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Das Tier und Wir: Über die Gesellschaftlichkeit von Tieren mit Bezug zur sozialen Intervention

©2013 Bachelorarbeit 73 Seiten

Zusammenfassung

Einleitung:
Aktuellen Zahlen zufolge lebt in jedem dritten Haushalt ein Haustier (Mars Heimtier-Studie 2013, S.26). Außerdem spielen Nutztiere, Arbeitstiere und Tiere als Co-Therapeuten in unserer heutigen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Tiere sind Partner, Symbolträger, Kleidungs- und Nahrungslieferant oder auch Überbringer von Botschaften. Unter anderen in Filmen wie ‘Bä-ren Brüder’ von Walt Disney, indem die Jägerkultur als solche einer kritischen Hinterfragung ausgesetzt ist und die Symbiose von Mensch und Tier als ausdrückliche Möglichkeit hervorge-hoben wird.
Jeder Mensch, der eine partnerschaftliche Beziehung zu einem Haustier pflegt oder gepflegt hat, weiß um seine positiven Wirkmomente, um die tiefgründige und so viel ehrlichere Kommunikation, die nach Meinung der Halter, stattfinden kann. Auch der folgende Textausschnitt aus Antoine de Saint-Exupéry’s Buch ‘Der kleine Prinz’ macht dieses Gefühl der Verbundenheit anschaulich deutlich:
‘Wer bist du?’ sagte der kleine Prinz. ‘Du bist sehr hübsch…’.
‘Ich bin ein Fuchs’, sagte der Fuchs.
‘Komm und spiel‘ mit mir’, schlug ihm der kleine Prinz vor. ‘Ich bin so traurig…’.
‘Ich kann nicht mit dir spielen’, sagte der Fuchs. ‘Ich bin noch nicht gezähmt!’. […] Du bist nicht von hier, was suchst du?’.
‘Nein’, sagte der kleine Prinz, ‘ich suche Freunde. Was heißt ‚zäh-men‘?’.
‘Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache’, sagte der Fuchs. ‘Es bedeutet: sich ‚vertraut machen‘. […] Du bist für mich noch nichts als ein kleiner Knabe, der hunderttausend Knaben völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso wenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. […] Bitte… zähme mich!’ sagte er.
‘Ich möchte wohl’, sagte der kleine Prinz, ‘aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen’.
‘Man kennt nur die Dinge, die man zähmt’, sagte der Fuchs. ‘Die Menschen haben keine Zeit mehr kennenzulernen. Sie kaufen sich al-les fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!’ (Antoine de Saint-Exupéry 2000, S.66 f.). [...]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Schlingmann, Taína: Das Tier und Wir: Über die Gesellschaftlichkeit von Tieren mit
Bezug zur sozialen Intervention, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2014
PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-4363-9
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2014
Zugl. Fachhochschule Bielefeld, Bielefeld, Deutschland, Bachelorarbeit, Dezember 2013
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
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©
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Hermannstal 119k, 22119 Hamburg
http://www.diplom.de, Hamburg 2014
Printed in German

Taína Schlingmann
Inhaltsverzeichnis
Seite | 2
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
4
2. Mensch/Tier-Verhältnis vs. Mensch/Tier-
Beziehung
6
3. Die Mensch/Tier-Beziehung
­
ein historischer Rückblick
7
3.1. Beginn der Menschheit
- Animismus, Schamanismus und
Totemismus
8
3.2. Die Entstehung der Haustierhaltung
11
3.3. Das Zeitalter der Antike
12
3.3.1.
Pythagoras
13
3.3.2.
Aristoteles
14
3.4. Die Verbreitung des Christentums
16
3.5. Tierprozesse im Mittelalter
18
3.6. Das Zeitalter der Renaissance
19
3.7. Der Übergang zur Neuzeit bis zur
Industrialisierung
22
3.8. Das Mensch/Tier-Verhältnis der heutigen
Gesellschaft 25
3.8.1. Die Mensch/Tier-Differenz
28
3.9. Zur Gesellschaftlichkeit von Mensch/Tier-
Verhältnissen
30
3.10.
Zusammenfassung
33
4. Erklärungsansätze und Modelle für die
Mensch/Tier-Beziehung
34
4.1. Die Biophilie-Hypothese
35
4.2. Das Konzept der Du-Evidenz
39

Taína Schlingmann
Inhaltsverzeichnis
Seite | 3
4.3. Die Bindungstheorie als Erklärung der
Mensch/Tier-Beziehung
40
4.4. Das Konzept der Spiegelneurone
42
4.5. Verhaltensaspekte der Mensch/Tier-
Beziehung
43
4.5.1. Die Kommunikation zwischen Mensch und
Tier
44
4.5.2. Der Anthropomorphismus
46
4.6. Über den Nutzen der Mensch/Tier-Beziehung
­ eine kritische Zusammenfassung
48
5. Tierische Sozialarbeit
50
5.1. Soziale/tiergestützte Intervention
52
5.1.1. Klärung der Begrifflichkeiten
53
5.1.1.1. Begriffe im anglo-amerikanischen Raum
54
5.1.1.2. Begriffe im deutschsprachigen Raum
56
5.1.1.2.1. Kritik an der begrifflichen Definition im
deutschsprachigen Raum
60
5.1.2. Erklärungsansätze der Mensch/Tier-
Beziehung innerhalb der Tiergestützten
Intervention
62
6. Fazit und Ausblick
64
7. Literatur- und Quellenverzeichnis
69
7.1.
Onlinequellen
71
8. Abkürzungsverzeichnis
72

Taína Schlingmann
Einleitung
Seite | 4
1.
Einleitung
Aktuellen Zahlen zufolge lebt in jedem dritten Haushalt ein
Haustier (Mars Heimtier-Studie 2013, S.26). Außerdem spielen
Nutztiere, Arbeitstiere und Tiere als Co-Therapeuten in unserer
heutigen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Tiere sind Partner,
Symbolträger, Kleidungs- und Nahrungslieferant oder auch
Überbringer von Botschaften. Unter anderen in Filmen wie ,,Bä-
ren Brüder" von Walt Disney, indem die Jägerkultur als solche
einer kritischen Hinterfragung ausgesetzt ist und die Symbiose
von Mensch und Tier als ausdrückliche Möglichkeit hervorge-
hoben wird.
Jeder Mensch, der eine partnerschaftliche Beziehung zu einem
Haustier pflegt oder gepflegt hat, weiß um seine positiven
Wirkmomente, um die tiefgründige und so viel ehrlichere
Kommunikation, die nach Meinung der Halter, stattfinden kann.
Auch der folgende Textausschnitt aus Antoine de Saint-
Exupéry's Buch ,,Der kleine Prinz" macht dieses Gefühl der
Verbundenheit anschaulich deutlich:
,,Wer bist du?" sagte der kleine Prinz. ,,Du bist sehr hübsch...".
,,Ich bin ein Fuchs", sagte der Fuchs.
,,Komm und spiel` mit mir", schlug ihm der kleine Prinz vor. ,,Ich bin
so traurig...".
,,Ich kann nicht mit dir spielen", sagte der Fuchs. ,,Ich bin noch nicht
gezähmt!". [...] Du bist nicht von hier, was suchst du?".
,,Nein", sagte der kleine Prinz, ,,ich suche Freunde. Was heißt ,zäh-
men`?".
,,Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache", sagte der Fuchs. ,,Es
bedeutet: sich ,vertraut machen`. [...] Du bist für mich noch nichts als
ein kleiner Knabe, der hunderttausend Knaben völlig gleicht. Ich
brauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso wenig. Ich bin für
dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du
mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig
sein in der Welt. [...] Bitte... zähme mich!" sagte er.

Taína Schlingmann
Einleitung
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,,Ich möchte wohl", sagte der kleine Prinz, ,,aber ich habe nicht viel
Zeit. Ich muss Freunde finden und viele Dinge kennenlernen".
,,Man kennt nur die Dinge, die man zähmt", sagte der Fuchs. ,,Die
Menschen haben keine Zeit mehr kennenzulernen. Sie kaufen sich al-
les fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde
gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund
willst, so zähme mich!" (Antoine de Saint-Exupéry 2000, S.66 f.).
Für Tierhalter können ihre Tiere soziale Bezüge darstellen. Es
ist eine Partnerschaft die ihre Grundlage scheinbar in der Bezie-
hungsfähigkeit beider Parteien findet. Auch die Soziale Arbeit
macht sich diese Möglichkeiten im Kontext der Tiergestützten
Intervention zu nutzen. Es stellt sich also die Frage, wie gesell-
schaftlich ein Tier sein kann, wenn es Gesellschaft leistet. Gene-
rell ist die Frage nach der Gesellschaftlichkeit von Tieren sehr
komplex, greift unterschiedliche Fachbereiche auf und bedarf
eingehender Forschung. Die vorliegende, theoretische Arbeit be-
schäftigt sich ausschließlich mit der Gesellschaftlichkeit von
Tieren im historisch gewachsenen Verhältnis, sowie im Kontext
der Tiergestützten Intervention.
Die konkrete Fragestellung dieser Arbeit lautet wie folgt:
Welche gesellschaftliche Stellung kam Tieren in der Historik
zu Gute und was bedeutet die Heutige für die Soziale Arbeit?
Zur Klärung wird zu Beginn das Mensch/Tier-Verhältnis und
die Mensch/Tier-Beziehung differenziert um im Nachgang das
historisch gewachsene Mensch/Tier-Verhältnis erläutern zu
können. Dafür wird auf unterschiedliche Zeitperioden und Per-
sönlichkeiten Bezug genommen, die einen signifikanten Beitrag
für die Entstehung der heutigen Gegebenheiten geleistet haben.
Im weiteren Schritt soll das Mensch/Tier-Verhältnis der heuti-
gen Gesellschaft analysiert werden, ebenso die Frage nach der
Gesellschaftlichkeit jener Verhältnisse. Das vierte Kapitel dieser
Arbeit liefert Erklärungsansätze sowie Verhaltensaspekte der

Taína Schlingmann
Mensch/Tier-Verhältnis vs. Mensch/Tier-
Beziehung
Seite | 6
heutigen Mensch/Tier-Beziehung, die als Grundlage für die be-
liebte Haustierhaltung als auch für die soziale/tiergestützte In-
tervention gelten. Dabei werden Eingangsmöglichkeiten und
Voraussetzungen definiert, die charakteristisch für die
Mensch/Tier-Beziehung sind und die eingangs beschriebene
mögliche Partnerschaft nachvollziehbar machen. Der Bezug zur
Sozialen Arbeit findet ab dem fünften Kapitel statt und greift die
soziale/tiergestützte Intervention als mögliches Handlungsfeld
der Sozialen Arbeit, im tierischen Kontext, auf. Es findet eine
eingehende begriffliche Definition statt, die im Anschluss kri-
tisch hinterfragt werden soll. Das anschließende Fazit bildet den
Schlussteil dieser Arbeit. Die Tiergestützte Intervention ist als
eine von vielen Möglichkeiten zu verstehen, sich mit der Frage
nach der Gesellschaftlichkeit von Tieren zu beschäftigen.
Innerhalb dieser Arbeit soll kein Leitfaden für die Durchführung
Tiergestützter Interventionen oder dem Umgang mit
Mensch/Tier-Verhältnissen als auch Mensch/Tier-Beziehungen
erarbeitet werden. Vielmehr sollen mögliche Gründe für ver-
schiedene Gegebenheiten und aktuelle Situationen, mit Bezug
zur Gesellschaftlichkeit, benannt werden.
2.
Mensch/Tier-Verhältnis vs. Mensch/Tier-
Beziehung
Als Einstieg ins Thema ist zunächst eine konkrete Betrachtung
der Differenz Mensch/Tier-Beziehung vs. Mensch/Tier-
Verhältnis nötig um den nachfolgenden geschichtlichen Rück-
blick beleuchten, sowie den Bezug zur Tiergestützten Interven-
tion herstellen zu können.
Nach Chimaira, einem Arbeitskreis für Human Animal Studies,
ist die Bezeichnung ,,Mensch/Tier-Beziehung" eine ,, [...] kon-
krete Beziehung zwischen einem menschlichen und einem tieri-
schen Individuum [...]" (Chimaira 2011, S.16). Das

Taína Schlingmann
Die Mensch/Tier-Beziehung ­ ein historischer
Rückblick
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Mensch/Tier-Verhältnis hingegen beschreibt die Gesamtheit al-
ler Mensch/Tier-Beziehungen, ,,ihre Einbettung in gesellschaft-
liche Strukturen und ihre Institutionalisierung [...]" (Chimaira
2011, S.16). Das Mensch/Tier- Verhältnis ist historisch gewach-
sen und kann sich nicht als naturgegeben betiteln lassen. Zudem
existiert nicht nur das eine Mensch/Tier-Verhältnis. Das wird
vor allem in den Ambivalenzen deutlich die wir Menschen,
durch jeweils unterschiedliche Wahrnehmung und Behandlung
von Heim-, Versuchs-, und Nutzieren, zeigen (vgl. Chimaira
2011, S.16 ff.). Folglich existieren viele, miteinander in Zu-
sammenhang stehende Mensch/Tier-Verhältnisse, die ,,[...]
durch bestimmte Strukturen und Muster [...] nicht einfach zufäl-
lig oder beliebig [...]" (Chimaira 2011, S.17) sind. Zudem sind
die Mensch/Tier-Verhältnisse stets in Bewegung. Das bedeutet
sie ,,[...] werden in ständigen Handlungen immer wieder neu
produziert und reproduziert" (Chimaira 2011, S.17).
Auf Grund der voran gegangen Definition wird in der nachfol-
genden, chronologischen Ausarbeitung das Mensch/Tier-
Verhältnis als historisch gewachsenes Gefüge skizziert. Ist dabei
von ,,Tieren" die Rede, sind höhere Tierarten gemeint, außerdem
beziehen sich die Ausführungen auf den europäischen Raum, in-
sofern nicht anders gekennzeichnet.
3.
Die Mensch/Tier-Beziehung ­ ein historischer
Rückblick
,,In unseren Geschichtsbüchern kommen Tiere, wenn überhaupt,
nur am Rande vor" (Brantz, Mauch 2010, S.7). Wie Brantz und
Mauch hier verdeutlichen, werden Tiere in den Ausschreibungen
der Evolutions- und Entwicklungsgeschichte kaum thematisiert.
Die Herausbildung der geisteswissenschaftlichen Disziplin Ge-
schichte geschah in Abgrenzung zur Naturgeschichte etwa im
neunzehnten Jahrhundert (vgl. Brantz, Mauch 2010, S.8). ,,Wäh-

Taína Schlingmann
Beginn der Menschheit ­ Animismus,
Schamanismus und Totemismus
Seite | 8
rend der Mensch in seinem gesellschaftlichen Wirken zum Ge-
genstand der Geschichtswissenschaft erhoben wurde, ordnete
man Tiere fast automatisch dem Bereich der Natur zu." (Brantz,
Mauch 2010, S.9). Demzufolge haben sich bis vor kurzem
hauptsächlich Nichthistoriker wissenschaftlich mit Tieren be-
schäftigt (vgl. Brantz, Mauch 2010, S.9). Nach Brantz und
Mauch wurde erst im Zuge weiterer Entwicklungen und neuen
Aufsätzen die strikte Trennung kritisch hinterfragt, sowie Natur
und Kultur als verbunden und aufeinander bezogen angesehen
(vgl. Brantz, Mauch 2010, S.9).
Spätestens nach der Evolutionstheorie von Charles Darwin im
neunzehnten Jahrhundert wurde das Tier, im engeren Sinne der
Primat, als Vorfahre des Menschen in den Mittelpunkt gestellt.
Mit Bezug zu Münchs Behauptung: ,,Menschen und Tiere sind
im Licht evolutionsbiologischer Hypothesen, ethologischer Be-
obachtungen und genetischer Befunde engstens miteinander
verwandt. Ohne Tiere gäbe es keine Menschen" (Münch 2001,
S.19), beginnt die nachfolgende chronologische Ausarbeitung
mit dem Beginn der Menschheit und greift nachfolgend bedeu-
tende Zeitperioden im Bezug des Mensch-Tier-Verhältnisses
auf.
3.1.
Beginn der Menschheit ­ Animismus, Schama-
nismus und Totemismus
Nach Frömming ist das Mensch/Tier-Verhältnis so alt wie die
Menschheit selbst (vgl. Frömming 2006,S. 4). Der Mensch lebt
nicht nur seit Anbeginn seiner Existenz mit dem Tier zusammen
sondern hat sich auch als Produkt der Evolution, über viele Mil-
lionen Jahre, aus einem entwickelt. ,,Im Miozän, dem geologi-
schen Abschnitt der Erdgeschichte vor etwa 30 bis 15 Millionen
Jahren v. Chr., bildete sich der erste nachweisebare Stamm ur-
tümlicher Menschenaffen aus" (Sälzle 1965, S.11).

Taína Schlingmann
Beginn der Menschheit ­ Animismus,
Schamanismus und Totemismus
Seite | 9
Der Homo sapiens, unser heutiger Menschentyp, entstand erst
um 60 000 bis 50 000 v. Chr. und löste den damals schon ausge-
storbenen Neandertaler ab (vgl. Sälzle 1965, S.12). Dieser
enorme Zeitabstand verdeutlicht die lange Evolutionsphase in
der sich der ursprüngliche Primat auf dem Weg zum Menschen
befand. Erst mit Anfang des Ichbewusstseins hat der Mensch
sich aus allem Tierhaften wesentlich hervorgehoben (vgl. Sälzle
1965, S.12). Damit ist nach Sälzle die Wahrnehmung über das
handelnde Ich gemeint, dass sich und sein handeln kontrollieren
kann. ,,Erst damit kann aber auch das Gute und Böse in die Welt
gekommen sein, also eine moralische Wertung. Das Tier kennt
diese Wertung nicht. Der Mensch existiert demnach nicht nur
wie das Tier mit und in seiner Welt, sondern gegenüber der
Welt" (Sälzle 1965, S.12).
Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier war zu jener Zeit
kein von Überlegenheit geprägtes (vgl. Münch 2001, S.21). Der
Mensch als Jäger und Sammler verstand sich noch als Teil der
Natur und Tiere galten als gleichwertige Mitgeschöpfe (vgl.
Frömming 2006, S.4). Nach Greiffenhagen und Buck-Werner
hatte der Mensch eine noch so starke Verbundenheit zu seinem
,,Bruder-Tier", dass die früheren Jägerkulturen daran glaubten,
der Mensch könnte gleichzeitig auch ein Tier sein, wie umge-
kehrt Tiere gleichzeitig als Erscheinungsform lebender Men-
schen galten (vgl. Greiffenhagen, Buck-Werner 2007, S.17). Je-
de Kreatur besaß eine unverwundbare und unsterbliche Seele
sowie einen Wächtergeist der nach erfolgreicher Jagd stets mit
einem Sühneopfer besänftigt werden sollte. Denn laut Linde-
mann beschützte der Wächtergeist das Tier und ließ kein Verge-
hen unbestraft (vgl. Lindemann 2002, S.2). Schwere Krankhei-
ten oder Schicksale etwa waren das Resultat von verärgerten
Wächtern bzw. Seelen.

Taína Schlingmann
Beginn der Menschheit ­ Animismus,
Schamanismus und Totemismus
Seite | 10
Tiere wurden aufgrund der vorherrschenden animistischen
1
,
schamanischen und totemistischen Vorstellung kritisch verehrt
und es wurde ihnen großer Respekt entgegen gebracht. Körner
schreibt hierzu: ,,Das rätselhafte Verhalten der Tiere, ihr Orien-
tierungsvermögen, ihre Sinnesleistungen, ihre geheimnisvollen
Signale untereinander machten das Tier für den frühgeschichtli-
chen Menschen zu einem unbegreiflichen Wesen" (Körner 1996,
S.16). Dadurch entstanden verschiedene Möglichkeiten um ei-
nen Eingang zum ,,Tierischen" zu finden, um sie verstehen zu
können.
Vock behauptet: ,,Schamanen besitzen die Gabe in einem tran-
ceartigen Zustand mit den Seelen anderer Lebewesen und Ob-
jekten in Kontakt zu treten" (Vock 2008, S.8). In jenem Zustand
glauben sie an die Möglichkeit die Sprache der Tiere zu verste-
hen und sich außerdem in sie verwandeln zu können.
Im Totemismus hingegen herrscht die Vorstellung mit Tieren,
Erscheinungen oder Objekten (=Totem), in verwandtschaftli-
chem oder mythischen Sinne, in Verbindung zu stehen (vgl.
Vock 2008, S.9).
Da die Frühmenschen neben dem spirituell geprägten Verhältnis
zum Tier auch auf dieses als Nahrungsquelle und Kleidungslie-
ferant angewiesen waren, studierten die Jäger die Verhaltens-
muster der Jagdtiere intensiv und nahmen diese zum Vorbild für
eigene Verhaltensmuster (vgl. Baur 2012, S.6). Dadurch konnte
die Jagd spezialisiert und die Nahrungsversorgung sichergestellt
werden.
1
Animismus: Glaube an die Beseelung aller belebten und unbelebten Kreatu-
ren, Objekte und Naturphänomene (Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine, Ber-
ge, Flüsse, Gewitter,...).

Taína Schlingmann
Die Entstehung der Haustierhaltung
Seite | 11
3.2.
Die Entstehung der Haustierhaltung
,,Als der Homo sapiens vor mehr als 10 000 Jahren in der neoli-
thischen Revolution
2
sesshaft wurde und Landwirtschaft zu trei-
ben begann, endete eine lange Phase des prähistorischen
Mensch/Tier-Verhältnisses" (Münch 2001, S.21). Der Mensch
begann seine Sprache zu entwickeln und wurde immer mehr zur
kognitiven Kontrolle seiner Instinkte fähig. Mit der Verschie-
bung von der Jagd- zur Landwirtschaft veränderten sich zuneh-
menden die Einstellung des Menschen zur Natur und damit sein
Verhältnis zum Tier. Diese Entwicklung nahm erheblichen Ein-
fluss auf die bis dahin friedliche Koexistenz (vgl. Frömming
2006, S.4).
,,Durch Beginn der Domestikation wich das freie Leben der Tie-
re fortan der Kontrolle des Menschen" (Frömming 2006, S.4).
Damit ist nach Frömming die natürliche, evolutionäre Entwick-
lung der Tiere gemeint, die durch Auswahlkriterien des Men-
schen nach Zuchtzielen ersetzt wurde. Dadurch wich das freie
Leben der Tiere fortan der Kontrolle des Menschen. Hierbei hal-
fen den Menschen vor allem auch die Erkenntnisse und das
Wissen aus den Studien ihrer Vorfahren. In diesem entscheiden-
den Zeitabschnitt kam es zu einer psychischen Trennung des
Menschen vom Tier (vgl. Lindemann 2002, S.2). Außerdem un-
terschied der Mensch die Tiere untereinander. Zum einen in
Nahrungs- und Arbeitstiere, in Haustiere und außerdem in wilde
Tiere, die seinen Haustieren Schaden zufügen konnten (vgl.
Lindemann 2002, S.2). ,,Dem Viehzüchter oblag nun die Aufga-
be, seine Herde optimal zu versorgen, damit sie sein und das
Wohl der Familie sicherte" (Frömming 2006, S.5). Die Men-
schen mussten ihre Tiere folglich genau kennen um bei den ers-
ten Anzeichen einer Krankheit oder anderen Unstimmigkeiten
2
Als neolithische Revolution wird das Aufkommen produzierender Wirt-
schaftsweisen sowie die Vorratshaltung zu Beginn der Jugendsteinzeit (Neo-
lithikum) bezeichnet.

Taína Schlingmann
Das Zeitalter der Antike
Seite | 12
handeln zu können. Der Mensch unterlag einer sich selbst aus-
gesetzten Zähmung, die Beherrschung der eigenen Natur, die
wachsende Fähigkeit, die eigenen Instinkte und Triebe selbst zu
kontrollieren, aufzuschreiben, zu verfeinern oder ganz aus dem
Bewusstsein zu verdrängen. Dies sollte zum Generator für
menschliche Kulturentwicklung werden: Indem der Mensch sich
selbst zähmte, konnte er auch das Tier zähmen; Indem er lernte
Tiere zu zähmen als auch zu züchten, entwickelte er die Fähig-
keit zur Selbstkontrolle und verlangte sie ab sofort auch von sei-
nen Kindern (vgl. Körner 1996, S.22). Für Körner bedeutet dies:
,,Indem er seine eigene Triebhaftigkeit kultivierte, entfernte er
sich aus der Gemeinschaft mit allen Tieren. Tiere wurden ihm
fremd, er verstand sie nicht mehr, aber gerade in der Entfernung
von ihnen lernte er, sie zu kontrollieren und für sich zu verwen-
den" (Körner 1996, S.22).
,,Die ersten Tiere, die domestiziert wurden, waren Hunde [...].
Hunde waren Wächter, Jagdbegleiter, Restevertilger oder Trans-
portmittel, und gleichzeitig immer treue, dem Menschen dienen-
de Gefährten" (Förster 2005, S.21). Das beschreibt das zu jener
Zeit bereits ambivalente Verhältnis welches der Mensch bis heu-
te zu Tieren pflegt. Auch Münch geht davon aus, dass ,,dieses
gespaltene Verhältnis [...] die leiblich-geistige Doppelnatur des
Menschen spiegelt, die ihn mit den Tieren verbindet, gleichzei-
tig jedoch von ihnen trennt" (Münch 2001, S.20) [Hervorhebung
d. Verf.].
3.3. Das Zeitalter der Antike
,,Wurde in der prähistorischen Zeit noch das Fortdauern alles
Lebendigen als Selbstverständnis angenommen, so lebten erst
die nachfolgenden frühen Hochkulturen mit der Vorstellung von
Göttern und Dämonen in Tiergestalt" (Otterstedt 2003, S.16).
Zwar verehrten die Menschen einige Tierformen, allerdings un-

Taína Schlingmann
Pythagoras
Seite | 13
terlag das Mensch/Tier-Verhältnis weiterhin einer enormen Am-
bivalenz. Sie befindet sich irgendwo zwischen Vertrautheit und
unversöhnlicher Feindschaft. Münch schreibt hierzu: ,,In den
widerstreitenden Diskursen, die seit der Antike das Miteinander,
Nebeneinander und Gegeneinander reflektieren, erfahren Tiere
einerseits eine Aufwertung, die sie nahe an den Menschen her-
anrückt, mitunter sogar über ihn stellt, andererseits eine verächt-
liche Einschätzung, die sie zu Sachen und seelenlosen Maschi-
nen degradiert" (Münch 2001, S.20).
,,Im alten Ägypten nahm das Tier die Stellung eines Mittlers
zwischen Göttern und Menschen ein" (Körner 1996, S.18). Fer-
ner glaubten die Ägypter an Daseinsänderungen. An Götter, die
Tiergestalten annehmen konnten. Folglich behielten viele Tie-
rarten ihre Sonderstellung bei, wie Ibis als Gestalt des Gottes
Thot oder die Katze als gestaltgewordene Göttin (vgl. Körner
1996, S.18). Anders als in der griechischen Antike zogen die
Ägypter keinesfalls eine strenge Trennung zwischen sich und
dem Tier, auch wenn sie sich vor ihm in die Rangordnung stell-
ten. Nach Körner ,,[...] durfte man das Tier nicht quälen. [...]
jedes Tier, das gejagt oder geopfert wurde, musste rituell zum
Feind erklärt werden, denn nur als Feind durfte es getötet und
verzehrt werden" (Körner 1996, S.19) [Hervorhebung d. Verf.].
In Zeitalter der griechischen Antike gab es zwei Philosophen,
die das Verhältnis von Mensch und Tier bis heute entscheidend
geprägt haben und sich außerdem von der Vorstellung der
Ägypter unterscheiden: Pythagoras und Aristoteles.
3.3.1.
Pythagoras
Der griechische gelehrte Pythagoras gilt heute als der erste gro-
ße Vegetarier der um 570 bis 500 v. Chr. lebte. Neben seinem
Appell auf Fleisch zu verzichten war er zudem der einfluss-
reichste Gegner des Tieropfers seiner Zeit (vgl. Giebel 2003,

Taína Schlingmann
Aristoteles
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S.53). ,,Mit Mord und Totschlag sollte man das Göttliche nicht
ehren" (Giebel 2003, S.56). Pythagoras glaubte, dass alles was
der Mensch den Tieren antut, auf den Menschen zurück kommt.
Grund für diese moderne Annahme war die Idee der Seelenwan-
derung. ,,Zur pythagoreischen Lehre gehörte die Vorstellung von
der Unsterblichkeit der Seele, die Seelenwanderung und Wie-
dergeburt sowie eine asketische
3
Lebensweise mit der Forderung
des Vegetarismus" (Giebel 2003, S. 53).
Pythagoras glaubte an die kosmische Gemeinschaft aller Lebe-
wesen und beschrieb die Tiere als homogenê zôa, als artver-
wandte Lebewesen, denen man kein Leid antun, sie nicht töten
oder verzehren, sondern mit denen man sich verbunden fühlen
sollte (vgl. Giebel 2003, S.56). Als Vorsokratiker
4
schrieb er au-
ßerdem nicht nur Menschen sondern auch Tieren Vernunft, den
Logos, zu. Der Historiker Paul Münch schreibt hierzu: ,,Hinzu
kam, dass im Vergleich zwischen Tieren und Menschen, die
man beide als beseelte, aus den vier Elementen Erde, Wasser,
Luft und Feuer gebildete Lebewesen ansah, Menschen nicht
immer besser abschnitten. Tiere erschienen mit ihren spezifi-
schen Fertigkeiten [...] geradezu als Vorbilder des Menschen"
(Münch 2001, S. 22). Folglich plädierte Pythagoras für einen
Zusammenhalt zwischen Mensch und Tier.
3.3.2.
Aristoteles
Aristoteles hingegen geht davon aus, dass alle Lebewesen in ei-
ne strikte Hierarchie der Wertigkeit eingeteilt sind. ,,Diese Hie-
rarchie ist durch Gottähnlichkeit bestimmt, durch abnehmende
Vernunftfähigkeit [Logos] charakterisiert und naturgegeben
bzw. gottgewollt" (vegan.at). Diese Hierarchie wird von Aristo-
teles zwar hervorgehoben, führt aber nicht zur Abwertung nied-
3
Asketisch -
Enthaltsam, abstinent.
4
Vorsokratiker ­ Philosophen die vor Sokrates gelebt haben bzw. von dessen
Philosophie noch nicht beeinflusst waren.

Taína Schlingmann
Aristoteles
Seite | 15
riger Lebewesen. Denn er glaubt: ,, In allem waltet ein vernünf-
tiger Zweck; alle Lebewesen sind auf ein télos hin geordnet, ein
in sich vollendetes Daseinsziel" (Giebel 2003, S. 63).
Das Kriterium der Vernunft greift Aristoteles aus der pythagore-
ischen Lehre auf. Nach seiner Vorstellung bildet der Logos die
Grundlage einer politischen Gemeinschaft. Denn er geht davon
aus: ,,Der Mensch könnte lediglich deshalb ein zôon politikón,
also ein politisches Wesen, sein, weil er ein zôon lógon échon
sei, d.h. ein Wesen, das über den Logos verfüge" (Chimaira
2011, S.9). Dabei unterscheidet Aristoteles den Logos von der
Phone, der bloßen Stimme, die nicht ausschließlich den Men-
schen vorbehalten sei, sondern über die auch die Tiere verfügen
(vgl. Chimaira 2011, S.9). Nach der aristotelischen Hierarchie
sind es die weißen, nicht-behinderten, männlichen Bürger die an
der Spitze des Staates bzw. aller Lebewesen stehen. Danach fol-
gen die weißen, nicht-behinderten Frauen, anschließend die
Kinder, danach die Barbaren, weiter die Tiere und abschließend
die Pflanzen (vgl. radioalf.blogsport.de). Diese Ordnung erlaubt
es, jene die sich nicht freiwillig dieser Ordnung unterwerfen
auch mit Gewalt dazu zu zwingen. Folglich sind Tiere allein der
Verfügung des Menschen überlassen, der diese nach Belieben zu
seinem Vorteil nutzen kann (vgl. radioalf.blogsport.de). Es zeigt
sich also gerade in der Antike ein Dualismus der für die Legiti-
mierung der Unterwerfung des Tieres steht. Jene mit geringen
Verstandeskräften sind zum Nutzen derer mit größeren Verstan-
deskräften da. Kurz: Die Pflanzen für die Tiere und die Tiere für
die Menschen. Aristoteles spricht von: ,,Barbaren und wilden
Tieren, die als niedrigere Arten von Natur aus sklavisch sind
und sich folglich in die Gewalt eines Herrschers begeben sollen.
Die Nutzung von Sklaven und gezähmten Tieren ist nicht sehr
verschieden; beide dienen mit ihren Köpern den Bedürfnissen
unseres Lebens."

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2013
ISBN (eBook)
9783842843639
Dateigröße
1.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Bielefeld – Soziale Arbeit
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
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Titel: Das Tier und Wir: Über die Gesellschaftlichkeit von Tieren mit Bezug zur sozialen Intervention
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