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Visionen und Potenziale von Car2X - Die Entwicklung eines wirtschaftlichen Markteinführungsszenarios für die AUDI AG

©2007 Diplomarbeit 180 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Ausgangssituation:
Warum ist das Thema dieser Diplomarbeit wichtig? Die Antwort darauf ist in ungelösten Problemen hinsichtlich Verkehrssicherheit, -effizienz und Umweltschutz zu finden. 1,7 Mio. Menschen verletzten sich 2005 im europäischen Straßenverkehr, 41.600 Menschen verloren bei Unfällen ihr Leben. Bereits vor sechs Jahren fasste die Europäische Union (EU) im Rahmen des ‘White Paper on European Transport Policy’ den Entschluss, die Zahl der Verkehrstoten bis 2010 um die Hälfte zu reduzieren. (vgl. Stead 2006, S. 367)
Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung würden sich 60 % aller Unfälle mit Personenschaden durch die in dieser Diplomarbeit vorgestellte Kommunikationstechnologie vermeiden lassen (vgl. o.V. 2006a). Zu geringer Abstand, gefährliche Spurwechsel, das Ignorieren von Vorfahrtsregeln und Überfahren roter Ampeln etc. könnten der Vergangenheit angehören, wenn Car2X Wirklichkeit wird.
Nicht minder wichtig als sicherheitsrelevante Überlegungen erscheint der Umweltschutz, wie sich in der aktuellen CO2-Debatte widerspiegelt: Staus, Stop&Go-Wellen sowie Suchverkehr belasten das ökologische Gleichgewicht. In Deutschland führen 33 Mio. Liter verschwendeter Treibstoff pro Tag nicht nur zu einer erheblichen Umweltbelastung, sondern auch zu 13 Mio. Stunden Zeitverlust und einem volkswirtschaftlichen Schaden von 250 Mio. Euro pro Tag (vgl. o.V. 2007a: 1, Projektbeschreibung Invent, http://www.invent-online.de /de/projekte.html). Auch hier bieten ins Automobil integrierte Kommunikations-technologien noch nie dagewesene Lösungsansätze: Lässt sich der Verkehrsfluss auf intelligente Weise steuern, erhöht das die Mobilität und Effizienz im Straßenverkehr. Die Folge sind kürzere Reisezeiten, geringere Emissionen, eine verminderte Belastung der Umwelt und weniger Kosten – in Summe also eine Reduzierung des volkswirtschaftlichen Schadens.
Motivation und Zielsetzung der Arbeit:
Höhere Sicherheit, eine gesteigerte Mobilität und vermehrter Umweltschutz führen zu einem gesteigerten Allgemeinwohl – sind aber bei weitem nicht die einzigen Beweggründe für diese Diplomarbeit. Car2X-Dienste haben beträchtliches ökonomisches Potenzial zur langfristigen Gewinnsteigerung – nicht nur allein für einen Automobilhersteller wie die AUDI AG, sondern für eine Vielzahl von weiteren Partnern. Eine Fülle an theoretischen Anwendungsmöglichkeiten, völlig neue Geschäftsmodelle und Vertriebskanäle scheinen in Zukunft […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Ehrenwörtliche Erklärung

Sperrvermerk

Danksagung

Kurzfassung

Abstract

1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Motivation und Zielsetzung der Arbeit
1.3 Inhalt und Aufbau der Arbeit

2 Grundlagen zu Car2X
2.1 Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren
2.2 Ubiquitous und Pervasive Computing als Wegbereiter von Car2X
2.3 Car-to-X Communication
2.3.1 Car2Personal Equipment
2.3.2 Car2Home/Office
2.3.3 Car2Enterprise
2.3.4 Car2Car
2.3.5 Car2Infrastructure
2.4 CAR 2 CAR Communication Consortium
2.5 Technischer Hintergrund

3 Rahmenbedingungen von Car2X
3.1. Theoretischer Rahmen zur Markteinführung von Innovationen
3.2 Markteinführungsstrategie für Innovationen
3.3 Konkurrenzsituation
3.3.1 USA
3.3.2 Japan
3.3.3 Schlussfolgerungen
3.4 Identifikation der Stakeholder
3.4.1 Öffentliche Interessenten
3.4.1.1 Europäische Union
3.4.1.2 Regierungsbehörden
3.4.1.3 Städte und Gemeinden bzw. Web-Unternehmen
3.4.2 Kommerzielle Interessenten
3.4.2.1 Automobilhersteller
3.4.2.1.1 Privatkunden
3.4.2.1.2 Geschäftskunden
3.4.2.1.3 Flottenkunden
3.4.2.2 Straßen- und Mautbetreiber
3.4.2.3 Teilelieferanten
3.4.2.4 Versicherer
3.4.2.5 Sonstige Dienstleister

4 Markteinführung von Car2X
4.1 Methodik
4.1.1 Auswahl der Methodik
4.1.2 Auswahl der Experten
4.2 Voraussetzungen für die Markteinführung von Car2X
4.2.1 Kundenakzeptanz und –wunsch nach Car2X-Diensten
4.2.2 Technische Marktdurchdringung
4.3 Markteinführungsszenarien
4.3.2 Zwangseinführung durch die öffentliche Hand
4.3.2.1 Szenario “Direkte Regulation”
4.3.2.2 Szenario “Indirekte Regulation”
4.3.2 Markteinführung durch kommerzielles Stufenmodell
4.3.2.1 Szenario “Alleingang des Konzerns”
4.3.2.2 Szenario “C2C-CC Gründungsmitglieder”
4.3.2.3 Szenario “Alle C2C-CC Mitglieder”
4.4 Wirtschaftliche Aspekte
4.4.1 Direkter Ergebnisbeitrag
4.4.2 Indirekter Ergebnisbeitrag

5 Ergebnisse der Arbeit
5.1 Gewinn- und Verlust-Situation
5.2 Idealtypische vs. realistisch-flexible Markteinführung

6 Fazit und Ausblick

Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Inhaltsverzeichnis der CD-Rom
Abkürzungsverzeichnis
Leitfaden für das Experteninterview mit Dr. Beier
Transkript des Experteninterviews mit Dr. Beier
Leitfaden für das Experteninterview mit Dr. Matheus
Transkript des Experteninterviews mit Dr. Matheus

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich versichere, dass

- ich diese Diplomarbeit selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe.
- ich dieses Diplomarbeitsthema bisher weder im Inland noch im Ausland einem Begutachter/einer Begutachterin zur Beurteilung oder in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe.

Diese Arbeit stimmt mit den von den Begutachtern beurteilten Arbeiten überein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sperrvermerk

Die vorliegende Diplomarbeit beinhaltet interne und vertrauliche Informationen der AUDI AG. Die Weitergabe des Inhaltes der Arbeit und eventuell beiliegender Diagramme und Daten im Gesamten oder in Teilen ist grundsätzlich untersagt. Es dürfen keinerlei Kopien oder Abschriften – auch in digitaler Form – gefertigt werden. Ausnahmen bedürfen der schriftlichen Genehmigung der AUDI AG. Dieser Sperrvermerk gilt für den Zeitraum von fünf Jahren ab dem Abgabedatum.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Danksagung

Ich danke Gott, dass er mich so reich beschenkt und mir den Weg durch das Leben weist. Ohne ihn und meine Eltern würde ich nicht dort stehen, wo ich heute bin. Liebe Mama, lieber Papa: Danke für alles! Ihr steht mir immer mit Rat und Tat zur Seite und unterstützt mich bei all meinen Vorhaben. Zudem danke ich meiner Freundin Katharina, meinen Schwestern Anita und Brigitte, meinen Schwägern Georg und Christian, meinem Neffen Benedikt, meinen vier Nichten Veronika, Valentina, Marlene und Emma, die mir viel Kraft und Freude in dieser schwierigen Zeit geschenkt haben und immer eine Stütze waren, an der ich mich aufrichten konnte.

Ein besonderer Dank gilt meinem Professor Wolfgang Römer , der mich schon im Sommer 2006 auf die richtige Fährte gebracht und sich trotz zahlreicher weiterer Diplomarbeiten dazu entschlossen hat, als mein Betreuer zu fungieren. Er ist mir schon beim Interview im Rahmen meiner Aufnahmeprüfung an der FH gegenüber gesessen, hat meine Milestone-Gespräche während des Studiums, mein Berufspraktikum im 7. Semester und nun auch meine Diplomarbeit betreut. Herzlichen Dank für die vergangenen vier Jahre!

Bei Ingrid Paulus und Matthias Hammerschick möchte ich mich für ihr Vertrauen, ihre Fürsprache und ihre Unterstützung bedanken. Sie haben mir ermöglicht, mein Wunschthema bei der AUDI AG in Ingolstadt als Diplomarbeit zu verwirklichen. Ohne sie hätte ich niemals so eine großartige Chance bekommen. In diesem Zusammenhang ist auch Cornelius Menig ein herzliches Dankeschön ausgesprochen, der zusammen mit Matthias Hammerschick als mein Audi Betreuer fungiert hat. Beide haben wesentlich zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen. Für die freundliche Aufnahme als Audi Diplomand möchte ich an dieser Stelle allen Kollegen bei EB-G4 danke sagen. Ingrid Paulus, Annemarie Schmatz, Anna Claassen, Günther Fischhaber, Reinhard Otten, Cornelius Menig und Reda Fathia bilden die wohl liebenswürdigste Abteilung, die Audi hat. Ich hätte mir keinen besseren Platz als diesen vorstellen können, um meine Diplomarbeit zu verfassen. Vielen Dank euch allen!

Mein letzter Dank gilt all jenen, die mit zahlreichen kleineren und größeren Gefallen diese Diplomarbeit erst möglich gemacht haben, insbesondere Dr. Guido Beier und Dr. Kirsten Matheus.

Kurzfassung

Gegenstand der hier vorgestellten Arbeit ist die Frage, wie die AUDI AG ihre Car2X-Dienste in den Markt einführen kann. Car2X steht dabei für Car-to-X Communication und bezeichnet die Kommunikation eines Fahrzeugs mit vielen unterschiedlichen Objekten durch eine drahtlose Funkverbindung.

Erster Schritt dieser Diplomarbeit ist die theoretische Einführung, in welcher die Grundlagen und Rahmenbedingungen von Car2X erläutert werden. Darauf aufbauend gibt der Praxisteil zuerst Aufschluss über die wichtigsten Voraussetzungen für eine Markteinführung von Car2X: Kundenakzeptanz und technische Durchdringung. Daraufhin werden zwei verschiedene Ansätze mit insgesamt fünf Markteinführungsszenarien entwickelt und ökonomische Aspekte wie die Kosten- und Erlös-Situation näher betrachtet. Am Ende des praktischen Rahmens stehen die gewonnenen Ergebnisse in einer Gegenüberstellung. Auf Basis aller bisherigen Erkenntnisse werden schließlich die gezeigten Szenarien zu einer idealtypischen und zu einer realistisch-flexiblen Markteinführungsvariante verdichtet.

Abstract

The purpose of this diploma thesis is to determine how the AUDI AG can introduce its Car2X services into the market. Car2X stands for Car-to-X Communication and means the communication of a vehicle with any number of objects.

The first step of this thesis is the theoretical introduction which describes the basics and parameters of Car2X. Based upon this, the practical section outlines the most important assumptions of a market introduction of Car2X: customer acceptance and technical penetration. After that, two different approaches comprising a total of five market introduction scenarios are developed and economic aspects, such as the cost-benefit situation, are closely examined. At the end of the practical section of the thesis the results are presented in the form of a comparison. Finally, based on the preliminary findings, the five examined scenarios are condensed to an ideal variant and into a realistic market introduction variant.

1 Einleitung

1.1 Ausgangssituation

Warum ist das Thema dieser Diplomarbeit wichtig? Die Antwort darauf ist in ungelösten Problemen hinsichtlich Verkehrssicherheit, -effizienz und Umweltschutz zu finden. 1,7 Mio. Menschen verletzten sich 2005 im europäischen Straßenverkehr, 41.600 Menschen verloren bei Unfällen ihr Leben. Bereits vor sechs Jahren fasste die Europäische Union (EU) im Rahmen des „White Paper on European Transport Policy“ den Entschluss, die Zahl der Verkehrstoten bis 2010 um die Hälfte zu reduzieren. (vgl. Stead 2006, S. 367)

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung würden sich 60 % aller Unfälle mit Personenschaden durch die in dieser Diplomarbeit vorgestellte Kommunikationstechnologie vermeiden lassen (vgl. o.V. 2006a). Zu geringer Abstand, gefährliche Spurwechsel, das Ignorieren von Vorfahrtsregeln und Überfahren roter Ampeln etc. könnten der Vergangenheit angehören, wenn Car2X Wirklichkeit wird.

Nicht minder wichtig als sicherheitsrelevante Überlegungen erscheint der Umweltschutz, wie sich in der aktuellen CO2-Debatte widerspiegelt: Staus, Stop&Go-Wellen sowie Suchverkehr belasten das ökologische Gleichgewicht. In Deutschland führen 33 Mio. Liter verschwendeter Treibstoff pro Tag nicht nur zu einer erheblichen Umweltbelastung, sondern auch zu 13 Mio. Stunden Zeitverlust und einem volkswirtschaftlichen Schaden von 250 Mio. Euro pro Tag (vgl. o.V. 2007a: 1, Projektbeschreibung Invent, http://www.invent-online.de /de/projekte.html). Auch hier bieten ins Automobil integrierte Kommunikations-technologien noch nie dagewesene Lösungsansätze: Lässt sich der Verkehrsfluss auf intelligente Weise steuern, erhöht das die Mobilität und Effizienz im Straßenverkehr. Die Folge sind kürzere Reisezeiten, geringere Emissionen, eine verminderte Belastung der Umwelt und weniger Kosten – in Summe also eine Reduzierung des volkswirtschaftlichen Schadens.

1.2 Motivation und Zielsetzung der Arbeit

Höhere Sicherheit, eine gesteigerte Mobilität und vermehrter Umweltschutz führen zu einem gesteigerten Allgemeinwohl – sind aber bei weitem nicht die einzigen Beweggründe für diese Diplomarbeit. Car2X-Dienste haben beträchtliches ökonomisches Potenzial zur langfristigen Gewinnsteigerung – nicht nur allein für einen Automobilhersteller wie die AUDI AG, sondern für eine Vielzahl von weiteren Partnern. Eine Fülle an theoretischen Anwendungsmöglichkeiten, völlig neue Geschäftsmodelle und Vertriebskanäle scheinen in Zukunft realisierbar. Doch nicht alles macht Sinn, nicht jede Anwendung wirft von Beginn an kommerziellen Ertrag ab, sondern erfordert ganz im Gegenteil hohe Anfangsinvestitionen und birgt damit ein großes Risiko in sich.

Zielsetzung dieser Diplomarbeit ist es, den strategischen Weg aufzuzeigen, der für die Marktimplementierung der automobilen Kommunikationstechnologie Car2X zurückgelegt werden muss. Herauszufinden, welche Voraussetzungen berücksichtigt werden müssen, mit welcher wirtschaftlichen Situation gerechnet werden muss und wo der eine oder andere “Knackpunkt” mit welchen Alternativ­lösungen zu meistern ist. Zusammengefasst: Was muss gegeben sein, um den Erfolg einer Markteinführung sicherzustellen? Die zentrale Forschungsfrage lautet demnach:

Wie kann die AUDI AG Car2X-Dienste in den Markt einführen?

In letzter Konsequenz soll neben Handlungsalternativen auch ein Bewusstsein für den Umgang mit den neuen automobilen Kommunikationstechnologien geschaffen werden, also eine Art Drehbuch und Handlungsanleitung auf dem Weg zu einem Automobil, das intelligent wird und vernetzt mit seiner Umwelt kommuniziert.

1.3 Inhalt und Aufbau der Arbeit

Im Anschluss an die Einleitung behandelt das zweite Kapitel die Grundlagen zu Car2X und erklärt seinen kommunikationswissenschaftlichen und informationstechnischen Ursprung. Dabei führt der Weg über den Kommunikationsbegriff nach Watzlawick und die allgegenwärtige Computerisierung nach Weiser.

Im dritten Kapitel werden die Rahmenbedingungen von Car2X behandelt: Zuerst wird ein theoretischer Rahmen für Markteinführungsstrategien geliefert, dann eine Bestandsaufnahme der Konkurrenzsituation gezeigt und schließlich alle Car2X-Stakeholder näher beleuchtet. Die forschungsleitenden Hypothesen werden in diesem Kapitel aus der zentralen Forschungsfrage heraus gebildet.

Mit dem vierten Kapitel Markteinführung von Car2X beginnt der Praxisteil, in dem die zuvor aufgestellten Forschungshypothesen verifiziert bzw. falsifiziert werden. Zuerst werden die Methodenwahl und das Forschungsinstrument dargestellt. In weiterer Folge werden die wichtigsten Voraussetzungen behandelt, die für ein Gelingen einer flexiblen Markteinführungsstrategie grundlegend sind und diese dann ausführlich thematisiert. Schließlich werden fünf unterschiedliche Szenarien für eine Markteinführung von Car2X erläutert. Abgerundet wird dieses Kapitel durch die Betrachtung wirtschaftlicher Aspekte.

Die Ergebnisse der Arbeit hinsichtlich Kosten- und Erlös-Situation fasst das fünfte Kapitel zusammen und stellt sie gegenüber. Last, but not least werden die fünf gezeigten Szenarien zu einem idealtypischen und zu einem realistisch-flexiblen verdichtet, um eine diesbezügliche Handlungsempfehlung abzugeben.

Das sechste und letzte Kapitel Fazit und Ausblick zieht ein Resümee über die gesamte Arbeit und zeigt ein mögliches Zukunftsbild auf.

2 Grundlagen zu Car2X

2.1 Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren

Der am 31. März 2007 verstorbene Österreicher Paul Watzlawick prägte vor bald 40 Jahren die Kommunikationstheorie mit einer nüchternen Betrachtung von menschlicher Kommunikation:[1] Sein 1969 herausgegebenes Buch „Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien“ begreift allein die gegenseitige Wahrnehmung von zwei Personen als kommunikatives Verhalten. Egal wie sich jemand verhält, er vermittelt damit immer eine Botschaft. Da es unmöglich ist, sich nicht zu verhalten, kann man auch nicht nicht kommunizieren. (vgl. Watzlawick/Beavin/Jackson 1969, S. 51)

Ging es dem Psychologen Watzlawick mit seiner These um die soziale Kommunikation zwischen Menschen, lassen die technologischen Umwälzungen und Revolutionen in den vergangenen 20 Jahren eine Weiterentwicklung seines berühmten „Metakommunikativen Axiomes“ zu.

Vor noch wenigen Jahrzehnten verrichteten ausschließlich Menschen mechanische Arbeiten, beispielsweise in Automobilfabriken. Heute sind es in zunehmender Art und Weise computergesteuerte Roboter, die schneller, fehlerloser und nach einer bestimmten Amortisationszeit vor allem kostengünstiger produzieren. Nicht nur in der Industrie, sondern auch in der Agrar- und Dienstleistungswirtschaft kommen Maschinen in immer vielfältigeren Formen zum Einsatz, sodass sich ein eigener, vierter Wirtschaftssektor rein für Informations- und Kommunikationstechnologien entwickelt hat. „Schon 2005 wurden mehr Daten zwischen Maschinen als zwischen Menschen ausgetauscht. Laut Forrester Research sollen es bis 2020 30 Mal mehr sein.“ (Pollack 2006, S. 9)

Vorstellbar ist demnach, dass eines Tages nicht nur Menschen nicht nicht kommunizieren können, sondern auch Maschinen. Zwei Termini, die begrifflich für diese Vision der immer und überall miteinander kommunizierenden Maschinen stehen, werden in weiterer Folge näher betrachtet: Ubiquitous und Pervasive Computing.

2.2 Ubiquitous und Pervasive Computing als Wegbe-reiter von Car2X

„The history of computers is actually quite simple. In the beginning there were no computers. Then there were computers. And then there were none again. Between the second and the third stage, they simply disappeared. They didn’t go away completely. First they faded into the background. Then they actually merged with the background.” (Brown 2001, S. 86)

So bringt John Seely Brown, ehemaliger Direktor des Palo Alto Research Centers (PARC), die bevorstehende Computerisierung des Alltags auf den Punkt. Um die Entstehung von Ubiquitous und Pervasive Computing zu verstehen, muss zuerst ein Blick in die Vergangenheit geworfen werden: In den 50er-Jahren fanden die ersten Rechenmaschinen nur in riesigen Lagerhallen mit einem immensen Stromverbrauch Platz und wurden ausschließlich von Wissenschaftlern bzw. Militärs bedient. Trotzdem galten die damaligen Computer mit plötzlich noch nie dagewesenen Rechenleistungen als revolutionär für die damalige Zeit. Die ständige Weiterentwicklung dieser gigantischen, unverhältnismäßig energieintensiven Rechner mündete vor rund 25 Jahren in die kommerzielle Produktion von relativ handlichen “Personal Computern” (PC) für den privaten wie auch kommerziellen Bedarf. Inzwischen sind sie in beinahe jedem Haushalt der westlichen Hemisphäre präsent. Nahezu kein Unternehmen kann es sich mehr leisten, auf Informationstechnologie in Form eines PCs zu verzichten. Dadurch vollzog sich eine weitere Computer-Revolution. (vgl. Mattern 2003, S. 4 ff)

Bis zu dieser zweiten Computer-Revolution kommunizierten ausschließlich Menschen untereinander, freilich bereits mit technischen Hilfsmitteln wie dem Telefon. In den 80er Jahren ermöglichte der PC eine echte Mensch-Maschine-Interaktion, indem Personen mit Computern erstmals wechselseitig Informationen austauschten. Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass die Bedeutung des PC in seiner klassischen Form als Büroapplikation immer weiter in den Hintergrund rückt. Er wird vielfach nur noch deswegen angeschafft, um zur dritten Computer-Revolution innerhalb von wenigen Jahrzehnten Zugang zu haben: Das Aufkommen des Internets revolutionierte alle Bereiche der modernen Welt mit seinen schier unzähligen und immer neuen Anwendungen. Laut Neil Gersenfeld vom Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) war das rasante Wachstum des Internets nur der Zündfunke einer viel gewaltigeren Explosion. Sie wird losbrechen, sobald die Dinge das Internet nutzen. (vgl. Gershenfeld 1999, S. 75)

Bei Betrachtung der drei vorangegangen Revolutionen (Urrechner, PC, Internet) gemeinsam mit der Entwicklung von menschlich-maschineller Kommunikation lässt sich herauslesen, dass der nächste Schritt eine vierte Computer-Revolution sein wird, in der beliebige Dinge lernen, mit anderen Dingen Informationen auszutauschen – also Maschinen mit Maschinen kommunizieren. (vgl. Mattern 2003, S. 2)

„Das Internet verbindet heute fast alle Computer der Welt, und nun macht es sich daran, auch die übrigen Gegenstände zu vernetzen“ (Mattern 2003, S. 1) , fasst Friedemann Mattern vom Institut für Pervasive Computing der ETH Zürich plakativ zusammen, wofür Ubiquitous bzw. Pervasive Computing im weitesten Sinne steht. Da beide Begriffe sowohl in der Populär- als auch in der Fachliteratur immer wieder synonym verwendet werden, ist eine genaue Definition der beiden Termini wichtig:

Unter Ubiquitous Computing (engl. ubiquitous = allgegenwärtig) ist eine omnipräsente Computertechnik zu verstehen, die unaufdringlich den Menschen in den Mittelpunkt rückt, um ihm das Leben zu erleichtern. Ubiquitous Computing lässt sich nicht unmittelbar, sondern erst in weiterer Zukunft realisieren und ist von der Forschung wissenschaftlich geprägt. Der Terminus wird vor allem in Nordamerika verwendet. (vgl. Weiser 1991, S. 96 ff)

Unter Pervasive Computing (lat. pervadere = durchdringen) ist ebenfalls die allgegenwärtige Informationsverarbeitung zu verstehen, die in alle Bereiche des Lebens eindringt. Jedoch liegt der Fokus auf der ökonomischen Anwendbarkeit bzw. Verwertbarkeit im Hier und Heute und nicht erst in weiterer Zukunft. Der Terminus Pervasive Computing wurde also von der Wirtschaft kommerziell geprägt und wird vor allem in Europa verwendet. (vgl. Mattern 2003, S. 4)

Vordenker der allgegenwärtigen Computerisierung der realen Welt war Mark Weiser. Er verwendete 1988 zum ersten Mal den Terminus “Ubiquitous Computing”. Drei Jahre später legte er mit seinen visionären Überlegungen im Aufsatz „The Computer for the 21st Century“ den Grundstein für ein neues Computer-Verständnis: Nicht mehr länger die Technik steht im Vordergrund, sondern der Mensch. Computer in ihrer heutigen Form verschwinden in den Hintergrund und werden durch winzige Rechner ersetzt, die immer und überall miteinander Informationen austauschen. Diese unsichtbare Allgegenwärtigkeit von Informationstechnologie soll den Mensch intuitiv bei der Bewältigung von alltäglichen Aufgaben unterstützen und ihn letztendlich entlasten: „Machines that fit the human environment, instead of forcing humans to enter theirs, will make using a computer as refreshing as taking a walk in the woods.” (Weiser 1991, S. 104)

Doch wie soll diese vage Zukunftsvision jemals möglich werden? Ein Hinweis darauf ist der anhaltende Trend zur Miniaturisierung sowie die enormen Fortschritte der Mikroelektronik. Einer der faszinierendsten Physiker des 20. Jahrhunderts, Richard Feynman, warf die Frage nach winzigen Computern schon 1960 auf: „Why can't we make them very small, make them of little wires, little elements – and by little, I mean little. … There is nothing that I can see in the physical laws that says the computer elements cannot be made enormously smaller than they are now.“ (Feynman 1960, S. 64)

Einen weiteren Hinweis gab ebenfalls schon sehr früh der Mitbegründer von IBM, Gordon Moore: Vor mehr als 40 Jahren formulierte er das “Moore’sche Gesetz”, das in Kurzform besagt, dass sich die Leistungsfähigkeit von Prozessoren bei konstanter oder sogar eher abnehmender Größe und Preis etwa alle 18 Monate verdoppelt (vgl. Moore 1965, S. 114 f).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anzumerken ist, dass es sich dabei nicht um ein Gesetz im wissenschaftlichen Sinn, sondern bestenfalls um eine Faustregel bzw. einen Erfahrungswert handelt. Ursprünglich nur für die ersten zehn Jahre prognostiziert, verlängerte sich das Moore’sche Gesetz immer wieder und trat mit einer “lächerlichen Genauigkeit” ein, wie Moore später selbst sagt. Mittlerweile ist es für die Computerindustrie zu einer Art selbsterfüllenden Prophezeiung geworden, die sogar ihre Produktionspläne darauf ausrichtet. Ein Ende des Moore’schen Gesetzes zeichnet sich derzeit nicht ab, weil Prozessoren immer leistungsfähiger werden bzw. bei gleich bleibender Leistung immer kostengünstiger zu erwerben sind. Die Mikroelektronik ist also weiterhin die wichtigste treibende Kraft hinter dem Fortschritt von Pervasive Computing. (vgl. Mattern 2003, S. 7 ff)

„By making things smaller, everything gets better simultaneously ... The speed of our products goes up, the power consumption goes down, system reliability ... improves, … the cost ... drops” (Moore 1995, S. 8). Eines der ersten Ergebnisse dieser Entwicklung ist RFID (engl. Radio Frequency Identification = Identifizierung über Radiowellen). Diese kostengünstige Transponder-Technologie wird bereits in der Logistik, aber zusehends auch im täglichen Leben, zB im Kleiderhandel eingesetzt und kann als erster Vorbote für Pervasive Computing gewertet werden.

Nachdem die Begriffe nun klar voneinander getrennt sind wird im folgenden Kapitel die “alles durchdringende Kommunikation” in der Automobilbranche näher behandelt, die mit dem Fachbegriff Car-to-X Communication bezeichnet wird.

2.3 Car-to-X Communication (Car2X)

“The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it.” (Weiser 1991, S. 94)

Mit diesen zwei Sätzen zeichnete Mark Weiser sehr früh ein Bild von Ubiquitous bzw. Pervasive Computing und damit auch von Car2X: Die ausgereiftesten Technologien der Zukunft werden unsichtbar und mit ihrer Umgebung verflochten sein, bis sie sich nicht mehr von ihr unterscheiden lassen. Diese Verschmelzung mit der Umwelt erfordert ein hohes Maß an Funktionalität und Kommunikationsfähigkeit, die miteinander in einer Abhängigkeitsbeziehung stehen: „Je reichhaltiger die Funktionalität eines Gegenstandes, desto umfangreicher ist dessen Kommunikationsbedürfnis: Während ein Hammer heute noch gut ohne Leuchtdioden, Pfeiftöne oder Minibildschirm auskommt, sind funktional reichhaltigere Dinge wie Kaffeemaschinen, Videorekorder, Mobiltelefone, Lastkraftwagen oder Werkzeugmaschinen auf Kommunikationshilfen angewiesen.“ (Fleisch/Mattern 2005, S. 23)

Noch mehr Funktionalität als die genannten Beispiele bieten Automobile, wonach sie aufgrund der oben gezeigten Abhängigkeitstheorie über ein hohes Kommunikationsbedürfnis verfügen. Der Umkehrschluss, je kommunikations-fähiger ein Automobil ist, desto mehr Funktion und Nutzen eröffnen sich für den Kunden, mündet in die These : „Gute Produkte wollen kommunizieren“ (Fleisch/Mattern 2005, S. 23). Die AUDI AG verpflichtet sich mit ihrem Markenslogan „Vorsprung durch Technik“ seit Anfang der 80er Jahre zu hochwertigen Premium-Automobilen, die dank technischer Innovation, einen Vorsprung mit sich bringen. Das Bedürfnis hochwertiger Produkte nach Kommunikation, ebnet den Weg für Car2X, das wie folgt definiert wird:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Unter Car-to-X Communication (engl. = Fahrzeug zu X-Kommunikation) versteht man den drahtlosen Austausch von Informationen eines Fahrzeugs mit beliebig vielen Objekten, zB mit tragbaren Elektronikgeräten (Car2Personal Equipment), mit dem Zuhause bzw. dem Büro (Car2Home/Office), mit Unternehmen, die kommerzielle Dienste anbieten (Car2Enterprise), mit der Verkehrsinfrastruktur (Car2Infrastructure) oder mit anderen Fahrzeugen (Car2Car). Der Begriff „Car“ beinhaltet nicht nur PKW´s, sondern schließt explizit jegliches Kraftfahrzeug ein, zB LKW´s, Motorräder oder Busse. Ziel von Car2X ist eine Steigerung der Sicherheit, der Mobilität und des Komforts im Straßenverkehr.

2.3.1 Car2Personal Equipment

Schon heute lässt sich das Handy über Bluetooth drahtlos an das integrierte Infotainment-Bediensystem und sogar an die Außenantenne vieler Automobile anschließen (UHV, Universelle Handy-Verarbeitung). Car2Personal Equipment stellt eine Erweiterung auf alle denkbaren tragbaren Elektronikgeräte dank einer WLAN-Kommunikationsschnittstelle dar: Notebooks, mp3-Player, Digitalkameras, DVD-Player, Videokameras, Spielekonsolen etc. sollen in Zukunft kabellos mit den Infotainmentsystemen der Fahrzeuge vernetzt werden. Mögliche Anwendungen sind zB der drahtlose Datentransfer von Musik-, Foto- oder Videodateien ins Fahrzeug oder die Synchronisation des elektronischen Adressbuches und Terminplaners. (vgl. Felbermeir 2006, S. 9)

2.3.2 Car2Home/Office

Während es bei Car2Personal Equipment um die Verknüpfung von tragbaren Elektronikgeräten mit dem Fahrzeug geht, wird bei Car2Home/Office die meist unbewegliche Haus- bzw. Büroinfrastruktur mit einbezogen. Hierzu gehört in erster Linie der PC. Aber auch die Ankoppelung der Heizung, der Klimaanlage, der Beleuchtungsinstallation, der Alarmanlage oder des automatischen Garagenöffners erscheinen denkbar. Mögliche Anwendungen sind die Zusammenstellung des Musikprogramms und die Planung der Route vom PC aus, um sie bequem ins Auto zu übermitteln. Am Ende der Fahrt kann die zurückgelegte Strecke wiederum auf den PC übertragen und zB der Spritverbrauch, die gefahrenen Kilometer oder die Durchschnittsgeschwindigkeit ausgewertet und analysiert werden. Auch die Fernsteuerung der Heizung und Klimaanlage sind denkbar. Die Lichteranlage schaltet sich beim Heranfahren an das Zuhause automatisch ein, die Alarmanlage aus und das Garagentor öffnet sich. (vgl. Felbermeir 2006, S. 9)

2.3.3 Car2Enterprise

Die dritte Untergruppe von Car2X umfasst kommerzielle Dienste, die von Unternehmen angeboten werden. Beispiele hierfür sind ortsabhängige Dienste, sogenannte Location Based Services wie Tankstellen, die ihr Verkaufssortiment durch das Anbieten von digitalen Straßenkarten oder mp3-Musik erweitern. Diese neuen digitalen Produkte können während des Tankens direkt ins Auto übertragen und auch von dort bargeldlos bezahlt werden. Beliebig viele weitere solcher kommerziellen Car2Enterprise-Dienste sind denkbar. Sie eröffnen Unternehmen ein völlig neues Geschäftsfeld in Verbindung mit dem Automobil, das bis dato so nicht realisierbar war. (vgl. Felbermeir 2006, S. 8)

2.3.4 Car2Car

Schon heute befindet sich in einem Automobil modernste Elektronik mit On-Board-Computern und Sensoren. Diese registrieren den Aufprall, bevor ihn die Insassen wahrnehmen, sorgen dafür, dass sich Sicherheitsgurte straffen, Airbags aufblasen, die Benzinpumpe gestoppt wird, um die Gefahr eines Brandes auszuschließen, schalten die Innenraumbeleuchtung ein und lösen Notrufe aus. Neben diesen passiven leisten aktive Sicherheitssysteme wie das Antiblockiersystem (ABS), die Antriebsschlupfregelung (ASR) oder das Elektronische Stabilisierungsprogramm (ESP) einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit im Straßenverkehr. (vgl. Proskawetz 2007, S. 1)

All diese bereits existierenden Technologien erfassen jedoch nur die direkten Vorgänge in unmittelbarer Umgebung. Ziel von Car2Car ist es, die von den verschiedenen Sensoren gesammelten Informationen zu verknüpfen und auszuwerten, um sie letztendlich zu verbreiten, sodass ein umfassendes und überall verfügbares Kommunikationsnetzwerk entsteht. Dadurch ist der Fahrer immer einen Schritt früher informiert, er weiß zB frühzeitig, ob sich hinter der nächsten Kurve ein Stau gebildet hat oder in einem bestimmten Streckenabschnitt mit Glatteis oder Nebel zu rechnen ist. Das bedeutet, dass der Erfassungshorizont des Fahrers erweitert wird, indem er Informationen über ein demnächst eintreffendes Ereignis in Echtzeit erhält. (vgl. Felbermeir 2006, S. 7)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.3.5 Car2Infrastructure

Die Sensoren des Fahrzeuges zeigen jedoch nur ein beschränktes Bild. Zusätzlich sollen in Verkehrszeichen, -signalen und -leitsystemen eingebaute Infrastruktursensoren Informationen über den Straßenverkehr und die Wetterverhältnisse liefern. Der Fahrer erhält durch das Zusammenspiel von Car2Car- und Car2Infrastructure-Daten ein umfassendes Bild der aktuellen Verkehrs- und Wetterlage. (vgl. Felbermeir 2006, S. 7)

Das visionäre Ziel, durch Car2Car und Car2Infrastructure eines Tages im Straßenverkehr in die Zukunft zu blicken, kann nach derzeitigem Forschungsstand nicht von einem einzigen Automobilhersteller allein verwirklicht werden. Vielmehr erfordert es eine Zusammenarbeit auf breiter Ebene zwischen Forschern, Zulieferern und möglichst allen Automobilherstellern. Aus diesem Verständnis heraus stellt das folgende Kapitel den bedeutendsten Zusammenschluss in Sachen Car2X in Europa vor: das CAR 2 CAR Communication Consortium.

2.4 CAR 2 CAR Communication Consortium

Die bedeutendste Institution in Europa im Bereich von Car2X ist das CAR2CAR Communication Consortium (C2C-CC). Diese gemeinnützige Einrichtung wurde 2002 von der AUDI AG, der BMW Group, der DaimlerChrysler AG und der Volkswagen AG gegründet und steht Automobilherstellern, Zulieferern, Forschungszentren und jedem, der sich mit Car2X beschäftigt, offen. Als gleichberechtigte Partner kamen 2004 Opel, Fiat, Honda und Renault hinzu.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ziel des C2C-CC ist es, die Verkehrssicherheit und –effizienz zu erhöhen, indem die Zahl der Unfälle im Straßenverkehr entscheidend reduziert und der Verkehrsfluss erkennbar verbessert wird. Dies soll durch die Entwicklung eines offenen Industriestandards erreicht werden, damit die Fahrzeuge möglichst vieler Hersteller miteinander kommunizieren können. Dieser notwendige Standard, der für das Funktionieren von Car2X-Diensten erforderlich ist, wird im folgenden Kapitel samt einem kurzen technischen Abriss erklärt.

2.5 Technischer Hintergrund

Technologisch betrachtet basiert Car2X auf dem offenen Funktechnologie-Standard WLAN IEEE 802.11[2]. Für sicherheitskritische Car2Car und Car2Infrastructure-Anwendungen wird mit IEEE 802.11p ein eigener WLAN-Standard entwickelt, welcher in den USA als Dedicated Short Range Communication (DSRC) bezeichnet wird. Dieser erfüllt die spezifischen Anforderungen eines bidirektionalen Informationsaustausches zwischen Fahrzeugen (Car2Car) sowie zwischen Fahrzeugen und stationären Einrichtungen (Car2Infrastru-cture): Kurze Übertragungszeiten im Mikrosekundenbereich sowie ein rascher Ad-Hoc-Netzwerkaufbau durch Knoten, die sich permanent an- und abmelden und die Informationspakete ohne Datenverlust von einem Sender zum nächsten weiterreichen. (vgl. Tauschek 2006, S. 18)

Hinsichtlich der physikalischen Ebene basiert DSRC auf dem WLAN-Standard IEEE 802.11a. Für nicht sicherheitskritische Car2Car und Car2Infrastructure-Anwendungen ist IEEE 802.11g vorgesehen. Dieser ist mit IEEE 802.11b kompatibel. Beide finden derzeit stark expandierend in öffentlichen, privaten und Büro-Netzwerken Verwendung. Bereits heute existiert eine Vielzahl von Produkten, die IEEE 802.11a/b/g-tauglich sind: Notebooks, Spielekonsolen, Digital- und Videokameras etc. (vgl. Matheus/Morich/Lübke 2004, S. 2 f)

Wichtig für die Schnelligkeit und Verlässlichkeit von sicherheitskritischen Car2Car und Car2Infrastructure-Anwendungen ist eine eigenständige, geschützte Funkfrequenz. Die herkömmlichen WLAN-Frequenzen von IEEE 802.11b/g und IEEE 802.11a/h im Bereich von 2,4 bzw. 5 GHz für öffentliche und private Netze sind für sicherheitskritische Stau- oder Unfallwarnungen nicht geeignet. Deshalb hat sich die größte europäische Interessensgemeinschaft in Sachen Car2X, das C2C-CC, auf ein geschütztes Frequenzband im Bereich von 5,9 GHz geeinigt (5,875 bis 5,825 GHz). Anders als in den USA, wo diese Frequenz bereits offiziell zugeteilt worden ist, steht sie in Europa von Seiten des Europäischen Normungskomitees CEN (Comité Européen de Normalisation) immer noch aus. Doch nur mit dieser eigenen, geschützten Funkfrequenz im Bereich von 5,9 GHz können Störungen oder gar Manipulationen ausgeschlossen werden und gleichzeitig ein hoher Standard an Sicherheit, Übertragungsgeschwindigkeit und Zuverlässigkeit garantiert werden – Faktoren, die für die Akzeptanz des gesamten Systems zwingend erforderlich sind. (vgl. Mertens 2007, S. 36)

Aus Gründen der Vereinfachung und besseren Verständlichkeit wird in dieser Diplomarbeit in weiterer Folge ausschließlich von WLAN als Schlüssel-technologie für Car2X gesprochen (vgl. Specks/Rech 2005, S. 5), wobei explizit IEEE 802.11p für sicherheitsbezogene und IEEE 802.11a/b/g für nicht sicherheitskritische Anwendungen gemeint ist.

WLAN ermöglicht als besonders kostengünstiger Radiowellen-Standard für drahtlose Netzwerkkommunikation den automatischen Austausch von Daten zwischen Sender und Empfänger auch bei Relativgeschwindigkeiten von 400 km/h[3], entweder direkt im so genannten Ad-hoc-Modus zwischen On-Board-Units oder im Infrastruktur-Modus mit Hilfe einer Basisstation, die als Road-Side-Unit bezeichnet wird. (vgl. Meier/Lübke 2007, S. 4)

Erhebliche Vorteile von WLAN gegenüber zellularen Funktechnologien wie GSM (Global System for Mobile Communications) oder UMTS (Universal Global Telecommunications System) sind wie folgt:

1. Die geringen Kosten: WLAN ist ein offener Radiowellen-Standard und kann deshalb kostenlos benützt werden. Dem gegenüber verursachen GSM und UMTS hohe Providerkosten.
2. Die hohe Bandbreite: WLAN ermöglicht Übertragungsraten von bis zu 54 Mbit/s und tauscht damit 27 Mal schneller Daten aus als UMTS, das mit einer theoretischen Übertragungsgeschwindigkeit von 2 Mbit/s aufwartet. Die kommende WLAN-Erweiterung 802.11n wird bereits eine Übertragungsrate von bis zu 540 Mbit/s zulassen, wobei in der Forschung schon an noch höheren WLAN-Kapazitäten im Gbit/s-Bereich gearbeitet wird. (vgl. Eberspächer 2007, S. 4)
3. die niedrige Latenzzeit: WLAN benötigt weniger Zeit als GSM und UMTS, um eine Verbindung zwischen Sender und Empfänger aufzubauen.
4. die einfache Adressierung: WLAN benötigt im Gegensatz zu GSM und UMTS keine Rufnummer und kann deshalb Datenpakete einfacher und rascher verschicken (vgl. Mertens 2007, S. 16).

Über den großen Nachteil von WLAN gibt bereits die ausgeschriebene Bezeichnung Wireless Local Area Network Auskunft: Das Netzwerk ist lokal begrenzt, verfügt also über eine viel geringere Reichweite als so genannte WAN’s (Wide Area Network, zB GSM und UMTS). Dies hat zur Folge, dass ausreichend viele Sender im Umkreis präsent sein müssen, um ein Funktionieren des Netzwerkes sicherzustellen. Deshalb müssen weitere Automobile als Zwischenknoten fungieren, sobald sich ein Automobil aus dem Sendebereich entfernt. Dieses so genannte Multihopping ermöglicht, dass Automobile in Form von On-Board-Units spontan selbst organisierende Ad-hoc-Kommunikations-netzwerke bilden. IEEE 802.11p erzielt pro Singlehop immerhin schon Reichweiten von bis zu 1.000 Meter. Die Gegenüberstellung in Abbildung 6 veranschaulicht die Beschaffenheit beider intelligenter Netzwerke:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zusammenfassend existiert mit WLAN also eine Massentechnologie, die kommerziell für Car2X-Dienste genutzt werden kann und alle technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt. Zusätzlich gestattet WLAN die Interaktion mit bereits am Markt erhältlichen kompatiblen WLAN-Geräten wie Notebooks oder PDA’s. Dies stellt für die Markteinführung von WLAN-Technologien im Automobil ein nicht zu unterschätzendes Potenzial dar. Darüber hinaus ist die Einigung des C2C-CC auf die Sendefrequenz 5,9 GHz ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zur Standardisierung zwischen Europa und Nordamerika.

3 Rahmenbedingungen von Car2X

Wesentlich für die erfolgreiche Einführung einer innovativen Technologie wie Car2X ist die Analyse der Rahmenbedingungen, damit mögliche Einflussfaktoren erkannt und die theoretische Basis für eine Markteinführung gelegt werden kann. Aus diesem Verständnis heraus liefert das dritte Kapitel

- einen allgemeinen theoretischen Abriss zur Einführung von Innovationen,
- eine Darstellung der Strategie bei der Markteinführung von automobilen Innovationen,
- eine Analyse der Konkurrenzsituation sowie
- eine Identifikation der Stakeholder.

3.1. Theoretischer Rahmen zur Markteinführung von Innovationen

Oft werden unter Innovationen nur technische Erfindungen verstanden, doch aus wirtschaftlicher Sicht greift dieses Verständnis zu kurz. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter traf bereits 1912 in seiner “Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung” eine genaue Einteilung, deren Elemente aufeinander aufbauen und eine chronologische Abfolge ergeben:

- Zuerst wird die Invention gemacht. Sie meint die technische Erfindung oder Entdeckung an sich.
- Als nächster Schritt erfolgt die Innovation. Sie bezeichnet die erfolgreiche Markteinführung und wirtschaftliche Nutzbarmachung einer Invention.
- Am Ende kommt die Diffusion. Dieser Begriff steht für die massenhafte Verbreitung einer Innovation. (vgl. Schumpeter 1997, S. 53)

Aus diesem Verständnis heraus lässt sich der Terminus Innovation wiederum in zwei Teile aufspalten: Produktneuerungen treten entweder als echte oder unechte Innovation auf. Echte Innovationen bieten von Grund auf neue Lösungen, die in dieser Form vorher gar nicht oder nur völlig anders möglich waren. Dem gegenüber bringen unechte Innovationen keine wirkliche Produktneuerung. Sie differenzieren vielmehr ein schon bestehendes Produkt durch formale Neuerungen, um sich von der Konkurrenz abzuheben. (vgl. Matys 2005, S. 140)

In weiterer Folge werden in dieser Diplomarbeit unter Innovationen ausschließlich echte Innovationen verstanden, da Car2X alle Definitionskriterien einer grundsätzlichen, so noch nie dagewesenen Neuerung erfüllt, die erfolgreich in den Markt eingeführt und nutzbar gemacht werden soll. Grundsätzlich schüren Innovationen hohe Erwartungen, einen bestimmten Bereich zu verbessern. Um eine möglichst große Diffusion zu erreichen wird versucht, diesen Erwartungen mit einem für den Kunden neuartigen Direktnutzen zu begegnen. Dem Kundennutzen steht allerdings das Risiko gegenüber, mit der Entscheidung für diese Innovation eine Fehlinvestition zu begehen. “... Strategie bei der Markteinführung .. ist es .., das Risiko für .. Abnehmer so weit wie möglich auszuschalten” (Matys 2005, S. 141).

Diese Risikoabfederung kann durch eine überzeugende Innovationskom-munikation gelingen, indem man dem Kunden hilft, gerade zu einer komplexeren Innovation einen individuellen Zugang zu finden. Dies kann durch Nutzen- und Kompetenzbeweise des Herstellers erfolgen, indem er zeigt, dass er in der Lage ist, seine Versprechen zu halten. Eine andere Möglichkeit sind gezielte Beratungsleistungen im Vorfeld, die dem Kunden erlauben, sich mit der Innovation und ihren Einsatzmöglichkeiten noch vor der Markteinführung vertraut zu machen. Möglichkeiten hierfür sind Schnupper- oder Erprobungsveranstaltungen, Produktdemonstrationen, Roadshows mit Beratungen und Präsentationen. (vgl. Matys 2005, S. 143)

Zusammenfassend leistet also die Innovationskommunikation einen wichtigen Beitrag dazu, das Risiko, durch den Erwerb einer Innovation „auf das falsche Pferd zu setzen“, als minimal zu kommunizieren: Informative Werbung und argumentative Öffentlichkeitsarbeit machen den neuartigen Nutzen gerade einer komplexen Innovation leichter erkennbar und plausibler für den Kunden.

3.2 Markteinführungsstrategie für Innovationen

Um Aussagen über die erforderliche Einführungsstrategie für Car2X treffen zu können, liegt es nahe, zuerst die aktuelle Strategie bei der Einführung von Innovationen zu analysieren. Automobile Innovationen werden von den Herstellern klassischerweise Top-Down eingeführt. Das bedeutet, dass zuerst das höchste Segment – bei Audi der A8 – und schließlich alle nachfolgenden Modelle Generation für Generation von oben nach unten mit einer neuen Technologie ausgerüstet werden. Bei den meisten technisch komplexen Sonderausstattungen ergibt sich aufgrund der optionalen Wahlmöglichkeit als Zusatzfeature ein Top-Down-Stufenbild aus dem Markt heraus. Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht anhand der Einbaurate von Navigationssystemen mit Farbbildschirm beispielhaft, wie die Kaufkraft der Audi Kunden nach Modellen verteilt ist[4]:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Vorteil der bewährten Top-Down-Strategie ist, dass ein Automobilhersteller die schrittweise Markteinführung einer meist kostenintensiven Innovation finanziell leichter verkraftet, als wenn er sie flächendeckend in alle Modelle einführt. Die hohen Entwicklungs- und Produktionskosten können durch das zuerst in den höherpreisigen Segmenten erfolgende Angebot leichter auf den Verkaufspreis aufgeschlagen werden, ohne dass der Kunde verärgert wird.

Zusätzlich entsteht der Effekt, dass die Nachfrage nach der Innovation künstlich gesteigert wird: Steht eine Innovation vorerst nur in höheren Segmenten zur Verfügung, verleiht ihr das eine besondere Wirkung auf die Kunden. Gerade jene, die niedrigere Segmente fahren bzw. kaufen, wollen in ihrem Modell eine ähnlich gute Ausstattung haben, wie sie in den Top-Modellen vorhanden ist. Aus dieser Spirale heraus neigen sie dazu, die neue Technologie mit der Zeit ebenfalls in ihr Fahrzeug zu reklamieren, und zwar als optionales Zusatzfeature. Die leichtere Finanzierbarkeit und die Nachfragespirale sind zusammenfassend die Gründe für den Erfolg der Top-Down-Einführungsstrategie in der Automobilbranche.

Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich deshalb eins zu eins für die Einführung von Car2X anwenden lässt. Grund dafür ist wie im Kapitel 2.5 beschrieben, dass Car2X auf Netzwerkkommunikation basiert. Daraus ergeben sich Netzwerkeffekte, was bedeutet, dass der Nutzen für den Kunden erst mit der Verbreitung der Technologie steigt. Ein Beispiel für solche Technologien, die Netzwerkeffekten unterliegen, ist das Telefon. Als Anfang des 20. Jahrhunderts nur die wenigsten Menschen ein Telefon besaßen, war der Nutzen dieser Kommunikationstechnologie relativ klein, weil sich nur wenige Telefongespräche zwischen einer geringen Anzahl von Menschen führen ließen. Heute verfügt in der westlichen Hemisphäre jeder Haushalt und jedes Unternehmen zumindest über ein (Mobil- oder Festnetz-) Telefon, was den Nutzen dieser Technologie vervielfacht. (vgl. Matheus/Morich 2004, S. 12 f)

Ähnlich verhält es sich mit Car2X: Aufgrund der Netzwerkeffekte, die diese Technologie mit sich bringt, ergibt sich erst aber einer gewissen Verbreitung eine Funktion für den Kunden. Ein mit einer On-Board-Unit ausgestattetes Fahrzeug, das keinen Kommunikationspartner in Form von einer weiteren On-Board-Unit oder fix installierten Road-Side-Unit findet, ist nicht in der Lage, Nutzen zu stiften.

Das führt dazu, dass eine Markteinführung nach der Top-Down-Strategie nicht realisierbar ist: Es werden zu wenige Fahrzeuge im höheren Segment produziert, um Car2X „von oben nach unten“ auf den Markt zu bringen. Die notwendige Verbreitung von Car2X-Kommunikationsmodulen würde so überhaupt nie oder nur sehr langsam erreicht werden, was den Top-Down-Ansatz für Car2X als mögliche Einführungsstrategie ausschließt. (vgl. Matheus/Morich/Lübke 2004, S. 17)

Zusammenfassend benötigt Car2X also ein gewisses Mindestmaß an technischer Verbreitung, um zu funktionieren, denn wo kein Träger, da kein Nutzen aus dieser Innovation. Aus diesem Verständnis heraus wird die erste Forschungshypothese gebildet:

Die Markteinführung von Car2X ist nur mit ausreichender
Verbreitung von Kommunikationsmodulen möglich

Zusammenfassend kann man sagen, dass eine in der Automobilbranche sehr erfolgreiche und bestens bewährte Strategie zur Einführung von Innovationen aufgrund der angesprochenen Netzwerkeffekte bei Car2X nicht anwendbar ist. Die besondere Herausforderung liegt nun darin, eine völlig neue Markteinführungsstrategie für diese besonderen Kriterien unterliegende Innovation namens Car2X zu entwickeln. Wie eine solche Strategie aussehen könnte, darüber geben die nächsten Kapitel Aufschluss. Doch zuvor wird noch die Konkurrenz- und Stakeholder-Situation analysiert.

3.3 Konkurrenzsituation

Naturgemäß spielen die größten Automobilmärkte der Welt auch die wichtigste Rolle bei der Entwicklung von Innovationen in dieser Branche. Nicht anders verhält es sich bei Car2X: Die USA, Europa und Japan sind die drei wichtigsten „Player“, die an der Forschung rund um Car2X arbeiten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Aufgrund der Komplexität und Vielschichtigkeit von Car2X fanden in den drei Weltmärkten Zusammenschlüsse zahlreicher Automobilhersteller statt, wie bereits mit der Vorstellung des europäischen C2C-CC angedeutet wurde. Denn eine erfolgreiche Einführung von Car2X kann nach heutigem Wissensstand nur dann gelingen, wenn sich möglichst viele Automobilhersteller zusammenschließen und gemeinsam an der Markteinführung von Car2X arbeiten. In weiterer Folge werden deshalb die Car2X-Konsortien auf den anderen beiden automobilen Weltmärkten vorgestellt und ihre aktuellen Projekte diskutiert.

3.3.1 USA

Das US-Verkehrsministerium (DOT, Department of Transportation) steckt in einem Dilemma: Investitionen in den weiteren Ausbau des Autobahnsystems der USA können mittlerweile kaum noch vorgenommen werden. Gründe dafür sind der mangelnde Platz, der dort, wo es nötig wäre, nicht vorhanden ist und die Ausbaumaßnahmen kaum noch zu finanzieren sind. Darum liegt das Hauptaugenmerk des DOT darauf, das aktuelle Straßensystem effizienter zu machen. Unter Effizienzsteigerung ist in diesem Zusammenhang die größtmögliche Aufrechterhaltung des Verkehrsflusses durch Unfallvermeidung und Verkehrsinformationen zu verstehen, damit Autofahrer Staus frühzeitig umfahren und die Aufräumdienste verbleibende Unfälle schnell aufarbeiten können. (vgl. Herrtwich 2005, S. 161)

Auf Grundlage dieser Überlegungen startete das DOT im Jahr 2003 die Initiative Vehicle Infrastructure Integration. Zwei Jahre später entwickelte sich daraus das amerikanische Gegenstück zum C2C-CC aus Europa: Das Vehicle Infrastructure Integration Consortium (VIIC). Dieses umfasst neben dem DOT weitere Verkehrsministerien aus zehn amerikanischen Bundesstaaten, die staatliche Autobahn-Behörde FHWA (Federal Highway Administration), die nationale Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) sowie sieben Automobilhersteller aus Deutschland, den USA und Japan (BMW, Daimler, Ford, General Motors, Nissan, Toyota und Volkswagen). (vgl. Krishnan 2007, S. 28 f)

Ziel von VIIC ist es, die Sicherheit und Mobilität im Straßenverkehr zu erhöhen. Dies soll durch den Aufbau einer Kommunikationsinfrastruktur erreicht werden, die Informationen in Echtzeit zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur austauscht. Hierfür werden Streckenabschnitte und Fahrzeuge mit WLAN-Modulen ausgestattet. Bereits 1999 bewilligte die amerikanische Kommunikationsbehörde FCC (Federal Communications Commission) eine eigene Sendefrequenz von 5,9 GHz für Car2X. Dieser wichtige Schritt wurde bisher in Europa noch nicht gemacht, wird aber in absehbarer Zeit erfolgen müssen, um nicht den Anschluss an die USA zu verlieren. In der Nähe von Detroit wurde Mitte 2007 ein Erprobungsfeldtest auf einer Fläche von über 50 km2 gestartet. Darin sollen folgende Warn- und Informationsdienste getestet werden (vgl. o.V. 2007j: 2, Major Initiative Status Report, http://www.its.dot.gov/itsnews/fact_sheets/vii .htm, Jänner 2007):

- Dynamische Verkehrsinformationen
- Warnung bei Missachtung von Verkehrszeichen und -signalen
- Informationen zu Straßenbedingungen (Schlaglöcher, Wetter etc.)
- Alternative Routenführung
- Zahlungstransaktionen (zB Maut, Tanken, Parken etc.)
- Verkehrsmanagement und –kontrolle
- Risiko- und Sicherheitsmanagement

Der aktuelle VIIC-Plan geht davon aus, dass bis Ende nächsten Jahres genügend Informationen aus dem Feldtest gesammelt werden können, um die Einführung von Car2X zu starten. Hierfür ist Ende 2008 der Beschluss eines Commitments vorgesehen, womit sich alle VIIC-Partner zu einer Einführung von Car2X verpflichten. Drei Jahre später, also beginnend in 2012, sollen die ersten Fahrzeuge verkauft werden, die Car2X-Anwendungen wie jene oben integriert haben. Im Rahmen dieses Szenarios geht das VIIC davon aus, dass die notwendige Kommunikationsinfrastruktur in allen 50 amerikanischen Bundesstaaten verfügbar ist und die Hälfte der Gesamtbevölkerung, also über 150 Mio. Menschen, erreicht werden können. (vgl. o.V. 2007j: 2, Major Initiative Status Report, http://www.its.dot.gov/itsnews/fact_sheets/vii .htm, Jänner 2007)

Die Kosten für den Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur werden zwischen 3,7 und 4,8 Mrd. US-Dollar kalkuliert. Das ist eine immense Summe, macht aber letztendlich nicht einmal fünf Prozent des jährlichen DOT-Haushalts aus (vgl. o.V. 2007i, S. 2 ff). Darüber hinaus arbeitet ein weiteres Car2X-Konsortium aus den USA an Projekten für mehr Sicherheit im Straßenverkehr: Das Vehicle Safety Consortium (VSC) umfasst dabei die Automobilhersteller Daimler, Ford, General Motors, Honda und Toyota. VSC-Projekte sind die beiden Sicherheitsanwendungen CICAS (Cooperative Intersection Collision Avoidance System) und CAMP (Crash Avoidance Metrics Partnership), die sich jedoch an einem langfristigeren Einführungsszenario als VIIC orientieren. Darüber hinaus wird für eine Realisierung von CICAS und CAMP zuerst eine erfolgreiche Markteinführung von VIIC vorausgesetzt, die unterstützend wirken soll. (vgl. Krishnan 2007, S. 2 f)

3.3.2 Japan

Noch weiter als die USA präsentieren sich die Japaner: Bereits 1997 startete dort die AHSRA (Advanced Cruise Assist Highway Systems Research Association) ein Projekt mit dem Ziel, ein System zu entwickeln, das eine funktionierende Kommunikation zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur möglich macht. Aktuell wird im Rahmen der Smartway-Initiative an einer Zusammenführung zweier unterschiedlicher Systeme gearbeitet: Das bereits seit 1996 bestehende und ständig weiter entwickelte Verkehrsinformationssystem VICS (Vehicle Infrastructure Communication System) und das 1999 in Betrieb gegangene Mauterfassungssystem ETCS (Electronic Toll Collection System) werden in ein einziges System integriert. (vgl. Mori, März/April 1999: 3, http://www.tfhrc.gov/pubrds/marapr99/japan.htm)

Grundlegende Technologie beim neuen Konvergenz-System ist ebenfalls WLAN, wobei auf einer etwas niedrigeren Frequenz als in Europa und den USA gefunkt wird, und zwar auf 5,8 statt 5,9 GHz. Damit ergibt sich bei sicherheitskritischen Anwendungen keine Kompatibilität zu den europäischen und amerikanischen Car2X-Projekten. Während ETCS schon bisher auf der von der japanischen Regulierungsbehörde zugewiesenen Frequenz von 5,8 GHz funkte, muss VICS von 2,5 GHz erst dorthin angehoben werden. (vgl. Hara/Koch 2007, S. 23)

Hierbei liegt die technische Problematik bei der Verschmelzung zweier unterschiedlicher Systeme. Sie ist aber nicht die einzige: Denn 5,8 GHz heißt auch, dass Automobilhersteller aus Europa und Amerika ihre für den japanischen Markt bestimmten Fahrzeuge auf diese um 0,1 GHz niedrigere Frequenz anpassen müssen, sofern sie in Zukunft nicht einen gravierenden Wettbewerbsnachteil in punkto Sicherheits- und Komfortdienste riskieren wollen. Umgekehrt werden aber auch die Japaner, die bei weitem mehr Autos exportieren als importieren und damit jedes Jahr aufs Neue einen kräftigen Handelsbilanzüberschuss erwirtschaften, ähnliche Adaptierungen für den europäischen Markt vornehmen müssen.

Von den 45 Mio. in Japan zugelassenen Fahrzeugen sind bereits 8,6 Mio. mit On-Board-Units ausgestattet. Das ergibt eine technische Durchdringung von knapp über 19 %, was ein sehr hoher Wert ist. Fast jeder fünfte japanische Autofahrer hat also die theoretische Möglichkeit, auf die bereits heute in Japan zur Verfügung stehenden Verkehrsinformations- und Mauterhebungsdienste zurückzugreifen. Wirklich nutzen tut dies aber nur die Hälfte, also grob jeder zehnte Japaner mit Auto. Trotzdem: Die hohe Ausstattungsrate bei Fahrzeugen sowie die bereits aufgebaute Infrastruktur begünstigten eine Markteinführung von Car2X in Japan. (vgl. Makino 2006, S. 10)

Nach einem im Jahr 2008 vorgesehenen Feldtest sollen schon mit Beginn des darauf folgenden Jahres sicherheitskritische Dienste, wie Verkehrssicherheitsinformationen oder Warnung vor Hindernissen, eingeführt werden. Einige Monate später, nämlich Ende 2009, ist die Einführung kommerzieller Dienste von staatlicher Seite geplant, wie Verkehrsinformationen und Bezahlfunktionen fürs Parken. Die japanische Regierung hat ausdrücklich zugesagt, auch privaten Unternehmen den Zugang zum Car2X-Markt mit eigenen Diensten zu gewähren, um eine nicht förderliche Monopolstellung der Automobilhersteller oder des Staats zu vermeiden, sondern ein hohes Maß an Transparenz und Wettbewerb zu gewährleisten. Nichtsdestotrotz ist der Start von kommerziellen Diensten privater Firmen bis dato noch unklar. Frühestens wird es Bezahlfunktionen bei Tankstellen oder Parkhäusern sowie Mediencontent über Car2X 2010 geben. (vgl. Hara/Koch 2007, S. 6 f)

3.3.3 Schlussfolgerungen

Auffallend ist, dass in Sachen Car2X sowohl die Japaner als auch die Amerikaner Europa einige Schritte voraus sind:

- In Japan und den USA haben die jeweiligen Regulierungsbehörden bereits geschützte Funkfrequenzen für Car2X (5,8 bzw. 5,9 GHz) zugewiesen.
- Die Infrastruktur an den Straßenrändern, sogenannte Road-Side-Units, sind in Japan großteils bereits vorhanden bzw. werden in den USA im großen Stil bis 2011 errichtet – vorausgesetzt, das oben angesprochene Commitment wird 2008 beschlossen.
- Nahezu jedes fünfte japanische Auto ist bereits mit einer On-Board-Unit ausgestattet, die drahtlose Funkverbindungen über WLAN ermöglicht.
- Die Markteinführung von Car2X-Diensten ist in Japan bereits jetzt fix für 2009 eingeplant. In den USA wird nach dem Beschluss des Commitments mit 2012 mit dem Start von Car2X gerechnet.

Daraus ergibt sich für Europa natürlich Nachholbedarf, wobei man das amerikanische oder japanische Modell nicht eins zu eins auf den alten Kontinent übertragen kann, sondern auf die spezifischen Anforderungen Europas eingegangen werden muss. Trotzdem kann Europa von den Vorreitern in Fernost und Übersee etwas lernen. Besonders spannend ist das japanische Modell: Dort nimmt man bereits bestehende Kommunikationssysteme (ETCS, VICS), die für andere Zwecke errichtet wurden – in diesem Fall Mauterhebung und Verkehrsinformation – und erweitert sie. Daraus entstehen Synergien, die eine Markteinführung von Car2X wesentlich erleichtern und sie beschleunigen.

Die Konkurrenzanalyse zeigt also auf, dass ein Trend zu einer stärkeren Nutzbarmachung bereits vorhandener Systeme mitsamt seiner Infrastruktur besteht. Doch ob die Zusammenführung verschiedener Systeme wirklich erfolgreich sein wird, muss Japan erst in den nächsten Jahren unter Beweis stellen. Europa kann sich davon aber inspirieren lassen, ähnliche Lösungen für sich in Erwägung zu ziehen, ohne dabei die spezifischen europäischen Rahmenbedingungen aus den Augen zu verlieren. Das nächste Kapitel widmet sich den Stakeholdern, um auszuloten, mit welchen Car2X-Interessenten eine strategische Partnerschaft sinnvoll erscheint, um das Ziel “Markteinführung von Car2X” zu erreichen.

3.4 Identifikation der Stakeholder

Nachdem nun die Konkurrenzsituation bei Car2X analysiert und damit ein Blick über die Grenzen Europas geworfen wurde, beleuchten die folgenden Kapitel die verschiedenen Interessensgruppen auf europäischer Ebene:

Abbildung 9: Öffentliche und kommerzielle Car2X-Stakeholder (Basis: Matheus/Morich/Lübke 2004, S. 8 ff)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Terminus Stakeholder [5] bezeichnet Gruppen oder Personen, die durch Ziele und Entscheidungen eines Unternehmens bzw. Projektes betroffen sind oder diese selbst beeinflussen können (vgl. Freeman 1984, S. 251). Für Car2X ist es wichtig, die relevanten Stakeholder frühzeitig zu identifizieren. Deshalb wird nachfolgend systematisch aufgezeigt, welche Gruppen welches Interesse bei Car2X verfolgen und wo sie profitieren können.

Die folgende Grafik versucht die wichtigsten Stakeholder bei Car2X darzustellen, kann aber aufgrund der Vielzahl an möglichen Partnern bei weitem nicht alle erschöpfend behandeln. Sie ist unterteilt in öffentliche und kommerzielle Interessenten. Die EU, Regierungsbehörden und Städte bzw. Gemeinden haben ein öffentliches Interesse an Car2X. Dem gegenüber stehen Automobilhersteller mit ihren Endkunden, die Teilelieferanten sowie Versicherer und sonstige Dienstleister, die kommerzielle Ziele mit Car2X verfolgen.

Zwischen den beiden großen Interessensgruppen ordnen sich Straßen- und Mautbetreiber sowie Web-Unternehmen ein. Diese beiden Stakeholder haben in erster Linie Gewinnmaximierung als Ziel. Gleichzeitig leisten sie aber durch ihre öffentlichen Auftraggeber Regierung und Städte auch einen Beitrag, der schlussendlich dem Allgemeinwohl dient.

3.4.1 Öffentliche Interessenten

Schon in der Einleitung wurden im Kapitel Ausgangssituation die volkswirtschaftlichen Schäden durch Verkehrsunfälle und –ineffizienz aufgezeigt. Daraus ergibt sich ein erhebliches öffentliches Interesse, Projekte von öffentlicher Hand zu fördern, die zu einer Minimierung des Schadenspotenzials führen.

[...]


[1] lat. communicare = mitteilen

[2] Wireless Local Area Network (WLAN); Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE)

[3] Zwei Fahrzeuge fahren mit einer Geschwindigkeit von jeweils 200 km/h aneinander vorbei

[4] Vergleichbare Zahlen für den A5 liegen für das 1. Halbjahr 2007 noch nicht vor, da der Verkaufsstart erst im März 2007 erfolgte

[5] engl. Stakeholder = Interessengruppe

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783842841161
DOI
10.3239/9783842841161
Dateigröße
2.1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule St. Pölten – Medienmanagement, Wirtschaft
Erscheinungsdatum
2012 (Oktober)
Note
1
Schlagworte
markteinführung pervasive computing kommunikation audi ubiquitous
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Titel: Visionen und Potenziale von Car2X - Die Entwicklung eines wirtschaftlichen Markteinführungsszenarios für die AUDI AG
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