Lade Inhalt...

Die Unterstützung der Europäischen Union auf der Grundlage ökonomischer Kosten-Nutzen-Analysen

Welche Rolle spielt die europäische Identität?

©2015 Hausarbeit (Hauptseminar) 21 Seiten

Zusammenfassung

Die Europäische Union hat in den letzten Jahrzehnten einen starken Machtzuwachs erfahren. Spätestens die Eurokrise in den letzten Jahren hat die Bedeutung der EU deutlich gemacht und den Bürgern vor Augen geführt, wie weit die europäische Integration vorangeschritten ist. Doch ist die immer bedeutender werdende EU demokratisch legitimiert? Diese Frage stellen sich Wissenschaftler und die Öffentlichkeit schon seit einiger Zeit. In dieser Debatte taucht häufig das Konzept der europäischen Identität auf. „Das wichtigste Hindernis auf dem Weg zu einem demokratischen Europa ist der Mangel einer legitimationskräftigen kollektiven Identität“ (Scharpf 1999: 672). Das liegt vor allem an der Vorstellung, dass Demokratie ohne einen Demos nicht möglich ist. Doch auch auf einer anderen Ebene kommt der Identität großes Gewicht zu. Sie beeinflusst den Grad der Befürwortung der europäischen Integration und trägt damit dazu bei, ob die EU von den Bürgern unterstützt wird (Tóka et al. 2012). So wurde in der Vergangenheit häufig argumentiert, man müsse die europäische Identität stärken, um Unterstützung für die EU zu erreichen (Tugendhat 1977). Wie groß der Einfluss der europäischen Identität auf die Bewertung der EU ist, möchte ich mit meiner Arbeit untersuchen. Mein Interesse gilt im Besonderen der Frage danach, ob das Gefühl des Europäer-Seins die Bewertung der EU auf der Grundlage des ökonomischen Nutzens beeinflusst. Spielt die europäische Identität hierbei eine wichtige Rolle, so muss die Legitimität der EU aufgrund des Outputs in Frage gestellt werden. Aus demokratietheoretischer Sicht würde dies bedeuten, dass die Demokratiefähigkeit der EU nur gewährleistet ist, wenn eine kollektive europäische Identität geschaffen werden kann und nicht nur, wenn „Brüssel“ wünschenswerte Politikergebnisse herbeiführt. „Only when people come to find that staying united is at the same time convenient for their well-being and relevant to their image of collective life can a new polity [the EU] reach the critical point of acceptance“ (Cerutti 2008: 13).

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


1
1 Einleitung
Die Europäische Union hat in den letzten Jahrzehnten einen starken Machtzuwachs erfahren.
Spätestens die Eurokrise in den letzten Jahren hat die Bedeutung der EU deutlich gemacht
und den Bürgern vor Augen geführt, wie weit die europäische Integration vorangeschritten ist.
Doch ist die immer bedeutender werdende EU demokratisch legitimiert? Diese Frage stellen
sich Wissenschaftler und die Öffentlichkeit schon seit einiger Zeit. In dieser Debatte taucht
häufig das Konzept der europäischen Identität auf. ,,Das wichtigste Hindernis auf dem Weg
zu einem demokratischen Europa ist der Mangel einer legitimationskräftigen kollektiven
Identität" (Scharpf 1999: 672). Das liegt vor allem an der Vorstellung, dass Demokratie ohne
einen Demos nicht möglich ist. Doch auch auf einer anderen Ebene kommt der Identität
großes Gewicht zu. Sie beeinflusst den Grad der Befürwortung der europäischen Integration
und trägt damit dazu bei, ob die EU von den Bürgern unterstützt wird (Tóka et al. 2012). So
wurde in der Vergangenheit häufig argumentiert, man müsse die europäische Identität
stärken, um Unterstützung für die EU zu erreichen (Tugendhat 1977). Wie groß der Einfluss
der europäischen Identität auf die Bewertung der EU ist, möchte ich mit meiner Arbeit
untersuchen. Mein Interesse gilt im Besonderen der Frage danach, ob das Gefühl des
Europäer-Seins die Bewertung der EU auf der Grundlage des ökonomischen Nutzens
beeinflusst. Spielt die europäische Identität hierbei eine wichtige Rolle, so muss die
Legitimität der EU aufgrund des Outputs in Frage gestellt werden. Aus
demokratietheoretischer Sicht würde dies bedeuten, dass die Demokratiefähigkeit der EU nur
gewährleistet ist, wenn eine kollektive europäische Identität geschaffen werden kann und
nicht nur, wenn ,,Brüssel" wünschenswerte Politikergebnisse herbeiführt. ,,Only when people
come to find that staying united is at the same time convenient for their well-being and
relevant to their image of collective life can a new polity [the EU] reach the critical point of
acceptance" (Cerutti 2008: 13).
Meine Arbeit wird mit einem Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Erklärung
der Unterstützung der EU durch die Bürger beginnen. Den Fokus lege ich dabei auf die Rolle
der europäischen Identität und der ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse. In Kapitel drei
stelle ich meine Theorie vor und leite daraus die zu überprüfende Hypothese ab. Mein
Hauptargument lautet, dass die Existenz einer europäischen Identität die Erklärungskraft des
ökonomischen Kalküls im Hinblick auf die Bewertung der europäischen Integration
verringert. In Kapitel vier überprüfe ich meine Hypothese mit der Hilfe von Eurobarometer-
Daten, bevor ich Grenzen meiner Arbeit aufzeige und ein Fazit ziehe.

2
2 Forschungsstand
Empirische Analysen deuten darauf hin, dass die Identifikation mit der EU und das Vertrauen
in ihre Organe relativ gering sind (Lord 2004). Nicht zuletzt, weil die Unterstützung der EU
einen Einfluss auf die zukünftige europäische Integration hat (Toshkov 2011: 172), ist es
wichtig ihre Entstehung zu erklären. Die Einstellung der Bürger zur Europäischen Union wird
anhand vieler unterschiedlicher Faktoren erklärt (für einen Überblick siehe: Gabel 1998b;
Hix/Hoyland 2011: 105ff; Tóka et al. 2012). Nachdem utilitaristischen Kosten-Nutzen-
Modelle lange Zeit eine große Erklärungskraft zugesprochen wurden, rückte in den letzten
Jahren die Rolle der europäischen Identität zunehmend in den Mittelpunkt (Hooghe/Marks
2005; Van Klingeren et al. 2013). Im Folgenden werde ich beide Erklärungsansätze vorstellen
und die Relevanz meiner Forschungsfrage aufzeigen.
Europäische Identität ist ein komplexes Konstrukt, das in der Forschung nicht einheitlich
definiert wird und sich auf verschiedene Dimensionen bezieht (Cerutti 2008;
Risse/Engelmann-Martin 2002). In meiner Studie werde ich einer herkömmlichen Vorstellung
folgen. Das Konzept der europäischen Identität lässt sich in zwei Aspekte gliedern. Ein
Bestandteil ist das Gefühl der Zugehörigkeit und Loyalität zur EU an sich. Der andere
Bestandteil ist das Empfinden, Teil der europäischen Gesellschaft zu sein (Bellucci et al.
2012). Die Existenz einer europäischen Identität spiegelt sich also in der Selbstwahrnehmung
als Europäer wider. Dabei schließen sich eine europäische und eine nationale Identität nicht
gegenseitig aus. Es ist möglich, dass sich europäische Bürger sowohl als Europäer, als auch
als Franzose, Deutsche, Briten etc. sehen (Brewer/Gardner 1996; Faist 2001;
Medrano/Gutiérrez 2001). Nationale und europäische Identität können sich sogar gegenseitig
verstärken (Citrin/Sides 2004). Bisherige Forschung hat sich hauptsächlich mit dem Einfluss
der nationalen Identität auf die Einstellung zur EU beschäftigt und konnte zeigen, dass hier
ein Zusammenhang besteht (Carey 2002; Hooghe/Marks 2005). Doch auch die europäische
Identität spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Die europäische Identität ist eng mit der
Unterstützung der europäischen Integration verknüpft. Jürgen Habermas (2011) argumentiert,
dass eine europäische Identität und eine europäische Gesellschaft für das Gefühl der
Repräsentation durch die EU unabdingbar sind. Nur wenn man sich als Teil der europäischen
Gesellschaft fühlt, kann man sich auch mit den Entscheidungen der EU identifizieren. Tóka
und Kollegen (2012) zeigen, dass ,,Europäer-Sein" zur Unterstützung der EU führt. Sie führen
dies darauf zurück, dass Identität eng mit dem Gefühl der Repräsentation verbunden ist und
dieses Gefühl wiederum zur Unterstützung der EU beiträgt (ebd. 140f). Des Weiteren
untersuchen sie, wie die europäische Identität entsteht, das heißt welche Faktoren dazu

3
führen, dass sich ein europäischer Bürger als Europäer sieht oder nicht. Hier spielen vor allem
Erfahrungen mit der Europäischen Union, der sozialstrukturelle Hintergrund und
wirtschaftliche Einschätzungen eine Rolle.
Utilitaristische Modelle stellen eine Kosten-Nutzen-Analyse der Mitgliedschaft in der EU in
den Vordergrund. Der ökonomische Nutzen ist demnach eine bedeutende Determinante im
Bezug auf die Unterstützung der EU und der europäischen Integration (Eichenberg/Dalton
1993; Gabel 1998a; Gabel/Whitten 1997; McLaren 2002). Die grundlegende Idee dahinter ist,
dass eine der wichtigsten Anliegen der EU die wirtschaftliche Integration ist und daher das
ökonomische Kalkül eine entscheidende Bewertungsgrundlage der EU darstellt.
Wirtschaftliche Auswirkungen der Europäischen Union sind für die europäische Bevölkerung
von besonderer Bedeutung, weil sie erstens das Leben direkt beeinflussen können und weil
zweitens die EU die wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung als zentrales Ziel hat
(Franklin/Wlezien 1997: 350). Die Bürger befürworten die EU, wenn sie von ihr
wirtschaftlich profitieren und sind ihr gegenüber negativ eingestellt, wenn sie durch sie
wirtschaftlichen Schaden davon tragen. Es lassen sich in der Literatur, die sich auf das
ökonomische Kalkül als Grundlage der Einstellung zur EU bezieht zwei Arten der
Theoriebildung finden. Zum einen untersucht bestehende Forschung den Einfluss des
objektiven wirtschaftlichen Nutzens der EU für die Mitgliedstaaten auf die Unterstützung der
Bürger. Eichenberg und Dalton (1993) beziehen sich zum Beispiel auf objektive
wirtschaftliche Gegebenheiten auf nationaler Ebene und auf Zahlungen von der EU an die
einzelnen Mitgliedstaaten. Franklin und Wlezien (1997: 354) zeigen in ihrer Untersuchung,
dass eine gute wirtschaftliche Lage mit dem Support für die EU-Mitgliedschaft korreliert. Die
Logik hinter dieser Theorie lautet, dass europäische Bürger der EU positiv gegenüberstehen,
wenn das Herkunftsland wirtschaftlich von ihr profitiert und vice verca. Die Grundlage der
empirischen Untersuchungen bieten wirtschaftliche Kennzahlen wie das
Wirtschaftswachstum, die Inflation oder die erhaltenen Subventionen von der EU. Der zweite
Theoriestrang wendet sich von objektiven Indikatoren ab und hebt die Bedeutung subjektiver
Einschätzungen hervor. Gabel und Whitten (1997) demonstrieren, dass das subjektive
Empfinden des wirtschaftlichen Nutzens der EU entscheidender ist, als objektive Kennzahlen.
Dieser Theorie liegt die Idee zugrunde, dass der objektive Nutzen der EU für die
Mitgliedstaaten entweder durch die Bürger nicht wahrgenommen werden kann oder bei der
Bewertung keine Rolle spielt, weil das eigene Leben im Vordergrund steht. Gemäß des
Thomas-Theorems ist die wahrgenommene Realität die relevante. Dies soll bedeuten, dass
europäische Bürger der EU positiv gegenüberstehen, wenn sie das Gefühl haben persönlich

4
von ihr wirtschaftlich zu profitieren und vice verca. Der wahrgenommene ökonomische
Nutzen kann von dem objektiven abweichen und zu einem unterschiedlichen Grad der
Befürwortung führen. Die subjektive Bewertung der ökonomischen Folgen der EU findet ihre
Beachtung in ökonomischen Theorien auch in der Wahrnehmung der Liberalisierung der
Märkte durch die EU. Eine niedrige Bildung und ein niedriges Gehalt führen zu einer
negativen Bewertung der Liberalisierung und somit der EU als ganzes, weil die
Liberalisierung mit subjektiven ökonomischen Kosten verbunden ist (Gabel 1998a; Lewis-
Beck/Nadeau 2011).
Die bisherige Forschung macht deutlich, dass der wirtschaftliche Kontext und die europäische
Identität nicht gesondert voneinander betrachtet werden sollten, wenn man nach den Gründen
für die Unterstützung der EU fragt. Einerseits sind makroökonomische Faktoren und
europäische Identität keine alternativen erklärenden Variablen, sondern hängen miteinander
zusammen (Garry/Tilley 2009). Andererseits werden sowohl die europäische Identität, als
auch die Unterstützung der EU durch ein ökonomisches Kalkül der Bürger bestimmt
(Verhaegen et al. 2014). Es wurde argumentiert, dass sowohl wirtschaftliche Faktoren als
auch die Existenz einer europäischen Identität ausschlaggebend sind für die Bewertung der
EU (Harteveld et al. 2013; Hooghe/Marks 2005; Hooghe/Marks 2009; Tóka et al. 2012; Van
Klingeren et al. 2013). Bislang wurde nach meinem Wissen jedoch noch nicht versucht die
subjektive ökonomische Einschätzung des Nutzens der EU mit dem Konzept der
europäischen Identität zu verknüpfen, um den Grad der Unterstützung der EU zu erklären.
Diese Lücke möchte ich mit meiner Arbeit schließen und einen Beitrag zum Verständnis der
Einstellung der Bürger zur Europäischen Union leisten. Dieser Ansatz ist notwendig, weil
gezeigt werden konnte, dass die subjektive wirtschaftliche Einschätzung bei der Beurteilung
der EU von besonderer Bedeutung ist. Die individuelle europäische Identität sollte vor allem
mit der subjektiven Einschätzung zur wirtschaftlichen Situation zusammenhängen und nicht
mit der objektiven.

5
3 Theorie
Meine Theorie ähnelt der von Hooghe und Marks (2004), indem ich die Notwendigkeit sehe
Identität und ökonomisches Kalkül nicht getrennt voneinander zu betrachten, wenn versucht
wird den Grad der Unterstützung der EU zu erklären. Im Gegensatz zu ihrem Ansatz stelle ich
jedoch die europäische Identität in den Mittelpunkt und nicht die nationale. Ausschlaggebend
ist nicht, ob man sich als Franzose, Deutscher, Brite etc. fühlt, sondern ob man sich als
Europäer sieht. Wie oben erwähnt schließen sich die beiden Identitäten nicht gegenseitig aus.
Die nationale Identität sollte demnach nicht unbedingt etwas mit der Unterstützung der EU zu
tun haben, da sich beispielsweise ein stolzer Franzose ebenso als Europäer sehen kann. Die
Wirkung der europäischen Identität auf die Unterstützung der EU kann also die von Hooghe
und Marks (2004) vermutete Wirkung der nationalen Identität ,,ausstechen". Die von mir
vorgenommene Variation in der erklärenden Variablen wird dann relevant, wenn eine Person
sowohl eine nationale als auch eine europäische Identität besitzt. Für Hooghe und Marks wäre
diese Person eher ein Gegner der EU, für mich ist sie eher ein Befürworter. Carey (2002)
konnte zwar zeigen, dass die nationale Identität ein Hindernis für die Unterstützung der EU
darstellt, die Wirkung der europäischen Identität sollte jedoch stärker sein. In meiner Analyse
gehe ich nicht näher auf die Herkunft der europäischen Identität ein. Ausschlaggebend ist, ob
die Identität vorliegt, die mit einer Loyalität gegenüber der Europäischen Union verbunden
ist, und nicht, wieso sich ein Bürger als Europäer sieht.
Die starke europäische Loyalität der Personen mit europäischer Identität hat einen Einfluss
auf die Bedeutung der ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse. Wie bisherige Forschung
zeigen konnte, ist das ökonomische Kalkül von zentraler Bedeutung. Die individuelle
Bedeutung dieses Kalküls wird jedoch laut meiner Theorie durch die europäische Identität
bestimmt. Für Bürger, die sich nicht als Europäer sehen, determiniert neben der Identität auch
der subjektiv empfundene ökonomische Nutzen der EU in einem relativ hohen Ausmaß, ob
sie die Union befürworten oder nicht. Für Personen mit einer europäischen Identität hingehen
ist das utilitaristische Modell in seiner Reinform nicht anzuwenden. Auch ihrer Einstellung
zur EU liegt eine Kosten-Nutzen-Analyse zugrunde. Der Effekt der Analyse ist aber geringer,
als bei den Nicht-Europäern. Oder anders ausgedrückt: Es findet zwar eine Kosten-Nutzen-
Analyse statt, ihre Erklärungskraft für die endgültige Bewertung der EU ist aber geringer als
bei Nicht-Europäern. Die europäische Identität und die damit verbundene Loyalität führen
dazu, dass die EU in ihrem wirtschaftlichen Nutzen unter Umständen schlecht abschneidet
und dennoch unterstützt wird. Verschiedene Faktoren führen zu der geringeren Bedeutung der
wirtschaftlichen Bewertung bei Personen, die sich als Europäer sehen. Ökonomische

6
Einbußen werden in Kauf genommen, um das Projekt der EU nicht zu gefährden. Ein Grund
ist, dass Personen mit einer europäischen Identität in der Europäischen Union mehr als nur
eine Wirtschaftsunion sehen. Sie bewerten andere Aspekte wie die Sicherung des Friedens
oder den kulturellen Austausch als mindestens ebenso wichtig und fällen ihr Urteil somit
nicht nur aufgrund des wirtschaftlichen Nutzens. Sie sehen Europäer als Mitglieder ihrer
Gruppe und unterstützen diese Gruppe prinzipiell. Weiterhin ist es denkbar, dass die schlechte
eigene ökonomische Situation als unabdingbar angesehen wird, um anderen Europäern
wirtschaftlich zu helfen. Die europäische Identität kommt durch verschiedene Faktoren
zustande, die mit einer grundsätzlichen Befürwortung der EU in Zusammenhang stehen.
Diese Grundeinstellung wird nur gering durch wirtschaftliche Faktoren beeinflusst. Hat eine
Person keine europäische Identität, steht sie der EU skeptischer gegenüber und legt mehr
Wert auf den empfundenen Nutzen, den die EU bringt. Das bedeutet nicht, dass Personen
ohne europäische Identität der EU generell negativ gegenüber stehen müssen. Allerding muss
die EU einen ,,ökonomischen Test" bestehen, der bei Bürgern mit europäischer Identität von
geringerer Relevanz ist. Die genannten Aspekte lassen sich gut anhand der Eurokrise und der
Maßnahmen zu ihrer Überwindung veranschaulichen. Nach meiner Theorie bewerten alle
Bürger die EU anhand des persönlichen wirtschaftlichen Nutzens. Insgesamt sollte die EU
hierbei in Zeiten der Eurokrise relativ schlecht abschneiden. Ceteris paribus sollten Personen
ohne europäische Identität der EU deshalb relativ negativ gegenüber stehen. Personen mit
einer europäischen Identität sollten die EU positiver bewerten, auch wenn der ökonomische
Nutzen als gering eingestuft wird. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass sie Hilfspakete für
Griechenland, Spanien, Portugal etc. als notwendiges Übel sehen, um die EU als Ganzes nicht
zu gefährden. Im Extremfall ist es möglich, dass diese Hilfspakete als selbstverständlich
angesehen werden, weil nicht mehr in nationalen Termen gedacht wird. Es wird kein
Unterschied zwischen Europäern gemacht und gegenseitige Hilfe wird als normal und
eventuell sogar wünschenswert bewertet. In Deutschland wurde beispielsweise die nötige
europäische Solidarität zur Lösung der Euro-Krise betont und somit versucht die europäische
Identität zu stärken (Galpin 2012: 5). Die Logik hinter diesem Vorgehen ist, dass das Wir-
Gefühl gestärkt werden soll, das die Bürger gegenseitige Hilfe befürworten lässt. Der
aufgestellten Theorie liegt die Idee zugrunde, dass das Vorhandensein der langfristig stabilen
europäischen Identität dazu führt, dass kurzfristig änderbare wirtschaftliche Bewertungen an
Bedeutung verlieren. Durch die europäische Identität wird eine generelle positive Einstellung
zur EU hervorgerufen, die nur schwer durch andere Effekte beeinträchtigt wird.

7
Meine Theorie geht von einem Moderatoreffekt (Urban/Mayerl 2011: 294ff.) aus. Die
europäische Identität wirkt als Moderator und ihr Vorhandensein schwächt die Wirkung der
ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse auf die Bewertung der EU ab. Meine Hypothese lautet
also: Die Existenz einer europäischen Identität führt dazu, dass der ökonomischen Kosten-
Nutzen-Analyse bei der Bewertung der EU weniger Bedeutung zukommt, als wenn keine
europäische Identität vorliegt.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783956365317
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Mannheim – Fakultät für Sozialwissenschaften
Erscheinungsdatum
2015 (August)
Note
1,3
Schlagworte
EU Support Politische Einstellung Europäische Identität
Zurück

Titel: Die Unterstützung der Europäischen Union auf der Grundlage ökonomischer Kosten-Nutzen-Analysen
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
21 Seiten
Cookie-Einstellungen