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Das Konstrukt One Night Stand aus der Sicht junger Frauen

Eine qualitative Untersuchung

©2012 Diplomarbeit 106 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Ich weiß nicht, was genau von mir zu sagen erwartet wird, damit du Verkehr mit mir hast, aber könnten wir davon ausgehen, dass ich das alles gesagt habe? Ich meine im Wesentlichen sprechen wir von Flüssigkeitsaustausch. Könnten wir nicht einfach direkt zum Sex übergehen?’ Filmzitat aus ‘A beautiful mind – Genie und Wahnsinn’ (Goldsman & Nasar, 2002).
Mit diesen Worten versucht der hochbegabte Mathematiker John Nash (gespielt von Russel Crowe) in dem Film ‘a beautiful mind’ seine Absicht der Kontaktaufnahme zu verdeutlichen. Die ZuschauerInnen vor dem Bildschirm haben vielleicht schon eine Ahnung, dass dieser Annäherungsversuch missglücken wird, noch bevor die Dame an der Bar reagiert und die Konversation abrupt durch eine Ohrfeige beendet. So schmerzhaft diese Konsequenz für den Protagonisten sein mag, so macht der Verlauf der Kommunikation doch auf einen entscheidenden Punkt aufmerksam: auch eine sexuelle zwischenmenschliche Begegnung orientiert sich, wie jedes zwischenmenschliche Beisammensein, an bestimmten Handlungsmustern und Regeln, die eng mit den derzeitig geltenden gesellschaftlichen Normen und Werten verknüpft sind und die gesamte Begegnung (vom Anfang, bis zum Ende) begleiten. Über den verbalen, oder nonverbalen Austausch von Symbolen und Zeichen schaffen die Beteiligten einen Bedeutungsraum, in dem Beide mit bestimmten Erwartungen an sich selbst, das Gegenüber und den Verlauf der Kommunikation herantreten und ihre Handlungen reziprok und interaktiv aufeinander abstimmen und beziehen (vgl. Watzlawick, Beavin & Jackson, 2000).
Eine Zeit, in der sich die gesellschaftliche Legitimation des Koitus auf das Beziehungsmodell der Ehe beschränkte, gehört nun seit mehr, als zwei Generationen, der Vergangenheit an. Heutzutage wird von einer individualisierten (Beck, 2008) und sexuell liberalisierten Gesellschaft gesprochen, die eine zunehmende Pluralisierung der Beziehungs- und Sexualformen ermöglicht, die, dank der sexuellen Revolution der 1970er Jahre für das männliche, sowie das weibliche Geschlecht gelte. Ob in serieller, oder synchroner Form, ob als Dyade, oder Gruppe, ob mit wechselnden, oder beständigen SexualpartnerInnen, ob in einer Beziehung, oder außerhalb, ob hetero-, oder homosexuell, ob im zwischenmenschlichen Face-to-Face-Kontakt, oder anonym im Internet-Chat: im Bereich der zwischenmenschlichen Sexualität stehen den Individuen der heutigen Gesellschaft eine Vielfalt an Begehrensformen zur Verfügung, um […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Kailing, Christine: Das Konstrukt One Night Stand aus der Sicht junger Frauen. Eine
qualitative Untersuchung, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2013
PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-4648-7
Herstellung: Diplomica Verlag GmbH, Hamburg, 2013
Zugl. Hochschule Zittau/Görlitz (FH), Standort Zittau, Zittau, Deutschland, Diplomarbeit,
Dezember 2012
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http://www.diplom.de, Hamburg 2013
Printed in German

Inhaltsverzeichnis
1
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1 Einleitung
3
1
EINLEITUNG
,,Ich weiß nicht, was genau von mir zu sagen
erwartet wird, damit du Verkehr mit mir hast,
aber könnten wir davon ausgehen, dass
ich das alles gesagt habe?
Ich meine im Wesentlichen sprechen
wir von Flüssigkeitsaustausch.
Könnten wir nicht einfach
direkt zum Sex übergehen?"
Filmzitat aus ,,A beautiful mind ­ Genie und Wahnsinn"
(Goldsman & Nasar, 2002)
Mit diesen Worten versucht der hochbegabte Mathematiker John Nash (gespielt von Russel
Crowe) in dem Film ,,a beautiful mind" seine Absicht der Kontaktaufnahme zu verdeutlichen.
Die ZuschauerInnen vor dem Bildschirm haben vielleicht schon eine Ahnung, dass dieser An-
näherungsversuch missglücken wird, noch bevor die Dame an der Bar reagiert und die Konver-
sation abrupt durch eine Ohrfeige beendet. So schmerzhaft diese Konsequenz für den Protago-
nisten sein mag, so macht der Verlauf der Kommunikation doch auf einen entscheidenden Punkt
aufmerksam: auch eine sexuelle zwischenmenschliche Begegnung orientiert sich, wie jedes
zwischenmenschliche Beisammensein, an bestimmten Handlungsmustern und Regeln, die eng
mit den derzeitig geltenden gesellschaftlichen Normen und Werten verknüpft sind und die ge-
samte Begegnung (vom Anfang, bis zum Ende) begleiten. Über den verbalen, oder nonverbalen
Austausch von Symbolen und Zeichen schaffen die Beteiligten einen Bedeutungsraum, in dem
Beide mit bestimmten Erwartungen an sich selbst, das Gegenüber und den Verlauf der Kommu-
nikation herantreten und ihre Handlungen reziprok und interaktiv aufeinander abstimmen und
beziehen (vgl. Watzlawick, Beavin & Jackson, 2000).
Eine Zeit, in der sich die gesellschaftliche Legitimation des Koitus auf das Beziehungsmodell
der Ehe beschränkte, gehört nun seit mehr, als zwei Generationen, der Vergangenheit an. Heut-
zutage wird von einer individualisierten (Beck, 2008) und sexuell liberalisierten Gesellschaft
gesprochen, die eine zunehmende Pluralisierung der Beziehungs- und Sexualformen ermöglicht,
die, dank der sexuellen Revolution der 1970er Jahre für das männliche, sowie das weibliche
Geschlecht gelte. Ob in serieller, oder synchroner Form, ob als Dyade, oder Gruppe, ob mit
wechselnden, oder beständigen SexualpartnerInnen, ob in einer Beziehung, oder außerhalb, ob
hetero-, oder homosexuell, ob im zwischenmenschlichen Face-to-Face-Kontakt, oder anonym
im Internet-Chat: im Bereich der zwischenmenschlichen Sexualität stehen den Individuen der
heutigen Gesellschaft eine Vielfalt an Begehrensformen zur Verfügung, um ihre Sexualität aus-
zuleben (vgl. Funk & Lenz, 2005, S. 75ff.; Sigusch, 2011).
So kann auch das, bis dato noch unerforschte Konstrukt One Night Stand (ONS) als eine mögli-
che Sexualform angesehen werden, die den beteiligten Individuen eine sexuelle Begegnung
ermöglicht.

1 Einleitung
4
Wie wird nun das Konstrukt ONS ge- und erlebt?
Um sich einer Antwort auf diese Frage nähern zu können, wird sich in dieser Arbeit mit folgen-
den Fragenkomplexen auf theoretischer und empirischer Ebene auseinandergesetzt:
Welche Handlungsphasen begleiten den ONS?
Welche Funktionen lassen sich für den ONS ableiten?
Unterscheidet sich bei einem ONS das sexuelle Erleben und Verhalten bei Männern und Frau-
en?
Welche Indikatoren, Merkmale und Dimensionen können das Konstrukt ONS beschreiben?
Obwohl sich in vielen politischen, sowie kulturellen Bereichen der westlichen Kultur um eine
Geschlechtergleichstellung bemüht wird, ist anzunehmen, dass gerade auf dem Gebiet der Se-
xualität weiterhin Geschlechterdifferenzen bestehen, die sich durch geschlechtsunterschiedliche
sexuelle Verhaltens- und Erlebensqualitäten äußern (vgl. Funk & Lenz, 2005, S. 73f.). Schon
während der Vorarbeiten auf diese Arbeit zeichnete sich eine Tendenz der Fehlinterpretation
durch das männliche Geschlecht ab. Durch die Thematisierung des Untersuchungsgegenstands
ONS wurde in einigen privaten Gesprächen (aus der weiblich forschenden Perspektive) eine
Aktualisierung des damit verbundenen sexuellen Skripts wahrgenommen und als Angebot einer
sexuellen Kommunikation missverstanden. Um durch etwaige Missverständnisse entstehende
Antwortverzerrungen im empirischen Teil zu vermeiden und eine Absicherung der Forscherin
zu gewährleisten, findet in dieser Arbeit eine Fokussierung auf das heterosexuelle, weibliche
Geschlecht statt, ohne jedoch eine Diskriminierung des männlichen Geschlechts zu beabsichti-
gen.
Die theoretische Auseinandersetzung mit dem Konstrukt ONS findet in Kapitel 2 statt. Darin
wird in Kapitel 2.1 zuerst das Konstrukt ONS, in Verbindung mit dem Konzept der Sexualform
(Lautmann, 2002) behandelt und eine vorläufige Definition des ONS auf theoretischer Ebene
vorgenommen.
Mit dem Ziel, erste Aussagen über die Funktionen des ONS zu treffen, widmet sich Kapitel 2.2
der Frage, weshalb Individuen und speziell Frauen in unserer heutigen Gesellschaft einmalig
sexuell aktiv werden. Hierzu werden, nach einer kurzen Vorstellung des Sexualitätsbegriffs, drei
unterschiedliche Sexualtheorien diskutiert und zu der weiblichen Funktion des One Night
Stands (ONSs) in Bezug gesetzt. Unter Berücksichtigung der kulturellen Veränderungen, die
sich auch auf die gelebte menschliche Sexualität auswirken, geht es in Kapitel 2.3 vorerst um
den möglichen Einfluss bestehender Geschlechtsunterschiede auf das Konstrukt des ONSs, um
abschließend der Frage nachzugehen, welche Phasen die sexuelle Kommunikation einer ersten
sexuellen Begegnung und somit auch das sexuelle Skript des ONSs begleiten können.
An dieser Stelle wird der Fokus auf das tatsächliche Erleben und Verhalten während eines
ONSs (aus der weiblichen Perspektive) geworfen und der empirische Teil der Arbeit eingeleitet.
Um das noch unerforschte Konstrukt ONS aus der weiblichen Perspektive empirisch erfassen zu
können, wurden qualitative, leitfadengestützte Interviews mit acht Frauen durchgeführt, die
mithilfe von den im Kapitel 3 vorgestellten Forschungs-, Erhebungs-, und Auswertungsmetho-
den ausgewertet wurden.

1 Einleitung
5
Die gewonnenen Ergebnisse werden in Kapitel 4 vorgestellt und unter theoretischer Bezugnah-
me analysiert. Dabei wird an geeigneten Stellen auf weiterführende Betrachtungen aufmerksam
gemacht. Hierbei werden zunächst die Phasen und Besonderheiten der sexuellen Kommunikati-
on des ONSs beschrieben und anschließend in einem Phasenmodell des ONSs zusammenge-
fasst. Abschließend werden die, aus den Interviews abgeleiteten Funktionen, sowie die ge-
schlechtsunterschiedlichen Einflussfaktoren vorgestellt, die sich auf den ONS zwischen zwei
heterosexuell orientierten Individuen auswirken.
Das Ziel dieser Arbeit ist eine theoretische und empirische Exploration des Konstrukts ONS.
Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen als Anlass für weitere wissenschaftliche Auseinanderset-
zungen mit dem Untersuchungsgegenstand ONS angesehen werden, die nicht zuletzt auch die
männliche Perspektive berücksichtigen.
Um einen nichtsexistischen Sprachgebrauch zu gewährleisten, ohne jedoch die Leserlichkeit der
Arbeit negativ zu beeinflussen, wurde versucht, die gewählten angleichenden Stilmittel des
Binnen-Is, sowie die Großschreibung anderer variabler Elemente (wie eineR) nur in Ausnah-
mefällen zu benutzen, wenn andere neutralisierende Sprachstile nicht angewendet werden konn-
ten.
In dieser E-Book-Ausgabe wurden Quellenverweise, die auf die transkribierten Interviews ver-
weisen, entfernt. Sollte ein Interesse an den Transkriptionen bestehen, wird eine Kontaktauf-
nahme mit der Autorin per E-Mail empfohlen: christinekailing@googlemail.com

2 Theoretische Grundlagen
6
2
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
Um sich dem noch nicht wissenschaftlich erforschten Konstrukt des ONS auf theoretischer
Ebene zu nähern, wird der ONS zunächst im Kapitel 2.1 begrifflich abgegrenzt und definiert.
Eine kurze Diskussion des Sexualitätsbegriffs eröffnet das Kapitel 2.2. Schon hier werden drei
theoretische Stränge verdeutlicht, die das menschliche sexuelle Erleben und Verhalten versu-
chen, zu begründen. Unter Berücksichtigung der evolutionspsychologischen, der triebtheoreti-
schen und sexuellen Skripttheorie werden anschließend theoretische Überlegungen zu den Mo-
tiven und Funktionen angestellt, die bei einem ONS aus der weiblichen Perspektive eine Rolle
spielen können. In Kapitel 2.3 wird der Frage nachgegangen, wie sich der Ablauf eines ONS
gestalten kann. Dabei werden mögliche Einflüsse der Geschlechterdifferenzen, sowie die Pha-
sen der sexuellen Kommunikation berücksichtigt, um abschließend den empirischen Teil der
Arbeit einzuleiten.
2.1 Das
Konstrukt
ONS
Ein Konstrukt kann als gedankliche Hilfskonstruktion verstanden werden, mit dessen Hilfe man
nicht direkt beobachtbare Phänomene bezeichnet (vgl. Hanle & Drosdowski, 1975, S. 171). Da
sich der ONS nur schwer direkt beobachten lässt und er sich empirisch nur aus der retrospekti-
ven, subjektiven Sicht der jungen
1
Frau erschließen lässt, wird der Begriff ONS in der gesamten
Arbeit als Konstrukt verstanden. Zugunsten der Lesefreundlichkeit wird der Konstrukt-Begriff
im Folgenden nicht mehr explizit erwähnt.
Durch die Hinzunahme von Indikatoren lässt sich ein Konstrukt operationalisieren. Dieser An-
spruch der Operationalisierung kann in dieser qualitativ ausgerichteten Arbeit nicht verfolgt
werden. Eher geht es darum, den Begriff ONS mit Hilfe von Indikatoren und Definitionsmerk-
malen besser einordnen und gegenüber anderen Begriffen abgrenzen zu können.
Geeignete und ungeeignete Indikatoren
Auf welches Phänomen verweist die Bezeichnung ONS im Genauen? Anhand welcher Indikato-
ren lässt sich auf die Bezeichnung ONS schließen? Um sich dem Konstrukt ONS aus theoreti-
scher Sicht nähern zu können, bedarf es einer ungefähren Beschreibung dessen, was sich hinter
diesen drei Wörtern verbirgt, um dem/der LeserIn eine Vorstellung von der Bedeutung dieses
ins Deutsche übersetzten ,,eine Nacht dauernden Auftritts" geben zu können. So ist auf Seite
369 des ,,Pschyrembel Wörterbuch Sexualität" von einer ,,Bezeichnung für einen einmaligen
Sexualkontakt, bei dem i.d.R. keine längere Beziehung od. Partnerschaft beabsichtigt ist"
(Dressler & Zink, 2003, S. 369) die Rede. Im Duden handelt es sich schlicht um ein "flüchtiges
sexuelles Abenteuer für eine einzige Nacht" (Bibliographisches Institut GmbH & Mannheim)
und das englische Wörterbuch schlägt ,,a sexual relationship lasting only one night" (Definition
of one-night stand - Oxford Dictionaries) vor.
Der Weg, ein nicht eindeutig beschriebenes Konstrukt mit einem anderen uneindeutigen Begriff
1
Mit der eingrenzenden Bezeichnung ,jung` wird auf die Beschreibung der späten Adoleszenz verwiesen, die Schröder (2005) als
zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr stattfindend, definierte (vgl.Schröder (2005, S. 90 ff.)).

2 Theoretische Grundlagen
7
zu bezeichnen, käme einem tautologischen Irrpfad gleich. Deswegen wird in Abgrenzung zu
den oft synonym verwendeten Begriffen einmalige sexuelle Begegnung, einmaliger Sexualkon-
takt und (sexuelles) (Liebes-) Abenteuer die Bezeichnung ONS in dieser Arbeit als eine einma-
lige interpersonelle sexuelle Kommunikation angesehen, welche in Anlehnung an das Konzept
der sozialen Interaktion
2
verstanden werden soll. Somit ist eindeutig, dass es sich um eine Form
der Kommunikation zwischen zwei Individuen handelt, die sexuell und damit auch somatisch
geprägt ist.
Im Gegensatz zur autoerotischen Masturbation, bei der das Individuum intrapersonell sexuell
kommuniziert
3
, ist der interpersonelle Aspekt bei der Beschreibung des ONS hervorzuheben
(vgl. Dressler Zink, 2003, S. 321). Im Unterschied zum Begriff der Prostitution, oder der
Vergewaltigung ist bei dem ONS die Prämisse der Freiwilligkeit herauszustellen (vgl. ebd., S.
415). In Abgrenzung zu dem im Volksmund geprägten Begriff der ,,Fickbeziehung", beschränkt
sich das Konstrukt des ONS auf eine einmalige sexuelle interpersonelle Kommunikation. Die
Affäre und die Freundschaft mit Vorzügen, die auch auf einen längeren Zeitraum, als der ONS
angelegt sind, betonen im Vergleich zur ,,Fickbeziehung" den emotionalen, bzw. freundschaft-
lichen Anteil (vgl. ebd., S. 8).
Die Begriffe Flirten (frz. Fleurette - schmeicheln), Cruising (engl. to cruise - kreuzen), Petting
(engl. to pet - streicheln) und Necking (engl. to neck - schmusen) können, wie auch das Kon-
strukt des ONS, als jeweils eigenständige Sexualformen, aber vermutlich auch als mögliche
Bestandteile des ONS angesehen werden (vgl. ebd., S. 145, 75, 395, 355). Im Vergleich zum
ONS, steht der Sexualakt als solcher dabei jedoch nicht im Zentrum, sondern schließt die Ver-
wendung der Begriffe sogar aus.
Der Begriff Seitensprung setzt im Vergleich zum ONS eine externe Partnerschaft
4
von mindes-
tens einer der beteiligten Personen voraus (vgl. ebd., S. 473). Da ein ONS aber auch zwischen
Menschen stattfinden kann, von denen sich mindestens eineR der Beteiligten in einer externen
Partnerschaft befindet, wird der sexuelle Außenkontakt als Form des ONS berücksichtigt.
Aus den Beschreibungen und Definitionen aus der Fach-, Duden- und Wörterbuchliteratur, so-
wie aus den Abgrenzungsvorschlägen zu anderen Begriffen, können nun, wie in Tab. 1 abgebil-
det, erste eingrenzende Indikatoren abgeleitet werden, die in Kombination als Definitionsmerk-
male des Begriffs ONS gelten sollen:
Definititionsmerkmale
· Einmaligkeit
· Sexuelle Kommunikation
· Interpersonalität
· Freiwilligkeit
· Intimität
Tabelle 1 Definitionsmerkmale des ONS
2
Unter sozialer Interaktion wird in dieser Arbeit ,,das Insgesamt dessen [verstanden], was zwischen zwei oder mehr Menschen in
Aktion und Reaktion geschieht" (Lersch, 1965, S. 53). Die Betonung bei dieser Definition liegt auf dem doppelseitigen Gesche-
hen (näheres zu dem Konzept der sozialen Interaktion in Asendorpf und Banse, 2000, S. 3­9).
3
Dass Individuen während der autoerotischen Masturbation intrapersonell kommunizieren, stellte beispielsweise Hartmann in
seiner Untersuchung zu den Inhalten und Funktionen sexueller Phantasien fest (vgl. Hartmann, 1989, S. 77ff., 88ff.).
4
Mit Partnerschaft soll jede Form der persönlichen Beziehung verstanden werden, in der Sexualität eine Rolle spielt (z.B. Liebesbe-
ziehung, Ehe, Freundschaft mit Vorzügen, offene Beziehung)

2 Theoretische Grundlagen
8
ONS als Sexualform
Das Konstrukt ONS wird in dieser Arbeit als Sexualform betrachtet, in der die beteiligten Indi-
viduen interpersonell miteinander sexuell kommunizieren. Der Begriff der Sexualform wird von
Lautmann (2002) ausgiebig erläutert und von anderen Begriffen, wie beispielsweise der sexuel-
len Präferenz, oder Veranlagung abgegrenzt (näheres dazu in Lautmann, 2002, S. 171­178).
Sexualformen beschreibt er als ,,[...] ein gesellschaftliches Repertoire möglicher Richtun-
gen[...], in ihrer Gesamtheit eine Art Landkarte der Begehrenswege" (ebd., S.175). Mit diesem
Konzept der Sexualform werden vor allem die soziokulturellen Vorgaben hervorgehoben, ohne
jedoch die natürlichen und individuell-psychischen Momente zu vernachlässigen (vgl. ebd., S.
175). Zudem wird die aus der Soziologie stammende Individualisierungsthese angesprochen: Im
Laufe von Differenzierungsprozessen, in denen die Rollenpluralität zunimmt, bilden sich auch
im Bereich der Sexualität spezialisierte und differenzierte Sexualformen aus ­ und der ONS
kann als eine solche angesehen werden.
Dimensionen und mögliche Ausprägungen
Wie in Kapitel 2.3 ausgiebig behandelt wird, lässt sich ein Unterschied in der sexuellen Kom-
munikation, bezogen auf die Ein- bzw. Zweigeschlechtlichkeit erwarten. Der ONS kann sich
zwischen fremden, oder bekannten Personen abspielen (Bekanntheitsgrad). Es können zwei,
oder mehrere Personen an einem ONS beteiligt sein (Anzahl der Beteiligten). Beide Kommuni-
kationspartnerInnen können sich in einer externen Partnerschaft befinden, nur eineR der Betei-
ligten, oder keineR (Beziehungsstatus) der Beiden.
Vorerst werden die in Tab. 2 abgebildeten, vier Dimensionen des ONS, mit den dazugehörigen
möglichen Ausprägungen, hypothetisch postuliert:
Dimensionen
Ausprägungen
Bekanntheitsgrad
· fremd
· bekannt
Beziehungsstatus
· ledig
· externe Partnerschaft auf einer Seite
· externe Partnerschaft auf beiden Seiten
Geschlechtlichkeit
· Mann-Mann
· Frau-Frau
· Mann-Frau
Anzahl der Beteiligten
· 2 (Dyade)
· 2
Tabelle 2 erste hypothetisch generierte Dimensionen und Ausprägungen des ONS
Sexualformationen des ONS
Abhängig davon, wie sich die bestimmenden Faktoren der vier besagten Dimensionen jeweils
kombinieren, lassen sich innerhalb der Sexualform ONS zahlreiche Sexualformationen bilden.
Als Sexualformationen können jene Strukturmuster verstanden werden, in denen das Ge-
schlechtliche unter dem Aspekt des Begehrens gelebt wird. Jede Sexualformation ist eigenstän-
dig aufgebaut und besitzt ihre Geschichte, ihren ideologischen Kern und ihren sozialen Kontext
(vgl. ebd., 2002, S. 171). Von Lautmann (2002) werden die Begriffe Sexualform und Sexual-
formation nicht weiter in Relation gesetzt. In dieser Arbeit stellt die Sexualform den Oberbegriff
dar, in der, abhängig von den jeweiligen Dimensionsausprägungen, unterschiedliche Sexualfor-
mationen möglich sind.

2 Theoretische Grundlagen
9
Um alle Sexualformationen des ONS zu erfassen, bedarf es vieler empirischer Untersuchungen
und Fragestellungen. Unter Berücksichtigung der ersten drei Dimensionen lassen sich jedoch
schon verschiedene Sexualformationen des ONS bilden. Diese werden in der folgenden 40-
Felder-Matrix veranschaulicht.
mögliche Sexualformationen der Sexualform ONS
Bekanntheitsgrad
fremd
bekannt
eingeschlechtlich
5
zweigeschlechtl.
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Mann-Mann
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Partnerschaft befindet
Tabelle 3 40-Felder-Matrix der hypothetischen Sexualformationen der Sexualform des Konstrukts ONS
Zusammenfassung
Unter Berücksichtigung der zuvor getroffenen Eingrenzungen wird das Konstrukt ONS im theo-
retischen Teil der Arbeit als intime, einmalige, freiwillige, sexuelle interpersonelle Kommu-
nikation verstanden. Dabei können die KommunikationspartnerInnen demselben, oder unter-
schiedlichem Geschlecht angehören und sich völlig fremd, oder bekannt sein.
Diese vorläufige Beschreibung soll für die theoretische Auseinandersetzung als Orientierung
gebraucht werden, bleibt aber in dem Sinne offen, dass sie in dem Ergebnisteil durch die Er-
kenntnisse aus dem empirischen Teil der Arbeit modifiziert, oder ergänzt werden kann.
Um eine spezifische und klare Auseinandersetzung auf theoretischer Ebene zu ermöglichen,
wird sich für den anschließenden theoretischen Teil auf die Sexualformation des zweige-
schlechtlichen ONS unter zwei ledigen Fremden (s. farbliche Hervorhebung in Tabelle 3) be-
grenzt.
5
Die zweigeschlechtliche Unterscheidung bezieht sich auf die individuell empfundene Geschlechtsidentität.

2 Theoretische Grundlagen
10
2.2 Weshalb wird frau (one night) intim?
Die Frage, weshalb sich eine junge Frau für einen ONS entscheidet, welche Erwartungen sie
daran stellt, welche dahinterliegenden Motive sie zu der Entscheidung bringen, mit einem ande-
ren Menschen eine Nacht zu verbringen und mit ihm sexuell zu kommunizieren, lässt sich wis-
senschaftlich so einfach nicht beantworten. Zunächst muss die zugrundeliegende Frage gestellt
werden: Weshalb kommt es zwischen zwei Individuen zur einmaligen sexuellen Interaktion,
und noch essentieller: Weshalb werden Individuen generell in unserer Gesellschaft sexuell ak-
tiv?
2.2.1 Sexualität
Erotik, Sex, Liebe, das Sexuelle, und nicht zuletzt die Sexualität selbst sind Begriffe und Kon-
zepte, die im Alltags-, aber auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch, viele ähnliche, aber
auch teils unterschiedliche Bedeutungen besitzen.
Allein schon wegen der thematischen Nähe zu dem Untersuchungsgegenstand des ONS aus
weiblicher Sicht, bietet sich der Begriff Sexualität in dieser Arbeit an, als Oberbegriff zu fun-
gieren und einer näheren Betrachtung unterzogen zu werden. Zudem macht die folgende Be-
griffseingrenzung auf ein generelles Problem aufmerksam, dass sich einstellt, wenn man sich
näher mit dem Themenkomplex der Sexualität beschäftigt: Es gibt bis heute keine grundlegende
Sexualtheorie, auf die sich die Sexualwissenschaft und alle angrenzenden Wissenschaften aus-
schließlich beziehen. Um die Komplexität des Sexualitätsbegriffs zu verdeutlichen, wird er im
Folgenden zunächst anhand dreier, von Dressler und Zink (2003) eingeführten Grund-
Dimensionen ausschnittsweise vorgestellt.
Wie in Tab. 4 verdeutlicht, kann der Begriff Sexualität in drei Dimensionen grob unterteilt
werden: die a) somatische/natürliche, die b) psychische und die c) soziokulturelle. Die einzelnen
Dimensionen sind hierbei oft miteinander verquickt und somit nicht klar voneinander abzugren-
zen (vgl. Dressler Zink, 2003, S. 485f.).
Sexualität
Dimensionen
a) somatisch/ natürlich
b) psychisch
c) soziokulturell
Tabelle 4: Sexualität (angelehnt an Dressler Zink, S.486, 501)
a) Das natürliche Moment der Sexualität
Der Begriff Sexualität wurde erstmals durch die Botaniker August Henschel und Franz Schel-
ver (1820) in dem Buch Von der Sexualität der Pflanzen eingeführt. Sie benutzten ihn, um die
Geschlechtlichkeit und Fortpflanzung von Pflanzen zu beschreiben (vgl. Henschel Schelver,
1820). Diese Beschreibung wurde dann im Laufe des Jahrhunderts auf die menschliche Zweige-
schlechtlichkeit übertragen. So entwarf Charles Darwin im Jahr 1838 die Evolutionstheorie, laut
der die menschliche Sexualität, nicht anders als die tierische, der geschlechtlichen Fortpflan-
zung diene (vgl. Meston Buss, 2010, S. 17).
Durch die introspektive Psychologie wurde die Sexualität Ende des 19. Jahrhunderts als trieb-
hafte Erscheinung beschrieben, die sich gewissermaßen bewusst dämpfen oder hemmen lasse,
im Wesentlichen aber ein unbewusstes, biologisches Phänomen sei. Damit wurde die Sexualität

2 Theoretische Grundlagen
11
ausschließlich auf das Feld der Biologie gelegt (vgl. Buda, 1977, S. 20).
Der Biologe und Sexualforscher Alfred C. Kinsey (1955) definierte Sexualität lediglich als ,,je-
des Verhalten [...], das in einen Orgasmus mündet" (Kinsey, 1955, zitiert nach Lautmann, 2002,
S. 23) - eine wahrlich biologisch-medizinische Operationalisierung des Sexualitätsbegriffs, der
das psychische, sowie das soziale Moment unberücksichtigt lässt.
Die biologische Dimension als maßgeblichen Wirkmechanismus für das menschliche Sexual-
verhalten betrachtend, jedoch die psychosozialen Aspekte einbeziehend, schlugen Masters,
Johnson und Kolodny 1982 vorsichtig vor, ,,unter Sexualität vielleicht doch eher den persönli-
chen Spielraum, die persönliche Bandbreite individueller Verwirklichungsmöglichkeiten [zu]
begreifen als das rein körperliche erotisch-sexuelle Reaktionsvermögen eines Menschen" (Mas-
ters, Johnson Kolodny, 1993, S. 9).
b) Das individuell-psychische Moment der Sexualität
Für den Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud war Sexualität ein essentieller Begriff
seiner bis heute einflussreichen Triebtheorie. Auf den Lebenstrieb (Eros) seien, zusammen mit
dem von Freud später eingeführten Todestrieb (Thanatos), alle Beweggründe menschlichen,
aber auch tierischen Handelns zurückzuführen. Eine konstruktive Energie, ein seelisch-
körperlicher Antrieb, der nicht vom Willen gelenkt erlebt wird, ein ,,dem belebten Organischen
innewohnende[r] Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes" (Lohmann, 2002, S.
52) - all diese Triebzuschreibungen werden durch die Sexualität repräsentiert. Zudem entwickelt
sich der Sexualtrieb
6
, welcher individuell in biographischen Stufen abläuft und sich im Laufe
der psychosexuellen Entwicklung individuell ausprägt- an dieser Stelle wird das individuell-
psychische Merkmal des Sexualitätsbegriffs deutlich (vgl. Dressler Zink, 2003, S. 497).
Buda (1977) bezog den Sexualitätsbegriff auf ,,sämtliche Erscheinungen, die mit der Befruch-
tung beziehungsweise mit dem Kontakt der Geschlechtsorgane in Zusammenhang stehen. Der
Zusammenhang kann auch ein ferner sein; es kann jedes Phänomen zur Sexualität hinzugehö-
ren, das mit der Reizung oder mit der Reizbarkeit der Geschlechtsorgane beziehungsweise mit
der Beziehung der Individuen beider Geschlechter zusammenhängt" (Buda, 1977, S. 48). Diese
Definition verwies schon damals auf die Flexibilität der Triebobjekte und stellte die Beziehung
zwischen den Individuen heraus. Dass sich die von Buda definierte Sexualität nur durch die
Zweigeschlechtlichkeit bildete, ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass die Homosexuali-
tät zu dieser Zeit noch zu den Aberrationen gehörte (vgl. ebd., S. 75).
c) Das sozial-erworbene Moment der Sexualität
Zu einer differenzierten, das soziale Merkmal der Sexualität hervorhebenden Definition ge-
langt der Soziologe Rüdiger Lautmann (2002):
Sexualität ist eine kommunikative Beziehung, bei der Akteure Gefühle erleben, die eine
genitale Lust zum Zentrum haben, ohne sich darauf zu beschränken. Für das sexuelle Erle-
ben ist ein Orgasmus weder notwendige noch hinreichende Bedingung und extragenital
festgemachte Emotionen gehören dazu. (Lautmann, 2002, S. 24)
6
Der Begriff Sexualtrieb wird in diesem Kontext verwendet, um das zugrundeliegende psychoanalytische Denken zu verdeutlichen.
Sexualwissenschaftlich wird heutzutage der Begriff weithin vermieden, da er den Einfluss zwingender hormoneller Vorausset-
zungen und soziokultureller Umgebungsbedingungen ausspart (vgl. Dressler Zink, 2003, S. 497). ,,Stattdessen werden Begriffe
wie sexuelle Bedürfnisse oder sexuelle Motivation bevorzugt" (ebd.).

2 Theoretische Grundlagen
12
Der Psychologe und Psychotherapeut Peter Fiedler (2010) betont zudem, im Gegensatz zur tie-
rischen Sexualität, die soziale Funktion der menschlichen Sexualität: ,,Wohl im Unterschied zu
anderen Säugetieren dient die Sexualität dem Menschen vorrangig zur Entspannung und der
intimen Erholung in der Partnerschaft"
(Fiedler, 2010, S. 130­131).
Als letztes Beispiel für die unterschiedliche Gewichtung der drei Definitionsmerkmale des Se-
xualitätsbegriffs soll die radikale sozialkonstruktivistische, bzw. postmoderne (in den Gender
Studies heute vor allem durch die Queer Theory vertretene) Sichtweise angeführt werden, die
der Sexualität das natürliche Moment vollkommen entzieht und sogar von einer Inszenierung
der Zweigeschlechtlichkeit ausgeht. Hier wird die Sexualität als Produkt historischer und kultu-
reller Bedingungen, als ein soziokulturelles Konstrukt angesehen (vgl. Bamler, 2008, S. 44­
47). Diese Sichtweise vertrat schon in den 1980er Jahren der Begründer der Diskursanalyse
Michel Foucault (1977), der den sozialen Konstrukt-Gedanken hervorhebt und die Sexualität als
eine gesellschaftlich geschaffene Symbolwelt versteht (vgl. Foucault, 1977; Giddens, 1993, S.
91).
Anhand der soeben aufgeführten, teils unterschiedlichsten Definitionen des Sexualitätsbegriffs
können, wie in Tab. 5 verdeutlicht, die einzelnen Wissenschaften mit den dazugehörigen Vertre-
tern den drei Hauptdimensionen der Sexualität zugeordnet werden.
Sexualität
Dimensionen
a) somatisch/ natürlich
b) psychisch
c) soziokulturell
Wissenschaft
· Botanik
· Evolutionstheorie
- Evolutionspsychologie
-
Evolutionsbiologie
· Psychologie
-
Psychoanalyse
-
Psychophysiologie
· Soziologie
-
Sozialkonstruktivismus
Vertreter
· Henschel
· Darwin
· Buss
· Meston
· Masters Johnson
· Freud
· Foucault
· Lautmann
· Fiedler
bestimmende
Faktoren
angeboren
erworben
Tabelle 5 Sexualität

2 Theoretische Grundlagen
13
2.2.2 Sexualtheorien und Konzepte
Ausgehend von der Unterteilung des Sexualitätsbegriffs im vorangegangenen Kapitel, sollen
nun im Folgenden exemplarisch drei Sexualtheorien vorgestellt werden, deren theoretischer
Blickwinkel sich an jeweils einer der genannten drei Dimensionen orientiert. Dieses Vorgehen
wurde gewählt, um auf die große Varianz der derzeit aktuellen Theoriestränge und der dazuge-
hörigen, sehr unterschiedlichen Deutungsversuche für die menschliche Sexualität hinzuweisen.
Zudem wird zu jeder vorgestellten Sexualtheorie Bezug auf die, dem Kapitel 3.2 vorangestellte
Frage genommen: Weshalb wird frau one night intim?
a) Evolutionstheorie /-psychologie
Ganz im Sinne Charles Darwins (1809-1882) wäre die Frage, weshalb Männer und Frauen se-
xuell miteinander kommunizieren, schnell und einfach beantwortet: um das eigene Erbgut wei-
terzugeben, sich erfolgreich und differenziell fortzupflanzen und damit die eigene Fitness
7
zu
erhöhen (vgl. Meston Buss, 2010, S. 17). Dafür halten Männer nach ,,jungen, attraktiven
[und] gebärfähigen Frauen Ausschau" (Heidbrink, 2009, S. 134). Frauen hingegen gehen, auf-
grund der hohen Investition einer Schwangerschaft, wählerischer vor und präferieren bei ihrer
Auswahl einen investitionswilligen Partner, der für ihren persönlichen Reproduktionserfolg
besonders dienlich ist. Hierbei legen sie mehr Wert auf den älteren ,,Mann mit Qualität
8
" und
hohem Status, der mit guten Genen voran geht. Frauen lernen den ausgewählten Partner vor
einer möglichen sexuellen Zusammenkunft kurz kennen, um festzustellen, ob dieser über genü-
gend Ressourcen verfügt, um in ihren Nachwuchs zu investieren (vgl. Asendorpf Banse,
2000, S. 165­169; Keller, 1998, S. 570). Zusammengefasst heißt das für die PartnerInnenwahl:
,,Männer suchen Frauen, die Kinder verheißen, während Frauen Männer suchen, die deren Er-
ziehung und Versorgung garantieren können" (Vogel, 1994, S. 26).
Geschlechtsunterschiedliche EPMs steuern (sexuelles) Verhalten
Für die, dem menschlichen Verhalten zugrundeliegenden, biologisch determinierten, universel-
len Merkmale seien sogenannte EPMs
9
verantwortlich, die sich im Laufe von Generationen, als
bereichsspezifische Lösungen bestimmter Anpassungsprobleme bildeten und unbewusst im
Individuum wirken. Das sexuelle Erleben und Verhalten ist durch eine Vielzahl solcher gene-
tisch vererbten, an die Umweltanforderungen adaptierten, Mechanismen gekennzeichnet. Dies
postuliert zumindest die Evolutionspsychologie (vgl. Asendorpf Banse, 2000, S. 168).
Einen Beleg für geschlechtsunterschiedliche EPMs der PartnerInnenpräferenz demonstriert eine
Untersuchung von Kenrick (1994), in der er Frauen und Männer hinsichtlich der PartnerInnen-
auswahl befragte. Dabei bezieht er sich auf die unabhängige Variable Verbindlichkeit der Be-
ziehung und die abhängige Variable minimale Intelligenz, die vom potentiellen Partner gefor-
dert wird (vgl. Kenrick, 1994, S. 75­121). In Abbildung 1 wird der Geschlechtsunterschied im
Antwortverhalten der UntersuchungsteilnehmerInnen deutlich.
7
Fitness steht in diesem Zusammenhang für das Erzeugen möglichst vieler Nachkommen und wird an der Zahl der Nachkommen
gemessen.
8
Unter Qualität wird hier die uneingeschränkte Investition der Eltern in die Maximierung der Chancen ihrer Kinder, selbst
Nachwuchs zu zeugen, verstanden (vgl. Asendorpf und Banse, 2000, S. 169).
9
EPM steht für evolvierter psychologischer Mechanismus und ist ein zentraler Begriff der Evolutionsbiologie (ausführlich in
Buss, 1995, S. 1­30).

2 Theoretische Grundlagen
14
Abbildung 1: ,,Geforderte minimale Intelligenz bei einem potentiellen Partner in Abhängigkeit vom Ge-
schlecht und der Verbindlichkeit der Beziehung" (entnommen aus Asendorpf 2000, S.173)
Weibliche Befragte gingen bei der potentiellen Partnerwahl wählerischer vor, als männliche.
Ein Mindestmaß an ,,männlicher" Intelligenz spielte für die befragten Frauen eine entscheiden-
de Rolle, egal um welche der vorgeschlagenen Beziehungsformen es sich handelte. Dank die-
sem EPM ,,bestimmtes Mindestmaß an Intelligenz", gepaart mit weiteren wirkenden EPMs, die
den Status und die Ressourcen des potentiellen Sexualpartners bewerten und anschließend die
Bereitschaft für einen Sexualkontakt regulieren, erhöhen sich die Reproduktionschancen für die
Frau.
Hat der ONS aus einer evolutionspsychologischen Perspektive eine
nachvollziehbare Funktion für Frauen?
Bezogen auf den ONS erweist sich die evolutionstheoretische Begründung eines Vorteils für
Frauen nicht nur auf den ersten Blick als problematisch. Allein die Tatsache des einmaligen
sexuellen Kontakts spricht gegen die Annahme, dass Frauen ihre potentiellen Sexualpartner erst
kennenlernen wollen, um deren Qualität einschätzen zu können (vgl. Asendorpf Banse, 2000,
S. 170-172).
Nun könnte es jedoch sein, dass alle Frauen, die einen ONS erleben, im Eigentlichen keine ein-
malige sexuelle Kommunikation planen, sondern, wie Buss und Schmitt (1993) postulieren,
andere Intentionen verfolgen, die für sie wiederum einen Reproduktionsvorteil darstellen (vgl.
Buss Schmitt, S. 218 ff.). Reproduktionsvorteile ergeben sich in diesem Fall, wenn der kurz-
fristige sexuelle Kontakt dazu dient, ,,einen potentiellen Langzeitpartner zu evaluieren, direkt in
den Genuss von Schutz oder Ressourcen zu kommen und die Genqualität des Nachwuchs zu
erhöhen" (Asendorpf Banse, 2000, S. 179). Der von Buss und Schmitt konstatierte Reproduk-
tionsvorteil für das weibliche Geschlecht bei einem kurzfristigen sexuellen Kontakt lässt sich
hierbei schwer nachvollziehen: Die Frau hat nun zwar einen ausreichend klugen Partner mit
einer hocheingeschätzten Reproduktionserfolgs-Chance, der auch in die Nachkommenschaft
investieren würde und sie und ihr Kind durch die Schwanger- und Stillzeit ernähren könnte,
dank der wirksam gewordenen EPMs ausgewählt. Nur beschränkt sich bei einem ONS die An-
wesenheit dieses Partners vorzugsweise auf den Zeitpunkt der Befruchtung ihres Ovars. Die

2 Theoretische Grundlagen
15
investitionswillige genetische Disposition des Mannes kann somit nicht aktiv werden und die
Frau muss sich selbst um die Ernährung des heranwachsenden, mit guten Genen ausgestatteten,
Kindes bemühen.
Wenn evolutionspsychologisch angenommen wird, dass eine Frau einen ONS aufgrund eines
bestimmten EPM hat, ,,der unter [den gegebenen] Reizbedingungen bestimmte Reaktionen von
ihr hervorbringt, oder begünstigt" (Asendorpf Banse, 2000, S. 183), jedoch, wie Asendorpf
Banse annehmen, diesen Mechanismus auch bewusst durch eigene Motivation unterdrücken
kann, bleibt noch die Frage zu klären, weshalb es Frauen gibt, die mehr, als einen ONS in ihrem
Leben haben. Nach dem Erleben des ersten ONS, bei dem das eigentliche Ziel der Versorgung
durch den potentiellen Erzeuger ausgeblieben ist, sollte dieser EPM doch dann unter ähnlichen
Reizbedingungen bewusst unterdrückt werden.
Abwendung von evolutionspsychologischen Ansätzen zur Erklärung
des ONS
Eine andere evolutionspsychologische Sichtweise wird von Asendorf Banse (2000) angespro-
chen, die die generelle Anpassungsleistung an kulturelle Begebenheiten und Umwelteinflüsse
selbst als ein eigenes genetisches Merkmal definiert (Asendorpf Banse, 2000, S. 182 f.). Un-
ter dieser Annahme sollte das Merkmal der kulturellen Entwicklung in ihrem rasanten Tempo,
das sich eher sukzessiv entwickelnde Merkmal der biologischen Evolution überholt haben, so-
dass sich aus dem Verhalten nicht mehr auf genetische Universalien schließen lässt. In diesem
Fall kann die biologische Ausstattung nicht mehr als Handlungsstruktur angesehen werden,
sondern lediglich als Handlungsprämisse. Diese Folgerung schließt letztendlich eine wissen-
schaftlich logische, alleinige evolutionspsychologische Erklärung von Denkens- und Verhal-
tensmustern der Spezies Homosapiens im 21. Jahrhundert generell und im Speziellen aus. Dem-
nach wird, trotz der wahrgenommenen starken Resonanz im populärwissenschaftlichen Denken,
eine weitere Diskussion des gesamten Themenkomplexes dieser Arbeit aus evolutionspsycholo-
gischer Perspektive fortan abgelehnt (vgl. Funk Lenz, 2005, S. 123).
Eine schlüssige Begründung für die Geschlechtsunterschiede, die die oben genannte Untersu-
chung zur Partnerwahl feststellten, lässt sich schnell konstruieren, wenn der Blick von evoluti-
onspsychologischen Theorien entfernt und hin zu sozialpsychologischen und soziologischen
Denkschulen gelenkt wird. Wenn Individuen nicht nach einem naturgegebenen Plan handeln,
sondern lernfähige und vor allem sozial-lernfähige Lebewesen sind, die in eine bestimmte Kul-
tur geboren und durch sie beeinflusst werden, ist zu erwarten, dass sich die kulturspezifischen
Normen, Einstellungen, Geschlechtsstereotypen, Selbst- und Fremdbilder gegenüber der inter-
nalisierten Geschlechtsrollen und -identitäten, auch in den individuellen Antworten im Fragebo-
gen, oder im Verhalten wiederspiegeln (vgl. Alfermann, 1996, S. 139­146). Wenn eine allge-
meine geschlechtsstereotype implizite Regel beinhaltet, dass Männer beim Sex nicht wählerisch
zu sein haben, es sich für Frauen hingegen nicht gehört, den `Erstbesten´ mit nach Hause zu
nehmen, ist zu vermuten, dass diese Regeln auch in internalisierter Form auf individueller Ebe-
ne wirken und das (Antwort-) Verhalten, bezogen auf die PartnerInnenwahl, genauer: die Vari-
able ,,minimale Intelligenz des Sexualpartners", beeinflusst.
Ob die Triebtheorie einen bereichernden Beitrag zu der Frage der weiblichen Motive für einen
ONS liefern kann, soll der/die LeserIn im nächsten Abschnitt erfahren.

2 Theoretische Grundlagen
16
b) Triebtheorie
Im Gegensatz zu der Evolutionstheorie, die den Sinn der menschlichen Sexualität vorrangig der
Fortpflanzung zuschreibt und ihr eine biologische Determiniertheit unterstellt, hebt die
Triebtheorie ihren individuellen, transformierenden, selbsterhaltenden und persönlichkeitsfor-
menden Aspekt hervor. In den späteren Werken Freuds wird der Trieb als Grenzbegriff zwi-
schen psychologischer und biologischer Auffassung beschrieben (vgl. Freud, 1978, S. 410). Im
Gegensatz zu Tieren, organisiert sich das menschliche Sexualverhalten mit der Entwicklung der
Persönlichkeit und ist nicht ab dem Moment der Geschlechtsreife vollkommen (vgl. Buda,
1977, S. 41).
Die 4 Qualitäten des Triebes
Wie schon in Kapitel 2.2.1 erläutert, repräsentiert laut Freud die menschliche Sexualität den
Lebenstrieb Eros. Dieser Lebenstrieb und somit auch die Sexualität wirken von Geburt an auf
die menschliche Psyche und auf das Verhalten jedes Individuums ein. Triebe weisen folgende
Qualitäten auf: Quelle, Drang, Ziel und Objekt. Ein somatischer Reiz (Quelle) löst einen Drang
in der Psyche des Individuums aus, wieder in den Zustand zu gelangen, als der Reiz noch nicht
aktiv war. Dazu sucht sich das Individuum unbewusst eine reale Befriedigungsmöglichkeit (Ob-
jekt
10
), mit dem Ziel der Befriedigung, einer Erleichterung der Erregungsspannung, also der
Aufhebung des somatischen Reizes. Welche äußeren Objekte ausgewählt werden, ist dabei be-
dingt flexibel (vgl. Kutter, 2008, S. 106).
Flexible Abwehrmechanismen ermöglichen individuelle Entwicklung
der menschlichen Sexualität
Wenn das eigentliche Triebobjekt im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung nicht mehr zugäng-
lich ist, kommt es oft zu einer Objektverschiebung. So verschiebt sich das Objekt der Mutter-
brust nach dem Abstillen oft auf andere Objekte, wie den Daumen, oder den Schnuller. Wenn
dem Kind im Laufe der Erziehung der Schnuller nun auch im Zuge erzieherischer Konventionen
verwehrt wird, hat das Kind beispielsweise die Möglichkeit, an seinen Fingernägeln zu kauen,
um seine Libido
11
abzuleiten. Diese Form der Objektverschiebung kann als selbstverletzendes
Verhalten und deshalb als pathologischer Abwehrmechanismus angesehen werden. Dieses Ver-
halten kann sich auch im Fall einer Kontaktarmut durch die Mutter in der zweiten Hälfte der
oralen Phase ausbilden und es kommt zu einer Fixierung der oralen Phase (vgl. Werner Lan-
genmayr, 2006, S. 109). Wenn sich das Verhalten der Mutter zu sehr, oder zu wenig auf die
Triebbefriedigung des Kindes ausrichtet, kann dies schwerwiegende Folgen für die psychische
Entwicklung des Kindes haben. So kann eine übermäßige Verwöhnung in der oralen Phase eine
Anlage zur Sucht begünstigen (vgl. Elhardt, 1990, S. 97). Eine Nikotinabhängigkeit im Erwach-
senenalter kann somit beispielsweise als Folge einer Verwöhnung in der oralen Phase, verbun-
den mit einer Objektverschiebung angesehen werden.
Durch kollektive Hemmungen, wie Tabus und gesellschaftliche Normen kann sich die Libido
10 Der Objektbegriff dient als Sammelbezeichnung für Gegenstände, aber auch für Personen (vgl. Dressler und Zink, 2003,
S. 365).
11 Mit Libido wird die Energie des Sexualtriebs bezeichnet, die den Menschen dazu veranlasst, aus den erogenen Zonen des
Körpers Lust zu gewinnen. Sie kann nach Buda als die konstruktive, nach Lustgewinn strebende Energie betrachtet werden, die
allen psychischen Vorgängen zugrunde liegt (vgl. Buda, 1977, S. 40ff.).

2 Theoretische Grundlagen
17
auch auf andere ,,höhere" Ziele richten. Dieser Abwehrmechanismus wird Sublimierung ge-
nannt. Hierbei wird das ursprüngliche sexuelle Ziel auf ein vermeintlich höheres, nicht sexuelles
Ziel umgelenkt. Das kann eine intellektuelle Arbeit, oder eine kulturell anerkannte Verhaltens-
weise sein (vgl. Dressler Zink, 2003, S. 525).
Wie sich ein Individuum im Erwachsenenalter verhält, wie es denkt und fühlt, hängt demnach,
laut triebtheoretischen Überlegungen davon ab, wie es seine Libido im Laufe seines psychose-
xuellen Reifungsprozess ableiten, Zielobjekte verschieben und Triebziele in höhere, nicht sexu-
elle psychische Ebenen sublimieren konnte. Weitere Abwehrmechanismen, wie z.B. Projektion,
Übertragung, Regression, Verdrängung und Unterdrückung tragen ebenso der Persönlichkeits-
entwicklung bei (vgl. ebd., S. 5).
Es gibt demnach kein universelles Sexualverhalten, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt nur
noch durch innere, oder äußere Reize ausgelöst wird. Vielmehr bildet sich das menschliche
Sexualverhalten individuell aus, kann verschiedene Formen annehmen und sich auf verschiede-
ne Objekte beziehen.
Funktionen der interpersonellen sexuellen Kommunikation aus trieb-
theoretischer Sichtweise
Die Frage, weshalb Individuen miteinander sexuell kommunizieren, ist nach der triebtheoreti-
schen Perspektive schlicht zu beantworten: die an der Kommunikation Beteiligten können durch
die interpersonelle sexuelle Kommunikation ihre Libido ableiten, um wieder in einen Zustand
vor dem Auftreten der Triebquelle zu gelangen. Es können sich theoretisch unendlich viele Va-
riationen der interpersonellen sexuellen Kommunikation ergeben. Bei all diesen Sexualformen
verfolgt das Individuum vorrangig das Ziel, Libido abzuleiten. Auf welche Objekte sich dabei
die Libido richtet, hängt davon ab, welche Abwehrmechanismen und Objektbesetzungen sich
während der psychosexuellen Entwicklung gebildet haben.
So ist die Frage durchaus berechtigt, weshalb sich das Individuum nicht für die effektivste Me-
thode der Libido-Ableitung entscheidet und sich, bei dem Verspüren eines Drangs, autoerotisch
selbst befriedigt. Weshalb besteht der Wunsch, die Libido-Ableitung mit und durch eineN (Se-
xual-)PartnerIn zu erleben? Ein Blick auf die Gefühlswelt, die sich in jedem Individuum mit der
psychosexuellen Entwicklung bildet und ausformt, kann auf diese Frage eine schlüssige Ant-
wort geben. Gerade in den frühen Phasen der psychosexuellen Entwicklung ist die Zuwendung
durch die primäre Bezugsperson unerlässlich für das Leben des Neugeborenen. Bei einer kör-
perlichen und psychischen Zuwendung durch die primäre Bezugsperson ist zu vermuten, dass
sich auf der Seite des heranwachsenden Individuums ein Bedürfnis nach körperlicher Nähe,
Zuwendung und Geborgenheit stark mit dem Triebobjekt koppelt. Mit der Suche nach einem
geeigneten Triebobjekt ist in diesem Fall auch ein starker Wunsch nach körperlicher Zuwen-
dung verbunden.
Die Kombination des Drangs nach Libido-Ableitung und der Wunsch nach Geborgenheit und
körperlicher Zuwendung ergeben in ihrer zusammenspielenden Drang- und Wunsch-
Befriedigung eine exklusive Qualität nonverbaler Kommunikation.

2 Theoretische Grundlagen
18
Funktionen des ONS im Sinne der Triebtheorie
Aus psychoanalytischer Sicht ist zu vermuten, dass sich ein Mensch, der ausreichende Zuwen-
dung im Säuglingsalter erfahren hat und sich im Erwachsenenalter über einen längeren Zeitraum
in keiner geborgenheitsverschaffenden, körperliche Zuwendung erfahrenden und libido-
ableitenden Partnerschaft befindet, in einem permanenten Mangelzustand befindet. Die körper-
liche Zuwendung durch einen anderen Menschen mag sich in dieser Zeit auf einen Händedruck
im Arbeitsumfeld, oder eine Umarmung im Freundschaftskreis beschränken, sofern er nicht
andere Abwehrmechanismen (z.B. Sublimierung, Objektverschiebung) ausgebildet hat, die ein
ähnliches Gefühl hervorrufen können, wie es die interpersonelle sexuelle Kommunikation ver-
mag.
Der ONS unter zwei ledigen Fremden bietet dem alleinstehenden Individuum eine Möglichkeit,
einen Mangel an Nähe und liebevoller Zuwendung auszugleichen und gleichzeitig Libido abzu-
leiten - und zwar schnell und effektiv. Ganz im Sinne des Homo oeconomicus erweist sich der
ONS als äußerst ergiebige Sexualform, vergleichbar mit einem schnellem Stillen des Hungerge-
fühls in einem Fast-food-Restaurant: Eine kurze Unterhaltung bietet den ,,Gefühle- und Lüste-
sammler[Innen]" (Baumann, 1997, S. 186) die Möglichkeit, sich recht schnell und punktuell
einander soweit bekannt zu machen, bis ein nötiges Maß an Vertrautheit entstanden ist. Sobald
sich beide KommunikationspartnerInnen über das Ziel der sexuellen Kommunikation verbal,
oder nonverbal einig sind, bedarf es höchstens noch einer geeigneten Örtlichkeit, um eine intime
Situation zu schaffen, in der sich die Beteiligten sexuell begegnen können, um vordergründig
ihre Libido abzuleiten und hintergründig ein kurzes Gefühl der Geborgenheit zu verspüren.
Aus psychoanalytischer Sicht wären demnach für die Sexualformation ONS unter zwei ledigen
Fremden zwei Funktionen der Definition ONS hinzuzufügen: die intime, einmalige, freiwillige,
sexuelle interpersonelle Kommunikation dient einerseits der effektiven Libido-Ableitung und
andererseits der effektiven Herstellung eines Geborgenheitsgefühls.
Wenn bei einem alleinstehenden Individuum das Bedürfnis nach Libido-Ableitung im Vorder-
grund steht, ist zu vermuten, dass der ONS eine für dieses Individuum befriedigende Sexual-
form darstellt. Zudem kann im Sinne der Triebtheorie angenommen werden, dass bei Individu-
en, die im Säuglingsalter, durch mehr als eine Bezugsperson, unterschiedliche Arten von Nähe,
Zuwendung und Geborgenheit erfuhren, auch im Erwachsenalter die Abwechslung der Bestän-
digkeit vorgezogen wird, die durch aufeinanderfolgende ONS hergestellt werden kann.
Wenn jedoch in einem Individuum das Bedürfnis nach Geborgenheit größer als das Bedürfnis
nach Libido-Ableitung ist, da es im Säuglingsalter eine sehr intensive Zuwendung durch eine
Bezugsperson erfuhr, sind Gefühle der Frustration im Anschluss an einen ONS zu erwarten. Die
einmalige sexuelle Kommunikation der Beteiligten verhindert eine auf Dauer angelegte persön-
liche Beziehung, da das Gefühl der Geborgenheit nicht in dem Maße hergestellt werden kann,
wie es durch die behütete Zuwendung der - über einen längeren Zeitraum - vertrauten primären
Bezugsperson im Säuglingsalter geschaffen wurde.

2 Theoretische Grundlagen
19
c) Die sexuelle Skripttheorie
Im Unterschied zu den zwei vorgestellten Theoriekomplexen, in denen die Sexualität als biolo-
gisch determiniert angesehen (Evolutionspsychologie), oder das Sexuelle als eine spezielle,
einzigartige Qualität individueller Motivation verstanden wird (Triebtheorie), gehen die Ent-
wickler der Theorie der Sexuellen Skripte davon aus, dass das Sexuelle nur dann bedeutsam für
das Individuum wird, ,,wenn es auch im sozialen Leben des Individuums als bedeutsam definiert
wird (=soziogenetische Signifikanz) oder wenn individuelle Erfahrung oder Entwicklung ihm
eine spezielle Bedeutung verschaffen (=ontogenetische Signifikanz)" (Simon Gagnon, 2000,
S. 70). Die Soziologen John Gagnon und William Simon entwarfen diese Theorie in Anlehnung
an die Theorie des symbolischen Interaktionismus, die wiederum auf dem Grundgedanken ba-
siert, dass die Bedeutung von sozialen Objekten, Situationen und Beziehungen im symbolisch
vermittelten Prozess der Interaktion bzw. Kommunikation hervorgebracht wird. Sie schreiben
der sexuellen Aktivität einen wesentlichen metaphorischen Charakter zu und gehen, wie Burke
(1969), davon aus, dass das Sexuelle an sich relativ wenig eigene Inhalte und Vergnügen er-
schafft. Die Bedeutung, seinen Inhalt und seine Fähigkeit, Lust zu generieren, gewinnt das Se-
xuelle erst daraus, ,,aus der Perspektive von jemand anderem gesehen zu werden" (Burke, 1969,
S. 503 zitiert in: Simon Gagnon, 2000, S. 84 f.).
Es können drei Ebenen der Skript-Herstellung unterschieden werden. Im Folgenden werden
diese drei Ebenen beschrieben und jeweils in Bezug zum ONS zwischen zwei ledigen heterose-
xuellen Fremden gesetzt.
Die Ebene der kulturellen Szenarien
Wenn sich zwei Individuen, aufgewachsen in der westlichen Kultur, auf einer Feier kennenler-
nen und im Laufe des Abends die Möglichkeit erwägen, gemeinsam einen ONS zu erleben, wird
es laut der sexuellen Skripttheorie selten vorkommen, dass sich beide Beteiligten mit völlig
unterschiedlichen Erwartungen an die möglichen sexuellen Handlungen bei einem ONS begeg-
nen. Beide haben schon im Vorhinein eine ungefähre Vorstellung darüber, wie sie sich selbst in
dem Moment der interpersonellen sexuellen Kommunikation verhalten werden und wie sich
der/die Andere höchstwahrscheinlich verhalten wird. Bezogen auf die jeweilige Sexualformati-
on des Konstrukt ONS verfügen Beide über einen sozial geteilten Wissensbestand, der relativ
genaue Angaben über geeignete Orte und Zeitpunkte, Personen, Rollen, Arten und (Ab-)Folgen
der vorkommenden Aktivitäten, Sequenzen und Empfindungen enthält. Wenn beide eine kon-
gruente Sexualformation kognitiv repräsentieren und damit die Situation einheitlich definieren,
ist zu erwarten, dass sie sich mit einem sicheren Gefühl in die Situation begeben, da sie den
ungefähren Ablauf des weiteren Geschehens einschätzen und teilweise vorhersagen können.
Verantwortlich für diese gemeinsam geteilten Vorstellungen über die voraussichtlichen sexuel-
len Kommunikationsmuster und -episoden sind die kulturellen Szenarien, die sich außerhalb
jener Individuen konstruieren, die in einer Kultur aufwachsen, in der die Sequenzen des ONS
als sexuell gelten. Die kulturellen Szenarien wirken im Laufe des Lebens auf alle Individuen in
Form einer Paradigmen-Ansammlung (jener sozialen Normen, die sexuelles Handeln ermögli-
chen) ein und bestimmen, was die ,,Akteure" in dem jeweiligen Szenario empfinden sollten und
wie frau/man sich im Speziellen verhalten sollte. Kulturelle Szenarien können somit als ,,Anlei-
tungen zum Handeln auf der Ebene des kollektiven Lebens" (Lautmann, 2002, S. 182) verstan-

2 Theoretische Grundlagen
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den werden. Als Übermittlungsträger dient das gesamte soziale Umfeld (z.B. Massenmedien,
Popsongs, Pornografie, Familie, Peergroups), welches das Individuum mit einer Bandbreite von
Modellen für sexuelles Verhalten versorgt. So stehen dem/der sozialisierten Erwachsenen, außer
der Sexualform des ONS, noch viele andere verschiedene internalisierte ,,Straßenpläne für sexu-
elles Verhalten" (Simon Gagnon, 2000, S. 72) zur Verfügung, die das gesamte sexuelle Den-
ken, Fühlen und Handeln beeinflussen bzw. überhaupt erst ermöglichen.
Kommunikationsstörungen in der tatsächlichen interpersonellen Interaktion sind jedoch nicht
auszuschließen. Selbst, wenn die Beteiligten von einer identischen Sexualformation ausgehen,
können jeweils unterschiedliche Inhalte die Kognitionen der gegebenen Sexualformation des
ONS begleiten. So schreibt Lautmann: ,,Die Anzahl sexueller Szenarios, die eine gegebene Se-
xualformation enthält, ist durchaus begrenzt. Aber nur wenige Menschen kennen sie alle und
können souverän über den Einsatz verfügen" (Lautmann, 2002, S. 183).
Die Ebene der interpersonellen Skripte
,,[Die] interpersonelle Skriptherstellung steht in engster Beziehung zur sozialen Realität und
liefert generell den Großteil der Organisationsstrukturen für den wahrnehmbaren sexuellen Akt"
(Simon Gagnon, 2000, S. 82). Wie sich die KommunikationspartnerInnen bei einem ONS
tatsächlich verhalten, wie sie miteinander auf der interpersonellen Ebene kommunizieren und
wie sie in wechselseitiger Bezogenheit handeln, ist von den Inhalten der interpersonellen Skrip-
te abhängig. Die Inhalte ergeben sich unter Berücksichtigung sozialer Konventionen (aus der
Ebene der kulturellen Szenarien) und persönlicher Begehren (aus der Ebene der intrapsychi-
schen Skripte). Bezogen auf den ONS heißt das Folgendes: 1.) Beide Kommunikationspartne-
rInnen müssen schon im Vorhinein geteilte kognitive Repräsentationen über die prototypischen
Handlungsmuster und impliziten Regeln bei der Inszenierung eines ONS besitzen, um über-
haupt erst die Handlungen des/der Anderen als sexuell deuten zu können und 2.) müssen die
intrapsychischen Vorgänge beider Individuen an das tatsächlich stattfindende Szenario ange-
passt werden, damit sich auf beiden Seiten eine einheitliche Situationsdefinition (ohne Kommu-
nikationsstörungen) ergeben kann.
Interpersonelle Skripte reflektieren einerseits, was der/die AkteurIn glaubt, was von ihm/ihr
erwartet wird, spiegeln auf der anderen Seite aber auch ihr/sein gesamtes Repertoire an relevan-
ten Identitäten, sowie an Erwartungen und Wünschen für sich selbst wieder (vgl. Simon Gag-
non, 2000, S. 72f.). Die Funktionen dieser Skriptherstellung sehen Simon und Gagnon (2000)
einerseits in der Verringerung von Unsicherheit und andererseits in einer Erhöhung eines Legi-
timitätsgefühls. Dies ist einleuchtend: in einer Situation, in der JedeR eine Ahnung von den
voraussichtlichen Geschehnissen hat (bezogen auf sich selbst und den/die Kommunikations-
partnerIn), entsteht ein einheitliches interpersonelles Skript auf allen Seiten der Beteiligten, das
wiederum ein Gefühl der Sicherheit schafft.
12
Oft reicht eine bedeutsame Geste am Anfang der interpersonellen Kommunikation aus, um ein
interpersonelles Skript und die damit verbunden Rollen auf beiden Seiten wachzurufen und
dadurch die potentielle sexuelle Begegnung zu einem ausdrücklichen sexuellen Kontakt zu füh-
12
Andere Beschreibungen, wie ,,einheitliche Situationsdefinition", ,,Frame", oder der ,,geteilte Handlungsrahmen" kommen der
Beschreibung der interpersonellen Skripte sehr nahe.

2 Theoretische Grundlagen
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ren (vgl. ebd., S. 73). Welcher ,,erste Schritt" nötig ist, um das interpersonelle Skript des ONS
unter zwei ledigen Fremden in Gang zu bringen, ist zum jetzigen Zeitpunkt nur zu vermuten und
bedarf einer Überprüfung durch den empirischen Teil der Arbeit. Vielleicht ist es die lockere
Atmosphäre auf einer Party, gepaart mit verheißungsvollen Blicken und Gesten, die die Idee
eines ONS in den beteiligten Individuen aufkommen lässt und weitere (den ONS typischen)
interpersonelle Skripte einleitet?
Oder das interpersonelle Skript des Konstrukts ONS bildet sich erst in der letzten Phase der
sexuellen Kommunikation heraus, die bis dahin noch (von beiden, oder einem/einer der Betei-
ligten) unter einer anderen, undefinierten Sexualform abläuft? Im Falle der letztgenannten Mög-
lichkeit ist zu vermuten, dass durch die anfangs undeutliche und uneinheitliche Situationsdefini-
tion die Ebene der Skriptherstellung erschwert wird und sich die Gefahr einer Frustration auf
beiden, oder einer Seite der KommunikationspartnerInnen erhöht. In dieser Kultur, in der über
das, was beim Sex getan wird, wenig gesprochen wird und sich eine Abtrennung einer eroti-
schen Identität von einer Alltagsrealität abzeichnet, in der die Individuen eine hochgradige Ab-
spaltung, bei dem Eintritt in explizit sexuelle Handlungen, erfahren, sollte dieser Fall häufiger
zu finden sein, als der erste (vgl. Simon Gagnon, 2000, S. 80f.
)
.
Die Ebene der intrapsychischen Skripte
Wenn die Ebene der interpersonellen Skriptherstellung als ,,Elementartext" dient, der von allen
Beteiligten verstanden wird, dient die Ebene der intrapsychischen Skriptherstellung als ,,Sub-
text", der sich der Organisationsstruktur des Elementartextes anpassen muss (vgl. Simon
Gagnon, 2000, S. 82). Welche Gesten, Handlungen, Körperhaltungen, oder Gegenstände genau
als sexuell gelten und eine sexuelle Erregung, durch aufeinander folgende Bedeutungssequen-
zen, im Individuum auslösen, aufrechterhalten und einen Orgasmus ermöglichen können, wird
durch die intrapsychischen Skripte bestimmt, die sich ganz individuell im Sinn der Freud´schen
Objektbesetzung im Laufe des jeweiligen Entwicklungsprozess bilden. Hierbei haben die Dinge,
die ein sexuelles Verlangen nach Jemandem wecken, oft wenig mit der anderen Person als sol-
cher zu tun, sondern vielmehr mit dessen Eignung, als Träger dessen zu dienen, worauf das
Individuum gelernt hat, erotisch zu reagieren (vgl. ebd., S. 86).
Die intrapsychischen Skripte beschreiben den Bereich der Selbstherstellung und heben damit
einen flexiblen Zuschnitt der kulturellen Szenarien auf individueller Ebene hervor. In heutigen
Gesellschaften, die weniger Grundlagen für von außen auferlegte Zusammenhänge schaffen und
in denen eine Gewichtsverlagerung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit zu verzeichnen ist,
schwinden auch die Übereinstimmungen zwischen kulturellen Szenarien, verfügbaren interper-
sonellen Skripten und der Sicherung intrapsychischer Befriedigung. Dies wird in den heute fast
allgegenwärtigen Brüchen zwischen Motiven und Handlungen in den Bereichen von Geschlecht
und Sexualität deutlich. Das Individuum befindet sich in umfassenden intrapsychischen Aus-
handlungsprozessen, um eine Stimmigkeit auf allen Ebenen der Skriptherstellung herstellen zu
können. Dieser beschriebene Anpassungsdruck auf der Ebene der intrapsychischen Skripte
greift auch für die Ebene der interpersonellen und der kulturellen Szenarien. Alte Bedeutungen
für bestimmte Handlungen und Rollen abzuschaffen, oder umzuformen, können als ,,Konse-
quenz der zunehmenden Bedeutung der intrapsychischen Ebene der Skriptherstellung gesehen
werden" (vgl. ebd., S. 82f.).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783842846487
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Zittau/Görlitz; Standort Zittau – Sozialwissenschaften , Kommunikationspsychologie
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1
Schlagworte
sexualwissenschaft night stand psychologie kommunikationspsychologie
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Titel: Das Konstrukt One Night Stand aus der Sicht junger Frauen
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