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Staatstätigkeit am Beispiel der Hartz-Reformen: Anwendungen der Theorien der sozioökonomischen Determination sowie der Parteiendifferenz auf das Zustandekommen der Schröderschen Arbeitsmarktreform

©2010 Studienarbeit 35 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Trotz einer persistent hohen Arbeitslosigkeit, welche die Notwendigkeit den Arbeitsmarkt zu reformieren alternativlos erscheinen ließ, ist auf diesem Gebiet in der Bundesrepublik lange Zeit viel zu wenig geschehen. So wurde Deutschland im Jahr 2003 in einer Sonderausgabe der Zeitschrift ”West European Politics’ schon als ein Land charakterisiert, ‘that is unable to proceed with the pressing reforms needed to react to declining economic performance.’ Erst mit der Einsetzung der so genannten Hartz-Kommission zur Modernisierung des Arbeitsmarktes sollte sich dies ändern, da Bundeskanzler Gerhard Schröder die Verwirklichung von deren Vorschlägen zur obersten Priorität seiner zweiten Amtsperiode erklärte. Obwohl sich die angestrebte 1:1-Umsetzung im politischen Prozess nicht durchsetzen ließ, erscheinen die im Rahmen der Hartz-Gesetze erzielten Reformen des Arbeitsmarktes dennoch als eines der ambitioniertesten Reformvorhaben der deutschen Sozialversicherungspolitik seit Bestehen der Bundesrepublik. Die Tatsache, dass die insbesondere mit dem vierten Hartz-Gesetz einhergehende wohlfahrtsstaatliche Kürzungspolitik, welche von der FAZ als ‘größte Kürzung von Sozialleistungen seit 1949’ bezeichnet wurde, ausgerechnet von einer rot-grünen Bundesregierung unter der Führung eines sozialdemokratischen Kanzlers sowie dem ebenfalls sozialdemokratischen Wirtschafts- und Arbeitsministers Wolfgang Clement durchgesetzt wurde, ist äußerst beachtlich.
Die vorliegende Arbeit vertritt die These, dass der ökonomische Handlungsdruck auf die Bundesregierung, resultierend aus einer stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung, welche sich vor allem durch niedrige BIP-Wachstumsraten und einer ausgehend von einem hohen Sockelniveau weiter ansteigenden Arbeitslosigkeit kennzeichnete, so groß geworden ist, dass sie sich zu einer Abkehr ihres ursprünglich eingeschlagenen Pfades in der Sozialpolitik gezwungen sah.
Bezogen auf die Theorien der Vergleichenden Staatstätigkeitsforschung impliziert diese These, dass sich die Theorie der sozioökonomischen Determination am besten eignet, um den Kurswechsel der rot-grünen Regierungskoalition zu erklären. Die Tatsache, dass kontraktive wohlfahrtsstaatliche Reformen gegen den immensen Widerstand aus weiten Teilen der eigenen Klientel durchgesetzt wurden, führt wiederum zu der Schlussfolgerung, dass eine Anwendung der Parteiendifferenztheorie im Falle der Hartz-Gesetze als Erklärungsgrundlage wenig geeignet […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorien der Staatstätigkeitsforschung
2.1. Theorie der sozioökonomischen Determination
2.2. Die Parteiendifferenztheorie
2.3. Probleme bei der Anwendung der Theorien der Vergleichenden Staatstätigkeit zur Erklärung von kontraktiven wohlfahrtsstaatlichen Reformen.

3. Die rot-grüne Arbeitsrechtspolitik vor den Hartz-Reformen
3.1. Bestandteile der Hartz-Reformen
3.1.1. Reformen zur besseren Vermittlung von Arbeitslosen
3.1.2. Reformen zur Erhöhung des Arbeitsangebotes
3.1.3. Reform der Arbeitslosenversicherung

4. Theoretische Auseinandersetzung mit den Hartz-Reformen
4.1. Anwendung der Theorie der sozioökonomischen Determination
4.2. Anwendung der Parteiendifferenztheorie

5. Fazit

Literatur- und Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Wachstumsrate des preis- und kalenderbereinigten BIP

Abbildung 2: Entwicklung von Erwerbstätigkeit und Erwerbslosigkeit

Abbildung 3: Steuereinnahmen in Mrd. Euro

Abbildung 4: Meinungsumfrage zum Hartz IV-Gesetz

Abbildung 5: Sonntagsfragen seit Oktober 1998

1. Einleitung

Trotz einer persistent hohen Arbeitslosigkeit, welche die Notwendigkeit den Arbeitsmarkt zu reformieren alternativlos erscheinen ließ, ist auf diesem Gebiet in der Bundesrepublik lange Zeit viel zu wenig geschehen. So wurde Deutschland im Jahr 2003 in einer Sonderausgabe der Zeitschrift ”West European Politics“ schon als ein Land charakterisiert, “that is unable to proceed with the pressing reforms needed to react to declining economic performance.“[1] Erst mit der Einsetzung der so genannten Hartz-Kommission[2] zur Modernisierung des Arbeitsmarktes sollte sich dies ändern, da Bundeskanzler Gerhard Schröder die Verwirklichung von deren Vorschlägen zur obersten Priorität seiner zweiten Amtsperiode erklärte. Obwohl sich die angestrebte 1:1-Umsetzung[3] im politischen Prozess nicht durchsetzen ließ, erscheinen die im Rahmen der Hartz-Gesetze[4] erzielten Reformen des Arbeitsmarktes dennoch als eines der ambitioniertesten Reformvorhaben der deutschen Sozialversicherungspolitik seit Bestehen der Bundesrepublik.[5] Die Tatsache, dass die insbesondere mit dem vierten Hartz-Gesetz einhergehende wohlfahrtsstaatliche Kürzungspolitik, welche von der FAZ als „größte Kürzung von Sozialleistungen seit 1949“[6] bezeichnet wurde, ausgerechnet von einer rot-grünen Bundesregierung unter der Führung eines sozialdemokratischen Kanzlers sowie dem ebenfalls sozialdemokratischen Wirtschafts- und Arbeitsministers Wolfgang Clement durchgesetzt wurde, ist äußerst beachtlich.

Die vorliegende Arbeit vertritt die These, dass der ökonomische Handlungsdruck auf die Bundesregierung, resultierend aus einer stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung, welche sich vor allem durch niedrige BIP-Wachstumsraten und einer ausgehend von einem hohen Sockelniveau weiter ansteigenden Arbeitslosigkeit kennzeichnete, so groß geworden ist, dass sie sich zu einer Abkehr ihres ursprünglich eingeschlagenen Pfades in der Sozialpolitik gezwungen sah.

Bezogen auf die Theorien der Vergleichenden Staatstätigkeitsforschung impliziert diese These, dass sich die Theorie der sozioökonomischen Determination am besten eignet, um den Kurswechsel der rot-grünen Regierungskoalition zu erklären. Die Tatsache, dass kontraktive wohlfahrtsstaatliche Reformen gegen den immensen Widerstand aus weiten Teilen der eigenen Klientel durchgesetzt wurden, führt wiederum zu der Schlussfolgerung, dass eine Anwendung der Parteiendifferenztheorie im Falle der Hartz-Gesetze als Erklärungsgrundlage wenig geeignet erscheint.

Im Folgenden zweiten Teil werden die Theorien der Vergleichenden Staatstätigkeit vorgestellt. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf die Theorie der sozioökonomischen Determination und auf die Parteiendifferenztheorie gelegt. Ferner wird auf die Debatte eingegangen, ob die Theorien der Vergleichenden Staatstätigkeitsforschung, welche in erster Linie zur Erklärung von Wohlfahrtsstaatsexpansionen benutzt wurden, überhaupt geeignet sind, um Kürzungspolitiken im Bereich der Sozialpolitik zu erfassen. Nachdem im dritten Teil der vorliegenden Arbeit zuerst auf die Ausrichtung der Arbeitsrechtpolitik der Schröder-Regierung seit Amtsübernahme im Jahr 1998 bis zur Implementierung der Hartz-Gesetze eingegangen wurde, kommt es dann zu deren inhaltlicher Vorstellung. Im vierten Teil werden die Theorien auf die Hartz-Reformen angewandt. Der Schwerpunkt wird hierbei auf das Hartz IV-Gesetz gelegt. In diesem Zusammenhang wird unter anderem die wirtschaftliche Situation Deutschlands zum Zeitpunkt der Einsetzung der Hartz-Kommission sowie die Reaktion der Bevölkerung auf die eigentlichen Gesetzesinhalte beschrieben. Im abschließenden Fazit erfolgt dann noch einmal eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Darüber hinaus wird die Rolle, die das Mehrebenensystem der Europäischen Union auf die Ausgestaltung der Hartz-Gesetze gespielt hat, beleuchtet und eine bewertende Stellungnahme gezogen.

2. Theorien der Vergleichenden Staatstätigkeitsforschung

Die „Heidelberger Schule“ um Manfred G. Schmidt hat folgende Determinanten identifiziert, welche als Erklärungsansätze für Staatstätigkeit herangezogen werden und versuchen, die Dynamiken der europäischen Wohlfahrtsstaaten zu erfassen:[7]

- Die Theorie der sozioökonomischen Determination
- Die Parteiendifferenztheorie
- Der Machtressourcen-Ansatz
- Die Theorie des politischen Institutionalismus
- Die Internationale Hypothese
- Die Lehre vom Politik-Erbe

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich im Wesentlichen auf die Theorien der sozioökonomischen Determination auf der einen und der Parteiendifferenztheorie auf der anderen Seite. Diese beiden Theorien wurden ausgewählt, da sie am besten geeignet erscheinen, die Eingangsthese zu überprüfen. Ferner erklären diese beiden Theorien Staatstätigkeit aus einem grundsätzlich verschiedenen Blickwinkel. Während bei der Parteiendifferenztheorie die Schlüsselindikatoren für die Staatstätigkeit innerhalb des politischen Systems liegen, sind die Schlüsselindikatoren für die Theorie der sozioökonomischen Determination außerhalb des selbigen angesiedelt, was dazu führt, dass sich beide Theorien gut ergänzen und sich somit für eine gleichzeitige Betrachtung im Zuge der Hartz-Gesetzgebung anbieten.

2.1. Die Theorie der sozioökonomischen Determination

Die Theorie der sozioökonomischen Determination ist der älteste Theoriestrang, demzufolge Staatstätigkeit als Reaktion auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen und auf daraus resultierende Funktionsprobleme politischer Gemeinwesen gesehen wird.[8] Allgemein kann man sagen, dass die Theorie der sozioökonomischen Theorie Staatstätigkeit mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedarfslagen der Bevölkerung auf der einen Seite sowie sozioökonomischen Ressourcen der Gesellschaft und des Staates auf der anderen Seite erklärt. Politikinhalte werden demnach bedarfs- und ressourcenorientiert gesehen.[9]

Herausgehobene Bedeutung für die Ausgestaltung der Politikinhalte wird dabei gesellschaftlichem Wandel zugerechnet. Kernthese ist, dass mit zunehmendem wirtschaftlichen Entwicklungsgrad und gesellschaftlicher Modernisierung eine Nachfragesteigerung nach staatlichen Sozialeistungen einhergeht, welche das von bestehenden Institutionen bereitgestellte Angebot übersteigt. Exemplarisch anzuführen ist in diesem Kontext die Einführung erster staatlicher Sozialpolitikprogramme als politische Reaktion auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse, welche im Zuge der expandierenden Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhundert aufgetreten sind.[10] Um Systemstabilität gewährleisten zu können, ist es folglich die Aufgabe des Staates, auf aus gesellschaftlicher Entwicklung resultierende Strukturprobleme zu reagieren.[11] Diese Aufgabendefinition von Staatstätigkeit impliziert, dass der Staat aus Sicht der Theorie der sozioökonomischen Determination die Rolle eines Objektes einnimmt, dessen Handeln vom Primat des Gesellschaftlichen und des Wirtschaftlichen bestimmt wird.[12]

Ein wichtiger Vertreter der sozioökonomischen Theorie der Staatstätigkeit ist Harold Wilensky, der im Jahr 1975 in seiner Studie “The Welfare State and Equality“ untersucht hat, warum Mitte der 60er Jahre in 22 entwickelten Ländern die Sozialleistungsquote so stark variierte.[13] Er kam zu dem Schluss, dass “over the long pull, economic level is the root cause of welfare-state development”[14]. So seien Politiken der sozialen Sicherung eine natürliche Begleiterscheinung von Wirtschaftswachstum.[15]

In der Hervorhebung sozioökonomischer Entwicklungstrends sowie daraus resultierenden Handlungszwängen, die diese Trends auf die Staatstätigkeit ausüben, liegen die Stärken der Theorie der sozioökonomischen Determination. Schwächen der Theorie ergeben sich aus der Vernachlässigung der Analyse politischer Institutionen und Akteure auf Staatstätigkeit. Es wird übersehen, dass die relative Autonomie der Politik gegenüber der Gesellschaft und der Wirtschaft zur Folge hat, dass die Politik auf gegebene Problemlagen nicht nur mit Problemlösungen, sondern auch mit Ignoranz und Repression reagieren kann.[16] Genau an diesem Punkt setzt in der politikwissenschaftlichen Policy-Forschung die so genannte politics matters-These an, da es bei einer direkten kausalen Verknüpfung von Politikinhalten mit sozioökonomischen Größen ungeklärt bleibt, welche Kanäle gesellschaftlichen Problemdruck in konkrete Politikausgestaltung transformieren.[17]

Im Bezug auf die Fragestellung wird davon ausgegangen, dass im Gegensatz zu Wachstumsphasen wirtschaftliche Krisenphänomene und ihre Rückwirkungen auf öffentliche Haushalte die Durchsetzung kontraktiver wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen[18] befördern.[19]

2.2. Die Parteiendifferenztheorie

Die Parteiendifferenztheorie ist eine der wirkungsmächtigsten Theorien der Vergleichenden Staatstätigkeitsforschung.[20] Im Gegensatz zur Theorie der sozioökonomischen Determination liegen die Schlüsselindikatoren für Staatstätigkeit bei der Parteiendifferenztheorie innerhalb des politischen Systems. Der Theorie zur Folge sind im Zuge der Parlamentarisierung und der Demokratisierung des Wahlrechts in parlamentarischen Regierungssystemen mächtige Parteien entstanden, die ihre Politik nicht nur auf sachliche Ziele, sondern auch auf ihre Wahl- und Wiederwahlchancen ausrichten.[21] Die von Vertretern dieser Theorieschule formulierten Hypothesen besagen daher, dass die parteipolitische Färbung der Regierung unterschiedliche policy outputs[22] und demzufolge abweichende policy outcomes, in Form divergierender Resultate der Staatstätigkeit, begründet.[23]

Diese Annahme basiert auf einer Analyse, welche die Gesellschaft in unterschiedliche Klassen einteilt, deren Interessen sich grundlegend unterscheiden.[24] Dies führt wiederum zu unterschiedlicher Regierungspolitik, da jede Partei versucht, eine Politik durchzusetzen, welche die Interessen ihrer Wähler, die im Grundsatz der gleichen Klasse zugehörig sind, zu maximieren.[25] Der Grundgedanke der auch als “Parties-do-matter“-These bezeichneten Theorie ist also dem Konzept der Konsumentensouveränität nachgebildet, nachdem die Wähler der Regierungsparteien, deren Handeln maßgeblich beeinflussen.[26]

Die Parteiendifferenztheorie existiert in verschiedenen Varianten. Begründer der Theorie ist Douglas A. Hibbs, der die Wirtschaftspolitik in 12 westlichen Industrieländern verglichen hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Linksparteien mit Erfolg der Vollbeschäftigung Vorrang gegen Inflationsbekämpfung einräumen, wohingegen Rechtsparteien tendenziell eine auf Preisstabilität ausgerichtete Politik betreiben und dafür gegebenenfalls Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen.[27] Diese unterschiedliche Regierungsausrichtung schlägt sich nach Hibbs auch in den outcomes von Staatstätigkeit nieder, da er ferner zu dem Resultat gekommen ist, dass in Staaten, in denen sozialdemokratische Parteien die Regierung stellen, die Arbeitslosigkeit tatsächlich niedriger und die Inflationsrate höher sei als in Staaten, die von rechten Regierungen geführt werden.[28] In die gleiche Richtung gehen beispielsweise Forschungsergebnisse von Edward R. Tufte, der zu dem Schluss gekommen ist, dass “the government of a modern country exerts very substantial control over the pace of national economic life and the distribution of economic benefits“[29] und ferner u. a. den Wahlzeitpunkt als wichtige Determinante für das Regierungshandeln einführt.[30]

Obwohl die Parteiendifferenztheorie unbestritten wichtige Bestimmungsfaktoren von Staatstätigkeit in Massendemokratien benennt[31] und in vielen komparativen Arbeiten und politischen Mehrvariablenanalysen zur wohlfahrtsstaatlichen Politik empirische Bestätigung erfuhr[32], wurde sie jedoch auch dahingehend präzisiert, dass die Rahmenhandlungen des Regierungshandelns mit einbezogen werden. In diesem Zusammenhang ist der Beitrag von Alexander M. Hicks und Duane H. Swank zu nennen, welcher so genannte „Ansteckungstendenzen“ in der wohlfahrtsstaatlichen Ausrichtung von Parteien ausmacht, da diese beispielsweise von Oppositionsparteien oder kleineren Regierungspartnern in ihrem Handeln beeinflusst werden.[33] So würden “contagions from the left“ und “contagions from the right“ Sozialdemokratisierungstendenzen von Mitte-Rechtsparteien oder auch die Christdemokratisierung von Linksparteien erklären.[34]

Bilanzierend kann man bei der Parteiendifferenztheorie festhalten, dass 1. eine starke Verknüpfung zwischen Staat und Gesellschaft und 2. eine hohe politische Gestaltbarkeit unterstellt wird. Hierin liegen wohl auch die Stärken der Theorie, da sie sich auf die für Massendemokratien charakteristische enge Verknüpfung von Wählerpräferenzen auf der einen sowie materieller und symbolischer Regierungspolitik auf der anderen Seite fokussiert.[35] Des Weiteren wird mit der politisch-ideologischen Zugehörigkeit der Regierungsparteien eine für das politische Geschehen in Demokratien zentrale Größe untersucht. Ferner lässt sich die Parteiendifferenztheorie empirisch gut überprüfen und ihre grundlegende Richtigkeit wurde in einer Reihe von wissenschaftlichen Beiträgen bestätigt.[36]

Schwachstellen der Theorie sind in erster Linie in der Unterschätzung von institutionellen, politischen, rechtlichen und ökonomischen Grenzen der Regierungspolitik zu sehen, was wiederum zwangsläufig eine Überschätzung der Größe des politischen Handlungsspielraums von Regierungen nach sich zieht.[37] So ist beispielsweise in Ländern, in denen zahlreiche gegenmajoritäre Institutionen existieren, das Regierungshandeln stärker eingeschränkt als in Ländern, in denen dies nicht der Fall ist. Ferner ist eine Einteilung in sozio-ökonomische Klassen zur Ableitung von Interessendispositionen als problematisch anzusehen.[38]

Im Bezug auf die Fragestellung lässt die klassische Reversibilitätsannahme der Parteiendifferenztheorie den Schluss zu, dass sich im Zuge sparpolitischer Zwangslagen sozialdemokratische Parteien in erster Linie die Rolle eines Advokaten des Status quo ausfüllen, während zu erwarten ist, dass konservative Regierungen nachhaltigere Einschnitte bei Sozialleistungen vornehmen werden.[39]

2.3. Probleme bei der Anwendung der Theorien der Vergleichenden Staatstätigkeit zur Erklärung von kontraktiven wohlfahrtsstaatlichen Reformen

Bevor die vorgestellten Theorien zur Anwendung kommen, ist es erforderlich darauf hinzuweisen, dass einige Politikwissenschaftler, von denen in erster Linie Paul Pierson[40] zu nennen ist, die Auffassung vertreten, dass die klassischen Theorien der Vergleichenden Staatstätigkeit nicht problemlos auf kürzungspolitische Maßnahmen anzuwenden sind, da diese Theorien dazu verwendet wurden, um die Expansion der Wohlfahrtsstaaten zu erklären.[41] Piersons zentrale These in seinem Aufsatz ”The new politics of the welfare state” lautet: “Retrenchment is not simply the mirror image of welfare state expansion.”[42] Variablen, die sich als erklärungskräftige Bestimmungsfaktoren für sozialpolitische Expansion herauskristallisiert haben, müssen demnach nicht zwangsläufig auch Schlüsselindikatoren von Rückbauprozessen sein.[43]

[...]


[1] Zitat Kemmerling, Achim und Bruttel, Oliver, S. 90, Z. 21-22.

[2] Die Hartz-Kommission wurde nach ihrem Vorsitzenden Peter Hartz, dem damaligen Leiter der Arbeitsabteilung von Volkswagen, benannt. Um ein möglichst breites gesellschaftliches Spektrum abzudecken, setzten sich die insgesamt 15 Mitglieder der Hartz-Kommission aus Vertretern der Wissenschaft, der Gewerkschaften, von Unternehmensberatungen, von Vorstandsmitgliedern größerer Unternehmen, des Mittelstandes sowie der Politik zusammen.

[3] Vgl. Oswald, Bernd.

[4] Im Bundestag wurden diese Reformen unter dem Namen „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ verabschiedet. Zur Vereinfachung wird in der Folge auf den geläufigen Begriff Hartz-Gesetze zurückgegriffen.

[5] Vgl. Kemmerling, Achim und Bruttel, Oliver, S. 90-91.

[6] Vgl. Heinrich, Michael.

[7] Vgl. Schmidt, Josef S. 713.

[8] Vgl. Schmidt, Manfred G. (1993), S.372.

[9] Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 29.

[10] Vgl. Siegel, Nico A., S. 39.

[11] Vgl. Schmidt, Manfred G. (1993), S. 373.

[12] Vgl. Schmidt, Manfred G. (1993), S. 373.

[13] Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 33.

[14] Zitat Wilensky, Harold L., S. 47, Z. 19-20.

[15] Ursachen dafür sah Wilensky in demographischen Veränderungen und dem Eigengewicht der Sozialversicherungsprogramme. Er argumentiert, dass, bedingt durch die Modernisierung, die Geburtenraten abnehmen und dadurch der Anteil der älteren Bevölkerung zunimmt. Dieser gestiegene Anteil der älteren Bevölkerung führt im Zusammenspiel mit dem abnehmenden wirtschaftlichen Wert von Kindern zu einem sich steigernden Druck auf die Sozialausgaben. Verstärkt wird dieser Prozess durch Perzeptionen der politischen Entscheidungsträger, politischen Druck der Bevölkerung sowie den sozialstaatlichen Bürokratien. Vgl. Wilensky, Harold, S. 47.

[16] Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 34-36.

[17] Vgl. Siegel, Nico A., S. 47.

[18] Beispiele für krisenhafte Erscheinungen, die ansonsten wohl kaum durchsetzbare Reformen ermöglichten, sind die New Deal-Gesetzgebung in den USA unter Roosevelt, die drastischen Kürzungspolitiken unter Brüning in der Weimarer Republik oder auch die kontraktiven Reformen in Schweden und Finnland Anfang der 90er Jahre, welche ebenfalls als Antwort auf wirtschaftliche Krisen erfolgten. Vgl. Siegel, Nico A., S. 44.

[19] Vgl. Siegel, Nico A., S. 44.

[20] Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 59.

[21] Vgl. Schmidt , Manfred G. (1993), S. 374.

[22] Unter policy outputs versteht man die Politikproduktion des politischen Systems. Staatstätigkeit als Kern des outputs erfolgt in modernen Wohlfahrtsstaaten durch die Ausgestaltung von Gesetzen sowie durch die Gestaltung der Einnahmen und Ausgaben öffentlicher Haushalte. Die Resultate politischer Entscheidungen werden dann als outcomes bezeichnet. Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 51.

[23] Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 51.

[24] Während Wähler aus sozial schwachen Schichten beispielsweise eine etatistisch-umverteilende und auf Beschäftigung zielende Politik präferieren, sprechen sich Wähler aus wohlhabenderen Schichten in der Regel für eine marktschonendere Politik aus, die auf Umverteilungspolitiken zugunsten der großen Masse der Bevölkerung verzichtet. Vgl. Schmdt, Manfred G. (2006), S. 379.

[25] Vgl. Sozial- und Wirtschaftspolitik unter Rot-Grün, S. 14.

[26] Vgl. Schmidt, Manfred G. (2006), S. 379.

[27] Vgl. Schmidt, Manfred G. (1993), S. 374.

[28] Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 53.

[29] Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 53, Z. 20-21,

[30] Damit knüpfte Tufte an die Theorie des politischen Konjunkturzyklus an, welche besagt, dass die Wirtschaftspolitik von Regierungen aus Gründen des Machterhalts um den Wahltermin schwankt. Während beispielsweise Steuererhöhungen oder auch Kürzungen von Sozialleistungen im Anschluss an eine Wahl erfolgen, um den wahlpolitischen Schaden für die Regierungspartei zu begrenzen, werden konjunkturfördernde Maßnahmen und Staatsausgabenerhöhungen in erster Linie in der Vorwahlphase vollzogen. Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 53-54.

[31] Vgl. Schmidt, Manfred G. (1993), S. 375.

[32] Vgl. Siegel, Nico A., S. 57.

[33] Hicks und Swank gehen davon aus, dass ceteris paribus wohlfahrtsstaatliche Anstrengungen von Linksparteien größer sind als die von rechten Parteien. Aufgrund einer Konkurrenzsituation um Wählerstimmen oder der Regierungsbeteiligung eines Koalitionspartners sei es jedoch wahrscheinlich, dass die Existenz anderer Parteien die eigene wohlfahrtsstaatliche Politik beeinflusst. Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 54.

[34] Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 54-57.

[35] Vgl. Schmidt, Manfred G. (1993), S. 375.

[36] Vgl. Der Wohlfahrtsstaat, S. 55.

[37] Vgl. Schmidt, Manfred G. (1993), S. 375.

[38] Ehemals als stabil geglaubte Annahmen über die Interessendisposition von Parteimitgliedern und Wählern sowie eine sich darauf stützende Parteiprogrammatik erscheinen nicht erst mit der zunehmenden Herausbildung von so genannten Income Mixes als fragwürdig. Vgl. Sozial- und Wirtschaftspolitik unter Rot-Grün, S. 16.

[39] Vgl. Siegel, Nico A., S. 67.

[40] Pierson ist US-amerikanischer Politikwissenschaftler, der u. a. für seine Forschungen auf dem Gebiet der Vergleichenden Politikwissenschaft und über den Wohlfahrtsstaat Bekanntheit erlangte. Pierson lehrte von 1989-2004 an der Harvard University, bevor er dann an die University of California, Berkley ging, wo er seitdem als Professor für Politische Wissenschaft tätig ist.

[41] Vgl. Green-Pedersen, Christoffer und Haverland, Markus, S. 43.

[42] Zitat Pierson, Paul, S. 156, Z. 7-8.

[43] Vgl. Siegel, Nico A., S. 94.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842828902
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum – Sozialwissenschaften, Studiengang European Culture and Economy
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
staatstätigkeit parteiendifferenztheorie theorie determination hartz arbeitsmarkt
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