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Sind ungleiche Volkswirtschaften stärker verschuldet und krisenanfälliger?

©2012 Bachelorarbeit 35 Seiten

Zusammenfassung

Einleitung:
Als schlimmster Wirtschaftskrise seit der Großen Depression 1929 wird der Finanzkrise 2007 noch heute große Beachtung geschenkt. In globalen Dimensionen verursachte die ursprüngliche Bankenkrise eine ‘Great Recession’, von der sich die USA wie auch andere Länder erst anfangen zu erholen (Bernanke, 2010 S.1). Episoden finanzieller Instabilität treten zudem seit den 80er Jahren allgemein häufiger als in der Vergangenheit auf und bescheren der Wirtschaft wiederholt Leistungseinbrüche bis in die zweistelligen Prozentbereiche (Borio und White, 2003). Es gilt somit heute immer mehr, die Ursprünge dieser komplexen Krisenphänomene zu ergründen, um ein erneutes Auftreten zu verhindern. Doch selbst renommierte Ökonomen streiten über die genauen Ursachen und mögliche Lösungswege (Bernanke, 2007).
Durch Zahlungsausfall von dubiosen Schuldnern am amerikanischen Hypothekenmarkt ausgelöst, fand man schnell einen Namen für die ‘sub-prime mortage crisis’ von 2007 und 2008. In der Tat waren auch andere Krisen wie die Great Depression nach 1929 durch große Verschuldung charakterisiert: ‘Credit booms are often cited as the culprit behind financial crises ...’ (Mendoza und Terrones, 2008 S.13). Die Gründe für diese hohe Verschuldung der Privathaushalte und die damit einhergehende Krisenanfälligkeit sind jedoch stark umstritten. In der ‘mainstream view of the crisis’, der breit gestreuten Darstellung der Medien, und nach Ansicht vieler Ökonomen wird vor allem der Angebotsseite der Kreditvergabe viel Beachtung geschenkt (Lysandrou, forthcoming S. 184). Neben finanzieller Liberalisierung, lockeren Kreditvergaben, zu groß geratenen und ungezügelten Finanzinstitutionen und ‘bailout garantees’ über unangemessene Risikoeinschätzung werden vor allem oft niedrige Zinssätze und Vermögenspreise in Zusammenhang mit ‘financial frangility’ oder Krisenanfälligkeit gesetzt (siehe Stockhammer, 2011a und Bernanke 2010). So ein großes Kreditangebot hätte jedoch nicht ohne die nötige Nachfrage entstehen können (Lysandrou, forthcoming). Als Grund für die Nachfrage an Kredit wird vereinzelt der Faktor Einkommensungleichheit genannt, der weder im Hinblick auf die Krise 2007 noch auf die Great Depression 1929 viel Beachtung findet: ‘Yet students of both crises have largely ignored any role that rising inequality might have played in rendering the financial sector more vulnerable to systemic dysfunction’ (Wisman Baker, 2010 S. 3). [...]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Wie Einkommensungleichheit Verschuldung verursacht– ein möglicher Wirkungskanal

II. Empirische Ergebnisse und Überprüfung der Zusammenhänge

III. Diskussion – Entsteht Verschuldung durch finanzielle Liberalisierung oder Ungleichheit?

IV. Ist Ungleichheit (k)ein Grund für finanzielle Liberalisierung?

V. Fazit und Lösungsansätze

Literaturverzeichnis

Anhang

Einleitung

Als schlimmster Wirtschaftskrise seit der Großen Depression 1929 wird der Finanzkrise 2007 noch heute große Beachtung geschenkt. In globalen Dimensionen verursachte die ursprüngliche Bankenkrise eine „Great Recession“, von der sich die USA wie auch andere Länder erst anfangen zu erholen (Bernanke, 2010 S.1). Episoden finanzieller Instabilität treten zudem seit den 80er Jahren allgemein häufiger als in der Vergangenheit auf und bescheren der Wirtschaft wiederholt Leistungseinbrüche bis in die zweistelligen Prozentbereiche (Borio und White, 2003). Es gilt somit heute immer mehr, die Ursprünge dieser komplexen Krisenphänomene zu ergründen, um ein erneutes Auftreten zu verhindern. Doch selbst renommierte Ökonomen streiten über die genauen Ursachen und mögliche Lösungswege (Bernanke, 2007).

Durch Zahlungsausfall von dubiosen Schuldnern am amerikanischen Hypothekenmarkt ausgelöst, fand man schnell einen Namen für die „sub-prime mortage crisis“ von 2007 und 2008. In der Tat waren auch andere Krisen wie die Great Depression nach 1929 durch große Verschuldung charakterisiert: “Credit booms are often cited as the culprit behind financial crises ...“ (Mendoza und Terrones, 2008 S.13). Die Gründe für diese hohe Verschuldung der Privathaushalte[1] und die damit einhergehende Krisenanfälligkeit sind jedoch stark umstritten. In der „mainstream view of the crisis“, der breit gestreuten Darstellung der Medien, und nach Ansicht vieler Ökonomen wird vor allem der Angebotsseite der Kreditvergabe viel Beachtung geschenkt (Lysandrou, forthcoming S. 184). Neben finanzieller Liberalisierung, lockeren Kreditvergaben, zu groß geratenen und ungezügelten Finanzinstitutionen und „bailout garantees“ über unangemessene Risikoeinschätzung werden vor allem oft niedrige Zinssätze und Vermögenspreise in Zusammenhang mit „financial frangility“ oder Krisenanfälligkeit gesetzt (siehe Stockhammer, 2011a und Bernanke 2010). So ein großes Kreditangebot hätte jedoch nicht ohne die nötige Nachfrage entstehen können (Lysandrou, forthcoming). Als Grund für die Nachfrage an Kredit wird vereinzelt der Faktor Einkommensungleichheit genannt, der weder im Hinblick auf die Krise 2007 noch auf die Great Depression 1929 viel Beachtung findet: „Yet students of both crises have largely ignored any role that rising inequality might have played in rendering the financial sector more vulnerable to systemic dysfunction“ (Wisman Baker, 2010 S. 3). Dabei hat sich vor den Krisen 1929 und 2007 sowohl die Haushaltsverschuldung, als auch die Einkommensungleichheit in den USA stark vergrößert. Arme verschuldeten sich, so das Argument einiger Ökonomen, um ihren sinkenden Konsum relativ zu dem der Reichen aufrecht zu erhalten.

Die Studien zu diesem Zusammenhang sind noch in ihren Kinderjahren und kommen leider je nach Daten und Messung auf widersprüchliche und nicht schlüssige Ergebnisse (Lucchino und Morelli, 2012 S. 3). Atkinson und Morelli (2010) können einen Zusammenhang zwischen Finanzkrisen und Ungleichheit in einigen Ländern feststellen, welcher durch ein Modell von Kumhof und Ranciére (2011) kausal vervollständigt wird, wohingegen Krugman (2010) und Acemoglu (2011) das Auftreten dieser Ereignisse als zufällig bezeichnen. Bordo und Meissner (2012) können empirisch überhaupt keinen Zusammenhang feststellen. Auf der Suche nach der Ursache von Finanzkrisen ist es also von höchster Wichtigkeit, sich mit den wenigen Theorien und empirischen Ergebnissen, die den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Verschuldung beleuchten, zu befassen und herauszufinden, ob Ungleichheit wirklich der Grund für Verschuldung und Finanzkrisen ist.

Meine Ergebnisse zeigen, dass Ungleichheit der Einkommen empirisch und theoretisch gesehen nicht zu Haushaltsverschuldung und Krisenanfälligkeit führen muss. Nur wenn Einkommensungleichheit von einem liberalisierten Finanzsystem und den damit einhergehenden negativen Interaktionseffekten begleitet wird, kann sie Haushaltsverschuldung, Leistungsbilanzdefizite und somit hohe Krisenanfälligkeit auslösen. Es gibt zwar Spekulationen, dass finanzielle Liberalisierung aufgrund von Ungleichheit ausgelöst worden ist. Da ein kausaler Effekt der Einkommensungleichheit auf finanzielle Liberalisierung jedoch nicht eindeutig zu beweisen ist, bleibt die Rolle von Ungleichheit als Ursprung für Krisenanfälligkeit zweifelhaft.

Diese Arbeit ist wie folgt strukturiert. Im Kapitel I wird ein möglicher kausaler Effekt von Ungleichheit auf Verschuldung und Krisenanfälligkeit erläutert. Im Kapitel II werden empirische Ergebnisse in Bezug auf diesen Wirkungskanal untersucht. Im Kapitel III werden die Ergebnisse sowie die Rolle von finanzieller Liberalisierung bei der Entstehung von Verschuldung besprochen. Im Kapitel IV werden mögliche Kausalitäten der Zusammenhänge sowie der Interaktionseffekt von Ungleichheit und Verschuldung dargestellt. Im Kapitel V werden die Erkenntnisse zusammengefasst und Lösungsansätze angeboten.

I. Wie Einkommensungleichheit Verschuldung verursacht– ein möglicher Wirkungskanal

Die Ungleichheit der Einkommen hat sich global etwa seit den 1970ern stark vergrößert. In den USA hat sich der Anteil der oberen 1% der Bevölkerung an der Wertschöpfung sogar verdoppelt (Al-Hussami und Remesal, 2012). Einige Ökonomen[2] verbinden den starken Anstieg von Einkommensungleichheit kausal mit Finanzkrisen: Empirically, the periods 1920-1929 and 1983-2008 both exhibited a large increase in the income share of the rich, a large increase in leverage for the remainder, and an eventual financial and real crisis“ (Kumhof und Ranciére, 2011 S.1). Der Zusammenhang, der auch auf Abbildung 1 und 2 graphisch sichtbar ist, wird durch folgenden Wirkungskanal begründet:[3]

Ausgehend von der Keynesianischen Konsumfunktion steigen mit zunehmender Polarisierung der Einkommensverteilung die aggregierten Ersparnisse. Mit steigendem Einkommen der oberen Einkommensschichten sinke nämlich deren marginale Konsumneigung wogegen ihre marginale Sparneigung steige. Auf der anderen Seite werde von den unteren Einkommensklassen weniger gespart und relativ zum sinkenden Einkommen mehr konsumiert (Keynes, 1936 und Wisman, 2011). Geht man von dieser Annahme aus, so entsteht durch Einkommenspolarisierung zunächst mehr Erspartes, was entweder in Sachgüter oder Finanzanlagen bzw. Kredite investiert wird. Vor allem die unteren Einkommensgruppen haben seit Jahrzehnten mit stagnierenden oder rückläufigen Löhnen und Jahreseinkommen zu kämpfen. Kumhof et al. gehen von einem „consumption smoothing“ oder „habit persistence motive“ aus (2012, S. 6). Haushalte konsumierten auf einem bestimmten Niveau, welches sie niemals verringerten, sondern stets aufrecht zu erhalten oder relativ zum BIP Wachstum zu erhöhen versuchten. Nachgefragt würden die genannten zusätzlichen Ersparnisse der Reichen zum Teil von ärmeren Haushalten in Form von Krediten (Kumhof und Ranciére, 2011). Empirisch gesehen, hat die Einkommensungleichheit der USA in den letzten 25 Jahren zwar zugenommen, doch die Sparquote weist einen rückläufigen Trend auf. Der Grund ist, dass in einer Volkswirtschaft, in der Konsumenten Kredit aufnehmen, die Keynesianische Theorie nicht mehr zu halten ist: “Indeed, the dampening effect of inequality on demand described in Keynesian theories assumes that households cannot access additional credit.“ (Lucchino und Morelli, 2012 S.13). Die zusätzlichen gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse nehmen also nicht zu, sondern zugunsten von Konsum ab, da sie in Konsum in Form von Kredit umgewandelt werden: “If consumer loans cancel out against some of household savings, aggregate saving shrinks” (Barba und Pivetti, 2008 S.120). Durch Haushaltsschulden konnten hier niedrige Löhne mit relativ hohen Konsumquoten koexistieren und somit eine Lösung zu der Diskrepanz aus hohem Konsumniveau bzw. BIP Wachstum auf der einen und der Einkommenspolarisierung auf der andern Seite bieten (Barba und Pivetti, 2008). Dies wird besonders deutlich, wenn man Abbildung 3 mit Abbildung 2 vergleicht. Haushaltsverschuldung, Top-Einkommen und Konsum steigen gleichzeitig, besonders in den Jahren vor der Krise 2007.

Ärmere Haushalte hatten nicht immer die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen. Laut Stockhammer (2011a) vollzog sich eine Deregulierung des Finanzsektors und des Kreditmarktes seit den 80er Jahren als Mittel, um der steigenden Ungleichheit entgegenzuwirken. Einkommensungleichheit sei Anlass und Druck für die Politik gewesen, vor allem günstige Hauskredite zu ermöglichen, um Arbeitsplätze trotz stagnierender Löhne zu schaffen und somit die steigende Ungleichheit zu bekämpfen (Rajan, 2010 S.44). Ziel des politischen Einschreitens sei es auch gewesen, den Konsum der Mittelschicht aufrecht zu erhalten. Die Regierung verteilte laut Rajan (2010) Vermögen nicht über das Steuersystem um, sondern deregulierte das Finanzsystem, um die Bekämpfung von Ungleichheit dem privaten Sektor zu überlassen.

Wisman und Baker (2010) hingegen stellen eine zusätzliche Dynamik auf der Angebotsseite fest, die durch mehr Geld und politische Macht der Reichen ausgelöst wird. Mit großem Einkommen und Reichtum der Reichen hielten diese die Zinsen niedrig und entwarfen durch mehr Einfluss neue Kreditinstrumente[4]: „[T]he rich … gained more command over ideology and hence politics. Reducing the size of government, deregulating the economy, and failing to regulate newly evolving credit instruments flowed out of this ideology” (Wisman und Baker, 2010 S. 4). Der Konsum der Armen musste schließlich aufrechterhalten werden, da der Markt für echte Investitionen bereits gut gesättigt gewesen sei: „intended investment in the United States has been lagging in recent years …presumably for lack of new investment opportunities“ (Greenspan, 2007 S. 387). Laut Wisman und Baker (2010) war das Gewinnpotential im Kreditmarkt zudem einfach größer, sodass reiche Anleger ihre Interessen in diesem Feld erfolgreich durchsetzten.

In Tabelle 1 ist zu sehen dass sich die Haushaltsverschuldung seit 1980 bis zur Krise 2007 fast verdoppelt hat, wobei besonders Hypothekenschulden stark angestiegen sind. Zwar ist nicht die gesamte Verschuldung durch Arme verursacht worden, wie aus Tabelle 2 hervorgeht. Löhne der Armen waren aber am stärksten rückfällig. Sie mussten sinkende Löhne mit besonders viel Schulden kompensieren (Kumhof und Ranciére, 2011). Kumhof und Ranciére (2011) zeigen auch statistisch, dass sich die unteren Einkommensgruppen zwischen 1983 und 2007 doppelt so hoch verschuldet haben wie die reichsten 5% der Bevölkerung. Die gestiegene Verschuldung und die damit verbundenen Schuldenausfälle seien fast zu 80% auf die Unterschicht und Mittelschicht zurückzuführen. Zwischen 1981 und 2007 habe sich die Größe des Finanzsektors durch steigende Kredite auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite verdoppelt.

Nimmt man also an, dass Einkommensungleichheit hohe Verschuldung durch Hypothekendarlehen auf der Angebots- und der Nachfrageseite in den USA vor 2007 ausgelöst hat, so schließt sich hier der Kreis. Das hohe Schulden-Einkommensverhältnis der Lohnempfänger, geschaffen mit neuen Kreditinstrumenten und Institutionen auf Druck der Reichen und als Reaktion auf Ungleichheit, führte schließlich zu finanzieller Instabilität, welche die Wirtschaft für Schocks wie Veränderungen in Zinssätzen, Vermögenspreisen oder Arbeitslosigkeit äußerst anfällig macht (Debelle, 2004). Wenn Schuldner ausfallen, wird Druck auf Finanzinstitutionen ausgeübt (Lucchino, 2012). So passierte es, dass im Fall der 2007 Krise steigende Zinssätze nur als Auslöser für eine Kettenreaktion, ausgehend von dubiosen Schuldnern mit niedrigem Einkommen auf dem den sogenannten „Subprime Hypothekenmarkt“ wirkten: „So although the crisis may have emerged in the financial sector, its roots are much deeper and lie in a structural change in income distribution that had been going on for twenty-five years” (Fitoussi und Saraceno, 2009 S. 4). Diese Beobachtungen lassen sich laut Kumhof und Ranciére (2011) in ähnlicher Weise auch auf die Zeit vor der Great Depression übertragen. Sie versuchen in ihrer These, die erläuterte Theorie mit einem Modell und Daten aus dem USA für beide Krisen zu validieren. Der gesamte Krisen- und Verschuldungsmechanismus entstehe in seinem Ursprung durch Ungleichheit (Kumhof und Ranciére, 2011).

Als weitere Quelle von Krisenanfälligkeit werden neben Haushaltsschulden auch Leistungsbilanzdefizite bzw. Auslandsschulden genannt, die nach Kumhof und Ranciére (2011) ebenfalls über jenen Wirkungskanal von Einkommensungleichheit und Verschuldung entstehen. Das US Leistungsbilanzdefizit sei vor allem auch eine Quelle von Anfälligkeit des Finanzsektors und eine Verstärkung der 2007 Krise gewesen und kann auch sonst zu spekulativen Blasen auf Finanzmärkten beitragen (Bernanke, 2010). Dieser Zusammenhang wird dadurch begründet, dass heimische Investitionen, die nicht von heimischen Ersparnissen bedient werden können, durch Finanzflüsse aus dem Ausland finanziert werden müssen. Dieses Bedürfnis könnte entstehen, wenn die Sparquote fällt und der Konsum steigt (Bernanke, 2010)[5]. Ausgehend von der Annahme, dass sich Haushalte durch Ungleichheit stärker verschulden und somit die Ersparnisse bei gleichbleibendem Investitionsbedarf sinken, finden Kumhof et al. auch einen Zusammenhang von Ungleichheit und Leistungsbilanzdefiziten in offenen OECD Volkswirtschaften (2012). Ein Anstieg von Ungleichheit habe hier systematisch einen Anstieg von Leistungsbilanzdefiziten zur Folge. Länder wie die USA, Großbritannien oder Portugal verbuchten seit den 80er Jahren einen Anstieg der Leistungsbilanzdefizite bei steigenden Top-Einkommen, wobei Deutschland oder Japan einen Überschuss bei moderat steigenden Top-Einkommen aufweisen. Durch diese Folgen der Ungleichheit haben sich somit weltweit zwei geläufige Wachstumsmodelle, ein Kredit-orientiertes und ein Export-orientiertes, herausgebildet, die nicht nachhaltig sind und zu Instabilität führen (Stockhammer, 2011a). Leistungsbilanzdefizite in Industrieländern werden durch Ersparnisse und Kapitalzuflüsse der Schwellenländer zusätzlich verstärkt, da sie Zinsen drücken und die Haushaltsverschuldung somit zusätzlich begünstigen (Bernanke, 2010).

II. Empirische Ergebnisse und Überprüfung der Zusammenhänge

Kumhof und Ranciére wenden ihre Theorie zunächst nur auf die USA in den Zeiten vor den Krisen 1929 und 2007 an. Auch Atkinson und Morelli (2011) stellen fest, dass in einigen Ländern steigende Einkommensungleichheit mit Finanzkrisen einherging. Allerdings können sie die Aussage nicht auf alle Länder und Krisen anwenden. Ihr Fazit ist, dass es keinen länderübergreifenden Beweis für den Zusammenhang von Einkommensungleichheit und Verschuldung gibt: „…for the 22 banking crises for which we have evidence about inequality change before the crisis, in only 6 cases was there clear evidence of rising inequality” (Atkinson und Morelli, 2011). Zudem untersuchen Atkinson und Morelli nicht den Wirkungskanal der im Interesse dieser Arbeit steht, nämlich ob wie von Kumhof und Ranciére angenommen Ungleichheit Kreditwachstum verursacht und dadurch Krisenanfälligkeit auslöst (siehe auch Bordo und Meissner, 2012).

Bordo und Meissner (2012) überprüfen Kumhof und Ranciéres Theorien und Ergebnisse und streiten nicht ab, dass es vor den beiden Krisen, sowie in einigen Ländern wie von Atkinson und Morelli (2011) erläutert, zu Einkommensumverteilung und steigender Haushaltsverschuldung gekommen ist. Bordo und Meissner betrachten jedoch auch andere Länder und Zeiten und beziehen andere Faktoren wie Wachstum des BIP und Zinssätze in ihre multivariaten Regressionen ein, um einen statistischen Beweis zu erlangen und zu schauen, ob Haushaltsverschuldung nicht etwa von anderen Faktoren ausgelöst wurde. Sie beweisen, dass zwischen den Faktoren Einkommensungleichheit und Haushaltsverschuldung in einer Stichprobe von Finanzkrisen in 14 Industrieländern zwischen 1880 und 2008 kein signifikanter Zusammenhang besteht.

[...]


[1] Im Folgenden beziehe ich mich unter dem Begriff Verschuldung stets auf Verschuldung der Haushalte. Zwar stellen auch Staatsverschuldung und Unternehmensverschuldung große Probleme dar. In Bezug auf Einkommensungleichheit, und die damit vermeintlich einhergehenden Krisen ist aber vor allem Haushaltsverschuldung relevant (Barba und Pivetti, 2008). Daher möchte ich mich auf diese Art der Verschuldung begrenzen.

[2] Dazu gehören unter anderen Kumhof und Ranciére (2011), Stockhammer (2011a), Christen und Morgan (2005) sowie Stiglitz (2009), Fitoussi und Saraceno (2009), Wisman und Baker (2010) und Lucchino und Morelli (2012)

[3] Die Meinungen der Autoren gehen zwar auseinander, wenn es darum geht, ob sich Haushalte durch Kompensation des Einkommensrückgangs (permanent income) oder durch übertriebenen Geltungskonsum (conspicuous consumption) verschuldet haben. Der Mechanismus wird jedoch trotzdem von allen sehr ähnlich erklärt.

[4] Für die Finanzkrise 2007 wären hier Instrumente wie Credit Default Swaps, Collateralized Debt Obligations, Mortgage Backed Securities, Special Purpose Vehicles und Special Investment Vehicles die typischen Beispiele (siehe Bordo und Meissner, 2012 S. 5)

[5] Dies ist neben anderen Faktoren wie der Handelsdifferenz von Gütern und Dienstleistungen, Kapitalzuflüssen, Veränderungen in Nettoauslandsvermögenspositionen sowie Rohstoffvorkommen nur ein Grund für Leistungsbilanzdefizite. Der Formel NX=S-I wird in der Literatur und vor allem in Bezug auf sinkende Sparquoten durch Ungleichheit sehr viel Bedeutung beigemessen und wird im Folgenden zur Vereinfachung vorausgesetzt (siehe EC-IILS, forthcoming).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783842832886
Dateigröße
1.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz – Volkswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2014 (März)
Note
1,3
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