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Jugendkriminalität - ein Phänomen der Jugendphase.

Mögliche Reaktionen auf kriminelles Verhalten

©2014 Ausarbeitung 27 Seiten

Zusammenfassung

Jugendkriminalität. Ein Wort das viele Mitbürger in Angst und Schrecken versetzt. Nach erschreckenden Videos von U-Bahn-Schlägern und Prügelattacken in der letzten Zeit, sind sich viele Menschen einig: ‚Die Jugend von heute wird immer krimineller‘. Die Politik muss reagieren. Härtere Strafen sollen helfen. Doch was sagen Kriminologen zu diesem Thema? Wird unsere Jugend wirklich immer krimineller? Und was steckt überhaupt hinter dem Phänomen der Jugendkriminalität? Reichen aktuell vorhandene Maßnahmen des Jugendgerichtsgesetzes aus, um auf Jugendkriminalität zu reagieren? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, genügt es nicht, Schlüsse aus der Betrachtung von Kriminalstatistiken zu ziehen. Es ist nötig, sich verschiedenen Themen, welche mit der Jugendkriminalität zusammenhängen, zu stellen. Um das wiederum tun zu können, ist es nötig, sich zunächst mit ‚der Jugend‘ auseinanderzusetzen.
Aus diesem Grund beginnt diese Arbeit in Kapitel 1 mit dem Phänomen der Jugendphase. Es soll ein Verständnis für deren Veränderungen und Besonderheiten geschaffen werden. Auf dieser Grundlage ist es möglich, sich den Themen ‚abweichendes Verhalten‘ und ‚Jugendkriminalität‘ zu nähern, was in Kapitel 2 geschehen wird. Das Wissen darüber soll dazu beitragen, das Jugendgerichtsgesetz und die besondere Stellung junger Menschen vor dem Gesetz zu verstehen (Kapitel 3). Kapitel 4 beschäftigt sich mit einer der Möglichkeiten, um auf Jugendkriminalität zu reagieren: Die Jugendstrafe. Es werden dabei einige Kritikpunkte des herkömmlichen Vollzugs beleuchtet, um die Besonderheit einer neuen Form des Jugendstrafvollzugs, dem Vollzug in freier Form, zu verstehen und die Gründe seiner Entstehung nachvollziehen zu können. Abschließen wird diese Arbeit mit einem persönlichen Fazit.
Ziel dieser Arbeit soll es sein, ein besseres Verständnis für die Phänomene Jugend, Jugendkriminalität, Jugendgerichtsgesetz und die neue Form des Jugendstrafvollzugs zu erlangen.
Meine Beweggründe, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, gehen auf das Jahr 2010 zurück, in welchem ich, mit einigen Freunden, Opfer eines brutalen Überfalles wurde, bei dem eine Freundin mit schweren Schädel-Hirn Verletzungen einige Zeit auf der Intensivstation lag. Dennoch empfinde ich keinen Hass gegen die Täter, sondern bin stattdessen dankbar dafür, dass ich durch mein Studium gelernt habe, zunächst auf die Person und deren Beweggründe für ein solches Handeln zu blicken. [...]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Eßer, Pascal: Jugendkriminalität - ein Phänomen der Jugendphase. Mögliche
Reaktionen auf kriminelles Verhalten, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2014
PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-2306-8
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2014
Philipps-Universität Marburg, Deutschland, Studienarbeit, 2014
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung ... 1
1 Betrachtung der Jugendphase ... 2
2 Abweichendes Verhalten ... 7
2.1 Jugendkriminalität ... 8
3 Jugendgerichtsgesetz ... 11
4 Jugendstrafvollzug ... 13
4.1 Herkömmlicher Jugendstrafvollzug ... 13
4.2 Freie Form des Jugendstrafvollzug am Beispiel ,,Projekt Chance" ... 15
4.3 Ziele und Zielgruppen des Projekts ... 16
4.4 Praktische Umsetzung am Beispiel Seehaus in Leonberg ... 17
4.5 Kritik und Anregung ... 19
Fazit ... 22
Literaturverzeichnis ... 23
Quellen aus dem Internet ... 24

1
Einleitung
Jugendkriminalität. Ein Wort das viele Mitbürger in Angst und Schrecken versetzt. Nach erschre-
ckenden Videos von U-Bahn-Schlägern und Prügelattacken in der letzten Zeit, sind sich viele Men-
schen einig: ,Die Jugend von heute wird immer krimineller`. Die Politik muss reagieren. Härtere
Strafen sollen helfen. Doch was sagen Kriminologen zu diesem Thema? Wird unsere Jugend wirk-
lich immer krimineller? Und was steckt überhaupt hinter dem Phänomen der Jugendkriminalität?
Reichen aktuell vorhandene Maßnahmen des Jugendgerichtsgesetzes aus, um auf Jugendkriminali-
tät zu reagieren? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, genügt es nicht, Schlüsse aus der Be-
trachtung von Kriminalstatistiken zu ziehen. Es ist nötig, sich verschiedenen Themen, welche mit
der Jugendkriminalität zusammenhängen, zu stellen. Um das wiederum tun zu können, ist es nötig,
sich zunächst mit ,der Jugend` auseinanderzusetzen.
Aus diesem Grund beginnt diese Arbeit in Kapitel 1 mit dem Phänomen der Jugendphase. Es soll
ein Verständnis für deren Veränderungen und Besonderheiten geschaffen werden. Auf dieser
Grundlage ist es möglich, sich den Themen ,abweichendes Verhalten` und ,Jugendkriminalität` zu
nähern, was in Kapitel 2 geschehen wird. Das Wissen darüber soll dazu beitragen, das Jugendge-
richtsgesetz und die besondere Stellung junger Menschen vor dem Gesetz zu verstehen (Kapitel 3).
Kapitel 4 beschäftigt sich mit einer der Möglichkeiten, um auf Jugendkriminalität zu reagieren: Die
Jugendstrafe. Es werden dabei einige Kritikpunkte des herkömmlichen Vollzugs beleuchtet, um die
Besonderheit einer neuen Form des Jugendstrafvollzugs, dem Vollzug in freier Form, zu verstehen
und die Gründe seiner Entstehung nachvollziehen zu können. Abschließen wird diese Arbeit mit
einem persönlichen Fazit.
Ziel dieser Arbeit soll es sein, ein besseres Verständnis für die Phänomene Jugend, Jugendkrimina-
lität, Jugendgerichtsgesetz und die neue Form des Jugendstrafvollzugs zu erlangen.
Meine Beweggründe, mich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, gehen auf das Jahr 2010 zu-
rück, in welchem ich, mit einigen Freunden, Opfer eines brutalen Überfalles wurde, bei dem eine
Freundin mit schweren Schädel-Hirn Verletzungen einige Zeit auf der Intensivstation lag. Dennoch
empfinde ich keinen Hass gegen die Täter, sondern bin stattdessen dankbar dafür, dass ich durch
mein Studium gelernt habe, zunächst auf die Person und deren Beweggründe für ein solches Han-
deln zu blicken. Mit welchen Problemen die jungen Täter möglicherweise in ihrem Leben bereits zu
kämpfen hatten und woher deren Wut stammen könnte. Daher möchte ich mit dieser Hausarbeit
versuchen, ein Verständnis für jugendliche Täter zu schaffen und einen neuen Weg im Bereich der
Jugendstrafe aufzuzeigen. Dabei gehe ich der Frage nach, ob der offene Strafvollzug in freier Form
eine erfolgsversprechende Weiterentwicklung für die Zukunft darstellt.

2
1 Betrachtung der Jugendphase
In diesem Kapitel soll ein Überblick darüber vermittelt werden, welche die Besonderheiten der Ju-
gendphase sind und welche Entwicklungen während dieser Zeit stattfinden sollten. Es soll deutlich
gemacht werden, dass sie eine wichtige Stellung in der Entwicklung jedes Menschens einnimmt.
Wenn man die Phase der Jugend betrachtet, kann zunächst einmal festgestellt werden, dass diese in
erster Linie ein Konstrukt unserer Gesellschaft ist, welche sich ständig verändert und weiterentwi-
ckelt. Noch zu Beginn des 20 Jahrhunderts, so Hurrelmann, bestand unsere Gesellschaft aus aus-
schließlich zwei Personengruppen: Kinder und Erwachsene. Mitte des 20. Jahrhunderts kamen
schließlich noch die Gruppen der Jugendlichen und der Senioren hinzu. Umfassten diese beiden
anfänglich relativ kurze Lebensabschnitte, haben sie in der heutigen Gesellschaft zunehmend an
Bedeutung, wie auch an Jahren gewonnen.
1
Einer der wichtigsten Faktoren bei der Phase der Ju-
gend, damals wie heute, ist der Ausbau der allgemeinen Schul- und Berufsausbildung zum Ende des
19. Jahrhunderts hin.
2
War die Ausbildungsphase anfänglich noch relativ kurz, nahm sie immer
mehr an Zeit zu und gewann somit auch an Bedeutung. In der heutigen Zeit und Gesellschaft kann
sie bereits eine Lebensspanne von 10 bis 20 Jahren einnehmen.
3
Diese Phase der Ausbildung ist
gekennzeichnet durch die Ablösung von der Familie, hin zu einer Eingliederung in die berufliche
Welt. Die zunehmende Zeit der Ausbildung ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die ,,Jugend
zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Kategorie"
4
geworden ist, welche von den Jugendlichen
nicht nur durchlebt, sondern heute auch aktiv mitgestaltet wird.
5
Dadurch erhält die Jugendphase
eine zunehmende Eigendynamik und gerät immer stärker in den Prozess der Biographisierung hin-
ein, indem Jugendliche stärker beteiligt und gefordert werden. Sie bewegt sich weg von einer ,,sepa-
rierte[n] Sonderphase", hin zu einem ,,sozial früh erfassten Teil des Lebenslaufs".
6
Dennoch bleibt
die Jugend als eine Art ,,Statuspassage"
7
bestehen, in der sich Kinder von der unselbstständigen
Kindheit hin zur selbstständigen Phase des Erwachsenseins entwickeln. Dabei nimmt der Grad der
Verselbstständigung immer stärker zu. Gründe hierfür lassen sich unter anderem durch zwei Phä-
nomene erklären: Die ,,Enttraditionalisierung" einerseits und eine steigende ,,Individualisierung"
andererseits.
8
Unter ,,Enttraditionalisierung" versteht der Soziologe Ulrich Beck nicht das Wegfal-
len von Traditionen, sondern dass bewusste Wählen und Erarbeiten dieser. Sie sind also nicht mehr
fest von außen vorgegeben. Traditionelle Institutionen, wie z.B. Berufs- und Geschlechterrollen und
1
Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 14.
2
Vgl. Böhnisch (2008), S. 126 ff.
3
Vgl. Scherr (2009), S. 21 ff.
4
Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 22.
5
Vgl. ebd., 20 ff.
6
Böhnisch (2008), S. 143.
7
Hurrelmann /Quenzel (2012), S. 40.
8
Bundesministerium Familie.

3
soziale Milieus verlieren somit an Orientierungshilfe. Durch diesen Wegfall müssen sich junge
Menschen stärker individuell entscheiden.
9
Jeder kann heute prinzipiell sein Leben bewusst mitge-
stalten und ist nicht mehr an fest vorgegebene biographische Abläufe gebunden. Somit ergeben sich
für viele Menschen neue Chancen und Möglichkeiten, da ,,Alter, Herkunft, Religion und Ge-
schlecht"
10
an Bedeutung, Notwenigkeit und Verbindlichkeit bei der Lebensplanung verloren ha-
ben.
11
Auf der anderen Seite steigt aber auch die Gefahr, zu scheitern. Somit werden ,,Lebensläufe
[...] mit der Individualisierung vielfältiger, gegensätzlicher, brüchiger, unsicherer und auch für ka-
tastrophale Einbrüche anfälliger. Sie werden aber auch bunter, Erfolg verheißender, umfassender,
widersprüchlicher".
12
Doch welchen Aufgaben und Besonderheiten müssen sich junge Menschen in dieser Zeit stellen?
Um dies besser zu verdeutlichen, ist es hilfreich, verschiedene Disziplinen mit einzubeziehen. So
legen die Soziologie und die Pädagogik einen Schwerpunkt auf die Sozialisation in dieser Zeit. Die-
se spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von jungen Menschen im Kontext einer Gesell-
schaft. Sozialisation bezeichnet den Prozess, bei dem Personen in eine Gesellschaft integriert wer-
den. Verbunden mit dieser Integration ist das Erlernen gesellschaftlicher Normen und Handlungs-
muster, um junge Menschen ,,auf die Übernahme von verantwortungsvollen gesellschaftlichen Mit-
gliederrollen vorzubereiten".
13
Im weiteren Sinne sind alle Lern- und Erziehungsprozesse darunter
zu verstehen, die einem Menschen dabei helfen sollen, innerhalb einer Gesellschaft mit ihrer spezi-
fischen Kultur und Bräuchen am sozialen Leben teilhaben zu können.
14
Zum Einen möchte eine
Gesellschaft durch gezielte Bildungs- und Erziehungsprozesse ihre gesellschaftlichen Strukturen,
Traditionen, Bräuche, Werte, Normen usw. aufrechterhalten und an nachfolgende Generationen
,weitervererben`. Zum Anderen soll dem Individuum dabei geholfen werden, eine selbstständige
und aktiv handelnde Person innerhalb dieser Gesellschaft zu werden, um die eigene Rolle in ihr zu
finden und diese zu übernehmen. Dabei geht Sozialisation über Bildungs- und Erziehungsprozesse
innerhalb von gesellschaftlichen Institutionen hinaus, da sie überall dort zu finden ist, wo eine ,,ak-
tive Auseinandersetzung mit der sozialen und materiellen"
15
Umwelt stattfindet. Sozialisation findet
ein Leben lang statt, dennoch hat sie gerade in der Kindheits- und Jugendphase eine besondere Re-
levanz. Das liegt unter anderem daran, dass in diesen Phasen ,,eine einzigartige Dichte"
16
an Inter-
aktionsprozessen zwischen Individuum und Gesellschaft erreicht wird und erste prägende Schritte
stattfinden. Als tragende Institutionen der Sozialisation sind die Familie, Bildungseinrichtungen,
9
Vgl. ebd., S. 115 ff.
10
Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 17.
11
Vgl. ebd., S. 16 ff.
12
Bundesministerium Familie.
13
Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 34.
14
Vgl. Hurrelmann (2006), S. 6 ff.
15
Ecarius/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach (2011), S. 9.
16
Hurrelmann (2006), S. 7.

4
Freunde, Peer-Groups, Vereine, Medien usw. anzusehen, wobei die Familie nach wie vor einen ho-
hen Stellenwert und eine Schlüsselrolle einnimmt.
17
So legt sie nicht nur erste Grundsteine der So-
zialisation und Wissensvermittlung in der Kindheit, sondern dient auch als ,,wichtiger Ort des
Rückhalts"
18
im weiteren Verlauf des Lebens. Die Familie übernimmt zwar eine wichtige Rolle, so
reicht sie dennoch nicht aus, um junge Menschen auf eine zunehmend komplexe Welt vorzuberei-
ten.
19
Mit steigendem Alter nehmen daher auch außerfamiliäre Einrichtungen an Relevanz und Be-
deutung zu, zu denen sowohl staatliche Bildungseinrichtungen, als auch Einrichtungen freier Trä-
ger, Kirchen und Jugendverbände zählen. Sie eröffnen jungen Menschen nach und nach Chancen,
neue Bereiche der Gesellschaft und ihrer Persönlichkeit zu entdecken und ihnen auf ihrem Weg zu
eigenverantwortlichen und selbständig handelnden Personen professionell zur Seite zu stehen, sie
anzuleiten und zu unterstützen.
Die Psychologie hingegen legt einen besonderen Blick auf die altersspezifischen Bewältigungsauf-
gaben. Sie geht der Frage nach, welche Kompetenzen für die Entwicklung von einem Jugendlichen
hin zu einem selbständigen, reifen, emotional stabilen und handlungsfähigen Menschen vonnöten
sind.
20
Anders als die Soziologie, geht die Psychologie davon aus, dass der Start in das Jugendalter
klar zu erkennen ist, nämlich mit dem Beginn der Pubertät und den damit einhergehenden körperli-
chen Veränderungen. Erste emotionale Folgen dieser Veränderungen können z.B. die Abnahme des
Selbstwertgefühls und der Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, Schamgefühl, die Suche nach
mehr Privatsphäre, Unabhängigkeitsgefühl, Abgrenzung und steigende Stimmungsschwankungen
sein.
21
Junge Menschen müssen lernen, mit diesen Problemen umzugehen und ihren eigenen Körper
zu akzeptieren. Die Akzeptanz des eigenen Körpers stellt aber nur eine von vielen Entwicklungs-
aufgaben dar, welche in der Phase der Jugend gelöst werden sollten.
22
In den 1940ern erarbeitete Robert Havighurst das erste Konzept der Entwicklungsaufgaben. In die-
sem Konzept stellte er die Behauptung auf, dass Menschen ihr ganzes Leben lang Entwicklungsauf-
gaben lösen müssen, welche in verschiedenen Lebensabschnitten in Erscheinung treten. Jeder
Mensch entwickelt sich in seinem Leben weiter, ändert seine Ansichten und Interessen, muss sich
mit neuen Lebensaufgaben auseinandersetzen und diese bewältigen. Havighurst geht davon aus,
dass das Glück eines Menschen mit der erfolgreichen Bewältigung dieser Aufgaben zusammen-
hängt.
23
Einige der Aufgaben, welche er dem Jugendalter zuordnet, sind z.B. der Aufbau von tiefe-
ren Beziehungen zu Gleichaltrigen, eigene Geschlechterrolle finden, Verständnis des eigenen Kör-
17
Vgl. Ecarius/Eulenbach/Fuchs/Walgenbach (2011), S. 69.
18
Ebd., S. 73.
19
Vgl. ebd., S. 69 ff.
20
Vgl. Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 28 f.
21
Vgl. ebd., S. 35.
22
Vgl. ebd., S. 18.
23
Vgl. Oerter/Montada (2002), S. 267 ff

5
pers und Umgang mit ihm, Unabhängigkeit von den Eltern, Ausbildung für das Berufsleben, Pla-
nung von eigener Familie, Erarbeiten von eigenen Werten.
24
Die Entwicklungsaufgaben fungieren
somit als Bindeglieder zwischen individuellen Bedürfnissen und Anforderungen der Gesellschaft.
25
Sie sind in den letzten Jahren unter anderem von Eva und Michael Dreher durch die Entwicklung
von intimen Beziehungen, der Erarbeitung einer eigenen Identität und dem Erwerb einer Zukunfts-
vorstellung erweitert worden.
26
Betrachtet man die Jugend aus Sicht der Pädagogik, dann wird deutlich, dass die in dieser Disziplin
behandelten Aspekte sich mit den Inhalten der anderen beiden Disziplinen überschneiden. Dabei
bewegt sich die Pädagogik in der ständigen Spannung, auf Veränderungen der Gesellschaft reagie-
ren zu müssen, um neue Konzepte und Handlungsmöglichkeiten für die Praxis zu erstellen. Mit dem
Blick auf die Phase der Jugend zeigen sich ähnliche Spannungen. Die wechselnde Bedeutung, die
der Jugendphase zugeschrieben wird, neue Erwartungen der Gesellschaft, eine früher einsetzende
Geschlechtsreife, Veränderungen der Bildungsinstitutionen, steigende Individualisierung, sich wan-
delnde Werte, Normen und Entscheidungsmöglichkeiten, haben Einfluss auf die Theorie und Praxis
der Pädagogik. Weitere Spannungen resultieren aus den Veränderungen der Wirtschaft und des Ar-
beitsmarktes in den letzten Jahren.
27
Wurde die Jugend in Teilen des letzten Jahrhunderts noch als
Humankapital, ,,als eine der wichtigsten Erfindungen der Modernen"
28
gesehen, welches gefördert
und qualifiziert wurde, müssen sich junge Menschen heute selbst um individuelle Bildung und Wei-
terbildung bemühen und das unter steigendem Druck durch den Konkurrenzkampf um Arbeitsplät-
ze. Somit beschäftigt sich die Pädagogik, bei der Betrachtung der Jugend ebenfalls mit der Bewälti-
gung der von der Gesellschaft geforderten Rollenübernahmen und den altersspezifischen Bewälti-
gungsaufgaben. Außerdem fragt sie danach, welche Konflikte dabei entstehen können, welche
Möglichkeiten Jugendliche bei deren Lösung nutzen und wie sie dabei professionell unterstützt
werden können, um erfolgreich in die Gesellschaft integriert und zu eigenständige Persönlichkeiten
zu werden.
29
Bei der Betrachtung der Jugendphase von den verschiedenen wissenschaftlichen Warten aus, wird
besonders deutlich, dass diese in den letzten hundert Jahren sowohl an Bedeutung gewonnen, als
auch an Komplexität zugenommen hat. Noch nie zuvor hatten Jugendliche eine derart große Chance
auf Bildung wie heute. Parallel nehmen Individualität und Entscheidungsmöglichkeiten stark zu,
wodurch die Jugendphase durch eine zunehmende Dynamik gekennzeichnet ist. Durch den Wohl-
stand unserer Gesellschaft, haben junge Menschen darüber hinaus unzählige Möglichkeiten, um
24
Vgl. Grob/Jaschinski (2003), S. 24 ff.
25
Vgl. Oerter/Montada (2002), S. 269.
26
Vgl. Dreher (1985), S. 56 ff.
27
Vgl. Gudjons (2008), S. 138.
28
Böhnisch (2008), S. 143.
29
Vgl. ebd., S. 147.

6
sich auszuleben. Aber sind diese Möglichkeiten auch immer positiv? Und haben alle Jugendlichen
diese Vielfalt an Entscheidungsmöglichkeiten? In einer Welt, die sich immer schneller wandelt und
verändert, in der die Entscheidungsmöglichkeiten zugenommen haben, steigt auch die Angst, ,,fal-
sche" Entscheidungen zu treffen. Hurrelmann und Quenzel sprechen davon, dass Jugendliche Kom-
petenzen entwickeln müssen, um ihr persönliches Potenzial entfalten zu können, in einer Welt, in
der soziale Normen und Vorgaben stark zurückgegangen sind. Wenn Jugendliche diese Kompeten-
zen nicht entwickeln, kann es zu Problemen führen.
,,Wer den komplexen Anforderungen sozialer Umgangs- und Kommunikationsformen in einer indi-
vidualistischen Gesellschaft nicht gerecht werden und sich selbst keine klaren Verhaltensziele geben
kann, geht wegen des weitgehenden Fehlens von traditionellen, Halt gebenden Lebensformen und
festgelegten Moralvorstellungen das Risiko eines Orientierungsverlustes, einer sozialen Isolierung
und des Scheiterns der Identitätsbildung ein."
30
Gerade in der Phase der Jugend, welche stark durch emotionale Schwankungen und Orientierungs-
losigkeit gekennzeichnet ist und in denen Jugendliche eine Fülle von Problemen und Aufgaben be-
wältigen müssen, müssen sie lernen, sich in dieser Welt zurechtzufinden und eine Zukunftsperspek-
tive zu entwickeln. Zusätzlich können laut Keupp verschiedene Ressourcen, Kompetenzen und so-
ziale Gegebenheiten dazu beitragen, dass auf der einen Seite die Chancen, die eigene Lebensbewäl-
tigung zu meistern, zunehmen und auf der anderen Seite das Risiko, ohne sie zu scheitern, steigt.
Als Beispiele für solche Faktoren können soziale Ungleichheiten, unterschiedliche Zugänge zu ma-
teriellen und sozialen Ressourcen, Zugehörigkeitsgefühl und Anerkennung und interkulturelle
Kompetenzen genannt werden.
31
In der Phase der Jugend liegen also positive und negative Erfah-
rungen oder auch Erfolg und Scheitern dicht beieinander.
30
Hurrelmann/Quenzel (2012), S. 66.
31
Vgl. Keupp (2009), S. 20.

7
2 Abweichendes Verhalten
Die Betrachtung der Jugendphase soll dabei helfen, einen weiteren Aspekt der Jugend besser be-
greifen zu können: Das sogenannte abweichende Verhalten. Aber was genau verstehen wir als Ge-
sellschaft unter abweichendem Verhalten und inwieweit grenzt sich Jugendkriminalität davon ab?
Auch, wenn es sehr schwer ist, eine eindeutige Begriffserklärung abzuliefern, da der Begriff sehr
,,facettenreich"
32
ist, gibt es verschiedene Ansätze die versuchen, sich diesem Phänomen zu nähern.
Aus einem alltäglichen/nichtwissenschaftlichen Verständnis könnte mit abweichendem Verhalten,
,,ein Verstoß beziehungsweise eine Nichteinhaltung von geltenden Regeln, Normen und sozialen
Erwartungen assoziiert werden".
33
Dabei sind diese Regeln und Normen durch Aushandlungspro-
zesse von Gesellschaften über viele Jahre entstanden und können unter anderem auch kulturelle und
religiöse Aspekte wiederspiegeln und sind somit ein gesellschaftliches Konstrukt. Diese Regeln und
Normen sollen, wie im vorherigen Kapitel deutlich wurde, durch Sozialisation übernommen wer-
den. Bei einer Abweichung von diesen, stehen verschiedene Sanktionsmittel zur Verfügung, wie
beispielsweise Bestrafung durch Staat, Lehrer, Eltern oder sozialen Druck. Dabei spielen zwei Pro-
zesse eine entscheidende Rolle: Eine Gesellschaft schafft erstens Regeln und Normen für ein gelin-
gendes Zusammenleben, welche von ihren Akteuren eingehalten werden. Der zweite Aspekt bein-
haltet ,,die Bereitschaft und die Fähigkeit einer Person, mit diesen Regeln und Normen konform zu
gehen und ihnen zu entsprechen".
34
Daher muss bei einem Verstoß geprüft werden, ob die betref-
fende Person diese Normen wissentlich ablehnt und dagegen verstößt oder ob sie nicht in der Lage
ist, diese zu begreifen und umzusetzen.
35
Auch Lothar Böhnisch versucht, sich der Thematik des abweichenden Verhaltens zu stellen und
unterstreicht ebenfalls deren Vielschichtigkeit. Er spricht davon, dass abweichendes Verhalten
,,nicht eindeutig als `Normverletzung´ definierbar [ist]",
36
sondern dass es je nach Situation, relativ
sein kann. Er geht weiter davon aus, dass sogar eine ,,scheinbar eindeutige Gesetzverletzung"
37
nicht immer eindeutig sein muss, sondern sie ,,zahlreichen, sozialen, kulturellen, institutionellen
Einflussfaktoren"
38
unterliegt, welche sich wiederum jederzeit verändern können. Neben diesen
Faktoren spielt auch die Gesellschaft an sich eine Rolle. Sie legt nicht nur Normen und Regeln fest,
sondern ,,so, wie die moderne Industriegesellschaft strukturiert ist, provoziert und produziert sie
32
Büscher (2009), S. 53.
33
Ebd., S. 53.
34
Büscher (2009), S. 54.
35
Vgl. Ebd., S. 54.
36
Böhnisch (1999), S. 12.
37
Ebd., S. 12
38
Vgl. Büscher (2009), S. 54.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2014
ISBN (eBook)
9783842823068
ISBN (Paperback)
9783842873063
Dateigröße
361 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Philipps-Universität Marburg – Erziehungswissenschaft
Erscheinungsdatum
2014 (Juni)
Note
1,7
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