Wen erreichen kommunale Bürgerbeteiligungsverfahren?
Eine Analyse der Partizipanten in Münster und anderen deutschen Städten
©2014
Bachelorarbeit
41 Seiten
Zusammenfassung
Eines der großen Probleme der städtischen Gesellschaft ist die erzwungene Segregation der in ihr Lebenden. Menschen mit Kindern, alte Menschen, arme Menschen – sie sammeln sich in den Stadtbezirken, in denen die Mieten noch erschwinglich sind. Dadurch entstehen in Bezug auf Armut, Arbeitslosigkeit, Migrationsanteil homogene Stadtbezirke in einer heterogenen Stadt.
Das gesamtgesellschaftliche Problem mit dieser Entwicklung ist das zunehmende Verarmen einiger Stadtteile, die Ausgrenzung die daraus entsteht, und auch das Gefühl der Bewohner, ausgegrenzt zu sein. Die daraus resultierenden Probleme sind hinlänglich bekannt und wurden auch von der Regierung schon vielfach adressiert, beispielsweise mit dem Projekt Soziale Stadt, welches die Lebensbedingungen der Bewohner, den sozialen Zusammenhalt, sowie die Integration aller Bevölkerungsgruppen verbessern soll.
Ein anderer Ansatz ist der der politischen Partizipation. Dadurch, dass die Bewohner der strukturell benachteiligten Quartiere in Planungsprozesse und die Entscheidungen der lokalen Politik eingebunden werden, sollen sie sich stärker mit ihrem Wohnumfeld und ihrer Kommune verbunden fühlen. In den letzten Jahren sind einige neue Partizipationsformen eingeführt worden. Nicht nur in Münster gibt es Bürgerumfragen, einen Bürgerhaushalt und Dialogformen wie Podiumsdiskussionen oder Fragestunden. All diese eher informellen Beteiligungsmöglichkeiten bieten auch über die Kommunalwahl hinaus die Möglichkeit, sich einzubringen, seiner Stimme Gehör zu verschaffen, seine eigene Lobby zu sein. Und auch für Bürger und Bürgerinnen ohne Wahlrecht stehen sie offen und bieten so hervorragende Voraussetzungen für einen aktiven Dialog zwischen Politikern und denen, die mit den Folgen der politischen Entscheidungen leben. Theoretisch.
Wie sieht es aber nun tatsächlich aus? Wird das Ziel der umfassenden Beteiligung auf lokaler Ebene erreicht? Um diese Frage zu beantworten, widmet sich diese Arbeit der Nutzerstruktur diverser niederschwelliger Beteiligungsformen. Einerseits wird Münster untersucht – hier ist gerade die neuste Auflage des Bürgerhaushalts abgelaufen. Als Vergleichsstädte werden Karlsruhe, Augsburg und Oldenburg herangezogen. Den Hauptteil der Arbeit abschließend werden Parallelen und Unterschiede zwischen den Städten herausgearbeitet und Ursachen dafür gesucht. Im abschließenden Kapitel werden im Wesentlichen Probleme der Beteiligung selbst und auch ihrer Untersuchung benannt und Lösungsansätze diskutiert.
Das gesamtgesellschaftliche Problem mit dieser Entwicklung ist das zunehmende Verarmen einiger Stadtteile, die Ausgrenzung die daraus entsteht, und auch das Gefühl der Bewohner, ausgegrenzt zu sein. Die daraus resultierenden Probleme sind hinlänglich bekannt und wurden auch von der Regierung schon vielfach adressiert, beispielsweise mit dem Projekt Soziale Stadt, welches die Lebensbedingungen der Bewohner, den sozialen Zusammenhalt, sowie die Integration aller Bevölkerungsgruppen verbessern soll.
Ein anderer Ansatz ist der der politischen Partizipation. Dadurch, dass die Bewohner der strukturell benachteiligten Quartiere in Planungsprozesse und die Entscheidungen der lokalen Politik eingebunden werden, sollen sie sich stärker mit ihrem Wohnumfeld und ihrer Kommune verbunden fühlen. In den letzten Jahren sind einige neue Partizipationsformen eingeführt worden. Nicht nur in Münster gibt es Bürgerumfragen, einen Bürgerhaushalt und Dialogformen wie Podiumsdiskussionen oder Fragestunden. All diese eher informellen Beteiligungsmöglichkeiten bieten auch über die Kommunalwahl hinaus die Möglichkeit, sich einzubringen, seiner Stimme Gehör zu verschaffen, seine eigene Lobby zu sein. Und auch für Bürger und Bürgerinnen ohne Wahlrecht stehen sie offen und bieten so hervorragende Voraussetzungen für einen aktiven Dialog zwischen Politikern und denen, die mit den Folgen der politischen Entscheidungen leben. Theoretisch.
Wie sieht es aber nun tatsächlich aus? Wird das Ziel der umfassenden Beteiligung auf lokaler Ebene erreicht? Um diese Frage zu beantworten, widmet sich diese Arbeit der Nutzerstruktur diverser niederschwelliger Beteiligungsformen. Einerseits wird Münster untersucht – hier ist gerade die neuste Auflage des Bürgerhaushalts abgelaufen. Als Vergleichsstädte werden Karlsruhe, Augsburg und Oldenburg herangezogen. Den Hauptteil der Arbeit abschließend werden Parallelen und Unterschiede zwischen den Städten herausgearbeitet und Ursachen dafür gesucht. Im abschließenden Kapitel werden im Wesentlichen Probleme der Beteiligung selbst und auch ihrer Untersuchung benannt und Lösungsansätze diskutiert.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Janzen, Verena: Wen erreichen kommunale Bürgerbeteiligungsverfahren?
Eine Analyse der Partizipanten in Münster und anderen deutschen Städten,
Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2015
PDF-eBook-ISBN: 978-3-95636-456-3
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2015
Zugl. Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Bachelorarbeit, 2014
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Printed in Germany
Inhalt
1 EINLEITUNG ...1
2 HAUPTTEIL...4
2.1 T
HEORETISCHE
G
RUNDLAGEN
UND
UNTERSUCHTE
K
RITERIEN
...4
2.1.1 Formen der Beteiligung...5
2.1.2 Bildungsabschlüsse...6
2.1.3 Migrationsvorgeschichte...7
2.1.4 Herkunftseffekte und politisches Selbstvertrauen...7
2.2 M
ÜNSTER
...8
2.2.1 www.direktzu.de/lewe...8
2.2.2 Bürgerumfrage 2010...11
2.2.3 Bürgerumfrage 2013 und Bürgerhaushalt...15
2.3 A
USGEWÄHLTE
DEUTSCHE
S
TÄDTE
...18
2.3.1 Bürgerhaushalt Oldenburg...19
2.3.2 Bürgerumfragen Karlsruhe...20
2.3.3 Bürgerumfrage Augsburg...22
2.4 V
ERGLEICH
M
ÜNSTER
UND
ANDERE
S
TÄDTE
...24
2.4.1 Herkunft der Teilnehmenden...25
2.4.2 Bildungsabschlüsse der Teilnehmenden...27
2.4.3 Altersstruktur der Teilnehmenden...28
3 FAZIT / AUSBLICK...29
4 LITERATURVERZEICHNIS...35
ii
1 Einleitung
Eines der großen Probleme der städtischen Gesellschaft ist die erzwungene Segregati-
on der in ihr Lebenden. Menschen mit Kindern, alte Menschen, arme Menschen sie
sammeln sich in den Stadtbezirken, in denen die Mieten noch erschwinglich sind
(Grosse Starmann/ Schmidt 2008:7). Hieraus ergeben sich polarisierte Städte, in denen
derjenige
1
dort wohnt, wo er es sich leisten kann. Dies ist nicht immer auch gleichzei-
tig der Ort, wo die jeweilige Person auch wohnen möchte. Der städtische Wohnungs-
markt führt als entscheidender Faktor zu ,,relativ stabilen innerstädtischen Mustern der
Segregation" (Strohmeier 2008:13f.). Ein Wegzug aus den weniger begehrten Stadtbe-
zirken ist für diejenigen, die nur über ein geringes Einkommen verfügen können in den
meisten Fällen nicht möglich. Durch diese Mechanismen entstehen in Bezug auf Ar-
mut, Arbeitslosigkeit, Migrationsanteil homogene Stadtbezirke in einer heterogenen
Stadt. Das Vermögen ballt sich in den Gründerzeithäusern der hübschen innerstädti-
schen Viertel, während die finanzschwachen Bürgerinnen und Bürger in vielen Städten
in die Großwohnsiedlungen der 70er Jahre ziehen. In jeder größeren Stadt wird man
keine Probleme haben, eine jeweils typische Straße zu benennen. In Münster treffen
die Gertrudenstraße auf die Königsberger Straße, die Kerkerinckstraße auf die Hogen-
bergstraße, der Grüne Grund auf die Killingstraße. Und spaziert man durch die Wohn-
viertel dazwischen, dann sieht man an vielen Stellen wie alte Siedlungshäuser durch
moderne, kubische Bauten ersetzt werden. Werden innerstädtisch Baugrundstücke zur
Nachverdichtung frei, so werden sie gerne mit einem ,,Townhouse" oder sogar einer
Gated Community bebaut wie geschehen im hinteren Bereich der Ägidiistraße, im
Park Sentmaring und auf dem alten Klostergelände am Hörsterplatz. Letzteres Projekt
vermarktet sich mit dem auch gesellschaftlich wegweisenden Slogan ,,Das Privileg, in
der Stadt zuhause zu sein." (vgl. Abb.1).
1
Für die gesamte vorliegende Arbeit gilt, dass wo möglich geschlechtsneutrale Bezeichnungen für
Personen gewählt werden. Wenn keine neutrale Formulierung gefunden werden kann, wird häufig
ausschließlich aus Gründen der Lesbarkeit die männliche Form gewählt, welche aber auch gleicher-
maßen weibliche Personen einbezieht.
1
Das gesamtgesellschaftliche Problem mit dieser Entwicklung ist das zunehmende
Verarmen einiger Stadtteile, die Ausgrenzung die daraus entsteht, und auch das Gefühl
der Bewohner, ausgegrenzt zu sein. So entstehen abgehängte Gebiete, die weit vom
Stadtleben und der städtischen Gesellschaft entfernt sind. Die daraus resultierenden
Probleme sind hinlänglich bekannt und wurden auch von der Regierung schon vielfach
adressiert, beispielsweise mit dem Projekt Soziale Stadt, welches die Lebensbedingun-
gen der Bewohner, den sozialen Zusammenhalt, sowie die Integration aller Bevölke-
rungsgruppen verbessern soll (BMUB o.J.). Besonders durch Schaffung öffentlicher
Plätze, Stadtteilzentren sowie durch die Aktivierung der Bewohner und Anreiz zum eh-
renamtlichen Engagement im Wohnviertel soll das Miteinander gefördert werden.
Durch Identifikation mit dem Umfeld werden Probleme und Konflikte vermieden.
Ein anderer Ansatz ist der der politischen Partizipation. Hier wird auf ähnliche Me-
chanismen gesetzt: Dadurch, dass die Bewohner der strukturell benachteiligten Quar-
tiere in Planungsprozesse und die Entscheidungen der lokalen Politik eingebunden
werden, sollen sie sich stärker mit ihrem Wohnumfeld und ihrer Kommune verbunden
fühlen. In den letzten Jahren sind einige neue Partizipationsformen eingeführt worden.
Nicht nur in Münster gibt es Bürgerumfragen, einen Bürgerhaushalt und Dialogformen
2
Abbildung 1: Screenshot der Klostergärten-Website
Quelle: www.klostergaerten-muenster.de
wie Podiumsdiskussionen oder Fragestunden. All diese eher informellen Beteiligungs-
möglichkeiten bieten auch über die Kommunalwahl hinaus die Möglichkeit, sich ein-
zubringen, seiner Stimme Gehör zu verschaffen, seine eigene Lobby zu sein. Und auch
für Bürger und Bürgerinnen ohne Wahlrecht stehen sie offen und bieten so hervorra-
gende Voraussetzungen für einen aktiven Dialog zwischen Politikern und denen, die
mit den Folgen der politischen Entscheidungen leben. Theoretisch.
Wie sieht es aber nun tatsächlich aus? Wird das Ziel der umfassenden Beteiligung
auf lokaler Ebene erreicht? Um diese Frage zu beantworten, widmet sich diese Arbeit
der Nutzerstruktur diverser niederschwelliger Beteiligungsformen. Einerseits wird
Münster untersucht hier ist gerade die neuste Auflage des Bürgerhaushalts abgelau-
fen. Als Vergleichsstädte werden dann Karlsruhe, Augsburg und Oldenburg herangezo-
gen. Die Kriterien, nach denen sie ausgewählt wurden, werden im jeweiligen Abschnitt
noch erläutert. Den Hauptteil der Arbeit abschließend werden Parallelen und Unter-
schiede zwischen den Städten herausgearbeitet und Ursachen dafür gesucht. Gibt es in
Münster ähnliche Probleme wie in vergleichbaren Städten, oder treten spezielle Phäno-
mene auf? Im abschließenden Kapitel werden im Wesentlichen Probleme der Beteili-
gung selbst und auch ihrer Untersuchung benannt und Lösungsansätze diskutiert.
3
2 Hauptteil
Es gibt sowohl zur Stadtsoziologie als auch zu kommunalen Bürgerbeteiligungsverfah-
ren eine breite Palette an Literatur und Forschung. Erstaunlicherweise ist der Bereich,
in dem sich Zusammenhänge zwischen diesen Feldern auftun, relativ wenig erforscht.
Beide Felder nehmen die Problematik der Nicht-Partizipation quantitativ wahr, jedoch
fehlte es bis vor kurzem an Ursachenforschung. Ja, die Teilhabe an der Bürgergesell-
schaft ist in bestimmten Gruppen oder Bereichen sehr niedrig doch warum? Erst in
jüngster Zeit haben sich Wissenschaftler daran gemacht, in den betroffenen Gebieten
selbst nach Antworten zu suchen.
2.1
Theoretische Grundlagen und untersuchte Kriterien
Als Leitfaden zur Untersuchung der Beteiligungsformen und den Auffälligkeiten in der
Struktur ihrer jeweiligen Teilnehmerschaft wird die Studie ,,Entbehrliche der Bürger-
gesellschaft?" von Johanna Klatt und Franz Walter hinzugezogen. Im Gegensatz zur
vorliegenden Arbeit arbeiten Klatt und Walter mit qualitativen Erhebungen. Um das
Engagement und die Einstellungen von sozial unterprivilegierten Bevölkerungsmil-
lieus zu untersuchen, wurden Fokusgruppen und Einzelinterviews in vier struktur-
schwachen Stadtquartieren in Kassel, Leipzig und Göttingen durchgeführt. Durch die-
se Untersuchung und deren Auswertung können so erstmals Einblicke in Bereiche ge-
wonnen werden, die in sonstigen quantitativen Studien und Befragungen lediglich als
Abwesenheit, Desinteresse oder Informationsdefizit gedeutet werden, nämlich in die
Beweggründe für die Nichtteilnahme von sozial Benachteiligten an der Bürgergesell-
schaft. So können denn auch in der vorliegenden Arbeit Erklärungsmuster für auffälli-
ges Abstimmungsverhalten auf Gründe zurückgeführt werden, die in der Studie von
Klatt und Walter herausgearbeitet wurden. Auch die Auswertungen der Themenberei-
che der Bürgerbefragungen, die sich mit ehrenamtlichem Engagement befassen, wer-
den auf die Ergebnisse von Klatt und Walter zurückgreifen.
Als weitere theoretische Grundlage bieten sich die Arbeiten von Sebastian Bö-
deker an, der sich allgemein mit dem Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit
und politischem Engagement auseinandersetzt. Des weiteren bieten auch Evaluationen
4
und Kommentare zum Programm Soziale Stadt interessante Einblicke in den Erfah-
rungsschatz derer, die die Partizipationsmöglichkeiten vor Ort verbessern wollen.
2.1.1 Formen der Beteiligung
Eine Vielfalt neuer Beteiligungsformen hat sich in den letzten Jahren etabliert. Da wo
früher eine Anhörung zu einem neuen Bebauungsplan der intensivste Kontakt zwi-
schen Planenden und Bürgern war, so bieten sich heute an vielen Stellen Möglichkei-
ten zum Dialog. Besonders der Bürgerhaushalt ist in den letzten Jahren als sehr popu-
läre und öffentlichkeitswirksame Form hervorgetreten. Und auch Bürgerumfragen ge-
hören in vielen Städten heute zum normalen Alltagsgeschäft. Hinzu kommen auf der
Mikroebene dann noch stadtteilspezifische Formen wie Podiumsdiskussionen mit Be-
zirksvertretern, oder sogar in noch kleinerem Rahmen Beteiligungen in Form von Ver-
sammlungen von Wohnungsbaugesellschaften mit ihren Mietern, eine Variante, die be-
sonders in Stadtumbaugebieten von Bedeutung ist. Aber auch das Ausüben des kom-
munalen Wahlrechts stellt eine wichtige Möglichkeit der Partizipation dar.
In dieser Arbeit richtet sich das Augenmerk auf die beiden Formen Bürgerhaushalt
und Bürgerumfrage, da beide sowohl in Münster als auch in vergleichbaren Städten
durchgeführt werden. Kommunalwahlen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide nach
der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen finden hingegen keine Beachtung, da sie
an das Wahlrecht gebunden sind und somit nicht allen Teilen der Bevölkerung offen-
stehen. Die Bürgerumfrage hingegen wird potentiell an alle Haushalte verschickt, und
am Bürgerhaushalt können sich theoretisch sogar Personen ohne festen Wohnsitz oder
sogar ohne Ausweis beteiligen.
Der Bürgerhaushalt läuft im Prinzip in allen Städten ähnlich ab. Zunächst werden
über einen oder mehrere Wege Vorschläge gesammelt. Gängige Verfahren sind Online-
module, öffentlich ausliegende Listen, Bürgerforen, und auch die Teilnahme per Tele-
fon oder auf dem Postweg ist nicht unüblich. Im Anschluss an die Sammlung werden
die eingegangenen Vorschläge bewertet. Im Münster passiert dies einerseits über das
Internet, andererseits in Form einer schriftlichen Umfrage an eine Zufallsstichprobe
aus der Grundgesamtheit aller Einwohner. Anschließend werden die Vorschläge sor-
tiert, eine Rangfolge erstellt, und dann den Gremien zur Weiterverarbeitung vorgelegt.
5
In Münster ist das betreffende Gremium der Rat der Stadt beziehungsweise die betref-
fende Bezirksverwaltung.
Die Bürgerumfrage hat keinen Vorschlagcharakter, sondern ist lediglich eine Abfra-
ge von allgemeinen Einstellungen und Kenntnisständen zum Leben in der Stadt. Er-
gänzend zum allgemeinen Teil haben die meisten Bürgerumfragen häufig einen oder
mehrere Themenschwerpunkte wie Zufriedenheit mit dem Wohnumfeld, Freizeitge-
staltung oder Ähnliches. Das Verfahren ist eher quantitativ und somit standardisierter
als der Bürgerhaushalt, daher fällt der Vergleich zwischen verschiedenen Städten leich-
ter.
2.1.2 Bildungsabschlüsse
Eines der Kriterien, die in der Diskussion über die Ergebnisse von Beteiligungsverfah-
ren häufig herangezogen werden, ist das des Bildungsabschlusses. Nun sagt ein Abitur
nicht automatisch etwas über die politische Bildung des Besitzers aus, da das persönli-
che Interesse hierbei eine sehr große Rolle spielt. Jedoch muss dem Abitur eine recht
lange Schulbildung vorausgegangen sein, die sich an vielen Stellen auch außerhalb
des Politikunterrichts mit der Gesellschaft, in der wir leben, beschäftigt. Des weite-
ren sind Bildungsabschlüsse ein Indikator für das zur Verfügung stehende kulturelle
Kapital. Kulturelles Kapital ist nach Pierre Bourdieu unter anderem all jene Bildung,
die eine Person durch das private Umfeld, allen voran die Familie, sowie durch Institu-
tionen wie Schulen oder Universitäten in sich anhäuft, daher auch ,,inkorporiertes kul-
turelles Kapital" (Bourdieu 1983:187). Neben dem Bildungskapital, das Schülerinnen
und Schüler selbst im Laufe ihrer Bildungslaufbahn ansammeln, spielt also die Her-
kunft eine große Rolle. So ist es leider nach wie vor möglich, in einem gewissen Rah-
men vom erreichten Bildungsabschluss einer Person auf das kulturelle Kapital des El-
ternhauses zu schließen, da Herkunft und erreichbarer Abschluss in Deutschland nach
wie vor in nicht geringem Umfang kausal verknüpft sind. Hierzu sei exemplarisch auf
die PISA-Ergebnisse verwiesen (Süddeutsche Zeitung 2010). Als Tendenz lässt sich
festhalten: Je besser situiert das Elternhaus, desto höher der Abschluss. Ein wirtschaft-
lich und/oder intellektuell potentes Elternhaus sorgt im Allgemeinen dafür, dass der
Schüler oder die Schülerin über Ressourcen verfügt, die ihm oder ihr eine erfolgreiche
Laufbahn erleichtern. Im Umkehrschluss kann also gefolgert werden, dass Menschen
6
mit hohen Bildungsabschlüssen einem gebildeten Elternhaus entstammen. Bildung ist
wiederum eng mit politischem Interesse verknüpft (Bödeker 2012:2).
2.1.3 Migrationsvorgeschichte
Liest man eine beliebige Dokumentation zu einer Umfrage, so wird man in jedem Vor-
wort einige Worte zur schlechten Erreichbarkeit von Deutschen mit Migrationshinter-
grund und von Ausländern lesen. Es liegt daher auf der Hand, in einer Arbeit über die
Partizipanten an Bürgerbeteiligungsverfahren besonders auch auf diese Gruppen zu
schauen. Die Vielfalt der Gesellschaft spiegelt sich allerdings auch in der Vielfalt von
Begriffen wider: Migrationshintergrund, Migrationsvorgeschichte, Ausländer, Deut-
sche mit im Ausland geborenen Eltern, zweite Generation, dritte Generation. Leider
legt hier jede Stadt andere Definitionen an, daher ist es unabdingbar, den Anteil der un-
tersuchten Gruppe jeweils mit ihrem Anteil in der Grundgesamtheit beziehungsweise
der Bevölkerung der jeweiligen Stadt in Bezug zu bringen. Durch die so ermittelten
Relationen lassen sich auch Städte mit unterschiedlichen Definitionen gut vergleichen.
In Münster zum Beispiel arbeiten alle statistischen Auswertungen mindestens mit dem
Begriff ,,Migrationsvorgeschichte". In vielen Auswertungen werden dann noch weitere
Aufschlüsselungen der untersuchten Gruppe eingeführt, jedoch nicht in allen. Daher
bietet es sich an, innerhalb der Auswertung der Statistiken aus Münster mit dem Be-
griff ,,Migrationsvorgeschichte" weiterzuarbeiten.
2.1.4 Herkunftseffekte und politisches Selbstvertrauen
Der Mechanismus der sozialen Selektion im Bildungssystem lässt sich hervorragend
über die Bildungseffekte, die der Soziologe Raymond Boudon erstmals definiert hat,
beschreiben (Boudon 1974:30). Er unterscheidet primäre und Sekundäre Herkunftsef-
fekte. Hierbei sind die primären Effekte von der Idee her im Grunde nicht wesentlich
anders als die Kombination aus kulturellem und ökonomischen Kapital nach Bourdieu
und deren Auswirkungen auf Bildungschancen. Sekundäre Effekte hingegen beziehen
sich eher auf die Selbsteinschätzung der eigenen Umstände und der sich daraus ergebe-
nen Chancen. Der Umstand, dass Eltern in der Regel danach streben, dass ihr Kind die
gleiche Schulform besucht wie sie selbst es getan haben, ist zum Beispiel ein typischer
7
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2014
- ISBN (PDF)
- 9783956364563
- ISBN (Paperback)
- 9783956368004
- Dateigröße
- 881 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Münster – Institut für Soziologie
- Erscheinungsdatum
- 2015 (April)
- Note
- 1,0
- Schlagworte
- bürgerbeteiligungsverfahren eine analyse partizipanten münster städten
- Produktsicherheit
- Diplom.de