Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (RFID)
©2006
Akademische Arbeit
51 Seiten
Zusammenfassung
Radio Frequency Identification ist eine Technologie für Sender-Empfänger-Systeme zum automatischen und berührungslosen Identifizieren und Lokalisieren von Objekten und Personen mittels Radiowellen, die auch im Arbeitsleben zunehmend Anwendung findet. Sie ermöglicht zum einen eine exakte Planung und Steuerung von Arbeitsabläufen, zum Anderen aber auch eine für Arbeitnehmer fallweise nicht erkennbare Überwachung, die rechtliche Interessen von Arbeitnehmern erheblich beeinträchtigen kann. Dieses Buch behandelt arbeitsrechtliche Fragestellungen beim betrieblichen Einsatz von RFID, etwa die Notwendigkeit des Abschlusses von Betriebsvereinbarungen und die Möglichkeit und Folgen des Vorliegens einer Betriebsänderung bei einer betrieblichen Einführung von RFID. Außerdem wird auf den Persönlichkeitsschutz von Arbeitnehmern unter Berücksichtigung der Fürsorgepflicht der Arbeitgeber eingegangen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Schmelz, Dorian: Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (RFID),
Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2014
PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-2286-3
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2014
Universität Wien, Wien, Österreich, Akademische Arbeit, 2006
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Printed in Germany
1. Inhaltsverzeichnis
1. INHALTSVERZEICHNIS ... 1
2. EINFÜHRUNG ... 3
3. RADIO FREQUENCY IDENTIFICATION UND BETRIEBSVEREINBARUNGEN ... 7
3.1.
D
IE
B
ETRIEBSVEREINBARUNG
... 7
3.2.
N
OTWENDIGE FAKULTATIVE
B
ETRIEBSVEREINBARUNG
... 8
3.2.1. Allgemeines
... 8
3.2.2. Kontrollmaßnahmen und RFIDs
... 9
3.2.3. Leistungsabhängiges Entgelt und RFIDs
... 17
3.2.4. Folgen eines Rechtsverstoßes
... 18
3.3.
N
OTWENDIGE ERZWINGBARE
B
ETRIEBSVEREINBARUNG
... 20
3.3.1. Allgemeines
... 20
3.3.2. Elektronische Personalinformationssysteme und RFIDs
... 20
3.3.3. Personalbeurteilungssysteme und RFIDs
... 24
3.3.4. Folgen eines Rechtsverstoßes
... 26
3.4.
D
ISPONIBLE ERZWINGBARE
B
ETRIEBSVEREINBARUNG
... 27
3.4.1. Allgemeines
... 27
3.4.2. Allgemeine Ordnungsvorschriften und RFIDs
... 28
3.4.3. Folgen eines Rechtsverstoßes
... 29
3.5.
D
ISPONIBLE FAKULTATIVE
B
ETRIEBSVEREINBARUNG
... 30
3.5.1. Allgemeines
... 30
3.5.2. RFID-Chips und disponible fakultative Betriebsvereinbarungen
... 31
3.6.
M
ITWIRKUNGS
-
UND
K
ONTROLLRECHTE DES
B
ETRIEBSRATS
... 31
3.6.1. Allgemeines
... 31
3.6.2. Überwachungsrechte
... 32
3.6.3. Interventionsrechte
... 34
3.6.4. Informationsrechte
... 34
3.6.5. Beratungsrechte
... 35
4. DIE FÜRSORGEPFLICHT DES ARBEITGEBERS ... 36
4.1.
A
LLGEMEINES
... 36
4.1.1. Einführung zu Fürsorgepflicht und RFIDs
... 36
4.1.2. Definition und Rechtsgrundlage der Fürsorgepflicht
... 37
4.1.3. Anwendungsbereich der Fürsorgepflicht
... 38
4.2.
D
IE
S
CHUTZOBJEKTE DER
F
ÜRSORGEPFLICHT
... 38
4.2.1. Allgemeines
... 38
4.2.2. Persönlichkeitsschutz und RFIDs
... 39
4.2.3. Schutz von Leben und Gesundheit und RFIDs
... 40
4.3.
R
ECHTSFOLGEN EINER
V
ERLETZUNG DER
F
ÜRSORGEPFLICHT
... 41
5. RADIO FREQUENCY IDENTIFICATION UND BETRIEBSÄNDERUNGEN ... 44
5.1.
D
IE
E
INFÜHRUNG VON
R
ADIO
F
REQUENCY
I
DENTIFICATION IM
U
NTERNEHMEN ALS
B
ETRIEBSÄNDERUNG
... 44
5.1.1. Der Begriff der Betriebsänderung
... 44
5.1.2. Subsumtion der Einführung von RFID-Applikationen unter den Begriff der
Betriebsänderung
... 44
5.2.
R
ECHTSFOLGEN EINER
B
ETRIEBSÄNDERUNG
... 46
5.2.1. Allgemeines
... 46
5.2.2. Informationspflicht und Vorschlagsrecht
... 47
5.2.3. Durch Betriebsvereinbarung zu treffende Maßnahmen
... 48
5.2.4. Einspruch gegen die Betriebsänderung
... 49
Schmelz, Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (2006)
2
6. QUELLENVERZEICHNIS ... 50
6.1.
L
ITERATURVERZEICHNIS
... 50
6.2.
L
INKVERZEICHNIS
... 50
Schmelz, Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (2006)
3
2. Einführung Auswirkungen der technischen Entwicklung auf das Arbeitsleben
Im Zuge der letzten Jahre konnte, einhergehend mit der zunehmenden Technologisierung
der Arbeitswelt, eine zunehmende Beeinträchtigung gewisser Persönlichkeitsrechte der Ar-
beitnehmer durch eine Ausweitung der Arbeitnehmerüberwachung in Betrieben beobach-
tet werden, vielfach jedoch bloße Folge der technischen Entwicklung und des durch sie be-
dingten vermehrten Einsatzes von Informationstechnologien ist. So können technische Ein-
richtungen, die primär einer Automation und somit Rationalisierung von Arbeitsabläufen die-
nen oder auch unter Aspekten der Betriebssicherheit zweckmäßig erscheinen, zu einer ört-
lich und zeitlich unabhängigen, dh ubiquitären, Überwachung von Dienstnehmern führen
1
.
Evidentes Beispiel einer derartigen Kontrollmöglichkeit sind Videosysteme, welche etwa aus
Sicherheitsaspekten an den Ein- und Ausgängen von Betrieben oder auch in deren Außen-
oder Innenbereich angebracht werden. Optimiert wird eine auf diese Weise vorgenommene
Überwachung mitunter, indem die übermittelten Bilder nicht mit Hilfe von Kamera-Monitor-
Systemen durch Sicherheitspersonal geprüft werden, vielmehr werden Videoanlagen vielfach
mit Mustererkennungssystemen
2
ausgestattet
3
. Doch nicht bei allen technischen Errungen-
schaften sind neben deren Nutzen auch die mit ihnen einhergehenden möglichen Nachteile
derart deutlich sichtbar, wie im Folgenden veranschaulicht werden soll.
Ein gewisses Überwachungspotential bieten digitale Telefonanlagen, die regelmäßig über
Zusatzapplikationen wie Mithörfunktionen oder eine Speicherung von Anrufprotokollen verfü-
gen. Derartige Konstellationen wurden bereits mehrfach einer höchstgerichtlichen Überprü-
fung unterzogen
4
. Eine vergleichbare, wenn nicht sogar verschärfte Problematik bergen Mit-
arbeitern zur Verfügung gestellte Mobiltelefone, bei denen zusätzlich Verkehrsdaten wie zB
Standortdaten eruiert werden können. Eine Kontrolle der Tätigkeit der Angestellten bei der
Verwendung ihres Computers, etwa in Form einer Überprüfung von Logfiles, welche häufig
1
Weichert, Moderne IT-Systeme und Arbeitnehmerschutz (2004)
2
Zu Mustererkennungssystemen vgl einführend www.icg.tu-graz.ac.at/courses/lv710.080/vo05_07.pdf
sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Mustererkennung
3
Vereinfacht dargestellt erfolgt durch Mustererkennungssysteme die automatische Aufzeichnung sol-
cher Geschehnisse, die von vorprogrammierten Abläufen abweichen. Jegliche Differenz zwischen den
von der Arbeitgeberseite gewünschten und den tatsächlich stattfindenden Vorgängen, etwa ein über-
durchschnittlich langes Verweilen an nicht der Arbeitsverrichtung dienenden Orten, können dadurch
ohne Humanintervention, daher kostenschonend und mit geringer Fehlerquote, festgehalten und aus-
gewertet werden.
4
Vgl bspw OGH 13.6.2002, 8 Ob A288/01p: Die Einführung eines elektronischen Telefonkontrollsys-
tems durch den Dienstgeber, das die Nummern der angerufenen Teilnehmer systematisch und voll-
ständig sowie den jeweiligen Nebenstellen zugeordnet erfasst, berührt die Menschenwürde der Ar-
beitnehmer und ist mangels Vorliegen einer die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer wahrenden
Betriebsvereinbarung gemäß § 96 Abs 1 Z 3 unzulässig. Ähnliches gilt für das geheime Abhören von
Telefonaten ohne Kenntnis des Arbeitnehmers (EA Linz 21.1.1976, Re 80/75 Arb 9477; EA Linz 12. 9.
1975, Sch 4/75 Arb 9397).
Schmelz, Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (2006)
4
Rückschlüsse über das Internetnutzungsverhalten zulassen, ist durch den Systemadminist-
rator eines Unternehmens möglich. Der Einbau von in erster Linie der Mautabrechnung die-
nenden Onboard-Units in Lastkraftwägen eröffnet fallweise die Möglichkeit einer faktischen
Fahrerkontrolle, da etwa das deutsche Mautsystem auf der GSM/GPRS-Technologie basiert
und eine Feststellung des Fahrzeugstandortes mit Hilfe der als Peilsender verwendbaren
Endgeräte in technischer Hinsicht problemlos zu bewerkstelligen ist. Setzt in Unternehmen
das Betreten von Räumlichkeiten oder die Nutzung des firmeninternen Computernetzwerkes
eine Identifikation mittels elektronischen Betriebsausweises oder biometrischer Daten,
etwa eines Fingerabdrucks oder einer Gesichtserkennung, voraus, können in weiterer Folge
der exakte Aufenthalt der Mitarbeiter festgestellt, Bewegungsprofile angelegt und Rück-
schlüsse auf Dauer und Inhalt der erbrachten Arbeitsleistungen bzw von abgelegten Arbeits-
pausen gezogen werden. In Großbritannien schließlich statten namhafte Einzelhandelsketten
wie Sainsbury's oder Marks & Spencer Teile ihre Arbeitnehmerschaft mit tragbaren Compu-
tern, zB Handgelenk-Terminals oder in Arbeitskleidung eingearbeitete GPS-Empfänger,
aus
5
. Dadurch werden einerseits eine Vernetzung der Mitarbeiter und Effizienzsteigerungen
herbeigeführt, andererseits eine von Gewerkschaften
6
als menschenunwürdig kritisierte mi-
nutiöse Überwachung und Steuerung von Arbeitnehmern geschaffen.
Noch weiter gehende technische Möglichkeiten einer unscheinbaren, allerdings annähernd
lückenlosen Kontrolle von Dienstnehmern bietet der betriebliche Einsatz von Radiofre-
quenzidentifikationstechnologie, der in vielen Fällen zu einer Beeinträchtigung von Per-
sönlichkeitsrechten der Dienstnehmer führen könnte. Finden vom Arbeitnehmer zu tragende
Tags in Zutrittskontrollsystemen Verwendung, bedingen sie aus Sicht des Arbeitgebers ua
Vorteile in Bezug auf die Firmensicherheit. So sind bspw Alarmmechanismen vorstellbar, die
beim Durchschreiten einer Zone, die dem Einzugsbereich eines Lesegeräts entspricht, durch
eine Person ausgelöst werden, welche nicht Inhaber eines RFID-Chips sind, der einer Spei-
cherung von eine entsprechende Zugangslegitimation beinhaltenden Daten dient. Eine
Überwachung oder Aufzeichnung der von einzelnen Mitarbeitern zurückgelegten Wege im
Unternehmen lassen etwaige va sicherheitsbezogene Problemfälle zumindest rückwirkend
leichter aufklären. Weiters könnten durch RFID-Systeme gegenwärtig verwendete Steckuhr-
systeme abgelöst werden, so Lesegeräte im Eingangsbereich eines Betriebes den Arbeits-
beginn sowie das Arbeitsende eines jeden Angestellten protokollieren.
5
Rötzer, Angestellte an der elektronischen Leine, Telepolis vom 7.6.2005
6
http://www.gmb.org.uk/
Schmelz, Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (2006)
5
In einem weiteren Schritt ist jedoch eine umfassende Kontrolle der Dienstnehmer denkbar,
indem durch ein systematisches Anbringen von Lesegeräten in allen oder der Mehrzahl der
Räumlichkeiten der jeweilige Aufenthaltsort, die Verweildauer, Anzahl und Länge von Ar-
beitspausen der Chipinhaber festgestellt werden
7
. Durch eine Verknüpfung bestimmter erho-
bener Daten wird Unternehmern eine exakte Planung und Steuerung der Arbeitsabläufe
ermöglicht. In Produktionsbetrieben könnten für einzelne Vorgänge zu beachtende Soll-
Zeiten vorgegeben, mit den ermittelten Ist-Zeiten verglichen und so detaillierte Zeitraster an-
gelegt werden, wodurch eine genaue Leistungskontrolle entsteht
8
.
Sämtlichen genannten Technologien, die bislang in das Arbeitsleben Einzug fanden, ist ge-
mein, dass ihnen ein Konflikt zwischen den Interessen des Arbeitgebers etwa an einer Erhö-
hung von Produktionssicherheit und Produktivität, und den Interessen des Arbeitnehmers va
an einem Persönlichkeits- und Datenschutz zugrunde liegt; eine Lösung dieses Konflikts hat
nach dem Konzept des österreichischen Arbeitsrechts primär im Rahmen einer Betriebs-
vereinbarung zu erfolgen. Auch die Frage der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit verschiedens-
ter Einsatzmöglichkeiten von Radio Frequency Identification im Arbeitsleben ist daher häufig
auf Grundlage der §§ 96 ff ArbVG und damit der Problematik der Betriebsvereinbarungen zu
beantworten.
Außerdem hat untersucht zu werden, ob ein Arbeitgeber durch gewisse Arten der Verwen-
dung von RFIDs, etwa zum Zweck einer Überwachung von Arbeitnehmern, die über die für
die Arbeitnehmereigenschaft typische Kontrollunterworfenheit hinausgeht, seine Fürsorge-
pflicht verletzt. Schließlich ist zu bedenken, dass die RFID-Technologie etwa im Transport-
und Logistikwesen gravierende Veränderungen bisher bekannter Arbeitsabläufe nach sich
ziehen und die auf ihrer Grundlage zu erwartende Rationalisierung und Automatisierung der
Arbeitsabläufe letztlich auch zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen könnte. In diesem
Zusammenhang hat darauf eingegangen zu werden, ob sowie unter welchen Voraussetzun-
gen die Ausstattung eines Unternehmens mit RFID-Technologie eine Betriebsänderung iSd
§ 109 ArbVG darstellen und dadurch Informationspflichten des Betriebsinhabers gegenüber
dem Betriebsrat auslösen kann
9
.
7
www.rfid-journal.de/rfid-anwendungsbeispiele3.html
8
Fickert, RFID kleiner Chip, große Wirkung, Computer-Fachwissen 4/2004
9
Nicht eingegangen wird im Zuge der folgenden Ausführungen auf datenschutzrechtliche Aspekte von
RFIDs, die in einem eigenen Kapitel abgehandelt werden.
Schmelz, Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (2006)
6
An dieser Stelle hat darauf hingewiesen zu werden, dass RFID-Anwendungen im Arbeitsle-
ben gegenwärtig noch selten anzutreffen sind und daher einerseits in Österreich soweit
ersichtlich noch keinerlei themenspezifische Judikatur zu finden ist, andererseits im Fol-
genden regelmäßig theoretisch denkbare, nicht jedoch praktisch häufig vorkommende, Ein-
satzmöglichkeiten von RFIDs den rechtlichen Analysen zugrunde gelegt werden.
Schmelz, Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (2006)
7
3. Radio Frequency Identification und Betriebsvereinbarungen
3.1. Die Betriebsvereinbarung
Unter Betriebsvereinbarung ist eine schriftliche Vereinbarung über Gegenstände, deren
Regelung durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Betriebsvereinbarung vorbehalten ist, zu
verstehen. Während ein Arbeitsvertrag arbeitsrechtliche Belange eines einzelnen Arbeitsver-
hältnisses und ein Kollektivvertrag solche einer ganzen Branche regelt, beinhaltet die Be-
triebsvereinbarung betriebs- und unternehmensbezogene Regelungen. Die Rechtsmacht
zum Abschluss der Vereinbarung, die sog Betriebsvereinbarungsfähigkeit, kommt dem Be-
triebsinhaber auf der einen Seite und nach hM der Belegschaft auf der anderen Seite zu;
Betriebsrat, Konzernvertretung und Betriebsausschuss sind hingegen gewählte Organe,
durch welche die Arbeitnehmerschaft ihre gesetzlichen Mitwirkungsrechte ausüben kann,
nicht aber selbst Parteien der Betriebsvereinbarung
10
.
Da Betriebsvereinbarungen ex lege mit Normwirkung versehen sind, besteht eine unmittel-
bare Rechtsverbindlichkeit sämtlicher Bestimmungen einer gültig zustande gekommenen
Betriebsvereinbarung für alle ihr unterfallenden Arbeitsverhältnisse, sodass die Vereinbarung
in ihren zwingenden Bestimmungen unabdingbar und eine Abänderung durch Einzelvertrag
nur insofern zulässig ist, als für den Arbeitnehmer günstigere Bedingungen vorgesehen wer-
den
11
; aufgrund dieses Günstigkeitsprinzips können Betriebsvereinbarungen auch nicht ver-
schlechternd in Arbeitsverträge eingreifen.
Betrachtet man die verschiedenen Arten von Betriebsvereinbarungen, ist eine gesetzliche
Differenzierung zwischen fakultativen und erzwingbaren sowie notwendigen und disponiblen
Vereinbarungen festzustellen, wobei die erstgenannte Unterscheidung auf das Zustande-
kommen des Kontrakts, die zweitgenannte auf die Folgen eines gescheiterten Einigungsver-
suches abstellt. Während eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unabdingbare
Voraussetzung für das Zustandekommen einer fakultativen Betriebsvereinbarung ist, kann
mangels Konsens über den Abschluss einer erzwingbaren jede Seite eine Schlichtungsstel-
le anrufen. Setzt die Durchführung einer Arbeitgebermaßnahme eine Regelung eben dieser
in einer Betriebsvereinbarung voraus, wird Letztere als eine notwendige bezeichnet. Hängt
umgekehrt die Zulässigkeit einer vom Arbeitgeber durchgeführten Maßnahme nicht von einer
Einigung mit dem Betriebsrat ab, ist also eine einverständliche Regelung möglich, betriebs-
10
Tomandl/Schrammel, Arbeitsrecht I (2004), XIX 2
11
So etwa Kallab, Arbeitsverfassungsgesetz (2004), 25; Tomandl/Schrammel, Arbeitsrecht I (2004),
XIX 7. Nach aA kommt gewissen Betriebsvereinbarungen, etwa allgemeinen Ordnungsvorschriften,
hingegen zweiseitig zwingende Wirkung zu (Schwarz, Probleme sozialer und personeller Mitbestim-
mung im Betrieb, RdA 1975, 65)
Schmelz, Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (2006)
8
verfassungsrechtlich aber nicht notwendig, spricht man von einer disponiblen Betriebsver-
einbarung.
Unter der bereits angesprochenen Schlichtungsstelle, die zur Entscheidung über Ab-
schluss, Abänderung oder Aufhebung einer erzwingbaren Betriebsvereinbarung im Fall
mangelnder Willensübereinstimmung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat berufen ist, ver-
steht man eine im Anlassfall gebildete Verwaltungsbehörde (§§ 144 ff ArbVG). Ihre Errich-
tung erfolgt auf Antrag einer der beiden Verhandlungsparteien am Sitz jenes Arbeits- und
Sozialgerichts, in dessen Sprengel der Betrieb gelegen ist; die Schlichtungsstelle ist dem-
gemäß keine ständige Einrichtung. Sie besteht aus einem auf Antrag einer Partei vom Ge-
richtspräsidenten nominierten Vorsitzenden sowie vier Beisitzern, die jeweils zur Hälfte der
Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite angehören. Im Verfahren versucht die Schlichtungs-
stelle in erster Linie eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, die sog Schlichtung. Miss-
lingt dies, hat sie eine als Betriebsvereinbarung geltende Entscheidung zu treffen, wobei die
Beschlussfassung mit einfacher Stimmenmehrheit bei Unzulässigkeit von Stimmenthaltun-
gen getroffen wird. Die Erzwingbarkeit der Betriebsvereinbarung besteht jedoch nur, so keine
überbetriebliche Regelung einer Materie, etwa auf Ebene eines Kollektivvertrags oder eines
einseitig zwingenden Gesetzes, besteht.
Insgesamt können aufgrund einer Kombination der vier Unterscheidungskriterien von Be-
triebsvereinbarungen ebenso viele Vereinbarungsarten unterschieden werden, nämlich
disponible erzwingbare (§§ 97 Abs 1 Z 1 - 6a ArbVG), notwendige erzwingbare (§ 96a Ar-
bVG), notwendige fakultative (§ 96 ArbVG) sowie disponible fakultative (§ 97 Abs 1 Z 7 - 25
ArbVG). Ob die Einführung von RFID-Systemen in Unternehmen den Abschluss einer Be-
triebsvereinbarung voraussetzt bzw welche Art von Vereinbarung gegebenenfalls abzu-
schließen wäre, soll Gegenstand der folgenden Betrachtungen sein.
3.2. Notwendige fakultative Betriebsvereinbarung
3.2.1. Allgemeines
Gemäß § 96 Abs 1 ArbVG umfassen notwendige fakultative Betriebsvereinbarungen Diszip-
linarordnungen (Z 1), Personalfragebögen (Z 2), Kontrollmaßnahmen (Z 3) und leistungsab-
hängige Entgelte (Z 4). Auch in anderen Gesetzen wird der Abschluss einer solchen Be-
triebsvereinbarung zur Durchführung diverser genereller Maßnahmen vorausgesetzt (zB Ein-
führung von Gleitzeit gemäß § 4b AZG).
Schmelz, Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (2006)
9
Der Einsatz von RFIDs im Zusammenhang mit Personalfragebögen, welche der individuel-
len oder formularmäßigen Erhebung gewisser Arbeitnehmerdaten durch den Arbeitgeber
dient, ist ebenso unwahrscheinlich wie ein solcher in Bezug auf Disziplinarordnungen, deren
Gegenstand die Definition disziplinärer Verfehlungen, entsprechender Sanktionen sowie des
anzuwendenden Disziplinarverfahrens sind. Im Gegensatz dazu ist die Eignung von Radio
Frequency Identification, im Rahmen von Kontrollsystemen Verwendung zu finden, evident
und eine der grundlegendsten arbeitsrechtlichen Problemfelder. Weiters kann RFIDs Bedeu-
tung in Bezug auf leistungsabhängiges Entgelt zukommen.
3.2.2. Kontrollmaßnahmen und RFIDs
3.2.2.1. Der Begriff der Kontrollmaßnahme
Einer Zustimmung des Betriebsrats bedürfen zu ihrer Rechtmäßigkeit Kontrollmaßnahmen
und technische Systeme zur Kontrolle von Arbeitnehmern, so diese Maßnahmen bzw
Systeme die Menschenwürde berühren. Jener gesetzlichen Regelung liegt ein Konflikt zwi-
schen den Interessen des Arbeitgebers an einer betrieblichen Kontrolle seiner Angestellten
sowie den Interessen der Letztgenannten an einer Hintanhaltung von Eingriffen in die Men-
schenwürde zugrunde. Wenngleich die Kontrollunterworfenheit ein entscheidendes Merkmal
zu Begründung von Arbeitnehmereigenschaft ist, so dürfen Kontrollmaßnahmen doch nur
unter gewissen Voraussetzungen vorgenommen werden und unterliegen gewissen Be-
schränkungen, wobei die Grenzziehung zwischen Kontrollunterworfenheit des Arbeitnehmers
und dessen Privatsphäre häufig diffizil ist.
Der österreichische Gesetzgeber nimmt keine nähere Definition des Tatbestandmerkmals
einer Kontrollmaßnahme vor, jedoch wird dieser Begriff aufgrund einer historischen Interpre-
tation sowie unter Beachtung und Vergleich der deutschen Rechtslage typischer Weise weit
ausgelegt
12
. Der Umschreibung von Maßnahmen und technischen Systemen liegen von
Arbeitgeberseite erlassene Regelungen zugrunde, welche bestimmen, ob, auf welche Art
und Weise und unter welchen Umständen Arbeitnehmer etwa beim Betreten und Verlassen
oder auch dem Aufenthalt innerhalb des Betriebs überwacht werden dürfen und zu welchen
Zwecken dies erfolgen darf. Irrelevant ist, ob die Kontrollmaßnahmen alle oder nur vereinzel-
te Räumlichkeiten betreffen und ob sie sämtliche Verhaltensweisen des Arbeitnehmers oder
nur dessen Arbeitserbringung betreffen. Bei einer Prüfung der Frage, ob eine Maßnahme
bzw ein technisches System die Menschenwürde berührt, ist alleine die objektive Eignung
entscheidend; die rein subjektive Furcht der Arbeitnehmer, das System könnte vom Arbeit-
12
Tomandl, Rechtsprobleme bei der Einführung und Anwendung von Kontrollmaßnahmen, ZAS 1982,
163
Schmelz, Arbeitsrechtliche Aspekte von Radio Frequency Identification (2006)
10
geber zu Kontrollzwecken missbraucht werden, ist nicht ausreichend
13
. Als Kontrollmaßnah-
men können Vorgänge mit wie auch ohne technische Hilfsmittel angesehen werden, daher
etwa eine Überwachung der Arbeitszeit durch Stechuhren ebenso wie durch händische Auf-
zeichnungen von Mitarbeitern.
Vom Arbeitgeber durchgeführte Kontrollmaßnahmen haben jeweils unter dem Aspekt der
formalen Gleichbehandlung der Arbeitnehmer durchgeführt zu werden. Dies erfordert
nicht notwendiger Weise eine Überwachung sämtlicher Arbeitnehmer, vielmehr ist auch eine
rein zufällige Kontrolle einzelner Personen zulässig sowie die Überprüfung bestimmter Grup-
pen von Dienstnehmern, soweit diese einer Tätigkeit nachgehen, welche die Überwachung
rechtfertigt.
Im Verhältnis zu § 96a ArbVG besteht ein Vorrang von § 96 ArbVG: Soweit Kontrollmaß-
nahmen des Arbeitgebers automationsunterstützt ablaufen oder die in ihrem Rahmen ge-
wonnenen Daten durch ein automationsunterstütztes Personalinformationssystem bearbeitet
werden, sind die gesetzlichen Regeln über Kontrollmaßnahmen anzuwenden, nicht aber jene
über elektronische Personalinformationssysteme. Die Rechtfertigung derartiger Maßnahmen
bedarf daher einer notwendigen fakultativen Betriebsvereinbarung, die einer Zwangsschlich-
tung nicht zugänglich ist.
3.2.2.2. Der Begriff der Menschenwürde
Generell unzulässig ist gemäß § 96 ArbVG jede Kontrolle auf eine die Menschenwürde nicht
nur berührende, sondern diese verletzende Art und Weise, da sie dann sittenwidrig ist.
Kann umgekehrt infolge einer Kontrollmaßnahme des Arbeitgebers weder eine Verletzung,
noch eine Berührung der Menschenwürde der Arbeitnehmer festgestellt werden, ist diese
auch ohne Betriebsvereinbarung zulässig, soweit sie nicht als allgemeine Ordnungsmaß-
nahme zu qualifizieren ist
14
. § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG betrifft daher solche Maßnahmen, welche
die Menschenwürde zwar bereits berühren, allerdings noch nicht verletzen
15
; eine Grenzzie-
hung zwischen den genannten Handlungskategorien ist in der Praxis freilich oftmals schwie-
rig.
13
VwGH 19.4.2005, 87/01/0034
14
Diesfalls wäre die Notwendigkeit einer Betriebsvereinbarung gemäß § 97 Abs 1 ArbVG zu prüfen.
15
840 Blg. NR 13. GP, 84; VwGH 19.4.2005, 87/01/0034
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2006
- ISBN (eBook)
- 9783842822863
- ISBN (Paperback)
- 9783842872868
- Dateigröße
- 387 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Universität Wien – Juridische Fakultät
- Erscheinungsdatum
- 2014 (Juni)
- Note
- 1,0
- Produktsicherheit
- Diplom.de