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Tarifpolitik vor einem Wandel - Gefährden neue Gewerkschaften die Tarifeinheit?

©2012 Bachelorarbeit 93 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Tarifpolitik steht unweigerlich vor einem bedeutungsvollen Wandel. So hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seinen Urteilen vom 27. Januar 2010 und 23. Juni 2010 dazu entschlossen, den seit über fünfzig Jahren geltenden, aber seit jeher rechtlich umstrittenen Grundsatz der Tarifeinheit „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ aufzugeben (BAG, Pressemitteilung Nr. 9/10; BAG, Pressemitteilung Nr. 46/10; Völker / Herold 2011: 3f). Damit können in einem Betrieb oder Unternehmen nun unterschiedliche Tarifverträge für die in verschiedenen Gewerkschaften organisierten Arbeitnehmer parallel zur Anwendung kommen. Dies hat zur Folge, dass vor allem Spartengewerkschaften, die einzelne Berufsgruppen vertreten, in ihrer Position gestärkt werden. Denn diese können nun künftig auch dort eigene Tarifverträge durch einen Arbeitskampf erzwingen, wo eine Großgewerkschaft bereits einen Tarifvertrag für die ganze Belegschaft abgeschlossen hat (Völker / Herold 2011: 5).
In Folge wurde eine lebhafte Diskussion hervorgerufen. Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht dabei neben dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur geänderten Rechtsprechung der Tarifeinheit (BAG, Pressemitteilung Nr. 9/10; BAG, Pressemitteilung Nr. 46/10) die am gleichen Tag nach Bekanntgabe des Urteils veröffentlichte gemeinsame Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mit ihrer Forderung nach einer mit Eingriffen in das Streikrecht verbundenen gesetzlichen Verankerung der Tarifeinheit innerhalb des Tarifvertragsgesetzes (Initiative BDA/DGB 2010). Ihr Vorhaben begründen diese vor allem damit, dass nach der Kehrtwende des Bundesarbeitsgerichts zum Grundsatz der Tarifeinheit mit einer erheblichen Zersplitterung der Tariflandschaft sowie einer drastischen Zunahme von Arbeitskämpfen zu rechnen sei (Initiative BDA/DGB 2010). Unterstützung für die gemeinsame Initiative von BDA und DGB gab es vor allem seitens Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU), Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und der SPD-Fraktion (Siems / von Borstel 2011; Sturm 2010). Spartengewerkschaften, wie etwa der Marburger Bund (MB), die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) oder die Gewerkschaft der Flugkapitäne, Vereinigung Cockpit (VC), aber auch mehrere renommierte Arbeits- und Staatsrechtler (Däubler 2010; Reichold 2010; Rieble 2010) reagierten auf die gemeinsame Initiative von BDA und DGB dagegen mit offener, […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Strukturelle Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt
2.1 Ursachen für ein kollektives Handeln auf dem Arbeitsmarkt
2.2 Rechtliche Grundlagen für ein kollektives Handeln auf dem Arbeitsmarkt

3 Die Organisation der Arbeitgeberverbände

4 Die Organisation der Arbeitnehmerverbände
4.1 Einheitsgewerkschaften
4.2 Spartengewerkschaften
4.3 Christliche Gewerkschaften

5 Das deutsche Tarifsystem
5.1 Flächentarifvertrag
5.2 Firmentarifvertrag
5.3 Anforderungen an die Tariffähigkeit
5.4 Der Grundsatz der Tarifeinheit

6 Das BAG-Urteil: Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit
6.1 Rechtfertigung und Kritik am Grundsatz der Tarifeinheit
6.2 Beschluss des Vierten Senats des BAG zur Änderung der Rechtsprechung zur Tarifeinheit
6.3 Abschließender Beschluss des Zehnten Senats des BAG zur Änderung der Rechtsprechung zur Tarifeinheit

7 Die Auseinandersetzung um die Tarifeinheit
7.1 Die gemeinsame Initiative von BDA und DGB zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit innerhalb des Tarifvertragsgesetzes
7.2 Reaktionen der tariffähigen Arbeitgeberverbände und der tariffähigen Einzelgewerkschaften des DGB zur Kehrtwende des Bundesarbeitsgerichts zum Grundsatz der Tarifeinheit
7.3 Widerstand der Spartengewerkschaften zur gemeinsamen Initiative von DGB und BDA
7.4 Reaktionen der Politik zur vorgeschlagenen gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit innerhalb des Tarifvertragsgesetzes
7.5 Rechtsgutachten zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit innerhalb des Tarifvertragsgesetzes

8 Schaffung eines Gesetzes zur Tarifeinheit oder Tarifpluralität
8.1 Tarifpluralität und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen
8.2 Tarifpluralität und ihre rechtlichen Probleme
8.3 Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlich geregelten Tarifeinheit im Sinne der BDA / DGB – Initiative

9 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Mitgliederanteil der DGB-Gewerkschaften mit Stand vom 31.12.2010 (DGB-Gesamtmitgliederzahl 6,19 Millionen)

Abbildung 2: Spartengewerkschaften - Die mächtigen Sechs

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die Tarifpolitik steht unweigerlich vor einem bedeutungsvollen Wandel. So hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seinen Urteilen vom 27. Januar 2010 und 23. Juni 2010 dazu entschlossen, den seit über fünfzig Jahren geltenden, aber seit jeher rechtlich umstrittenen Grundsatz der Tarifeinheit „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ aufzugeben (BAG, Pressemitteilung Nr. 9/10; BAG, Pressemitteilung Nr. 46/10; Völker / Herold 2011: 3f). Damit können in einem Betrieb oder Unternehmen nun unterschiedliche Tarifverträge für die in verschiedenen Gewerkschaften organisierten Arbeitnehmer parallel zur Anwendung kommen. Dies hat zur Folge, dass vor allem Spartengewerkschaften, die einzelne Berufsgruppen vertreten, in ihrer Position gestärkt werden. Denn diese können nun künftig auch dort eigene Tarifverträge durch einen Arbeitskampf erzwingen, wo eine Großgewerkschaft bereits einen Tarifvertrag für die ganze Belegschaft abgeschlossen hat (Völker / Herold 2011: 5).

In Folge wurde eine lebhafte Diskussion hervorgerufen. Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht dabei neben dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur geänderten Rechtsprechung der Tarifeinheit (BAG, Pressemitteilung Nr. 9/10; BAG, Pressemitteilung Nr. 46/10) die am gleichen Tag nach Bekanntgabe des Urteils veröffentlichte gemeinsame Initiative der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mit ihrer Forderung nach einer mit Eingriffen in das Streikrecht verbundenen gesetzlichen Verankerung der Tarifeinheit innerhalb des Tarifvertragsgesetzes (Initiative BDA/DGB 2010). Ihr Vorhaben begründen diese vor allem damit, dass nach der Kehrtwende des Bundesarbeitsgerichts zum Grundsatz der Tarifeinheit mit einer erheblichen Zersplitterung der Tariflandschaft sowie einer drastischen Zunahme von Arbeitskämpfen zu rechnen sei (Initiative BDA/DGB 2010). Unterstützung für die gemeinsame Initiative von BDA und DGB gab es vor allem seitens Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU), Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und der SPD-Fraktion (Siems / von Borstel 2011; Sturm 2010). Spartengewerkschaften, wie etwa der Marburger Bund (MB), die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) oder die Gewerkschaft der Flugkapitäne, Vereinigung Cockpit (VC), aber auch mehrere renommierte Arbeits- und Staatsrechtler (Däubler 2010; Reichold 2010; Rieble 2010) reagierten auf die gemeinsame Initiative von BDA und DGB dagegen mit offener, teilweise massiver Kritik und begrüßten die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Aufgabe der Tarifeinheit ausdrücklich (Positionspapier der Spartengewerkschaften zur BDA / DGB-Initiative 2010).

Forschungsziel dieser Bachelorarbeit ist es daher, die Frage zu analysieren, ob es nun tatsächlich aufgrund der geänderten Rechtsprechung des BAG zum Grundsatz der Tarifeinheit zu einer Zersplitterung der Tariflandschaft kommen kann, die vor allem durch unzählige Neugründungen von neuen Gewerkschaften (insb. neuer Spartengewerkschaften) hervorgerufen wird, die die Tarifeinheit in den Betrieben und in den Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und ein Handeln seitens des Gesetzgebers, wie von BDA und DGB gefordert, notwendig macht.

Um das oben genannte Forschungsziel zu erreichen, ist es daher zunächst unerlässlich, sich zuerst ein Bild über die Beschaffenheit des Arbeitsmarktes, des deutschen Tarifsystems sowie deren Akteuren zu verschaffen, um anschließend das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur geänderten Rechtsprechung zum Grundsatz der Tarifeinheit näher untersuchen zu können. Danach müssen die verschiedenen Positionen zur geänderten Rechtsprechung des BAG zum Grundsatz der Tarifeinheit von BDA, DGB, unterschiedlichen tariffähigen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, der Politik sowie führenden Arbeits- und Staatsrechtlern diskutiert werden. Anschließend ist zu erörtern, ob aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung seit der geänderten Rechtsprechung zum Grundsatz der Tarifeinheit eine Zersplitterung der Tariflandschaft wahrscheinlich ist und die Tarifeinheit in deutschen Betrieben und Unternehmen durch das agieren zahlreicher neuer Spartengewerkschaften gefährdet ist und daher ein Handeln des Gesetzgebers erforderlich macht. Abschließend sind die rechtlichen Probleme einer Tarifpluralität sowie die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlich geregelten Tarifeinheit im Sinne der BDA / DGB – Initiative zu diskutieren.

Im Untersuchungsverlauf dieser Bachelorarbeit ergibt sich somit im Einzelnen folgendes systematisches Vorgehen:

In Kapitel 2 werden zunächst die bestehenden strukturellen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt analysiert, die ein kollektives Handeln zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften rechtfertigen. Hierbei gilt es auch, die Ursachen sowie die rechtlichen Grundlagen für ein kollektives Handeln auf dem Arbeitsmarkt näher zu durchleuchten.

Darauf folgend wird in Kapitel 3 die Organisation der Arbeitgeberverbände und in Kapitel 4 die Organisation der Arbeitnehmerverbände, die sich in Einheitsgewerkschaften, Spartengewerkschaften sowie Christliche Gewerkschaften differenzieren, untersucht.

Anschließend wird in Kapitel 5 das deutsche Tarifsystem näher erforscht. Hierbei werden vor allem der Flächentarifvertrag, der Firmentarifvertrag, die Anforderungen an die Tariffähigkeit sowie der Grundsatz der Tarifeinheit näher analysiert.

In Kapitel 6 wird dann schließlich auf das BAG-Urteil zur Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit näher eingegangen. Dabei gilt es zunächst, die Rechtfertigung und die Kritik am Grundsatz der Tarifeinheit genauer zu analysieren, um anschließend den Beschluss des Vierten Senats des BAG und den abschließenden Beschluss des Zehnten Senats des BAG zur Änderung der Rechtsprechung zur Tarifeinheit näher zu durchleuchten.

Darauf folgend wird in Kapitel 7 der aktuelle Stand der Auseinandersetzung um die Tarifeinheit diskutiert. Dabei wird zuerst die gemeinsame Initiative von BDA und DGB zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit innerhalb des Tarifvertragsgesetzes (Initiative BDA/DGB 2010) erforscht. Anschließend werden die Reaktionen der tariffähigen Arbeitgeberverbände und der tariffähigen Einzelgewerkschaften des DGB zur Kehrtwende des Bundesarbeitsgerichts zum Grundsatz der Tarifeinheit sowie der Widerstand der Spartengewerkschaften zur gemeinsamen Initiative von DGB und BDA näher untersucht. Abschließend werden die Reaktionen der Politik zur vorgeschlagen gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit innerhalb des Tarifvertragsgesetzes und verschiedene Rechtsgutachten unterschiedlicher renommierter Arbeits- und Staatsrechtler zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit innerhalb des Tarifvertragsgesetzes näher erforscht.

Anschließend wird dann in Kapitel 8 erörtert, ob es einer Schaffung eines Gesetzes zur Tarifeinheit bedarf oder ob eine Tarifpluralität akzeptiert werden kann. Dabei ist es zunächst erforderlich, die Tarifpluralität und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen sowie die Tarifpluralität und ihre rechtlichen Probleme näher zu analysieren und anschließend die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlich geregelten Tarifeinheit im Sinne der BDA / DGB – Initiative zu diskutieren.

Das 9. und damit letzte Kapitel dieser Bachelorarbeit bietet eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und zieht ein auf das Forschungsziel bezogenes Fazit. Abschließend wird ein kurzer Ausblick auf die mögliche zukünftige Entwicklung gewährt.

2 Strukturelle Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt

Strukturelle Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt erfordern ein kollektives Handeln zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Hierbei gilt es, die Ursachen und die rechtlichen Grundlagen für ein kollektives Handeln auf dem Arbeitsmarkt näher zu untersuchen.

2.1 Ursachen für ein kollektives Handeln auf dem Arbeitsmarkt

Die verhandlungstechnische Unterlegenheit der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber stellt eine Grundproblematik auf dem Arbeitsmarkt dar. Diese versucht das Arbeitsrecht auszugleichen. Unter einem Arbeitsverhältnis versteht man ein entstandenes Rechtsverhältnis aufgrund eines rechtswirksamen Arbeitsvertrages zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, welches auf den Austausch der persönlich zu erbringenden Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und der Vergütung durch den Arbeitgeber gerichtet ist. Problematisch hierbei ist, dass der Arbeitnehmer der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers unterliegt und von diesem abhängig ist. Darüber hinaus verbinden sich mit dem Bestand des Arbeitsverhältnisses auch existenzielle Interessen der Arbeitnehmer sowie oftmals auch deren Familien. Diese Abhängigkeit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber vergrößert sich in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit noch weiter, da der Arbeitgeber aus einem großen Arbeitsangebot wählen und somit einen Arbeitsplatz schnell wiederbesetzen kann. Der Arbeitnehmer jedoch hat aufgrund des knappen Arbeitsangebots nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen zur Auswahl, wodurch der Arbeitgeber sich in diesem Fall in der eindeutig überlegenen Position gegenüber dem Arbeitnehmer befindet. Aufgrund der in vielen Fällen eingeschränkten Verhandlungsposition der Arbeitnehmer besteht daher die Gefahr, dass diese der Arbeitgeber systematisch auszunutzen versucht. Ein kollektives Handeln zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden soll diese Unterlegenheit ausgleichen, indem ein Verhandeln auf gleicher Augenhöhe herbeigeführt wird (Monopolkommission 2010: 319).

Kollektive Lohnverhandlungen haben neben einer friedenssichernden und ordnenden Funktion auch den Vorteil, dass diese gegenüber individuellen Lohnverhandlungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Transaktionskosten senken. Zur Friedenssicherung kollektiver Lohnverhandlungen trägt vor allem bei, dass die dort geregelten Fragen während ihrer Laufzeit nicht zum Gegenstand von Arbeitskämpfen werden dürfen und Tarifverhandlungen vom Betrieb nach Außen verlagert werden und somit der Betriebsfrieden erhalten bleibt (Monopolkommission 2010: 319; Neumann 2010: 54). Durch die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens erfüllen Tarifverträge auch eine Ordnungsfunktion. Durch die von Experten geführten kollektiven Lohnverhandlungen, welche auch eine breite Bindungswirkung auf viele Einzelarbeitsverhältnisse entfalten und so zu einer Standardisierung beispielsweise von Arbeitsentgelt oder Qualifikationen beitragen, werden Transaktionskosten gegenüber einer individuellen Verhandlung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingespart (Monopolkommission 2010: 319).

2.2 Rechtliche Grundlagen für ein kollektives Handeln auf dem Arbeitsmarkt

Die in Artikel 9 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) verankerte Koalitionsfreiheit steht allen Staatsbürgern zu und bezeichnet das Recht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sich zur Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenzuschließen und Vereinigungen zu bilden. Zur Verfolgung dieses Koalitionszweckes sind die Vereinigungen berechtigt Kollektivverträge abzuschließen. Somit sind auch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich geschützt. Die in Artikel 9 Absatz 3 Satz 1 GG garantierte Koalitionsfreiheit umfasst zum einen das Recht, eine Koalition zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder sich in einer Koalition zu betätigen (positive Koalitionsfreiheit). Zum anderen wird aber gemäß der Rechtsprechung auch die Freiheit eingeräumt, einer Vereinigung ohne negative Konsequenzen fernzubleiben und die Arbeitsbedingungen beispielsweise individuell zu regeln (negative Koalitionsfreiheit) (Monopolkommission 2010: 320).

Zu den wichtigsten verfassungsmäßig garantierten Grundrechten gehört die Tarifautonomie mit den Arbeitskampfmittel Streik und Aussperrung. Unter dem Begriff Tarifautonomie versteht man, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ohne staatliche Einflussnahme Arbeitsbedingungen regeln dürfen und der Staat sich lediglich auf die Festlegung eines rechtlichen Rahmens beschränkt (z.B. auf das Tarifvertragsgesetz). Die Tarifautonomie genießt eine kartellrechtliche Sonderstellung, die dazu führt, dass der Arbeitsmarkt nicht von einem Kartellverbot betroffen ist. Anders als auf anderen Märkten können deshalb auf dem Arbeitsmarkt Kartelle von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gebildet werden. Das primäre Arbeitskampfmittel der Arbeitnehmer bzw. der Gewerkschaften ist der Streik. Ziel eines Streiks ist es, durch planmäßige und gemeinschaftliche Arbeitsniederlegung Druck auf den Arbeitgeber aufzubauen. Umgekehrt kann der Arbeitgeber mit Aussperrung auf einen Streik reagieren. Dabei verweigert der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung und weist Arbeitsleistung des Arbeitnehmers generell zurück (Monopolkommission 2010: 320).

Der Tarifvertrag regelt nach § 1 Absatz 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien. Zu den Tarifvertragsparteien zählen einzelne Arbeitgeber, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Darüber hinaus enthält der Tarifvertrag Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln (normativer Teil) und die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien (schuldrechtlicher Teil) festlegen. Tarifnormen über Entgelte regeln z.B. die Höhe des Entgelts, die Eingruppierung eines Arbeitnehmers in das Entgeltsystem sowie Entgeltzuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit. Den Pflichten des Arbeitgebers steht die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers gegenüber. Die Arbeitszeit ist hierbei ein zentraler Gegenstand von den Tarifnormen, in denen Dauer und Lage der Arbeitszeit, Mehr- und Kurzarbeit sowie Erholungsurlaub geregelt werden (Monopolkommission 2010: 320).

Im Rahmen dieser Rechtsordnung können Vereinbarungen über Löhne und sonstige Arbeitsbedingungen sowohl kollektiv als auch einzelvertraglich getroffen werden. Auf kollektiver Ebene schließen Gewerkschaften als Arbeitnehmervertretung mit Unternehmen Firmentarifverträge bzw. Haustarifverträge ab oder überbetrieblich mit Arbeitgeberverbänden sogenannte Verbands-, Branchen oder Flächentarifverträge für ihre Mitglieder (Monopolkommission 2010: 320).

3 Die Organisation der Arbeitgeberverbände

Die Aufgabe der Arbeitgeberverbände ist die Wahrnehmung der gesellschafts- und sozialpolitischen Interessen der Mitglieder gegenüber Staat, Öffentlichkeit und Gewerkschaften. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist die Dachorganisation der Arbeitgeberverbände in Deutschland. Mitglieder der BDA sind 14 überfachliche Landesverbände (für Baden-Württemberg beispielsweise die Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände e.V.; Berlin und Brandenburg sowie Hamburg und Schleswig-Holstein teilen sich gemeinsam einen Landesverband) und 52 Bundesfachspitzenverbände aus den Bereichen Industrie, Dienstleistung, Handel, Verkehr, Finanzwirtschaft, Handwerk und Landwirtschaft (beispielsweise der Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V., der Handelsverband Deutschland – Der Einzelhandel (HDE), die Vereinigung der Arbeitgeberverbände der Deutschen Papierindustrie e.V., etc.) (BDA 2011a). Die Organisation der Arbeitgeber unterteilt sich demzufolge regional als auch fachlich. Tarifverhandlungen werden lediglich von den Fachverbänden durchgeführt, die überfachlichen Landeverbände sind reine Interessenvertreter. Man bezeichnet die BDA und zugleich auch die Fach- und Regionalverbände auf höherer Ebene daher als Verbände von Verbänden. Genauer ausgedrückt schließen sich die Verbände auf den unteren Ebenen zu einem übergeordneten Landesverband zusammen. Bei den regionalen Branchenverbänden findet die Willensbildung hinsichtlich der Tarifverhandlungsstrategie auf regionaler Ebene bei den regionalen Branchenverbänden statt. Die Tarifträgerverbände und auch Verbände die keine Tarifbindung vermitteln (OT-Verbände), werden von den Mitgliedern organisiert. Auch bei allen grundlegenden Entscheidungen der BDA haben die Vertreter der einzelnen Wirtschaftszweige ein Mitspracherecht (BDA 2011b).

Ein BDA-Mitglied ist beispielsweise der Arbeitgeberverband Gesamtmetall. „Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall ist der Dachverband von 21 Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie. In den M+E-Verbänden sind insgesamt 6.300 Unternehmen mit mehr als 2 Millionen Beschäftigten organisiert. Davon sind 3.900 Unternehmen tarifgebunden (mit 1.8 Mio. Beschäftigten) und 2.400 sogenannte OT-Mitglieder (mit 330.000 Beschäftigten). Die Metall- und Elektro-Industrie in Deutschland zählt insgesamt rund 23.000 Unternehmen, davon 15.000 industrielle (7.000 sind große Handwerksbetriebe) mit 3,4 Mio. Beschäftigten.“ (Gesamtmetall 2011a).

4 Die Organisation der Arbeitnehmerverbände

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es drei gewerkschaftliche Dachverbände. Der mit Abstand größte Dachverband ist der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Er umfasst mit seinen acht Mitgliedsgewerkschaften derzeit insgesamt 6.193.252 Mitglieder (DGB 2011a). Der zweitgrößte Dachverband mit 1,26 Mio. Mitgliedern und 39 Fachgewerkschaften ist der dbb beamtenbund und tarifunion als Interessensvertretung für Beamte und Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst und privaten Dienstleistungssektor (dbb beamtenbund und tarifunion 2011). Der dritte und kleinste Gewerkschaftsbund ist der Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB) mit 280.000 Mitgliedern und 18 Mitgliedsgewerkschaften (CGB 2011). Neben den jeweiligen Einzelgewerkschaften, die in den drei Dachverbänden unter einem Dach zusammengefasst sind, gibt es einzeln agierende, berufsspezifische Gewerkschaften, so genannte Berufs- bzw. Spartengewerkschaften. Daher ist in der deutschen Gewerkschaftslandschaft zwischen drei Gewerkschaftstypen zu unterscheiden: Einheitsgewerkschaften, Spartengewerkschaften und christliche Gewerkschaften (Monopolkommission 2010: 321f). Diese werden nachfolgend genauer betrachtet.

4.1 Einheitsgewerkschaften

In der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich die einheitsgewerkschaftliche Interessensvertretung anhand des 1949 gegründeten Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), dessen Mitgliedsgewerkschaften seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland etwa 80 Prozent aller gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer umfasst. Der DGB als Dachorganisation seiner acht Mitgliedsgewerkschaften schließt selbst keine Tarifverträge ab, sondern übernimmt nur eine koordinierende Funktion sowie die Aufgabe der Interessensvertretung gegenüber Staat und Öffentlichkeit. Bis Ende der 1980er Jahre bestand der DGB aus bis zu 17 Mitgliedsgewerkschaften, allerdings kam es aufgrund von finanziellen Problemen und zwecks Stärkung der Organisationen verstärkt zu Gewerkschaftszusammenschlüssen. Die Gründung der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die aus vier DGB-Gewerkschaften und der bis dahin außerhalb des DGB stehenden Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) gegründet wurde, stellt einen der umfangreichsten Zusammenschlüsse dieser Art dar (Monopolkommission 2010: 322). Als Zusammenschluss von 6,19 Millionen Mitgliedern ist der DGB immer noch der größte und einflussreichste gewerkschaftliche Dachverband (DGB 2011a).

Wie aus nachfolgender Abbildung ersichtlich ist, ist der DGB ein Dachverband mit pluralistischer Mitgliederstruktur. Von den insgesamt 6,19 Millionen Mitgliedern entfallen im Jahr 2010 36,2 Prozent der Mitglieder auf die IG Metall mit Beschäftigten aus den Bereichen Metall und Elektro, Eisen und Stahl, Textil und Bekleidung, Informationstechnik sowie Holz und Kunststoff. Die zweitgrößte Gewerkschaft im DGB ist mit 33,8 Prozent die Gewerkschaft ver.di, welche die Interessen der Dienstleistungsbranche vertritt. Es folgt die IG Bergbau, Chemie, Energie (10,9 Prozent) und dann jeweils mit unter 10 Prozent die Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt (5,1 Prozent), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (4,2 Prozent), die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) (3,8 Prozent), die Gewerkschaft Nahrung- Genuss- Gaststätten (3,3 Prozent) sowie die Gewerkschaft der Polizei mit 2,8 Prozent (DGB 2011a).

Abbildung 1: Mitgliederanteil der DGB-Gewerkschaften mit Stand vom 31.12.2010 (DGB-Gesamtmitgliederzahl 6,19 Millionen)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung auf der Grundlage der DGB Mitgliederzahlen 2010 (DGB 2011a)

Durch die DGB-Gewerkschaften wurde die Tarifgeschichte der Bundesrepublik Deutschland stark geprägt. Diese sind jedoch nie vollständig monopolisiert worden. Seit Ende der 1990er Jahre hat sich die tarifpolitische Konkurrenz, die bereits zuvor in Ansätzen vorhanden war, erheblich ausgeweitet. Das Tarifsystem befindet sich aufgrund eines neuen Tarifwettbewerbs daher in einem Umbruch. Hierfür gibt es verschiedene Ursachen. Zum einen haben sich die Rahmenbedingungen für Einheitsgewerkschaften, wie etwa dem DGB, verändert. So wird die abnehmende Bedeutung des industriellen Sektors, bei gleichzeitiger Zunahme des tertiären Sektors, als Grund hierfür genannt. Eine weitere Ursache ist der zunehmende Mitgliederschwund und der fehlende Nachwuchs in den Gewerkschaften. Das typische Gewerkschaftsmitglied – vollbeschäftigt, Facharbeiter/in – wird im Wandel des Arbeitsumfeldes immer seltener. Daneben sind eine zunehmende Internationalisierung, eine wirtschaftliche Umwälzung in Ostdeutschland, eine Rezession sowie eine zunehmende Individualisierung als weitere Gründe zu nennen. Eine strategische Neupositionierung und Schaffung eventueller selektiver Anreize (z.B. private Güter, die ausschließlich den Gewerkschaftsmitgliedern zu Gute kommen) für einen Gewerkschaftsbeitritt zu bieten, fällt den Einheitsgewerkschaften sichtlich schwer (Monopolkommission 2010: 322f). „Ein weiteres Problem der Einheitsgewerkschaften resultiert aus den gewachsenen Organisationsstrukturen selbst: Je größer eine Gewerkschaft wird, umso heterogener wird sie und umso schwieriger wird es, die Erstellung des öffentlichen Gutes Tariflohn mittels identischer, weiträumig wirkender Tarifverträge zufriedenstellend für eine große Gruppe von Arbeitnehmern zu gewährleisten.“ (Monopolkommission 2010: 323). Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass der Wunsch nach einer individuellen Interessenvertretung mit der Größe der Gruppe zunimmt. Des Weiteren wird der Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der Gewerkschaften aufgrund zunehmenden politischen Einflusses (z.B. Sozialversicherungssystem oder Arbeitnehmer-Entsendungsgesetz) immer weiter eingeschränkt (Monopolkommission 2010: 323).

4.2 Spartengewerkschaften

Ungeachtet der dominierenden einheitsgewerkschaftlichen Interessensvertretung in fortgeschrittenen Industriegesellschaften lässt die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie auch konkurrierende Gewerkschaften zu. Während Einheitsgewerkschaften mit Mitgliederschwund und fehlendem Nachwuchs zu kämpfen haben, erfreuen sich Berufs- bzw. Spartengewerkschaften stets steigender Mitgliederzahlen. Das deutsche Tarifsystem wird durch das Erstarken neuer Gewerkschaften zunehmend vielschichtiger. Die wachsende Beliebtheit von Spartengewerkschaften lässt sich am ehesten mit der Unzufriedenheit der Gewerkschaftsmitglieder aufgrund starker Konzentration auf dem Gewerkschaftsmarkt erklären. Größen- und Verbundvorteile lassen sich in einer stark konzentrierten Tariflandschaft zwar besser realisieren, allerdings wird es auch immer schwieriger, allen unterschiedlichen Gruppeninteressen adäquat gerecht zu werden. Diese zunehmende Durchsetzung eigener Tarifverträge von Spartengewerkschaften bedingt eine Zersplitterung bzw. eine Aufspaltung des Tarifsystems (Monopolkommission 2010: 324).

In Deutschland haben sich in den letzen Jahren insgesamt sechs Spartengewerkschaften, die bislang alle ausschließlich im Verkehrs- und Gesundheitssektor agieren, mit einer eigenständigen Tarifpolitik bereits durchsetzen können (Monopolkommission 2010: 324). Diese werden in nachfolgender Abbildung, geordnet nach ihrer Mitgliederstärke, aufgezeigt. Dabei wird ersichtlich, dass der Marburger Bund (MB) mit 110.000 Mitgliedern die mitgliederstärkste Spartengewerkschaft in der Bundesrepublik Deutschland darstellt. An zweiter Stelle steht die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit 34.000 Mitgliedern und an dritter Stelle der Verband medizinischer Fachberufe (VMF) mit 28.000 Mitgliedern. Danach folgen die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) mit 10.000 Mitgliedern, die Vereinigung Cockpit (VC) mit 8.200 Mitgliedern und die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) mit 3.700 Mitgliedern (MB – Marburger Bund 2011a / GDL – Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer 2011a / UFO – Unabhängige Flugbegleiter Organisation 2011a / VC – Vereinigung Cockpit 2011a / Verband medizinischer Fachberufe (2011) / GdF – Gewerkschaft der Flugsicherung 2011a).

Abbildung 2: Spartengewerkschaften - Die mächtigen Sechs

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Angaben der Gewerkschaften (MB – Marburger Bund 2011a / GDL – Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer 2011a / UFO – Unabhängige Flugbegleiter Organisation 2011a / VC – Vereinigung Cockpit 2011a / Verband medizinischer Fachberufe (2011) / GdF – Gewerkschaft der Flugsicherung 2011a)

Der Marburger Bund (MB), der bereits 1947 gegründet wurde, kooperierte bis 2005 hinsichtlich seiner tarifpolitischen Zusammenarbeit mit den DGB–Gewerkschaften (Dribbusch 2010: 10). Der MB verhandelt seither eigenständig für die angestellten und beamteten Ärzte (Analyse des RWI 2011: 24). Mit rund 107.000 Mitgliedern zählt der Marburger Bund zu der größten freiwilligen Ärzte-Organisation in Europa (MB 2011). Mittlerweile ist der MB als gewerkschaftliche Interessensvertretung der Krankenhausärzte sowie als Tarifpartner fest etabliert (Analyse des RWI 2011: 24).

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) wurde bereits 1867 als Verein Deutscher Lokomotivführer gegründet und war zunächst im Deutschen Beamtenbund organisiert (GDL – Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer 2011a). Seit 2002 setzt die GDL auf tarifpolitische Eigenständigkeit und reklamiert die tarifliche Zuständigkeit für das Fahrpersonal, während TRANSNET und die zum Beamtenbund gehörende Verkehrsgewerkschaft GDBA gegenseitige Kompromisse eingegangen sind. Der Konflikt eskalierte schließlich in der Tarifrunde 2007. Anfang 2008 konnte die GDL nach intensiven Arbeitskämpfen ihre tarifpolitische Zuständigkeit für Lokomotivführer durchsetzen (Dribbusch 2010: 10 nach Hofmann / Schmid 2008: 323ff). Heute vertritt die GDL ca. 80 Prozent der deutschen Lokomotivführer und hat derzeit rund 34.000 Mitglieder (GDL – Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer 2011).

Der Verband medizinischer Fachberufe (VMF) ist die tarifpolitische Interessensvertretung der medizinischen, zahnmedizinischen und tiermedizinischen Fachangestellten sowie der angestellten Zahntechniker/innen in Deutschland (Verband medizinischer Fachberufe 2011). Der VMF kündigte 2004 das Kooperationsabkommen mit ver.di und schloss seinen ersten eigenständigen Tarifvertrag für seine ca. 28.000 Mitglieder ab (Analyse der RWI 2011: 24).

Die 1992 gegründete Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) wurde 2002 bei der Lufthansa, neben ver.di, als gleichberechtigte Tarifpartnerin anerkannt (Dribbusch 2010: 10). Derzeit hat die UFO nach eigenen Angaben rund 10.000 Mitglieder (UFO – Unabhängige Flugbegleiter Organisation 2011a). Allerdings blieb der Erfolg der Organisation für seine Mitglieder bisher aus. Nach kurzem Arbeitskampf endete der Tarifkonflikt mit der Lufthansa im Jahre 2008 mit einem enttäuschendem Ergebnis (Dribbusch 2010: 10).

Die Vereinigung Cockpit (VC) wurde 1969 als Zusammenschluss von Piloten und Pilotinnen gegründet (VC – Vereinigung Cockpit 2011a). Von 1973 – 1999 kooperierte sie mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Als im Jahre 1999 die Beteiligung der DAG an der ver.di-Fusion absehbar wurde, setzte die VC ihre tarifpolitische Eigenständigkeit durch und verweigerte 2001 die Übernahme des von ver.di abgeschlossenen Tarifvertrags. Nach mehreren spektakulären Arbeitskämpfen konnte die VC eine erhebliche zweistellige Gehaltsverbesserung für ihre Mitglieder durchsetzen (Dribbusch 2010: 9). Derzeit sind in der VC ca. 8.200 Mitglieder organisiert (VC – Vereinigung Cockpit 2011).

Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) ist 2003 aus dem Verband Deutscher Flugleiter (VdF) sowie dem Verband Deutscher Flugsicherungs-Techniker und –Ingenieure (FTI) hervorgegangen (GdF – Gewerkschaft der Flugsicherung 2011a). Auch die VdF hatte ursprünglich eine Kooperationsvereinbarung mit der DAG, deren Fortsetzung mit ver.di bereits 2002 gescheitert war. Die GdF ist mit ihren ca. 3.700 Mitgliedern die einzige Tarifpartei auf Gewerkschaftsseite im Bereich der Flugsicherung (Dribbusch 2010: 9).

Nach Auffassung der Spartengewerkschaften müssen für unterschiedliche Berufsbilder und demzufolge auch für differierende Anforderungen und Verantwortlichkeiten unterschiedliche Tarifverträge gelten. Allerdings sind die von Spartengewerkschaften eigenständig abgeschlossenen Tarifverträge nicht immer erfolgreicher als die der Einheitsgewerkschaften. So kann zum Beispiel bei Tarifabschlüssen des Verbandes medizinischer Fachberufe nicht von einer tariflichen Überbietung gesprochen werden. Solche eher wenig erfolgreiche und durchsetzungsschwache Spartengewerkschaften sind meist in gewerkschaftlichen Nischen zu finden. Bei Drohung eines hohen Streikschadens lassen sich hohe Lohnforderungen meist besser durchsetzen (Monopolkommission 2010: 324). „ Die jüngsten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Frage der Tariffähigkeit stärken diese Organisationsform, indem sie die Darlegung „sozialer Mächtigkeit“ erheblich erleichtern, wenn die Gewerkschaftsmitglieder „Schlüsselfunktionen“ ausüben“ (Monopolkommission 2010: 324 nach BAG, Beschluss vom 14. Dezember 2004, NZA 2004, 697, AP Nummer 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit (UFO); BAG Beschluss vom 28. März 2006, NZA 2006, 1112, AP Nummer 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit).

Das Phänomen der Sparten- bzw. Berufsgewerkschaften konzentriert sich in der Bundesrepublik Deutschland hauptsächlich auf Unternehmen im Gesundheits- und Verkehrssektor (Krankenhäuser, Luftverkehr, Bahn). Für beide Wirtschaftsbereiche gilt gleichermaßen, dass dort lange monopolartige Strukturen herrschten und sie zum Zeitpunkt der tarifpolitischen Verselbständigung der Berufsgewerkschaften einen Prozess der Privatisierung oder Umstrukturierung durchliefen (Analyse des RWI 2011: 26 / Monopolkommission 2010: 324). Zudem weist der öffentliche Sektor sehr transparente und einheitliche Lohnstrukturen auf, so dass hierdurch ein berufsspezifisches Solidaritäts- aber auch Ungerechtigkeitsgefühl erzeugt oder verstärkt wird. In den Kreis der durchsetzungsfähigen Konkurrenzgewerkschaften aufzusteigen ist schwierig. Deshalb ist die Zahl der tariffähigen Spartengewerkschaften bisher noch relativ klein (Monopolkommission 2010: 324).

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Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783842828896
DOI
10.3239/9783842828896
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen; Standort Nürtingen – Fakultät II, Studiengang Volkswirtschaft
Erscheinungsdatum
2012 (Februar)
Note
1,0
Schlagworte
tarifeinheit tarifvertragsgesetz spartengewerkschaft gewerkschaft tarifpolitik
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Titel: Tarifpolitik vor einem Wandel - Gefährden neue Gewerkschaften die Tarifeinheit?
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