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Rhythmus, Effektivität und taktisches Repertoire im Spitzenhandball - Methodologische Fundierung der Weltstandsanalyse anhand der männlichen Junioren-Weltmeisterschaft

©2012 Masterarbeit 129 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Trainer nutzen zur Ausbildung ihrer Spieler im Sportspiel noch immer hauptsächlich eigene Erfahrungswerte, Ratschläge von Kollegen oder die sogenannten Meisterlehren, als bewährte Erfolgsrezepte von erfolgreichen Sportlern und Trainern. Die Wissenschaft zeigte in den vergangenen Jahrzehnten lediglich ein sekundäres Interesse daran, parallel zum technologischen Fortschritt, eine geeignete Methodologie zur Analyse des Wettkampfverhaltens zu fundieren, die von Sportpraktikern anerkannt wird. Da insbesondere auf dem höchsten Leistungsniveau, aufgrund der stetigen Leistungsverdichtung der physischen Merkmale, solche Analysen zukünftig eine bedeutende Rolle spielen werden, besteht ein großer Nachholbedarf bezüglich der Fundierung einer Methode zur Erstellung von Weltstandsanalysen.
Vergangenen Arbeiten, welche sich mit Weltstandsanalysen beschäftigten, fehlte es meist an einer methodologisch fundierten Durchführung. So mahnt HOHMANN (2000), dass viele quantitative und qualitative Wettkampfanalysen unter Anwendung der Spielbeobachtung theoretisch unzureichend hergeleitet und methodisch mangelhaft durchgeführt seien. Darüber hinaus entsteht bei einigen Studien der Eindruck, dass der Begriff ‘Weltstandsanalyse’ zweckentfremdet wird.
In den Spielsportarten hat sich, bedingt durch Regeländerungen und Entwicklungen im Trainings- und Wettkampfsystem, eine sukzessive Dynamisierung sowie Steigerung der Komplexität vollzogen. Heutzutage ist ein entsprechendes Beobachtungssystem von Nöten, um das Wettkampfverhalten in seiner ganzen Tiefe und Komplexität verstehen, Vergleiche ziehen und Trainingsziele ableiten zu können. Es müssen sowohl interne Faktoren, wie das Zusammenspiel innerhalb der Mannschaft oder die Tagesform, als auch externe Faktoren, wie die Leistung des Gegners, der Schiedsrichtereinfluss oder schlichtweg das Glück und der Zufall, beachtet werden. Dabei kommt es keinesfalls auf eine lückenlose Abbildung des Geschehens, sondern vielmehr auf die Darlegung spielentscheidender Leistungsmerkmale in ihrem situativen Zusammenhang an. Trotz der häufigen Anwendung einer Beobachtungsmatrix, die das Wettkampfverhalten mittels numerischer Daten kategorisiert, muss konstatiert werden, dass sich diese Faktoren anhand rein quantitativer Werte nicht adäquat darstellen lassen. Allein eine qualitative Methode wie die Qualitative Spielbeobachtung, kurz QSB, die auf Grundlage quantitativer Daten eine qualitative Analyse ermöglicht, wird diesem […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Bettina Braunstein
Rhythmus, Effektivität und taktisches Repertoire im Spitzenhandball - Methodologische
Fundierung der Weltstandsanalyse anhand der männlichen Junioren-Weltmeisterschaft
ISBN: 978-3-8428-3555-9
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
Zugl. Technische Universität München, München, Deutschland, MA-Thesis / Master,
2012
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2012

I
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Problemstellung ... 1
1.1
Zielsetzung der Arbeit ... 2
1.2
Gliederung der Arbeit ... 2
2 Forschungsstand
...
4
2.1
Definitorische Abgrenzung der Weltstandsanalyse ... 4
2.2
Die Beobachtung ... 7
2.3
Theoretischer und empirischer Hintergrund der Spielbeobachtung ... 15
2.3.1
Entwicklungen der Weltstandsanalyse in Deutschland ... 15
2.3.2
Weltstandsanalyse in der Spielsportart Handball ... 20
2.4
Zusammenfassung ... 27
3 Untersuchungsmethodik
...
29
3.1
Versuchsplanung und Operationalisierung ... 29
3.2
Stichprobe ... 32
3.3
Untersuchungsdurchführung ... 33
3.4
Datenauswertung ... 41
4 Ergebnisse
...
43
4.1
Die Spielphilosophie ... 43
4.1.1
Das Defensivspiel ... 43
4.1.2
Das Offensivspiel ... 46
4.2
Rhythmus- und Tempostruktur ... 51
4.3
Effektivität ... 54
4.4
Vergleich der Teams nach Erfolg ... 61
4.4.1
Das Defensivspiel der Achtelfinalverlierer ... 61
4.4.2
Das Defensivspiel der Fünft- bis Achtplatzierten ... 62
4.4.3
Das Defensivspiel der Finalisten ... 64
4.4.4
Das Offensivspiel der Achtelfinalverlierer ... 65
4.4.5
Das Offensivspiel der Fünft- bis Achtplatzierten ... 67
4.4.6
Das Offensivspiel der Finalisten ... 68
4.4.7
Rhythmus- und Tempostruktur der Achtelfinalverlierer ... 70
4.4.8
Rhythmus- und Tempostruktur der Fünft- bis Achtplatzierten ... 71
4.4.9
Rhythmus- und Tempostruktur der Finalisten ... 72
4.4.10
Effektivität der Achtelfinalverlierer ... 74
4.4.11
Effektivität der Fünft- bis Achtplatzierten ... 75

II
4.4.12
Effektivität der Finalisten ... 77
4.5
Vergleich der Teams nach lokalen Unterschieden ... 80
4.5.1
Das Defensivspiel der Europäer ... 80
4.5.2
Das Defensivspiel der Nordafrikaner ... 82
4.5.3
Das Offensivspiel der Europäer ... 83
4.5.4
Das Offensivspiel der Nordafrikaner ... 85
4.5.5
Rhythmus- und Tempostruktur der Europäer ... 87
4.5.6
Rhythmus- und Tempostruktur der Nordafrikaner ... 88
4.5.7
Effektivität der Europäer ... 90
4.5.8
Effektivität der Nordafrikaner ... 92
4.6
Random walk ... 95
5 Diskussion
...
102
6 Zusammenfassung und Ausblick ... 106
6.1
Zusammenfassung aus wissenschaftlicher Perspektive ... 106
6.2
Zusammenfassung aus sportlicher Perspektive ... 107
6.3
Ausblick aus sportlicher Perspektive ... 113
6.4
Ausblick aus wissenschaftlicher Perspektive ... 114
7 Abkürzungsverzeichnis
...
117
8 Abbildungsverzeichnis
...
118
9 Tabellenverzeichnis
...
119
10 Anhang ... 120
11 Literaturverzeichnis ... 121

Einleitung und Problemstellung
1
1 Einleitung und Problemstellung
Trainer nutzen zur Ausbildung ihrer Spieler im Sportspiel
1
noch immer haupt-
sächlich eigene Erfahrungswerte, Ratschläge
von Kollegen oder die sogenann-
ten Meisterlehren, als bewährte Erfolgsrezepte von erfolgreichen Sportlern und
Trainern. Die Wissenschaft zeigte in den vergangenen Jahrzehnten lediglich ein
sekundäres Interesse daran, parallel zum technologischen Fortschritt, eine
geeignete Methodologie zur Analyse des Wettkampfverhaltens zu fundieren, die
von Sportpraktikern anerkannt wird. Da insbesondere auf dem höchsten Leis-
tungsniveau, aufgrund der stetigen Leistungsverdichtung der physischen Merk-
male, solche Analysen zukünftig eine bedeutende Rolle spielen werden, besteht
ein großer Nachholbedarf bezüglich der Fundierung einer Methode zur Erstel-
lung von Weltstandsanalysen.
Vergangenen Arbeiten, welche sich mit Weltstandsanalysen beschäftigten,
fehlte es meist an einer methodologisch fundierten Durchführung. So mahnt
H
OHMANN
(2000), dass viele quantitative und qualitative Wettkampfanalysen
unter Anwendung der Spielbeobachtung theoretisch unzureichend hergeleitet
und methodisch mangelhaft durchgeführt seien. Darüber hinaus entsteht bei
einigen Studien der Eindruck, dass der Begriff ,,Weltstandsanalyse" zweck-
entfremdet wird.
In den Spielsportarten hat sich, bedingt durch Regeländerungen und Entwick-
lungen im Trainings- und Wettkampfsystem, eine sukzessive Dynamisierung
sowie Steigerung der Komplexität vollzogen. Heutzutage ist ein entsprechendes
Beobachtungssystem von Nöten, um das Wettkampfverhalten in seiner ganzen
Tiefe und Komplexität verstehen, Vergleiche ziehen und Trainingsziele ableiten
zu können. Es müssen sowohl interne Faktoren, wie das Zusammenspiel
innerhalb der Mannschaft oder die Tagesform, als auch externe Faktoren, wie
die Leistung des Gegners, der Schiedsrichtereinfluss oder schlichtweg das
Glück und der Zufall, beachtet werden. Dabei kommt es keinesfalls auf eine
1
,,Sportspiele sind SPORTARTEN mit international kodifiziertem Regelwerk, bei denen zwei Parteien
(Einzel, Doppel oder Mannschaften) in einen INTERAKTIONSPROZESS eintreten, der dadurch zustande
kommt, daß beide Parteien gleichzeitig ihr eigenes Spielziel anstreben und verhindern wollen, daß die
gegnerische Partei ihr Spielziel erreicht; das Spielziel der Sportspiele ist eine in den Regeln festgelegte,
symbolische Handlung" (Lames, 1991, S. 33).

Einleitung und Problemstellung
2
lückenlose Abbildung des Geschehens, sondern vielmehr auf die Darlegung
spielentscheidender Leistungsmerkmale in ihrem situativen Zusammenhang an.
Trotz der häufigen Anwendung einer Beobachtungsmatrix, die das Wettkampf-
verhalten mittels numerischer Daten kategorisiert, muss konstatiert werden,
dass sich diese Faktoren anhand rein quantitativer Werte nicht adäquat darstel-
len lassen. Allein eine qualitative Methode wie die Qualitative Spielbeobach-
tung,
kurz QSB, die auf Grundlage quantitativer Daten eine qualitative Analyse
ermöglicht, wird diesem Anspruch gerecht. Trotz ihrer
Eignung hat sich diese
Methode zur Analyse des Wettkampfverhaltens noch nicht durchsetzen können.
1.1 Zielsetzung der Arbeit
Die Weltstandsanalyse zeichnete sich in der Vergangenheit durch unterschied-
liche Zielsetzungen, Datenerhebungsmethoden und Stichprobengrößen aus.
Daher ist es dringend notwendig, eine geeignete Definition zu finden, welche
Klarheit im Umgang mit dem Begriff sowie den Aufgaben und Zielen bringt.
Aus diesem Grund besteht die primäre Aufgabe dieser empirischen Arbeit
darin, die Komplexität des Mannschaftssportspiels, welche ein entscheidender
Grund für das Forschungsdefizit ist, mithilfe einer geeigneten sportspielüber-
greifenden, leistungsdiagnostischen Methodologie, unter Anwendung gegen-
wärtiger Beobachtungs- und Auswertungsmethoden, zu reduzieren. Dabei
sollen gleichzeitig alle Parameter, die für eine Weltstandsanalyse, exemplarisch
in der Spielsportart Handball, notwendig sind, in einer Beobachtungsmatrix
erfasst werden. Im Fokus steht dabei die Frage: Wo liegen die Stärken und
Schwächen der Nationalmannschaften und Nationen im Vergleich zu den
idealen Normen der aktuellen Weltspitze ­ respektive an welchen objektiven
Leistungsbedingungen müssen die unterlegenen Teams arbeiten, um für zu-
künftige Leistungsvergleiche den Anschluss an die Weltspitze aufnehmen zu
können (vgl. Hohmann, Lames & Letzelter,
2010). Die Praxistauglichkeit der
ausgewählten Methode soll anschließend anhand der 20 Hauptrundenspiele
der Junioren-WM in Griechenland 2011 festgestellt werden.
1.2 Gliederung der Arbeit
Der Theorieteil dieser Arbeit beginnt mit einer Erläuterung der Weltstands-
analyse als Teilbereich der Spielbeobachtung und einer Beschreibung der

Einleitung und Problemstellung
3
Forschungsmethode. Nach der Einführung in die Entstehung und Entwicklung
der Weltstandsanalyse anhand der Spielbeobachtung, unter Berücksichtigung
unterschiedlicher methodischer Ansätze in Deutschland, werden aktuelle
nationale und internationale Untersuchungen der Spielsportart Handball
vorgestellt. Im dritten Kapitel erfolgt eine Begründung des gewählten
forschungsmethodischen Vorgehens, ehe in Kapitel vier die resultierenden
Ergebnisse der Untersuchung präsentiert
werden. In Kapitel fünf werden die
Durchführung, die Auswertung sowie die Ergebnisse diskutiert. Abschließend
wird im letzten Kapitel eine Zusammenfassung vollzogen sowie ein Ausblick auf
zukünftige Entwicklungen hinsichtlich der sportlichen sowie der
wissenschaftlichen Perspektive geleistet.

Forschungsstand
4
2 Forschungsstand
In diesem Kapitel werden der theoretische Hintergrund der Weltstandsanalyse
sowie die Methode der Spielbeobachtung dargelegt. Nach einer Einführung
erfolgt ein Überblick über die Entwicklungen in den Sportspielen im Rahmen der
quantitativen und qualitativen Spielbeobachtung. Ein besonderes Augenmerk
wird dabei auf die Spielsportart Handball gelegt.
2.1 Definitorische Abgrenzung der Weltstandsanalyse
Wird der sportliche Wettkampf aus trainingswissenschaftlicher Perspektive
betrachtet, so interessiert nicht nur der interindividuelle Leistungsvergleich,
sondern auch die Leistungsentwicklung der Akteure und Mannschaften. Die
Wettkampfanalyse ist dabei das Instrument, um Anforderungsprofile im Feld zu
erstellen. Die Wettkampfdiagnostik umfasst die Sportartenanalyse (vgl. Hoh-
mann et al., 2010) mit ihren Aufgaben der Strukturanalyse, Belastungsanalyse
und Weltstandsanalyse sowie den Bereich der Gegneranalyse. Die Teilbereiche
der Sportartenanalyse zeigen die objektiven Leistungsanforderungen des
Wettkampfes auf und dienen mittel- und langfristigen Zielen der Leistungsver-
besserung (ebd.).
Da die Weltstandsanalyse nach H
OHMANN ET AL
.
(2010) einen Teilbereich der
Wettkampfanalyse darstellt, lassen sich auch ihre Ziele aus dieser ableiten. Der
Schwerpunkt liegt hierbei auf der Feststellung vergangener und der Prognose
zukünftiger Entwicklungen des Weltsports, Analysen des Leistungsstandes von
weltbesten Sportlern und Teams sowie der Bestimmung von dominierenden
Leistungsvoraussetzungen. Zudem sollen anhand von Weltstandsanalysen
Veränderungen in den Trainings- und Wettkampfsystemen erkannt und die
leistungsstrukturellen Anforderungen identifiziert werden.
Laut S
CHNABEL
,
H
ARRE UND
K
RUG
(2011) ist das oberste Ziel der Weltstandsana-
lyse, allgemeine Entwicklungstendenzen, wie die Nationenwertung, die Alters-
struktur, Wettkampfgeräte, das Reglement sowie das Trainings- und Wett-
kampfsystem, festzustellen und Trends in der Leistungsentwicklung, wie die
Bewertung der komplexen Leistung oder von Teilleistungen, sowie Analysen

Forschungsstand
5
des Wettkampfverlaufs darzulegen. Des Weiteren sollen nationale Entwick-
lungstendenzen, wie die Beurteilung des Leistungsstandes, Vergleiche zur
Weltspitze oder zwischen Senioren und Junioren sowie Ursachen für Leis-
tungsentwicklungen aufgezeigt werden. Auch S
CHNABEL ET AL
.
(2011)
bezeich-
nen das ,,untersuchungsmethodische Instrumentarium Weltstandsanalyse" als
Sonderform der Wettkampfanalyse und definieren es folgendermaßen:
,,Verfahren zur Ermittlung und Bewertung der sportlichen Leistung, der Leis-
tungsfaktoren und der Leistungsstruktur in einer Sportart oder Sportarten-
gruppe. Die erreichte Wettkampfleistung wird in Beziehung zu Trainingsdaten
und organisationsstrukturellen Aspekten gesetzt" (Schnabel et al., 2011, S.
563).
S
CHNABEL ET AL
. (2011) gehen in ihrer Definition weder auf die situativen Bedin-
gungen, in welchem Rahmen die Daten erhoben werden, noch auf die genauen
Ziele ein. Außerdem findet der von H
OHMANN ET AL
.
(2010) aufgeführte Leis-
tungsvergleich der Teams untereinander keinerlei Erwähnung. Ebenso fehlt die
Darstellung von Entwicklungen in Bezug zu vorherigen Weltstandsanalysen
sowie von Prognosen. Stattdessen werden Trainings- und Wettkampfdaten
verglichen.
F
ÜR
L
OY
(2006) sind die Betrachtung der Stärken und Schwächen der Spitzen-
teams bezogen auf den Leistungszustand, die Leistungsentwicklung sowie das
Wettkampfverhalten charakteristisch für die Weltstandsanalyse. Ziel der Welt-
standsanalyse sei es, zu einer verbesserten Trainings- und Wettkampfsteue-
rung beizutragen und somit den Hochleistungssportlern und Trainern einen Ist-
Soll-Wert-Vergleich zu ermöglichen.
Zur Durchführung einer Weltstandsanalyse können sowohl die Wettkampf-
beobachtung und die Wettkampfanalyse als auch die Dokumentenanalyse und
Literaturrecherche angewendet
werden (vgl. Schnabel et al., 2011).
Die Vorgehensweise skizzieren H
OHMANN ET AL
. (2010) folgendermaßen: In
einem ersten Schritt wird mit Hilfe der Spielbeobachtung die Leistungs-
entwicklung der Weltspitze beschrieben. Daraufhin werden Leistungsprognosen
erarbeitet, die bei zukünftigen Wettkämpfen die objektiven Anforderungs-
bedingungen für einen erfolgreichen Verlauf darstellen. Diese prognostizierten

Forschungsstand
6
Bedingungen helfen sowohl bei der Trainingsvorbereitung auf kommende
Leistungsvergleiche als auch bei der Talentdiagnostik im Nachwuchsbereich.
Dazu werden einzelne entscheidende Faktoren herausgestellt, die es von den
Sportlern im Training zu erarbeiten gilt, um an den absoluten Leistungsstand
anknüpfen zu können.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Weltstandsanalyse das
Sportspielgeschehen der aktuellen Weltspitze abbildet und Tendenzen heraus-
stellt. Damit nimmt sie eine bedeutende Stellung für Hochleistungssportler ein,
deren Ziel es ist, die bestehenden Leistungsgrenzen zu erreichen und gegebe-
nenfalls in zukünftigen Wettbewerben zu übertreffen. Der eigentliche Nutzen
der Methode ergibt sich dann aus den Erkenntnissen über die Spielweise der
Akteure und der Teams, welche aus den Daten der Weltstandsanalyse abgelei-
tet und in die trainingspraktische Umsetzung einbezogen werden können.
Diese ersten Bemühungen von H
OHMANN ET AL
.
(2010), S
CHNABEL ET AL
.
(2011)
sowie
L
OY
(2006)
den Begriff Weltstandsanalyse zu definieren und zu spezifizie-
ren, werden im Folgenden intensiviert. Dies ist bislang von den wenigsten
Forschern angegangen worden. Im Gegenteil: Es muss diskutiert werden, ob
der Begriff nicht teilweise für Publikationen zweckentfremdet wird, wenn inner-
halb von Beiträgen faktisch keine Anzeichen für eine Weltstandsanalyse zu
erkennen sind. So tritt beispielsweise in der Untersuchung von M
EMMERT
,
S
CHMIDT
,
P
ERL
,
B
ISCHOF
,
E
NDLER
,
G
RUNZ
&
S
CHMID
(2007) zu Gruppentaktiken
im Spitzen-Fußball anhand neuronaler Netze
2
lediglich in der Überschrift der
Begriff Weltstandsanalyse auf. Auch inhaltlich lässt sich nur schwer ein Bezug
zum Weltstand herstellen.
Zur Vermeidung solch einer strittigen Verwendung in
dieser sowie in zukünftigen Untersuchungen, wird in der vorliegenden Arbeit ein
Vorschlag unterbreitet, der die bisher einzige Definition zur Weltstandsanalyse
von S
CHNABEL ET AL
.
(2011) anhand weiterer Merkmale konkretisiert.
2
Anhand neuronaler Netze lasen sich ausgewählte Parameter der Bewegung im Raum aufnehmen (vgl.
Schöllhorn, Janssen & Jäger, 2010).

Forschungsstand
7
Hierbei werden im Folgenden die Verhältnisse, unter welchen eine Welt-
standsanalyse lediglich stattfinden kann, sowie die Maßnahmen und Ziele
spezifiziert:
· eine Weltstandsanalyse muss im Wettkampf gewonnen werden
· es eignen sich kontinentale Meisterschaften sowie WMs und Olympische
Spiele
· um eine ausreichende Stichprobengröße zu gewährleisten, müssen so-
wohl Hauptrundenwettkämpfe als auch die Finals untersucht werden
· das Spielgeschehen muss qualitativ erfasst und Erkenntnisse mittels
quantitativer Daten belegt werden
· der aktuelle Leistungsstand der weltbesten Sportler und Teams wird, un-
ter Beachtung situativer Aspekte, dargestellt
· Entwicklungen zu Leistungen aus vergangenen Wettkämpfen werden
aufgezeigt
· Vergleiche zwischen den Leistungen der unterschiedlichen Nationen
werden gezogen
· anhand der Ergebnisse müssen sich zukünftige Leistungen prognostizie-
ren und daraus für jedes Team trainingspraktische Maßnahmen ableiten
lassen
Die aufgeführten Maßnahmen und Ziele gelten als Grundlage für diese Arbeit.
Darin wird versucht den formulierten Ansprüchen einer Weltstandsanalyse
gerecht zu werden. Einzig die Längsschnittbetrachtung musste aufgrund der
ungeeigneten Datenbasis aus Vorgängerstudien außer Acht gelassen werden.
Da sich die Weltstandsanalyse zum Großteil Beobachtungsanteilen widmet,
wird im folgenden Kapitel die Methode der Beobachtung erläutert.
2.2 Die Beobachtung
In der trainingswissenschaftlichen Leistungsdiagnostik werden je nach For-
schungsfrage verschiedene Forschungsmethoden angewandt. E
BERSPÄCHER
(1993) nennt die Beobachtung, die Befragung, das Experiment und den Test als
wichtigste Methoden, um Verhalten im Sport zu untersuchen. Da eine Wett-
kampfdiagnostik lediglich im Feld durchgeführt werden kann und dabei den

Forschungsstand
8
Wettbewerb nicht stören darf, fiel für diese Untersuchung die Wahl auf die
Beobachtung (vgl. Schnabel, Harre & Borde, 1994).
Die Beobachtung gilt unter allen empirischen Forschungsmethoden seit jeher
als die bedeutendste (vgl. Loy, 2006). Nach E
RDMANN UND
W
ILLIMCZIK
(1978)
liegt eine wissenschaftliche Beobachtung dann vor, wenn eine Beobachtung
einem bestimmten, theoretisch abgeklärten Forschungszweck dient und dem-
nach innerhalb eines theoretischen Bezugsrahmens vollzogen wird sowie
theoriebezogen ist und damit über entsprechende Begriffe und Begriffssysteme
verfügt. Außerdem muss die Beobachtung zweckgerichtet sein und zusammen-
hängend durchgeführt werden. Des Weiteren muss sie systematisch geplant
und aufgezeichnet sein bzw. eindeutig mitgeteilt werden sowie einen konstan-
ten oder konsistenten Beobachtungsgegenstand haben. Damit werden wieder-
holte Prüfungen und Kontrollen hinsichtlich der Gütekriterien, Objektivität,
Reliabilität und Validität, gewährleistet.
Laut C
RANACH UND
F
RENZ
(1969) ermöglicht lediglich die Methode der Beobach-
tung über einen längeren Zeitraum hinweg die gleichzeitige Analyse mehrerer
komplexer Verhaltensweisen verschiedener Personen. Darüberhinaus bringt
diese Methode den Vorteil, dass sie keine zwingende Teilnahmebereitschaft der
Probanden erfordert. Durch diese passive Teilnahme können zumeist unver-
fälschte, nicht-reaktive Ergebnisse gewonnen werden.
Ein Nachteil der Beobachtung ist die fehlende Ökonomie, da diese meist mit
einem hohen zeitlichen, personellen sowie materiellen Aufwand verbunden ist
(vgl. Loy, 2006). Zudem ist die Vielzahl an Fehlern, wie Wahrnehmungstäu-
schungen, falsche Interpretationen, fehlerhafte Erinnerungen oder die missver-
ständliche Widergabe des Beobachteten, die bei der Durchführung auftreten
können, da der Beobachter selbst das Messinstrument ist, zu nennen. Zur
Vermeidung dieser Fehler, muss vorab ein sinnvolles Beobachtungssystem
ausgearbeitet werden. Hierbei sollten die Beobachtungskategorien exakt und
klar verständlich bestimmt werden. L
AMES
(1994, S. 34) beschreibt ein Be-
obachtungssystem folgendermaßen:

Forschungsstand
9
,,Ob man will oder nicht, jedes Beobachtungssystem muss als Resultat einer
Modellbildung angesehen werden. Das Original (Sportspiel) wird auf eine Re-
präsentation (Kategorien eines Beobachtungssystems mit konkreten Daten
eines Spiels) abgebildet. Kriterien der Modellbildung besitzen folglich eine
überragende Bedeutung für die Begründung eines Beobachtungssystems."
Bei der Modellbildung findet grundsätzlich eine Zusammenfassung, Vereinfa-
chung und Abstraktion statt, welche subjektiv behaftet ist. Dabei ist von großer
Relevanz wovon, für wen, wann und wozu etwas Modell ist (vgl. Lames, 1991).
Das Beobachtungssystem legt fest nach welchen Regeln der Beobachtungsge-
genstand analysiert wird. Es muss in der Verhaltensforschung folgende Merk-
male aufweisen: Eindeutigkeit, Vollständigkeit, operationale Definierbarkeit
sowie inhaltliche Relevanz (vgl. Lames, 1991).
Laut H
OHMANN ET AL
.
(2010) soll auf diese Weise dem häufigen Vorwurf entge-
gengewirkt werden, dass ein zu modellierendes System durch die willkürliche
Nennung von Elementen und durch deren unklare Verknüpfung mit Bezie-
hungspfeilen abgebildet werde.
Zur Erstellung eines Modells muss das jeweilige Original zunächst definiert
werden. Da in diesem Fall das Original die Spielsportart Handball ist, wird für
diese eine adäquate Definition dargelegt. Hierfür wird die Definition von L
AMES
(1991, S. 32) herangezogen:
,,HANDBALL ist eine Sportart mit international kodifiziertem Regelwerk, bei der
zwei Mannschaften in einen Interaktionsprozess eintreten, der dadurch zustande
kommt, dass beide Mannschaften gleichzeitig ihr eigenes Spielziel anstreben
und verhindern wollen, dass die gegnerische Partei ihr Spielziel erreicht. Das
Spielziel ist die in den Regeln festgelegte, symbolische Handlung ,,Tor", mit der
alleinig das Spielergebnis unmittelbar verändert werden kann."
Für die Modellierung des Handballspiels ist außerdem die Eigenschaft, dass
das Ziel nur durch ein kollektives Zusammenspiel erreicht werden kann, von
Bedeutung (vgl. Lames, 1991).
Nach der Erstellung des Beobachtungssystems erfolgt die Durchführung. Die
Beobachtung lässt sich dabei in unterschiedliche Formen klassifizieren. Meist
finden Fremdbeobachtungen statt, welche das Verhalten als Mittelpunkt der
Untersuchung analysieren. Selten kommt es zu Eigenbeobachtungen, bei

Forschungsstand
10
welchen Denkabläufe und Emotionen erfasst werden können. Die Fremdbe-
obachtung kann wiederum in teilnehmende und nicht-teilnehmende Beobach-
tung untergliedert werden. Sie wird entweder in Abstimmung mit dem Proban-
den wissentlich oder unwissentlich, als stiller Beobachter, vollzogen. Bei der
Beobachtung kann sich der Forscher technischer Hilfsmittel bedienen oder
unvermittelt eine Beobachtung vor Ort durchführen. Ebenso wie beim Experi-
ment wird zwischen einer Labor- und einer Felduntersuchung differenziert.
H
OHMANN UND
L
AMES
(2005) untergliedern die Beobachtung in drei Haupt-
formen: die subjektive Eindrucksanalyse, die systematische Spielbeobachtung
sowie die QSB.
Die subjektive Eindrucksanalyse ist eine freie Form der Beobachtung. Hier liegt
der Fokus auf der Gewinnung von Eindrücken anhand flexibler Merkmale, ohne
systematische Fixierung und unter analytischem Gesichtspunkt. Durch Hinter-
grundinformationen über den zu beobachtenden Gegenstand werden Eindrücke
und nicht operationalisierbare Faktoren, wie das Durchsetzungsvermögen, das
Selbstbewusstsein, der Spielwitz oder das Ballgefühl, erfasst (vgl. Hohmann et
al., 2010). Aufgrund der natürlichen Erhebungssituation kann eine hohe externe
Validität attestiert werden. Eine weitere Stärke liegt in der Rekonstruierbarkeit
des Spiels durch die Einbeziehung nicht-zählbarer qualitativer Faktoren und der
damit einhergehenden Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf die Trainingspra-
xis. Zudem ist dies die einzige Möglichkeit, um einen ganzheitlichen Eindruck
über das Wettkampfverhalten zu erlangen. Da der Beobachter selbst das Mess-
instrument ist, sind die Daten jedoch weder intersubjektiv übertragbar noch
reproduzierbar. Laut L
AMES
(1994) treten außerdem Mängel in der Zuverlässig-
keit und der Systematik auf.
Der Gegenpol zur subjektiven Eindrucksanalyse ist die systematische Spielbe-
obachtung. Charakteristisch ist die bereits beschriebene Erstellung und Anwen-
dung eines geeigneten Beobachtungssystems mit festen Merkmalen, welche
systematisch und quantitativ erfasst werden (vgl. Lames, 1994a). Diese Art der
Spielbeobachtung beschreibt das Geschehen objektiv nach wissenschaftlichen
Kriterien und bedient sich dabei apparativer Hilfsmittel. Die Methode ist stark an

Forschungsstand
11
der verfügbaren Technologie (Papier, Video, Audio, Computer) orientiert. Das
Verhalten wird direkt, ohne Interaktion mit den Akteuren jedoch wissentlich
anhand eines Beobachtungskataloges, welcher das Modell des originalen
Sportspiels darstellt, beobachtet.
Die Stärke der systematischen Spielbeobachtung befindet sich in der Systema-
tik und Objektivität (vgl. Lames, 1994a). Sie gilt als geeignete Methode zur
Erstellung von Normprofilen. Es lässt sich jedoch nicht vermeiden, dass bei der
Modellierung ein Verlust von Kontextinformationen stattfindet. Des Weiteren
werden Faktoren, die sich nur schwer in einem Beobachtungskatalog abbilden
lassen, ignoriert (vgl. Hohmann et al., 2010). Zudem können durch die Be-
schreibung der Auffälligkeiten, basierend auf Prozentzahlen, Spiele weder
adäquat rekonstruiert noch Hinweise für das Training abgeleitet werden.
Da mit numerischen Daten aus quantitativen Untersuchungsdesigns die Realität
nicht abgebildet werden kann und nicht-numerische Daten auf Grundlage
qualitativer Methoden häufig nicht empirisch gültig sind, werden die beiden als
konkurrierende Methoden vorgestellten Formen der Spielbeobachtung von
einigen Forschern (Hohmann et al., 2010; Hansen & Lames 2001) inzwischen
als sich ergänzende Herangehensweisen an die Spielbeobachtung gesehen.
Hintergrund hierfür ist die Reduzierung von Fehlern bei gleichzeitiger Addition
der Vorteile. Einer dieser mehrmethodischen Ansätze ist die QSB.
Ausgehend von den Defiziten der systematischen Spielbeobachtungen und der
Kritik an den vorherrschenden Studien der qualitativen Spielbeobachtung
fundieren H
ANSEN UND
L
AMES
(2001)
die QSB methodologisch in der Rück-
schlagsportart Tennis. H
ANSEN
(2003, S.133) definiert die QSB folgenderma-
ßen:
,,Qualitative Spielbeobachtung ist eine Variante der Sportspielbeobachtung,
die speziell für die Kopplung von Training und Wettkampf entwickelt worden
ist. Ziel ist die Ableitung von individuellen Hinweisen zur Trainings- und Wett-
kampfsteuerung durch die gemeinsame Beschreibung und Analyse der eige-
nen bzw. gegnerischen Stärken und Schwächen unter explizitem Bezug zur
qualitativen Methodologie. Charakteristische Merkmale dieser Vorgehenswei-
se sind die quantitative Vorstrukturierung und deren nachfolgende interpretati-
ve Hauptanalyse sowie die enge Kommunikation zwischen Beobachter, Spie-
ler und Trainer."

Forschungsstand
12
Die Beschreibung bildet dabei den Wettkampf in einem offen definierten Be-
obachtungssystem ab, woraufhin die Diagnose Stärken und Schwächen sowie
deren Ursachen analysiert. Einen enormen Informationsgewinn bringt die
Einordnung der subjektiven Einschätzungen in den situativen Kontext der
Wettkampfphase, des Spielstandes und des Zwischenstandes.
Zur Fundierung der Methode bedienen sich H
ANSEN UND
L
AMES
(2001) zum
einen Ansätzen aus der Evaluationsforschung und zum anderen dem Konzept
der qualitativen Inhaltsanalyse nach
M
AYRING
(1993). Dies begründen sie wie
folgt:
,,Die QSB ist in ihrem Kern die Rekonstruktion und Interpretation von Spielinterak-
tionen. Diese Interpretation unterliegt den gleichen Restriktionen und Bedingun-
gen einer Textanalyse: Das gesamte Spiel mit seinen dynamischen Prozessen
bedingt die einzelne Interaktion und die einzelne Interaktion beeinflusst das ge-
samte Spiel. Die Interpretation einer Szene kann mithin nicht losgelöst vom Kon-
text des Spiels vollzogen werden. Zudem kann es kein abschließendes Verste-
hen von Spielprozessen geben, weil das Verständnis relativ zu den unzähligen
Bedingungen bleibt" (Hansen & Lames, 2001, S.63).
Damit übertragen sie erstmals das Prinzip der qualitativen Inhaltsanalyse von
Texten auf die Interpretation von Bildmaterial. Im Folgenden werden die Ge-
meinsamkeiten der beiden Methoden dargelegt:
Qualitative Inhaltsanalyse
Qualitative Spielbeobachtung
Paraphrase: Streichen unwesentlicher
Textpassagen durch Umschreibung der
Kodiereinheit
Kodierung: Redundanzen ausblenden und
Grobstrukturierung durch Belegung von
Spielhandlungen mit Attributen für Trainings-
steuerung
Generalisierung: Verallgemeinerung auf
einem angestrebten Abstraktionsniveau
Exploration: Entdeckung von Auffälligkeiten
durch Auswertung eines Spektrums an
Routinefragen und spontane Eindrücke
Reduktion: Verdichtung in wenige Kernaus-
sagen
Interpretation: Wesentliche Diagnosen und
Vorschläge für die trainingspraktische
Umsetzung
Kommunikative Validierung: Gemeinsame
Rekonstruktion des analysierten Wettkampf-
verhaltens durch Beobachter, Spieler und
Trainer
Tabelle 1: Verdeutlichung der Analogien zwischen der Qualitativen Inhaltsanalyse nach
Mayring (1993) und der QSB (Hansen & Lames, 2001, S. 66).
Um die qualitative Hauptanalyse als wissenschaftlich fundiertes Verfahren an-
wenden zu können, muss die Beobachtung systematisiert und damit objektiviert

Forschungsstand
13
werden (vgl. Hansen & Lames, 2000). Dies erreichen die Forscher durch die
Kategorisierung mithilfe der quantitativen Vorstrukturierung und durch die
qualitative Hauptanalyse, die auch schwieriger zu kategorisierende Faktoren,
wie kognitiv-informationelle sowie strategisch-taktische Merkmale, beachtet.
Dabei gilt laut H
ANSEN UND
L
AMES
(2001) der Grundsatz, dass eine Vorstruktu-
rierung lediglich so weit erfolgen sollte, dass die Informationsmenge für die
qualitative Hauptanalyse noch überschaubar bleibt. Durch die Kombination aus
quantitativer und qualitativer Methode wird eine systematische und ganzheitli-
che Rekonstruktion und Interpretation des Spielgeschehens ermöglicht, welche
die aktuellen Verhaltensanforderungen an Spitzensportler in ihrer ganzen Fülle
abbildet und die Ableitung trainingspraktischer Hinweise gewährleistet (vgl.
Lames, 2009).
Die qualitative Hauptanalyse erfolgt auf Grundlage der ,,thick description" (vgl.
Geertz, 1987). Dieses Prinzip erfordert eine genaue Beobachtung und Be-
schreibung des Einzelfalls, um dadurch ein analytisches Begriffssystem zu
erstellen, das die typischen Eigenschaften menschlichen Verhaltens abbildet
und auf dessen Grundlage sich das Handeln generalisieren lässt.
Den Forschern gelingt mit der QSB die Überwindung des Theorie-Praxis-
Grabens unter anderem aufgrund der Orientierung an einem Interventions-
konzept, welches in der amerikanischen Evaluationsforschung von G
UBA UND
L
INCOLN
(1989, vgl. Hansen & Lames 2001) auf Basis der qualitativen For-
schungsmethodologie entwickelt wurde.
Zur methodologischen Fundierung entwickelt H
ANSEN
eigens auf das qualitative
Paradigma zugeschnittene Gütekriterien, welche sich auf den praktischen
Nutzen für Trainer und Spieler sowie die Untersuchungsökonomie beziehen.
Kritisiert werden muss, dass bei der QSB nach H
ANSEN
(2003) keine Hinweise
zur Vermittlung der Analyseergebnisse zwischen den beteiligten Stakeholdern
gegeben werden.
D
RECKMANN UND
G
ÖRSDORF
(2009) übertragen die QSB erstmals auf die Spiel-
sportart Handball. Dabei gelingt es ihnen die einzelnen Schritte der QSB unter
Einbezug der Vermittlungsinstrumente schematisch darzustellen:

Forschungsstand
14
Abbildung 1: Schematische Übersicht über den Ablauf der Qualitativen
Spielbeobachtung (vgl. Dreckmann & Görsdorf, 2009).
Das Schaubild spezifiziert nicht nur die konkrete Vorgehensweise der QSB,
sondern verbindet sowohl optisch als auch inhaltlich die Wissenschaft mit der
Praxis.
Die Beschäftigung mit den verschiedenen empirischen Forschungsmethoden
brachte die Erkenntnis, dass für die gewählte Forschungsfrage lediglich die
Beobachtung als Untersuchungsmethode geeignet ist. Sowohl die subjektive
Eindrucksanalyse als auch die systematische Spielbeobachtung offenbarten
mehrere Mängel, sodass die QSB als Methodenkombination für die anschlie-
ßende Untersuchung als geeignete Methode ausgewählt wurde. Aufgrund der
Literaturrecherche wird vermutet, dass durch die Anwendung der QSB als
Verfahren der Spielbeobachtung nicht nur das Spielverhalten beschrieben
werden kann, sondern auch Stärken und Schwächen sowie Trends hinsichtlich
der Spielstrategien erkennbar werden. In einem weiteren Schritt können aus
den Erkenntnissen trainingspraktische Hinweise, besonders hinsichtlich prioritä-
rer Trainingsziele und Spielstrategien, generiert werden. Diese Praxisnähe ist
ein entscheidender Faktor, der zur Wahl dieser Methode zur Durchführung der
Weltstandsanalyse im Juniorenhandball führte. Darüber hinaus überzeugt die
Gewährleistung der Begründbarkeit und Nachvollziehbarkeit in jedem Hand-
lungsschritt (vgl. Lames, 2009).
Um die Mängel früherer Untersuchungen zu beleuchten und damit die Metho-
denwahl zu fundieren, werden im folgenden Kapitel die Anfänge der deutschen
Wettkampf
Aufnahme/Echtzeitdiagnosen
Qualitative Hauptanalyse
(Thick description)
Peer-debriefing
Videotraining
Peer - briefing
Training

Forschungsstand
15
Spielbeobachtung zur Erstellung von Weltstandsanalysen in den Spielsportar-
ten dargestellt. Zunächst werden auf allgemeiner Basis ausgewählte Studien
erläutert und Einblicke in die Entwicklungen bis heute gewährt und anschlie-
ßend bezogen auf das Handballspiel.
2.3 Theoretischer und empirischer Hintergrund der Spielbeobachtung
In den frühen Jahren der Weltstandsanalyse anhand der Wettkampf-
beobachtung wurden hauptsächlich quantitative, strukturierte Verfahren ange-
wandt. Hierbei wurde die Häufigkeit von zuvor festgelegten leistungs-
bedeutsamen Verhaltensweisen unter Wettkampfbedingungen ermittelt. Verein-
zelt wurden auch qualitative Methoden verwendet.
2.3.1 Entwicklungen der Weltstandsanalyse in Deutschland
Seit etwa fünf Jahrzehnten kommt der Analyse des Wettkampfverhaltens mittels
der Methode der Spielbeobachtung, bedingt durch die zunehmende Professio-
nalisierung des Leistungssports und den technologischen Fortschritt, eine
steigende wissenschaftliche Beachtung zu. Die Möglichkeiten der wissenschaft-
lichen Untersuchung, welche in den Anfängen häufig aus einer Analyse vor Ort
von beteiligten Akteuren mithilfe von Beobachtungsbögen und dem Sichten von
Videoaufnahmen bestanden, wurden durch die technische Entwicklung, der
Video-Computer-Kopplung und der Expertensysteme, deutlich gesteigert.
Erste Überlegungen bezüglich der leistungsdiagnostischen Auseinandersetzung
in den Sportspielen finden in den 1960er Jahren in der Deutschen Demokrati-
schen Republik (DDR) statt. Insbesondere das Institut für Sportspiele der Deut-
schen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig beschäftigt sich intensiv
mit der Auswertung internationaler Wettkampfhöhepunkte. Diese Längsschnitt-
untersuchungen sollen internationale Entwicklungstendenzen im Spitzenbereich
der Spielsportarten beschreiben und Hinweise für die sportliche Ausbildung und
kommunistische Erziehung im Training und Wettkampf liefern
(vgl. Krüger &
Stiehler, 1983). Einer der Pioniere der deutschen Sportspielforschung ist
D
ÖBLER
, der durch Anwendung von Modellen logisch relevante Elemente der
Spielleistung beschreibt sowie deren Beziehung untereinander darlegt. Dazu
systematisiert er die Sportarten nach ihrem zentralen Spielgedanken, erfasst

Forschungsstand
16
die wichtigsten Leistungskomponenten der komplexen Spielleistung anhand
numerischer Daten in einem Blockschema und objektiviert und analysiert diese
(vgl. Döbler, 1984). Zur Durchführung einer Wettkampfdiagnostik führt er die
Methoden der freien, der schriftlich gebundenen sowie der graphischen Spiel-
beobachtung auf. Unter Einsatz von technischen Elementen
nimmt er Bezug
auf die filmische und akustische Spielbeobachtung (vgl. Döbler, 1984).
Gemeinsam mit S
CHMIDER
erstellt D
ÖBLER
(1964) bei den Olympischen Winter-
spielen 1964 eine Weltstandsanalyse im Eishockey. Die Ergebnisse der quanti-
tativen Untersuchung einiger ausgewählter Spiele, in welchen individual-
taktische Maßnahmen bezüglich des körperlichen Spiels und der Torschüsse
mit jenen der WM 1963 verglichen werden, sollen Entwicklungen aufzeigen und
Erkenntnisse für die langfristige Trainingsplanung bringen. Auch werden die
Spielweise der Mannschaften genau erläutert und Auffälligkeiten dargelegt. Im
Fazit beschreiben die Forscher die Defizite der Nationalmannschaft der DDR
gegenüber den vier weltbesten Teams und leiten Maßnahmen für das Training
ab. Durch die Beschränkung auf die Individualtaktik und auf wenige Merkmale
wird lediglich ein kleiner Ausschnitt des tatsächlichen Spielgeschehens abgebil-
det. Zudem kann durch das gewählte methodische Vorgehen keinesfalls dem
Interaktionscharakter einer Spielsportart entsprochen werden. Des Weiteren
wird eine empirische Begründung der Herangehensweise vermisst.
In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) leistet
H
AGEDORN
(1971) durch erste
wissenschaftliche Untersuchungen in den 1970er Jahren einen Beitrag zur
Anerkennung der Leistungsdiagnostik als Aufgabenbereich der Trainings-
wissenschaft und zur theoretischen Fundierung in den Sportspielen.
In seinem Beitrag zur ,,Beobachtung und Leistungsmessung im Sportspiel"
strukturiert er (1971) die Spielleistung auf individual-, gruppen- und mann-
schaftstaktischer Ebene und setzt diese in seiner Analyse in Abhängigkeit
zueinander. Er bestimmt das heute noch gültige Leistungskriterium ,,Tor" sowie
die spielbestimmenden Vorgänge und erfasst diese quantitativ. Zudem
hierarchisiert er die Spielaktionen nach ihrer spielbestimmenden Wirkung.
Ungeklärt bleibt bei der Vorgehensweise H
AGEDORN
s, inwiefern vorausgehende
Aktionen, die nicht unmittelbar vor dem Torwurf vollzogen werden, für den

Forschungsstand
17
Schlussakt ausschlaggebend sind. Des Weiteren fehlt eine fundierte
Erläuterung zur Hierarchisierung der Spielhandlungen.
Bemerkenswert ist, dass Hagedorn in seiner ,,Theorie der Leistungsdiagnose im
Sportspiel" bereits 1971 die wesentlichen Arbeitsschritte und Aufgaben einer
trainingswissenschaftlichen Leistungsdiagnostik beschreibt, wie sie auch Jahre
später noch von Letzelter und Letzelter angewandt werden. Auch versucht er
dem taktischen Repertoire des Sportspiels durch die noch heute genutzte
Unterteilung in individual-, gruppen- und mannschaftstaktische Handlungen
gerecht zu werden.
B
EGOV
und
U
TZ
(1978) führen eine Untersuchung zur Mannschaftstaktik im
Volleyball bei den Junioren-EMs 1975 und 1977 durch. Im Mittelpunkt stehen
die Abbildung des zeitlichen Verlaufs sowie die Abhängigkeit der Punkte von
Spielvorgängen. Darüber hinaus wird eine qualitative Bewertung der einzelnen
Spieler vorgenommen. Laut B
EGOV
und U
TZ
halten die Erkenntnisse aus der
Spielbeobachtung vor Ort anhand eines Spielprotokolls und Spielstenogramms
sowie eines Tonbands aufgrund der Schnelligkeit und Komplexität des
Spiels
keiner Überprüfung stand. Lediglich die nachträgliche Beobachtung mithilfe der
Videorecorder-Aufzeichnungen
liefert zufriedenstellende Ergebnisse. Aus
heutiger, forschungstheoretischer Sicht genügt diese Untersuchung keineswegs
den Anforderungen einer Weltstandsanalyse. Zwar muss die Methodenvielfalt
und die Abbildung des komplexen Spielgeschehens im zeitlichen Verlauf gelobt
werden,
jedoch geschieht dies lediglich auf quantitativer Ebene. Dadurch kann
weder das komplexe Spielgeschehen in seinem situativen Kontext abgebildet
noch dem Interaktionscharakter genüge getan werden.
Diese dargestellten methodischen Vorgehensweisen aus den Anfängen
der
quantitativen Spielbeobachtung werden bis heute in vergleichbaren Unter-
suchungsdesigns angewandt. Auch im 21. Jahrhundert überwiegen noch
Untersuchungen zum Weltstand, die auf Grundlage der quantitativen Spiel-
beobachtung erstellt werden. Einzelne Forscher betrachten dies inzwischen
kritisch. So stellen D
RECKMANN
und G
ÖRSDORF
(2009) hierzu fest, dass es bei
einer Spielanalyse um mehr geht, als nur die reine Beschreibung unter Angabe
von Prozentwerten. Hagedorn (1990) drückt dies folgendermaßen aus:

Forschungsstand
18
,,Angesichts vieler Zahlen und weniger von der Sportwissenschaft beantworte-
ter Fragen muß es dem Spielpraktiker grausen, sein Spiel, das er als ein
Ganzes erlebt und erleidet, hier berechnet, seziert, skelettiert zu sehen. ... die
Zeiten des Messen-um-des-Messen-willen und des isolierten Einzelfaktors
(sind) vorüber" (Hagedorn, 1990, S.6).
D
RECKMANN
und G
ÖRSDORF
(2009) formulieren zur Darlegung des
Spielgeschehen daher folgende Zielstellung:
,,Hauptansatzpunkt der Analyse muss daher die Rekonstruktion und Interpreta-
tion der Handlungen der beteiligten Personen sein. Dafür ist das Vorgehen der
Hermeneutik nützlich" (2009, S.64).
Besonders die Praktiker aus dem Kreis der Verbände und Vereine bedienen
sich schon seit langer Zeit der qualitativen Spielbeobachtung. Allerdings ge-
schieht dies ohne empirische Herleitung. Auch in der Forschung wird seit den
1970er Jahren in seltenen Fällen die qualitative Spielbeobachtung angewandt.
Eine der ersten Untersuchungen in Deutschland, die sich einer Methoden-
kombination aus systematischer Spielbeobachtung anhand von Häufigkeiten
und subjektiver Eindrucksanalyse bedient, ist
G
IMBELS
(1977) Weltstands-
analyse im Rahmen des Olympischen Wasserball Turniers 1976. Er analysiert
zum einen das Angriffsspiel der sechs stärksten Teams in ihren Endrundenpar-
tien anhand von Häufigkeiten und nimmt zum anderen eine subjektive Analyse
zum taktischen Verhalten der Teams vor. Daran anschließend erstellt er einen
Maßnahmenkatalog für das deutsche Team. Dabei wurde der Vorbereitungs-
prozess der deutschen Nationalmannschaft zuvor schriftlich, grafisch sowie
unter Videoeinsatz analysiert, um Rückschlüsse aus dem langfristigen Trai-
ningsprozess ziehen zu können.
Es muss konstatiert werden, dass sich die Stichprobengröße lediglich auf die
Endrundenpartien des Turniers bezieht und daher keine validen Aussagen über
das Spielverhalten der Teams getroffen werden können.
L
EITZGEN UND
P
APAGEORGIOU
(1984) bedienen sich einer Kombination aus
quantitativer und qualitativer Spielbeobachtung in der Sportart Volleyball, zur
Auswertung der Angriffsarten bei der WM 1982. Ihre Werte zu Häufigkeit und
Effektivität der Angriffskombinationen vergleichen sie mit jenen von der WM

Forschungsstand
19
1978. Positiv kann angemerkt werden, dass Interpretationen anhand von Zah-
len belegt und Trends aufgezeigt werden.
Gemeinsam mit B
RÖMMEL
unternimmt P
APAGEORGIOU
(1988) anschließend
anhand derselben Methodik und Systematik eine umfangreiche Spielbeobach-
tung der verschiedenen mannschaftstaktischen Angriffskombinationen im
Rahmen der Volleyball-EM der Frauen 1985. Diese Ergebnisse werden mit
Resultaten einer Untersuchung eines internationalen Turniers 1984 verglichen
und Tendenzen aufgezeigt. Positiv fällt auf, dass auch Spieler, die in einem
Angriff keine Ballberührung haben in die Analyse integriert werden.
Es bleibt jedoch auch bei dieser Untersuchung der Mangel einer unzureichend
hergeleiteten empirischen Vorgehensweise und einer, unter Vernachlässigung
der Abwehraktionen, auf das Angriffsspiel beschränkten Ableitung von Erkennt-
nissen zum Weltstand.
Eine rein qualitative Spielbeobachtung nehmen B
REMER
,
S
CHNEIDER UND
S
TAUDT
(1987) zur Fußball-WM 1986 vor. Basierend auf einem Grundlagenpa-
pier, welches Entwicklungen und Trends im Abwehrverhalten, die räumlich-
zeitliche Struktur des Spiels sowie die erfolgreichen Angriffskonzeptionen
erfasst, werden ausgewählte Spiele über Video gesichtet und das Spielverhal-
ten der besten sechs Nationen charakterisiert und verglichen. Anschließend
werden trainingspraktische Konsequenzen abgeleitet. Kritisiert werden muss,
dass keinerlei objektiv überprüfbare Daten vorliegen. An dieser Stelle ist der
Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit zu postulieren.
Die Literaturrecherche und die daraus resultierende exemplarische Abbildung
einiger älterer Untersuchungen aus dem Bereich der qualitativen Sportspiel-
beobachtung beweisen, dass es in diesem Forschungsbereich sowohl an der
quantitativen Anwendung als auch an einer methodologischen Einordnung und
einer einheitlichen definitorischen Begriffsbildung mangelt.
Besonders erwähnenswert ist daher die vor etwa einem Jahrzehnt vollzogene
theoretische Fundierung und Implementierung einer qualitativen Methode
namens QSB durch H
ANSEN
und L
AMES
(2001) (vgl. Hohmann et al., 2010).
H
ANSEN
(2003) begründet diese Methode anschließend anhand einer

Forschungsstand
20
Turnierbegleitung des deutschen Teams in der Mannschaftssportart Beach-
Volleyball im Rahmen der Olympischen Spiele 2000. Diesem Modell kommt seit
der Übertragung auf die Spielsportart Handball von D
RECKMANN
und G
ÖRSDORF
(2009), deren Untersuchung im folgenden Unterkapitel vorgestellt wird, bisher
eine geringe Beachtung in den großen Mannschaftssportarten zu. Deswegen
werden, trotz der eigenen Anwendung der Methode, an dieser Stelle keine
Untersuchungen anhand der QSB abgebildet.
Im Folgenden werden Studien zum handballspezifischen Forschungsstand
hinsichtlich der Weltstandsanalysen dargestellt.
2.3.2 Weltstandsanalyse in der Spielsportart Handball
In diesem Kapitel wird zunächst die Entstehung der leistungsdiagnostischen
Wettkampfbeobachtung im Handball in Deutschland dargelegt. Daraufhin
werden Ausschnitte des Forschungsstandes von Weltstandsanalysen über die
Jahre hinweg bis heute durch quantitative sowie qualitative Studien vorgestellt.
Die Darstellung des aktuellen Forschungsstandes basiert auf internationalen
Untersuchungen.
Im Handballverband der ehemaligen DDR werden seit den 1960er Jahren
Weltstandsanalysen angefertigt und ständig vervollkommnet. Hierzu gehören
Spielverlaufsprotokolle, Analysen des taktischen Spiels, Untersuchungen zum
Gegnerverhalten sowie komplexe EDV-Analysen. Die Wettkampfanalysen des
Deutschen Handballverbandes (DHV) der DDR verfolgen drei Ziele. Zum einen
sollen sie auf Grundlage einer Analyse der individuellen Leistungsfähigkeit den
Entwicklungsstand beurteilen und Vergleiche mit dem Anforderungsprofil der
Weltspitze ermöglichen. Zum anderen soll die Analyse der Mannschaftsleistung
zur Einschätzung der Effektivität in Angriff und Abwehr beitragen, das taktische
Repertoire beurteilen und das Spielverhalten des Gegners beschreiben. Ein
weiteres Merkmal ist die EDV-gestützte Trendanalyse von Weltspitzen-
leistungen zur Darlegung
der Leistungsstruktur, zur Ableitung von Anforde-
rungsprofilen sowie zur Errechnung von Prognoseleistungen (vgl. Kreisel,
1983). Die damaligen Kerngedanken stimmen mit den heute bekannten Zielen

Forschungsstand
21
einer Weltstandsanalyse (vgl. Hohmann et al. 2010; Schnabel et al. 2011)
nahezu exakt überein.
Das wissenschaftliche Zentrum der DDR bedient sich dieser umfangreichen
Erkenntnisse zur Vorbereitung der Frauen auf die Olympischen Spiele 1976
und die WM 1979 sowie der Männer auf die Olympischen Spiele 1980. Dazu
werden Informationen über die Wirksamkeit von Spielern, Torwurfbilder, Torhü-
tergrafiken, Taktikanalysen für typisches Angriffs- und Abwehrverhalten, Sys-
temanalysen zu Stärken und Schwächen verschiedener Aufstellungen sowie
Grafiken zum Spielverlauf verwendet. Des Weiteren werden durch die For-
schungsgruppe der DHfK im Olympiajahr 1979/1980 Wettkampfanalysen zur
Auswertung technisch-taktischer Leistungen im Nachwuchsbereich durchge-
führt (vgl. Kreisel, 1983).
K
REISEL
leistet zu den Entwicklungen in der ehemaligen DDR einen
bedeutenden Beitrag, indem er sowohl zu WMs und EMs als auch zu
Olympischen Spielen quantitative Analysen der Spitzenmannschaften und der
DDR durchführt, Vergleiche aufstellt und Trends sowie trainingsmethodische
Hinweise auflistet (vgl. Kreisel, 1987). Darüber hinaus nimmt er 1964 als erster
deutscher Forscher eine Art Weltstandsanalyse auf quantitativer Ebene im
Hallenhandball vor. Hierbei untersucht er den Erfolg bzw. Misserfolg der letzten
acht Mannschaften
in den Hauptrundenspielen der WM in der
Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik anhand der systematischen
Spielbeobachtung. Zum Vergleich zieht K
REISEL
zwei Vorrundenspiele der DDR,
welche vorzeitig ausschied, heran. Ihn interessieren vorrangig der Anteil der
Offensivaktionen mit Torerfolg, die Art der Würfe sowie die Wurfeffektivität von
den unterschiedlichen Positionen. In seiner Diskussion geht er über die reine
Auflistung von Quantitäten hinaus, bezieht situative Determinanten ein und
erläutert den Ausbildungsstand der einzelnen Teams. Zudem analysiert er
anhand des Weltstandes den Rückstand der DDR und leitet daraus
Maßnahmen für den Trainingsprozess ab. Abschließend nimmt er Bezug zur
WM 1961 (vgl. Kreisel, 1964). Diese umfangreichen inhaltlichen Ziele der
Spielbeobachtung im Handball können für die damalige Zeit als sehr

Forschungsstand
22
fortschrittlich gesehen werden. Es muss jedoch der hohe technische sowie
zeitliche Aufwand und damit die fehlende Ökonomie konstatiert werden.
Etwa ein Jahrzehnt später stellt Z
ÖLL
(1974) einen Vergleich der Leistungsstär-
ke der deutschen Nationalmannschaft mit der Weltspitze zur Handball-Frauen-
WM 1973 mittels der schriftlich gebundenen, quantitativen Spielbeobachtung
an. Sowohl zwei Ersatz-Spielerinnen als auch ein Referent des Bundesaus-
schuss zur Förderung des Leistungssports (BAL) erfassen auf Beobachtungs-
bögen Torwürfe, technische Fehler, Strafen und Auswechslungen. Zu bemän-
geln ist die Vernachlässigung der Darstellung von Entwicklungen und von
trainingspraktischen Hinweisen. Vor allem aber ist die Spielstrichprobe zu klein,
um detaillierte Schlüsse ziehen zu können. Aus heutiger Sicht scheint solch
eine quantitative Analyse durch eine persönlich beteiligte Person vollkommen
unzureichend, da weder dem Anspruch der vollständigen Abbildung relevanter
Spielereignisse, noch der Objektivität Folge geleistet wird.
S
PÄTE
(1982) legt den Fokus seiner systematischen Spielbeobachtung im
Handball anhand eines Beobachtungsbogens auf das individual-, gruppen- und
mannschaftstaktische Verhalten der WM-Teilnehmer 1982. 21 Spiele, darunter
die sechs Endrundenpartien, werden von vier unterschiedlich positionierten
Kameras gefilmt und mittels einer Spielfeldskizze graphisch aufgezeichnet.
Eine methodisch vergleichbare jedoch detailliertere quantitative Studie führt
S
PÄTE
gemeinsam mit S
TEPHAN
(1983) anhand von sechs Endrundenspielen
der Frauen-WM 1982 durch. Kritisch zu sehen ist, dass lediglich jene Aktionen,
die zu einem erfolgreichen Torabschluss führen in die Untersuchung miteinflie-
ßen. Außerdem erscheint die Anzahl von sechs Partien als ungenügend, um
allgemeine Aussagen zum Angriffsspiel der Teams treffen zu können. Weiterhin
muss diskutiert werden, ob bei einer Auswertung des Spielgeschehens aus vier
Perspektiven der Aufwand nicht den Nutzen übertrifft.
S
CHLEGEL
,
N
OWAK UND
J
AENICHEN
(1995) führen eine umfangreiche Analyse
zum mannschaftstaktischen Angriffs- und Abwehrverhalten im situativen
Zusammenhang, zu den Torhüter- und Schiedsrichterleistungen und zur

Forschungsstand
23
Zeitstruktur anhand der quantitativen Spielbeobachtung bei der Männer-EM
1994 durch. Zusätzlich bestimmen sie die besten Spieler, indem sie nach dem
messtheoretischen Modell (vgl. Hohmann & Brack, 1983) jeder Handlung einen
Wert zuordnen. Die Analyse ist aufgrund der großen Anzahl an erfassten
Merkmalen sehr detailliert. Positiv erscheint auch der Vergleich mit der WM
1993. Im Mittelpunkt der Methodenkritik zu dieser Untersuchung steht der
messtheoretische Ansatz. Durch die Isolierung einzelner Spielhandlungen,
welche nicht-empirisch belegten Werten zugeordnet und aus dem Spielkontext
gerissen werden, wird der Interaktionscharakter des Sportspiels vernachlässigt.
P
FEIFFER
(2005) entwickelt einen leistungsdiagnostischen Ansatz zur Analyse
des technisch-taktischen Verhaltens im Nachwuchsbereich und setzt ihn im
Nachwuchstraining um. Somit wird der mathematisch-modelltheoretische An-
satz nach Lames (1991) zum ersten Mal auf ein Tor-Spiel übertragen. Seine
Stichprobe besteht aus 15 Spielen der Junioren-WM 2001. Als Forschungs-
methode wählt er die Feldbeobachtung, welche er durch eine Videoanalyse
unterstützt. Ein Prioritätenkatalog, der im Anschluss an die Modellierung mit
Markov-Ketten
3
entworfen wird, hilft bei der Ableitung trainingspraktischer
Hinweise. Die Ergebnisse bringen tiefgehende Erkenntnisse über die Leistungs-
relevanz von taktischen Handlungen in der Spielsportart Handball. Aus heutiger
Sicht ist die Verwendung des modelltheoretischen Ansatzes teilweise kritisch zu
betrachten, da aufgrund der Verkürzungen bei der Modellbildung viele aus-
schlaggebende Aspekte übersehen werden. Darüber hinaus werden zeitliche
und räumliche Merkmale missachtet.
Auch neuere Untersuchungen der Spielforschung in der Sportart Handball
bedienen sich der systematischen Spielbeobachtung von Turnieren, um Spiel-
weisen zu identifizieren.
Hier kann die Studie von H
IANIK
(2007) exemplarisch herangezogen werden,
welche quantitative Statistiken zum Defensiv- und Offensivspiel der Teams bei
der U17-Frauen-EM in Slowenien darlegt. Diese numerischen Daten vergleicht
3
,,Markov-Ketten sind ein Spezialfall von stochastischen Prozessen. Unter einem stochastischen Prozess
ist ein System zu verstehen, das sich schrittweise durch eine Menge von Zuständen bewegt. Die Über-
gange zwischen den Zuständen sind durch ein Wahrscheinlichkeitsmaß stochastisch bestimmt" (Lames,
1991, S.76).

Forschungsstand
24
H
IANIK
mit jenen der Frauen-EM 2006. Zusätzlich beschreibt er in Kurz-
charakteristiken die Spielweise verschiedener Mannschaften qualitativ.
Durch die qualitative Beschreibung der Spielweise der besten Teams wird diese
Untersuchung empirisch deutlich aufgewertet. Hierdurch kann zumindest teil-
weise dem Vorwurf der limitierten Darstellung der quantitativen Spielbeobach-
tung begegnet werden. Kritisch zu sehen ist H
IANIKS
Verzicht auf eine präzise
Beschreibung seiner Vorgehensweise bei der Erstellung der Charakteristiken.
Die abgebildeten quantitativen Untersuchungen vereint ein Nachteil: Mit der
gewählten Methode lässt sich weder ein Spiel rekonstruieren noch adäquat in
seinem situativen Zusammenhang interpretieren. Daher werden in der heutigen
Spielforschung der Sportart Handball ebenso alternative Ansätze verfolgt,
wobei für diese Untersuchung die qualitative Spielbeobachtung von besonde-
rem Interesse ist.
Im internationalen Bereich gibt es wesentlich mehr Untersuchungen, welche
einen Überblick über die komplexe Spielleistung auf qualitativer Ebene gewäh-
ren. Leider fehlt nahezu allen diesen Untersuchungen der empirische Hinter-
grund, was sie für eine Verwendung in der Forschung stark einschränkt. Trotz
dessen werden im Folgenden einige davon exemplarisch vorgestellt, da sie für
die eigene durchzuführende Studie wertvolle Inhalte enthalten.
P
OLLANY
(2009) erstellt eine qualitative Trendanalyse zur Frauen-EM 2008 in
Mazedonien, um die Entwicklungen zu den EMs 2002 und 2008 aufzuzeigen.
Detailliert geht er auf Faktoren wie Tore, Gegentreffer und internationale Erfah-
rung der Teammitglieder ein. Außerdem legt er für alle Hauptrundenteams
Trendanalysen des Defensiv- und Offensivspiels dar, welche er wiederum
mithilfe von Graphiken und Videosequenzen erläutert. Dabei beschreibt er
außerdem das Torhüterverhalten, das Gegenstoßspiel sowie das Miteinander
von Trainern und Schiedsrichtern. Positiv fallen der Vergleich mit den Entwick-
lungen des Männer-Handballs sowie die ausführlichen Spielskizzen auf.
P
OLLANY
gelingt es, seine qualitativen Erkenntnisse mittels numerischer Daten,
Skizzen und Videosequenzen zu belegen.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783842835559
Dateigröße
4.3 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität München – Fakultät für Sportwissenschaften, Sport, Medien und Kommunikation
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
handball weltmeisterschaft wettkampfanalyse spielbeobachtung spielsportart
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Titel: Rhythmus, Effektivität und taktisches Repertoire im Spitzenhandball - Methodologische Fundierung der Weltstandsanalyse anhand der männlichen Junioren-Weltmeisterschaft
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