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Tatort Schule

Jugendgewalt an Berufsbildenden Schulen

©2013 Bachelorarbeit 99 Seiten

Zusammenfassung

In unserer modernen Gesellschaft stellt (Jugend-) Gewalt an (Berufsbildenden) Schulen kein wirklich neues Phänomen dar. Gesellschaftlich betrachtet scheint es sogar schon als ein gewöhnliches Phänomen wahrgenommen zu werden, das oft erst dann ernstgenommen wird, wenn es plötzlich und ohne vermeintliche Vorwarnung zu einer furchtbaren Gewalttat kommt. Betroffene Schulen galten vor einer Gewalttat oft sogar als unauffällig und sicher. Dies traf auch auf eines der letzten Ereignisse von extremer Gewalt (-Kriminalität) an einer Schule zu. Im Dezember 2012 lief dabei ein 20-jähriger männlicher Täter an der Sandy Hook Elementary School, im US-Bundesstaat Connecticut / Newtown, Amok. Dabei tötete er insgesamt 20 SchülerInnen, sechs Schulmitarbeiterinnen, seine Mutter und schließlich sich selbst. Die schrecklichen Bilder dieser Tat haben sich nachhaltig in den Köpfen vieler Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen sowie in den Köpfen vieler Unbeteiligter manifestiert. Den Medien zufolge scheinen schulische Gewaltphänomene in den letzten Jahren allgemein stark angestiegen zu sein. Der Fokus wird dabei generell eher auf die Gewalt von Jugendlichen gerichtet, da sie aus Sicht der Gesellschaft als gewaltbereiter eingestuft werden, eher noch als Kinder oder Erwachsene. Mittlerweile gibt es zwar eine Reihe wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Thema Gewalt an Schulen, doch wurde bei den bisherigen statistischen Untersuchungen der Bereich Berufsbildenden Schulen (BBS oder BBS´en) dagegen nur am Rande angesprochen. Besteht hier womöglich eine Forschungslücke?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Teil 5
Jugendgewalt an (Berufsbildenden) Schulen ­ die Täter ... 51
5.1
Typische Erkennungsanzeichen potenzieller Täter ... 51
5.2
Typische Charakteristika und Motive potenzieller Täter ... 52
5.3
Geschlechtertypische Charakteristika von Jugendgewalt ... 53
5.4
Täter mit Migrationshintergrund ... 56
5.5
Zusammenfassung ... 58
Teil 6
Pädagogische Präventions- bzw. Interventionsmaßnahmen zur
Verminderung von Jugendgewalt an (Berufsbildenden) Schulen . 59
6.1
Anti-Bullying-Programm nach Olweus ... 60
6.1.1
Schulebene ... 60
6.1.2
Klassenebene ... 64
6.1.3
Individualebene ... 68
6.2
Sonstige schulische Präventions- und Interventionsmaßnahmen
gegen (Jugend-)Gewalt ... 71
6.2.1
Schulsozialarbeit ... 71
6.2.2
Mediation ... 72
6.2.3
Indirekte Gewaltprävention ... 73
6.3
Ausbildungsbetriebe ... 74
6.4
Kriminalpolitische Maßnahmen ... 76
6.5
Evaluationen derartiger Maßnahmen ... 78
6.6
Zusammenfassung ... 80
Teil 7
Schlussbetrachtung ... 83
7.1
Fazit ... 83
7.2
Ausblick ... 87
7.3
Weiterführende Fragen ... 89
Literaturverzeichnis ... 93

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,,Es läuft also alles auf den Willen und das Engagement der Erwachsenen
hinaus, die es in der Hand haben zu entscheiden, wie viel Gewalt
in unseren Schulen stattfinden darf."
(Olweus 2011: 122)
Einleitung
I.
Das Thema / Problemdarstellung
In unserer modernen Gesellschaft stellt (Jugend-)Gewalt an (Berufsbil-
denden) Schulen kein wirklich neues Phänomen dar. Gesellschaftlich
betrachtet scheint es sogar als ein gewöhnliches Phänomen wahrgenom-
men zu werden (vgl. Brinkmann/Frech/Posselt 2011: 11), das oft erst dann
ernstgenommen wird, wenn es plötzlich und ohne vermeintliche Vorwar-
nung zu einer furchtbaren Gewalttat kommt. Betroffene Schulen galten vor
einer Gewalttat oft sogar als unauffällig und sicher. Dies traf auch auf
eines der letzten Ereignisse von extremer Gewalt(-Kriminalität) an einer
Schule zu. Zuletzt lief im Dezember 2012 ein 20-jähriger männlicher Täter
an der Sandy Hook Elementary School, im US-Bundesstaat Connecti-
cut/Newtown, Amok. Dabei tötete er insgesamt 20 SchülerInnen, sechs
Schulmitarbeiterinnen, seine Mutter und schließlich sich selbst. Die
schrecklichen Bilder dieser Tat haben sich nachhaltig in den Köpfen vieler
Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen manifestiert sowie in den Köpfen
vieler Unbeteiligter.
Den Medien zufolge scheinen schulische Gewaltphänomene in den letzten
Jahren allgemein stark angestiegen zu sein. Der Fokus wird dabei gene-
rell eher auf die Gewalt von Jugendlichen gerichtet, da sie aus Sicht der
Gesellschaft als gewaltbereiter eingestuft werden, eher noch als Kinder
oder Erwachsene. Mittlerweile gibt es zwar eine Reihe wissenschaftlicher
Erkenntnisse zum Thema Gewalt an Schulen, doch wurde bei den bishe-
rigen statistischen Untersuchungen der Bereich Berufsbildenden Schulen
(BBS oder BBS'en) nur am Rande angesprochen. Besteht hier womöglich
eine Forschungslücke? Dies möchte ich gern überprüfen, insbesondere
weil ich die berufsbildende Schulebene persönlich interessant finde, da ich

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durch mein Studium eine berufliche Tätigkeit an dieser Schulform anstre-
be. Daher widme ich mich in dieser Abschlussarbeit konkret dem Thema
Jugendgewalt an Berufsbildenden Schulen.
Aufgrund der oben genannten (vermeintlichen) Forschungslücke frage ich
mich, wie es im berufsschulischen Bereich mit der Gewaltprävention und
-intervention aussieht? Schließlich gibt es auch dort, neben erwachsenen
SchülerInnen auch jugendliche SchülerInnen. Demzufolge sind auch im
Bereich der BBS`en Jugendgewalthandlungen vorzufinden. Statistisch
betrachtet befinden sich Auszubildende/BerufsschülerInnen generell in der
Altersphase (15 - 22 Jahre), in der am häufigsten Gewalthandlungen
vorkommen (vgl. Rauchs 2011: 92). Daher werde ich mich in dieser Arbeit
konkret auf die Möglichkeiten der Prävention und Intervention von Ju-
gendgewalt an Berufsbildenden Schulen konzentrieren, um anschließend,
anhand der hier gewonnenen Erkenntnisse, geeignete Präventions- und
Interventionsmaßnahmen für LehrerInnen an BBS'en anzuzeigen. Dazu
weise ich an dieser Stelle darauf hin, dass in der verwendeten Literatur
Schulen im Allgemeinen dargestellt werden, daher werde auch ich mich
hier des Öfteren allgemein ausdrücken. Wenn also von Schulen die Rede
ist, sind die BBS'en mit eingeschlossen.
Die größte Herausforderung sehe ich in der heterogenen SchülerInnen-
Konstellation, denn anders als in allgemeinbildenden Schulen treffen an
berufsbildenden Schulen SchülerInnen aus den unterschiedlichsten
sozialen Strukturen zusammen. Je nach Berufsausbildung und den
vorausgesetzten Schulabschlüssen treffen mitunter Hauptschulabsolven-
ten auf Abiturienten oder anderen Schulformen. Überdies sind auch
erwachsene SchülerInnen dabei; erwachsene SchülerInnen, die bereits
eine Ausbildung abgeschlossen haben und sogar mehrere Jahre in ihrem
erlernten Beruf gearbeitet haben und sich dann aus unterschiedlichen
Gründen beruflich neu orientieren wollen oder müssen. Demzufolge ist
auch die Altersstruktur in den BBS'en äußerst spezifisch und heterogen.

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Darüber hinaus ist das Thema Jugendgewalt an (Berufsbildenden) Schu-
len überaus komplex. So wird die Gewalt an Schulen unter anderem in
soziologischen, psychologischen, kriminologischen und pädagogischen
Kontexten thematisiert. Aufgrund dieser hohen Komplexität kann in dieser
Arbeit lediglich ein kleiner Einblick in die verschiedenen Ansätze gegeben
werden. Dabei werde ich mich vor allem auf die für mich wesentlichen
Aspekte dieses Themenbereichs konzentrieren und nur die wichtigsten
Inhalte herausarbeiten. Außerdem wird hier ausschließlich die (Berufs-)
SchülerInnen-Perspektive berücksichtigt, obwohl auch LehrerInnen
mitunter selbst zu Gewaltopfern oder -tätern werden. Aufgrund der wis-
senschaftlichen Vorgaben werde ich dieses Feld entsprechen eingrenzen
müssen, um den vorgegebenen Rahmen nicht zu überschreiten.
An dieser Stelle weise ich ausdrücklich darauf hin, dass ich in dieser
Arbeit aufgrund der besseren Lesbarkeit, bei allen hier verwendeten
personenbezogenen Bezeichnungen, wie zum Beispiel Täter, Opfer und
Jugendliche, fortwährend geschlechterneutral denke, auch wenn nicht
immer die weibliche und männliche Form schriftlich dargestellt wird.
Darüber hinaus verwende ich hier im Wesentlichen die Bezeichnung
Jugendliche und junge Erwachsene, da hier, wie gesagt, das Feld der
BBS'en im Fokus steht. Ich möchte in diesem Kontext nicht nur von
Heranwachsenden sprechen, da BerufsschülerInnen, wie schon erwähnt,
manchmal auch älter als 21 Jahre sind. Des Weiteren werde ich mehrfach
das Wort Berufsbildenden in der Bezeichnung (Berufsbildenden) Schulen
in Klammern setzen, da die dargestellten Erkenntnisse oftmals auch auf
andere Schulformen übertragbar sind. Dies trifft außerdem auf die Be-
zeichnung (Jugend-)Gewalt und (Berufs-)SchülerInnen zu.
II.
Ziel der Arbeit / Fragestellung
Das wichtigste Ziel in dieser Arbeit ist es, herauszufinden, wie die Präven-
tions- und Interventionsarbeit an beruflichen Schulen aussehen kann und
inwieweit BerufsschullehrerInnen überhaupt agieren können. Somit lautet

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die konkrete Fragestellung, der ich mich hier widmen werde: Inwieweit
können LehrerInnen Jugendgewalt an Berufsbildenden Schulen mit Hilfe
von Präventions- und Interventionsmaßnahmen vermindern?
Daneben stehen auch die nachfolgenden Fragen im Blickfeld dieser
Arbeit: Wie sieht es generell mit Jugendgewalt an den BBS'en aus, ist die
Gewalt auch in den beruflichen Schulen angestiegen? Wie kommt eine
derartige, teils schon brutale, Gewalttendenz, bei Jugendlichen überhaupt
zustande? Gibt es dabei Gewaltformen, die als typische schulische Gewalt
gelten? Diesen und ähnlichen Fragen werde ich in dieser Arbeit nach-
gehen.
III. Aktueller
Forschungsstand
Mittlerweile gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Erklärungsansätze und
-theorien sowie empirische Forschungsergebnisse, die allesamt versu-
chen Gewalt ansatzweise zu begründen. Dabei führen wissenschaftliche
Untersuchungen zu diesem Thema oftmals zu erheblicher gesellschaftli-
cher Kritik. Kritisiert werden beispielsweise die einseitigen Erhebungsver-
fahren, die bei der Erforschung verwendet werden oder auch die subjekti-
ven ,,Darstellungen" (Krumm) von Gewalt, die sich nur schwer miteinander
vergleichen lassen (Validität, Reliabilität, Objektivität, Operationalisierung
etc.), da sie jeder anders wahrnimmt und einordnet (vgl. Krumm 2006:
69-76).
Ob heute nachweislich von mehr Gewalt an (beruflichen) Schulen ge-
sprochen werden kann ist fraglich. Erziehungswissenschaftler, die sich
durch den gesellschaftlichen Nachdruck verstärkt diesem Thema gewid-
met haben, konnten dazu keine eindeutige Aussage treffen, da in den
1990er Jahren nur Querschnittuntersuchungen durchgeführt wurden.
Denn während die Themen Gewalt und Jugendgewalt bis dahin schon
lange erforscht wurden, sind die Untersuchungen zur schulischen Gewalt
erst in den 1990er Jahren verstärkt in den Fokus der Medien und Gesell-

7
schaft getreten. Von da ab lassen sich drei historische Abschnitte fest-
machen (vgl. Tillmann 2006: 11, 18; Schubarth 2010: 54).
,,Die erste Etappe bis Ende der 1980er Jahre [Hervorh. im Original]
war gekennzeichnet durch disziplinäre Untersuchung[en] [Hervorh.
durch Autor] auffälligen Verhaltens von SchülerInnen. [...] Die zweite
Etappe (1990er Jahre) [Hervorh. im Original] war durch einen wahren
Forschungsboom geprägt. [...] Die dritte Etappe [Hervorh. im Origi-
nal] der Entwicklung der jüngeren Gewaltforschung (2000er Jahre)
war von einem ­ bereits Ende der 1990er Jahre einsetzenden ­ star-
ken Nachlassen der Forschung gekennzeichnet" (Schubarth 2010:
54 ff.).
Einen Anstieg von Gewalt an Schulen vermerkten die Versicherungsstatis-
tiken. Ihnen zufolge stieg die Anzahl der Reparaturkosten und Schadens-
beseitigungen in den letzten Jahren an, z. B. durch ,,kaputte Fensterschei-
ben und Klassen- und Schuleinrichtungen" (Hurrelmann/Bründel). Doch
kann hier nicht gleich von einer Gewaltzunahme gesprochen werden, da
Neuanschaffungen oder Instandsetzungen häufig teurer sind als früher
und durch ,,externe Reparaturdienste" (Hurrelmann/Bründel) behoben
werden müssen. Hinzu kommen Abnutzungen von Gerätschaften, die
einfach als Schaden durch Zerstörung umgeändert werden. Nicht zuletzt
darf die Dunkelziffer oder auch mangelnde Validität von Straftaten,
Aggressionen usw. nicht unterschätzt werden. Nichtsdestoweniger konnte
kein markanter Unterschied des Ausmaßes von Jugendgewalt, an den
unterschiedlichen Schulformen registriert werden (vgl. Hurrel-
mann/Bründel 2007: 92 f., 97 ff.).
Das Landeskriminalamt Niedersachsen veröffentlichte zu diesem Aspekt
eine Tabelle. Darin werden interessanterweise die tatsächlich zur Anzeige
gebrachten Gewaltdelikte aus dem Jahr 2004 in verschiedenen Schulfor-
men dargestellt.

8
Tab. 1: Schulen als Tatorte
Quelle: LKA Niedersachsen 2005b: 26.
Die Berufsschule (BBS) wurde in Tab. 1 für den Gesamtzeitraum 2004,
bei einem BerufsschülerInnen-Anteil von 21,05 %, mit 11,42 % dargestellt.
Im Vergleich dazu liegt beispielweise die Hauptschule, mit einem Schü-
lerInnen-Anteil von gerade mal 6,90 % und einem Gewaltaufkommen von
29,45 % (Gesamtzeitraum 2004), deutlich höher. Das Gymnasium weist
ein geringeres Gewaltaufkommen auf, 5,50 % bei einem SchülerInnen-
Anteil von 12,80 %. Wird der Vergleich zur BBS gezogen, ist hier kein
großer Unterschied zu vermerken, da der SchülerInnenanteil dort deutlich
höher liegt (vgl. LKA Niedersachsen 2005b: 26). Außerdem merke ich an
dieser Stelle an, dass der Mädchenanteil an den Gymnasien in den
Bundesländern statistisch überwiegt: 2010/11 lagen Mädchen mit 51,9 %
vor den Jungen mit 48,1 % (vgl. Statistisches Bundesamt 2012: 17).
Mädchen scheinen tendenziell weniger gewaltbereit zu sein als Jungen.
Allgemein erscheint die Gewaltbereitschaft des männlichen Schüleranteils
an Gymnasien ohnehin niedrig. Dies ist zumindest aus einer hessischen
Schüler-Innenumfrage hervorgegangen (vgl. Hurrelmann/Bründel 2007:
93) und wurde auch in anderen Studien bestätigt.
Insgesamt verschob sich der Fokus auf bis dahin unbekannte Phänomene
der schulbezogenen Jugendgewalt. Begriffe wie ,,Mobbing", (auch bekannt
als ,,Bullying") oder ,,Amoklauf", ,,Cyberbullying" oder ,,Happy Slapping", die
ich später erläutern werde, wurden verstärkt beobachtet (Schubarth) ­
gefolgt von vielen ,,Anti-Gewaltprogrammen" (Schubarth), die der schu-

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lischen (institutionellen) Intervention und Prävention von Nutzen sein
sollten (vgl. Schubarth 2010: 57).
IV.
Gliederung der Arbeit
Diese Arbeit beinhaltet sieben Teile, die aufeinander aufbauen. In Teil 1
werden erste kontextbezogene Begriffsbestimmungen vorgenommen, die
dem Leser gleich zu Beginn ein besseres Verständnis sowie eine Einfüh-
rung in diese komplexe Materie geben soll. Die Begriffe Jugend, Devianz
und Delinquenz, sowie die Begriffe (Jugend-)Gewalt und (Jugend-)
Kriminalität stehen dabei im Fokus. Darum werde ich anfangs den Begriff
Jugend präziser erläutern und eine Altersbestimmung vornehmen, gefolgt
von einer trennscharfen Definition der Begriffe Devianz und Delinquenz
sowie der Begriffe (Jugend)Kriminalität und (Jugend-)Gewalt. Denn diese
Begriffe werden in der Literatur häufig in einem ähnlichen Kontext ver-
wendet. So sollen insbesondere diese Begriffe genauer erläutert und
voneinander abgegrenzt werden, um so ein schlüssiges Verständnis für
die Thematik zu schaffen. Und auch die im Titel verwendete Bezeichnung
Berufsbildende Schulen werde ich hier exakter beschreiben, da dieser in
der Literatur auf den ersten Blick nicht eindeutig ist. Danach folgen mögli-
che Erklärungsansätze (Teil 2), die die Entstehung von (Jugend-)Gewalt
begründen können. Es folgt eine Darstellung verschiedener und ausge-
wählter Gewaltformen an BBS'en (Teil 3), wobei ich anmerke, dass
Gewaltformen, die ich erläutern werde, nicht nur an den weiterführenden
Schulen anzutreffen sind; in diesem Fall an den Berufsbildenden Schulen.
Sie treffen auch auf alle anderen Schulebenen (ab Primärstufe) zu. Zumal
die SchülerInnen der BBS im Vorfeld üblicherweise die allgemeinbilden-
den Schulen (z. B. Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Waldorfschule)
besucht haben (vgl. Kapelke 2008). Im Anschluss daran werde ich in Teil
4 und Teil 5 die Opfer- und Täterseite betrachten, um dadurch mögliche
Präventions- und Interventionsmaßnahmen ableiten zu können. Im 6. Teil
dieser Arbeit werde ich schließlich auf mögliche Präventions- und Inter-
ventionsmaßnahmen zur Verminderung von Jugendgewalt an Berufsbil-

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denden Schulen eingehen. Dadurch soll letztlich die konkrete Fragestel-
lung dieser Abschlussarbeit (s.o. II.) beantwortet werden. Der letzte Teil
(Teil 7) fasst diese Arbeit mit einem Fazit zusammen und gibt einen
kurzen Ausblick mit interessanten und weiterführenden Fragen, die im
Laufe dieser Arbeit aufgetreten sind. Ein Literaturverzeichnis sowie eine
Eidesstattlichen Erklärung vervollständigen diese Arbeit.

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Teil 1
Erste kontextbezogene Begriffsbestimmungen
1.1 Begriffsbestimmung
und
Verständnis von Jugend
Als Jugend oder Jugendzeit bezeichnet unsere heutige Gesellschaft
zumeist die Altersphase zwischen 13 und 20 Jahren. ,,Auch ist Jugend ­
wie Kindheit ­ ein historisches und ein gesellschaftliches Phänomen
[Hervorh. Im Original]" (Gudjons 2008: 127). Dieses wird vielmehr durch
bestimmte ,,Initiationsriten" (Gudjons), wie zum Beispiel dem biologischen
Beginn der Pubertät geregelt und gekennzeichnet. Da diese Veränderun-
gen bei heranwachsenden Mädchen und Jungen zu unterschiedlichen
Zeiten auftreten, kann die Jugend keinem konkreten Alter zugeordnet
werden. Eine generelle bzw. genaue Altersbestimmung besteht nicht (vgl.
Gudjons 2008: 127). Dennoch darf die Jugendphase keineswegs als eine
Art ,,Durchgangsphase" (Dreßel) begriffen werden. Sie ist aus soziologi-
scher Sicht als eine eigenständige Phase anzusehen, in der ein Heran-
wachsender, bedingt durch die Gesellschaft, angeregt wird eine bestimm-
te Mitgliedsrolle zu übernehmen (vgl. Dreßel 2007: 122).
1.2 Unterscheidung ,,Devianz" und ,,Delinquenz" (im Jugendalter)
Devianz steht für ,,abweichendes Verhalten", die von der gesellschaftli-
chen Norm abweicht (vgl. Varbelow 2003: 28), wobei der Begriff Delin-
quenz für ,,kriminelles Verhalten" (Kunz) steht (vgl. Kunz 2008: 453).
Devianz und Delinquenz werden außerdem als ,,handlungstheoretischer
Ansatz" (Schubarth) (Soziologische Theorie) verstanden, da hierunter die
sinnhaften und bewussten Handlungen und Verhaltensweisen (soziales
Handeln) von Individuen verstanden werden. ,,Deviante Handlungen sind
demnach spezifische Formen sozialen Handelns innerhalb eines Kontinu-
ums, das sich von individuell abweichenden Verhaltensweisen bis hin zur
organisierten Kriminalität zieht" (Schubarth 2010: 39 f.).

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Entscheidend beim abweichenden Verhalten sind laut dem deutschen
Soziologen Hans Haferkamp (*1939 - 1987) ,,... Macht und Herrschaft... "
(Schubarth 2010: 40), insbesondere im Bezug auf ,,Normsetzung und -
anwendung" (Schubarth). Normen, die zur ,,Entkriminalisierung" und
,,Kriminalisierung" (Schubarth) eingesetzt werden, gelten schließlich als
wirkungsvolle Instrumente in der Auseinandersetzung sozialer Gruppen.
Doch kommt es durch die ,,... Differenzierung des sozialen Systems ..."
(Schubarth 2010: 40) mitunter zu gewissen Kontroversen, da die auferleg-
ten Normen unterschiedlich produziert, definiert und interpretiert werden.
Die Folgen sind ungleiche Verhaltenserwartungen, die in manchen Ge-
sellschaften akzeptiert werden und in anderen nicht. Die Wahrnehmung
und Auslegung von abweichendem Verhalten, und somit auch die daraus
resultierenden Sanktionen, sind schlussendlich rein subjektiv, da sie
abhängig sind von den gesellschaftlich fixierten und rechtskräftigen
Normen. Was in Deutschland verboten ist, kann in anderen Ländern
erlaubt sein, wie zum Beispiel das Konsumieren von Drogen (z. B. Nieder-
lande). Als kriminell gilt abweichendes Verhalten dennoch erst dann, wenn
diese rechtskräftigen ,,Strafrechtsnormen" (Schubarth) Anwendung finden;
es also tatsächlich zu einem Gesetzesverstoß kommt (vgl. Schubarth
2010: 40). Wenn kein Gesetz besteht, erfolgt auch keine Strafe.
Delinquenz (kriminelles Verhalten) wird dabei vielmehr als eine Art ,,Indika-
tor" verstanden, der auf ,,mangelnde Selbstkontrolle" (Schubarth) hinweist.
Selbstkontrolle allgemein entsteht aufgrund von Veranlagung und Erzie-
hung, die unter anderem durch die Familie bedingt wird (vgl. Schubarth
2010: 41). Dieser Aspekt wird später bei der Erläuterung der soziologi-
schen Erklärungsansätze (vgl. Kap. 2.2) näher betrachtet.
De facto stellen Devianz und Delinquenz einen kriminalsoziologischen
Erklärungsansatz für gewalttätige bzw. aggressive Handlungen dar, weil
dieses Verhalten in gewisser Weise angeboren und anerzogen ist.

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1.3 Begriffsbestimmung
und
Verständnis von (Jugend-)Kriminalität
1.3.1 Kriminalität
Der Begriff ,,Kriminalität" (lat. crimen Beschuldigung, Anklage, Verbrechen)
ist ein Aspekt der Kriminologie (lat. crimen und griech. logos: Wissen-
schaft oder Lehre = Lehre von Kriminalität) und wird in unserer Gesell-
schaft durch bildhafte und gewöhnliche Vorstellungen oftmals abstrakt
bestimmt
(vgl. Kunz 2004: 2 f.).
Der anfänglichen Bedeutung nach (erste
Erwähnung 1885 durch den ital. Jurist Raffaele Garofalo) wird durch
Kriminalität etwas bewertet oder ausgewählt, wodurch es im Grunde
doppeldeutig, einmal als Zuschreibung und einmal als Verhaltungsweise,
verstanden werden kann. Neue Erkenntnisse (im 20. Jahrhundert) führten
zu einem Spannungsverhältnis, da die neuen Annahmen, die als ,,Labeling
Approach" (Kunz) (Etikettierungsansatz; Etikettierung durch abweichendes
soziales Verhalten) bezeichnet werden (näheres dazu in Kap. 2.2.2), die
herkömmlichen, eher verhaltensbezogenen Ansichten, entkräfteten (vgl.
Kunz 2004: 2 f.).
Trotz der späteren Begriffsbestimmung (Kriminalität als eine strafrechtli-
che vorwurfsbezogene Handlung) scheint eine ernsthafte Bestimmung
noch immer schwierig. Hinzu kommt eine gewisse Unbeständigkeit bei der
Kriminalitäts-Zuschreibung, da diese durch Rechtskreis (staatliches oder
internationales Strafrecht) und Zeiträume (Aktualität des Gesetzes)
unterschiedlich bestimmt wird. Darüber hinaus führt auch die ungleiche
Sprachauslegung zu unterschiedlichen Begründungen und Zuschreibun-
gen. Und genauso verhält es sich auch mit den individuellen Vorstellungen
und unterschiedlichen Strafrechtsanwendungen. Das heißt, hier müssen
vor allem die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten berücksichtigt
werden (vgl. Kunz 2004: 2 ff.).

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1.3.2 Jugendkriminalität
Grundsätzlich wird Jugendlichen in unserer Gesellschaft eine weitaus
größere Kriminalitätsbereitschaft zugetraut (Stigmatisierung, Labeling
Approach) als Kindern oder Erwachsenen. Wobei statistisch betrachtet,
Jugendkriminalität keiner bestimmten Gesellschaftsschicht zugeordnet
werden kann. Sie scheint eher ein ganz normaler Entwicklungsprozess zu
sein, der mit zunehmendem Alter, nachweislich auch ohne Interventions-
maßnahmen, von selbst nachlässt. Daher wird Jugendkriminalität an und
für sich auch als ein ,,jugendtypisches" Phänomen (,,Über die Stränge
schlagen") (Kunz) verstanden. Und trotzdem werden bestimmte soziale
Schichten relativ schnell verurteilt, wobei diese Vorurteile sich generell
nicht bestätigen lassen. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale scheinen
dagegen bedeutungsvoller zu sein als ,,schichtbezogene Variablen" (Kunz)
(vgl. Kunz 2004: 291 f.).
1.4 Begriffsbestimmung
und
Verständnis von (Jugend-)Gewalt
1.4.1 Gewalt
Bei der Verwendung des Begriffs Gewalt, tauchen in den Köpfen vieler
umgehend Bilder von brutalen Gewalthandlungen auf. Dennoch ist Gewalt
nicht gleich Gewalt, auch wenn der Begriff oft als Überbegriff verwendet
wird. Heute wird vermehrt auch von ,,Aggression" (Schubarth) gesprochen
(vgl. Schubarth 2008: 45 f.).
Deutschsprachig besitzt der Gewaltbegriff einen zweideutigen Charakter,
der sich wissenschaftlich nur schwer festlegen lässt. Darin enthalten sind
laut Johann Galtung (norwegischer Friedensforscher), die ,,persönliche
Gewalt" (Hurrelmann/Bründel/Stiftung Mitarbeit), also durch andere
zugefügte Gewalt, die legitime ,,strukturelle Gewalt", die beispielsweise
durch soziale Ungleichheit entsteht, und die ,,kulturelle Gewalt" (Stiftung
Mitarbeit), die die beiden ersten Gewaltbezeichnungen gewissermaßen
erst legitimiert (vgl. Stiftung Mitarbeit 2013). Im Laufe der Zeit hat sich der

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Standpunkt von der kulturellen Akzeptanz gegenüber Gewalt und Aggres-
sion stark verschoben (vgl. Hurrelmann/Bründel 2007: 12-15). Das heißt,
was damals gesellschaftlich und kulturell toleriert wurde, kann heute als
indiskutable brutale Gewalt verstanden werden (vgl. Kap. 1.2). Wenn
früher eine Lehrkraft einen Schüler oder eine Schülerin geschlagen hat,
galt das als Erziehungsmethode. Heute hätte das gravierende Folgen für
die Lehrkraft.
Darüber hinaus kann die inhaltliche Vergleichbarkeit mit anderen Begrif-
fen, wie ,,... z. B. Aggressivität, Aggression, Mobbing, Bullying, Vandalis-
mus, Amoklauf, Devianz, Delinquenz, Kriminalität, Störung des Sozialver-
haltens, Persönlichkeitsstörungen usw." (Schubarth 2010: 16), zeigen, wie
stark der Gewaltbegriff konkurriert. Je nachdem in welchem Kontext (z. B.
Psychologie, Soziologie, Pädagogik) diese Begriffe genutzt werden,
existieren auch unterschiedliche Definitionen. Der Sport oder Wettkampf
macht dies an dieser Stelle deutlich, da aus dieser Sichtweise aggressives
Verhalten durchaus erwünscht sein kann. Beim Boxen ist Gewalt bei-
spielsweise positiv behaftet und wird zudem gesellschaftlich belohnt. Es
fehlt einfach eine genaue Definition. In der englischen Sprache wird der
Gewaltbegriff indessen deutlicher dargestellt. So wird zum Beispiel
,,staatliche Gewalt" durch den Begriff ,,power" deklariert, ,,verletzende
Gewalt" mit dem Begriff ,,violence" angezeigt und ,,körperliche Stär-
ke/Gewalt" schließlich durch den Begriff ,,force" (Schubarth) erklärt (vgl.
Schubarth 2010: 16).
Als besondere Gewaltmerkmale im Allgemeinen werden ,,Unterordnung"
und ,,Macht" (Schubarth) (Autorität) verstanden. Das heißt, dass ein
potenzielles Opfer durch ,,körperliche" Überlegenheit oder den ,,höheren
Status" (Schubarth) eines potenziellen Täters ungewollt zu etwas ge-
zwungen werden kann. Darüber hinaus werden in sozialwissenschaftli-
chen Diskussionen unterschiedliche Erscheinungsformen von Gewalt
dargestellt. Neben der ,,physischen" und ,,psychischen" wird auch von
,,verbaler" und ,,vandalistischer" (Schubarth) Gewalt gesprochen (vgl.
Schubarth 2008: 45 f.).

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In Bezug auf die Schule wird unter Gewalt folgendes verstanden:
,,Gewalt in der Schule umfasst das gesamte Spektrum von Tätigkei-
ten und Handlungen, die psychische oder physische Schmerzen oder
Verletzungen bei den im Bereich der Schule handelnden Personen
zur Folge haben oder die auf die Beschädigung von Gegenständen
im schulischen Raum gerichtet sind [Hervorh. im Original]" (Funk
1995: 12; zitiert in Varbelow 2003: 21 f.).
Auf einige Gewaltformen werde ich in Kapitel 3.2 näher eingehen. Dabei
werde ich insbesondere (berufs-)schulische Gewaltformen darstellen.
Es folgt nun eine Begriffserklärung zur Jugendgewalt. Diese nimmt in der
vorliegenden Arbeit eine bedeutende Rolle ein.
1.4.2 Jugendgewalt
Jugendgewalt ist ein Teilbereich der Jugendkriminalität und doch werden
beide Begriffe oft unüberlegt gleichgesetzt. Der Begriff Jugendkriminalität
lässt sich im Wesentlichen juristisch abgrenzen (vgl. Kap. 1.3), demnach
ist Kriminalität eine strafrechtliche vorwurfsbezogene Handlung. Es
besteht daher ein bedeutsamer Unterschied zwischen Jugendgewalt und
Jugendkriminalität. Interessant dabei ist, dass es allein durch den Ge-
brauch der Worte Jugendgewalt oder Jugendkriminalität zu einer Stigmati-
sierung (vgl. Kap. 2.2.2) kommen kann. Jugendlichen wird tendenziell eh
eine gewisse Gewaltbereitschaft unterstellt, wodurch sie gesellschaftlich
ohnehin als ,,Sicherheitsrisiko" (Schubarth) wahrgenommen werden. In der
Öffentlichkeit entsteht somit zwangsläufig ein gewisses Angstpotenzial
gegenüber Jugendlichen (vgl. Schubarth 2008: 45).
Eine besondere Aufmerksamkeit für die Erklärung von Jugendgewalt
verdient der ,,sozialisationstheoretische Erklärungsansatz" (Schubarth).
Demnach vollzieht sich die Menschentwicklung als eine Form von ,,pro-
duktiver Realitätsverarbeitung", so Schubarth. Vermutet wird auch, dass
Mittels dieser ,,Realitätsbewältigung und -verarbeitung" die erforderlichen
,,Handlungskompetenzen" (Schubarth) hergestellt werden. Eine gelungene

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oder misslungene Sozialisation (Persönlichkeitsentwicklung) hängt also
davon ab, wie die verhältnismäßige Gestaltung von ,,gesellschaftlichen
Handlungsanforderungen" und ,,individuellen Handlungskompetenzen"
(Schubarth) ist. Stimmt dieses Wechselverhältnis bei Jugendlichen nicht
überein, kann es zu einer Belastung kommen, die dann in Form von
Stress bzw. Aggression in Erscheinung treten kann. Dabei kommt es
vorrangig auf die ,,individuellen Bewältigungsstrategien" (z. B. Resilienz)
und ebenso auf die ,,sozialen Unterstützungspotenziale" (Schubarth) an.
Stimmen also die ,,gesellschaftlichen" Handlungsanforderungen und
,,individuelle Handlungskompetenzen" nicht überein, kann sich die ,,pro-
duktive Realitätsverarbeitung" (Schubarth) schließlich in Form von Gewalt
ausdrücken. Ob und zu welchem Zeitpunkt Gewalt in Erscheinung tritt, ist
also von den sozial aufgestellten Bedingungen, den ,,situative Faktoren"
und auch von den ,,Sozialisationseinflüssen" (Schubarth) abhängig. Dabei
spielen schulische und familiäre Faktoren eine Rolle wie auch Peergroups
(Gleichaltrige), da sie alle unentwegt auf das Individuum einwirken (vgl.
Schubarth 2008: 51 ff.). Auf derartige Erklärungsansätze der Gewaltent-
wicklung von Jugendlichen werde ich im zweiten Teil dieser Arbeit konkret
eingehen.
Im Kontext der persönlichen bzw. individuellen Bewältigungsstrategien
betone ich an dieser Stelle kurz den gerade genannten Resilienzbegriff.
Resilienz bedeutet so viel wie Widerstandsfähigkeit, was wiederum als
eine Form von individueller Bewältigungsstrategie zu verstehen ist. Dieser
Begriff beschreibt die Fähigkeit von Kindern, Jugendlichen und (jungen)
Erwachsenen, sich trotz widriger Lebensumstände und -belastungen
positiv zu entwickeln. Das heißt, selbst in der Lage zu sein, individuelle
Strategien zu entwickeln, um auch schwere Situationen bewältigen zu
können. Resilienz ist demnach ein nützlicher und bedeutungsvoller
Aspekt, der bei der Entwicklung von Präventions- und Interventionsmaß-
nahmen berücksichtig werden kann. Dieser Aspekt kann aufgrund der
Umfangvorgaben hier jedoch nicht weiter ausgeführt werden.

18
1.5 Begriffsbestimmung und Verständnis von Berufsbildenden
Schulen
Da es in dieser Arbeit speziell um die Darstellung der Jugendgewalt an
Berufsbildenden Schulen geht, werde ich diese Schulform kurz definieren.
Fälschlicherweise wird der Begriff Berufsschule oftmals als Überbegriff
verwendet. Dabei stellt der Begriff Berufsschule lediglich eine Form
Berufsbildender Schulen dar.
Das ,,Berufsbildende Schulwesen" (Pahl) ist Teil der Sekundarstufe II.
Wird von Berufsbildenden Schulen gesprochen, sind damit die Unterbe-
griffe ,,Berufsschule", Berufseinstiegsschule", ,,Berufsfachschule", ,,Fach-
oberschule", ,,Berufsoberschule", ,,Berufliches Gymnasium" und ,,Fach-
schule" gemeint (Pahl/Niedersächsisches Kultusministerium). Eine
detaillierte Erläuterung der einzelnen Unterbegriffe ist für diese Arbeit nicht
weiter relevant. Weitaus interessanter ist, dass die Berufsausbildung
innerhalb Deutschlands vorwiegend im ,,Dualen System" (Pahl/Nieder-
sächsisches Kultusministerium) absolviert wird. Die berufliche Erstausbil-
dung findet überwiegend im Betrieb oder in der Institution statt und parallel
dazu in der Berufsschule (,,zwei Lernorte"). Die Berufsschule ist somit Teil
der praktischen, betrieblichen Berufsausbildung die wöchentlich in Teilzeit,
an ein bis zwei Tagen, besucht wird oder in Vollzeit, wobei der Unterricht
blockweise (,,Blockunterricht") stattfindet (vgl. Pahl 2007: 97 f.; Nieder-
sächsisches Kultusministerium 2013). Die allgemeine Schulpflicht endet
laut dem Niedersächsischen Ländergesetz nach 12 Jahren (ab der ersten
Klasse) oder zumindest mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Jugendli-
che und junge Erwachsene besuchen also entweder eine berufsbildende
Schule, weil sie sich in einer Berufsausbildung (berufliche Ausbildung)
befinden, oder, weil sie das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben
(§ 65, § 67). In diesem Fall besuchen sie eine allgemeinbildende Vollzeit-
schule oder eine weiterführende berufliche Schule (vgl. Niedersächsisches
Kultusministerium 2012: 37).

19
1.6 Begriffsbestimmung
und
Verständnis von Gewaltprävention
und -intervention
Es sollen nun zwei weitere Begriffe erläutert werden, die für diese Arbeit
von Bedeutung sind, da sie der Hauptgegenstand der hier zu beantwor-
tenden Fragestellung sind.
Die Gesellschaft neigt dazu, Gewalthandlungen oder allgemein jede Form
von deviantem Verhalten mit pädagogischen Maßnahmen zu sanktionie-
ren. Reaktionen darauf werden in der Pädagogik mit Prävention und
Intervention ersucht, wobei es hier signifikante Unterschiede gibt. Die
Hauptaufgabe der Prävention von Gewalt liegt in der Gewaltminderung
oder idealerweise in der Verhinderung, wobei der Fokus bei der Interven-
tion von Gewalt beim direkten Eingreifen liegt. Bei der Intervention geht es
nicht nur um die Täterbeeinflussung. Durch die direkte Intervention soll
vielmehr ein Zeichen für alle Beteiligten gesetzt werden. Ferner soll
deutlich gemacht werden, dass Gewalt nicht akzeptiert wird. Der Präventi-
onsbegriff ist im Gegensatz zum Interventionsbegriff nicht ganz so klar, da
Prävention und Intervention ineinander übergehen. Zusätzlich werden bei
der Nutzung des Präventionsbegriffes drei Präventionsformen gebraucht
(vgl. Weißmann 2011: 77; Schubarth 2010: 97 f.; Korte 1994: 62).
,,Primäre [Hervorh. im Original] Gewaltprävention besteht darin, dieje-
nigen gesellschaftlichen Bedingungen zu entwickeln, die die Lebens-
kompetenzen und Konfliktlösungsfähigkeiten von Kindern und Ju-
gendlichen stärken. Sekundäre
[Hervorh. im Original] Prävention
dient der Verhinderung gewalttätigen Verhaltens, z. B. durch beson-
dere Präventionsprogramme, tertiäre [Hervorh. im Original] Präventi-
on der Verhinderung von Rückfall und der Resozialisierung, wobei in
der Praxis die drei Formen ineinander übergehen können ..."
(Schubarth 2010: 98).
Ein gutes Beispiel für primäre Gewaltprävention ist demnach Lob und
Anerkennung bei schulischen Leistungen, weil dadurch unter anderem
das Selbstbewusstsein gestärkt werden kann. Sekundäre Gewaltpräventi-
on kann im (berufs-)schulischen Kontext beispielsweise durch eine
bessere Pausenaufsicht ermöglicht werden oder durch abschreckende
Maßnahmen, wie die Beseitigung von Vandalismus-Schäden. Bei der

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tertiären Gewaltprävention werden schließlich Maßnahmen ergriffen, die
sich direkt an den Täter oder das Opfer richten, indem beispielsweise
Täter und Opfer voneinander getrennt werden. Auf die unterschiedlichen
Formen und Merkmale werde ich in dieser Arbeit gelegentlich hinweisen.
1.7 Zusammenfassung
Im ersten Teil wurden kontextbezogene Begriffsbestimmungen vorge-
nommen, um gleich zu Beginn der vorliegenden Ausführungen, Unklarhei-
ten zu klären. Dies war in hier unbedingt notwendig, da sich insbesondere
die Begriffe Jugend, Jugendkriminalität und Jugendgewalt nur schwer
voneinander abgrenzen lassen. Genauso verhält es sich mit den Begriffen
Gewaltprävention und -Intervention sowie dem Begriff Berufsbildende
Schulen.
Nachfolgend werde ich mögliche Ansätze vorstellen, die die Entstehung
von Jugendgewalt erklären können.

21
Teil 2
Mögliche Erklärungsansätze für die Entstehung
von Jugendgewalt
2.1 Psychologische
Erklärungsansätze
In der Psychologie wird im Gewaltkontext traditionell der Leitbegriff
,,Aggression" verwendet, weshalb auch von der ,,Aggressionspsychologie"
(Schubarth) gesprochen wird (vgl. Schubarth 2010: 21). Demzufolge wird
auch in diesem Kapitel weniger der Gewaltbegriff verwendet, da der
Aggressionsbegriff, wie in Kapitel 1.4.1 bereits erläutert, gleichwertig
genutzt wird.
Das Charakteristische bei der Aggressionspsychologie ist, dass diese
mehrere Aggressionserklärungen aufweist. Dazu zählen ,,psychische",
,,biologische", ,,familiäre" wie auch ,,gesellschaftliche" (Schubarth) Fakto-
ren, die sich entsprechend ergänzen. Momentan vertritt die Wissenschaft
den Stand, ,,... dass Aggressionen auf aggressiven ,,Energien" oder
,,Impulsen" bzw. aggressiven Gefühlen oder Bedürfnissen beruhen. Das
heißt: Jemand ist gewalttätig, weil er Aggressionen in sich hat [Hervorh.
Im Original]" (Schubarth 2010: 22). Wenn der Mensch sie in sich hat,
müssen sie folglich in der Natur der Dinge liegen. Nachfolgend werden
daher einige psychologischen Theorien kurz erläutert.
2.1.1 Trieb- und Instinkttheorien
Aggressionen lassen sich laut Sigmund Freud (*1856 - 1939) und Konrad
Lorenz (*1903 - 1989) unter anderem durch die Trieb- und Instinkttheorie
(Schubarth) erklären. Während Freuds Triebtheorie von ,,Selbstvernich-
tung", also vom ,,Todestrieb" gekennzeichnet ist, charakterisiert Lorenz
Theorie sich im Wesentlichen durch einen ,,Kampftrieb", der auf ,,Artge-
nossen" (Schubarth) gerichtet ist (vgl. Schubarth 2010: 21 f.). Diese geht
davon aus, dass aggressive Impulse angeboren sind und fortwährend
biologisch im Organismus produziert werden. Aus wissenschaftlicher Sicht

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werden aggressive Impulse durch ein Verhalten (Reaktion) ausgedrückt,
wobei eine Unterdrückung zu (schwerwiegenden) Störungen führen kann.
Dass es sich dabei um eine ,,arterhaltende Funktion" (Schubarth) handelt,
wurde unter anderem durch Tierversuche herausgefunden. Beispielsweise
konnte so ,,instinktives Aggressionsverhalten" (Schubarth) durch hinzuge-
fügte Anreize hervorgerufen werden. Das Auslassen der Anreize führte
schließlich zu einem natürlichen ,,Aggressionsverhalten" und ,,Aggressi-
onsstau" (Schubarth). Laut Lorenz, entwickelten die Menschen schließlich
im Laufe der Zeit nützliche Bräuche, wodurch sie Aggressionen disziplinie-
ren bzw. umlenken konnten. Sie mussten permanent neue Mechanismen
(z. B. ,,Sport", (berufsbedingter) ,,Konkurrenzkampf") (Schubarth) schaffen,
die das Aggressionsverhalten hemmten (vgl. Schubarth 2010: 22).
Im schulischen Kontext bedeutet dies, dass Aggressionen (z. B. Rauferei-
en) von (Berufs-)SchülerInnen auch als Art des ,,Druck Ablassens" (Hur-
relmann/Bründel) verstanden werden können. (Berufs-)SchülerInnen
handeln demzufolge nicht zwingend vorsätzlich (vgl. Hurrelmann/Bründel
2007: 35), sondern gehen lediglich ihrem menschlichen (Aggressions-)
Trieb nach, um ihren ,,Aggressionsstau" (Fuchs/Lamnek/Luedtke/Baur) zu
entladen. Dies erfolgt unter anderem durch Eintönigkeit im (Schul-)Alltag,
Leichtsinn oder auch durch ,,Spannungsabfuhr" (Hurrelmann/Bründel).
Insbesondere der Schulalltag lässt für diesen denkbar angeborenen Trieb
keinen Spielraum und so kann schon eine ,,Spaßkloppe"
(Fuchs/Lamnek/Luedtke/Baur) (verspieltes Kräftemessen unter Peers)
oder auch ein ,,Mutbeweis" (vgl. Fuchs/Lamnek/Luedtke/Baur 2005: 21)
bei (Berufs-)SchülerInnen und LehrerInnen (vorschnell) falsch interpretiert
werden. Problematisch wird es dann, wenn aus Spaß plötzlich Ernst wird,
weil im Vorfeld keine klaren Spielregeln festgelegt wurden (vgl. Hurrel-
mann/Bründel 2007: 36).
Die Triebtheorien (,,Alltagstheorien") (Schubarth) sind zwar umstritten,
trotzdem haben einige Theorieelemente noch immer eine bestimmte
,,Erklärungskraft" (Schubarth) für die Aggressionsentwicklung. Gegenstra-
tegien, wie beispielsweise ,,Spiel und Sport" (Schubarth), bieten sich dabei

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2013
ISBN (PDF)
9783956365379
ISBN (Paperback)
9783956368813
Dateigröße
684 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg – Berufliche Bildung in der Sozialpädagogik
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Note
1,8
Schlagworte
Jugendgewalt Deliquenz Täter Opfer Formen von Jugendgewalt Devianz Gewaltprävention Gewaltintervention Mobbing Schulsozialarbeit Berufsbildende Schule
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