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Evolutionary Past, Symbiotic Future: Definitionen und Potentiale des Critical Design

©2012 Bachelorarbeit 66 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Zu Beginn der sechziger Jahre fand ein Wandel in der Funktion des Designs statt. Durch die wirtschaftliche Entwicklung in der Nachkriegszeit bekam die Gesellschaft ein neues Wertesystem in dem das gesellschaftliche Leben von Massenkonsum bestimmt wurde. Infolgedessen entfaltete sich eine florierende Industrie. Diese schnelle Entwicklung des Marktes erforderte eine ebenso rasante, wie auch innovative Reaktion des Designs. Als Konsequenz büßte die Gute Form, ein um durch ‘schlechten Industriekitsch’, der ausschließlich zur ‘Stilputzerei’ und zur Umhüllung von Dingen diente, ersetzt zu werden. Doch diese Entwicklung hielt nicht lange an. Bereits Mitte der sechziger Jahre gerieten der unkontrollierte Verbrauch natürlicher Ressourcen und das Konsumverhalten der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft in den Fokus der Kritik. Hinzu kam eine sich verschärfende Ökologieproblematik, die in den siebziger Jahren kulminierte. Von nun an wurde vom Design Umweltfreundlichkeit, Ressourcenschonung und eine soziale Handhabung des Gestaltens erwartet. Es folgten Proteste gegen das etablierte Mainstreamdesign, die sich sogar bis zu einer Infragestellung der Rolle des Designs im Allgemeinen verschärften.
Daran angelehnt stellte Gui Bonsiepe fest: ‘In einer von Widersprüchen heimgesuchten Gesellschaft ist auch das Entwerfen und Gestalten von Widersprüchen geprägt’. Anknüpfend an diese Problematiken entwickelten sich zahlreiche Designströmungen, die sich mit den sozialen, politischen und kritischen Gesichtspunkten des Designs, wie Gui Bonsiepe es proklamierte, auseinander setzten. Eine dieser neuen Haltungen soll in dieser Arbeit explizit thematisiert werden: das Critical Design. Denn: Es stellt, im Vergleich zu anderen Designströmungen einen Ausnahmefall dar. Jener besteht darin, dass wo auch immer man nach Critical Design sucht, man nur selten auf eindeutige Ergebnisse stößt. So findet man immer wieder Gestalter, die zwar kritische Produkte herstellen, sich aber nicht zu dem Metier der Critical Designer zugehörig fühlen. Sei es, aus einer bewussten Entscheidung gegen diese Haltung heraus, oder aufgrund ihres Unwissens über die Existenz des Critical Designs. Im Umkehrschluss findet man jedoch genauso Produkte die zwar zur Kategorie des Critical Design passen, aber ebenso in denen, dem Critical Design ähnlichen Formen, wie dem Social Design oder Concept Design angesiedelt werden könnten. Ein Beispiel dafür ist das 1979 entstandene Plakat, Die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Jana Sonia Pia Thierfelder
Evolutionary Past, Symbiotic Future: Definitionen und Potentiale des Critical Design
ISBN: 978-3-8428-4101-7
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
Zugl. Merz Akademie - Hochschule für Gestaltung Stuttgart, Stuttgart, Deutschland,
Bachelorarbeit, 2012
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2012

INHALT
1
Einleitung
4
2
Kritisches
Design
oder
Kunst? 6
2.1
Avantgarde ­ Die Entstehung einer künstlerischen Kritik
7
2.1.2
Dada ­ Revolutionäre Techink, Radikaler Inhalt
7
2.1.3
Agitprop ­ Kunst als ideologische Waffe
10
2.1.4 Fluxus
­
Verschwommene
Realitäten
12
2.1.5
Konzept Kunst ­ Der Verzicht auf das Kunstobjekt
16
2.1.6 Feminist Art Movement ­ Politik durch Kunst oder politische Kunst?
17
2.2
Der bedeutende Mehrwert des Designs
20
2.3
Das Potential zur Entwicklung einer Designwissenschaft
22
2.3.1
Research-Through-Design
24
2.3.2 Zwei Modelle zur Forschung im Design
25
3.2.2
Wissensproduktion
durch
Design
26
3
Kritische
Haltungen
im
Design
28
3.1
Die Entwicklung von Critical Design
30
3.1.1
Social Design ­ Design für eine verantwortungsvolle Gesellschaft
30
3.1.2
Anti-Design und Italian Radical Design ­
ein Protest gegen die etablierten Designpraktiken
34
3.2.3 Konzept Design ­ Debatten über die Rolle des Designs
36
4
Critical Design ­ ein neuer Designansatz
38
4.1
Gegenstand
der
Kritik 40
4.2
Ziele
des
Critical
Designs
41
4.3
Methoden
des
Critical
Design
43
4.3.1
Die
Aktionsforschung
43
4.3.2
Die
Beobachtungsforschung
45

4.3.3
Die
Grounded
Theory
Forschung
46
4.3.4
Die
Szenario
Technik
46
4.4
Die kritische Reflexion des Menschen
47
4.4.1
Gestaltung
von
(In)human
Factors
50
4.5
Das Verhältnis zur Kunst ,,It´s definitely not art"
54
4.6
Der Unterschied zwischen einem Label und einer Haltung
55
4.7
Was könnte das Critical Design sein?
57
5
Eine
Zukunftsvision
für
Design
59
6
Quellen 61
7
Abbildungsverzeichnis 64

4
1 Einleitung
Zu Beginn der sechziger Jahre fand ein Wandel in der Funktion des Designs statt.
Durch die wirtschaftliche Entwicklung in der Nachkriegszeit bekam die Gesellschaft
ein neues Wertesystem in dem das gesellschaftliche Leben von Massenkonsum
bestimmt wurde. Infolgedessen entfaltete sich eine florierende Industrie. Diese
schnelle Entwicklung des Marktes erforderte eine ebenso rasante, wie auch innovative
Reaktion des Designs. Als Konsequenz büßte die Gute Form, ein um durch ,,schlechten
Industriekitsch"
1
, der ausschließlich zur ,,Stilputzerei"
2
und zur Umhüllung von
Dingen diente, ersetzt zu werden. Doch diese Entwicklung hielt nicht lange an.
Bereits Mitte der sechziger Jahre gerieten der unkontrollierte Verbrauch natürlicher
Ressourcen und das Konsumverhalten der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft
in den Fokus der Kritik. Hinzu kam eine sich verschärfende Ökologieproblematik,
die in den siebziger Jahren kulminierte. Von nun an wurde vom Design
Umweltfreundlichkeit, Ressourcenschonung und eine soziale Handhabung des
Gestaltens erwartet.
3
Es folgten Proteste gegen das etablierte Mainstreamdesign, die sich
sogar bis zu einer Infragestellung der Rolle des Designs im Allgemeinen verschärften.
Daran angelehnt stellte Gui Bonsiepe fest: ,,In einer von Widersprüchen
heimgesuchten Gesellschaft ist auch das Entwerfen und Gestalten von
Widersprüchen geprägt"
4
. Anknüpfend an diese Problematiken entwickelten sich
zahlreiche Designströmungen, die sich mit den sozialen, politischen und kritischen
Gesichtspunkten des Designs, wie Gui Bonsiepe es proklamierte, auseinander setzten.
Eine dieser neuen Haltungen soll in dieser Arbeit explizit thematisiert werden: das
Critical Design. Denn: Es stellt, im Vergleich zu anderen Designströmungen einen
Ausnahmefall dar. Jener besteht darin, dass wo auch immer man nach Critical Design
sucht, man nur selten auf eindeutige Ergebnisse stößt. So findet man immer wieder
Gestalter, die zwar kritische Produkte herstellen, sich aber nicht zu dem Metier
der Critical Designer zugehörig fühlen. Sei es, aus einer bewussten Entscheidung
gegen diese Haltung heraus, oder aufgrund ihres Unwissens über die Existenz des
Critical Designs. Im Umkehrschluss findet man jedoch genauso Produkte die zwar
zur Kategorie des Critical Design passen, aber ebenso in denen, dem Critical Design
ähnlichen Formen, wie dem Social Design oder Concept Design angesiedelt werden
1
Beat Schneider: Design - Eine Einführung. Entwurf im sozialen, kulturellen
und wirtschaftlichen Kontext. Basel u.a. 2009, S. 138
2
Gui Bonsiepe: Entwurfskultur und Gesellschaft. Gestaltung zwischen
Zentrum und Peripherie. Basel u.a. 2009 S. 16
3
vgl. Schneider (2009), S. 138
4
Bonsiepe (2009), S. 16

5
könnten. Ein Beispiel dafür ist das 1979 entstandene Plakat, Die Gedanken sind frei
(Abb. 1) von Klaus Staeck. Der Künstler macht hier nicht nur auf soziopolitische
Missstände in der Gesellschaft aufmerksam, nein, er äußert auch deutliche Kritik
an der einseitigen Weltsicht der Politik und Gesellschaft zu dieser Zeit. Es scheint
eine logische Konsequenz, dass diese Arbeit, die aus einem, für das Design typische
Medium, dem Plakat besteht und für deren Gestaltung offensichtliche grafische Mittel
eingesetzt wurden, die in ihrem Gesamtkonstrukt eine kritische Äußerung treffen,
eben auch zum Critical Design zählen muss. Doch, diese Schlussfolgerung ist falsch:
Klaus Staecks Plakat wird nicht präzise zum Critical Design gezählt. Critical Design
ist etwas anderes.
Genau in dieser Ambivalenz manifestiert sich der Gegenstand dieser Arbeit: die
Unmöglichkeit, einer Zuordnung bestimmter Werke zum Critical Design, die auf
einer bislang mangelnden Existenz klarer Definition gründet. Mit dieser fragilen
Basis wird auch die Existenz des Critical Design fragwürdig, denn wie kann etwas
existieren, das man nicht benennen kann? Vielleicht macht sich das Critical Design
genau jene Unklarheit als Taktik zueigen. Denn, sich nicht festlegen zu lassen
und keine klaren Kriterien vorzugeben eröffnet zahlreiche Möglichkeiten sich zu
platzieren, sich von anderen Ideologien und Denkweisen abzugrenzen und darüber
hinaus eine kritische Haltung gegen jene anzunehmen. Vielleicht benötigt das Critical
Design die Aneignung dieses Freiraums, um eine eigene, individuelle Ausdrucksform
zu finden. Vielleicht ist gerade das ,,Nicht-Label" das Konzept des Critical Designs.
Kurz gesagt: Dem Critical Design fehlt es an einer Definition. An dieser Stelle,
schließt die Intention dieser Arbeit an: Ziel ist es, auf das Critical Design im
Allgemeinen und dessen Potentiale aufmerksam zu machen, indem ein Überblick
Abb. 1

6
über die vielfältigen Facetten und die Entwicklung des Critical Designs gegeben
werden soll. Dies funktioniert nur mit der Entwicklung einer theoretischen Basis,
die eine Art Definition vorgeben kann. Dazu soll das Critical Design zunächst von
anderen, ähnlich kritischen Haltungen in der Gestaltung abgegrenzt werden. Dieses
Ausschlussverfahren verhilft dazu herauszuarbeiten, was Critical Design sein könnte
und was es definitiv nicht ist. Dann werden die möglichen Potentiale des Critical
Design untersucht, um mit Hilfe von Beispielen bestehende Kriterien zu formulieren,
anhand derer eine Definition gebildet werden kann.
2
Kritisches Design oder Kunst?
Dem Begriff Critical Design scheint die Bedeutung immanent: Liest man diesen Begriff,
geht man davon aus, dass unter dieser Bezeichnung Objekte, die in irgendeiner Form
Kritik artikulieren, gemeint sind. Würde dieser Unterstellung gefolgt werden, wären
erste Anfänge des Critical Design bereits in der frühen Kunst des 20. Jahrhunderts
aufzufinden. Man erinnere sich beispielsweise an die Avantgarde Kunst zu Beginn
der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Diese Vorgehensweise führt allerdings,
wie bereits in der Einleitung deutlich wurde, zu keinem Ergebnis. Critical Design ist
etwas anderes.
Um der Forschungsfrage dieser Arbeit nachzugehen, was Critical Design sein
könnte, soll zunächst eine Abgrenzung, sowohl zu frühen Formen der Kritik
in der Kunst, als auch zu aktuellen und aus dem Designbereich stammenden
Kritikformen erfolgen. Dies verhilft nicht nur zu einer klareren Strukturierung der
einzelnen Haltungen, sondern es können sich parallel schon erste Kriterien für diese
Designpraxis herausbilden. Nicht zuletzt ergibt sich in diesem Überblick auch ein
historischer Aufriss der Entstehung des und der Einflüsse auf das Critical Design.
Die Vergleichgegenstände bestehen aus beispielhaften Kunst- und Designobjekten,
die eine Zugehörigkeit zu und entscheidende Auswirkungen auf das Critical Design
vermuten lassen. Diese sollen einerseits inhaltlich, vor allem auf ihren Gegenstand
der Kritik, als auch hinsichtlich des Einsatzes visueller, grafischer, beziehungsweise
für das Design typischer Mittel, durchleuchtet werden.

7
2.1
Avantgardekunst ­ Die Entstehung einer künstlerischen Kritik
Bedeutende Einflussträger und Vorbilder für das Critical Design sind, wie bereits
erwähnt, vor allem in den avantgardistischen Kunstbewegungen zu verzeichnen.
Hauptgrund dafür ist wahrscheinlich der Konsens beider Haltungen über ,,[d]as
gemeinsame Interesse an der Schaffung einer allgemein verständlichen Zeichensprache,
die den gesellschaftlichen Aufbruch ihrer Zeit angemessen zu visualisieren
vermag, (...)"
5
. Dieser gemeinsame Grundsatz, einer ,,allgemein verständlichen
Zeichensprache"
6
lässt in der Konsequenz unweigerlich Ähnlichkeiten in der visuellen
Sprache vermuten. Die zahlreichen Objekte und Mittel jener Haltungen, die sich
problemlos mit Critical Design vergleichen lassen, beweisen dies.
Wie es allgemein bekannt ist, lässt sich die Avantgardekunst in zahlreiche
Bewegungen und Untergruppen unterteilen. Alle auf ihre Parallelen zum Critical
Design zu untersuchen, erscheint für das Ziel dieser Arbeit, auf das Critical Design
an sich aufmerksam zu machen, kaum nötig. Daher sollen hier nur die elementarsten
Vorläufer von Critical Design charakterisiert werden. Dazu zählen Dada, Fluxus,
Feminist Art und die Konzept Kunst.
2.1.1 Dada ­ Revolutionäre Technik, Radikaler Inhalt
Der Einfluss von Dada auf das Design im Allgemeinen ist unbestreitbar. Dass daher
auch das Critical Design davon betroffen sein muss, muss nicht weiter erklärt werden.
Doch sollen einige wichtige Gründe für den Einfluss auf das Design kurz umrissen
werden: Einer liegt in der Erfindung unzähliger neuer visueller Techniken und
radikaler Inhalte. Damit sind beispielsweise die beinahe revolutionären Innovationen
in Layout und Typografie gemeint, durch welche die ungestüme kritische Haltung
gegen alles, visualisiert werden soll.
Ein Anwendungsbeispiel dafür ist die von John Heartfield
7
geprägte Collage-
und Fotomontage Technik. Die Neukombination von gefundenen Materialien
5
Schneider (2009), S. 76
6
ebd.
7
urspr. Helmut Herzfeld

8
miteinander, visualisierten damals die geistige Zersplitterung der Gesellschaft und
das Einläuten einer neuen Ordnung. Heute ist sie sowohl in der Kunst, als auch in
zahlreichen Mode-, Frauen- und Lifestylemagazinen, sowie auf Plakaten, Postkarten
und vielen Printprodukten wieder zu finden.
Ebenso werden auch heute die fundamental neuen Layouts der Dadaisten im Design
wieder aufgegriffen, man denke an das Ray Gun Magazin von David Carson oder die
vielen Plakate der autonomen Szene von Beginn der siebziger Jahre bis heute. Dass
die Prominenz hervortretender, nebensächlicher typografischer Zeichen, damals als
ein Novum in die Gestaltung Einzug erhielt, und in der postmodernen Gestaltung
ebenfalls übernommen wird, verlangt kaum anhand von Beispielen belegt zu werden.
Alles in allem, entwickelte Dada eine Gestaltung für die Allgemeinheit mit einem
progressiven, neuen, grafischen Erscheinungsbild.
Die Kritik an der rasanten Entwicklung von Wirtschaft und Industrie, die in der
Gestaltung von Dada deutlich zum Ausdruck kam, war Gegenstand zahlreicher
Designhaltungen ab den zwanziger Jahren. Diese Einstellung kann auch im Critical
Design, etwas modifiziert, denn hier wird der unaufhaltsame technische Fortschritt
skeptisch hinterfragt, wieder gefunden werden. Die gemeinsame Ablehnung
konventioneller Kunst und des Mainstream Designs ergänzen diese Verwandtschaften.
Hinzu kommt die Infragestellung des Gesellschafts- und Ordnungssystems, die man
in fast allen folgenden, sich dem System widersetzenden, gestalterischen Formen
wieder findet.
Abermals dient John Heartfield, ein Vertreter der angeblich aggressivsten Berliner
Dada Gruppe um 1918, als ein nennenswertes Beispiel. Auch im Hinblick auf das
Critical Design. Die Kunst als Waffe
8
verwendend, stellte er mit den Mitteln der
Persiflage, der Irritation und der Fotomontage propagandistische Plakate her. Ziel war
die Provokation zur sozialen Revolte. Die Realitätsnähe, die durch die Fotomontage
evoziert wurde, half ihm das Volk von den positiven Effekten eines fundamentalen
Umsturzes zu überzeugen. Diese, die Aussagen des Künstlers unterstützende
Realitätsnähe, entstand durch die Neukomposition originaler Materialien zu
einer neuen inhaltlichen Aussage. Durch provokante Überschriften wurden diese
Äußerungen weiter unterstrichen und entwickelten eine nahezu unerreichbare
Schärfe an Kritik. Diese damals neue, nicht illustrative und daher äußerst glaubwürdig
8
vgl. Friedrich Wolf: Kunst ist Waffe. Eine Feststellung. Berlin 1928, Titel

9
erscheinende Technik, könnte im Postmodernismus als ,,Mixed Media Technik"
9
bezeichnet werden. Die Modernität von Heartfields Arbeiten ist damit unumstritten
und es überrascht kaum, dass Heartfields Werke die Gestaltung bis heute prägen.
Ein treffendes Beispiel für eine Fotomontage, wie sie bereits beschrieben
wurde ist Deutsche Naturgeschichte (Abb. 2). Gegenstand der Kritik ist die Entwicklung
des nationalsozialistischen Reichs. Dazu dient Heartfield die Metapher einer
Metamorphose von einer Raupe zur ausgewachsenen Motte. Angefangen, bei der
Raupe, die Friedrich Ebert, in der Weimarer Republik verkörpert, entwickelt sich
Deutschland über den schläfrigen Paul von Hindenburg hin zur Regierung von Adolf
Hitler, der alle Macht an sich reißt, was auch schließlich Anlass zur Veröffentlichung
in der AIZ (Arbeiter Illustrierten Zeitung) gab.
10
Es wäre interessant hier auch auf
die inhaltlichen Bedeutungen einzugehen, doch sollen diese nicht weiter ergründet
werden, da für die vorliegende Arbeit an erster Stelle die Einflüsse auf das Critical
Design, die nicht an einzelnen inhaltlichen Interpretationen ausgemacht werden
können, relevant sind.
Dieses Plakat, wie auch sämtliche andere Arbeiten, die Heartfield herstellte, äußern
nicht nur heftige Kritik an bestehenden politischen, sozialen und gesellschaftlichen
Verhältnissen, wie es auch im Critical Design zu finden ist. Auch die Kombination
von Plakatkunst mit Fotomontage, Collagetechnik und Typografie lassen, obgleich
9
Irving Louis Horowitz: Persuasions& Prejudices. An Informal Compendium of Modern Social Science
1953-1988. New Jersey 1989, S. 302
10
vgl. John Heartfield vs. Nazi Germany in: Stand: 08.01.2012
http://www.akronartmuseum.org/display/files/Heartfieldeducatorguide.pdf
Abb. 2

10
noch nicht einmal geklärt wurde, was Critical Design ist, schnell vermuten, Arbeiten
aus dieser Strömung vor sich zu haben. Doch diese getroffenen Annahmen, sind nur
eingeschränkt richtig. Der Einfluss von Dada ist vor allem auf das Grafikdesign zu
übertragen, wie man an den Beispielen von Layout und Typografie leicht erkennen
kann. Wenn Dada beziehungsweise John Heartfield überhaupt Einfluss auf das
Critical Design hatten, dann bezüglich inhaltlicher Gegebenheiten, wie sie zu einem
früheren Zeitpunkt im Text angesprochen wurden. An dieser Stelle wird deutlich, wie
schwierig es ist, das Critical Design, dessen Name so eindeutig zu vermitteln scheint,
um was es sich handelt, richtig zu interpretieren.
2.1.2 Agitprop ­ Kunst als ideologische Waffe
Ein ganz ähnliches Problem wie bei Dada, schlägt sich auch im Agitprop nieder.
Auch hier ist es schwierig, nicht unmittelbar an Critical Design zu denken, sobald
man ein Werk dieser Art vor sich hat. Der Begriff Agitprop setzt sich aus Agitation und
Propaganda zusammen und beschreibt, ebenfalls hoch politisierte Kunst, die ab ca.
1918, während der Weimarer Republik in Deutschland, in der Sowjetunion entstand.
Bereits in diesem Punkt schlägt sich eine erste Parallelität zum Critical Design nieder.
Offensichtlich handelt es sich abermals um die Kritik an gesellschaftlichen und
politischen Prozessen.
Das Bezeichnende am Agitprop ist, dass hier die Kunst nicht in ihrer konventionellen
Semantik funktioniert, sondern ausschließlich zur kommunistischen und politischen
Werbung, also als eine Art ,,sowjetische[r] Bildpropaganda"
11
. Diese kann in zwei
Typen differenziert werden: die Darstellung eines heroischen Selbstbildnisses und
einer karikativen Darstellung des Feindes.
12
Dieser Plakatkunst, die vor allem in den Geschehnissen des zweiten Weltkriegs
ihren Höhepunkt erreichte, wurde eine tragende, soziale Funktion in diesem Konflikt
zugetragen. Das Plakat galt von nun ab dazu, ,,[d]en Kampfgeist zu heben und das
Volk im Kampf gegen den Feind zusammenzuschließen"
13
. Damit wurde die Kunst
zu einer ideologischen Waffe und zum Propagandamittel umfunktioniert.
11
Dieter Vorsteher: ,,Vorwort", in: Deutsch Historisches Museum Magazin, [Nr. 4/1991], S. 1
12
vgl. ebd. S. 2
13
Nadeshda Minjailo: ,,Sowjetische Plakate aus dem Großen Vaterländischen Krieg", in:
Deutsch Historisches Museum Magazin, [Nr. 4/1991], S. 4

11
Ähnlich wie es später im Critical Design verdeutlicht wird, wurde auch hier ein
Umdenken provoziert. Angelehnt an diese neue Aufgabe der Kunst, proklamierte
Erwin Piscator die ,,kompromisslose Indienstnahme der Kunst zum Zwecke des
Klassenkampfs"
14
.
Charakteristisch für diese Plakate, womit die nächste Gemeinsamkeit zum Design,
festzustellen ist, ist die Verknüpfung von illustriertem Bildmaterial mit Typografie,
die in hoher Auflage produziert werden um eine Botschaft zu vermitteln. Währen
die Bildsprache in den zwanziger und dreißiger Jahren noch durch die Symbolik
der industriellen Entwicklung geprägt wurde, und der Mensch laut Stalin als
,,Schräubchen"
15
in der Gesellschaft interpretiert wurde, wird der latenteste
Nutzen des Plakates erst während des zweiten Weltkrieges instrumentalisiert: die
Massenproduktion. In einer Auflage von bis zu 150 000 Stück, wird der Feind
in satirischen Anschlägen ins Groteske gezogen und die neuen Vorkämpfer in
heldenhaften Plakaten propagiert. Eine Spitzenauflage erreichte das Plakat Soldat der
Roten Armee, rette uns! (Abb. 3) von Viktor Korezki, 1942 mit 400 000 Exemplaren.
Besonders bemerkenswert ist auch die, noch vor Kriegsbeginn erschienene
Arbeit der Konstruktivistin Valentina Kulagina, Alles für die Verteidigung der UDSSR
(Abb. 4) von 1930. Das Plakat erreichte durch die klare Konstruktion, scharfe
Konturen und helle Lichtflecke eine bis dato nie erreichte Stärke an Ausdruckskraft.
14
Erwin Piscator: Proletarisches Theater. ,,Gerecht geht anders", 1920
15
Minjailo (1991), S. 4
Abb. 3
Abb. 4

12
Nicht nur die Verwendung des, für Grafikdesign typischen Mediums, dem Plakat ist
eklatant, auch der Umgang mit verschiedenen grafischen Elementen, wie Typografie,
Illustration und Collage lassen eine Verbindung zum Design nicht verweigern.
Auffallend oft sind die Farben rot, schwarz und weiß wiederzufinden. Das mag
zum einen die politische Semantik des Kommunismus sein, zum anderen birgt die
Anwendung von schwarz und weiß, verbunden mit einer Schmuckfarbe den Vorteil,
den Produktionsprozess, in diesem Fall den Druckprozess zu verkürzen. Durch die
hohe Flexibilität diese Mediums, kann das Plakat schnell auf politische Ereignisse
reagieren. Unter diesen Bedingungen kann Kunst, wie es Friedrich Wolf 1928
formuliert hat und wie von John Heartfield bekannt ist, als Waffe verwendet werden.
Im Unterschied zum Agitprop, wird im Dada die Fotomontage verwendet und evoziert
auf diese Art eine realistisch anmutende Bildsprache, die weniger zur Agitation
auffordert, denn auf die miserablen politischen Zustände aufmerksam zu machen.
In wenigen Worten zusammengefasst, ist nicht nur die Bildsprache und die Wahl des
Mediums, ein Hinweis auf die Gattung Design. Auch die Aneignung einer Kunst, die
in der Lage ist, den Menschen zum Handeln und Umdenken zu motivieren, ist eine
Technik, die im Critical Design wieder aufgenommen wird.
2.1.3 Fluxus
­ Verschwommene Realitäten
Gleichsam wie Dada und Agitprop war auch der Fluxus prägend für das Design.
Ein Grund ist abermals der kritische Ansatz. In dessen Zentrum steht, die dem
Menschen durch traditionelle Kunst, präsentierte verschwommene Realität, die im
Fluxus Manifest (Abb. 5) als eine ,,non art reality"
16
formuliert wird. Ein weiterer
Grund liegt in der Frage nach den Werten des Wirtschaftswunders und der damit
einhergehenden Massenproduktion. Um ihr Missfallen an diesen Mechanismen
zu artikulieren, wurde von den Fluxuskünstlern, als Alternative zur Verschwendung
menschlicher Ressourcen, eine ,,Sparsamkeitsideologie"
17
diktiert. Dieses Vorhaben
erinnert sehr an die Art, in der sich die Ökoproblematik im Design niederschlug.
Auch hier wurde der verantwortungslose Rohstoffverbrauch missbilligt.
16
George Maciunas: ,,Fluxus Manifesto", in: Fluxus Preview Review, Heft 1 (1963)
17
Thomas Kellerin: Der Traum von Fluxus. George Maciunas. Eine Künstlerbiografie. Köln 2007, S. 35

13
Um ihre Ziele zu erreichen, herrschte unter den Fluxuskünstlern eine strikte
Beachtung von Formalitäten: Es sollte nur mit Found Footage, recycelten
Materialien und so kostengünstig wie möglich gearbeitet werden. Zumeist dienten
aufgefundene, außergewöhnliche Karton- und Kunststoffmaterialien als Basis, die
häufig mit ornamentalen Produkten versehen wurden.
18
Durch, mit den Mitteln der
Collagierung verfremdete Buchstabenkombinationen entwickelte sich ein virtuoser
Umgang mit Typografie. Diese Vorgehensweisen dienten dazu, dem Ziel einer Kunst
die ,,improvisational, anti-institutional, antiauthoritarian, often humorous"
19
war,
näher zu kommen, um diese zu sozial konstruktiven Zwecken zu nutzen. Somit
sollte die Kunst befähigt werden, soziologisch und psychologisch auf die Gesellschaft
einzuwirken
20
. Zudem konnte auf diese Weise die ersehnte, nähere Verbindung von
Kunst und Leben umgesetzt werden, um schließlich Kunst in Mitten des Alltags zu
entdecken.
Genau in diesem Ansatz werden Probleme zwischen Objekten und Menschen
entschlüsselt, auf die sich auch die Critical Designer, zu einer Verbesserung des
Alltags konzentrierten. Ebenso spielt in beiden Haltungen der Umgang mit Humor
sowie die soziologische und psychologische Wirkung auf den Betrachter eine wichtige
Rolle. Allerdings nicht mit dem Ziel, die Kunst oder das Design per se in Frage zu
stellen, sondern um die Rolle der jeweiligen Tätigkeiten und der Produkte im Alltag
zu prüfen.
18
Kellerin (2007), S. 35
19
Fred Camper: The Fluxus Manifesto, in: Stand: 20.11.2011.
http://www.chicagoreader.com/chicago/the-fluxus-manifesto/Content?oid=883339
20
Kellerin (2007), S. 35
Abb. 5

14
Nicht nur diese neue Handhabung der Kunst war im Fluxus wichtig, hinzu
kam der Wunsch nach einer Entpersonalisierung der Kunst, in der ein kollektiver Akt
des Schaffens betont wurde. Dies wurde beispielsweise durch Interaktion erzielt.
Als Beispiel sollen die Fluxkits von George Maciunas, in denen Produktionstechniken,
Autorenschaft und der Ressourcenverbauch in Frage gestellt wurden, dienen. Ein
Fluxkit entstand mit nur geringem Materialverbrauch und geringem Kostenaufwand,
dennoch erhielt man eine Sammlung zahlreicher bekannter Kunstwerke, die
andernfalls ein ganzes Museum hätten füllen können. Das Fluxkit 1 (s. Abb. 6) von
1964 beinhaltete zahlreiche repräsentative Objekte anderer Fluxus Künstler, die zu
einer Edition zusammengefügt wurden. Diese, in Boxen aufbewahrten Arbeiten
konnten alles Mögliche, wie Magazine, Filme, interaktive Spiele, aber auch grafische
Objekte sein. Dadurch, dass weder der jeweilige Behälter, noch die Werke signiert
waren, wurde die Frage nach der Rolle des Autors gestellt.
Hier soll kurz auf die Texte Roland Barthes zum Tod des Autors und Michel Foucaults
Was ist ein Autor?, von denen die Fluxuskünstler wohl nicht unbeeinflusst waren,
hingewiesen werden. Der Tod des Autors impliziert die gleichzeitig statt findende
Geburt des Rezipienten, das heißt, ein Werk ist nicht mehr vom Künstler abhängig,
sondern entsteht im Bezug zum Betrachter. Schlüsselpunkt ist die Tatsache, dass
der Autor zwar eine Arbeit konzipiert, diese aber nicht frei von seinen Einflüssen
ist, also eine Interpretation vorangegangener Autoren. Die Rolle des Autors spielt
zwar nach wie vor zur Legitimierung einer Arbeit eine Rolle, denn erst durch diese
Verbindung wird ihm eine entsprechende Bedeutung zugeteilt. Doch, was würde
Abb. 6

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783842841017
DOI
10.3239/9783842841017
Dateigröße
986 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Merz Akademie - Hochschule für Gestaltung Stuttgart – Designwissenschaft
Erscheinungsdatum
2012 (Oktober)
Note
1,0
Schlagworte
critical design designwissenschaft dunne raby social industrial
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Titel: Evolutionary Past, Symbiotic Future: Definitionen und Potentiale des Critical Design
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