. B. die Mikrobio-
logie oder die Pharmaindustrie. Dadurch besitzt kodifiziertes Wissen bei dem Wis-
sensinput und dem Wissensaustausch einen großen Stellenwert. Darüber hinaus
wird durch die Einhaltung von formellen wissenschaftlichen Schemata und wissen-
schaftlicher Methoden die Kodifizierung ebenfalls begünstigt. Ein weiterer Grund für
die Bedeutung von explizitem Wissen ist, dass sich viele Studien direkt auf andere

16
Ergebnisse aus anderen Studien beziehen und formell dokumentiert werden. Daher
besitzt implizites Wissen bei der analytischen Wissensbasis einen untergeordneten
Stellenwert, jedoch sind die Forschungsaktivitäten während des Innovationsprozes-
ses stets davon geprägt (Asheim & Gertler 2005). Bei der analytischen Wissensbasis
wird das know why erforscht und sie bietet oft die Grundlage für anwendungsorien-
tierte Forschungen. Die Forschung orientiert sich dabei oft an Problemstellungen
wissenschaftlicher Diskurse aus der Forschungsliteratur. Die wichtigste Lernform
stellt das learning by searching dar (Mattes 2012). Die Innovationen, die aus dieser
Wissensbasis hervorgehen, sind oft radikale Innovationen und führen damit automa-
tisch zu neuen Patenten. So findet sich im Kooperationsmuster für die analytische
Wissensbasis oft eine Forschungspartnerschaft aus Universitäten und der freien
Wirtschaft (Asheim et al. 2011).
Synthetisches Wissen wird bei dem Entwurf und der Konstruktion von praktischen
Lösungsansätzen angewandt, die oftmals mit Werkzeugen durchgeführt und kontext-
spezifisch sind (Asheim et al 2007). So beschreibt die synthetische Wissensbasis
ökonomische Aktivitäten, die hauptsächlich durch die Neukombination von bereits
vorhandenem Wissen entstehen. Typische Ingenieurstätigkeiten wie der Schiffsbau
oder der Automobilsektor wären hierfür Beispiele. Oft ist die Wissensbasis in techni-
schen Branchen verortet. Radikale Innovationen spielen bei der synthetischen Wis-
sensbasis eine geringere Rolle, vielmehr werden Produkte durch inkrementelle Inno-
vationen verbessert. Dies bedeutet, dass die eigentliche Produktforschung der Pro-
duktentwicklung untergeordnet ist. Daher kommen häufig Wissensinputs durch Kun-
den oder Zulieferer, die einen Bedarf nach Produktverbesserungen aufweisen (Ash-
eim et al. 2011). Mit diesen wird dann die Problemstellung erörtert und eine gemein-
same Lösung gesucht, sodass die Interaktion im Lernprozess (learning by interac-
ting) eine bedeutende Rolle aufweist. Die Wissenserzeugung wird meist in der Praxis
gewonnen. Hier werden oft Lösungsversuche in verschiedenen Testungen durchge-
führt und das Problem wird häufig mit der trial and error-Methode bearbeitet. Das
implizite Wissen spielt daher in diesem Bereich eine große Rolle. Viele Lösungsan-
sätze werden erst durch Erfahrung an einem Arbeitsplatz erschlossen und basieren
auf Einschätzungen und Wahrnehmungen des Problems. Zusätzlich ist die soziale
Komponente des Wissensaustausches eine bedeutendere, da hier oftmals eng mit
dem Zulieferer oder dem Endkunden zusammengearbeitet wird (Mattes 2012). Da
Wissensinputs häufig durch konkrete Problemstellungen erschlossen werden, stehen

17
bei der Lösung des Problems zumeist das learning by doing und das learning by u-
sing im Vordergrund. Dieses spezifische Wissen ist meist stark an Personen gebun-
den und wird oftmals nur durch gemeinsame Zusammenarbeit weitergegeben.
Symbolisches Wissen transferiert kulturelle Zeichen in gesellschaftliche Artefakte.
Demzufolge beschreibt die symbolische Wissensbasis ökonomische Aktivitäten, die
den Fokus auf die Erzeugung von Designs und kulturell ästhetische Formen setzen.
Typische Beispiele für diesen Typ wären die Film- oder Videospielindustrie (Skokan
2012). Die wachsende Bedeutung dieses Bereiches wird durch das stetig steigende
Interesse der Ökonomie und der Politik unterstrichen (Lange & Mieg 2006). Die sym-
bolische Wissensbasis ist stark durch Innovation und die Wissenserschaffung ge-
prägt, da oftmals die Produktion eines Gutes im Hintergrund steht und viel mehr das
Design und die erschaffenen ästhetischen Werte eine Rolle spielen. Durch den äs-
thetischen Anspruch ist die kulturelle Perspektive auf das Produkt von äußerster
Wichtigkeit, denn je nach Zielgruppe oder Kultur kann das Gut sehr unterschiedlich
hinsichtlich seiner Qualität bewertet werden. Dies hat zur Folge, dass zwar häufig
intellektuell weniger Ansprüche vorliegen, jedoch ein hohes Maß an sozialem und
kulturellem Gespür vorliegen muss und viel Innovationskraft aus den gewonnenen
Erfahrungen herrührt.
Die Wissensbasis besitzt ihr Fundament in kulturellen Symboliken und Praktiken,
sodass von den Akteuren für eine erfolgreiche Innovation diese hinsichtlich gesell-
schaftlicher Normen, Werte und Zielgruppen interpretiert werden müssen. Das nötige
Wissen für die Innovationen kann dabei in expliziten Quellen erschlossen werden,
jedoch ist die Neukombination durch höchst implizitem Wissen geprägt (Asheim et al.
2011). Des Weiteren ist der Wissensaufbau durch die Ausübung der Tätigkeit (learn-
ing by doing) geprägt. Darüber hinaus spielen soziale Kontakte eine große Rolle, da
die Akteure innerhalb des Innovationsprozesses stark auf die Einbindung von qualita-
tiv geeignetem Personal angewiesen sind. Der Erfolg der Innovation hängt hierbei
nicht nur von den qualitativen Fähigkeiten der Akteure ab, sondern muss sich auch
an der Teamfähigkeit messen. Die Distribution des Produktes ist ebenfalls stark per-
sonenabhängig, da der Distributor die Innovation als hochwertig betrachten muss
und einen geeigneten Markt eröffnen kann (Mattes 2012).

18
Abb1. Verortung der Wissensbasen am Beispiel des Automobilsektors
Quelle: eigene Darstellung nach Asheim et al. 2005
Die verschiedenen Typen der Wissensbasen sind nur modellhaft angelegt, sodass
sich viele ökonomische Aktivitäten in den Branchen zwischen den drei Typen veror-
ten lassen und auf unterschiedliches Wissen zurückgreifen. So kann ein Innovati-
onsprozess selten als rein analytisch oder synthetisch bezeichnet werden, da inner-
halb des Innovationsprozesses Wissen aus anderen Kategorien eine Rolle spielt.
Dennoch kann eine grobe Verortung in die Unterteilung der Wissensbasen vorge-
nommen werden. In Abb. 1 soll dies anhand der Automobilindustrie konkretisiert wer-
den. Hier wird deutlich, dass neben der klaren Tendenz hin zum synthetischen Wis-
sen das analytische Wissen (z. B. neue Materialen für die Karosserie) und das sym-
bolische Wissen (z. B. Design der Automobile) ebenfalls vertreten sind (Asheim et al.
2005). Die meisten radikalen Innovationen, die intern von einem Unternehmen getä-
tigt werden, basieren auf diesen Wissensdifferenzen, denn mit Hilfe der Differenzen
ist es dem Unternehmen möglich, neue Perspektiven und Strukturen anzunehmen.
Oft wird dennoch für die Umstrukturierung und den Perspektivenwechsel des unter-
nehmenseigenen Wissens ein weiterer Akteur benötigt (Asheim et al. 2011).
2.4 Der Einfluss von Nähe-Formen auf Innovation
Wie in den beiden vorangegangenen Kapiteln detailliert geschildert, wird allgemein
angenommen, dass sich räumliche Nähe positiv auf die Wissenserzeugung und den

19
Lernprozess auswirkt. In den Forschungen der 1990er und Anfang der 2000er Jahre
wird ein Hauptaugenmerk auf die räumliche Nähe gelegt (Porter 1998; Bathelt et al.
2004), da sie als Hauptantrieb für Clusterprozesse und den Austausch in Wissens-
netzwerken angesehen wird. Viele ökonomische Aktivitäten können hierdurch aller-
dings nicht erklärt werden, da Innovationsprozesse selten auf einer räumlichen Ebe-
ne klar verortet werden können. So besteht die Möglichkeit, dass Wissensflüsse
gleichsam durch externe Quellen maßgeblich beeinflusst werden. Dennoch wird ein
unbestimmtes Maß an Nähe für den Austausch zwischen den ökonomischen Akteu-
ren in Wissensnetzwerken benötigt. Die Rolle, die dabei der räumlichen Nähe zu-
kommt, ist jedoch nicht unumstritten. So kann eine Kooperation trotz räumlicher Nä-
he zu keinem effizienten Wissensaustausch führen (Boschma & Iammarino 2009
)
und alleine erzeugt räumliche Nähe weder Synergien noch Interaktionen zwischen
den Akteuren (Torre & Rallet 2005).
Während in vielen Theorieansätzen, z. B. in dem Cluster-Diskurs (Porter 1998), der
räumliche Bezug für Innovationsprozesse deutlich mit eingebunden wurde, stellt
Boschma (2005) mit seiner Klassifizierung von Proximity-Formen die Bedeutung von
geographischer Nähe in Frage. Ausgehend von der französischen Proximity-Gruppe,
die bereits drei Nähe-Dimensionen in ökonomischen Aktivitäten mit eingebracht hat-
ten (Gilly & Wallet 2001) und der Annahme, dass Innovation nicht immer auf einer
räumlichen Ebene verortet ist (Bunnell & Coe 2001), wird eine erweiterte Klassifikati-
on von Nähe-Formen vorgenommen. So untergliedert Boschma (2005) Nähe neben
organisatorischer, institutioneller und geographischer Nähe in kognitive und soziale
Nähe. Seiner Forschung nach kann die räumliche Nähe durch andere Nähe-Formen
ersetzt werden, sodass diese nicht zwingend für einen erfolgreichen interaktiven
Lernprozess benötigt wird. Die kognitive, institutionelle und organisatorische Nähe
fungieren dabei als Haupttypen; die soziale und geographische Nähe dienen in der
Theorie als unterstützende Formen. Sie fokussieren weder die Kontroll- und Rah-
menbedingungen noch die Kognition, sondern funktionieren nur mit den Haupttypen
und bieten ohne diese keinen weiteren ökonomischen Mehrwert. Dabei hängt die
Konstellation der benötigten Nähe-Formen nicht von den Branchen ab, ist jedoch
auch nicht universell gültig (Mattes 2012).
Die kognitive Nähe beschreibt die Wissensbasen beider Akteure. Die Kognition be-
steht dabei darin, ökonomische Aktivitäten richtig zu definieren, sie zu beschreiben
und zu interpretieren (Collins & Vecci 2005). Unternehmen suchen sich oftmals Part-

20
ner mit einem ähnlichen Wissensstand, da hierdurch die Kommunikation zwischen
beiden Akteuren erheblich erleichtert wird. Wenn eine zu große kognitive Distanz
vorhanden ist, verstehen die Akteure sich nicht untereinander, Interpretationen und
Wissensabsorptionen können nicht stattfinden. Jedoch entsteht nur durch die Diffe-
renzen des Wissens neues, radikales Innovationspotenzial. Eine zu große Nähe bie-
tet keine neuen Wissens-Inputs und führt somit auch zu kaum neuen Erkenntnissen.
Es wird ein Verhältnis von Nähe und Distanz angestrebt, welches einen effektiven
und effizienten Wissensaustausch ermöglicht und für die beteiligten Akteure zu ei-
nem Lerninput folgt. Dieses Verhältnis muss ausreichen, sodass die Akteure einen
Wissensaustausch vollziehen können und dieser von beiden als Lerninput aufgefasst
werden kann. Denn bei zu niedriger kognitiver Nähe kann der Lernprozess des learn-
ing by interacting nicht nachvollzogen werden. Darüber hinaus kann eine zu große
kognitive Nähe zu Fehlentscheidungen hinsichtlich eines technologischen Lock-ins
führen, weil die beteiligten Akteure über eine ähnliche Wissensbasis sowie eine ge-
meinsame Technologie verfügen und neue Entwicklungen und Innovationen am
Markt ausblenden. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass man mit Unternehmen aus
dem gleichen Bereich kooperiert und diese durch ungewollte Informationsweitergabe
einen Wettbewerbsvorteil erlangen. Während der Kooperation resultieren solche un-
beabsichtigten Wissensflüsse der beteiligten Forscher sehr schnell, da man eng mit
den anderen Akteuren zusammenarbeitet (Boschma 2005).
Die organisatorische Nähe spiegelt ähnliche organisatorische Strukturen der Akteure
wider. Die Beschäftigung bei dem gleichen Konzern wäre ein Beispiel hierfür. Auf-
grund ähnlicher Arbeitsorganisationen und Zugriff auf gemeinsame Informationen
kann der Lernprozess der Akteure beschleunigt werden. Außerdem wird durch eine
gemeinsame organisatorische Verbindung die Unsicherheit gegenüber dem Koope-
rationspartner reduziert, da klare Strukturen vorliegen und die Akteure sich gegensei-
tig vertrauen können. Innerhalb dieser Strukturen unterliegen die Akteure meist kla-
ren hierarchischen Verhältnissen, sodass die Machtverhältnisse innerhalb der Koope-
ration klar definiert sind. Dies hat zur Folge, dass Informationen oft weitergegeben
werden und durch die festgelegte Beziehung beider Akteure Feedback hinsichtlich
des Innovationsprozesses erfolgt. Durch den kontrollierten Informationsfluss und das
vorhandene Vertrauen sinken während der gemeinsamen Zusammenarbeit die
Transaktionskosten.
Auch hier zeigt sich das Muster, dass sich zu viel organisatorische Nähe eher negativ

21
auswirkt: Erstens kann durch die hierarchischen Strukturen der bestimmende Akteur
den Lernprozess bremsen, indem er seine Investitionen in bestehenden Verbindun-
gen tätigt und sich somit für neues Wissen versperrt. Durch den entstehenden Man-
gel an neuen Verbindungen kann kaum heterogenes Wissen erschlossen werden.
Zweitens vollzieht sich das Feedback hinsichtlich des Lernens innerhalb eines hie-
rarchischen Systems oftmals nur in eine Richtung, sodass wenig Raum für innovative
Ideen und kein interaktives Lernen zwischen den Akteuren möglich ist. So steigt mit
zunehmender Organisationsstruktur auch die Gefahr der Bürokratie und der damit
verbundenen Freiheitsbeschränkungen der Akteure. Drittens benötigt Innovation or-
ganisatorische Flexibilität, jedoch kann dies in einer streng hierarchischen Verbin-
dung nicht gewährleistet sein, da die Arbeitsprozesse und -organisationen festgelegt
sind (Boschma 2005).
Die soziale Nähe beschreibt die soziale Verbindung der Akteure auf der Mikroebene
zueinander. Die Perspektive des sozialen Aspektes ist hierbei dem Embeddedness-
Ansatz entnommen und wird auf die sozialen Interaktionen der Akteure übertragen.
Es wird dabei der Gedanke aufgegriffen, dass neben sozialen Erfahrungen auf der
Makroebene (Institutionen) auch persönliche Einbettungen von sozialen Einflüssen
auf ökonomische Aktivitäten eine Relevanz aufweisen (Uzzi 1997). Durch Freund-
schaft und gemeinsame Erfahrungen ist das Vertrauen beider Akteure gesichert, so-
dass Unsicherheiten und ein gehemmter Austausch reduziert werden. Allerdings ge-
nügen auch gemeinsame Persönlichkeitsmerkmale, persönliche Interaktionen oder
ein gewisses Gefühl von Familiarität, um soziale Nähe aufzubauen.
Soziale Aspekte spielen vor allem bei dem Austausch von implizitem Wissen eine
große Rolle, da beide Akteure eine gute Kommunikationsfähigkeit und ein Verständ-
nis für einander aufweisen. Darüber hinaus kann ein enger Kontakt andere soziale
Kreise erschließen, sodass hierdurch neue Wissenskapazitäten zur Verfügung ste-
hen (Mattes 2012).
Allerdings erzeugt auch hier zu viel soziale Nähe eine hemmende Innovationskraft:
Erstens steigt die Gefahr des Opportunismus durch die soziale Beziehung, sodass
auch bei Fehlentscheidungen aufgrund der persönlichen Beziehung eine verminderte
Kritikfähigkeit besteht. Zweitens kann eine zu starke soziale Bindung die Offenheit
gegenüber anderen Akteuren oder Akteurs-Netzwerken verschließen. Dies bedeutet,
dass Akteure mit einer zu hohen sozialen Nähe immer wieder mit einander zusam-
menarbeiten und neue passende Kontakte nicht wahrnehmen (Boschma 2005).

22
Die institutionelle Nähe bezieht sich auf die institutionellen Werte der Akteure. Hiermit
sind gemeinsame Gesetze, Werte, Normen und Routinen gemeint und spiegelt somit
die sozialen Aspekte auf der Makroebene wider. Diese Faktoren gliedern die Akteure
in die soziokulturellen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen ein und
bestimmen das Interaktionsmuster von Individual- und Gruppenverhalten. Durch glei-
che Verhaltensweisen, Bräuche und Routinen wird schneller Vertrauen aufgebaut
und eine bessere Kommunikation erzielt. Hieraus ergeben sich wiederum eine ver-
besserte Lernfähigkeit und ein erhöhter Wissensaustausch.
Auch bei dieser Nähe-Form birgt eine zu starke Homogenität Risiken. Denn durch die
starken institutionellen Gemeinsamkeiten können andere Perspektiven und Arbeits-
prozesse außer Acht gelassen werden, sodass ein innovatives gemeinsames Zu-
sammenspiel eher verschlechtert wird. Dennoch wird ein Mindestmaß von institutio-
nellen Gemeinsamkeiten für eine erfolgreiche Gruppenarbeit benötigt. Es muss also
auch hier ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz und damit eine gewis-
se Flexibilität und Offenheit gewährleistet werden. Die institutionellen Rahmenbedin-
gungen sind dabei oft mit anderen Nähe-Formen stark verbunden, etwa der geogra-
phischen oder organisatorischen Nähe. Eine gemeinsame Herkunft aus der gleichen
Region oder gleiche Unternehmenskulturen schaffen oft eine Basis für ein interakti-
ves Lernen (Boschma 2005).
Die geographische Nähe beschreibt die räumliche Distanz zwischen den Akteuren.
Kontakte können durch die räumliche Nähe schnell aufgesucht werden. Dabei kön-
nen Informationen zeitnah ausgetauscht und Probleme erörtert werden. Durch die
räumliche Nähe zu anderen ökonomischen Akteuren stehen neue Wissensquellen
zur Verfügung, sodass bei relevanten Problemstellungen schnell potentielle Kontakte
oder Kooperationspartner zur Verfügung stehen. Außerdem bleiben die Tätigkeiten
der anderen Unternehmen in der Umgebung selten unentdeckt. Diese können, be-
sonders bei gleicher Branche, neue Inputs für Innovationen liefern (Boschma 2005).
Dies birgt allerdings auch einen Nachteil. Denn oftmals wollen Unternehmen ihr Wis-
sen nicht mit anderen Wettbewerbern teilen, sodass externe Quellen zumeist bevor-
zugt werden (Gust-Bardon 2012).
Des Weiteren können alltägliche spontane Treffen, mitgehörte Unterhaltungen und
ein konstanter Beitrag zur industriellen Atmosphäre eine innovative und kreative Um-
gebung für die Akteure schaffen. Hierdurch wird der Aufbau sozialer Nähe erheblich
gefördert. Der Aufbau von Vertrauen, das Erschließen von persönlichen Kontakten

23
oder das Erleben gemeinsamer Erfahrungen werden durch die geographische Nähe
begünstigt. Darüber hinaus wird eine verständliche Kommunikation zwischen den
Akteuren durch ein gemeinsames Zusammentreffen ermöglicht. Daher besitzt die
räumliche Nähe gerade bei interdisziplinären Kooperationen eine wichtige Bedeu-
tung. Sie kann eine Brücke zwischen denjenigen Akteuren sein, die eine fehlende
kognitiven Nähe aufweisen (Balland et al. 2014). Aufgrund des persönlichen Kontakts
können beide einfacher voneinander lernen und implizites Wissen austauschen.
Denn durch die verbesserte Kommunikation, den Abbau von Unsicherheiten und des
zeitnahen Informationsflusses können für die Akteure Kosten eingespart und Prob-
leme vor Ort erörtert werden (Gust-Bardon 2012). Durch zu viel räumliche Nähe kön-
nen allerdings auch ungewollte Abhängigkeiten entstehen, da sich eine zu enge Bin-
dung an lokale Partner entwickeln kann. Dies resultiert aus einem zu geschlossenen
Akteur-Netzwerk und führt zu einer fehlenden Wahrnehmung von externen Wissens-
quellen (Boschma 2005).
Allerdings ist nicht allein die physische Distanz zwischen den Akteuren entscheidend,
sondern die Distanz zwischen den Akteuren beinhaltet auch eine zeitliche Kompo-
nente. So besitzt die Distanz zwischen den Akteuren keinen absoluten Wert, da im
Zeitalter der Globalisierung und der modernen Kommunikation die Erreichbarkeit des
anderen nicht zwangsläufig an die physische Distanz gekoppelt ist. Vielmehr muss
die zeitliche Komponente der Kontaktaufnahme berücksichtigt werden (Collins &
Vecci 2005). Die zeitliche Dimension ist wiederum von physischen Dingen bestimmt,
da die lokalen Transport- und Kommunikationsinfrastrukturen das Nähe-Verhältnis
zwischen den Akteuren prägen (Torre & Rallet 2005). So können virtuelle face-to-
face-Kontakte durch moderne Kommunikationsmittel die räumliche Rolle vermindern
und implizites Wissen über Distanzen übertragen (Rallett & Torre 1999). Ob dies mit
den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien allerdings möglich ist,
bleibt umstritten. Die Kritik an der virtuellen Nähe stellt dabei vier Argumente heraus:
Das erste Argument besagt, dass der Transport von implizitem Wissen nur schwer
über die Informationskanäle möglich ist. Implizites Wissen zu kodifizieren, ist nicht
nur schwer, sondern zum Teil auch mit sehr hohen Kosten verbunden. Zweitens pro-
duzieren konstante wissenschaftliche Forschungen kontinuierlich implizites Wissen,
sodass eine vollkommende Kodifizierung unmöglich wird. Drittens sind implizites und
kodifiziertes Wissen komplementär, sodass die beiden Wissensarten aufeinander
aufbauen. Viertens erfordert die Benutzung von Kommunikationskanälen ebenfalls

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783956365478
ISBN (Paperback)
9783956368912
Dateigröße
2 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Philipps-Universität Marburg – Fachbereich Geographie
Erscheinungsdatum
2015 (August)
Note
1,0
Schlagworte
Akteursnetzwerk synthetisches Wissen analytisches Wissen Antriebstechnologie Automobilindustrie Alternative Antriebssysteme Patentdaten Wissensdynamik
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Titel: Akteursnetzwerke in Kombination von synthetischem und analytischem Wissen
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