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Die Integration der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen in Westdeutschland nach dem II. Weltkrieg

©2011 Magisterarbeit 123 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Deutsche Reich hatte unter nationalsozialistischer Herrschaft ab 1939 einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg auch gegen die benachbarten Staaten im Osten geführt. Bis 1943 besetzte die deutsche Wehrmacht Polen und weite Teile der Sowjetunion, als die Rote Armee zum Gegenschlag ausholte und bis zum Herbst 1944 an die Reichsgrenze vor Ostpreußen stieß. Diese Bedrohung führte bei der deutschen Bevölkerung zu teilweise panischen und planlosen Fluchtbewegungen Richtung Westen, denn die Reichsführung hatte befohlen auszuharren und den Zeitpunkt für eine geordnete Evakuierung verpasst.
Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 kam es in den unter polnischer und sowjetischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten, im Sudetenland und anderen Gebieten in Ost- und Südosteuropa in denen Deutsche siedelten zu ‚wilden’ Vertreibungen von Deutschen, die dann, nach den alliierten Beschlüssen der Konferenz von Potsdam, in ‚geordnete’ Vertreibungen mündeten. Insgesamt sind 14 Millionen Menschen vertrieben worden oder geflüchtet, circa zwei Millionen von ihnen überlebten diesen Vorgang nicht.
Das nicht völlig frei gewählte Ziel der Heimatvertriebenen war das von den Alliierten besetzte Rest-Deutschland. Insgesamt kamen gut zwölf Millionen Heimatvertriebene in dieses Gebiet. In den drei westalliierten Zonen lebten 1950 bereits 7,9 Millionen Heimatvertriebene. Diese Zahl erhöhte sich bis Ende 1960 durch Zuzug von weiteren Heimatvertriebenen, auch aus der DDR, die diese als perspektivlose ‚Zwischenheimat’ wieder verließen, auf 9,7 Millionen Menschen zu denen noch die gleich motivierten mitteldeutschen Zuwanderer aus der DDR kamen.
In den ersten Jahren nach Kriegsende galt in vielen Städten eine Zuzugssperre, denn sie waren durch starke alliierte Bombardierung während des Krieges nicht in der Lage, geeigneten Wohnraum bereit zu stellen, so dass der Großteil der Heimatvertriebenen in ländlichen Gebieten eine erste Unterkunft finden musste. So wurden gerade die strukturschwachen, vom Bombenkrieg verschont gebliebenen Regionen verpflichtet Heimatvertriebene aufzunehmen. Knapp zwei Drittel aller Heimatvertriebenen fand eine erste Unterkunft im Westen in den Gebieten der heutigen Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, und dort überwiegend in den ländlichen Gebieten. Zuwanderung war also zumeist ein Phänomen auf dem Land das die ländliche Bevölkerung mit den Ostdeutschen in Kontakt brachte. Dort sind […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhalt

A. Vorwort
1. Geschichtliche Einführung
2. Fallbeschreibung
3. Bearbeitung in der Disziplin Soziologie
4. Erklärungsreichweite der Theorie von Elias und Scotson
5. Thesen
6. Grenzen der Theorie von Elias und Scotson
7. Untersuchungszeitraum und –gebiet
8. Persönlicher Zugang und eigene Vorüberlegungen zum Thema

B. Hauptteil
1. Theoriebildung
1.1. Etablierte und Außenseiter
1.1.1. Das Fallbeispiel „Winston Parva“
1.1.2. Die Etablierten-Außenseiter-Figuration
1.1.2.1. Interdependenz der Stati
1.1.2.2. Kohäsion
1.1.2.3. Die Funktion der Selbstkontrolle
1.1.2.4. Mittel des Ausschlusses und die Stigmatisierung
1.1.2.5. Gruppencharisma und Gruppenschande
1.1.2.6. Schimpfklatsch und Lobklatsch
1.2. Der Fremde als Typus
2. Praxisfeld
2.1. Die Nachkriegszeit – eine Zeit der Wunder?
2.1.1. Sozialstruktur, Einstellungen und ‚Zeitgeist’ der Nachkriegszeit in Westdeutschland
2.1.2. Kritik an den Deutschen
2.1.3. Die Frage nach persönlicher Schuld
2.1.4. Haltung zur Entnazifizierung
2.1.5. Einstellungen
2.1.6. Nachkriegsdeutschland
2.2. Die deutschen Heimatvertriebenen in Westdeutschland
2.2.1. Geschichtliche Einleitung zur Flucht und Vertreibung nach Westdeutschland Intermezzo: Wer ist ein Heimatvertriebener?
2.2.2. Die Flucht und die Vertreibung 54 Intermezzo: Was ist Heimat? .. 56 Und was ist Heimweh?
2.2.3. Die Ankunft im Westen 59 Intermezzo: Wie bildet sich die Gruppen-Identität von Wir-Gruppen bzw. Ethnien?
2.2.4. Die Unterbringung auf dem Land
2.2.4.1. Das Lager
2.2.4.2. Die private Unterkunft ... 66 Intermezzo: Was ist eine ethnische Unterschichtung?
2.2.5. Die Unterbringung in der Stadt
2.2.6. Erkennungszeichen und Schimpfwörter für die Heimatvertriebenen
2.2.7. Die Haltung gegenüber den Heimatvertriebenen
2.2.8. Die Veränderung im Machtverhältnis zwischen Heimatvertriebenen und Einheimischen
2.2.9. Das Sechs-Phasen-Modell der kulturellen Integration (nach Tolksdorf)
2.2.10. Die Funktion der Integration in die eigene Teilgruppe für das Herausbilden einer übergeordneten Identität der Gesamtgruppe im Prozess der Kulturintegration (nach Parsons)
2.2.11. Die kulturale Dimension von Identität (nach Bausinger) ... 91 Intermezzo: Was ist Integration?
2.2.12. Kulturelle Sicherungssysteme
2.2.12.1. Speisen und Getränke
2.2.12.2. Die Funktion der Heimatstube
2.2.13. Staatliche Maßnahmen
2.2.14. Kulturelle Integration in Abhängigkeit vom Alter der Heimatvertriebenen
3. Fazit

C. Anhang

Literaturverzeichnis

A. Vorwort

1. Geschichtliche Einführung

Das Deutsche Reich hatte unter nationalsozialistischer Herrschaft ab 1939 einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg auch gegen die benachbarten Staaten im Osten geführt. Bis 1943 besetzte die deutsche Wehrmacht Polen und weite Teile der Sowjetunion, als die Rote Armee zum Gegenschlag ausholte und bis zum Herbst 1944 an die Reichsgrenze vor Ostpreußen stieß. Diese Bedrohung führte bei der deutschen Bevölkerung zu teilweise panischen und planlosen Fluchtbewegungen Richtung Westen, denn die Reichsführung hatte befohlen auszuharren und den Zeitpunkt für eine geordnete Evakuierung verpasst.

Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 kam es in den unter polnischer und sowjetischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten, im Sudetenland und anderen Gebieten in Ost- und Südosteuropa in denen Deutsche siedelten zu ‚wilden’ Vertreibungen von Deutschen, die dann, nach den alliierten Beschlüssen der Konferenz von Potsdam, in ‚geordnete’ Vertreibungen mündeten. Insgesamt sind 14 Millionen Menschen vertrieben worden oder geflüchtet, circa zwei Millionen von ihnen überlebten diesen Vorgang nicht.[1]

Das nicht völlig frei gewählte Ziel der Heimatvertriebenen[2] war das von den Alliierten besetzte Rest-Deutschland. Insgesamt kamen gut zwölf Millionen Heimatvertriebene in dieses Gebiet. In den drei westalliierten Zonen lebten 1950 bereits 7,9 Millionen Heimatvertriebene.[3] Diese Zahl erhöhte sich bis Ende 1960 durch Zuzug von weiteren Heimatvertriebenen, auch aus der DDR, die diese als perspektivlose ‚Zwischenheimat’ wieder verließen, auf 9,7 Millionen Menschen[4] zu denen noch die gleich motivierten mitteldeutschen Zuwanderer aus der DDR kamen.

In den ersten Jahren nach Kriegsende galt in vielen Städten eine Zuzugssperre, denn sie waren durch starke alliierte Bombardierung während des Krieges nicht in der Lage, geeigneten Wohnraum bereit zu stellen, so dass der Großteil der Heimatvertriebenen in ländlichen Gebieten eine erste Unterkunft finden musste. So wurden gerade die strukturschwachen, vom Bombenkrieg verschont gebliebenen Regionen verpflichtet Heimatvertriebene aufzunehmen. Knapp zwei Drittel aller Heimatvertriebenen fand eine erste Unterkunft im Westen in den Gebieten der heutigen Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, und dort überwiegend in den ländlichen Gebieten. Zuwanderung war also zumeist ein Phänomen auf dem Land das die ländliche Bevölkerung mit den Ostdeutschen in Kontakt brachte. Dort sind dann auch Machtkonstellationen zwischen den Einheimischen und den Heimatvertriebenen entstanden, die als typisch zu bezeichnen sind, so dass meine Beispiele auch zum großen Teil aus ländlichen Fällen stammen.

Hofften viele der Ostdeutschen[5] die vor der Roten Armee geflohen waren noch auf eine baldige Rückkehr, hatte der Großteil der im Verlauf der Jahre 1945 bis 1947 Vertriebenen diese Hoffnung nur noch bedingt. Mit dem weiteren Schwinden der Hoffnung auf Rückkehr in den folgenden Jahrzehnten und der Realisierung eines dauerhaften Aufenthaltes in westdeutscher Umgebung, ergab sich die Notwendigkeit einer Integration in die westdeutsche Gesellschaft. Dieser Prozess ist das Thema dieser Arbeit.

2. Fallbeschreibung

Betrachtet man die Bevölkerungsgruppen der Bundesrepublik Deutschland, fällt auf, dass es eine generationenübergreifende Gruppe der Heimatvertriebenen heute scheinbar nicht mehr gibt. Zwar ist die Erlebnisgeneration zum Teil noch in ihren Verbänden[6] organisiert, doch gibt es eine gemeinsame Identität bei den im Westen geborenen beiden Nachfolgegenerationen scheinbar nicht mehr.

Und dies erstaunt in Anbetracht der Tatsache, dass die Integration der Heimatvertriebenen nach Kriegsende als die wohl schwierigste Aufgabe der jungen Bundesrepublik angesehen wurde. Tatsächlich war diese Integration begleitet von zahlreichen Konflikten und Verteilungskämpfen um Wohnraum, Nahrung, Arbeitsmöglichkeiten aber auch um Macht, in dem sich westdeutsche Einheimische und heimatvertriebene Ostdeutsche scheinbar unversöhnlich gegenüber standen. Auf der einen Seite wirkten Skepsis und Überfremdungsängste, die andere hatte mit einer starken Ablehnung und gesellschaftlichem Ausschluss zu kämpfen.

Diesen Konflikt scheint es heute nicht mehr zu geben. Es macht den Eindruck, dass zwar die erste Generation der Heimatvertriebenen sich nicht vollständig in die westdeutsche Gesellschaft hat integrieren können oder wollen, doch die zweite Generation mit der Identität der Erlebnisgeneration fast vollständig gebrochen hat. Sie weiß um ihre Herkunft, doch ist der Heimatvertriebene eine „Gestalt einer Zeitenwende“[7] geblieben, einer Zeitenwende, die nur kurz währte und heute Vergangenheit scheint. Diese zweite Generation hat sich der westdeutschen Gesellschaft sehr stark angenähert, hat eine ‚westdeutsche Identität’ angenommen in Abgrenzung zu ihren Eltern und Großeltern. Jüngere, im Westen geborene Menschen, die sich noch als ‚Ostpreußen’ oder ‚Banater Schwaben’ verstehen oder als solche wahrgenommen werden sind im Gegensatz zu den Nachfahren der ‚gastarbeitenden’ Türken und Italiener, die kaum zehn Jahre später einreisten und eine deutlich kleinere Gruppe darstellten, nur sehr selten anzutreffen, bezeichnen sie sich selbst doch nicht als solche, sprich, die Identität als solcher ist innerhalb dreier Generationen verlorengegangen.[8] Die dritte, die Enkelkindgeneration, weiß vielleicht noch um die Ereignisse von Flucht und Vertreibung, doch ist sie in der Bundesrepublik scheinbar völlig integriert. Durch die andere Herkunft ihrer Familie erleiden die Enkel keinerlei Benachteiligungen in Form von schlechteren Lebensbedingungen, Ausbildungschancen, Wohnbedingungen oder Berufschancen, sie sind gemessen an diesen äußeren Faktoren nicht mehr als Heimatvertriebene zu identifizieren.[9]

Doch nur weil es keine äußeren Merkmale einer Gruppe gibt, die vor fünfzig Jahren immerhin knapp 17 v.H. der Bevölkerung ausmachte, eine sehr große öffentliche Wirkung hatte und deren Anteil heute durch eine ‚Vermischung’ mit der einheimischen Bevölkerung bei gut 40 v.H. liegen dürfte[10], heißt dies nicht, dass ‚Integration’ vollständig gelungen sein muss. Dem zwischen den Generationen sehr unterschiedlich verlaufenen Integrationsprozess ist ein eigenes Kapitel gewidmet. (siehe Kapitel 2.2.14.)

So ist die Darstellung dieses Integrationsprozesses keineswegs trivial, auch wenn das Ergebnis aus heutiger Sicht als ‚Normalfall’ erscheint. Integrationsprozesse müssen nicht linear auf ein Ziel hin verlaufen, zu einem völligen Aufgehen der einen Bevölkerungsgruppe in die andere führen, es kann auch zu einer dauerhaften Gegenüberstellung der Gruppen kommen. Die Abwesenheit von von außen wahrnehmbaren Unterschieden ist kein Beleg für eine gelungene Integration. Zu fragen ist nach dem Erfolg dieses Prozesses der Annäherung der Gruppe der Heimatvertriebenen und der Gruppe der in Westdeutschland ortsansässigen Bevölkerung.

3. Bearbeitung in der Disziplin Soziologie

Die Soziologie hat das Thema ‚Integration der Heimatvertriebenen’ nur sehr wenig bearbeitet. Anders als die Disziplin Geschichte, die eine große Zahl an Arbeiten zum Thema hervorgebracht hat. Beiden ist gemein, dass zwei klar voneinander getrennte Phasen auszumachen sind. So endet die erste Phase mit den Fünfzigerjahren[11], in der statistisches Material, aber auch schon die Gesellschaften der Herkunftsgebiete und die Integration in Westdeutschland untersucht wurden. Bis dahin knüpfte man noch an die Vorstellung einer ‚deutschen Volksgemeinschaft’ an, die nach Wesensmerkmalen von Bevölkerungsgruppen sucht. Untersuchungsobjekt war weniger das handelnde Individuum sondern vielmehr das Kollektiv, die ‚Volkstumsgruppe’ – in dieser Betrachtungsweise sind wissenschaftliche Traditionslinien aus der nationalsozialistischen Zeit zu erkennen.[12] Diese Arbeiten waren häufig von Heimatvertriebenen für Heimatvertriebene verfasst.[13]

Ein Grund für die darauf folgende Stagnation der Forschung wird in der scheinbaren Abgeschlossenheit des Themas sowie in noch bestehenden Sperrfristen von Archiven gesehen. Herbert Schwedt[14] stellt 1974 deshalb die Frage, ob eine Forschung zur Integration überflüssig geworden ist, deuten doch wirtschaftliche Integration sowie die befürchtete aber ‚ausgebliebene Radikalisierung’ auf nicht mehr existente Probleme hin. Er sieht in der Ignoranz dieses Themas aber eher einen gesellschaftlichen ‚Konsens des Schweigens’ statt einer vollzogenen Integration. Ein weiterer Grund war der Widerstand der Heimatvertriebenen gegen die neue sozialdemokratisch-liberale Ost-Politik, erhielt dass Thema dadurch doch das Stigma des Revisionismus.

Die zweite Phase der Auseinandersetzung beginnt Mitte der Achtzigerjahre mit neuen Forschungsfragen[15] und dem Zugang zu erstmalig einsehbaren Unterlagen aus Archiven, in deren Verlauf eine Vielzahl an regionalen Arbeiten entstand, nach 1989 auch für die Gebiete der ehemaligen DDR. Fragen zur Integration wurden bis dahin hauptsächlich unter ökonomischen und sozialen Aspekten gestellt, die Wahrnehmung richtete sich erst allmählich auf die kulturelle Dimension der Integration sowie auf den historisch säkularen Verlust den

dieser Vorgang bedeutete.[16] Doch insgesamt ist die Forschungslage soziologisch als „weißer Fleck“[17] anzusehen.

Zudem erhält die innerdeutsche Diskussion über Flucht und Vertreibung, aber auch die über die Integration der Heimatvertriebenen, durch die internationale Diskussion in den Vertreiberstaaten Impulse - stand und steht doch eine Revision der sozialistischen Einheitsmeinung zur ‚Umsiedlung’ an.

Dass dem zwanzig Jahre nach Auflösung des ‚Ostblocks’ noch so ist, lässt sich vielleicht auch an dem großen gesellschaftlichen Aufsehen ablesen, das Diskussionen über das protegierte ‚Zentrum gegen Vertreibungen’ in Polen bzw. die Ausstrahlung der Dokumentation ‚Töten auf Tschechisch’[18] im tschechischen Fernsehen in der tschechischen Öffentlichkeit auslösen.

Die Theorie von Norbert Elias und John L. Scotson, die grundlegende Theorie dieser Arbeit, wird hingegen auch gut vierzig Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung im deutschen Sprachraum nach anfänglicher Skepsis sehr häufig angewandt[19] aber auch als Erklärungsansatz für Gruppenkonflikte verwandt[20]. Überdies hat diese Theorie auch deutliche Auswirkungen auf verschiedene Theorien genommen, so z. B. auf Tolksdorfs Theoriebildung, die im Verlauf der Arbeit noch genannt wird.

4. Erklärungsreichweite der Theorie von Elias und Scotson

Es gibt Theorien über die Integration irischer Frauen in Amerika, über die der Juden in Israel und sogar über temporäre Arbeitsmigration in urbane Industriegesellschaften findet sich Literatur[21] - nach einer Theorie über die größte Wanderungsbewegung nach dem II. Weltkrieg in Europa, die der Deutschen aus Ost- und Südosteuropa, sucht man aber vergeblich, was schon allein wegen der Quantität des Phänomens erstaunt.

Es ist also notwendig, eine Theorie zu ‚entleihen’. Viele der modernen Integrationstheorien sind aber mit Blick auf das Einwanderungsland schlechthin, die USA, verfasst worden. Für die Einwanderung in die USA ist es typisch, dass es sich um eine multiethnische Einwanderung handelt, im Einzelfall trifft aber zumindest eine ‚einreisende Ethnie’ auf die ‚amerikanische Ethnie’ und deshalb stellen viele dieser Theorien den Begriff der ‚Ethnie’ in den Mittelpunkt der Überlegungen und sehen in ethnischen Merkmalen den Hauptgrund von gesellschaftlichen Unterschieden. Zudem betrachten sie den Anpassungsvorgang der Neuhinzugekommenen an bestehende Machtverhältnisse, den Grund der Unterschiede, nämlich die Machtunterschiede selbst, thematisieren sie nur am Rande.

Diese Betrachtungsweise wäre bei der Zuwanderung nach Westdeutschland nach dem II. Weltkrieg aber verfehlt, handelt es sich doch hier, zumindest per Definition, um eine Zuwanderung von Deutschen in ein Land welches von Deutschen bewohnt wird.[22] So bedeuteten Flucht und Vertreibung für die Deutschen aus Ost- und Südosteuropa „eine echte Einwanderung innerhalb des gleichen Nationalverbandes“[23].

Den Blick auf ‚ethnische Unterschiede’ zu richten griffe an der Problemlage vorbei, auch wenn die Herkunft der Ostdeutschen den Westdeutschen häufig Anlass gab diese zu diskriminieren indem sie sie herabsetzend als andersartige Ethnie bezeichneten (z.B. als ‚Polacken’ oder ‚Zigeuner’).

Ebenfalls für ungeeignet halte ich Theorien, die die wirtschaftlichen Prozesse als ‚Integrationsmotor’ in den Vordergrund rücken. Ein wirtschaftliches Einfügen und Partizipation an einem wirtschaftlichen Aufschwung ist sicherlich eine Grundlage aber keinesfalls gleichzusetzen mit einer sozialen und kulturellen Integration, die hier bevorzugt betrachtet werden soll. Über diesen drei immer wieder genannten Dimensionen der Integration – der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen – steht noch ein vierter, der der mentalen Integration, der sich meines Erachtens einstellt, wenn ein gewisses Maß an Integration in den drei genannten Bereichen erreicht ist und die Gruppenmitglieder das Gefühl haben, zur Gesamtgesellschaft dazu zu gehören, zumindest nicht auf Grund ihrer Herkunft ausgeschlossen zu sein. Erst dann kann es zu einer wirklichen Annäherung im Sinne von einem Abbau von Fremdheit im Simmelschen Sinne kommen, was dann auch Auswirkungen auf die eigene Identität haben kann. Hinweise dazu gibt Talkott Parsons in seiner Theorie zur ‚Gesellschaftsgemeinschaft’ (2.2.10) sowie das Kapitel zu Identität (2.2.11.).

Für das Fallbeispiel der Heimatvertriebenen möchte ich eine Theorie verwenden, die eben nicht ‚ethnische’ Differenzen problematisiert und auch nicht ökonomische Faktoren für den Menschengruppen betreffenden Prozess der Integration verantwortlich macht. Meines Erachtens ist die Theorie zur ‚Etablierten-Außenseiter-Figuration’ von Norbert Elias und John L. Scotson dafür sehr geeignet. Elias und Scotson sehen in der erstmals 1965 veröffentlichten Untersuchung einer Vorortgemeinde der englischen Industriestadt Leicester in der es eine alteingesessene soziale Gruppe und eine relativ neu am Ort lebende Gruppe gibt, in ethnischen Merkmalen eben keinen soziologischen Grund für Machtunterschiede[24] sondern lediglich ein mögliches Erkennungszeichen woran die machtstärkere Gruppe die machtschwächere Gruppe identifiziert. Auch erteilen sie der Ansicht eine Absage, dass wirtschaftliche Faktoren eine große Wirkung im Verhältnis der beiden Gruppen haben. Sie thematisieren viel mehr soziale Konflikte als Folge von Verhaltensunterschieden aus denen soziale Ungleichheit resultiert. Ökonomische Machtmittel und ethnische Unterschiede spielen in ihrer Theorie nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr können Verhaltensnormen Machtdifferentiale zwischen sozialen Gruppen begründen, denn „soziale Prozesse und Strukturen“ werden durch die „ungeplanten aber strukturierten Verflechtungsprozesse[n] lebendiger Menschen [...]“[25] erklärt und nicht mit abstrakten Variablen wie bei ökonomischen oder funktionalistischen Theorien.

Machtdifferentiale können zahlreiche Gründe haben. Elias und Scotson gehen in ihrem Fallbeispiel aber davon aus, dass die älteren Verflechtungen der Einheimischen gegenüber den Neuankömmlingen aus denen eine größere Kohäsion resultiert, die die Einheimischen mit einer größeren Machtrate ausstattet, ursächlich für die ungleiche Machtbalance ist. Die höhere Machtrate versetzt die eine Gruppe in die Lage, die andere Gruppe zu stigmatisieren und diese dann zu meiden und von gesellschaftlichen Prozessen und Machtpositionen auszuschließen. Die sozialen Gruppen sind interdependent geworden und geraten in eine Figuration zueinander. Eine Ausführung der Theorie folgt in Kapitel eins.

5. Thesen

Meine erste These ist, dass es nach dem Ende des II. Weltkrieges eine solche Figuration zwischen der westdeutschen Bevölkerung und den Heimatvertriebenen gegeben hat, meine zweite, dass es diese heute nicht mehr gibt, sie also nur bis zu einem unbekannten Zeitpunkt existent war. Nach Karl Popper[26] sollte der kritische Rationalist allerdings nicht die Bestätigung sondern die Falsifikation seiner These anstreben[27], was ich im Folgenden versuchen werde. Dazu werde ich das Fallbeispiel in seinen historischen Kontext einbetten, um so die besondere Situation der westdeutschen Gesellschaft nach nationalsozialistischer Herrschaft und verlorenem Angriffskrieg zu skizzieren. Diese sehr spezielle Zeit zwischen der bedingungslosen Kapitulation und dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus, dem materiellem Aufbau des Landes und dem geistigen Aufbau einer anderen Gesellschaftsform sowie dem wirtschaftlichen Aufschwung in der Nachkriegszeit und den Fünfzigerjahren in deren Verlauf sich eine Modernisierung der Gesellschaft vollzog, ist ein eigenes Kapitel (Kapitel 2.1.) gewidmet, bildet sie doch den Rahmen in dem der Prozess der Integration seinen Anfang nahm.

Konkreter auf das Thema Heimatvertriebene greift das zentrale Kapitel (2.2.), in dem die Konflikte und die Positionen der beiden Gruppen zueinander beschrieben werden. In diesem Kapitel wende ich auch die Theorie von Elias und Scotson auf mein Fallbeispiel an. Diese Positionen haben direkte Auswirkung auf die psychische Verfassung der Heimatvertriebenen und ihre Einstellungen. Aber auch Einstellungen der Westdeutschen werden betrachtet, ebenso wie die Frage, wer die Deutungshoheit in Punkten der öffentlichen Diskussion inne hatte.

6. Grenzen der Theorie von Elias und Scotson

Elias und Scotson legen dar, wie es in einer solchen Figuration zu Machtunterschieden zwischen zwei Gruppen kommen kann. Damit erklären sie aber nicht das ‚Erleben des Fremden’, weder auf Seiten des Fremden noch seitens der Einheimischen. Eine Fremdheitserfahrung haben die Ostdeutschen aber in ihrer neuen, westdeutschen Heimat gemacht. Mit einem „Exkurs über den Fremden“[28] möchte ich mit drei Klassikern der Soziologie in Kapitel 1.2. darauf eingehen.

Des Weiteren haben Elias und Scotson keine Langzeitstudie erstellt, sondern waren nur zu einem Zeitpunkt, nämlich 1959, in der von ihnen in der Studie ‚Winston Parva’ genannten Vorortgemeinde. Zu einer Machtverschiebung über einen längeren Zeitraum und wie diese Machtverschiebung verlaufen ist, dazu können sie keine Aussagen treffen - waren sie doch niemals wieder in Winston Parva[29] - sie räumen lediglich die Möglichkeit von Veränderungen in der Figuration ein und mutmaßen, dass diese nur sehr langsam verlaufen dürften. Da nach Elias und Scotson die Grundlage der Machtunterschiede die größere Kohäsion einer der beiden Gruppen ist, kann es bei einer Reduktion der Kohäsion der machtstärkeren Gruppe bzw. bei einer Vergrößerung der Kohäsion der machtschwächeren Gruppe zu einer Machtverschiebung kommen die bis zu einer Umkehrung der Machtverhältnisse führen können.

Ihre ‚Reihen zu schließen’, das hatte die machtschwächere Gruppe in Winston Parva nicht geschafft, stand sie doch dem gesellschaftlichen Ausschluss machtlos - und nicht als feste Gruppe - gegenüber. Ihr fehlte es an Kohäsion, sich gegen diesen Ausschluss aufzulehnen.

Die Heimatvertriebenen hingegen haben sich nach dem Ende des für sie geltenden alliierten Koalitionsverbotes (1948) sich in 20 Landsmannschaften zusammengeschlossen die wiederum im Bund der Vertriebenen (BdV) einen Dachverband haben. Auf der regionalen Ebene unter diesen Verbänden sind bundesweit flächendeckend zudem zahlreiche so genannte Heimatstuben und Heimatmuseen[30] entstanden. Meine Überlegung ist, dass die Organisation allgemein zu einer größeren Kohäsion und im Speziellen der Zusammenschluss in Heimatstuben stark dazu beigetragen hat, dass diese Figuration nicht mehr besteht, beruht Machtdifferenz nach Elias und Scotson stark auf der höheren Kohäsion einer der beiden Gruppen. Der BdV war für das Durchsetzen von Interessen wichtiger, die Heimatstuben haben aber für die emotionale und kulturelle Integration einen größeren Stellenwert. Wie weit die Heimatstuben eine wichtige Funktion als kohäsionserzeugende Elemente im Elias’schen Sinne hatten gilt es in Kapitel ab 2.2.12. zu untersuchen.

Ulrich Tolksdorf hat in seinem Sechs-Phasen-Modell der ‚sekundären Minderheitenbildung’ diesen Vorgang beschrieben. Er stellt den Prozess der Annäherung der beiden Gruppen detaillierter dar. Gerade die vierte Phase, der Rückgriff der Heimatvertriebenen auf einen restaurativen Heimat- und Kulturbegriff korrespondiert mit der Idee, dass der Heimatstube eine besondere Funktion zukommt. (siehe Kapitel 2.2.9.).

7. Untersuchungszeitraum und –gebiet

Der Untersuchungszeitraum beginnt mit dem Ende des ‚Dritten Reiches’ und erstreckt sich eigentlich bis heute, wobei der Schwerpunkt sicherlich auf den ersten Nachkriegsjahren und den Fünfzigerjahren liegt. Untersuchungsraum ist die ‚alte Bundesrepublik’ in den Grenzen von 1949. Bewusst außen vor gelassen sind die Gebiete der zwischenzeitlichen DDR sowie der Republik Österreich, stellt sich der Sacheverhalt dort doch anders dar. Aber auch zur Situation in der BRD werde ich nur typische Aussagen treffen können, wähle ich doch bewusst keine Herkunfts- oder Ankunftsregion als Untersuchungsobjekt aus. Zu zeigen ist die ‚typische’ Figuration zwischen den Westdeutschen und den Heimatvertriebenen, so werde ich auch die Verhältnisse auf dem Land eher betrachten als städtische Verhältnisse, da Flucht und Vertreibung in der Regel dort ihren (zwischenzeitlichen) Endpunkt fanden. Untypische Situationen werden nur dargestellt, um den typischen Charakter des Regelfalls darzustellen.

8. Persönlicher Zugang und eigene Vorüberlegungen zum Thema

Mein persönlicher Zugang zum Thema entstand durch ein Referat zu ‚Remigranten in Deutschland nach 1945’ am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Mich erstaunte die abweisende Haltung der deutschen Gesellschaft gegenüber einer der ersten Opfergruppen der nationalsozialistischen Herrschaft. Mich interessierte weniger das Verhalten im Nationalismus, als vielmehr der Umgang mit diesem Verhalten der Zeit des Nationalismus nach dem 8. Mai 1945: Viele Deutsche waren an einer Diskussion um Verantwortlichkeiten nicht interessiert, man verteilte Schuld an einzelne machtschwächere Teilgruppen. Neben den Remigranten waren aus Sicht nicht weniger Deutscher die Juden an ihrem Schicksal mitschuldig und auch den Heimatvertriebenen versuchte man Schuld für die eigene missliche Lage aufzubürden. Es entstand ein ‚Gegenüber’, die Heimatvertriebenen wurden an vielen Orten ihrer Ankunft ausgegrenzt. Die Differenzen wurden teilweise so stark, dass es meiner Ansicht nach erstaunlich ist, dass die Gruppe der Heimatvertriebenen nicht heute noch eine ausgegrenzte Gruppe ist. Warum dies nicht mehr so ist, ist die Leitfrage dieser Arbeit geworden.

Im Alltagsdenken scheint es eine Vorstellung darüber zu geben, dass ‚kulturelle’ bzw. ‚ethnische’ Unterschiede zwischen Gruppen unterschiedlich stark sein können und diese Unterschiede recht starr sind. Vielfach begegnete mir im Gespräch über diese Frage nämlich die Aussage, dass dieser Unterschied zwischen westdeutscher Gesellschaft und Heimatvertriebenen wohl nicht allzu groß gewesen sei, so dass ein ‚Einfügen’ in die westdeutsche Gesellschaft gut und zügig gelingen konnte, anders als bei, beispielsweise, heutigen Migranten, die mitunter neben einem ‚größeren’ kulturellen oder ethnischen auch noch einen anderen konfessionellen Hintergrund hätten, der ‚kulturell-ethnische Unterschied’ somit insgesamt größer sei als bei den deutschen Heimatvertriebenen.

Ich möchte dagegen mit Elias und Scotson argumentieren. Sie nennen das Beispiel der japanischen Burakumin[31], die seit Beginn des 17. Jahrhunderts von der japanischen Gesellschaft ausgegrenzt sind. Zwischen zwei und drei Millionen so genannte Burakumin leben dort außerhalb der Gesellschaft und werden sehr stark stigmatisiert (‚die Unberührbaren’). Ihre alte Bezeichnung ‚Eta’ = ‚voller Schmutz’ wird offiziell nicht mehr gebraucht. Sie sind Nachfahren von beruflichen Gruppen, die mit dem Töten und Weiterverarbeiten von Tieren zu tun hatten, was im Buddhismus verpönt ist. Von der Abstammung her haben sie aber keinen anderen Hintergrund als die meisten anderen Japaner, sie sind physisch von ihnen nicht zu unterscheiden, so dass sie teilweise Lederflicken als Erkennungsmerkmal an der Kleidung tragen mussten.[32] Die Burakumin wurden aus der Gesellschaft ausgeschlossen und leben auch heute noch räumlich abgesondert in den Vororten der Städte oder auf dem Land. Sie bilden die unterste Klasse der Gesellschaft, gesellschaftliche Kontakte oder gar Hochzeiten mit den Burakumin sind sehr selten, gelten sie doch als ‚unrein’.[33]

Zudem liegt diesen Aussagen zum ‚kulturellen Abstand’ ein Denkfehler zugrunde, der in einer Sicht von heute auf eine ‚vergangene Zeit’ resultiert. Es wird von der Annahme ausgegangen, dass beispielsweise konfessionelle ‚Entfernungen’ zwischen Protestanten und Katholiken kleiner seien als zwischen Christen und Moslems. Mag man heute mit Blick aus der zum großen Teil säkularisierten Großstadt Berlin auf z.B. ostpreußische protestantische Migranten im katholischen Münsterland nur einen marginalen Unterschied in Mentalitäten zweier Gruppen von Deutschen vermuten wollen, so wird das im Erleben eines münsterländischen Bauern der Nachkriegszeit - der bis zum Kriegsende in einer katholisch homogenen Gemeinde gelebt hatte - völlig anders gewesen sein. Die (evangelische) Tante des in dieser Arbeit zitierten Autors Utz Jeggle hätte für ihre Tochter in der Nachkriegszeit eher einen evangelischen ‚Neger’ als einen katholischen Flüchtling akzeptiert, der der neue Partner der Tochter aber tatsächlich war.[34] Diese ‚kulturellen Unterschiede’, die ‚Entfernung’ zwischen den ‚Kulturen’, mag subjektiv wahrnehmbar sein, objektiv ist sie es nicht. Sie ist vor allen Dingen eine gesellschaftliche Konstruktion, die eine Funktion für das Fernhalten der machtschwächeren Gruppe von Machtpositionen ist. Je weiter ich den anderen und seine Kultur von derjenigen meiner Gruppe entfernt positioniere, umso mehr gelingt es mir, diesen anderen auszugrenzen. Was eine ethnische Minderheit eigentlich sein soll, wie diese in eine unter Position gegenüber einer anderen Gruppe gerät, wie man einen ‚Heimatvertriebenen’ definieren kann und was mit ‚Integration’ und ‚Heimat’ überhaupt gemeint sein könnte, wird in kleinen Intermezzi von mir diskutiert.

Um mir ein eigenes Bild von ‚den’ Heimatvertriebenen zu machen, besuchte ich 2008 das Deutschlandtreffen der Ostpreußen[35]. Diese Veranstaltung fand in drei Messehallen statt, bei der die erste für offizielle Reden, eine weitere für ‚gemütliches Beisammensitzen’, getrennt nach Regionen und Orten und die dritte für den Verkauf von regionalen ostpreußischen Produkten - ganz klar dominiert von Königsberger Marzipan, Bernstein in allen erdenklichen Zuständen sowie ‚Flucht- und Vertreibungsliteratur’, ostpreußischen Kochbüchern und Landschaftsbeschreibungen, zum großen Teil im Selbstverlag - genutzt wurde. Auffallend für mich war die große Diskrepanz zwischen dem martialisch wirkenden Fahneneinmarsch unter Marschmusik und den doch recht konservativen offiziellen Reden auf der einen Seite und dem sehr persönlichen und privaten Interesse der Besucher, sich mit alten Bekannten auszutauschen und sich mit landesspezifischen Produkten einzudecken. Zudem war ich unter mehreren tausend Besuchern einer der jüngsten, der Großteil war deutlich im Rentenalter. In drei Zufallsgesprächen entstand bei mir der Eindruck, dass es diesen Besuchern nicht um Revision von politischen Tatsachen ging, der Grund des Besuches dieser Veranstaltung war das Treffen von alten Bekannten, die man genau ein Mal jährlich nämlich zu dieser Veranstaltung traf. Eine mir namentlich nicht bekannte Dame, die an einem Tapeziertisch die Geschichte ihrer Familie in Buchform feilbot, bestätigte meinen Eindruck: Auf meine Frage, warum sie dieses Buch hier verkaufen wolle, erwiderte sie dass es ihr wichtig sei, dass ‚unsere Geschichte’ [die der Ostpreußen/Heimatvertriebenen] nicht vergessen werde.

Heimatvertriebene der Heimatstuben Jauer, Strehlen (beides Niederschlesien) und Ortelsburg (Ostpreußen) in Herne/Westfalen[36] sowie der Heimatstube Krickerhau (Hauerland in den Karparten/Slowakei) in Voerde am Niederrhein[37] gaben mir erste Einblicke in das Thema aus Sicht der Betroffenen. In den Gesprächen erfuhr ich, dass es ein Bewusstsein darüber gibt, dass die Institution Heimatstube mit ihnen die letzten Betreiber gefunden hat, da die Nachfolgegeneration an den Heimatstuben kein Interesse mehr zeigt. Dieses mangelnde Interesse ist Ausdruck eines Unterschieds von Fremdheitserfahrungen zwischen Erlebnisgeneration und Nachkriegskindern. Dieser Unterschied ist wichtig für den Verlauf der generationenübergreifenden Integration der Heimatvertriebenen auf den ich abschließend (Kapitel 2.2.14.) eingehen werde.

Im nun folgenden Hauptteil der Arbeit stelle ich die Theorie von Elias und Scotson vor, gehe anschließend auf ‚den Fremden’ ein und kontextualisiere diese theoretischen Überlegungen mit dem Fallbeispiel der Heimatvertriebenen.

B. Hauptteil

1. Theoriebildung

1.1. Etablierte und Außenseiter

1.1.1. das Fallbeispiel „Winston Parva“

In ihrer Fallstudie „Etablierte und Außenseiter“[38] haben Norbert Elias und sein Schüler John L. Scotson eine kleine englische Vorortgemeinde von Leicester, im Text fiktiv Winston Parva genannt, untersucht. Dort trafen sie Ende der 1950er Jahre auf drei Gruppen, die räumlich getrennt in drei Zonen lebten: Die erste Gruppe war in einem kleinen bürgerlichen Ortsteil zu Hause, die zweite in einem Wohnviertel der alteingesessenen Arbeiter und die dritte Gruppe in einem Neubauviertel für Arbeiter, die erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Winston Parva gezogen waren. Durch den Zuzug gingen die beiden Arbeiter-Gruppen - die Gruppe der Bürgerlichen spielte nur eine untergeordnete Rolle - eine Verbindung ein, die geprägt war von Interdependenz (gegenseitiger Abhängigkeit), einer ‚Figuration’[39] wie Elias es nennt.

Obwohl sich die Arbeiter in den beiden Zonen nicht durch Machtdifferentiale[40] unterschieden, die auf Nationalität, ethnischer Herkunft, Hautfarbe, Beruf, Einkommenshöhe oder Bildung beruhten – also kein Unterscheid in der sozialen Klasse bestand - , verlief die soziale Grenze nicht etwa zwischen Bürgerlichen und Arbeitern, sondern zwischen den Alteingesessenen und den Neuankömmlingen. Auch war nicht der Wohnort der Zugezogenen - das Neubauviertel - Grund der Trennung, es fungierte lediglich als Erkennungsmerkmal der Ortsansässigen anhand dessen sie die Neuzugezogenen ausmachen und auch sprachlich erst als Gruppe (‚Rattengasse’) benennen konnten.

Wie sich im Verlauf der Studie herausstellte, war die Aufenthaltsdauer am Ort für die soziale Trennung entscheidend. Die alteingesessenen Familien lebten teilweise schon über Generationen an einem gemeinsamen Ort, hatten somit selbst eine Figuration untereinander ausgebildet, in deren Verlauf sie auch gemeinsame Werte und Verhaltensnormen ausbilden konnten. Diese waren den Neuzugezogenen aber unbekannt, so dass sie gegen diese ungewollt verstießen. Es war für sie unerklärlich, dass sie von den Einheimischen stigmatisiert und zu Außenseitern gemacht wurden, mit denen man keinen gesellschaftlichen Umgang pflegte, da diese in den Augen der Einheimischen lediglich einen ‚menschlich geringeren Wert’ besaßen. Eine Art ‚Gruppenschande’ die alle Mitglieder der Außenseitergruppe innehatte, während alle Einheimischen an einem ‚Gruppencharisma’ teilhatten.[41] Die Neuankömmlinge gefährdeten aus der Sicht der Einheimischen die erprobten Verhaltenscodes, ihre Homogenität, die Gemeindeidentität sowie ihr Gruppenprestige.[42]

Die Gruppe der Zugezogenen war heterogener zusammengesetzt als die Alteingesessenen. So war der Facharbeiteranteil unter ihnen höher, doch gab es auch eine Minderheit sozial schwacher Familien, von denen Teile sozial auffällig wurden. Diese Teilgruppe dominierte die Wahrnehmung der gesamten Gruppe im Bewusstsein der Einheimischen.[43]

Die Einheimischen nahmen gegenüber den Zugezogenen die Rolle der Etablierten ein und wiesen der Gruppe der Zugezogenen, die sich selbst zunächst nicht als Gruppe begriff, die Rolle der Außenseiter zu.

Die Etablierten schlossen ihre Reihen gegenüber den Außenseitern und entwickelten Methoden, wie sie die Außenseiter von den Machtquellen[44] fernhalten konnten und somit den Zustand der Machtdifferenz bewahren konnten.[45] Sie stigmatisierten die Außenseiter als menschlich minderwertig. Dies geschah durch die Herausbildung von Vorurteilen gegenüber der ganzen Gruppe sowie durch soziale Diskriminierung in Form von Kontaktverweigerung, offene Ablehnung und Klatsch. Als besonders wirkungsvoll erwiesen sich dabei abwertende Begriffe sowie Schimpfwörter für die Gruppe der Außenseiter. Diese verfügten nicht über die soziale Kohäsion, die nötig gewesen wäre um ein eigenes, positives Gruppenbild zu entwerfen. Stattdessen übernahmen sie das von den Etablierten geprägte Negativ-Selbstbild. Abgeleitet wurde dieses ‚Ihr-Bild’ von der Minorität der ‚schlechtesten’ Teilgruppe unter den Außenseitern, während das ‚Wir-Bild’ von ‚den Besten’ der Teil-Gruppe der Etablierten abgeleitet wurde, was die Differenz zwischen den Gruppen noch vergrößerte.[46] Die Macht, den Außenseitern die eigenen Verhaltensweisen als ‚besser’ oder ‚höherwertiger’ aufzuzwingen erhielten die Etablierten durch den Machtüberschuss der ihnen genau diese Verhaltensweise gewährt. Größere Kohäsion, Solidarität, Einheitlichkeit der Normen und Selbstdisziplin geben den Etablierten die Macht, die von ihnen vorgegebenen Verhaltenscodes zu monopolisieren. Dieses Verhalten trug überdies zu einer Verstärkung der Gruppeneigentümlichkeiten bei und stellte somit einen sich selbst verstärkenden Prozess dar. Grundvoraussetzung für diesen Prozess ist die Anerkennung der Höherwertigkeit der Verhaltensnormen durch die Außenseiter sowie die Undurchlässigkeit der Grenze zwischen den Gruppen.[47]

Die Außenseiter konnten aufgrund der geringeren Kohäsion nicht ihrerseits machtvoll darauf reagieren, so dass sie keine Machtnivellierung erreichen konnten und somit auch ihre Unterordnung gegenüber den Etablierten nicht auflösen konnten. Vielmehr akzeptierten sie das Bild der Etablierten von der menschlichen Höherwertigkeit der Etabliertengruppe und verfestigten damit ungewollt die ungleiche Machtbalance.[48]

Die höhere soziale Integration der Einheimischen führte zu einer höheren Machtrate, so dass letztendlich die Verhaltensunterschiede für die soziale Trennung sowie für die Machtdifferenz ausschlaggebend waren und eben nicht die Gründe, die von der etablierten Gruppe vorgegeben wurde.

1.1.2. Die Etablierten-Außenseiter-Figuration

Das Modell der Figuration von Etablierten und Außenseitern ist eine „Theorie zur Erklärung sozialer Ungleichheit“[49] deren zentrales Motiv das „der Dynamik zwischenmenschlicher Verflechtungs- und Machtbeziehungen“[50] ist. Es ist also kein explizites Modell zur Erklärung von Migrationsprozessen bzw. Integrationsprozessen wie die klassischen Erklärungsmodelle von Park/Burgess[51] oder Eisenstadt[52], sondern es behandelt Prozesse der sozialen Ungleichheit die entstehen, wenn zwei Gruppen in eine Interdependenz treten und erklärt welche Schwierigkeiten für die machtschwächere Gruppe entstehen, wenn sie auf bestehende Verflechtungen bzw. Figurationen trifft. Elias zeigt, dass nicht nur die Verfügung über „nicht-menschliche Objekte wie Waffen und Produktionsmittel“[53] sowie der Organisationsgrad verschiedener Gruppen über eine höhere oder niedrigere Machtrate entscheiden, sondern auch Kohäsion und Kontrolle, die Verflechtung unter den Individuen von Gruppen, dafür ausschlaggebend sind.[54] Die Verflechtungen zwischen den Etablierten- und Außenseitergruppen sind durch Konstellationen und Prozesse gekennzeichnet, die einem starken Machtgefälle unterliegen.[55] „[...] Etablierte und Außenseiter [werden] nicht einfach gegenübergestellt, sondern deren interaktiven Prozesse [werden] betont“[56].

Nach Elias und Scotson ist Integration auch nicht das Ziel sondern kann ein Ergebnis von Verflechtungen von interdependenten Gruppen sein. Zwischen interdependenten Gruppen besteht eine Machtbalance die nicht ausgeglichen sein muss sondern deutliche Machtunterschiede aufweisen kann, die auf Verhaltensunterschiede zwischen den Gruppen beruhen. Die Machtunterschiede können dazu führen, dass sich die machtstärkere Gruppe abgrenzt und die andere Gruppe somit ausgrenzt und mit Hilfe ihrer Machtüberlegenheit als Außenseiter stigmatisiert und versucht, sie von Machtpositionen fern zu halten. Möglich ist ihnen das durch eine größere Kohäsion untereinander. Elias und Scotson nennen diese Verflechtung unter Gruppen eine ‚Etablierten-Außenseiter-Figuration’ und gehen davon aus, dass diese Figurationen über Generationen bestehen bleiben können und nur langsam wandelbar sind.[57]

In seinem Aufsatz von 1976, der der deutschen Übersetzung der Studie vorangestellt ist, sagt Elias, dass es sich um ein „universal-menschliches Thema“[58] handelte, mit einem allgemeingültigen Charakter. Tatsächlich sei diese Etablierten-Außenseiter-Figuration aber auf der Mikroebene besser zu beobachten, da sie dort nicht von anderen Faktoren überdeckt würde. Elias und Scotson stellen fest, dass zahlreiche gesellschaftliche Konflikte, die unter Prädikaten wie ‚ethnische Konflikte’ oder ‚Klassenkonflikte’ laufen, sich wenig von dem Konflikt in Winston Parva unterscheiden. ‚Ethnische Konflikte’ zielen auf Unterschiede körperlichen Aussehens ab, tatsächlich können sie mit Elias und Scotson jedoch als eine Form einer Etablierten-Außenseiter-Figuration verstanden werden, in der physische Merkmale lediglich ein ‚verstärkendes Schibboleth’[59] darstellen, nicht aber Grund der Ausgrenzung sind. Der Grund ist – nach Elias und Scotson - das Bestreben der machtstärkeren Gruppe, die machtschwächere Gruppe von Machtpositionen fern zu halten. Ethnische Unterschiede können somit als ein Nebenaspekt verstanden werden, der vom zentralen Aspekt von Figurationen, den Machtunterschieden, ablenkt. In einer interdependenten Beziehung gelingt es einer Gruppe, mit den ihr zur Verfügung stehenden Machtmitteln, die andere Gruppe von diesen Mitteln fern zu halten.[60]

Elias und Scotson haben in Winston Parva keine Langzeitstudie betrieben, sie sind niemals wieder zurück gekehrt. Wir wissen also nicht, ob die Figuration immer noch besteht. Zur Dauer solcher Figurationen sagen sie lediglich, dass sie sehr langlebig über mehrere Generationen bestehen können und sich nur sehr langsam wandeln. Diese langsamen Veränderungsprozesse können jedoch so weit führen, dass sie sich die Machtbalance ausgleicht oder sogar umkehrt.

Nachdem ich die Situation in Winston Parva oben kurz skizziert habe, möchte ich im Folgenden in Anlehnung an dieses Beispiel auf einzelne Momente der Etablierten-Außenseiter-Figuration hinweisen, die Elias für allgemeingültig hält.

Elias und Scotson gehen in ihrer Studie davon aus, dass die tiefste Wurzel der Machtungleichheit zwischen Einheimischen und Zugezogenen – neben möglichen weiteren Machtquellen - die Aufenthaltsdauer am Ort, das „soziologische Alter“[61] der Familien ist. Familien, die sich seit Generationen kennen, entwickeln untereinander einen Katalog an Normen und Verhaltensweisen, wodurch sie einen gewissen Grad des Gruppenzusammenhalts und einer kollektiven Identifizierung erreichen, unabhängig davon, ob sie selbst sich gut verstehen oder im Konflikt miteinander stehen.

Diese soziale Gruppe ist eine spezielle Form eines sozialen Systems, das die Akteure durch ihr Handeln und die damit verbundene Kommunikation selbst reproduzieren.[62]

Durch das hohe soziologische Alter ist das Leben für die Individuen erwartbar, die anderen Mitglieder sind berechenbarer geworden indem sich kollektive Alltagsroutinen gebildet haben, hat sich das eingeübte Verhalten doch untereinander bewährt. Allein der Umstand, über diese diese Routinen zu verfügen, sichert den Einheimischen ein ‚Mehr an Macht’ - ein andersartiges Verhalten bedroht diese Routinen. Gegenüber einer Bedrohung der bestehenden Ordnung schließt sich die Gruppe ab um ihre Gruppenidentität vor Veränderung zu schützen[63].

Die sogenannten Etablierten müssen nicht zwangsläufig wohlhabender, kultivierter und arrivierter (kurz: etablierter) sein, aber sie empfinden und inszenieren sich als solche.[64]

Allein durch ihr höheres soziologisches Alter leiten sie für sich und ihre Verhaltensnormen eine Höherwertigkeit ab.[65]

Der Abschluss der Gruppe, der Versuch, die eigene Kultur vor Veränderung von außen zu schützen, sichert den Gruppenmitgliedern zweierlei: Der bestehende Verhaltenskodex untereinander garantiert ihnen einerseits weiterhin erwartbares Verhalten der anderen. Dadurch wird aber auch die Gruppe an sich stabilisiert, sie bekommt eine höhere Kohäsion und mit ihr werden auch die Gruppenmitglieder stabilisiert. Andererseits haben sich die Normen in so weit für die Einheimischen bewährt, dass sie ihnen bisher einen gewissen sozialen Aufstieg bzw. Lebensstandard gewährt haben.[66] Dieser wäre ebenfalls durch die Neuankömmlinge bedroht. Durch die Stigmatisierung weist man ihnen eine statusniedrigere Position zu, wodurch die eigene Gruppe einen indirekten Aufstieg erlebt.[67]

Umgesetzt wird dies in der Formulierung und der Einhaltung von Regeln. Diese Regeln geben dann vor, was ‚richtig’ und was ‚falsch’ ist, was ‚normal’ und ‚anormal’ ist. Bräuche und Sitten sind solche - ungeschriebenen – Regeln die alle Gruppenmitglieder zu akzeptieren haben.[68]

Die Gruppenidentität sichert den Etablierten aber auch einen höheren sozialen Status den Neuankömmlingen gegenüber. Die Ansässigen haben durch die längere Wohndauer – und die diese beinhaltende Kohäsion - die Macht, sich selbst als Etablierte zu generieren und die Neuankömmlinge als Außenseiter zu stigmatisieren.

Diese Kohäsion ist also eine Reaktion auf ‚die Fremden’, ist Gruppenkohäsion doch nach innen aber auch gegen außen gerichtet. Mehr noch, Kohäsion entsteht erst mit dem Kontakt zum Fremden. Für die Identität der Gruppe ist eine Spiegelung mit dem was es nicht ist - das Bild des Fremden - unbedingt nötig. Zu Fremdheit siehe Kapitel 1.2..

1.1.3.1. Interdependenz der Stati

Bei Etablierten-Außenseiter-Figurationen ist immer eine Hierarchie zu beobachten, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann, die nur möglich ist, weil die Gruppen voneinander abhängig (interdependent) sind. So stellen die Außenseiter für den Status der Etablierten zwar eine Gefahr dar, ist die statusniedrigere Gruppe immer an eine Annäherung interessiert, andererseits sind die Etablierten erst im Verhältnis zu den Außenseitern überhaupt in einer höheren Position. Denn: durch den Zuzug der Neuankömmlinge kommt es zu einer Unterschichtung in deren Verlauf sich der Status der Etablierten erhöht. Die Gruppen werden zu Konkurrenten um Statuspositionen.[69]

1.1.3.2. Kohäsion

Die Neuankömmlinge reagieren mit Verunsicherung auf die Ausgrenzung, ist ihnen doch nicht bewusst, warum sie abgelehnt werden. Ihnen ist der Regelverstoß - ebenso wie die Normen selbst, gegen die sie aus Sicht der Einheimischen verstoßen - nicht bekannt. Da die Zugezogenen eine locker zusammengefügte Gruppe und auch untereinander fremd sind, ist der Grad des Zusammenhalts und somit auch ihr Organisationsgrad und ihre Machtrate viel geringer. Den Zugezogenen ist es zunächst gar nicht möglich, Kohäsion untereinander herzustellen.

Der größere Kohäsionsgrad ist ein Unterschied in der Integration, der ein wesentliches Element der Machtüberlegenheit ist. Der starke Zusammenhalt der Einheimischen erzeugt ein höheres Machtgewicht auf ihrer Seite mit dem sie sich unter anderem auch soziale Positionen für Mitglieder der eigenen Gruppe reservieren können. Ihr stärkerer Zusammenhalt hält die Mitglieder der machtschwächeren Gruppe aus diesen Positionen heraus und macht sie zu Außenseitern.[70]

Kohäsion bedeutet also einen Machtgewinn für die Gruppe, die sie inne hat. Erst dieses Machtungleichgewicht ermöglicht es den Etablierten die Mitglieder der anderen Gruppe als Außenseiter zu stigmatisieren.

1.1.3.3. Die Funktion der Selbstkontrolle

Praktizierte Selbstkontrolle kann erheblich dazu beitragen Machtunterschiede zu generieren und zu erhalten. Die Gruppe der Etablierten befolgt die eigenen Verhaltenscodes, dies erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin und Gruppenzusammenhalt. Typische Merkmale dieser Selbstkontrolle sind häufig ein hohes Maß an Ordentlichkeit, Umsicht, Voraussicht und Gruppenkohäsion.[71] Dies ist nur durch eine hohe (Selbst-)Kontrollanstrengung möglich. Als Ausgleich für diese Selbstkontrolle, für einen Verlust von Spontaneität[72] (Treibel spricht sogar von Frustrationen[73] ) erhält die Gruppe Macht- und Statusgewinn, steigt sie durch die Außenseiter selbst auf, ist die Außenseitergruppe vom Status doch unter ihnen. Die Mitglieder der Außenseitergruppe sind ihrerseits nicht in einem solchen Netzwerk von Zwang und Selbstkontrolle verwoben und so gelingt es ihnen auch nicht, ebenfalls die Normen einzuhalten, weil ihnen die Kohäsion fehlt, die nötig ist um diese Selbstkontrolle über Zeiträume zu bewahren. Voraussetzung und Motivation der Selbstkontrolle ist nämlich ein Gruppenzwang der seinerseits ein gewisses Maß an Kohäsion zwingend bedingt. Die Gruppe erwartet ein konformes Verhalten von ihren Mitgliedern, was wiederum ein gewisses Maß an Selbstdisziplin bedingt. Diese Selbstdisziplin verursacht eine gewisse Versagung an „lustvollen“ Dingen, als „Belohnung“ winkt eine Statuserhöhung für gruppenkonformes Verhalten. Diese Statuserhöhung muss aber an etwas Negativem gespiegelt werden (wem gegenüber habe ich eigentlich einen höheren Status?), das sozusagen der Gegenentwurf für das eigene „richtige“ Verhalten ist und dafür braucht es eine Gruppe der Außenseiter, die sich „nicht richtig“ verhält. Die ‚Gegenposition Außenseiter’ hat in diesem Machtverhältnis also eine ganz klare Funktion: geben die Etablierten ihre Stigmatisierungen gegenüber den Außenseitern auf, dekonstruiert sich auch die Etablierten-Außenseiter-Figuration.

Die Etablierten versuchen, die Außenseiter von allen Machtquellen fernzuhalten um den Status quo zu bewahren. Durch die Vermeidung von gesellschaftlichem Kontakt seitens der Etablierten ist es Außenseitern nicht möglich, sich in die Gesellschaft zu integrieren und so in irgendeiner Weise Einfluss auf die gesellschaftlichen Vorgänge zu nehmen. Für die einzelnen Gruppenmitglieder der Etabliertengruppe kann ein Ausbrechen aus dieser Phalanx Konsequenzen haben die bis zum Ausschluss aus der Gruppe reichen können. So kann eine Kontaktaufnahme zu Mitgliedern der Außenseitergruppe Einzelner für die Gruppe der Etablierten eine Gefährdung des Status der gesamten Gruppe darstellen. So ist selbst die Kontaktaufnahme schon ein Verstoß gegen die Norm, der die Stellung des Einzelnen in der eigenen Gruppe gefährdet.[74] „Die Etablierten müssen ihre soziale Exklusivität wahren, um ihre Machtüberlegenheit zu sichern.“[75]

„Macht wird monopolisiert“[76], durch Ausgrenzung der Außenseiter sichern die Etablierten ihren Status[77]. Dafür wenden sie verschiedene Mittel an, u.a. gesellschaftliche Meidung, Nichtbeachtung und vor allen Dingen den von Elias so benannten „Schimpfklatsch“.

1.1.3.4. Mittel des Ausschlusses und die Stigmatisierung

Zentrales Element der Stigmatisierung ist ein erhöhtes Selbstbild der Etablierten, wobei die Etablierten sich selbst ein „kollektives Charisma“ zuschreiben, sich mit „überlegenen menschlichen Eigenschaften“ ausgestattet sehen, während sie diese den Außenseitern absprechen, ihnen stattdessen eine „Gruppenschande“ zusprechen. Nach Elias ist dies das normale Selbstbild einer Gruppe die über eine höhere Machtrate verfügt.[78]

Dieses Selbstbild beruht auf einer „pars-pro-toto-Verzerrung“[79] (ein Teil für das Ganze). Etabliertengruppen neigen nämlich dazu, „der Außenseitergruppe insgesamt die ‚schlechten’ Eigenschaften der ‚schlechtesten’ ihrer Teilgruppen, ihrer anomischen Minorität, zuzuschreiben. Und umgekehrt wird das Selbstbild der Etabliertengruppe eher durch die Minorität ihrer ‚besten’ Mitglieder, durch ihre beispielhafteste oder ‚nomischste’ Teilgruppe geprägt“[80]. Dies macht den Unterschied zwischen den Gruppen sehr groß und dient der Etabliertengruppe als Argument für die Höherwertigkeit der eigenen Gruppe.

Stigmatisierungen sind nur in Figurationen möglich, in denen eine Gruppe keinen Zugang zu Machtpositionen hat. Je stärker die Stigmatisierung, umso höher ist das Machtgefälle zwischen den Gruppen. Die andere Gruppe als minderwertig zu bezeichnen, ist ein Mittel die soziale Überlegenheit zu stabilisieren[81].

Nicht die Gesamtheit der Einzelnen, sondern die Gruppe als Ganzes wird als minderwertig stigmatisiert. Grundlage sind nicht die einzelnen individuellen Charaktereigenschaften der Mitglieder der Gruppe der Außenseiter, sondern die ganze Gruppe ist den Etablierten fremd und wird als minderwertig empfunden.[82] Wenn die Stigmatisierung sich aber nicht aus den Eigenschaften der stigmatisierten Individuen herleiten lässt, muss der Grund im Muster der gegenseitigen Abhängigkeit liegen. Erst die ungleiche Machtbalance gibt der etablierten Gruppe die Möglichkeit, die andere Gruppe effektiv zu stigmatisieren. Dies ist so lange möglich, so lange die machtschwächere Gruppe keinen Zugang zu Machtpositionen hat. Eine andere Gruppe als minderwertig zu bezeichnen, ist ein Mittel die soziale Überlegenheit zu stabilisieren. Ist die Zuschreibung sehr stark und die Machdifferenz sehr hoch, wird das stigmatisierende Bild von der stigmatisierten Gruppe übernommen und erhärtet so die bestehende Figuration. Verliert die machtüberlegene Gruppe ihr Monopol auf die hauptsächlichen Machtquellen, verliert sie auch die Fähigkeit zu stigmatisieren.[83] Die Kohäsion der eigenen Gruppe sowie die Stigmatisierung der anderen Gruppe sind die zentralen Elemente der Etablierten-Außenseiter-Figuration.

1.1.3.5. Gruppencharisma und Gruppenschande

Gruppencharisma und Gruppenschande sind zwei sehr nachhaltige Zuschreibungen. Gruppencharisma wird allen Mitgliedern der etablierten Gruppe zugeschrieben, der Preis dafür ist die Befolgung gruppenspezifischer Normen. Diese Normen werden aus Sicht der Etablierten von den Außenseitern nicht befolgt, sie werden deshalb als anomisch angesehen. Für die Mitglieder der Etablierten ist bloßer Kontakt zu den Mitgliedern der Außenseitergruppe mit der Gefahr verbunden, selbst in den Verdacht zu kommen, die Normen zu brechen. Und tatsächlich würden sie sie ja auch brechen, ist doch schon der gesellschaftliche Kontakt ein Bruch der Normen der Etablierten.[84] Andere Mitglieder könnten denken, „daß er nicht länger teilhat an den höheren menschlichen Wert, den sich seine Gruppe beimißt.“[85] Ein Statusverfall wäre also die mögliche Folge. Gerade diesen ‚höheren menschlichen Wert’ schreibt man den Fremden nicht zu. Sie haben aus Sicht der Etablierten somit alle Teil an einer Gruppenschande.

Das Gruppencharisma benötigt die ‚Kontrastfolie’ der als minderwertig abgestempelten Neuankömmlinge. Es ist ein asymmetrisches Verhältnis, es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit.[86]

Das Halten dieser ungleichen Machtbalance gelingt den Etablierten durch eine strikte Vermeidung von gesellschaftlichem Kontakt mit der Gruppe der Außenseiter. Dieses geschieht, um die Außenseiter von den Machtquellen fernzuhalten und hat einen kollektiven Zwangscharakter auch für die Etablierten. Individuen der Etabliertengruppe, die sich nicht an diese Verhaltensnorm halten, laufen Gefahr, selbst stigmatisiert zu werden, bedroht ihr Verhalten doch den Status der eigenen Gruppe.

Um das Bild der Höherwertigkeit, das Gruppencharisma, zu bewahren, ist ein „hohes Maß an gegenseitiger Kontrolle, Selbstkontrolle und Konformität“[87] notwendig. Diese Kontrolle aktiviert aber auch die Kohäsion untereinander.[88]

1.1.3.6. Schimpfklatsch und Lobklatsch

Ein Mittel zur alltäglichen Stigmatisierung der Außenseiter ist der Klatsch bzw. die üble Nachrede. Grundlage für den so genannten „Schimpfklatsch“ ist die oben angesprochene pars-pro-toto-Verschiebung, die eine Verallgemeinerung dergestalt zulässt, Eigenschaften einzelner Individuen auf die ganze Gruppe der Außenseiter zu übertragen.

Zwar wird in Außenseitergruppen auch geklatscht, doch fließt Klatsch in fest verbundenen Gruppen schneller von Individuum zu Individuum, sind die Kommunikationskanäle doch dichter sowie das Interesse auch größer, sich untereinander über Neuigkeiten über bekannte Personen zu unterhalten.[89] Da durch die Machtüberlegenheit die Außenseitergruppe insgesamt als „minderwertig“ angesehen wird, werden auch nur negative Eigenschaften verallgemeinert und diese dann als Schimpfwörter für die ganze Gruppe artikuliert.

Klatsch beruht auf festen Glaubensvorstellungen über die andere Gruppe, die wiederum als Auswahlkriterium dienen, so dass nur über etwas geklatscht wird, was den abschätzigen Vorstellungen über die Außenseiter entspricht.

Es gibt aber auch den positiven Klatsch über Individuen der eigenen Gruppe. Dieser dient dazu, sich des „richtigen“, des normentreuen Verhaltens der eigenen Gruppenmitglieder zu versichern.

Allgemein hat Klatsch eine integrierende Funktion, indem die „klatschenden“ Personen sich der persönlich eigenen sowie der eigenen Gruppe Rechtschaffenheit versichern.[90] Andererseits grenzt der negative Klatsch (Schimpfklatsch) diejenigen aus, über die geklatscht wird. Die ‚Klatschenden’ integrieren sich durch ihren Klatsch. Je mehr Skandalöses der Klatschende zu berichten vermag, zeigt er damit die eigene Untadeligkeit. So entstehen aber auch immer ‚wildere’ Geschichten, die immer weniger mit der Ausgangsaussage gemein haben.

[...]


[1] vgl. Faulenbach, Bernd: Die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Band 51/52, 2002, S. 44-54, hier: S. 44

[2] im Text verwende ich für die Deutschen, die in Folge des II. Weltkriegs unter Zwang ihre Heimat in den ehemaligen ostdeutschen Provinzen sowie in Ost- und Südosteuropa verlassen mussten den Ausdruck ‚Heimatvertriebene’, ist das übliche Wortpaar ‚Flüchtlinge und Vertriebene’ erstens unterschiedlich definiert (siehe dazu Intermezzo Was ist ein Heimatvertriebener?) und zumindest der erste Ausdruck eine Herabsetzung. Zudem verzichte ich auf ein Gendern der Begriffe um die Lesbarkeit der Arbeit zu gewährleisten und um Logikfehler zu vermeiden, die sich zwangsläufig dadurch ergeben würden. Mit dem Ausdruck ‚Heimatvertrieben er ’ sind selbstverständlich beide Geschlechter gemeint. Der typische deutsche Heimatvertriebene ist sogar weiblich, das Schicksal von Flucht und Vertreibung traf zum größten Teil Frauen, Kinder und alte Leute. Im April 1946 zählte man beispielsweise rund die Hälfte Frauen und nur zu je einem Viertel Männer und Kinder. (vgl. Fußnote 30 in: Lehmann, Albrecht: Im Fremden ungewollt zuhaus. Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945-1990, München, 1991

[3] bei der Volkszählung am 10. Oktober 1946 zählte man noch 5,9 Millionen Heimatvertriebene in den drei Westzonen. Zahlen aus: Münz, Rainer; Seifert, Wolfgang; Ulrich, Ralf: Zuwanderung nach Deutschland. Strukturen, Wirkungen, Perspektiven, Frankfurt/Main und New York, 1999, S. 28

[4] Zahl aus: Köllmann, Wolfgang: Die Bevölkerungsentwicklung der Bundesrepublik, in: Conze, Werner; Lepsius, Rainer: Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart, 1983, S. 66-76, hier: S. 69

[5] Mit ‚Ostdeutsche’ sind nicht diejenigen Personen gemeint, die man heute als Ostdeutsche bezeichnet sondern die Bewohner der ehemaligen Provinzen des Deutschen Reiches Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Ost-Brandenburg sowie die Menschen aus Ost- und Südosteuropa deren Vorfahren aus dem deutschsprachigem Raum ausgewandert waren und ‚Volksdeutsche’ genannt wurden. „Seit der Wiedervereinigung hat es sich eingebürgert, die neuen Bundesländer als Ostdeutschland zu bezeichnen. Für das bis dahin mit dem Begriff ‚ostdeutsch’ gemeinte fehlt einstweilen ein neues Wort.“ vgl. Boockmann, Hartmut: Die Geschichte Ostdeutschland und der deutschen Siedlungsgebiete im östlichen Europa, in: Deutsche im Osten. Geschichte. Kultur. Erinnerung, herausgegeben vom Deutschen Historischen Museum, München und Berlin, 1995, S. 9-21, hier S. 7

[6] Nach eigenen Angaben sind im Bund der Vertriebenen (BdV) zwei Millionen Mitglieder organisiert. Diese Zahl wird von vielen Seiten angezweifelt, andere Schätzungen gehen von 550.000 Mitgliedern aus. vgl. ‚BdV weist Vorwurf verfälschter Mitgliederangaben zurück’, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 09.01.2010, S. 5

[7] Pfeil, Elisabeth: Der Flüchtling. Gestalt einer Zeitenwende, Hamburg, 1948

[8] Auch den im Westen geborenen Kindern der Heimatvertriebenen wurde, wie ihren Eltern, laut Bundesvertriebenengesetz (BVFG) vom 19.5.1953 der Status eines Heimatvertriebenen bzw. Vertriebenen gewährt.

[9] staatlich erfasste Daten gibt es hierzu allerdings nicht mehr, anders als die Bevölkerungsgruppe der Westdeutschen und der heutigen ‚Ostdeutschen’, die in Umfragen gesondert erfasst werden, werden die Nachfahren der Heimatvertriebenen seit Ende der Sechziger Jahre nicht mehr als eigene Gruppe geführt. Auch in den Umfragen des Allenbachs-Instituts gibt es seit den Siebzigerjahren keine Fragen mehr, die sich explizit an Heimatvertriebene richten.

[10] wenn man der Logik des Bundesvertriebenengesetztes folgt, dass jeder Heimatvertriebene weitere Heimatvertriebene in die Welt setzt, auch wenn er oder sie mit einem westdeutschen Partner liiert ist. Hier zeigt sich aber bereits ein Problem der ‚ethnischen Zuordnung’ bei ‚Mischehen’ zwischen Einheimischen und ‚Fremden’. 1970 hatten nach Schlau 30% aller Westdeutschen einen heimatvertriebenen Vorfahren. Diese Quote dürfte heute höher liegen. vgl. Schlau, Wilfried: Die Eingliederung in gesellschaftlicher Hinsicht, in: Merkatz, Hans Joachim von (Hrsg.): Aus Trümmern wurden Fundamente. Vertriebene/Flüchtlinge/Aussiedler. Drei Jahrzehnte Integration, Düsseldorf, 1979, S. 151-162

[11] als Abschluss dieser Phase wird die dreibändige Untersuchung von Edding und Lemberg angesehen. Edding, Friedrich; Lemberg, Eugen (Hrsg.): Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluß in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Geistesleben, 3 Bände, Kiel, 1959

[12] vgl. Gerhardt, Uta: Bilanz der soziologischen Literatur zur Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge nach 1945, in: Hoffmann, Dierk; Krauss, Marita; Schwartz, Michael (Hrsg.): Vertriebene in Deutschland: interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven, München, 2000, S. 41-64

[13] vgl. Krauss, Marita: Integrationen. Fragen, Thesen, Perspektiven zu einer vergleichenden Vertriebenenforschung, in: dies. (Hg.): Integrationen. Vertriebene in den deutschen Ländern nach 1945, Göttingen, 2008, S. 9-21, hier: S. 10/11

[14] vgl. Schwedt, Herbert: Ist eine Volkskunde der Heimatvertriebenen überflüssig geworden?, in: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde, Band 17, 1974, S. 20-26

[15] vgl. Schulze, Rainer; Brelie-Lewien, Doris von der; Grebing, Helga (Hrsg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Hildesheim, 1987

[16] Rautenberg, Hans-Werner: Die Wahrnehmung von Flucht und Vertreibung in der deutschen Nachkriegsgeschichte bis heute, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 53, 1997, S. 34-46 S. 37

[17] Gerhardt, Uta, 2000, S. 62

[18] Dieser Film wurde im Frühjahr 2010 im tschechischen öffentlichen Fernsehen zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Es handelt sich dabei um Aufnahmen bei Kriegsende, in denen zu sehen ist, wie sudetendeutsche Zivilisten von Tschechen misshandelt und getötet werden.

[19] siehe u.a.: May, David: Die Etablierten-Außenseiter-Beziehung als Grammatik urbanen Zusammenlebens, in: Bukow, Wolf-Dietrich; Nikodem, Claudia; Schulze, Erika; Yildiz, Erol (Hrsg.): Auf dem Weg zur Stadtgesellschaft, Opladen, 2001, S. 159-171

[20] siehe u.a.: Oswald, Ingrid: Migrationssoziologie, Konstanz, 2007 oder Treibel, Annette: Migration in modernen Gesellschaften, Weinheim und München, 2008

[21] siehe Han, Petrus: Theorien zur internationalen Migration, Stuttgart, 2006

[22] Hier folgen die Alliierten einer Denkweise die nach der staatlichen Neuordnung Osteuropas nach dem I. Weltkrieg vorherrschte, die die deutschsprachige Bevölkerung außerhalb des Deutschen Reiches als ‚Volksdeutsche’ bezeichnete. Die Alliierten unterschieden nicht zwischen ‚Volksdeutschen’ und ‚Reichsdeutschen’. Diese Denktradition, der zufolge überall wo deutsch gesprochen werde auch Deutsche leben müssten, ist sehr viel älter und diente schon, in Ermangelung eines deutschen Nationalstaates, sehr viel früher als Klammer für eine gemeinsame deutsche Identität. Dies wird z.B. in dem Lied ‚Wo ist des Deutschen Vaterland?’ von Ernst Moritz Arndt von 1813 deutlich. Arndt verortet Deutschland überall dort, wo die ‚deutsche Zunge klingt’.

[23] Bade, Klaus: Wege in die Bundesrepublik, in: ders. (Hrsg.): Neue Heimat im Westen, 1990, S. 5-14. hier: S.7

[24] Für Elias ist Macht der zentrale Faktor menschlichen Zusammenlebens, deshalb stellt er auch die Verflechtungen der Menschen untereinander in den Mittelpunkt seiner Analyse. Er untersucht die Interdependenzen unter ihnen und bildet daraus Figurationsmodelle. Diese Figurationen sind dynamische Gebilde die insgesamt ungeplant verlaufen und, über lange Zeiträume, eben nicht an Interessen einzelner Individuen ausgerichtet sind.

Machtbeziehungen sind immer wechselseitig ohne symmetrisch sein zu müssen, doch besteht eine Interdependenz zwischen den Gruppen in der Form dass auch die machtschwächere Gruppe irgendeine - zumindest kleine - Bedeutung für die machtstärkere Gruppe hat, die machtschwächere ist also nicht völlig machtlos. Machtbalancen sind aber auch dynamisch, können sich stabilisieren aber auch völlig umkehren. Wichtige Faktoren bei Machtbalancen zwischen Gruppen ist der Grad der Kohäsion, Instrumente der Machtausübung sind Stigmatisierung der anderen als Fremde, Vorverurteilungen der Mitglieder der fremden Gruppe sowie individuelle und kollektiver Ausschluss aus gesellschaftlichen Prozessen. aus: Baumgart, Ralf: Norbert Elias zur Einführung, Hamburg, 1997, S. 114-120

[25] Baumgart, 1997, S. 143

[26] Karl Popper, österreichisch-britischer Philosoph, (*1902 Wien, †1994 London)

[27] gefunden bei: Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim: Aspekte der internationalen Migration, in: IMIS-Beiträge, hrsg. vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, Universität Osnabrück, Heft 12, 1999, S. 141-148, hier S. 141

[28] So der Titel von Simmels Aufsatz

[29] Und wenn doch, haben sie keine Schriften dazu veröffentlicht.

[30] Eine genaue Zahl gibt es nicht, nach Schätzungen der Projektleiterin Cornelia Eisler des Projektes „Dokumentation der Heimatsammlungen“
am Seminar für Europäische Ethnologie der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in einem Schreiben an mich, dürfte es sich um ca. 400-500 Heimatstuben handeln und darüber hinaus um unzählige, teilweise sehr kleinen, privaten Initiativen, die den Charakter einer Heimatstube tragen.

[31] vgl. Elias, Norbert; Scotson, John L.: Etablierte und Außenseiter, Frankfurt am Main, 1976/2002, S. 23ff. (das Original „The Established and the Outsiders“ ist erstmals 1965 erschienen, der deutschen Ausgabe von 2002 ist noch der Text „Zur Theorie von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen“ von 1976 vorangestellt, woran Elias die alleinige Autorenschaft hält)

[32] vgl. Elias, 1976/2002, S. 25

[33] Kanus, Hubertus: Unter dem Joch der Tradition, in: Merian, 33. Jg., Heft 11, 1980, S. 40-43

[34] vgl. Jeggle, Utz: Kaldaunen und Elche. Kulturelle Sicherungssysteme bei Heimatvertriebenen, in: Hoffmann, Dierk; Krauss, Marita; Schwartz, Michael: Vertriebene in Deutschland: interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven, München, 2000, S. 403

[35] das Deutschlandtreffen der Ostpreußen fand am 10. und 11. Mai 2008 auf dem Messegelände Berlin statt und ist eine jährlich wiederkehrende Veranstaltung der Landsmannschaft Ostpreußen e.V..

[36] bei meinen Besuchen dieser drei Heimatstuben am 21. und 28. April 2009

[37] bei meinem Besuch der Heimatstube Krickerhau in Voerde am 27. April 2009

[38] Elias, Norbert; Scotson, John L.: Etablierte und Außenseiter, Frankfurt am Main, 2002, (das Original „The Established and the Outsiders“ ist erstmals 1965 erschienen, der deutschen Ausgabe von 2002 ist noch der Text „Zur Theorie von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen“ von 1976 vorangestellt, woran Elias die alleinige Autorenschaft hält)

[39] „Als Figuration bezeichnet Elias die Interdependenzgeflechte, die die einzelnen Menschen und ihre Motive aneinander binden und sie dazu bringen, in einer ganz spezifischen Weise zu handeln, in der sie vielleicht nicht handeln würden, wenn sie völlig frei, also frei von sozialen Abhängigkeiten wären.“ in: Baumgart, Ralf: Norbert Elias zur Einführung, Hamburg, 1997, S. 102

[40] Elias spricht von ‚Machtdifferentialen’ wenn er Machtunterschiede meint. Indem er den Ausdruck ‚Macht’ vermeidet, vermeidet er den Eindruck, dass ‚Macht’ etwas ist, was eine Gruppe besitzen könne. Macht ist nach Elias ein Beziehungsbegriff, „eine Struktureigentümlichkeit menschlicher Beziehungen – aller menschlichen Beziehungen“, eine Konstellation zwischen Individuen oder Gruppen. Er spricht auch von einer Machtbalance zwischen Etablierten und Außenseitern, die eben nicht ausbalanciert sein muss, dennoch eine Balance zwischen den Gruppen darstellt. Auch wenn diese Balance im Ungleichgewicht ist, sind beide Seiten aufeinander angewiesen in diesem interdependenten Verhältnis. Löste sich dieses Verhältnis, wäre auch die Machtbeziehung beendet, die Gruppen ständen in keinem gesellschaftlichen Verhältnis mehr zueinander. in: Baumgart, 1997, S. 114-120

[41] vgl. Elias, 1976/2002, S. 7-15

[42] vgl. Baumgart, 1997, S. 132-143

[43] vgl. ebenda

[44] Machtmittel (auch Machtquellen) sind für Elias Faktoren wie Gewalt, Geld, Sanktionspotential aber auch gesellschaftliche Positionen, . (nach: Baumgart, Ralf: Norbert Elias zur Einführung, Hamburg, 1997, S. 114-120)

[45] vgl. Elias, 1976/2002, S. 7-15

[46] vgl. Baumgart, 1997, S. 132-143

[47] vgl. ders., S. 137

[48] vgl. Elias, 1976/2002, S. 7-15

[49] Krauss

[50] Baumgart, 1997, S. 132

[51] siehe Han, 2006, S. 13-27

[52] ebenda, S. 44-61

[53] Elias, 1976/2002, S. 8

[54] vgl. ders., 1976/2002, S. 11

[55] vgl. Michels, Hans-Peter: Elias, Norbert, Scotson, John, Etablierte und Außenseiter, in: Oesterdiekhoff, Georg, W (Hg.): Lexikon der soziologischen Werke, Wiesbaden, 2001, S. 174

[56] Michels, 2001, S. 175

[57] vgl. Korte, Hermann: Die etablierten Deutschen und ihre ausländischen Außenseiter, in: Gleichmann, Peter; Goudsblom, Johan; ders. (Hrsg.): Macht und Zivilisation, 1984, S. 261-279, hier: S. 276

[58] Elias, 1976/2002, S. 7

[59] Elias und Scotson nutzen diesen hebräischen Begriff der so viel bedeutet wie Erkennungszeichen.

[60] vgl. Elias/Scotson, 1965/2002, S. 248-249

[61] vgl. Treibel, 2008a, S. 83

[62] vgl. Esser, Hartmut: Soziologie. Spezielle Grundlagen, Band VI: Sinn und Kultur, Frankfurt am Main, 2001, S. 482

[63] vgl. Elias, 1976/2002, S. 16

[64] vgl. ebenda

[65] Treibel, Figurationen von Etablierten und Außenseitern im Vereinigungsprozess, in: Zeitschrift für sozialwissenschaftlichen Diskurs, Jhg. 10, Heft 4/5, 1999, S. 151-156, hier: S. 152

[66] vgl. Claessens, Dieter: Das Fremde, Fremdheit und Identität, in: Schäffter, Ortfried (Hrsg.): Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung, Opladen, 1991, S. 45-55, hier S. 51

[67] vgl. Baumgart, 1997, S. 132-143

[68] vgl. Claessens, 1991, S. 51

[69] vgl. Treibel, 2008a, S. 82

[70] vgl. Elias, 1976/2002, S. 12

[71] vgl. Baumgart, S.132-143

[72] vgl. Baumgart, S. 132-143

[73] vgl. Treibel, 2008a, S. 80

[74] vgl. Baumgart, 132-143

[75] Baumgart, S.139 (Hervorhebungen im Text)

[76] ebenda

[77] vgl. Treibel, 2008a, S. 81

[78] vgl. Elias, 1976/2002, S. 7

[79] ebenda, S. 13

[80] ebenda

[81] vgl. ebenda, S. 15

[82] vgl. ebenda, S. 14

[83] vgl. ebenda, S. 13-17

[84] vgl. ebenda, S. 18-19

[85] vgl. ebenda, S. 19

[86] vgl. Treibel, 1999, S. 152

[87] Treibel, Annette: Die Soziologie von Norbert Elias. Eine Einführung in ihre Geschichte, Systematik und Perspektiven, Wiesbaden, 2008a, S. 82

[88] vgl. Elias, 1976/2002, S. 11

[89] vgl. Elias/Scotson, 1965/2002, S. 166-173

[90] vgl. ebenda, S. 171

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842830189
Dateigröße
639 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Berlin – 6 - Planen Bauen Umwelt, Studiengang Soziologie
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,5
Schlagworte
flucht vertreibung heimatvertriebene schlesien ausschluss osteuropa
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Titel: Die Integration der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen in Westdeutschland nach dem II. Weltkrieg
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