Flashmobs: Die Kunst, Grenzen zu überschreiten
©2013
Diplomarbeit
136 Seiten
Zusammenfassung
Einleitung:
Samstag 15.00 Uhr, Hauptplatz Graz. Im Herzen von Graz herrscht reger Betrieb: PassantInnen laufen geschäftig hin und her, flanieren an Schaufenstern vorbei, warten auf die Straßenbahn, tummeln sich im Sonnenschein – ein ganz normaler Nachmittag. Da stört ein schriller Pfiff die Monotonie der Straßengeräusche.
Plötzlich stürmen von allen Seiten Menschen laut schreiend aufeinander zu, in den Händen halten sie Kissen, die sie wild über ihre Köpfe schwingen. PassantInnen halten überrascht inne. Verwundert beobachten sie die Gruppe Unbekannter, die den Grazer Hauptplatz am helllichten Tag in eine riesige Kissenschlacht verwandelt. Menschen jauchzen, Kissen und Federn wirbeln durch die Luft, jeder kann sehen, wie viel Spaß diese verrückte Inszenierung ihren DarstellerInnen bereitet. Erneut erklingt der schrille Pfiff.
Binnen Sekunden werden die Kissen gesenkt, die eben noch wild Herumtollenden verstummen. So schnell, wie sie sich versammelt hat, löst sich die Gruppe wieder auf. Zurück bleiben verblüffte ZuschauerInnen, die zu begreifen versuchen, was soeben geschehen ist.
Diese kurze Schilderung beschreibt den International Pillowfight Flashmob, der am 02. April 2011 am Hauptplatz in Graz stattfand. Seit seiner Begründung im Jahr 2003 hat sich das Phänomen Flashmob über die ganze Welt verbreitet und sorgt, nicht zuletzt durch das große Medieninteresse, immer wieder für Aufmerksamkeit. Die Wissenschaft hingegen scheint noch wenig Notiz von dem jungen Phänomen genommen zu haben, was sich u. a. an den spärlich ausfallenden Publikationen äußert. Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, das äußerst spannende und komplexe Phänomen Flashmob aufzuschlüsseln.
Im Zentrum steht die Frage, wie der Flashmob es seinen TeilnehmerInnen ermöglicht, konsequenzlos Grenzen zu überschreiten. Um diese Frage angemessen diskutieren zu können gilt es, das Phänomen sowohl mit Blick auf den einzelnen Menschen als auch eingebettet in den Kontext unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu betrachten. Mittels sechs prägender Schlüsselbegriffe unserer Zeit soll verständlich gemacht werden, wie angepasst sich der Flashmob in unsere gegenwärtige Gesellschaft einfügt. Gezeigt werden soll auch, dass es sich dabei nicht nur um die reine Spaßaktion und das sinnlose Tun handelt, als das der Flashmob gerne verharmlost wird. [...]
Samstag 15.00 Uhr, Hauptplatz Graz. Im Herzen von Graz herrscht reger Betrieb: PassantInnen laufen geschäftig hin und her, flanieren an Schaufenstern vorbei, warten auf die Straßenbahn, tummeln sich im Sonnenschein – ein ganz normaler Nachmittag. Da stört ein schriller Pfiff die Monotonie der Straßengeräusche.
Plötzlich stürmen von allen Seiten Menschen laut schreiend aufeinander zu, in den Händen halten sie Kissen, die sie wild über ihre Köpfe schwingen. PassantInnen halten überrascht inne. Verwundert beobachten sie die Gruppe Unbekannter, die den Grazer Hauptplatz am helllichten Tag in eine riesige Kissenschlacht verwandelt. Menschen jauchzen, Kissen und Federn wirbeln durch die Luft, jeder kann sehen, wie viel Spaß diese verrückte Inszenierung ihren DarstellerInnen bereitet. Erneut erklingt der schrille Pfiff.
Binnen Sekunden werden die Kissen gesenkt, die eben noch wild Herumtollenden verstummen. So schnell, wie sie sich versammelt hat, löst sich die Gruppe wieder auf. Zurück bleiben verblüffte ZuschauerInnen, die zu begreifen versuchen, was soeben geschehen ist.
Diese kurze Schilderung beschreibt den International Pillowfight Flashmob, der am 02. April 2011 am Hauptplatz in Graz stattfand. Seit seiner Begründung im Jahr 2003 hat sich das Phänomen Flashmob über die ganze Welt verbreitet und sorgt, nicht zuletzt durch das große Medieninteresse, immer wieder für Aufmerksamkeit. Die Wissenschaft hingegen scheint noch wenig Notiz von dem jungen Phänomen genommen zu haben, was sich u. a. an den spärlich ausfallenden Publikationen äußert. Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, das äußerst spannende und komplexe Phänomen Flashmob aufzuschlüsseln.
Im Zentrum steht die Frage, wie der Flashmob es seinen TeilnehmerInnen ermöglicht, konsequenzlos Grenzen zu überschreiten. Um diese Frage angemessen diskutieren zu können gilt es, das Phänomen sowohl mit Blick auf den einzelnen Menschen als auch eingebettet in den Kontext unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu betrachten. Mittels sechs prägender Schlüsselbegriffe unserer Zeit soll verständlich gemacht werden, wie angepasst sich der Flashmob in unsere gegenwärtige Gesellschaft einfügt. Gezeigt werden soll auch, dass es sich dabei nicht nur um die reine Spaßaktion und das sinnlose Tun handelt, als das der Flashmob gerne verharmlost wird. [...]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Mader, Christine: Flashmobs: Die Kunst, Grenzen zu überschreiten. , Hamburg,
Diplomica Verlag GmbH 2014
PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-7614-9
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2014
Zugl. Karl-Franzens-Universität Graz, Graz, Österreich, Diplomarbeit, Juni 2013
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Printed in Germany
für min Papa,
vergiss nia vo do doma vo Zit zu Zit uf üs
aba zum lächla
und für mine Mama,
möge dir dine Stärke immer treu zur Sita stoh.
I. Einleitung
7
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
9
1. Aktueller Forschungsstand ... 9
2. Zielsetzung der Arbeit ... 13
3. Methode ... 14
3.1 Feldforschung ... 15
3.1.1 Beobachten ... 15
3.1.2 Qualitativ-teilnehmende Beobachtung ... 17
3.1.3 Feldforschung in Graz ... 20
3.2 Interviews ... 26
3.3 Visuelle Daten: Video ... 31
3.4 Literatur (Druckwerke) ... 32
3.5 Internet (Digitale Texte) ... 33
4. Begriffsbestimmung ... 35
4.1 Etymologie ... 35
4.1.1 Namensgebung ... 35
4.2 Definition ... 36
5. Präskription des Phänomens Flashmob ... 38
5.1 Die Vorbereitung ... 38
5.2 Die Aufführung ... 39
5.3 Die Reflexion ... 40
5.3.1 Definition Flashmob ... 40
6. Die Formen des Mobs ... 41
6.1 Der Smart Mob ... 41
6.2 Der Online-Mob ... 41
6.3 Die Gegenbewegung ... 42
7. Geschichte des Flashmobs
8. Kunsthistorische Einbettung ... 45
8.1 Aktionskunst ... 45
8.1.1 Happening ... 45
8.1.2 Fluxus ... 46
8.1.3 Performance ... 47
8.2 Die Aktionskunst und der Flashmob ... 47
Inhalt
III. Flashmobs in Graz
49
9. Die Flashmob Community Graz ... 49
10. Die Raffinesse des Flashmobs: sechs Schlüsselbegriffe unserer Zeit ... 51
10.1 Der Flashmob zwischen Alltag und Erlebnis ... 51
10.1.1 Begriffsdiskussion: Alltag und Erlebnis ... 51
10.1.2 Der Flashmob: Alltag und Erlebnis ... 62
10.2 Performativität, Performanz und Inszenierung ... 71
10.2.1 Klärung der Begriffe ... 71
10.2.2 Flashmobs in Graz: Performativität, Performanz und Inszenierung ... 85
10.3 Internet ... 96
10.3.1 Begriffserklärung und Entstehungsgeschichte ... 96
10.3.2 Die Bedeutung des Internet ... 97
10.3.3 Internet: das praktische Mittel für den Flashmob ... 102
11. Die Kunst, Grenzen zu überschreiten ... 107
11.1 Begriffsdiskussion: Normen und Freiheit ... 107
11.2 Der Flashmob zwischen Freiheit und Normen ... 116
IV. Schlusswort und Ausblick
125
V. Literaturverzeichnis
127
Inhalt
Bildquelle: Christine Mader, sofern nicht anders gekennzeichnet
I. Einleitung
7
I. Einleitung
Samstag 15.00 Uhr, Hauptplatz Graz. Im Herzen von Graz herrscht reger Betrieb: PassantInnen laufen
geschäftig hin und her, flanieren an Schaufenstern vorbei, warten auf die Straßenbahn, tummeln sich im
Sonnenschein ein ganz normaler Nachmittag. Da stört ein schriller Pfiff die Monotonie der Straßen-
geräusche. Plötzlich stürmen von allen Seiten Menschen laut schreiend aufeinander zu, in den Händen
halten sie Kissen, die sie wild über ihre Köpfe schwingen. PassantInnen halten überrascht inne. Verwundert
beobachten sie die Gruppe Unbekannter, die den Grazer Hauptplatz am helllichten Tag in eine riesige Kis-
senschlacht verwandelt. Menschen jauchzen, Kissen und Federn wirbeln durch die Luft, jeder kann sehen,
wie viel Spaß diese verrückte Inszenierung ihren DarstellerInnen bereitet. Erneut erklingt der schrille Pfiff.
Binnen Sekunden werden die Kissen gesenkt, die eben noch wild Herumtollenden verstummen. So schnell,
wie sie sich versammelt hat, löst sich die Gruppe wieder auf. Zurück bleiben verblüffte ZuschauerInnen, die
zu begreifen versuchen, was soeben geschehen ist.
Diese kurze Schilderung beschreibt den International Pillowfight Flashmob, der am 02. Ap-
ril 2011 am Hauptplatz in Graz stattfand. Seit seiner Begründung im Jahr 2003 hat sich das
Phänomen Flashmob über die ganze Welt verbreitet und sorgt, nicht zuletzt durch das große
Medieninteresse, immer wieder für Aufmerksamkeit. Die Wissenschaft hingegen scheint noch
wenig Notiz von dem jungen Phänomen genommen zu haben, was sich u. a. an den spärlich
ausfallenden Publikationen äußert. Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, das äußerst span-
nende und komplexe Phänomen Flashmob aufzuschlüsseln.
Im Zentrum steht die Frage, wie der Flashmob es seinen TeilnehmerInnen ermöglicht, kon-
sequenzlos Grenzen zu überschreiten. Um diese Frage angemessen diskutieren zu können gilt
es, das Phänomen sowohl mit Blick auf den einzelnen Menschen als auch eingebettet in den
Kontext unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu betrachten. Mittels sechs prägender Schlüsselbe-
griffe unserer Zeit soll verständlich gemacht werden, wie angepasst sich der Flashmob in unsere
gegenwärtige Gesellschaft einfügt. Gezeigt werden soll auch, dass es sich dabei nicht nur um die
reine Spaßaktion und das sinnlose Tun handelt, als das der Flashmob gerne verharmlost wird. In
dem Phänomen steckt großes schöpferisches, aber auch subversives Potential: Wie und warum
bei einem Flashmob Grenzen überschritten werden können, soll anhand der Flashmob Com-
munity in Graz verdeutlicht werden. Um diese Aufgabe konstruktiv erfüllen zu können, gliedert
sich die Arbeit in einen Einführungs- und einen Analyseteil:
Aufbau der Arbeit
Der Einführungsteil,
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik,
soll den LeserInnen ein
Basiswissen über das Phänomen vermitteln: Der Überblick über den aktuellen Forschungsstand
zeigt, welche wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Flashmob bereits gemacht wur-
den und wie sich die vorliegende Arbeit dazu positioniert (Kap. 1).
8
I. Einleitung
Anschließend wird die Zielsetzung der Arbeit erläutert (Kap. 2). Des Weiteren werden die ver-
wendeten Methoden dargestellt und kritisch reflektiert, ihre Vor- und Nachteile werden gegen-
einander abgewogen und ihre Sinnhaftigkeit diskutiert (Kap. 3). Es folgt der Versuch einer
Begriffsbestimmung des Terminus ,,Flashmob". Hierfür werden verschiedene existierende Defini-
tionen herangezogen und auf ihre Angemessenheit hin überprüft (Kap. 4). An die Auseinander-
setzung mit dem Begriff knüpft die Präskription des Flashmobs: Das Phänomen wird in seinen
Einzelheiten beschrieben, damit den LeserInnen ein möglichst detailliertes Bild für die Analyse
zur Verfügung steht (Kap. 5). Diesem Anliegen widmet sich auch die folgende Erläuterung
weiterer Formen des Mobs, von denen der Flashmob klar abgegrenzt wird (Kap. 6). Um das Bild
zu vervollständigen wird die Geschichte des Phänomens rekonstruiert: seine Entstehung, an-
fängliche Schwierigkeiten, sein Erfolg und seine Verbreitung über die ganze Welt (Kap. 7). Der
Einführungsteil schließt mit einer kunsthistorischen Einbettung. So wird, nach einem prägnanten
Überblick über die verschiedenen Strömungen der Aktionskunst, deren Relevanz für den Flash-
mob beleuchtet (Kap. 8).
Es folgt der Analyseteil
III. Flashmobs in Graz.
Dieser setzt sich mit den Flashmobs aus-
einander, die von der Flashmob Community in Graz organisiert werden. An erster Stelle wird
den LeserInnen Wissenswertes zu der Flashmob Community vermittelt. Es wird erklärt, um wen
es sich dabei handelt und worin ihre Aufgaben bestehen (Kap. 9). Es folgt die Analyse der
Flashmobs in Graz im Hinblick auf sechs Schlüsselbegriffe unserer gegenwärtigen Zeit und Gesell-
schaft. Dabei wird sowohl die Raffinesse des Flashmobs als auch seine Anpassungsfähigkeit sicht-
bar gemacht: Mittels der ersten beiden Schlüsselbegriffe ,,Alltag" und ,,Erlebnis" wird gezeigt,
wie es im Zuge des Flashmobs gelingt, den als banal empfundenen Alltag zu durchbrechen und
ein Erlebnis zu generieren. Anhand der Schlüsselbegriffe ,,Performativität", ,,Performanz" und
"Inszenierung" wird illustriert, in welcher Hinsicht die untersuchten Flahmobs performativ sind
und inwiefern es sich dabei um Performanzen bzw. Inszenierungen handelt. Das ,,Internet" wird
als letzter prägender Begriff behandelt. Hier wird deutlich gemacht, dass der Flashmob ohne
diese neue Technologie in seiner heutigen Form nicht existieren könnte (Kap. 10). Der Ab-
schluss des Analyseteils geht mit der Wiederaufnahme des Titels der vorliegenden Arbeit einher:
die Kunst, Grenzen zu überschreiten. Anhand der Begriffe ,,Freiheit" und ,,Normen" und unter
Einbeziehung der bisherigen vermittelten Erkenntnisse wird dargelegt, wie bei einem Flashmob
Grenzen überschritten werden können, ohne die Konsequenzen dafür zu tragen (Kap. 11).
9
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 1. Aktueller Forschungsstand
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
Der folgende Einführungsteil soll grundlegendes Wissen über das Phänomen Flashmob ver-
mitteln, die Zielsetzung und Methoden dieser Arbeit erläutern und in einem ersten Schritt den
Stand der bisherigen Forschung erörtern:
1. Aktueller Forschungsstand
Als ein recht junges Phänomen
1
hat sich noch keine nennenswerte wissenschaftliche Forschungs-
tradition zum Flashmob etabliert. Dieser wird zwar in unterschiedlichen Forschungszusammen-
hängen immer wieder als Exempel herangezogen
2
, doch die Untersuchungen, die das Phänomen
zum eigentlichen Forschungsgegenstand haben, fallen noch recht spärlich aus. Mit der zuneh-
menden Bekanntheit des Flashmobs scheint allerdings auch das Interesse an dem Phänomen
zu steigen. Die Vermutung liegt nahe, dass der Flashmob in Zukunft als Forschungsgegenstand
immer mehr in den Blick der Kultur- und Sozialwissenschaften gerät.
Bisherige Forschungen stammen aus dem Bereich der Soziologie, der Medien- und Kul-
turwissenschaften. Einer der ersten WissenschaftlerInnen, der sich mit dem Thema beschäftigt,
ist der amerikanische Soziologe Howard Rheingold. Im Mittelpunkt seiner Forschungen steht
allerdings nicht der Flashmob, sondern der ihm verwandte Smart Mob. In seinem Werk
Smart
Mobs: The Next Social Revolution
3
stellt Rheingold einen Zusammenhang zwischen dem
Smart Mob und neuen technischen Möglichkeiten wie wireless Internet, Handys, Pager usw.
her. Der Soziologe veranschaulicht eingängig, welches Potential, aber auch welche Gefahr in
einem Smart Mob stecken. Gleichzeitig verdeutlicht er, welchen Einfluss die neuen Kommu-
nikationstechnologien auf das soziale Leben der Menschen ausüben. Den Flashmob erwähnt
Rheingold allerdings nur nebenbei, als die sinnentleerte Variante des sinnvollen, weil zielgerich-
teten Smart Mobs. Dieser abschätzig wirkenden Haltung dem Flashmob gegenüber soll in der
vorliegenden Arbeit in mehrerer Hinsicht entgegengewirkt werden.
4
1
Der erste Flashmob fand im Juni 2003 statt.
2
Der Flashmob wird besonders im Zusammenhang mit der Untersuchung sozialer Gruppen und Neuer Medien
erwähnt. Vgl. dazu: Wagenbach, Marc (2012): Digitaler Alltag. München: Herbert Utz Verl. S. 175-182.
Vgl. auch: Funk, Tom (2011): Social Media Playbook For Business. Reaching Your Online Community with Twitter,
Facebook, Linkedin, and More. California: ABC-CLIO. S. 125-129.
Vgl. auch: Vogiazou, Yanna (2007): Design for Emergence. Collaborative Social Play with Online and Location-Based
Media. Amsterdam: IOS Press. S. 24-26.
3
Rheingold, Howard (2002): Smart Mobs. The next social Revolution. Cambridge: Basis Books.
4
Welches Potential in einem Flashmob steckt, wird im Abschnitt ,,III. Flashmobs in Graz" ausgeführt.
10
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 1. Aktueller Forschungsstand
Ein Schnittpunkt zwischen Rheingolds Werk und der vorliegenden Arbeit ergibt sich im Bezug
auf die Untersuchung Neuer Medien, wie dem Internet, die sowohl für den Smart Mob als auch
für den Flashmob eine wichtige Rolle spielen.
Das Thema Medien greift auch die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Anja Junghans in
ihrer Arbeit
Der Flashmob. Strategie der Sichtbarkeit und Evidenz
5
auf
.
Anhand der beiden
Begriffe Sichtbarkeit und Evidenz versucht sie zu zeigen, dass der Flashmob das materielle Ab-
bild einer virtuellen Gemeinschaft sei. Junghans beschreibt, wie sich das Phänomen durch Ver-
räumlichung, Verzeitlichung und Verkörperung im öffentlichen Raum materialisiert und durch
Enträumlichung, Entzeitlichung und Entkörperung im Zuge der Medialisierung und Veröffent-
lichung des Film- und Fotomaterials wieder entmaterialisiert. Junghans verdeutlicht anschaulich
die tragende Bedeutung von Film und Fotografie für den Flashmob sowie die Verlagerung des
Raums vom Virtuellen in den öffentlich physischen. Sie vertritt die These, dass sich die virtu-
elle Gemeinschaft erst durch ihre Sichtbarwerdung im physischen Raum ihrer eigenen Existenz
versichern kann und belegt dies mit dem Umstand, dass Video- und Fotomaterial eine zentrale
Rolle beim Flashmob spielen. Dabei wird allerdings, meiner Ansicht nach, dem virtuellen Raum
zu viel Bedeutung eingeräumt. Der physische öffentliche Raum der Stadt erlangt nur mehr als
,,Wunderland"
6
zum Zwecke der Evidenzherstellung Relevanz.
7
Video- und Fotomaterial schei-
nen einzig demselben Zweck zu dienen.
Junghans ,,spielerische Beweisführung"
8
, wie sie es nennt, scheint somit etwas zu sehr in der
Theorie verhaftet zu bleiben. Zumindest was die Anwendung ihrer Thesen auf die Flashmobs
der Community in Graz betrifft. Die Bedeutsamkeit des virtuellen Raums für den Flashmob
soll hier in keiner Weise in Abrede gestellt werden, als Kommunikationsmittel besitzt dieser
unbestreitbaren Wert. Allerdings nicht jenen übergeordneten Stellenwert, den Junghans ihm
zuspricht. Denn das Wichtigste bei den Flashmobs der Community in Graz ist zweifelsohne de-
ren Vorführung im physisch öffentlichen Raum vor einem Publikum. Nicht der virtuelle Raum
ist der Ort, an dem der eigentliche Flashmob stattfindet, wie Junghans behauptet, sondern der
physische Raum, der durch seine Öffentlichkeit ZuschauerInnen garantiert. Zudem scheint die
Funktion der Videos und Fotos weniger in der Evidenzherstellung zu liegen, als vielmehr in der
Reflexion des Geschehens.
5
Junghans, Anja (2010): Der Flashmob. Strategie der Sichtbarkeit und Evidenz. München: Grin Verl.
6
Ebda. S. 81.
7
Vgl. ebda.
8
Ebda. S. 4.
11
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 1. Aktueller Forschungsstand
Weniger theoretisch, sondern deskriptiv und empirisch geht Alexander Willrich in seiner Stu-
dienarbeit
Flashmob. Die Zurückeroberung des öffentlichen Raums
9
vor. Er versucht die
grundlegenden Aspekte des Phänomens zu erfassen und beschreibt seinen eigenen Versuch, ei-
nen Flashmob zu organisieren. Willrich liefert einen recht guten Überblick über den Ablauf ei-
nes Flashmobs, seine Ausführungen reichen aber auch nicht weiter darüber hinaus und bedürfen
daher keiner weiteren Darstellung.
Einen spezifischeren Blick auf das Phänomen wirft die Medienwirtin Julia Jochem in ihrer
Arbeit
Performance 2.0 - Zur Mediengeschichte der Flashmobs
10
. Sie setzt sich mit der Pro-
zesshaftigkeit des Flashmobs auseinander und legt ihren Fokus auf die Schritte, die der öffent-
lichen Flashmob Aufführung vorangehen und nachfolgen. Indem sie das Phänomen als einen
mehrstufigen Prozess analysiert, der die Phase der Vorbereitung, Durchführung und Bilderwan-
derung
11
durchläuft, gelingt es ihr, den prozessualen Charakter des Flashmobs zu veranschauli-
chen.
12
Zudem macht Jochem den wichtigen Schritt, das Phänomen im Kontext von Kunst und
populärer Kultur zu verorten. Sie arbeitet dabei den zentralen Aspekt des Erlebens beim Flash-
mob heraus. Anhand des Freeze
13
erläutert die Medienwirtin die Durchführung eines Flashmobs
und beschreibt im Zuge dessen das Phänomen als eine subversive Praxis.
14
Jochem zufolge tritt
das subversive Potential eines Flashmobs offen zu Tage. So sieht sie ein Ziel des Flashmobs darin
zu provozieren. In diesem Punkt hat mich meine eigene Forschung zu einer anderen Erkenntnis
geführt: Ich stimme Jochem zu, dass jeder Flashmob ein subversives Element besitzt, allerdings
ist dies unterschwellig und wird eher verklärt als offen nach außen getragen. In Graz tun die
FlashmoberInnen alles, um nicht zu provozieren, die Gründe dafür werden im Laufe der Arbeit
sichtbar gemacht.
Einen anderen Zugang zum Thema Flashmob hat die Kulturanthropologin Katrin Bauer.
In ihrem Werk
Jugendkulturelle Szenen als Trendphänomene: Geocaching, Crossgolf, Par-
kour und Flashmobs in der entgrenzten Gesellschaft
15
.
9
Willrich, Alexander (2008): Flashmob. Die Zurückeroberung des öffentlichen Raums. München: Grin Verl.
10 Jochem, Julia (2010): Performanz 2.0. Zur Mediengeschichte des Flashmobs. München: Grin Verl.
11 Mit ,,Phase der Bilderwanderung" meint Jochem die Medialisierung des Flashmobs mittels Video und Fotografie.
Vgl. hierzu S. 79-96.
12 Vgl. ebda. S. 4.
13 Bei einem Freeze bleiben alle FlashmoberInnen für die Dauer des Flashmobs wie erstarrt stehen.
14 Vgl. Jochem (2010), S. 75.
15 Bauer, Katrin (2010): Jugendkulturelle Szenen als Trendphänomene: Geocaching, Crossgolf, Parkour und
Flashmobs in der entgrenzten Gesellschaft. Münster: Waxmann (= Internationale Hochschulschriften, 544).
12
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 1. Aktueller Forschungsstand
Sie bezeichnet den Flashmob als Trendphänomen bzw. Szene, wobei die HauptakteurInnen
solcher Szenen Jugendliche sind.
16
Trendphänomene beschreibt Bauer als ,,konkret fassbare,
alltägliche Handlungsäußerungen"
17
, die eine ,,quantitative Ausbreitung"
18
haben. Sie sind die
,,konkrete Umsetzung"
19
, die sichtbaren Erscheinungsformen gesellschaftlicher Trends
20
, die sie
widerspiegeln.
21
Bauer gelangt zu der wertvollen Erkenntnis, dass Trendphänomene immer mehr
sind als die sichtbaren Handlungen an sich. Sie sind ,,Seismografen unserer Zeit"
22
und können
Aufschluss über gesellschaftliche, soziale, politische, rechtliche und ökonomische Bedingungen
und kulturellen Wandel geben.
23
Dieser Aspekt wird auch in der vorliegenden Arbeit aufgegrif-
fen, indem anhand von sechs Schlüsselbegriffen gezeigt wird, wie eng das Phänomen Flashmob
an die Entwicklungen unserer Zeit und Gesellschaft geknüpft ist.
Bauer zieht den Flashmob neben Geocaching, Crossgolf und Parkour lediglich als ein Bei-
spiel für Trendphänomene bzw. jugendkulturelle Szenen heran. In den wenigen Seiten, die sie
dem Phänomen dezidiert widmet, arbeitet sie anschaulich die Parallelen zum Happening
24
heraus. Dabei übersieht sie aber die ebenso tragenden Elemente, die den Flashmob mit der
Kunstströmung Fluxus verbinden. Sie führt auch übersichtlich die zentrale Rolle des Internet
als Kommunikationsmittel beim Flashmob aus. Kritisch zu sehen ist allerdings meiner Ansicht
nach Bauers Einordnung des Flashmobs als Trendphänomen hinsichtlich dessen Definition als
,,alltägliche Handlungsäußerung[...]"
25
. Ein Flashmob kann schwerlich als solche charakterisiert
werden das Phänomen lebt davon, eben dies nicht zu sein, wie besonders im Kapitel ,,Alltag
und Erlebnis" deutlich sichtbar wird. Bedenklich erscheint auch Bauers Einschätzung des Flash-
mobs als inhaltlos.
26
Zum einen wird diese Zuschreibung meiner Meinung nach nicht ausrei-
chend argumentiert. Zum anderen wird sich im Zuge der vorliegenden Arbeit zeigen, dass diese
abwertend wirkende Charakterisierung kaum zutreffend scheint.
16 Trendphänomene und Szenen setzt Katrin Bauer gleich. Sie versteht Szenen als Trendphänomene, die gesellschaftliche
Trends widerspiegeln. Vgl. hierzu S. 15. Sowie S. 18.
17 Bauer (2012), S. 24.
18 Ebda.
19 Ebda. S. 14.
20 Trends definiert Bauer als ,,gesellschaftliche Reaktionen auf prägende, langfristig wirkende Umwelteinflüsse und
Ereignisse", die ,,Mentalitäten und Strukturen" unserer Gesellschaft ausdrücken. Vgl. hierzu S. 17.
21 Vgl. ebda. S. 14f.
22 Ebda. S. 15
23 Vgl. ebda.
24 Happening und Fluxus sind zwei Kunstströmungen der Aktionskunst. Sie werden im Kapitel ,,8. Kunsthistorische
Einbettung" erläutert.
25 Bauer (2010), S. 24.
26 Vgl. ebda. S. 82.
13
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 2. Zielsetzung
Die Aussage, ein Flashmobs sei ein ,,sinnfreie[s] Kurz-Happening"
27
relativiert die Autorin mit
dem Zusatz, ,,auf den ersten Blick"
28
. Selbst überlassen bleibt es den LeserInnen an dieser Stelle
allerdings, zu entscheiden, welche Sinnhaftigkeit ein Flashmob auf den zweiten Blick haben
könnte.
Es zählt zu den erhofften Nebeneffekten der vorliegenden Arbeit, den Ruf des Flashmobs
als sinnentleert, inhaltslos, unnütz etc. abzumildern und auf die ihm inne wohnenden Potentiale
aufmerksam zu machen. Im Laufe dieser Arbeit werden Aspekte, die in den vorgestellten For-
schungsarbeiten bereits angeschnitten wurden, wieder aufgenommen, teilweise erweitert, auch
umgedacht. Zugleich werden viele neue Perspektiven auf das Phänomen eröffnet, da sich die
Zielsetzung grundlegend von den bereits existierenden Untersuchungen unterscheidet:
2. Zielsetzung der Arbeit
Die untersuchten Flashmobs in Graz sind ein äußerst komplexes und ambivalentes Phänomen:
Sie überraschen durch ihre Ungewöhnlichkeit und fügen sich doch angepasst in unsere Zeit und
Gesellschaft. Sie werden grundsätzlich als sinnlose Spaßaktion verharmlost und besitzen doch
subversives Potential. In der folgenden Arbeit soll versucht werden, dieses scheinbare Paradox
etwas aufzuschlüsseln. Es gilt zu zeigen, wie es dem Phänomen gelingt angepasst zu sein und
trotzdem Regeln zu brechen. Veranschaulicht werden soll, wie sehr die Grazer Flashmobs in un-
serer Zeit und Gesellschaft verankert sind und gleichzeitig deren festgelegte Strukturen immer
wieder unterminieren, ohne negative Konsequenzen nach sich zu ziehen.
Ziel der Arbeit ist es also sichtbar zu machen und nachvollziehbar zu beschreiben, dass der
Flashmob es seinen TeilnehmerInnen ermöglicht, bestimmte Grenzen zu überschreiten, und wie
dies gelingt. Um dies erfüllen zu können, bedarf es einer Methode, die dem Forschungsgegen-
stand Flashmob angemessen ist:
27 Ebda.
28 Ebda.
14
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
3. Methode
Das folgende Kapitel soll das methodische Vorgehen meiner Forschung offen legen. Es gilt, den
Weg zu beschreiben und zu reflektieren, der zu den Ergebnissen führte, welche in dieser Arbeit
dargestellt sind: Mit Blick auf meinen Forschungsgegenstand entschied ich mich für die Metho-
de der qualitativen Forschung zur Datengewinnung.
Diese scheint angemessen, da sie die nötige Offenheit und Flexibilität nicht standardisierter
Daten gewährleistet.
29
Nun stellt sich zu Beginn die Frage, wie denn qualitative Forschung zu
bewerten ist. Eine befriedigende Antwort lasse sich darauf nicht finden, stellt der Sozialwissen-
schaftler Uwe Flick fest. Die vielfältigen Diskussionen um qualitative Methoden scheinen ihm
recht zu geben. Häufig werde dieses Bewertungsproblem genutzt, um an dieser Forschungs-
richtung insgesamt Kritik zu üben, meint Flick weiter. So laute ein gängiger Vorwurf, die Er-
gebnisse und Interpretationen, die mittels qualitativer Methoden erhoben werden, würden den
LeserInnen lediglich durch illustrative Interviewzitate oder Beobachtungsprotokolle plausibel
gemacht.
30
Das eigentliche und vielfach diskutierte Problem, das hier zum Vorschein kommt,
fasst Flick treffend unter der Überschrift ,,Geltungsbegründung bei qualitativer Forschung"
31
zusammen.
32
Die Frage, nach welchen Gütekriterien qualitative Forschung zu bewerten ist, betrifft selbst-
verständlich auch meine Untersuchungen zu den Flashmobs in Graz. Ebenso selbstverständlich
wie bedauerlich kann auch hier keine zufriedenstellende Lösung angeboten werden. Allerdings
stimme ich mit der Ansicht einiger WissenschaftlerInnen überein, dass klassische Gütekriterien
wie Validität, Reliabilität und Objektivität für eine qualitative Forschung kaum angemessen
anzuwenden sind.
33
Sinnvoller hingegen erscheinen alternative Kriterien der Beurteilung, wie
sie die Bildungswissenschaftler Yvonna Lincoln und Egon Guba formulieren: Vertrauenswürdig-
keit, Glaubwürdigkeit, Übertragbarkeit, Zuverlässigkeit und Bestätigbarkeit.
34
29 Die Forderung nach Methoden der Datengewinnung, die dem jeweiligen Forschungsgegenstand angemessen sind,
stellt beispielsweise der Ethnologe Hans Fischer. Vgl. hierzu: Fischer, Hans (2003): Ethnologie als wissenschaftliche
Disziplin. In: Bettina Beer/Hans Fischer (Hg.): Ethnologie. Einführung und Überblick. Berlin: Dietrich Reimer
Verl. S. 25. Vgl. hierzu auch: Stefanie Winter (2000): Quantitative vs. Qualitative Methoden: http://imihome.
imi.uni-karlsruhe. de/nquantitative_vs_qualitative_methoden_b.html
30 Vgl. Flick, Uwe (2007): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Hamburg: Rowohlt Verl. S. 487-489.
31 Ebda. S. 488.
32 Flick diskutiert eingehend die Gütekriterien qualitativer Forschung, die im Rahmen dieser Diplomarbeit aber nicht
ausführlich dargestellt werden können. Vgl. dazu: Flick (2007), S. 487- 503.
Vgl. auch: Flick, Uwe (2005): Kohärenz und Validität. In: Mikos Lothar/Claudia Wegener (Hg.): Qualitative
Medienforschung. Ein Handbuch. Konstanz: UVK Verl. S. 580-590.
33 Vgl. Flick (2007), S. 487ff.
34 Vgl. Lincoln, Yvonna S./Guba, Egon G. (1985): Naturalistic Inquiry. California: SAGE Publications.
15
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Dieses Bewertungsproblem qualitativer Forschung kann gemildert werden, indem die Vorge-
hensweise und die Methoden der Forschung für die LeserInnen offengelegt werden. Maßgeb-
lich in dieser Hinsicht sind auch die kritische Reflexion und Bewusstmachung der jeweiligen
Vor- und Nachteile der angewandten Methode sowie die Überprüfung ihrer Sinnhaftigkeit.
Den LeserInnen soll dadurch ermöglicht werden, die dargestellte Forschung selbst auf Vertrau-
enswürdigkeit, Glaubwürdigkeit, Übertragbarkeit, Zuverlässigkeit und Bestätigbarkeit zu über-
prüfen. In dem verfügbaren Rahmen einer Diplomarbeit sollen folgende Methoden, die bei
der Forschung zu den Flashmobs in Graz zur Anwendung kamen, besprochen werden: Feld-
forschung, qualitatives Interview, visuelle Daten, Literatur und Internet. Grundsätzlich bleibt
noch zu sagen, dass alle Personen, die in dieser Arbeit genannt werden, fiktive Namen tragen.
Deren Identität ist für die LeserInnen von solch geringer Relevanz, dass auf die Wünsche der
erwähnten Personen Rücksicht genommen werden kann, diese nicht offen zu legen. Bei den
beschriebenen Schauplätzen erwächst solches Konfliktpotential nicht, daher werden die realen
Schauplätze bei ihrem richtigen Namen genannt.
3.1 Feldforschung
Zu den grundlegenden Bestandteilen einer jeden Feldforschung zählt das Beobachten.
35
Es gilt
daher in einem ersten Schritt diesen Begriff näher zu untersuchen, bevor zweitens auf die Me-
thode der qualitativ-teilnehmenden Beobachtung eingegangen wird.
3.1.1 Beobachten
Einige aufschlussreiche Überlegungen zu dem Begriff des Beobachtens stellt Peter Atteslander
an: Beobachten versteht der Sozialwissenschaftler als das ,,systematische Erfassen, Festhalten und
Deuten sinnlich wahrnehmbaren Verhaltens zum Zeitpunkt seines Geschehens"
36
. Dabei muss
die wissenschaftliche Beobachtung von der alltäglichen Beobachtung unterschieden werden. Im
Gegensatz zur alltäglichen Beobachtung, welche der Orientierung dient und meist unreflektiert
und routinemäßig geschieht, stellt das wissenschaftliche Beobachten eine systematische Verfah-
rensweise dar.
35 Vgl. Atteslander, Peter (2008): Methoden der empirischen Sozialforschung. 12. Aufl. Berlin: Erich Schmidt Verl.
S. 68-88.
36 Ebda. S. 67.
16
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Soziale Handlungen sollen vor dem Hintergrund einer leitenden Forschungsfrage erfasst und
gedeutet werden.
37
Um eine Beobachtungssituation zu beschreiben, nennt Atteslander vier kon-
stituierende Bestandteile: Beobachtungsfeld, Beobachtungseinheiten, Beobachtete und Beob-
achterInnen. Das Beobachtungsfeld stellt jenen räumlichen und/oder sozialen Bereich dar, in
dem beobachtet wird.
38
Untersucht wird ,,das soziale Verhalten der Akteure in ihrer natürlichen
Umwelt unter den dort herrschenden Bedingungen, ohne diese gezielt zu verändern."
39
Bei den Beobachtungseinheiten handelt es sich um den konkreten Gegenstand der Beobach-
tung. Im Vordergrund stehen die Fragen was, wer und wann beobachtet werden soll.
Im Bezug auf die Beobachteten stellt sich, Atteslander zufolge, in erster Linie die Frage,
ob diese wissen, dass sie beobachtet werden und warum. Die BeobachterInnen können ihre
Forschungsabsicht offenbaren oder ihre Rolle durch die Verwendung typischer Aufzeichnungs-
techniken wie Videokamera preisgeben. Ist dies der Fall, wird von einer offenen Beobachtung
gesprochen. Sollen die Beobachteten in Unkenntnis darüber gelassen werden, dass sie beobach-
tet werden, handelt es sich um eine verdeckte Beobachtung, die einer guten Tarnung bedarf.
40
Die BeobachterInnen besitzen Atteslander zufolge zwei Rollen im Feld: Einerseits die Rolle
der forschenden BeobachterInnen und andererseits ihre Teilnehmerrolle.
41
Bei der qualitativ orien-
tierten Forschung wird die Teilnehmerrolle betont. Grundsätzlich nehmen die BeobachterInnen
aber immer an der sozialen Situation teil, die sie beobachten, da sie durch ihre ,,Wahrnehmungs-
und Interpretationstätigkeit in die übergeordnete Beobachtungssituation integriert sind"
42
. Un-
terschieden werden kann allerdings eine passive Teilnahme mit einem niedrigen Partizipations-
grad von einer aktiven Teilnahme mit einem hohen Partizipationsgrad.
43
Atteslander weist auf
den wichtigen Aspekt hin, dass sowohl der Partizipationsgrad als auch die angenommene Rolle
im Laufe der Feldforschung immer wieder kritisch reflektiert werden müssen, um der Gefahr
einer eingeschränkten Wahrnehmung einerseits und einer Überidentifikation mit dem Feld und
seinen AkteurInnen andererseits zu entgehen.
44
37 Vgl. Atteslander (2008), S. 67.
38 Vgl. ebda. S. 74.
39 Atteslander (2008), S. 76. Bei dieser Beschreibung eines Beobachtungsfeldes handelt es sich um eine
Feldbeobachtung, welche Atteslander von der Laborbeobachtung unterscheidet. In der Laborbeobachtung werden
die Beobachtungsbedingungen künstlich festgelegt. Bei der Beobachtung des Flashmobs handelt es sich folglich
um eine Feldbeobachtung.
40 Vgl. ebda. S. 79.
41 Vgl. ebda. S. 77.
42 Ebda. S. 85.
43 Vgl. ebda.
44 Vgl. ebda. S. 78.
17
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Eine besondere Rolle spielen die BeobachterInen in der Methode der qualitativ-teilnehmenden
Beobachtung. Diese stellt bis heute die zentrale und dezidierte Methode der Ethnologie dar
45
und soll daher besondere Aufmerksamkeit erfahren:
3.1.2 Qualitativ-teilnehmende Beobachtung
,,Teilnehmende Beobachtung bedeutet, dass die Forscher direkt in das zu untersuchende soziale
System gehen und dort in der natürlichen Umgebung Daten sammeln"
46
, beschreibt Atteslander
diese Methode und erfasst damit ihre wesentlichen Aspekte. Bei der qualitativ-teilnehmenden
Beobachtung besitzen die ForscherInnen eine besondere Rolle im Feld, da sie sich unmittelbar
an den zu beobachtenden sozialen Situationen beteiligen. Ziel ist es, ein besseres Verständnis für
die AkteurInnen und deren Interaktionen im Feld zu erlangen. Dabei nehmen die ForscherIn-
nen eine oder mehrere soziale Rollen ein, wobei stets eine wissenschaftliche Intention dahinter
steht. Atteslander weist darauf hin, dass aus dem daraus resultierenden ,,Spannungsfeld zwischen
Distanz und Teilnahme"
47
hohe Anforderungen an die ForscherInnen erwachsen.
48
Diesen Aspekt thematisiert auch der Ethnologe Bruno Illius. Er schreibt, die ForscherInnen
stünden zwischen Teilnahme und Beobachtung: Einerseits müssten sie sich auf das Feld einlas-
sen, andererseits bestünde ihre Aufgabe darin, in der Rolle der BeobachterInnen unvoreinge-
nommen zu bleiben.
49
,,Die Kunst der Feldforschung besteht nun in der eleganten Bewegung
zwischen diesen beiden Polen: der Teilnahme und der Beobachtung."
50
Aufgrund dieser Vorge-
hensweise gerät die qualitativ-teilnehmende Beobachtung immer wieder unter Kritik. Es scheint
daher wichtig zu untersuchen, welche Vorzüge, aber auch welche Grenzen, diese Methode hat:
Vorzüge und Grenzen der qualitativ-teilnehmenden Beobachtung
Immer wieder wird die qualitativ-teilnehmende Beobachtung verurteilt, unwissenschaftlich zu
sein. Die Repräsentativität der gewonnenen Daten wird angezweifelt und die direkte Teilnahme
im Feld negativ bewertet.
45 Vgl. Fischer (2003), S. 25. Vgl. hierzu auch: Illius, Bruno (2003): Feldforschung. In: Bettina Beer/Hans Fischer (Hg.):
Ethnologie. Einführung und Überblick. Berlin: Dietrich Reimer Verl. 74f. Vgl. weiters: Rosenthal, Gabriele (2008):
Interpretative Sozialforschung. eine Einführung. 2. Aufl. Weinheim/München: Juventa Verl. S. 106.
46 Atteslander (2008), S. 88.
47 Ebda.
48 Vgl. ebda. S. 88f.
49 Vgl. ebda. S. 76
50 Illius (2003), S. 73.
18
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
KritikerInnen sehen die Gefahren einer Einschränkung der Wahrnehmung sowie einer Überi-
dentifikation mit dem Feld. WissenschaftlerInnen wie Atteslander und der Kulturanthropolo-
ge Roland Girtler machen aber berechtigterweise darauf aufmerksam, was dergestalte Kritiken
übersehen: Gerade in der aktiven Teilnahme liegen die Vorzüge der qualitativ-teilnehmenden
Beobachtung, denn die gewonnenen Daten zeichnen sich eben durch ihre Authentizität aus.
Identifikation und Empathie mit den AkteurInnen wird hier vorausgesetzt, um ein besseres
Verständnis für die untersuchten sozialen Interaktionen und die soziale Situation zu gewährleis-
ten.
51
Treffend formuliert die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Rosenthal, dass die teilnehmende
Beobachtung ,,eine leibliche und psychische Erfahrung bedeute, die uns bei der nicht-teilneh-
menden Beobachtung verschlossen bleibt"
52
. Gerade durch die Offenheit und Problemorien-
tiertheit ermöglicht es diese Beobachtungsform, komplexe soziale Systeme und deren AkteurIn-
nen zu erforschen.
53
Ohne Zweifel stellt die qualitativ-teilnehmende Beobachtung hohe soziale und auch fach-
liche Anforderungen an die ForscherInnen, die sich mit unterschiedlichen Problemen konfron-
tiert sehen können. Beispielsweise kann sich der Feldzugang als schwierig erweisen, ebenso die
Wahl der Rolle. Die Teilnehmerrolle sollte offen, flexibel und falls notwendig wechselbar sein.
Allerdings können bestimmte, vorteilhafte Rollen oft nicht eingenommen werden.
54
Zudem
zählen Geschlecht, Hautfarbe und Alter meist zu den Faktoren, die darüber bestimmen, welche
Beobachterrolle zur Verfügung steht.
55
Es muss entschieden werden, ob offen oder verdeckt
geforscht wird, wobei verdeckte Beobachtungen Konflikte nach sich ziehen können. Girtler
gibt grundsätzlich der ,,offenen Beobachtung" den Vorrang, aus dem einsichtigen Grund, dass
dadurch eine ,,faire aber auch egalitäre Beziehung"
56
zu den Beobachteten möglich sei.
57
Anwendungsrestriktionen der qualitativ-teilnehmenden Beobachtung können sich auch
durch die ,,Grenzen menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit, Zeit- und Kostenargumente [und]
die Begrenzung auf beobachtbare Phänomene"
58
ergeben. Weiters können die ForscherInnen
51 Vgl. Atteslander (2008), S. 94ff.
Vgl. auch: Girtler, Roland (2001): Methoden der Feldforschung. 4. Aufl. Wien/Köln/Weimar: Böhlau. S. 55.
52 Rosenthal (2008), S. 107.
53 Vgl. Atteslander (2008), S. 94ff. Vgl. auch: Girtler (2001), S. 55.
54 Einen interessanten Einblick über die Schwierigkeiten, welche den ForscherInnen beim Feldzugang begegnen
können, bietet Girtler, der diese anhand von Beispielen aus seinen eigenen Erfahrungen illustriert. Vgl. Girtler (2001),
S. 83-114.
55 Vgl. ebda. S. 78.
56 Ebda. S. 61.
57 Vgl. ebda.
58 Vgl. Atteslander (2008), S. 94.
19
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
vor schwierige ethische Fragen gestellt werden, was den Forschungsprozess, den Zweck der For-
schung und die dadurch hervorgerufenen Konsequenzen betrifft. Auch der Feldrückzug gestaltet
sich nicht immer einfach, da sich durch die Teilnahme im Feld notwendigerweise Kontakte
ergeben. Nicht immer findet sich eine zufriedenstellende Lösung auf die Frage, wie mit diesen
Kontakten nach der Forschung umzugehen ist.
59
Durch die Teilnahme der BeobachterInnen im
Feld besteht auch die Gefahr der Beeinflussung des Beobachtungsfeldes durch die Anwesenheit
der ForscherInnen, wodurch Verzerrungen der Wahrnehmung resultieren können.
Ein weiteres Problem der wissenschaftlichen Beobachtung, das bei jeder Beobachtung, un-
abhängig vom Forschungsgegenstand, eine Rolle spielt, entsteht aufgrund der selektiven Wahr-
nehmung der BeobachterInnen: Diese können stets nur einen Teil aus der Vielzahl an Umwelt-
reizen aufnehmen, die auf sie einströmen. Daher ist die Wahrnehmung immer selektiv.
60
Was
wahrgenommen wird, hängt von Zielen, Vorstellungen, Erfahrung, bereits gemachten Beob-
achtungen, aber auch Vorurteilen ab. Atteslander zufolge äußert sich die selektive Wahrneh-
mung u. a. in der ,,Überbetonung von nachvollziehbaren Ereignissen und im Übersehen von
Selbstverständlichkeiten"
61
. Zudem sind auch die schriftlichen Aufzeichnungen der Beobach-
tung von einer selektiven Wahrnehmung betroffen. Dies rührt einerseits von der lückenhaften
Erinnerung her, andererseits aus dem Prozess der Übersetzung der Beobachtungen in Sprache:
So besteht durch die Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten die Gefahr, Protokollsprache
und theoretische Sprache frühzeitig zu vermischen
62
und es kann zu einer ,,zu frühen Abstrakti-
on, Interpretation und Wertung"
63
kommen.
Solchen Schwierigkeiten, die sich im Zuge der Feldforschung ergeben, kann nur mit ei-
nem hohen Maß an Reflexion seitens der ForscherInnen begegnet werden.
64
Sind sich diese
der Grenzen der Methode bewusst, kann die Forschung stets von Neuem auf die vorgestellten
Bewertungskriterien qualitativer Forschung geprüft werden: Glaubwürdigkeit, Übertragbarkeit,
Zuverlässigkeit und Bestätigbarkeit. Meiner Ansicht nach kommen unter dieser Voraussetzung
die besonderen Qualitäten der qualitativ-teilnehmende Beobachtung zum Tragen.
59 Beispielsweise berichtet Girtler von einem Fall, in dem er im Zuge seiner Forschung die Biografie eines Mannes
verfasste und diesem versprach, den Erlös des Buches mit ihm zu teilen. Obwohl, Girtler zufolge, der Mann
bekommen habe, was Girtler ihm versprochen hatte, war dieser nicht zufrieden. Er zürnte dem Forscher und begann
Girtler nach Abschluss dessen Forschung an seinem Institut anzuschwärzen. Vgl. hierzu: Girtler (2001), S. 131f.
Allgemein zum Thema "Rückzug aus dem Feld" vgl. auch: Ders. S. 128-133. Vgl. auch: Atteslander (2008), S. 94.
60 Vgl. Atteslander (2008), S. 95. Vgl. auch: Rosenthal (2008), S. 110-111.
61 Ebda. S. 95.
62 Vgl. ebda. S. 95f.
63 Ebda. S. 95.
64 Vgl. ebda.
20
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
So kann eine valide Forschungsarbeit gewährleistet werden. Bei meiner Feldforschung versuchte
ich diese Bewertungskriterien stets im Auge zu behalten. Die Forschung zu den Flashmobs der
Flashmob Community in Graz soll im folgenden Abschnitt transparent gemacht werden:
3.1.3 Feldforschung in Graz
Vorbereitung
Bevor ich mit der empirischen Forschung begann, versuchte ich mich so gut wie möglich auf
das Feld vorzubereiten. Nun ist die Frage strittig, ob das Einholen von Informationen vor der
empirischen Forschung die Sichtweise und Urteilsfähigkeit der BeobachterInnen nicht etwa ein-
schränken und lenken könne. Ich stimme hier der Meinung von Illius zu, dass der Gefahr des
Vor-Urteils gerade durch mehr Wissen entgangen werden kann, diese sogar leichter zu erkennen
ist.
65
Ich holte also so viele Informationen über das Phänomen Flashmob ein, wie mir möglich
war: Die gedruckten Werke, die ich zu dem Phänomen auffinden konnte, stellten sich als recht
überschaubar heraus, ergiebiger hingegen erwies sich das Internet. Hier fand ich Artikel, Fotos
und Videos, sowie Plattformen und Homepages von FlashmoberInnen auf der ganzen Welt.
Mir wurde schnell eines klar: Ich würde das Phänomen Flashmob in seinen unterschiedlichsten
Ausformungen und Spielarten, in dem mir vorgegebenen Rahmen einer Diplomarbeit, niemals
zufriedenstellend erfassen können. Eine solche Forschung würde gezwungenermaßen oberfläch-
lich bleiben müssen. Zumal es auch nicht mein Anspruch war strukturalistisch vorzugehen und
allgemeingültige Strukturen aus den Untersuchungen abzuleiten und System(e) dahinter zu ent-
decken. Ich beschloss daher, das große Thema Flashmob auf die Flashmob Community in Graz
zu begrenzen. Dadurch gewann ich den Vorteil eines überschaubaren, spezifischen Feldes und
konnte die Gefahr verringern, mich in einem unüberschaubaren Themenfeld zu verlieren.
Einen ersten Eindruck von der Flashmob Community, ihren Einstellungen, Zielen und
Aktivitäten, erhielt ich durch ihre Homepage und ihre Facebook Gruppe sowie durch die Videos
bereits veranstalteter Flashmobs auf dem Videoportal YouTube. Die E-Mail-Adressen auf der
Homepage machten es mir leicht, Kontakt mit den OrganisatorInnen der Community aufzu-
nehmen. Schon kurze Zeit später führte ich ein erstes, sehr informatives Interview
66
mit Simon,
einem der OrganisatorInnen der Flashmob Community in Graz.
65 Vgl. Illius (2003), S. 77.
66 Zu den Interviews siehe: "3.2 Interviews".
21
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Mit einer guten Basis an Hintergrundwissen, vielen Ideen und noch spärlichen Hypothesen im
Kopf, wagte ich mich ins Feld.
Zugang zum Feld und teilnehmende Beobachtung
Der Zugang zum Feld, der häufig ernsthafte Schwierigkeiten bereiten kann, gestaltete sich bei
den untersuchten Flashmobs in Graz einfach. Der Grund hierfür wird ersichtlich, wenn die
Beobachtungssituation durchdacht wird: Beim Beobachtungsfeld der Grazer Flashmobs handelte
es sich stets um öffentliche, zentrale Orte in der Stadt Graz, die möglichst gut belebt waren. Die
Öffentlichkeit der Orte machten den Zugang problemlos möglich. Da diese stets zentral lagen,
war es weder mit Mühen noch Kosten verbunden, dorthin zu gelangen. Zudem konzentriert
sich das Geschehen bei einem Flashmob normalerweise auf eine überschaubare Fläche, da die
Flashmob Gruppe ihren Zusammenhalt nicht verlieren will. Entsprechend gut war es daher
möglich, einen schnellen und guten Überblick über das Beobachtungsfeld zu erlangen. Den ge-
nauen Veranstaltungsort sowie den Zeitpunkt des Flashmob Beginns und alle wichtigen Details
zu den geplanten Flashmobs waren über die Homepage der Flashmob Community zugänglich.
Somit konnte ich immer rechtzeitig eine geeignete Stelle für meine Beobachtungen suchen und
die forschungsrelevanten, üblichen Abläufe und typischen Situationen beobachten.
67
Den ersten Flashmob, den ich beobachtete und an dem ich auch aktiv teilnahm, war der
International Pillowfight Flashmob im April 2011.
Durch meine aktive Teilnahme wollte ich mich in die Lebens- und Erfahrungswelt der Flash-
moberInnen versetzen, um diese besser verstehen zu können. Ich wollte auch verhindern, auf-
grund meiner fehlenden Eigenerfahrung beim rein passiven Beobachten eigene Erklärungsmuster
auf die Beobachteten zu übertragen. Oder deren Verhalten nach meinen eigenen Verhaltensre-
geln und -erwartungen zu beurteilen.
67 Vgl. Atteslander (2008), S. 76.
Pillowfight Flashmob, April 2011
22
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Bei der aktiven Teilnahme, also in der Rolle eines complete participant, sah ich mich prompt mit
einer der wesentlichen Problematiken dieser Beobachtungsform konfrontiert: Ich stellte fest,
dass während des Flashmobs eine solch mitreißende Dynamik entstand, dass ich mich ihr kaum
entziehen konnte. Sobald das Signal zum Beginn des Pillowfight gegeben war, hob ich mein Kis-
sen über den Kopf und stürmte wie die anderen TeilnehmerInnen in die Mitte des Hauptplatzes.
Ab diesem Zeitpunkt war ich vollkommen in das Geschehen miteingebunden. Ich schlug mit
meinem Kissen um mich und versuchte gleichzeitig, denjenigen zu entkommen, die von allen
Seiten auf mich zukamen. Ich staunte, als plötzlich ein Pfiff ertönte und ich begriff, dass der
Flashmob schon zu Ende war. In Windeseile löste sich die Gruppe auf und ich schloss mich den
Davoneilenden an.
Während des Flashmobs habe ich meine Beobachterrolle fast völlig zugunsten der Teil-
nehmerrolle aufgegeben. Ich habe zwar versucht, das Geschehen auch zu beobachten, aber die
Aufgabe, den herumwirbelnden Kissen auszuweichen und mich gleichzeitig noch mit meinem
eigenen zu verteidigen, hat mich beinahe völlig vereinnahmt. Trotzdem war diese Erfahrung
sehr wertvoll, verschiedenste Ideen und Hypothesen bevölkerten nach dem Flashmob meinen
Kopf. Plötzlich verstand ich, was Simon, und meine GesprächspartnerInnen in den späteren
Interviews, damit meinten, dass sie während eines Flashmobs alles um sich herum vergessen
würden und dem Publikum keinerlei Beachtung mehr schenkten. Ich konnte nun um einiges
besser nachvollziehen, wieviel Spaß und Freude es bereiten kann, spontan eine gemeinschaft-
liche Performanz aufzuführen. Ich konnte auch nachempfinden, wie schnell sich ein Gefühl
der Gemeinschaft entwickeln kann und welche Kraft darin steckt. In mir zurück blieben das
Gefühl, ein tolles Erlebnis gehabt zu haben und auch die Vorfreude, mich selbst und vor allem
auch die Reaktionen des Publikums mittels der Videos im Nachhinein begutachten zu können.
Beim Pillowfight Flashmob hatte ich an den typischen Handlungsabläufen eines Flashmobs
teilgenommen und konnte diese später aus meinem eigenen Erleben heraus interpretieren. Die
Reflexion des Geschehens, meines eigenen Verhaltens, Denkens und Fühlens eröffneten mir ein
neues Verständnis für das Phänomen und auf die Frage, was seinen Reiz ausmacht.
Zudem erkannte ich, dass diese gemeinschaftliche Aktion noch mehr zu bieten hatte, als
den ständig postulierten Spaß. Da war noch Etwas, das ich zwar gespürt hatte, aber noch nicht
benennen konnte. Erst im Laufe meiner weiteren Forschung, in dem ineinander greifenden
Prozess von Beobachtung, Reflexion, Datenauswertung, theoretischem Input, Interpretation,
Hypothesenbildung und -modifikation erkannte ich, dass in jedem Flashmob ein subversives
Potential verborgen liegt und wie dieses gedeutet werden kann.
23
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Bevor ich zu diesen Erkenntnissen gelangen konnte, hatte ich allerdings noch einige Daten zu
sammeln und auszuwerten. Nach dem intensiven Erleben meiner aktiven Teilnahme beim Pil-
lowfight war mir klar, dass ich hierzu mehr Distanz und andere Perspektiven auf die Geschehnis-
se benötigte. Ich tauschte daher meine Teilnehmerrolle gegen eine Beobachterrolle, verringerte
dadurch den Partizipationsgrad im Feld und nahm die Rolle einer Zuschauerin an.
Am zweiten Flashmob nahm ich passiv beobachtend als complete observer teil. Es handelte
sich dabei um einen Schlafmob, der im Mai 2011 am Hauptbahnhof in Graz stattfand.
Zu Beginn meiner Beobachtungen ging ich unstrukturiert vor, da ich meine Wahrnehmung
nicht durch bestimmte Beobachtungskategorien einschränken wollte, sondern ein möglichst
detailliertes Gesamtbild anstrebte. Zudem hatte ich keine ausgearbeiteten Hypothesen vorlie-
gen, die Beobachtungskategorien erst sinnvoll gemacht hätten. So konnte ich flexibel und offen
für das Feld bleiben und im Laufe der Beobachtung Hypothesen entwickeln.
68
Allerdings be-
folgte ich den Rat des Kulturanthropologen Roland Girtler, der zu Recht schreibt, dass selbst
die unstrukturierte Beobachtung in einem gewissen Rahmen strukturiert werden sollte.
69
Ich
teilte meine Beobachtung in drei Beobachtungseinheiten: 1. In den Beginn des Flashmobs, vom
Startsignal bis zur fertigen Versammlung der Gruppe. 2. In die Aufführung. 3. In das Ende, vom
Endsignal des Flashmobs, bis zur völligen Auflösung der Gruppe. Diese Strukturierung half mir,
gezielter zu beobachten. Ich setzte bei jedem Flashmob für jede Beobachtungseinheit fest, wann
ich wen und was beobachten wollte. So konnte ich Typisches und Besonderes der jeweiligen
Beobachtungseinheit ausmachen, aber auch Lücken, die beim ersten Beobachten entstanden
waren, durch weitere Beobachtungen ergänzen.
70
68 Vgl. Atteslander (2008), S. 80ff.
69 Vgl. Girtler (2001): S. 133f.
70 Um Beobachtungslücken zu füllen, war auch die Analyse der zahlreichen Flashmob Videos der Flashmob
Community sehr hilfreich. Siehe hierzu den Abschnitt: ,,3.3 Visuelle Daten: Videos".
Schlafmob, Mai 2011
24
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Nach und nach ergaben sich bestimmte Fragen, die ich detaillierter zu erfassen versuchte: Wie
kommt ein Flashmob zustande? Wer macht mit und warum? Welche Rolle spielen die Zuschau-
erInnen und welche Reaktionen zeigen sie? Welche Bedingungen gibt es, um einen Flashmob
erfolgreich zu machen? Welche Normen und Erwartungen sind von Bedeutung? Wie sieht das
Verhältnis zwischen den Aussagen in den Interviews und deren beobachtbaren Umsetzung aus?
Diese Fragen standen auch beim Brunnengeplansche Flashmob im Juni 2011 im Vordergrund,
den ich ebenfalls passiv teilnehmend beobachtete.
Nach diesem Flashmob nahm ich noch aktiv an einem Salsa-Flashmob im IKU Graz teil und be-
obachtete einen Dance Mob am Hauptplatz in Graz. Da zu diesem Zeitpunkt meine Forschung
so gut wie abgeschlossen war, diente mir diese aktiv- und passiv-teilnehmende Beobachtung
hauptsächlich zur Kontrolle meiner Forschungsergebnisse.
Obwohl ich bei meiner Forschung, ausgestattet mit Kamera, Aufnahmegerät und Notiz-
block stets ganz offen als Beobachterin auftrat, wurde ich vom Großteil der Beobachteten nicht
als solche erkannt. Der Grund dafür ist in der Beschaffenheit eines Flashmobs zu suchen. Denn
als Beobachterin wurde ich zu einem integrierten Bestandteil der ZuschauerInnen, die selbst
mit Kameras, Handys, Fotoapparat etc. das Geschehen aufzeichneten. Ich konnte folglich weder
durch meine Ausrüstung noch durch mein augenscheinliches Beobachtungsverhalten auffallen.
Die Einzigen, die von vornherein wussten, dass ich nicht zu dem überraschten Publikum zählte,
waren die OrganisatorInnen der Flashmob Community, mit denen ich vorher bereits Kontakt
aufgenommen hatte. Außerdem vereinzelte ZuschauerInnen bzw. FlashmoberInnen, die ich
kurz und spontan interviewte.
Den größten Vorteil, den ich durch diese offene, aber gleichzeitig von den Meisten uner-
kannte Beobachtung gewann, war die Gewähr, durch meine Anwesenheit als Forscherin kei-
nen nachteiligen Einfluss auf das Geschehen auszuüben. Ich konnte sicher sein, dass sich die
FlashmoberInnen und ZuschauerInnen authentisch verhielten sofern bei einem inszenierten
Brunnengeplansche, Juni 2011
25
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Geschehen davon die Rede sein kann. Ich fand mich auch nicht genötigt, mir eine Tarnung zu-
zulegen. Dadurch entging ich sowohl der Angst, diese könnte aufgedeckt werden, als auch den
ethischen Bedenken ob der Vertretbarkeit einer verdeckten Beobachtung.
Insgesamt ist zu vermerken, dass die Rollen, die mir bei der teilnehmenden Beobachtung
der Grazer Flashmobs zur Verfügung standen, denkbar vorteilhaft waren: Da es so gut wie jeder
bzw. jedem freisteht, bei einem Flashmob mitzumachen und die genauen Daten zu Zeit und
Ort der Aufführung online bekannt gegeben werden, konnte ich wahlweise die Rolle einer Zu-
schauerin oder einer Flashmoberin annehmen. Wie bereits erwähnt, war der Zugang zum Feld
problemlos möglich und ich benötigte weder amtlich, noch informell einflussreiche Leute, um
mir diesen zu schaffen.
71
Hinzu kam die Offenheit und Auskunftsfreudigkeit von Simon, mei-
ner Hauptkontaktperson, aber auch der restlichen OrganisatorInnen der Flashmob Community
in Graz. All diese Faktoren trugen dazu bei, dass ich schnell und ohne großen Aufwand zu einer
Fülle von Daten gelangte.
Um meine Beobachtungen, Erfahrungen, Gedanken, Gefühle usw. festzuhalten, verfasste
ich Feldnotizen und Beobachtungsprotokolle:
Dokumentation: Notizen und Beobachtungsprotokolle
Die immense Bedeutung von Feldnotizen betont der Sozialwissenschaftler John Lofland. Er
schreibt, diese würden dabei helfen, die Wirkungsweise der Welt zu analysieren und zu ver-
stehen. Erst das Anlegen von Feldnotizen würden das Dasein der BeobachterInnen überhaupt
berechtigen.
72
Mag Loflands Aussage auch etwas drastisch formuliert wirken, so scheint der So-
zialwissenschaftler doch recht zu haben, dass Feldnotizen für das Festhalten der Beobachtungen
unerlässlich sind. Um meine Gedanken und Beobachtungen möglichst vollständig zu erhalten,
verfasste ich bereits während des Beobachtens Notizen. Lofland rät von einem solchen Unter-
fangen generell ab, da sich die Beobachteten gestört fühlen könnten. Bei den Flashmobs in Graz
stellte dies allerdings kein Problem dar, da ich weder bei den TeilnehmerInnen noch bei den
ZuschauerInnen Aufmerksamkeit erregte. Nach den Flashmobs erstellte ich jeweils Gedächtnis-
Notizen
73
, die ich noch am selben Tag ausführlich in einem Beobachtungsprotokoll festhielt, um
der Gefahr des Vergessens möglichst zu entgehen.
71 Vgl. Girtler (2001), S. 83.
72 Vgl. Lofland, John (1979): Feld-Notizen. In: Klaus Gerdes (Hg.): Explorative Sozialforschung: Einführende
Beiträge aus "Natural Sociology und Feldforschung in den USA". Stuttgart: Enke. S. 110.
73 Der Begriff ,,Gedächtnis-Notizen" stammt von Loffland. Er beschreibt diese als den ,,Akt, das eigene Bewußtsein zu
steuern mit dem Ziel, sich zu einem späterne Zeitpunkt zu erinnern." S. 111.
26
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Meine Aufzeichnungen enthielten laufende Beschreibungen mit Ort, Datum und Uhrzeit. Des
Weiteren beschrieb ich Ereignisse, Personen und Dinge, die ich hörte und sah. Neben den Fak-
ten hielt ich persönliche Eindrücke und Gefühle fest sowie analytische Ideen und Schlussfolge-
rungen.
74
Wichtig war mir, einen Gesamteindruck entstehen zu lassen, aber auch auffällige Situ-
ationen detailliert zu beschreiben. Je mehr Flashmobs ich beobachtete, desto vertrauter wurden
mir die Handlungsabläufe. Anhand meiner Feldnotizen und Beobachtungsprotokolle konnte
ich im Nachhinein einen gewissen Gewöhnungseffekt erkennen: Beim ersten Flashmob hatte
ich einige Aspekte als aufschreibenswert empfunden, die mir später so vertraut wurden, dass sie
an Außergewöhnlichkeit verloren und ich sie kaum mehr notierte.
,,Vor der Flut des Aufschreibenswerten in der ersten explorativen Phase der Feldforschung",
schreibt Illius einsichtig, ,,bewahrt uns nur der rechtzeitige Übergang in die problemorientierte
Phase"
75
. Nämlich die Formulierung eines Forschungsziels und die Kenntnis bereits vorhande-
ner Publikationen.
76
Tatsächlich sammelten sich in der frühen Phase meiner Beobachtungen
unzählige Blätter mit Notizen von Beobachtungen, Beschreibungen, Gedanken, Erfahrungen,
Eindrücken usw. Da es zu dem Phänomen Flashmob noch keine umfassenden Publikationen
gibt, war ich kaum durch bereits vorhandene Literatur eingeschränkt, fand aber auch wenige
Richtlinien vor, die meine Forschung in eine bestimmte Richtung hätten lenken können. Es
dauerte daher eine geraume Zeit, bis ich in die problemorientierte Phase bei der Feldforschung
eintreten konnte. Erst nachdem ich Daten aus den verschiedensten Quellen gesammelt hatte
(Beobachtungen, Interviews, Videos, Literatur etc.) vermochte ich eine Forschungsfrage zu for-
mulieren, um gezielter weiter zu forschen.
Unabdingbar mit der teilnehmenden Beobachtung verknüpft, sieht Illius das Führen von
Interviews.
77
Diese Aussage bestätigte sich in meiner Forschung:
3.2 Interviews
Allgemeine Überlegungen
Bevor ich das erste Interview durchführte, stellten sich mir Fragen wie: Welche Personen sollte
ich befragen und wie viele? Welche Fragen waren relevant? Welche Interviewform sollte ich wäh-
len? Wo und wann sollte ich diese durchführen?
74 Vgl. Lofland (1979), S. 110ff.
75 Illius (2003), S. 84.
76 Vgl. ebda.
77 Vgl. ebda. S. 89.
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II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Ich kam zu dem Schluss, dass es wichtig war, sowohl OrganisatorInnen, als auch TeilnehmerIn-
nen sowie ZuschauerInnen zu interviewen, wollte ich ein umfassendes Bild vom Flashmob er-
halten. Insgesamt führte ich fünf ausführliche Interviews und 12 Kurzinterviews durch, die im
Folgenden mit Blick auf die oben gestellten Fragen beschrieben werden:
Ausführliche Interviews
Tabellenübersicht: ausführliche interviews
GesprächspartnerIn
Rolle beim Flashmob
Einzeln/Gruppe
Simon
Organisator
Einzelinterview
Irene/Alex/Ben
OrganisatorInnen
Gruppeninterview
Magda
Teilnehmerin/Zuschauerin
Einzelinterview
Elias
Teilnehmer/Zuschauer
Einzelinterview
Anna
Teilnehmerin
Einzelinterview
Erklärung: Ich führte fünf ausführliche Interviews, die zwischen 20 und 60 Minuten dauerten. Beim ersten han-
delte es sich um ein Einzelinterview mit meiner Hauptkontaktperson, dem berufstätigen Simon. Er gehört seit drei
Jahren zu den OrganisatorInnen der Flashmob Community. Das zweite Interview war ein Gruppeninterview mit
weiteren drei OrganisatorInnen, der Studentin Irene, dem Studenten Alex und dem berufstätigen Ben. Das dritte
Interview gab mir die Studentin Magda, die bereits an mehreren Flashmobs teilgenommen und zugeschaut hat.
Das vierte Interview führte ich mit dem berufstätigen Elias, der bei mehreren Flashmobs als Zuschauer anwesend
war und an einem selbst teilgenommen hat. Im fünften Interview befragte ich die Studentin Anna, die bei einem
Flashmobs mitgemacht hat und gerne Flashmob Videos anschaut.
Die Interviews führte ich mit der Absicht, die Flashmobs aus der Perspektive meiner Gesprächs-
partnerInnen zu erfassen und darüber hinaus zu verstehen. Daher führte ich sie offen, so dass
meinen GesprächspartnerInnen eine aktive Rolle im Gesprächsverlauf zufiel. Ich arbeitete also
keine standardisierten Fragen aus und entsprechend orientierte sich der Verlauf des Interviews
an den Äußerungen der befragten Personen. Die Einzelinterviews mit Simon, Magda, Elias und
Anna fanden zu einem vorher vereinbarten Zeitpunkt in einer künstlichen Umgebung statt.
Dies brachte den Nachteil mit sich, dass meine GesprächspartnerInnen nicht aus dem frischen
Eindruck heraus erzählten, die der gerade erlebte Flashmob bei ihnen hinterlassen hatte, wie bei
dem Gruppeninterview mit Irene, Alex und Ben. Dafür war die Atmosphäre ruhig, entspannt
und ungestört, was mit Sicherheit zu dem Informationsreichtum der Interviews beitrug.
Für das erste Interview mit Simon erstellte ich vorher einen Leitfaden, dessen offen formu-
lierte Fragen meinem Gesprächspartner ermöglichen sollten, frei darauf zu antworten. Meine
Fragen zielten darauf ab herauszufinden, seit wann, warum und wie Simon an den Flashmobs
mitwirkte.
28
II. Der Flashmob: Einführung in die Thematik
| 3. Methode
Flick schreibt, beim Leitfaden-Interview könnten sich Vermittlungsprobleme ergeben ,,zwischen
den Vorgaben des Leitfadens und den Zielsetzungen auf der einen Seite, [und] den Darstellungs-
weisen des Interviewpartners auf der anderen Seite"
78
.
Mit diesem Problem sah ich mich nicht konfrontiert, obwohl sich Simon als sehr gesprächs-
freudig erwies und bald selbst die Leitung unseres Gesprächs übernahm. Ich ließ Simon erzäh-
len, ohne weiters auf meine vorgefertigten Fragen zurückzugreifen. Er lieferte mir eine Fülle von
wichtigen Informationen, die ich wahrscheinlich nicht alle erhalten hätte, hätte ich mich strikt
an die Fragen meines ausgearbeiteten Leitfadens gehalten.
In den nachfolgenden Interviews griff ich je nach Relevanz auf diese vorformulierten Fragen
zurück. Es war mir wichtig, meine GesprächspartnerInnen frei erzählen zu lassen und nicht etwa
durch Suggestivfragen zu beeinflussen. Das Gruppeninterview mit den drei OrganisatorInnen
Irene, Alex und Ben führte ich direkt am Hauptplatz nach dem Pillowfight Flashmob, an dem
ich selbst teil genommen hatte. Es verlief zwar etwas kürzer und nicht so ungestört, war dafür
aber umso intensiver: Zum einen verband mich mit meinen InterviewpartnerInnen das gemein-
same Erlebnis beim Flashmob. Ich konnte darauf Bezug nehmen und aus eigener Erfahrung
heraus besser nachvollziehen, was die drei mir erzählten. Ich stellte auch fest, dass es mir nun
leichter fiel Fragen zu formulieren als noch vor der Teilnahme am Flashmob.
Auffallend beim Gruppeninterview war, dass sich meine GesprächspartnerInnen gegenseitig
durch ihre Antworten zu inspirieren schienen. Oft griff eine Person die Antwort der anderen
wieder auf, bestätigte oder ergänzte sie. Diesen Aspekt empfand ich als äußerst positiv. Anderer-
seits hatte ich aber das Gefühl, nicht so konzentriert und fokussiert auf die einzelnen Personen
eingehen zu können wie bei den Einzelinterviews. Alle fünf Interviews nahm ich mit meinem
Aufnahmegerät auf und machte zusätzliche Notizen zu Gedanken, Assoziationen und Gefühlen,
sofern sie mir wichtig erschienen.
Mit drei dieser GesprächspartnerInnen nahm ich nach Abschluss meiner Forschung noch
einmal Kontakt auf. Ich zeigte ihnen meine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen und bat sie um
ihre Meinung. Die Rückmeldungen waren für mich sehr hilfreich. Zum einen, da sie durchwegs
positiv ausfielen und mich bestärkten, zum anderen, weil ich einige gute Anregungen erhielt.
78 Flick (2007), S. 222.
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2013
- ISBN (eBook)
- 9783842876149
- Dateigröße
- 7.2 MB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Karl-Franzens-Universität Graz – Volkskunde und Kulturanthropologie
- Erscheinungsdatum
- 2014 (April)
- Note
- 1,0
- Produktsicherheit
- Diplom.de