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Wie zutreffend sind kantianische Einwände gegen das Mitleid als Motivationsquelle moralischen Handelns?

Eine Gegenüberstellung von Mitleid und Vernunft

©2011 Bachelorarbeit 37 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Im Allgemeinen wird Moral als etwas verstanden, das vorgibt, wann eine Handlung als richtig bzw. gut bewertet werden kann. Dies lässt natürlich eine Reihe von Fragen offen und so wurden in der Geschichte die unterschiedlichsten Versuche unternommen, Konzepte zu entwickeln, die den Moralbegriff klar definieren und dabei bestimmte generelle Forderungen an diesen Begriff erfüllen sollten. Zu diesen Forderungen gehören beispielsweise Universalität und Handlungswirksamkeit unter Voraussetzung eines absoluten Wertes, einer Idee des Guten und damit auch eine nachvollziehbare Begründung all dessen.
Ich werde in dieser Arbeit zwei Konzeptionen gegenüberstellen, die den moralischen Wert einer Handlung am Handlungsmotiv festmachen. Diese Konzeptionen werden deswegen auch als Gesinnungsethiken bezeichnet, doch ist die genannte Tatsache auch schon die einzig wirkliche Gemeinsamkeit der beiden Entwürfe. Es geht hier um Arthur Schopenhauers Mitleidsethik und Immanuel Kants Pflichtenethik.
Schopenhauer vertritt mit seiner Mitleidsethik einen besonderen Standpunkt in der Welt der Moralkonzeptionen, da er keine Idee des Guten postuliert oder zu begründen versucht. Er nimmt damit der Moral jede Normativität, die bei anderen Konzeptionen und auch beim Alltagsverständnis der Moral eigentlich üblich sind. Für ihn hat die Ethik lediglich die Aufgabe zu beschreiben und zu systematisieren, welche Handlungen gut sind und zu klären, welche Motive dabei psychologisch wirken. Es geht für ihn also darum Motive und Charaktereigenschaften des guten Handelns empirisch zu identifizieren und in einem späteren Schritt dann zu erklären, wie und wann positive Motive egoistische und boshafte Motive bzw. Menschen bestimmen. Dies tut er dann in seiner Konzeption und entdeckt das Mitleid als einziges und echtes moralisches Motiv, aus welchem allein gute Handlungen entspringen. Dies liegt daran, dass es sich immer auf das ‚Wehe‘ anderer Wesen bezieht und den Willen dann zur Beseitigung des Leidens und zur Förderung des ‚Wohls‘ des anderen triebt. Es ist für ihn also nicht nur ein bloßer Gefühlszustand, dem unter Umständen keine Handlungen folgen. Es ist eine Willensrichtung und ein handlungsleitendes, also handlungswirksames Motiv und kann sich sogar auf raum-zeitlich entferntes beziehen. Es kann also Leiden auch vorgreifen und sich auf indirekt vermitteltes Leid beziehen.
Kant mit seiner Pflichtenethik wird den allgemeinen Forderungen an die Moral hingegen eher […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Hans Puchowka
Wie zutreffend sind kantianische Einwände gegen das Mitleid als Motivationsquelle
moralischen Handelns?
Eine Gegenüberstellung von Mitleid und Vernunft
ISBN: 978-3-8428-2901-5
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
Zugl. Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland,
Bachelorarbeit, 2011
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2012

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Gliederung
1.
Einleitung
3
2.
Rekonstruktion der Mitleidskonzeption Schopenhauers
5
2.1
Sollen` versus ,Sein`
5
2.2
Motivation
6
2.3
Das Fundament des Fundaments der Moral
8
2.4
Die Tugenden der Gerechtigkeit und Menschenliebe
10
3.
Diskussion um das Mitleid
12
3.1
Das
Problem
der
Objektivität
14
3.2
Das
Problem
der
Reichweite
20
3.3
Das
Problem
der
Universalisierung
26
4.
Fazit
32

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1.
Einleitung
Im Allgemeinen wird Moral als etwas verstanden, das vorgibt, wann eine Handlung als richtig
bzw. gut bewertet werden kann. Dies lässt natürlich eine Reihe von Fragen offen und so
wurden in der Geschichte die unterschiedlichsten Versuche unternommen, Konzepte zu
entwickeln, die den Moralbegriff klar definieren und dabei bestimmte generelle
Forderungen an diesen Begriff erfüllen sollten. Zu diesen Forderungen gehören
beispielsweise Universalität und Handlungswirksamkeit unter Voraussetzung eines absoluten
Wertes, einer Idee des Guten und damit auch eine nachvollziehbare Begründung all dessen.
Ich werde in dieser Arbeit zwei Konzeptionen gegenüberstellen, die den moralischen Wert
einer Handlung am Handlungsmotiv festmachen. Diese Konzeptionen werden deswegen
auch als Gesinnungsethiken bezeichnet, doch ist die genannte Tatsache auch schon die
einzig wirkliche Gemeinsamkeit der beiden Entwürfe. Es geht hier um Arthur Schopenhauers
Mitleidsethik und Immanuel Kants Pflichtenethik.
Schopenhauer vertritt mit seiner Mitleidsethik einen besonderen Standpunkt in der Welt der
Moralkonzeptionen, da er keine Idee des Guten postuliert oder zu begründen versucht. Er
nimmt damit der Moral jede Normativität, die bei anderen Konzeptionen und auch beim
Alltagsverständnis der Moral eigentlich üblich sind. Für ihn hat die Ethik lediglich die Aufgabe
zu beschreiben und zu systematisieren, welche Handlungen gut sind und zu klären, welche
Motive dabei psychologisch wirken. Es geht für ihn also darum Motive und
Charaktereigenschaften des guten Handelns empirisch zu identifizieren und in einem
späteren Schritt dann zu erklären, wie und wann positive Motive egoistische und boshafte
Motive bzw. Menschen bestimmen. Dies tut er dann in seiner Konzeption und entdeckt das
Mitleid als einziges und echtes moralisches Motiv, aus welchem allein gute Handlungen
entspringen. Dies liegt daran, dass es sich immer auf das ,Wehe` anderer Wesen bezieht und
den Willen dann zur Beseitigung des Leidens und zur Förderung des ,Wohls` des anderen
triebt. Es ist für ihn also nicht nur ein bloßer Gefühlszustand, dem unter Umständen keine
Handlungen folgen. Es ist eine Willensrichtung und ein handlungsleitendes, also

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handlungswirksames Motiv und kann sich sogar auf raum-zeitlich entferntes beziehen. Es
kann also Leiden auch vorgreifen und sich auf indirekt vermitteltes Leid beziehen.
Kant mit seiner Pflichtenethik wird den allgemeinen Forderungen an die Moral hingegen
eher gerecht, und schafft dabei einen der wohl umfassendsten Begründungsversuche einer
moralischen Konzeption. Dazu bietet er eine Idee des moralisch bzw. uneingeschränkt
Guten, dessen Form im ,Kategorischen Imperativ` erkennbar wird und das selbst durch die
reine praktische Vernunft, die intelligibler Wesenskern der Menschen sein soll, begründet
ist. Danach ist eine Handlung gut, wenn ihr ein guter Wille zu Grunde liegt. Dieser ist aber
nur vorhanden, wenn er sich objektiv, d.h. qua der Vernunft am (moralischen) Gesetz
orientiert und sich subjektiv, d.h. durch das psychologische Moment der Achtung vor dem
Gesetz leiten lässt, also zusammengefasst pflichtentreu bzw. aus Pflicht den Normen des
Gesetzes folgt.
Es lässt sich daher sagen, dass für Kant die Bedeutung der Moralbegründung über der
Bedeutung der moralischen Motivation steht. Letztere folgt gewissermaßen unweigerlich
der Begründung. (Wenn in dieser Arbeit von moralischer Motivation die Rede ist, so meine
ich ein psychologisches Moment, das allein subjektiv erkennbar ist und gefühlsmäßig auf den
Willen wirkt.) Schopenhauer hingegen meint, dass, sofern man überhaupt von einer
Moralbegründung sprechen kann, diese erst auf der Grundlage der moralischen Motivation
folgen kann. Er spricht aber, bezogen auf das Mitleid als das von ihm erkannte einzige
moralische Motiv, von einem Fundament statt von einer Begründung der Moral, da es die
empirisch nachweisbare Grundlage seiner Konzeption darstellt, sich jeder weitere
argumentative Schritt seines Entwurfs letztlich darauf bezieht und selbst keiner weiteren
Grundlage bedarf.
Im Folgenden soll es darum gehen, Schopenhauers Mitleidsethik besser zu verstehen und im
Anschluss daran Einwänden gegenüber zustellen, deren argumentative Grundlage zum einen
mit den Forderungen des alltäglichen Moralbegriffs zusammenfallen, beispielsweise
Normativität zu verlangen und zum anderen die reine Vernunft zum Maßstab einer
moralischen Handlung macht, vornehmlich durch die kantische Position. Und hierbei ist die
Frage, wie zutreffend kantianische Einwände gegen das Mitleid als Motivationsquelle
moralischen Handelns sind?

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2.
Rekonstruktion der Mitleidskonzeption Schopenhauers
2.1
,Sollen` versus ,Sein`
Auch Schopenhauer bemerkte, dass es in der Geschichte üblich war, Ethik und Moral
metaphysisch zu begründen und in imperativer Form zu konzipieren. Dies zeigt sich in
theologischen Vorstellungen und in jüngerer Zeit vor allem in der kantianischen Ethik,
welche Schopenhauer harsch kritisiert. Kants kategorischer Imperativ betrifft das ,Sollen`
menschlichen Handelns. Ethik und Philosophie kann nach Schopenhauer aber nur anhand
von Gegebenen gedeutet und erklärt werden. Allein das sollte schon anspruchsvoll genug
sein, sodass alles weitere, wie eben solche geschaffenen Normen, lediglich Annahmen, d.h.
ohne echte Grundlage sein können. Dazu gehören für Schopenhauer auch die reinen
moralischen Gesetze Kants. Der menschliche Wille ist letztlich nur einem Gesetz
unterworfen, das der Motivation und zwar im kausalen Sinne, also einem Naturgesetz.
,Künstlich geschaffene` Gesetze, Vorschriften, das ,Sollen` aber auch die ,Plicht` sind in der
Ethik Folge eines ,Mosaischen Dekalogs`, einer theologischen Moral, die aber unbewiesen ist
anhand der menschlichen Natur oder einer objektiven Welt (Schopenhauer §4, S.648). Für
Schopenhauer ist es Folge der Religiosität der Menschen, dass sie glauben, Ethik müsse in
einem gewissen Sinne gebietend sein. Derartige Imperative ergeben sich aber nicht
unmittelbar aus menschlicher Motivation, sondern eben aus Glauben und Überlegung. Und
Gesetzestreue ergibt sich durch die Androhung von Sanktionen. Offensichtlich kann die
öffentliche Gewalt und Gesetzgebung nicht überall sein und vor allem keine (moralische)
Wohlfahrt erzwingen. ,,Künstliche Begriffskombinationen (bzw. Subtilitäten, wie die in Kants
Ethik, aber auch andere) können ... nimmermehr den wahren Antrieb zur Gerechtigkeit und
Menschenliebe enthalten." (Schopenhauer §12, S.716) Denn jedes ,Sollen` ist rein
hypothetisch bzw. relativ aber niemals kategorisch. Selbst Kants unbedingtes ,Sollen`
verlangt eine praktische Vernunft, die das höchste Gut (die Vereinigung von Tugend und
Glückseligkeit) zur Folge haben soll und damit nicht moralisch sondern eigennützig ist. Kants
Moralphilosophie ist für Schopenhauer also letzten Endes nur eine weitere theologische
Moral. Aus diesen Gründen versucht Schopenhauer eine natürliche von menschlicher

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Satzung unabhängige Moral zu kreieren bzw. zu finden. Seine Morallehre soll nämlich in
erster Linie das ,Sein` menschlichen Handelns empirisch untersuchen und auf letzte Gründe
zurückführen, nicht aber ein ,Sollen` deduktiv oder induktiv herleiten.
Ein Hauptteil des menschlichen Handelns so glaubt er, ist dem Egoismus geschuldet. Aber er
ist sich auch bewusst darüber, dass es unzweifelhaft Einzelfälle der Uneigennützigkeit gibt.
Trotzdem ist die menschliche Motivation zum Handeln zumeist moralisch verdorben oder
amoralisch. Dies wird durch die Bändigung der äußeren Notwendigkeiten aber verschleiert.
Religion, Gewissen oder auch das Fundament der Moral hätten nur wenig Wirkung ohne
diese Notwendigkeiten. Dies zeigt beispielsweise das Gewissen, welches als ein Motivator
für uneigennütziges Handeln nicht fungieren kann, denn es meist ein falsches Gewissen ist,
,,etwas aus jeweils 1/5 Menschenfurcht, 1/5 Deisidaimonie, 1/5 Vorurteil, 1/5 Eitelkeit und
1/5 Gewohnheit" (Schopenhauer §13, S.723), welches einen nur plagt, wenn eigene
Vorsätze, Grundsätze und Überzeugungen (welcher Art sie auch immer sein mögen)
selbstverschuldet gebrochen werden. Schopenhauer entdeckt das Mitleid, als ein
moralisches Gefühl, da es sich unmittelbar auf das Wohl bzw. Wehe anderer bezieht, und
erklärt dieses als Fundament der Moral, als einzige moralische Motivationsquelle. Eine
Handlung von moralischem Wert muss also durch Mitleid motiviert sein. Eine schlichte
Konformität der Handlung mit allgemein als moralisch akzeptierten Handlungen reicht daher
nicht aus, um sie als moralisch zu deklarieren. Es ist die Absicht, der Grund hinter der
Handlung, die für die Zuschreibung von Moral entscheidend ist.
2.2
Motivation
Für Schopenhauer gibt es nur drei Grundtriebfedern bzw. drei grundlegende Arten der
Motivation menschlichen Handelns, den Egoismus, der das eigene Wohl will und welcher
grenzenlos ist (Schopenhauer §14, S.727), die Bosheit, die das fremde Wehe will (bis zur
äußersten Grausamkeit) und das Mitleid, welches das fremde Wohl will (bis zum Edel- bzw.
Großmut) bzw. das Leid des anderen beseitigt sehen will. Denn am Glücklichen hat man
keinen unmittelbaren Anteil, schon gar nicht durch das Mitleid. Daher bezeichnet
Schopenhauer Grausamkeit auch als ,,das gerade Gegenteil des Mitleids" (Schopenhauer

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§19, S.766) Dies zeigt sich auch in der leichtfüßigen Aufhebung von Grausamkeit durch
Mitleid. ,,Überhaupt wird unsere gehässige Stimmung gegen andere durch nichts so leicht
beseitigt, als wenn wir einen Gesichtspunkt fassen, von welchem aus sie unser Mitleid in
Anspruch nehmen." (Schopenhauer §19, S.773) Das besondere am Mitleid also ist, dass es
zwei Dimensionen hat, die eine bremst den Egoismus und hält von schädigenden bzw.
leidverursachenden Handlungen ab und ist insofern negativ, die andere bremst die Bosheit,
indem nicht das Wehe anderer, sondern deren Wohl Zweck des Handelns wird und ist
insofern positiv. Alle drei Grundtriebfedern sind durchaus kombinierbar, aber nur Mitleid
allein hat moralischen Wert, da es aus unmittelbarer Motivation dem Wohl des anderen
dient und so hat auch eine Handlung nur moralischen Wert, wenn sie allein aus Mitleid
erfolgt.
Also gibt es für Schopenhauer zwei amoralische bzw. antimoralische Triebfedern
menschlichen Handelns, Egoismus und Übelwollen bzw. Gehässigkeit. Da Übelwollen und
Gehässigkeit Leid und Schmerz anderer zum Zwecke haben, sind sie moralisch betrachtet
noch schlechter als der Egoismus, auch wenn derartige Handlungen uneigennützig daher
kommen können. Schopenhauer bezeichnet ihn als natürlich (tierisch) und sie als teuflisch.
Nun kann es nach Schopenhauer nur der empirischen Philosophie obliegen, eine
entgegengesetzte Neigung der Menschen zu beweisen. Doch eine empirische Untersuchung
moralischer Antriebe scheint unmöglich, denn eine wissenschaftliche Methode Absichten zu
erfahren gibt es nicht. Trotzdem glaubt Schopenhauer an seine Intuition und an die Einsicht
seiner Leser, ,,dass (zumindest bei den wenigen wahrhaft Gerechten) man oft gerecht
handelt einzig und allein, damit dem anderen kein Unrecht geschehe" (Schopenhauer §15,
S.735). Er glaubt sogar, dieser Grundsatz könnte bei manchen angeboren sein. Allein solche
Handlungen haben echten moralischen Wert. Wer dies bestreitet, so Schopenhauer, der
bestreitet den Gegenstand der Moral, welche dann nicht real sein kann. ,,Die Abwesenheit
aller egoistischen Motivation ist das Kriterium einer Handlung von moralischem Wert"
(Schopenhauer §15, S.736). Zwei weitere weniger evidente Kriterien sind, dass Handlungen
von moralischem Wert den ,,Beifall des Gewissens" (Schopenhauer §15, S.736), eine gewisse
Zufriedenheit mit dem eigenen selbst hervorrufen, sowie ,,den Beifall und die Achtung der
unbeteiligten Zeugen" (Schopenhauer §15, S.736). Solche Handlungen sind es nun, die der
Moralphilosophie als Gegenstand dienen sollen, die Grundlage der Moral, also den Antrieb
zu solchen Handlungen zu untersuchen. Nun will Schopenhauer beweisen, dass es nur eine

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echte moralische Motivation für Handlungen von moralischem Wert geben kann und stellt
dazu neun Voraussetzungen auf (Schopenhauer §16), aus denen grob hervorgeht, dass eine
Handlung, die im Interesse eines Anderen geschieht, sein ,Wohl und Wehe` unmittelbar als
das eigene Motiv haben muss und zwar in derselben Weise, wie es bei allen anderen
Handlungen das eigene ,Wohl und Wehe` unmittelbar ist. Dies setzt voraus, dass das Wehe
des Anderen das eigene Mitleid weckt, welches bis zu einem gewissen Grade identifizierbar
ist mit dem Leid des Anderen. Das Mitleid ist also die unmittelbare und unabhängige
Teilnahme am Leid eines Anderen. Es motiviert dieses Leid des Anderen aufzuheben oder zu
verhindern und hinterlässt eine Befriedigung, ein Wohlsein, sofern dies geschafft wird.
Daher ist dieses Mitleid nach Schopenhauer die einzige wirkliche Basis der Gerechtigkeit und
Menschenliebe und damit der Moral. Zudem ist Mitleid real wirksam, zu allen Zeiten, bei
allen Menschen im Großen und im Kleinen. Philosophische, begriffliche und religiöse
Dogmen hingegen nicht.
Nun erwähnt Schopenhauer selbst, einen zentralen Einwand (Cassinas) gegen die Annahme
des Mitleids, als einzige moralische Motivation. Dieser besagt, dass die unmittelbare
Teilnahme am Leid anderer, die Identifikation des Anderen mit dem eigenen Selbst ist. Und
insofern wäre das Mitleid auch nur egoistisch motiviert, da man versucht ist das eigene Leid,
welches in Form des Mitleids auftritt, zu beseitigen. Schopenhauer antwortet etwas
transzendental, dass beim Mitleid kein eigenes Leid empfunden wird, sondern das Leid der
anderen Person in der anderen Person. ,,Wir leiden mit ihm, also in ihm" (Schopenhauer §16,
S.744)
2.3
Das Fundament des Fundaments der Moral
Laut Schopenhauer muss die Ethik notwendig auf etwas tatsächlich oder real Vorhandenes,
wie dem Mitleid stützen. Als Urphänomen bleibt es für ihn aber unaufgeklärt und bedarf
einer Metaphysik, welche die Eigenart und das Wesen des Mitleids, sowie dessen Charakter
im Auftreten erklären soll. Denn die ethische Bedeutsamkeit von Handlungen wird nach
Schopenhauers Meinung zugleich für eine metaphysische Bedeutsamkeit gehalten. Dies zeigt
sich für ihn beispielsweise in der allgemeinen Tendenz zur Moral, zur moralischen Rücksicht

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842829015
DOI
10.3239/9783842829015
Dateigröße
336 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg – Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften, Institut für Philosophie
Erscheinungsdatum
2012 (Februar)
Note
2
Schlagworte
moral mitleid vernunft kant ethik handeln schopenhauer
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