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Der Goldtfaden

©2006 Hausarbeit (Hauptseminar) 16 Seiten

Zusammenfassung

Es handelt sich hierbei um eine Bearbeitung der Textstelle S. 5, 2.23- 7, 2.34 aus dem Goldtfaden von Jörg Wickram mit: Transkription, Übersetzung, Skizze des Kontextes, Beschreibung des Holzschnittes und einer grammatischen Analyse von 5 Wörtern.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



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1 Transkription des Textausschnittes
NAch dem sich nun die zeit verloffen, unnd Felicitas, hirt Erichs
Weib, die frucht (so ihr von Gott beschert) an ihr statt getragen, unnd
sie jetzund die kindtsweh umbgeben, hatt sie bald ihren Haußwürt
inn die Statt nach ihrer zuokünfftigen gefetterin geschicket, dann
also hat Hermanus die ordnung geben. Bald ist er sampt seinem
weib, auch andren guoten freunden auff ein hangenden wagen
gesessen, dem dorff zuogefaren, in welchem der hirt Erich sein
wonung hatt. als sie aber nit lang da gewesen, ist die guot Felicitas
der recht ernst ankommen, hatt also in beywesen Laurete, auch
ander züchtigen Frauwen, einen schoenen Jungen Son an die welt
bracht. so bald diß Laureta wargenomen, ist sie zuo ihrem gemahel
Hermano gelauffen, ein froelichs bottenbrot von ihm begeret, der
sich dann gar groeßlichen erfrewet hat, in sonderheyt als er vernam,
das sie eins jungen sons gelegen was.
Als sie nun das kind gebadet, hand sie auff seiner lincken brust
gegen dem hertzen ein muotermal funden, einem Leuwen datzen
oder topen gleich geformiert. so bald Hermanus sampt seiner
gesellschafft sollichs ersehen, haben sie gleichformiger red
zuosamen gestimpt unnd gesagt, gewißlich würdt ein mannlicher
und theurer held auß disem kind werden, dann dise und andere
zeichen, so an im gesehen, geben des gnuogsame und gewisse
kundtschafft. Laureta als ein geschefftig und fürsichtig weib hat zuo
vorderst versehen, das der armen Felicitas mit aller notdurfft
gepflegen ward, damit sie bald wider zuo iren krefften kummen
moecht. Demnach hand sie verordnet, das kind zuor tauff zuo
tragen. Felicitas aber ist mit koestlichem betgewand, decken und

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goltern gar rychlich versehen worden, als wann sie eines reichisten
burgers weib gewesen wer. Als man aber das kind auß dem hauß
getragen, ist der Lew zuogegen gewesen, hat mit grausamer stimm
gantz erschrockenlich angefangen zuo prüllen, gleich als wann man
in seiner eignen Jungen woelffen hett berauben woellen. Als nun der
kauffman dise ding all gesehen, ist er mit seinen guoten freunden
zuo raht worden, Dieweil der Lew so fridsam und freundtlich jetz
langzeit bei vilgemeltem Hirten gewont, woellend sie das kind Leüfrid
mit seinem Namen nennen, das dann also geschehen ist. das kindlin
ward mit grossen freuden zuo und von der tauff getragen. demnach
hat Hermannus ein koestlich malzeit in dem wirtzhauß zuoberaiten
lassen und menigklich darzuo beruoffen weib und man, so dann in
dem dorff doheimen gewesen sind. vor den allen hat er dem hirten
Erichen ein hoff und geseß ingeben und in als seinen Meyer darauff
gesetzt. das kind aber hat er seiner rechten muotter befolhen, in
guoter pfleg zu halten, biß es zum wenigsten eines Jars alt worden.
darzuo hatt er allen tag ihr koestlich speis und dranck zuogeschicket.
so bald sie nun vierwoechig worden, hat hirt Erich sein ampt und
hirtenstab von im geben, auff gemelten Meyerhoff (welcher gar
nahend an der Statt gelegen) gezogen, seinen Lewen mit im
genommen, Der dann je lenger je heimlicher worden ist. dann so offt
er in die Statt seine geschefft außzurichten gon thet, liff Lottmann
der Lew mit im. der ward als dann von menigklichen gespeiset,
zuoletst aber als dem Künig sovil von gemeltem Lewen gesagt, nam
er den an den künigklichen hoff, davon Hirt Erich in groß leyd kam.
Dann er sich dermassen so ubel gehuob, als wann ihm seiner
bluotverwandten freund einer mit Todt abgangen wer. Nit weniger
trawret auch Felicitas, deßgleich Hermanus. diß sey genuog von
dem Leuwen gesagt biß zu seiner zeit.

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2 Übersetzung des Textausschnittes in gutes Neuhochdeutsch
Nachdem die Zeit nun abgelaufen war, und Felicitas, die Frau des
Hirten Erichs, das Kind (das ihr von Gott beschert worden ist)
ausgetragen hatte, und sie nun in den Wehen lag, da hatt sie schnell
ihren Ehemann in die Stadt zu ihrer zukünftigen Patin geschickt,
denn diese Anweisung hat Hermann gegeben. Bald ist er zusammen
mit seiner Frau und auch anderen guten Freunden auf einer Kutsche
gesessen und ist zu dem Dorf gefahren, in welchem der Hirte Erich
seine Wohnung hatte. Als sie noch nicht lange da gewesen waren,
ist es für die gute Felicitas ernst geworden, und sie hat so, auf diese
Weise in Anwesenheit Lauretas und auch anderer angesehener
Frauen einen schönen Sohn zur Welt gebracht. Sobald Laureta dies
wahrgenommen hat, ist sie zu ihrem Gemahl Hermann gelaufen, um
von ihm ein Geschenk als Botenlohn für die gute Nachricht zu
erbitten
1
, der sich dann sehr gefreut hat, ganz besonders als er
vernahm, dass sie einen jungen Sohn bekommen hatte.
Als sie nun das Kind gebadet hatten, haben sie auf seiner linken
Brust neben dem Herzen ein Muttermal gefunden, einer Löwentatze
oder einer Pfote gleich geformt. Sobald Hermann mit seiner
Gesellschaft dieses gesehen hatte, waren sie alle einer Meinung und
sagten, sicherlich werde ein männlicher und mutiger Held aus
diesem Kind werden, denn diese und andere Zeichen, die an ihm zu
sehen waren, geben ausreichende und sichere Kunde davon.
Laureta als eine geschäftige und vorausschauende Frau hat
zunächst veranlasst, dass die arme Felicitas mit allem, was nötig
1
In früherer Zeit war es oftmals üblich, sich bei dem Überbringer einer guten Nachricht mit einem
Geschenk (,,bottenbrot") zu bedanken.

6
war versorgt wurde, damit sie bald wieder zu Kräften kommen
könnte. Danach haben sie angeordnet das Kind taufen zu lassen.
Felicitas aber ist mit kostbarem Bettzeug, Bettdecken und
Oberbetten sehr reichlich versehen worden, als ob sie die Frau eines
sehr reichen Bürgers gewesen wäre. Als man aber das Kind aus
dem Haus getragen hatte, ist der Löwe zugegen gewesen und hat
mit grausamer Stimmer ganz schrecklich zu brüllen angefangen, als
wenn man ihn seiner eigenen jungen Welpen hätte berauben wollen.
Als nun der Kaufmann diese Dinge alle gesehen hatte, hat er sich
mit seinen guten Freunden beraten: Da der Löwe so friedlich und
freundlich so lange Zeit bei dem oft erwähnten Hirten gewohnt hat,
möchten sie das Kind Leufried nennen, was dann ebenso
geschehen ist. Das Kind wurde mit großen Freuden zu der [und
nachher] von der Taufe getragen. Danach hat Hermann eine
köstliche Mahlzeit in dem Wirtshaus zubereiten lassen und
jedermann dazu eingeladen, Frauen und Männer, die in dem Dorf
daheim gewesen sind. Vor diesen allen hat er dem Hirten Erich
einen Hof und einen Wohnsitz gegeben und ihn als seinen Meyer/
Oberbauern dort eingesetzt. Das Kind aber hat er seiner rechten
Mutter anvertraut, um es in guter Pflege zu halten, bis es wenigstens
ein Jahr alt geworden ist. Deshalb hat er ihr jeden Tag köstliche
Speise und Getränke zugeschickt. Als sie das Wochenbett hinter
sich hatte, hat der Hirte Erich sein Amt und den Hirtenstab von sich
abgegeben und ist auf den erwähnten Meyerhof gezogen (welcher
ganz nahe bei der Stadt gelegen hat) und hat seinen Löwen mit sich
genommen, der dann je länger je vertrauter geworden ist. Denn so
oft er in der Stadt seinen Geschäften nachging, lief Lottmann der
Löwe mit ihm. Der wurde dann von jedermann gefüttert; zuletzt aber,
als dem König soviel von dem erwähnten Löwen gesagt worden ist,

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da nahm er diesen an den königlichen Hof, wodurch der Hirte Erich
in großes Leid geriet. Denn er fühlte sich so derartig schlecht, als
wenn einer seiner blutsverwandten Freunde gestorben wäre. Nicht
weniger trauert auch Felicitas, ebenso Hermann. Dies sei genug von
dem Löwen gesagt bis auf weiteres.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (PDF)
9783956365300
Dateigröße
235 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Münster – Germanistisches Institut
Erscheinungsdatum
2015 (August)
Note
2,0
Schlagworte
Jörg Wickram Goldtfaden Mittelalter Mittelhochdeutsch Grammatik
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