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Zentralbanken und Finanzstabilität: Zu den Interdependenzen von Geldpolitik und makroprudenzieller Politik

©2014 Masterarbeit 88 Seiten

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit diskutiert geldpolitische und makroprudenzielle Aspekte sowie deren Verbindungen im Rahmen der Finanzstabilität und gibt einen Einblick in die infolge der Finanzkrise geschaffenen makroprudenziellen Strukturen wichtiger Wirtschaftsräume.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


II
Gliederung
Abbildungsverzeichnis ... IV
Symbolverzeichnis ... VI
Abkürzungsverzeichnis ... VIII
1 Einleitung ... 1
2 Finanzstabilität ... 2
2.1 Definition ... 2
2.2 Systemrisiken ... 4
2.2.1 Unterscheidung von makroprudenziellen und mikroprudenziellen
Risiken ... 4
2.2.2 Unterscheidung von Systemrisiken ... 6
3 Interdependenz von Geldpolitik und Finanzstabilität ... 10
3.1 Transmissionskanäle der Geldpolitik ... 10
3.2 Der Risikokanal ... 13
4 Makroprudenzielle Politik ... 16
4.1 Definition ... 16
4.2 Instrumente ... 17
4.2.1 Weiche Instrumente ... 18
4.2.2 Mittlere Instrumente ... 19
4.2.3 Harte Instrumente ... 19
4.3 Beurteilung ... 25
5 Einsatz von Geldpolitik und makroprudenzieller Politik für die
Finanzstabilität ... 26
5.1 Theoretische Ansätze ... 26
5.1.1 Modified Jackson Hole Consensus ... 27
5.1.2 Leaning against the wind vindicated ... 28
5.1.3 Finanzstabilität und Preisstabilität ... 30
5.2 Diskussion von Wechselwirkungen ... 31
5.3 Probleme der institutionellen Ausgestaltung ... 33
5.3.1 Dualmandat ... 33
5.3.2 Trennung der Mandate ... 35
5.4 Modellvergleich zur Abstimmung von Geldpolitik und
makroprudenzieller Politik ... 37
5.4.1 Modell von Woodford nach Svensson ... 37

III
5.4.2 Modell von Cecchetti und Kohler ... 42
5.4.3 Vergleichende Interpretation der Modelle ... 49
6 Institutionelle Ausgestaltung der makroprudenziellen Politik ... 51
6.1 Internationale Institutionen ... 51
6.2 Ausgewählte Systembeispiele ... 52
6.2.1 England ... 52
6.2.2 Vereinigte Staaten von Amerika ... 55
6.2.3 Europa ... 56
6.2.3.1 ESRB und Bankenaufsicht ... 57
6.2.3.2 Institutionalisierung in Deutschland ... 61
7 Zusammenfassung und Ausblick ... 62
Literaturverzeichnis ... IX
Anhang ... XVII
Eidesstattliche Versicherung ... XXVI

IV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Stabilitätszustände im Finanzsystem ... 4
Abbildung 2: Mikroprudenzielle und makroprudenzielle Sichtweise von
Risiken ... 6
Abbildung 3: Entwicklung der Verschuldung im Finanzzyklus ... 7
Abbildung 4: Zusammenspiel von Bankenkrise, Staatskrise und
realwirtschaftlicher Krise ... 9
Abbildung 5: Transmissionsmechanismen einer Zinssenkung ... 11
Abbildung 6: Anstieg der Kreditversorgung durch Bilanzanpassung der
Banken ... 14
Abbildung 7: Effektivität antizyklischer Kapitalanforderungen ... 21
Abbildung 8: Funktionsweise des Dynamic Provisioning ... 21
Abbildung 9: Auswirkung von Loan-to-Value-Quoten auf Immobilienpreise
und Immobilienkreditvergabe bei dauerhaft niedrigen Zinsen ... 23
Abbildung 10: Zielkonflikte zwischen Geldpolitik und makroprudenzieller
Politik ... 32
Abbildung 11: Wirkung von Kreditspreads auf den Kreditmarkt im
Woodford-Modell ... 38
Abbildung 12: Wirkung von finanziellen Störungen auf die Realwirtschaft
und das Preisniveau im Woodford-Modell ... 39
Abbildung 13: Wirkung der Instrumente auf den Kreditmarkt im Cecchetti-
und-Kohler-Modell ... 44
Abbildung 14: Verlust durch einen Nachfrageschock im Cecchetti-und-
Kohler-Modell ... 48
Abbildung 15: Verlust durch einen Angebotsschock im Cecchetti-und-
Kohler-Modell ... 49
Abbildung 16: Aufbau des Financial Stability Oversight Council ... 55
Abbildung 17: Struktur des Europäischen Finanzaufsichtssystems ... 57
Abbildung 18: Makroprudenzielle Politik als Lehre der Finanzkrise ... XVII
Abbildung 19: Zusammenspiel von Finanzzyklus und Konjunkturzyklus XVIII
Abbildung 20: Dimensionen der Politikansätze für Finanzstabilität ... XIX
Abbildung 21: Für die nationale makroprudenzielle Überwachung in der
Eurozone angedachte Instrumente ... XIX
Abbildung 22: Sichtweisen zur Finanzstabilitätspolitik ... XX
Abbildung 23: Modellvergleich von Cecchetti und Kohler (2012) mit
Svensson (2012) nach Woodford (2012)... XXI
Abbildung 24: Zusammensetzung der Committees der Bank of EnglandXXII

V
Abbildung 25: Mitgliedsbehörden des Financial Stability Oversight Councils
... XXII
Abbildung 26: Organisationsstruktur des Europäischen Ausschusses für
Systemrisiken ... XXIII
Abbildung 27: Entscheidungsstrukturen im Single Supervisory Mechanism
... XXIV
Abbildung 28: Kompetenzverteilung im Single Resolution Mechanism .. XXIV
Abbildung 29: Implementierung der makroprudenziellen Aufsicht in
England, den Vereinigten Staaten und Europa ... XXV

VI
Symbolverzeichnis
Zu Kapitel 5.4.1
Erwartungsoperator
Makroprudenzielles
Instrument
Staatsausgaben
Verschuldungsgrad
Zeitindex
Exogener
Kostentreiber
Exogener Einfluss auf den Verschuldungsgrad
Parameter
Parameter
reales Produktionsniveau
Parameter
Parameter
Parameter
Wahrscheinlichkeit des Übergangs in den Krisenzustand
Parameter
Parameter
Inflationsrate
Parameter
Zeitindex
Parameter
Kreditspread
Zu Kapitel 5.4.2
Parameter
Reales Eigenkapital der Banken
Zinssatz der Zentralbank
Kapitalanforderungen an Banken
Verlustfunktion
Kreditnachfrage
Kreditangebot
Kreditmenge
reales Produktionsniveau
Gesamtwirtschaftliche Nachfrage

VII
Gesamtwirtschaftliches Angebot
Parameter
Parameter
Parameter
Parameter
Störvariable (weißes Rauschen)
Störvariable (weißes Rauschen)
Parameter
Parameter
Parameter
Inflation
Erwartete Inflation
Nomineller Darlehenszins des Kreditmarktes
Parameter
Parameter
Parameter

VIII
Abkürzungsverzeichnis
DTI
Debt-to-Income
ESRB
Europäischer Ausschuss für Finanzrisiken
FCA
Financial Conduct Authority
FED
Federal Reserve System
FPC
Financial Policy Committee
FSOC
Financial Stability Oversight Council
LATW
Leaning against the Wind
LoLR
Lender of Last Resort
LTV
Loan-to-Value
PRA
Prudential Regulation Authority
SIFI
Systemrelevantes Finanzunternehmen
SRM
Einheitlicher
Bankenabwicklungsmechanismus
SSM
Einheitlicher
Bankenaufsichtsmechanismus

Einleitung 1
1 Einleitung
Die Finanzkrise mit ihrem Höhepunkt im Jahr 2008 stellte die
Verwundbarkeit des weltweiten Finanzsystems bloß. Durch die Pleite der
Lehman Brothers Investment Bank und weitere Schockmomente verloren
Interbankenmarkt und Kreditmarkt innerhalb kurzer Zeit ihre
Funktionsfähigkeit und stellten so eine bedeutende Bedrohung für die
Finanzstabilität dar. Durch politische Hilfsprogramme für angeschlagene
Banken und die Bereitstellung von Liquidität wurde ein Zusammenbruch
des Systems verhindert.
Infolge der Ereignisse wurden und werden Ursachen sowie
Vermeidungsstrategien für solche Krisen gesucht. Vor der Finanzkrise
betrachteten Politik und Forschung die makroökonomische Politik mit ihren
Zielen der Geldwertstabilität und der realwirtschaftlichen Entwicklung als
weitgehend unabhängig von der mikroprudenziellen Überwachung
einzelner Institute. Die mikroprudenzielle Politik hatte die Aufgabe, die
Stabilität des Finanzsystems zu wahren. Die Finanzkrise hat nun gezeigt,
dass dieser getrennte Ansatz zu kurz greift und mit der makroprudenziellen
Dimension ein bedeutender Risikofaktor außer Acht gelassen wurde.
Risiken der Finanzstabilität existieren nicht nur auf Einzelinstitutsebene,
sondern auch auf Systemebene und verbinden somit die prudenzielle
Überwachung mit der makroökonomischen Politik (vgl. Anhang: Abbildung
18).
Eine Forschungsrichtung sieht nun das Ende des traditionellen Inflation
Targeting. Das Mandat der Geldpolitik solle demnach um Belange der
Finanzstabilität erweitert werden (Eichengreen et al. 2011, S. 12), da
Preisstabilität sich als unzureichende Bedingung für die Finanzstabilität
herausgestellt habe. Eine Gegenströmung möchte so weit wie möglich
makroprudenzielle Politik für die Wahrung der Finanzstabilität einsetzen
und die Geldpolitik nicht mit einem zusätzlichen Mandat belasten
(Svensson 2013, S. 76).
Die vorliegende Arbeit diskutiert geldpolitische und makroprudenzielle
Aspekte sowie deren Verbindungen im Rahmen der Finanzstabilität und

Finanzstabilität 2
gibt einen Einblick in die infolge der Finanzkrise geschaffenen
makroprudenziellen Strukturen wichtiger Wirtschaftsräume.
Kapitel zwei definiert zuerst die Finanzstabilität. Im Anschluss werden
Systemrisiken von mikroprudenziellen Risiken abgegrenzt und die
Dimensionen aufgezeigt, in denen Systemrisiken auftreten können. Im
dritten Kapitel wird die Wirkung von Geldpolitik auf die Finanzstabilität
herausgestellt. Der Risikokanal wird wegen seiner besonderen Bedeutung
separat behandelt. Das vierte Kapitel zeigt eingangs auf, was unter
makroprudenzieller Politik verstanden wird und stellt dann das verfügbare
Instrumentarium vor. Im Anschluss werden die makroprudenzielle Politik
und die zugehörigen Instrumente bewertet. Kapitel fünf behandelt den
gemeinsamen Einsatz von Geldpolitik und makroprudenzieller Politik für die
Finanzstabilität. Zuerst werden die drei wichtigsten Theorieansätze
vorgestellt. Danach diskutiert der Text die Wechselwirkungen zwischen den
beiden Politikinstrumenten sowie die institutionellen
Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Finanzstabilitätsmandats. Schließlich
werden zwei Modelle zur Abstimmung von Geldpolitik und
makroprudenzieller Politik vorgestellt und anschließend deren Unterschiede
und Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und interpretiert. Kapitel sechs
bietet einen Überblick über die bestehenden makroprudenziellen Strukturen
auf globaler Ebene sowie in England, den Vereinigten Staaten und dem
Euroraum. Abschließend gibt Kapitel sieben eine Zusammenfassung und
ein Fazit.
2 Finanzstabilität
2.1 Definition
Ein Finanzsystem besteht aus drei Komponenten:
· Finanzintermediäre wie Banken oder Kapitalanlagegesellschaften
· Marktinfrastruktur, zum Beispiel Zahlungsabwicklungssysteme
· Finanzmarkt
(
EZB 2012a, S. 5)
Aufgrund unterschiedlicher Marktsysteme, Institutionen und Ansichten in
den verschiedenen Wirtschaftsräumen existiert keine einheitliche Definition
von Finanzstabilität.
Die EZB betont in ihrer Definition, dass die Komponenten des
Finanzsystems eintretenden Schocks sowie finanziellen Ungleichgewichten

Finanzstabilität 3
widerstehen können müssen. Verwerfungen bergen die Gefahr, zur
Fehlallokation von Ressourcen zu führen. Ein stabiles Finanzsystem
zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:
· Effiziente Weiterleitung der Ressourcen von Sparern zu Investoren
· Angemessene Einpreisung und Steuerung finanzieller Risiken
· Widerstandsfähigkeit gegenüber finanziellen und
realwirtschaftlichen Schocks (EZB 2012a, S. 5)
Ferguson (2003, S. 1) verwendet hingegen eine negative Definition. Er
sieht Finanzstabilität dann nicht gegeben, wenn die Preise bedeutender
Finanzanlagen von ihren fundamentalen Werten abweichen oder die
Funktionsfähigkeit des Marktes und die Kreditverfügbarkeit spürbar gestört
sind. Die Folgen seien Abweichungen der aggregierten Ausgaben und
demnach die Verfehlung des Produktionsziels.
Beide Definitionen betonen die Verbindung zur Realwirtschaft und die
Notwendigkeit einer funktionierenden Geldmittelverteilung. Finanzstabilität
wird nach Buiter (2012) daher durch folgende Maßnahmen erreicht:
· Verhinderung und Milderung von Boom- und Bust-Phasen sowie
Blasen auf den Kredit- und Vermögensmärkten
· Verhinderung von Liquiditätskrisen von SIFIs (systemrelevante
Finanzunternehmen) und Staaten (Buiter 2012, S. 1)
· Sicherstellung der Marktliquidität von systemrelevanten
Finanzinstrumenten und der Solvenz der SIFIs (a.a.O., S. 2)
Ist das Finanzsystem ausreichend widerstandsfähig, werden Schocks eine
gewisse Volatilität erzeugen. Ist das Finanzsystem hingegen verwundbar,
kann ein Schock das System in die Krise stürzen. Abbildung 1 zeigt die
Stabilitätszustände des Finanzsystems.

Finanzstabilität 4
Abbildung 1: Stabilitätszustände im Finanzsystem
Eigene Darstellung in Anlehnung an Frait & Komárková 2011, S. 97,
Abbildung 1
Die Finanzstabilität erfüllt keinen Selbstzweck, sondern sichert letztendlich
den Wohlstand und das Einkommen der Volkswirtschaft. Der grundlegende
Ansporn, die Finanzstabilität zu wahren, ist daher deren Relevanz für die
realwirtschaftliche Konjunktur. Claessens et al. (2011, S. 4) analysierten die
Verbindung der Finanz- und Konjunkturzyklen in 44 Ländern über einen
Zeitraum von 47 Jahren und verglichen Daten von etwa 200 Konjunktur-
und 700 Finanzzyklen. Sie stellten fest, dass Finanzzyklen und
Konjunkturzyklus häufig symmetrisch verlaufen und konjunkturelle
Rezessionen unter dem Einfluss finanzieller Verwerfung gravierender
ausfallen. Die sich anschließende Erholung stellt sich in der Präsenz
finanzieller Verwerfungen zwar kürzer, jedoch stärker dar (vgl. Anhang:
Abbildung 19).
2.2 Systemrisiken
2.2.1 Unterscheidung von makroprudenziellen und
mikroprudenziellen Risiken
Gefährdungen für die Finanzstabilität gehen nicht nur von dem Ausfall
einzelner Institutionen auf Mikroebene, sondern auch von der Bedrohung
des Systems als Ganzem auf Makroebene aus. Die Risiken, denen ein
spezifisches Unternehmen unterliegt, werden als idiosynkratisch
bezeichnet. In einigen theoretischen Ansätzen wie dem Capital Asset
Pricing Modell können diese spezifischen Risiken durch Diversifikation
eliminiert werden. Jedoch kann auch perfekte Diversifikation nicht die
Systemrisiken bereinigen, da hiervon alle Unternehmen betroffen sind. In
der Realität werden in jedem Fall viele Unternehmen tangiert sein. Zur
Wahrung der Finanzstabilität sollten demnach solche Systemrisiken
begrenzt werden.

Finanzstabilität 5
Ein Systemrisiko besteht darin, dass ein ,,Systemereignis" neben dem
ursprünglich betroffenen Individuum über Zweitrundeneffekte weitere
Marktteilnehmer beeinträchtigen könnte. Das Systemereignis ist somit ein
Schock verbunden mit einem Übertragungsmechanismus. Dieser Schock
kann entweder bereits auf das ganze System wirken, beispielsweise eine
plötzliche Zinsänderung. Er kann aber auch nur eine einzelne Institution
betreffen (De Bandt & Hartmann 2000, S .11). Durch die Übertragung auf
weitere Marktteilnehmer wird dann aus dem mikroprudenziellen
Individualrisiko ein makroprudenzielles Systemrisiko.
Eine Sichtweise erklärt die Existenz von Systemrisiken als zumindest
teilweise endogenes Phänomen. Die Marktteilnehmer richten ihr Handeln
nicht am objektiven Risiko, sondern an ihrem wahrgenommenen Risiko aus
(Danielsson et al. 2010, S. 2). Weicht die subjektive Einschätzung der
Marktteilnehmer vom objektiven Risiko ab, werden sich auf Dauer
Ungleichgewichte aufbauen.
Während mikroprudenzielle Risiken nur eine Institution sowie deren
Gläubiger betreffen, bedrohen makroprudenzielle Risiken das
Gesamtsystem. Die beiden Dimensionen sind nicht als konkurrierend,
sondern als ineinandergreifendes System zu verstehen, an dem jeder
Anteil seine Daseinsberechtigung hat, eine Abgrenzung jedoch nicht immer
exakt erfolgen kann. Abbildung 2 fasst die Unterschiede von
mikroprudenzieller und makroprudenzieller Sichtweise von Risiken
zusammen.

Finanzstabilität 6
Abbildung 2: Mikroprudenzielle und makroprudenzielle Sichtweise von
Risiken
Eigene Darstellung in Anlehnung an Borio 2011, S. 2, Tabelle 1
2.2.2 Unterscheidung von Systemrisiken
Systemrisiken werden in eine zyklische Dimension und in eine
Querschnittsdimension unterschieden. Eine trennscharfe Differenzierung ist
wegen der Überschneidungen und des häufig gemeinsamen Auftretens
jedoch nicht möglich. Die zyklische Dimension bezieht die Entstehung von
Risiken auf eine zeitliche Komponente. Die Idee der Prozyklik besagt, dass
sich das Finanzsystem und die Realwirtschaft wechselseitig beeinflussen
und aufschaukeln. Stärkere konjunkturelle Schwankungen bedrohen dann
die Stabilität der Systeme (Cecchetti & Kohler 2012, S. 2).
In einer wirtschaftlichen Erholungs- oder Boom-Phase sind
Finanzintermediäre und Wirtschaftssubjekte tendenziell geneigt, höhere
Risiken einzugehen, beziehungsweise Risiken zu unterschätzen (vgl.
Kapitel 3.2). Wird der Aufschwung als langfristige Produktivitätssteigerung
wahrgenommen, so werden sich die Marktteilnehmer stärker verschulden,
um zu investieren oder zu konsumieren, da sie künftig ein höheres
Einkommen erwarten. Daneben wird die höhere Risikobereitschaft der
Banken auch die Kreditaufnahme erleichtern, wenn diese beispielsweise
die Standards für die Kreditvergabe lockern (Frait & Komárková 2011, S.
98). Liegen dem Boom keine langfristigen Triebkräfte, sondern lediglich
zyklische Schübe zu Grunde, so manifestieren sich höhere Systemrisiken
bei unwesentlich veränderter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.
Die EZB (2013a, S. 106) sieht die Prozyklik auch als Resultat von
Informationsasymmetrien, die zu Moral Hazard und Adverse Selection

Finanzstabilität 7
führen. Die Marktteilnehmer berücksichtigen die Externalitäten ihres
Verhaltens nicht in ihrem Kalkül. Eine Insolvenz könnte beispielsweise über
Zweitrundeneffekte die Stabilität des Systems untergraben. Moral Hazard
kann daher eine Eigendynamik entfalten, wenn die Wahrscheinlichkeit
eines Bail-Out positiv mit der Anzahl betroffener Marktteilnehmer korreliert.
Es lohnt sich dann, sich dem Verhalten der anderen Institutionen
anzuschließen und ebenfalls riskantere Geschäfte zu tätigen (IWF 2013, S.
7).
Bei Bestehen solcher finanzieller Ungleichgewichte leitet ein ausreichend
starker Schock die Finanzkrise ein. Es kommt zu einer Entladung der
angesammelten Risiken. Die Folgen können Insolvenzen,
Vertrauensverluste und Liquiditätskrisen sein. Werden Anlagewerte in
Panikreaktionen veräußert, um Liquidität zu schöpfen, führt das
entstehende Überangebot zu sinkenden Preisen. Da geringere Werte der
beleihbaren Sicherheiten eine geringere Kreditaufnahme erlauben, wird die
Realwirtschaft von möglichen Kreditklemmen bedroht. Der Finanzzyklus
kann also Einfluss auf die Preise und Risikofreude der Marktteilnehmer und
somit auch auf deren Bilanzen und Verschuldung haben. Abbildung 3
verbildlicht den beschriebenen Mechanismus.
Abbildung 3: Entwicklung der Verschuldung im Finanzzyklus
Eigene Darstellung in Anlehnung an Frait & Komárková 2011, S. 99,
Schaubild 1
Die Spitze des Finanzzyklus stellt in der Regel den Ausbruch einer Krise
dar. Fallen Wendepunkt im Finanzzyklus und im Konjunkturzyklus
zusammen, so wird der Abschwung tendenziell stärker ausfallen (vgl.
Kapitel 2.1). Jedoch fallen Finanzzyklus und Konjunkturzyklus nicht immer

Finanzstabilität 8
zusammen. Während ersterer etwa 16 bis 20 Jahre andauert, vollzieht sich
letzterer in lediglich bis zu 8 Jahren (Borio 2013, S. 1).
Strittig ist im Rahmen der Prozyklik der Einfluss der vorherrschenden
Marktmacht im Finanzsystem. Kick und Prieto (2013) erhalten je nach Art
des angewandten Marktmacht-Indikators konträre Ergebnisse. Sie stellen
bei Betrachtung eines effizienzbereinigten Lerner-Index eine steigende
Marktmacht von Banken als risikoreduzierend fest. Der Lerner-Index gilt als
Maß für die Preisdurchsetzungsfähigkeit eines Unternehmens (Kick &
Prieto 2013, S. 20). Die Risikoreduzierung kann beispielsweise darauf
zurückgeführt werden, dass Banken durch niedrigeren Konkurrenzdruck
weniger gezwungen werden, chancenreiche und damit riskante Geschäfte
einzugehen, um zu überleben.
Unter Verwendung des Boone-Indikators hingegen führt steigender
Wettbewerb zu sinkenden Ausfallrisiken (Kick & Prieto 2013, S. 20). Der
Boone-Indikator misst die Reaktion der Unternehmensgewinne auf eine
Änderung der Grenzkosten. Je stärker die Reaktion ausfällt, desto größer
ist der Wettbewerb auf dem betroffenen Markt (a.a.O., S. 7). Die Reduktion
der Risiken ist auch dadurch begründbar, dass steigender Konkurrenzdruck
die Unternehmen zu intensiveren Bemühungen bei Risikobewertung und
Risikosteuerung veranlasst.
In der Querschnittsdimension wird die Risikosituation im Finanzsystem zu
einem bestimmten Zeitpunkt betrachtet. Es lassen sich zwei
Unterdimensionen differenzieren. Zum einen können die engen
Verflechtungen des Finanzsystems Risiken darstellen, da diese
Verbundenheit das Übergreifen von Problemen einer Institution auf weitere
Institutionen begünstigt (Tucker et al. 2013, S. 193). Diese Abhängigkeiten
können in gemeinsamen Zahlungsabwicklungssystemen oder in
umfassenden Geschäftsverbindungen begründet sein. Die Marktteilnehmer
sind dann gegenüber denselben Risiken verwundbar. Starke
Verflechtungen bedingen also, dass eine Vielzahl von Marktteilnehmern
gleichzeitig denselben oder ähnlichen Risiken ausgesetzt ist.
Zum anderen kann eine einseitige Risikoverteilung die Finanzstabilität
bedrohen, wenn sich Risiken bei SIFIs bündeln (Tucker et al. 2013, S .2).

Finanzstabilität 9
SIFIs sind zu groß oder zu sehr im System verflochten, als dass ihr
Scheitern ohne Probleme vom Markt verkraftet werden könnte.
Des Weiteren wird die Bonität von Staaten als systemrelevant angesehen.
Banken halten oft große Anteile der Staatsschuld. Eine Verschlechterung
der Bonität eines Staates kann die Wertigkeit der betroffenen Anleihen als
Sicherheit für Kredite schmälern oder über Abschreibungsbedarfe direkt auf
die Bankbilanzen wirken (Deutsche Bundesbank 2013d, S. 29). Hingegen
kann der vermeintliche Zwang zur Rettung maroder Banken die Solvenz
des Staates gefährden. Negative Rückkopplungen können so in eine
Abwärtsspirale führen. Krisen in der Bankenlandschaft und auf Staatsseite
hemmen schließlich die Investitionstätigkeit sowie die Realwirtschaft (vgl.
Abbildung 4).
Abbildung 4: Zusammenspiel von Bankenkrise, Staatskrise und
realwirtschaftlicher Krise
Eigene Darstellung in Anlehnung an Shambaugh 2012, S. 159, Abbildung 2
Zur Quantifizierung von Systemrisiken wurden zahlreiche Ansätze
entwickelt. Eine Möglichkeit stellen Bilanz- oder Marktindikatoren dar. Sie
sind rückwärtsgerichtet oder weisen zumindest eine zeitverzögerte
Informationsverarbeitung auf. Allerdings kann ein solcher
mikroprudenzieller Untersuchungsansatz allein die relevanten Risiken auf
Systemebene nur unzureichend darstellen (Galati & Moessner 2011, S.
14).

Interdependenz von Geldpolitik und Finanzstabilität
10
Akzeptable Prognoseergebnisse bieten Indikatoren für Kredit- und
Vermögensmärkte. Allerdings kann eine einzige Kennziffer nicht alle
Phasen des Finanzzyklus ausreichend zuverlässig vorhersagen.
Beispielsweise gilt das Verhältnis von Kredit zu Bruttoinlandsprodukt als
valider Indikator für die Entstehung von Systemrisiken. Der
Realisierungszeitpunkt dieser Risiken wird jedoch weniger verlässlich
prognostiziert (Borio 2011, S. 12f.).
Zum Dritten werden Vektorautoregressive Modelle verwendet, um die
Verbreitung von Schocks in einem Wirtschaftssystem zu bestimmen. Ihr
Nachteil wird in der unzureichenden Modellierung der Mechanismen auf
den Finanzmärkten und der Verbindungen zur Realwirtschaft gesehen.
Schließlich werden mit makroökonomischen Stresstests die Auswirkungen
exogener Schocks untersucht. Sensitivitätsanalysen messen die
Anfälligkeit der Banken für Änderungen einzelner makroökonomischer
Faktoren wie Zinsen, Vermögenspreise oder Wechselkurse
(Eidgenössisches Finanzdepartement 2012, S. 9). Szenario-Analysen
betrachten hingegen die Auswirkung mehrerer simultaner
Negativereignisse und somit einer Vielzahl geänderter Faktoren. Die
Schwierigkeit liegt darin, die Parameter richtig zu kalibrieren, um das
Szenario realitätsnah zu gestalten. Die Modelle vor der Finanzkrise
konnten die drohenden Verwerfungen nicht vorhersagen (Galati &
Moessner 2011, S. 15). Auch die derzeit eingesetzten Modelle können die
Nichtlinearitäten und Rückkopplungseffekte im Finanzsystem nicht
zufriedenstellend abbilden (Borio 2013, S. 3).
Die EZB (2013b, S. 130) betont, dass das gemeinsame Verhalten von
verschiedenen Indikatoren erfasst werden sollte. So ließen neben Kredit-
und Vermögenspreisindikatoren auch eigenkapitalbasierte und
bankenspezifische Kenngrößen Schlüsse auf die Anfälligkeit für
Systemkrisen zu.
3 Interdependenz von Geldpolitik und Finanzstabilität
3.1 Transmissionskanäle der Geldpolitik
Das allgemeine Ziel der Geldpolitik ist die Preisstabilität. Dieses Ziel kann ­
wie im Euroraum ­ näher bestimmt oder vage formuliert sein. In einigen

Interdependenz von Geldpolitik und Finanzstabilität
11
Regimen treten weitere Zieldimensionen hinzu. In den USA sind dies der
Beschäftigungsstand und das langfristige Zinsniveau. Finanzstabilität
hingegen ist bisher nur in wenigen Zentralbankstatuten als Ziel verankert.
Die Zinssetzungshoheit ist das wichtigste geldpolitische Instrument einer
Zentralbank. Sie kann damit zu einem gewissen Grad Einfluss auf
Vermögenspreise, Kreditvolumina und Wechselkurse nehmen. Die
Einflusskraft der Zinsen ist dabei umstritten. Tendenziell führen sinkende
Zinssätze zu höheren Investitionen der Marktteilnehmer, da die alternative
Anlage von Geldern weniger Zinsen erbringt und die Kreditaufnahme sich
verbilligt. Durch die Erhöhung der Nachfrage auf den Märkten der
Vermögenswerte werden die Preise steigen, was die Reinvermögen der
Privathaushalte sowie die Gewinne der Unternehmen mehrt. Beide
Gruppen können mehr konsumieren oder investieren, da höhere beleihbare
Vermögenswerte eine umfangreichere Kreditaufnahme erlauben. Hingegen
macht eine niedrigeres Zinsniveau die Anlage in Inlandswährung weniger
interessant und führt zur Abwertung, was wiederum das Verhältnis von
Import- zu Exportpreisen und demnach den Außenbeitrag beeinflusst.
Abbildung 5 stellt die wichtigsten Wirkungskanäle übersichtlich dar.
Abbildung 5: Transmissionsmechanismen einer Zinssenkung
Quelle: Cecchetti & Kohler 2012, S. 3
Die Wirksamkeit der Transmissionskanäle wird damit begründet, dass die
Wirtschaftssubjekte während eines Übergangsprozesses der Preisillusion
unterliegen. Auch wenn langfristig das Geldniveau für eine Wirtschaft

Interdependenz von Geldpolitik und Finanzstabilität
12
neutral sein sollte, so bestehen die während einer Geldmengenausweitung
verursachten Umverteilungseffekte teilweise weiter. Diese
Umverteilungseffekte sind dadurch erklärbar, dass von einer
Geldmengenausweitung manche Branchen früher oder stärker profitieren
als andere und dieser Effekt sich ceteris paribus auch langfristig nicht
vollends revidiert (Boysen-Hogrefe et al. 2014, S. 8).
Die Einflussstärke von Geldpolitik zu bestimmen, ist trotz Kenntnis der
Transmissionsmechanismen schwierig, da diese parallel wirken können
und ihr Einfluss von den Eigenschaften des zu Grunde liegenden
Finanzsystems abhängig ist (IWF 2013, S. 10). Ebenso können
Wechselwirkungen mit Fiskalpolitik oder prudenzieller Politik die Effektivität
der Kanäle beeinflussen.
Neben den üblichen Instrumenten der Geldpolitik gehören auch
sogenannte unkonventionelle Maßnahmen zum Repertoire einer
Zentralbank. Sie werden dort eingesetzt, wo die konventionelle Geldpolitik
an Ihre Grenzen stößt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Zinssatz
bereits auf Null gesenkt wurde und somit trotz gegebener Notwendigkeit
nicht weiter abgesenkt werden kann. Vor dem Unterschreiten dieser Null-
Prozent-Untergrenze wird gewarnt, da kaum empirische Erfahrung
vorhanden ist. Zum 5. Juni 2014 senkte die EZB den Einlagenzinssatz auf -
0,15 Prozent. Die Auswirkungen bleiben abzuwarten.
Beim Quantitative Easing verlängert die Zentralbank ihre Bilanz durch den
Zukauf neuer Anlagen. Dies können Schuldtitel von Staaten und einzelnen
Unternehmen oder andere Wertpapiere sein. Im Gegensatz dazu wird beim
Qualitative Easing nicht die Menge, sondern die Zusammensetzung der
Anlagen geändert, beispielsweise werden konservative Anlagen gegen
solche mit höherem Risiko getauscht. Die Zentralbank geht hier meist ihren
Mandaten als Market Maker of Last Resort und Lender of Last Resort
(LoLR) nach. Das Ziel ist neben der Wahrung der Funktionsfähigkeit des
Kreditmarktes oft auch die direkte Unterstützung der Realwirtschaft. Diese
Instrumente besitzen daher einen quasi-fiskalischen Charakter. Daneben
kann bei Erreichen der Null-Prozent-Untergrenze das Instrument
Kommunikation eingesetzt werden. So hatte die EZB im September 2012
im Rahmen der Schuldenkrise angekündigt, im Notfall unbegrenzt Anleihen

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2014
ISBN (eBook)
9783956363740
ISBN (Paperback)
9783956367182
Dateigröße
2.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
Wirtschaftswissenschaft Makroökonomie Volkswirtschaftslehre Geldpolitik Geldtheorie Finanzstabilität Makroprudenzielle Instrumente Makroprudenzielle Überwachung Zentralbanken
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Titel: Zentralbanken und Finanzstabilität: Zu den Interdependenzen von Geldpolitik und makroprudenzieller Politik
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