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Agora auf Knopfdruck - Die Herstellung einer televisuellen Öffentlichkeit und ihr Einfluss auf den politischen Diskurs

Am Beispiel der Schlichtung zu Stuttgart 21

©2011 Bachelorarbeit 32 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In komplexen modernen Gesellschaften kommt die Bevölkerung fast nur noch über Massenmedien in Berührung mit Politik. Als wichtigstes der medialen Bindeglieder zwischen Politik und Öffentlichkeit gilt das Fernsehen: Aus Bürgern werden Zuschauer. Dies hat weitreichende Folgen für die Politikvermittlung und -darstellung, denn die Polit-Akteure passen ihre Inszenierungsstrategien an das Medium an, um eine möglichst große Öffentlichkeit zu überzeugen und für sich und ihre Ziele zu gewinnen. Diese Öffentlichkeit, die über audiovisuelle Technik hergestellt wird, unterscheidet sich in grundlegenden Faktoren von der Präsenzöffentlichkeit, auf der die traditionellen rhetorischen Lehren zur politischen Rede basieren. Die politische Kommunikation via Fernsehen erfordert deshalb spezifische Strategien, um mit dem Aspekt der Dimission umzugehen. Diese Strategien bestehen beispielsweise in der Verkürzung, Emotionalisierung oder Personalisierung von Inhalten. So hat das Massenmedium Fernsehen zu einer Unterscheidung zwischen ‘wirklicher’ und ‘inszenierter’ Politik geführt. Die Öffentlichkeit, die nur über dieses Medium in Kontakt mit Politik kommt, sieht demnach fast ausschließlich ‘inszenierte’ Politik.
Diese Arbeit zeigt, in welcher Form sich die Fernseh-Öffentlichkeit auf die Rhetorik des politischen Diskurses auswirkt. Dies geschieht beispielhaft anhand der Analyse der Schlichtungsgespräche zum Bahnprojekt ‘Stuttgart 21’. Der Analyse liegt die Annahme zugrunde, dass die Schlichtungsgespräche ein Sonderfall der fernsehmedialen politischen Kommunikation waren, da sie in mehrerlei Hinsicht den üblichen Inszenierungsweisen des Fernsehens widersprechen und dennoch auf ein großes Zuschauerinteresse stießen.
Dabei soll untersucht werden, welche rhetorischen Strategien der Rezipientenorientierung eingesetzt werden, ob und auf welche Weise eine Mehrfachadressierung der Debatte stattfindet und welche Auswirkungen diese Faktoren auf die Qualität des politischen Diskurses haben. Die Arbeit ist gegliedert in einen theoretischen Teil, der die Beziehungen und Wechselwirkungen von Politik, Fernsehen und Öffentlichkeit erläutert und sie jeweils in Bezug zur Rhetorik setzt. Darauf folgt die Analyse der Schlichtungsgespräche anhand von drei ausgewählten Sitzungen, die sowohl sprachliche Aspekte wie auch Ethos-Inszenierungen im Hinblick auf Öffentlichkeitsbezug untersucht. Abschließend werden die Ergebnisse der Analyse in einem Fazit zusammengefasst […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Eva Hasel
Agora auf Knopfdruck - Die Herstellung einer televisuellen Öffentlichkeit und ihr
Einfluss auf den politischen Diskurs
Am Beispiel der Schlichtung zu Stuttgart 21
ISBN: 978-3-8428-3300-5
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
Zugl. Eberhard Karls Universität Tübingen, Tübingen, Deutschland, Bachelorarbeit, 2011
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2012

Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Politik
2.1 Politik und Medien
2.1.1 Politikdarstellung im Fernsehen
2.2 Rhetorik und Politik
3. Öffentlichkeit
3.1 Medienorganisierte Öffentlichkeit
3.2 Öffentlichkeit und Rhetorik
4. Fernsehmediale Massenkommunikation
4.1 Rhetorik des Fernsehens, Rhetorik im Fernsehen
5. Ein Dreieck: Politik, Rhetorik, Öffentlichkeit
5.1 Rhetorik der öffentlichen Debatte
6. Stuttgart 21: Die Schlichtung
6.1
'LH VSH]L¿VFKH 5KHWRULN GHV 'LVNXUVHV
6.2 Visuelle Aspekte
7. Fazit
8. Quellenverzeichnis
1
2
2
5
6
8
9
10
12
13
15
16
18
19
24
25
27

1. Einleitung
In komplexen modernen Gesellschaften kommt die Bevölkerung fast nur noch über Mas-
senmedien in Berührung mit Politik. Als wichtigstes der medialen Bindeglieder zwischen
Politik und Öffentlichkeit gilt das Fernsehen: Aus Bürgern werden Zuschauer. Dies hat
weitreichende Folgen für die Politikvermittlung und -darstellung, denn die Polit-Akteure
passen ihre Inszenierungsstrategien an das Medium an, um eine möglichst große Öffent-
lichkeit zu überzeugen und für sich und ihre Ziele zu gewinnen. Diese Öffentlichkeit, die
über audiovisuelle Technik hergestellt wird, unterscheidet sich in grundlegenden Faktoren
von der Präsenzöffentlichkeit, auf der die traditionellen rhetorischen Lehren zur politischen
5HGH EDVLHUHQ 'LH SROLWLVFKH .RPPXQLNDWLRQ YLD )HUQVHKHQ HUIRUGHUW GHVKDOE VSH]L¿VFKH
Strategien, um mit dem Aspekt der Dimission umzugehen. Diese Strategien bestehen
beispielsweise in der Verkürzung, Emotionalisierung oder Personalisierung von Inhalten.
6R KDW GDV 0DVVHQPHGLXP )HUQVHKHQ ]X HLQHU 8QWHUVFKHLGXQJ ]ZLVFKHQ ÄZLUNOLFKHU³ XQG
ÄLQV]HQLHUWHU³ 3ROLWLN JHIKUW 'LH gIIHQWOLFKNHLW GLH QXU EHU GLHVHV 0HGLXP LQ .RQWDNW PLW
3ROLWLN NRPPW VLHKW GHPQDFK IDVW DXVVFKOLHOLFK ÄLQV]HQLHUWH³ 3ROLWLN
Diese Arbeit zeigt, in welcher Form sich die Fernseh-Öffentlichkeit auf die Rhetorik des
politischen Diskurses auswirkt. Dies geschieht beispielhaft anhand der Analyse der
6FKOLFKWXQJVJHVSUlFKH ]XP %DKQSURMHNW Ä6WXWWJDUW ³ 'HU $QDO\VH OLHJW GLH $QQDKPH
zugrunde, dass die Schlichtungsgespräche ein Sonderfall der fernsehmedialen politischen
Kommunikation waren, da sie in mehrerlei Hinsicht den üblichen Inszenierungsweisen
des Fernsehens widersprechen und dennoch auf ein großes Zuschauerinteresse stießen.
Dabei soll untersucht werden, welche rhetorischen Strategien der Rezipientenorientierung
eingesetzt werden, ob und auf welche Weise eine Mehrfachadressierung der Debatte
VWDWW¿QGHW XQG ZHOFKH $XVZLUNXQJHQ GLHVH )DNWRUHQ DXI GLH 4XDOLWlW GHV SROLWLVFKHQ 'LV-
kurses haben. Die Arbeit ist gegliedert in einen theoretischen Teil, der die Beziehungen
und Wechselwirkungen von Politik, Fernsehen und Öffentlichkeit erläutert und sie jeweils
in Bezug zur Rhetorik setzt. Darauf folgt die Analyse der Schlichtungsgespräche anhand
von drei ausgewählten Sitzungen, die sowohl sprachliche Aspekte wie auch Ethos-Insze-
nierungen im Hinblick auf Öffentlichkeitsbezug untersucht. Abschließend werden die
Ergebnisse der Analyse in einem Fazit zusammengefasst und die Annahme der Schlich-
tung als Sonderfall überprüft.
Kapitel 1: Einleitung
1

Kapitel 2: Politik
2. Politik
'H¿QLWLRQHQ YRQ 3ROLWLN JLEW HV MH QDFK 1XW]XQJVNRQWH[W HEHQVR YLHOH ZLH HV 9HUZHQ-
dungsmöglichkeiten und Bedeutungen dieses Begriffs gibt. Um eine Basis für die
Betrachtungen zu schaffen, ist es deshalb notwendig, ihn im Folgenden kurz einzugren-
]HQ 'D]X VROO HLQH 'H¿QLWLRQ YRQ Thomas Meyer GLHQHQ GLH Ä3ROLWLN³ NRQNUHW XQG UHODWLY
umfassend beschreibt. Meyer unterteilt den Politikbegriff in drei Dimensionen: Polity, Policy
und Politics. Als Polity bezeichnet er die ,,Grundlagen des politischen Gemeinwesens³
1
,
DOVR IHVWVWHKHQGH 5HJHOZHUNH XQG 1RUPHQ ZLH 9HUIDVVXQJHQ DEHU DXFK ÄGLH SROLWLVFKH
.XOWXU GHU 0LOLHXV GLH HLQH SROLWLVFKH *HPHLQVFKDIW ELOGHQ³
2
Policy beschreibt die Hand-
lungsprogramme, mit denen politische Probleme gelöst bzw. Ziele erreicht werden sollen.
Bei der Dimension der Politics schließlich geht es um die Durchsetzung der ausgewählten
Handlungsprogramme. Sie ,,[...] bildet sich als Dynamik einer Handlungsstruktur heraus,
bei der verschiedene Akteure unterschiedliche Interessen ins Spiel bringen. Sie berufen
sich auf Legitimationsgründe, um durch Kompromisse oder Konsens, durch Aushandeln
oder Mehrheitsbildung unter Einsatz verschiedenartiger Machtressourcen die Durchset-
zung ihres eigenen Programms zur Problemlösung im Rahmen der ihnen zur Verfügung
VWHKHQGHQ .UlIWH P|JOLFKVW ZDKUVFKHLQOLFK ]X PDFKHQ³
3
Die Trias aus Grundlagen der
politischen Kultur, Problemlösungsverfahren und Verwirklichung von politischen Program-
men bezeichnet Meyer als die Logik der Politik
4
'LHVH VSH]L¿VFKH /RJLN GLHQW EHL 0H\HU
auch als Grundlage zur Unterscheidung zwischen ,,thematischen InszenierungeQ³ XQG
,,leeren Inszenierungen³
5
, die für folgenden Betrachtungen zum Verhältnis von Politik und
Fernsehen wichtig ist. Thematische Inszenierungen lassen eben diese Eigenlogik der
3ROLWLN QRFK HUNHQQHQ GLH 0HGLHQ GLHQHQ DOV Ä,QIRUPDWLRQVYHKLNHO³ IU GLH SROLWLVFKH
Information. Bei leeren Inszenierungen dagegen steht der mediale Unterhaltungsaspekt
im Vordergrund, der politische Prozess oder die politische Information dienen dafür ledig-
lich als Aufhänger
6
.
2.1 Politik und Massenmedien
'LH EHLGHQ *HVHOOVFKDIWVV\VWHPH Ä3ROLWLN³ XQG Ä0HGLHQ³ VLQG JHSUlJW GXUFK NRPSOH[H
Wechselwirkungen, denn Polit-Akteure kommunizieren hauptsächlich über Massenmedien
1
Meyer, Thomas: Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M.
2001. S. 25
2
ebd.
3
ebd. S. 27
4
Vgl. ebd. S. 25 - 27
5
ebd. S. 32
6
Vgl.
ebd.
2

Kapitel 2.1: Politik und Massenmedien
mit der Öffentlichkeit bzw. ihren Wählern. ,,Unter ,politischer Kommunikation` verstehen
wir, systemtheoretisch gefasst, die Beziehungen zwischen dem politischen System, dem
Mediensystem und der Öffentlichkeit; ihr Hintergrund sind allgemeine soziale Rahmen-
EHGLQJXQJHQ LKU .RQWH[W GLH $XVSUlJXQJHQ HLQHU ÄSROLWLVFKHQ .XOWXU³ 'LHVH SROLWLVFKH
.RPPXQLNDWLRQ LVW LQ GHU RIIHQHQ *HVHOOVFKDIW .HUQHOHPHQW GHU ÄFKHFNV DQG EDODQFHV³
GHU $XVWDULHUXQJ YRQ 0DFKW XQG (LQÀX³
7
Siegfried Weischenberg macht deutlich, dass
Poltitk und Medien sich gegenseitig auch als Kontroll- und Kritikinstanz dienen ­ also nicht
QXU YRQHLQDQGHU SUR¿WLHUHQ VRQGHUQ VLFK JHJHQVHLWLJ DXFK EHREDFKWHQ $Q HUVWHU 6WHOOH
sollen hier jedoch die Bedingungen stehen, die das Mediensystem aufstellt, um von ihm
wahrgenommen und publiziert zu werden und auf welche Art und Weise sich die Politik
diesen Bedingungen anpasst und ihrerseits versucht, das Mediensystem für ihre Zwecke
zu instrumentalisieren. Daniel Boorstin hat in dem Zusammenhang den Begriff der
ÄKDSS\ V\PELRVLV³
8
geprägt, der die beidseitigen Abhängigkeitsverhältnisse von Politik und
Medien bezeichnet. So sind politische Akteure an einer möglichst großen Reichweite von
Publizität und Öffentlichkeit interessiert, während Medienakteure auf zuverlässige Infor-
PDWLRQVTXHOOHQ DQJHZLHVHQ VLQG GLH VLH PLW 1HXLJNHLWHQ YHUVRUJHQ XQG GHQ -RXUQDOLVWHQ
so umfangreiche Eigenrecherchen ersparen
9
. Das jeweilige Medium gibt den Rahmen vor,
LQ GHP (UHLJQLVVH VWDWW¿QGHQ VROOWHQ XP HLQH P|JOLFKVW JURH 3XEOL]LWlW ]X HUUHLFKHQ
Die Politik passt sich an diese Bedingungen an und versucht, möglichst mediengerechte
Inszenierungen zu schaffen und somit wiederum das Medium, das die Regeln vorgibt,
in ihrem Sinn zu steuern. Meyer unterscheidet neun Grundmodelle von ,,Darstellungs-
regeln³
10
, nach denen Polit-Akteure in den Medien überwiegend ihr Ethos inszenieren
E]Z LQV]HQLHUHQ ODVVHQ 'LHVH VLQG 3HUVRQL¿NDWLRQ P\WKLVFKHU +HOGHQNRQÀLNW 'UDPD
archetypische Erzählung, Wortgefecht, Sozialrollendrama, symbolhafte Handlung, Unter-
KDOWXQJVDUWLVWLN XQG GDV VR]LDOLQWHJUDWLYH 1DFKULFKWHQULWXDO =XP ZLFKWLJVWHQ GLHVHU 0RGHOOH
]lKOW ZRKO GLH 3HUVRQL¿NDWLRQ GLH GLH 9HUN|USHUXQJ YRQ EHVWLPPWHQ (LJHQVFKDIWHQ XQG
7XJHQGHQ LQ HLQHU 3HUVRQ EH]HLFKQHW %HLP P\WKLVFKHQ +HOGHQNRQÀLNW NRPPW HV ]X HLQHU
EHUVSLW]WHQ 'DUVWHOOXQJ HLQHV .RQÀLNWV RGHU HLQHU .RQNXUUHQ]VLWXDWLRQ DOV ÄVFKLFNVDOKDI-
WHV 'XHOO³
11
, das Drama und die archetypische Erzählung stellen Akteure als überpersön-
OLFKH 5HSUlVHQWDQWHQ YRQ 0RWLYHQ ZLH ÄGHU *XWH³ ÄGHU %|VH³ ÄGHU /HKUHU³ ÄGLH 0XWWHU³
GDU :RUWJHIHFKWH VLQG DXI 6SDQQXQJ XQG (PRWLRQ DXV XQG ¿QGHQ VLFK PHLVW LQ 7DONVKRZV
und ähnlichen Genres, ebenso wie das Sozialrollendrama, das Personen mit ihrer
7
Weischenberg, Siegfried: Gladiatoren und Propagandisten? Die Akteure politischer Kommunikation in einer
medialen Streitkultur. In: Sarcinelli, Ulrich (Hrsg.): Demokratische Streitkultur. Westdeutscher Verlag, Opladen
1990. S. 102
8
Sarcinelli, Ulrich: Symbolische Politik. Zur Bedeutung symbolischen Handelns in der Wahlkampfkommunika-
tion der Bundesrepublik Deutschland. Westdeutscher Verlag, Opladen 1987. S. 218
9
Vgl. ebd. S. 218
10
ebd. S. 50
11
ebd. S. 51
3

Kapitel 2.1: Politik und Massenmedien
4
EHUXÀLFKHQ XQG JHVHOOVFKDIWOLFKHQ 5ROOH LGHQWL¿]LHUW XQG VLH LQ JHZLVVH 6WHUHRW\SHQ ]X
zwingen versucht. In der symbolhaften Handlung verdichtet sich in z.B. einer Geste eines
Politikers ein größerer Sinnzusammenhang bildhaft. Bei der Unterhaltungsartistik geht
es um reine mediale Unterhaltung und die Darstellung privater, menschlicher Seiten von
3ROLWLNHUQ 'DV VR]LDOLQWHJUDWLYH 1DFKULFKWHQULWXDO EHVFKUHLEW GLH )KUXQJ XQG 2ULHQWLH-
UXQJ GLH GHU =XVFKDXHU GXUFK GHQ 1DFKULFKWHQVSUHFKHU HUIlKUW MHGHQ 7DJ ]XU JOHLFKHQ
Zeit
12
. Es existieren außerdem zahlreiche Faktoren, die bestimmen, welche Ereignisse
PDVVHQPHGLDOH %HDFKWXQJ ¿QGHQ XQG GDPLW ]XU 1DFKULFKW ZHUGHQ XQG ZHOFKH QLFKW
Diese zu kennen und zu beachten ist eine Grundlage der politischen Kommunikationsstra-
tegien. Schulz hat basierend auf der Forschung von Galtung und Ruge solche Faktoren
LGHQWL¿]LHUW =XVDPPHQJHIDVVW QDFK 0H\HU HUK|KHQ IROJHQGH .ULWHULHQ GLH :DKUVFKHLQ-
lichkeit auf Berichterstattung: einmal die kurze Dauer des Geschehens, das am besten
abgeschlossen, also kein offener Prozess ist, dann die räumliche, kulturelle und politische
1lKH GHV (UHLJQLVVHV ]XP 5H]LSLHQWHQ GHU hEHUUDVFKXQJVZHUW XQG GLH .RQÀLNWKDIWLJ-
keit des Themas, großer eingetretener Schaden oder Erfolge. Außerdem wendet sich
die mediale Aufmerksamkeit besonders solchen Ereignissen zu, die von ­ im besten Fall
prominenten ­ Einzelpersonen vertreten werden
13
. Das bedeutet: ,,Es liegt dann auf der
Hand, dass das sicherste Rezept für die Erlangung medialer Zuwendung in einem Er-
eignis bestünde, bei dem eine eng begrenzte Zahl prominenter Einzelpersonen, die der
NXOWXUHOOHQ SROLWLVFKHQ RGHU UlXPOLFKHQ 1lKH GHU %HWUDFKWHU HQWVWDPPHQ LQ EHUUDVFKHQ-
GHQ .RQÀLNWKDQGOXQJHQ /HLVWXQJHQ RGHU (UIROJH SUlVHQWLHUHQ N|QQHQ RGHU EHWUlFKWOLFKHQ
6FKDGHQ HUOHLGHQ³
14
Im Fall der Schlichtungsgespräche zu Stuttgart 21 treffen diese
Faktoren relativ genau zu: Die Beteiligten waren vor allem bekannte Lokalpolitiker, neben
Vertretern der Deutschen Bahn und verschiedenen Interessensgruppen. Auch Heiner
Geißler ­ in der Rolle des Schlichters ­ dürfte besonders als prominente Einzelperson
JHOWHQ ]X GHP YLHOH =XVFKDXHU HLQH NXOWXUHOOH RGHU SROLWLVFKH 1lKH KHUVWHOOHQ NRQQWHQ
da er als Attac-Mitglied und ehemaliger CDU-Politiker auch konträre Ansichten und Ein-
VWHOOXQJHQ LQ VHLQHU XQG GXUFK VHLQH 3HUVRQ YHUHLQLJHQ NRQQWH 'LH 1lKH GHV (UHLJQLVVHV
zum Rezipienten war in Stuttgart und Süddeutschland gegeben, ebenso wie die beson-
GHUH .RQÀLNWKDIWLJNHLW GHV 7KHPDV GLH VLFK LQ GHQ :RFKHQ YRU GHP (UHLJQLV LPPHU PHKU
YHUJU|HUW KDWWH (LQ]LJ GLH $QIRUGHUXQJHQ ÄDEJHVFKORVVHQHU 3UR]HVV³ XQG ÄNXU]H 'DXHU
GHV (UHLJQLVVHV³ ZXUGHQ LP )DOO GHU 6FKOLFKWXQJ QLFKW HUIOOW GD VLFK GLH *HVSUlFKH EHU
mehrere Wochen als offener Prozess hinzogen. Meyer schreibt zu diesem Aspekt: ,,Der
kompromisslose Präsentismus der medialen Produktionszeit und die lange politische
Prozesszeit vertragen einander nicht gut. Der lange, im Ergebnis stets ungewisse Pro-
]HVV GHU .HUQ GHV 3ROLWLVFKHQ ¿QGHW YRU GHU /RJLN GHU 0HGLHQ NHLQH *QDGH HU ZLUG DXI
12
Vgl.
ebd. S. 50-53
13
Vgl. Meyer: Mediokratie. S. 47-48
14
ebd. S. 48

kurze Augenblicke der Spannung, der allerneuesten Aktualität geschrumpft oder gänzlich
LJQRULHUW >@³
15
Warum das vergleichsweise ungewohnt langwierige Vorgehen trotzdem so
großes Interesse bei den Fernsehzuschauern wecken konnte, soll ab Kapitel 5 genauer
untersucht werden.
2.1.1 Politikdarstellung im Fernsehen
Das Massenmedium Fernsehen bedarf nun genauerer Betrachtung, da es durch seine
Darstellungsmodi dem ursprünglichen rhetorischen Rede-Setting von allen Medien am
nächsten kommt. Dem Politiker bieten sich durch die Bildhaftigkeit zahlreiche Möglichkeiten
der Selbstinszenierung. Zusammen mit der suggerierten Authentizität und Aktualität des
Mediums und der großen Publikumsreichweite wird das Fernsehen zum favorisierten
Kanal zur Politikvermittlung und -darstellung
16
. Die Ansprache einer großen Öffentlichkeit,
GLH 0|JOLFKNHLW ]XU 1XW]XQJ GHU actio und aller anderen Persuasionsmittel, die sich aus
der quasi-leibhaftigen Präsenz ergeben, machen dieses Medium so attraktiv für Polit-
$NWHXUH 'HU JU|WH .ULWLNSXQNW LVW GDEHL GLH HQWVWHKHQGH 2EHUÀlFKOLFKNHLW GHU 'DUVWHO-
lung, die Verdrängung des Logos durch Pathos.
Ä5HGQHU VLQG QLFKW JHIUDJW >@ 'DV DPVDQWH ÀLQNH :HFKVHOVSLHO GHU 3DUDGH GHU 7\SHQ GHU
Austausch schlagfertiger Bonmots, Statements, Gesten, ist an die Stelle der gelassenen Erör-
terung getreten. [...] Der Eindruck zählt, nicht das Argument. Die Wahrnehmung herrscht, nicht
der Diskurs. Geschichte und Kontext langweilen, lenken ab, verscherzen Aufmerksamkeit. Es
JLOW VHNXQGHQVFKQHOO VWDUNH (LQGUFNH ]X HUZHFNHQ³
17
stellt Meyer die Situation dar. Dies ist sicher überspitzt formuliert ­ wenn er davon spricht,
GDVV ÄGHU .DQRQ GHU RSWLVFKHQ /RJLN >@ GLH *UDPPDWLN GHV |IIHQWOLFKHQ 'LVNXUVHV³
18
bestimmt, trifft das aber natürlich zu. Dies ist allerdings nicht per se als negativ zu
verstehen, das Fernsehen ist durch seine technischen und medialen Determinanten
schlicht auf eine verkürzte, symbolisierende Darstellung von Inhalten begrenzt ­ und
zwingt damit auch den Dargestellten diese Art der Inszenierung auf. Ohne zu personali-
VLHUHQ N|QQWH LP )HUQVHKHQ NHLQH Ä5HJLHUXQJ³ RGHU Ä3DUWHL³ GDUJHVWHOOW ZHUGHQ RKQH ]X
symbolisieren könnten abstrakte Themen wie Gesetze und Reformen nicht zuschauerge-
recht vermittelt werden
19
. Jens Tenscher fasst zusammen: ,,Während die Inszenierung
von Politik für das Publikum zur politischen Realität wird, bleibt das politische Handeln
15
ebd. S. 69
16
Vgl
. 7HQVFKHU -HQV 3ROLWLN IU GDV )HUQVHKHQ ± 3ROLWLN LP )HUQVHKHQ ,Q 6DUFLQHOOL 8OULFK +UVJ 3ROLWLN-
vermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998. S. 187
17
Meyer, Thomas: Inszenierung des Scheins. Voraussetzungen und Folgen symbolischer Politik. Suhrkamp
Verlag, Frankfurt a.M. 1992. S. 109-110
18
ebd. S. 112
19
Vgl. Marcinkowski, Frank: Politikvermittlung durch Hörfunk und Fernsehen. In: Sarcinelli, Ulrich (Hrsg.):
Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Westdeutscher Verlag, Opladen 1998. S. 183
Kapitel 2.1.1: Politikdarstellung im Fernsehen
5

Kapitel 2.1.1: Politikdarstellung im Fernsehen
6
ªKLQWHU GHU 0HGLHQEKQH© DEHU ZHLWHVWJHKHQG LP 'XQNHOQ³
20
Hier wird auch deutlich,
dass die vermeintliche öffentliche Information und Teilhabe einen Pseudocharakter
besitzt, da die tatsächlichen politischen Prozesse nicht im Fernsehen gezeigt werden.
Frank Marcinkowski schreibt in diesem Zusammenhang: ,,[...] es [das Fernsehen] kann
nicht anders, als Prozesse auf Ergebnisse zu verkürzen, denn wer wollte mehrwöchige
Verhandlungen in »Echtzeit« miterleben? Es kann sich nur auf »Pseudoereignisse« (wie
Pressekonferenzen und ähnliches) konzentrieren, denn bei den »eigentlichen« Ereignis-
VHQ LVW HV QLFKW GDEHL³
21
Diese Aussage ist im Kontext der Schlichtung interessant, da
LQ GHP )DOO JHQDX GDV VWDWWIDQG (LQ SROLWLVFKHU 3UR]HVV ZXUGH LQ Ä(FKW]HLW³ GXUFK GDV
Fernsehen übertragen und die Zuschauer waren mit großem Interesse Zeugen eines
(UHLJQLVVHV GDV ]XPLQGHVW DOV ÄHLJHQWOLFKHV (UHLJQLV³ LQV]HQLHUW ZXUGH 'LH )UDJH RE GDV
)HUQVHKHQ XQG GLH 3ROLWLN GHQ 5H]LSLHQWHQ QXQ ÄXQWHUVFKlW]HQ³ RGHU RE XQG ZDUXP HV
sich im Fall der Schlichtung nur um einen Ausnahmefall handelt, soll im weiteren Verlauf
geklärt werden. Die Publikumsrolle ist grundsätzlich eine passive, da das Medium Fernse-
hen meist jegliche Interaktion ausschließt. Hans-Georg Räder spricht von einer ,,nichtteil-
QHKPHQGHQ 7HLOQDKPH³
22
: Er versteht diese Passivität als instrumentell, da das Publikum
zwar nicht interagieren kann, aber eine symbolische Teilnahme in Form von Politikverfol-
gung via Fernsehen ausübt
23
. Meyer dagegen sieht diese Teilnahme nur als eine schein-
bare, die dem Rezipienten sein tatsächliches Ausgeschlossen-Sein nicht bewusst werden
lässt
24
. Das Fernsehen schafft es tatsächlich wie kein anderes Medium, dem Zuschauer
das Gefühl der Partizipation zu vermitteln. Dabei hat es, was die tatsächliche Politikver-
mittlung angeht, kein sonderlich gutes Image. Dies liegt vor allem an der hier dargestellten
2EHUÀlFKOLFKNHLW GLH GLH UHDOH .RPSOH[LWlW YRQ SROLWLVFKHQ 3UR]HVVHQ QLFKW DXVUHLFKHQG
darzustellen vermag und so dem Zuschauer ein stark vereinfachtes Bild von Politik vermit-
telt, wie auch die Forschungen zur Politikrezeption von Elisabeth Noelle-Neumann und
Christina Holtz-Bacha belegen
25
.
2.2 Rhetorik und Politik
Die politische Rede, das genus deliberativum, zählt zu den traditionellen Anwendungsge-
bieten der Rhetorik, neben der Festrede (genus demonstrativum) und der Gerichtsrede
(genus iudiciale). Die Entstehung der Rhetorik und die der Politik stehen in einer engen
20
Tenscher: Politik für das Fernsehen ­ Politik im Fernsehen. S. 186
21
Marcinkowski: Politikvermittlung durch Hörfunk und Fernsehen. S. 183
22
Sarcinelli: Symbolische Politik. S. 223
23
Vgl. ebd
.
24
Vgl.
Meyer: Die Inszenierung des Scheins. S. 187
25
Kaase, Max: Demokratisches System und Demokratie in der Mediengesellschaft. In: Sarcinelli, Ulrich
(Hrsg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft. Westdeutscher Verlag, Opladen 1998. S. 41

9HUELQGXQJ $OV LP -DKUKXQGHUW Y KU GLH HUVWH (QWZLFNOXQJ ]XU 'HPRNUDWLH LQ GHQ
griechischen Stadtstaaten stattfand, entwickelte sich das Lehrgebäude der Rhetorik
26
.
Ihre Wichtigkeit wuchs parallel zu der der politische Rede. Die Reden wurden vor der
Öffentlichkeit der agora bzw. des forum gehalten, mit dem Ziel, die Zuhörer für die nach-
folgenden Abstimmungen von einem bestimmten Standpunkt zu überzeugen
27
1DFK
anfänglichem Widerstand gewinnt die Rhetorik später auch in Rom an Bedeutung, ebenso
vor allem bedingt durch die zunehmenden öffentlichen Debatten. Vom Hochmittelalter an
bis zur Aufklärung verliert die Rhetorik ihren Stellenwert für die politische Beredsamkeit
und fungiert größtenteils nur als Stillehre, bis sie schließlich durch die europäische Ent-
wicklung zum Parlamentarismus wieder aufblüht
28
. Es ist deutlich, wie die Entwicklung
der Rhetorik und damit der politischen Beredsamkeit zusammenhängt mit den jeweiligen
politischen Bedingungen - und das vor allem die Rhetorik der Debatte eng mit demokra-
tischen Strukturen verbunden ist, bzw. dass die beiden von einander abhängen. ,,Wenn
VLFK XQVHUH 'HPRNUDWLH HLQH ÄSDUODPHQWDULVFKH³ QHQQW GDQQ LVW VLH «@ HLQH *HVSUlFKV
'HPRNUDWLH³
29
, stellt auch Hellmut Geissner diesen Zusammenhang deutlich heraus.
Denn bei allen strittigen Positionen braucht es rhetorische Kommunikation, um im Diskurs
]X JHPHLQVDPHQ +DQGOXQJVP|JOLFKNHLWHQ ]X JHODQJHQ (U GH¿QLHUW 3ROLWLN DOV ÄLQWHUHV-
VHQJHOHLWHWHV +DQGHOQ³
30
, dass mit sprachlichen Mitteln vollzogen wird - damit lässt sich
der eindeutige Bezug zur Rhetorik herstellen, die sich ja als zielgerichtete, strategische
Kommunikation versteht. Politische wie rhetorische Themen sind offen und strittig und es
JLOW LP 'LVNXUV GXUFK GLH JHHLJQHWHQ hEHU]HXJXQJVPLWWHO VHLQHQ 6WDQGSXQNW GXUFK]XVHW]HQ
31
.
Ein Kritikpunkt an der heutigen politischen Beredsamkeit, den auch Gert Ueding
und Bernd Steinbrink vertreten, ist allerdings der der Vernachlässigung des genus
deliberativum 'LH SROLWLVFKH 5HGH GLHQH GHPQDFK NDXP QRFK ]XU (QWVFKHLGXQJV¿QGXQJ
sondern vielmehr zur reinen Entscheidungslegitimation
32
­ eine Entsprechung zu Meyers
Unterscheidung zwischen leeren und thematischen Inszenierungen aus rhetorischer
Perspektive.
26
Vgl. Grieswelle, Detlef: Politische Rhetorik. Macht der Rede, öffentliche Legitimation, Stiftung von Konsens.
Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden 2000. S. 76
27
Vgl. Bergsdorf, Wolfgang: Rhetorik und Stilistik in der Politologie. In: Fix, Ulla/Gardt, Andreas/
.QDSH -RDFKLP +UVJ 5KHWRULN XQG 6WLOLVWLN %DQG :DOWHU GH *UX\WHU *PE+ %HUOLQ 6
28
Vgl. Grieswelle: Politische Rhetorik. S. 77-79
29
Geissner, Hellmut K.: Demokratie und rhetorische Kommunikation. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert
2005. S. 48
30
ebd. S. 26
31
Vgl. Grieswelle: Politische Rhetorik. S. 19
32
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Stuttgart/Weimar 2005. S. 180
7
Kapitel 2.2: Rhetorik und Politik

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842833005
Dateigröße
343 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen – Philosophische Fakultät, Studiengang Allgemeine Rhetorik
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
fernsehrhetorik medialrhetorik politische rhetorik stuttgart
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Titel: Agora auf Knopfdruck - Die Herstellung einer televisuellen Öffentlichkeit und ihr Einfluss auf den politischen Diskurs
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