Stalking
Analyse einer neuen Straftat bzw. Krankheitsform unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Arbeit
Zusammenfassung
Stalking, zu Deutsch Nachstellung ist ein neues Massenphänomen. Seit 2007 ist Nachstellung in Deutschland ein Straftatbestand und in den letzten drei Jahren gab es auch in den Medien dafür ein verstärktes Interesse. Die Medien waren es auch bei mir, die mich zum allerersten Mal auf das Thema aufmerksam machten und ich begann, mich dafür zu interessieren.
Bei ersten Recherchen zu dem Thema fand ich fast gar keine Informationen über die Arbeit mit Stalkern und nur einige wenige Informationen über die Arbeit mit den Opfern, was meine Neugier für das Thema weiter verstärkte.
Mein Interesse an Stalking hängt sicherlich unter anderem auch mit meinem generellen Interesse für Sozialarbeit in der Zusammenarbeit mit Straftätern zusammen. Daher leistete ich auch mein Praxissemester im Büro für Täter-Opfer Ausgleich in Dortmund ab. Dort hatte ich dann einen realen Kontakt mit einem Stalkingopfer. Die junge Frau, die zu uns kam, hatte ihren Exfreund wegen Nachstellung angezeigt, da er unter anderem erotische Bilder an ihren Chef geschickt hatte und sie monatelang mit SMS-Nachrichten und Anrufen terrorisierte. Sie war sehr verzweifelt und der Fall erregte bei mir sehr großes Interesse, so sehr, dass ich mich nun entschieden habe, meine Abschlussarbeit über Stalking zu verfassen.
Ein anderer Grund war, dass ich den Eindruck hatte, dass Sozialarbeiter nicht wirklich wissen, wie sie mit Stalkern und ihren Opfern umgehen sollen, da das Thema einfach sehr neu ist, nur selten Fachkenntnis dazu vorliegt und es auch bisher keine einheitliche Vorgehensweise gibt. Daher möchte ich am Ende der Arbeit auch die Möglichkeiten für Sozialarbeiter im Umgang mit Stalking beschreiben. Zuvor möchte ich den Begriff Stalking ganzheitlich vorstellen und erklären. Des Weiteren möchte ich auf die rechtlichen Grundlagen und auf die Behandlungs- und Beratungsmöglichkeiten für Opfer und Täter eingehen. Zu Beginn soll der Stalkingbegriff an sich definiert werden. Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung04
2.Stalking Eine Einführung05
2.1Definition05
2.2Historischer Ursprung09
3.Formen und Ausprägungen des Stalking heute12
3.1Täterarten und Tätermotive12
3.1.1Thesen und Theorien zur Ausbreitung von Stalking heute17
3.2Stalking bei Prominenten22
3.3Bedeutung und Folgen für die Opfer23
4.Gesetzeslage30
4.1Positive Aspekte der neuen Gesetzeslage31
4.2Kritik an der Gesetzeslage34
5.Stalking Straftat oder Krankheit, oder […]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Gliederung
1. Einleitung
2. Stalking - Eine Einführung
2.1 Definition
2.2 Historischer Ursprung
3. Formen und Ausprägungen des Stalking heute
3.1 Täterarten und Tätermotive
3.1.1 Thesen und Theorien zur Ausbreitung von Stalking heute
3.2 Stalking bei Prominenten
3.3 Bedeutung und Folgen für die Opfer
4. Gesetzeslage
4.1 Positive Aspekte der neuen Gesetzeslage
4.2 Kritik an der Gesetzeslage
5. Stalking - Straftat oder Krankheit, oder beides?
6. Therapie und Hilfsangebote
6.1 Angebote für Opfer
6.2 Angebote für Täter
7. Stalking als neues Tätigkeitsfeld für Sozialarbeiter
8. Fazit
9. Quellenverzeichnis
9.1 Literaturquellen
9.2 Internetquellen
10. Anhang
10.1 Abbildung 1 (Flyer von No-Stalking)
10.2 Zeitungsbericht A (Beispiele für Stalkingfolgen für die Opfer)
10.3 Zeitungsbericht B (Beispiele für Stalking bei Prominenten)
10.4 Zeitungsbericht C (Beispiele für die kritische Auseinandersetzung mit dem neuen Nachstellungsgesetz)
11. Eidesstattliche Erklärung
Hinweis zum Lesen der Diplomarbeit: Fachbegriffe werden beim ersten Vorkommen einmal erklärt.
1. Einleitung
Stalking, zu Deutsch „Nachstellung“ ist ein neues Massenphänomen. Seit 2007 ist Nachstellung in Deutschland ein Straftatbestand und in den letzten drei Jahren gab es auch in den Medien dafür ein verstärktes Interesse. Die Medien waren es auch bei mir, die mich zum allerersten Mal auf das Thema aufmerksam machten und ich begann, mich dafür zu interessieren.
Bei ersten Recherchen zu dem Thema fand ich fast gar keine Informationen über die Arbeit mit Stalkern und nur einige wenige Informationen über die Arbeit mit den Opfern, was meine Neugier für das Thema weiter verstärkte.
Mein Interesse an Stalking hängt sicherlich unter anderem auch mit meinem generellen Interesse für Sozialarbeit in der Zusammenarbeit mit Straftätern zusammen. Daher leistete ich auch mein Praxissemester im Büro für Täter-Opfer Ausgleich in Dortmund ab. Dort hatte ich dann einen realen Kontakt mit einem Stalkingopfer. Die junge Frau, die zu uns kam, hatte ihren Exfreund wegen Nachstellung angezeigt, da er unter anderem erotische Bilder an ihren Chef geschickt hatte und sie monatelang mit SMS-Nachrichten und Anrufen terrorisierte. Sie war sehr verzweifelt und der Fall erregte bei mir sehr großes Interesse, so sehr, dass ich mich nun entschieden habe, meine Abschlussarbeit über Stalking zu verfassen.
Ein anderer Grund war, dass ich den Eindruck hatte, dass Sozialarbeiter nicht wirklich wissen, wie sie mit Stalkern und ihren Opfern umgehen sollen, da das Thema einfach sehr neu ist, nur selten Fachkenntnis dazu vorliegt und es auch bisher keine einheitliche Vorgehensweise gibt. Daher möchte ich am Ende der Arbeit auch die Möglichkeiten für Sozialarbeiter im Umgang mit Stalking beschreiben. Zuvor möchte ich den Begriff Stalking ganzheitlich vorstellen und erklären. Des Weiteren möchte ich auf die rechtlichen Grundlagen und auf die Behandlungs- und Beratungsmöglichkeiten für Opfer und Täter eingehen. Zu Beginn soll der Stalkingbegriff an sich definiert werden.
2. Stalking - Eine Einführung
„Nach einer Studie des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim werden fast zwölf Prozent aller Menschen in Deutschland im Laufe ihres Lebens mindestens einmal gestalkt.“[1]
Es handelt sich also um ein Massenphänomen. In diesem Kapitel soll Stalking definiert und vorgestellt werden, um einen ersten Überblick zu geben.
2.1 Definition
Die Definitionen zum Begriff Stalking sind in der Literatur sehr unterschiedlich.
Laut Hoffmann (2006) entstammt der englische Ausdruck Stalking der Jägersprache und bedeutet in wörtlicher Übersetzung etwa „sich anpirschen“ oder „anschleichen“. Des Weiteren stellt er fest, dass sich der Anglizismus „Stalking“ als eigenständiger Begriff mittlerweile im Deutschen etabliert hat. Er sieht eine bestimmte Konstellation von Verhaltensweisen bei Stalkern, die folgende Merkmale beinhalten:[2]
- „sie sind von andauernder und wiederholter Natur
- sie zielen auf eine bestimmte Person (seltener Organisation bzw. Personengruppe) ab, indem sie deren Handlungsspielraum einschränken
- vom „Zielobjekt“ werden sie als belästigend oder unerwünscht wahrgenommen
- sie sind geeignet, beim Adressaten Sorge, Angst oder Panik durch oftmals das andauernde Überschreiten sozialer Konventionen auszulösen.“
Fiedler (2006) bezeichnet Stalking als neu eingeführten Begriff, der eine bestimmte Art unterschiedlicher und nur zum Teil als unmittelbar delinquent geltender Handlungen zusammenfasst.[3] Ganz allgemein definiert er Stalking als ein Muster schikanöser und als bedrohlich erlebter Verhaltensweisen, die er grob in zwei unterschiedliche Kategorien einordnet:[4]
- „Stalking als zwanghaftes Belästigen und Bedrohen von bekannten Personen, zu denen nur kurze Zeit oder auch bereits länger freundschaftliche oder intime Beziehungen bestanden oder bestehen, meistens beobachtbar in der Folge des Versuchs eines der Beteiligten die bestehende Beziehung aufzulösen bzw. zu beenden.
- Stalking als zwanghaftes Belästigen, Verfolgen und Bedrohen von Personen, von Prominenten und „entfernten Liebesobjekten“, zu denen bisher keine persönlichen Beziehungen bestanden.“
Laut Fiedler kann Stalking viele verschiedene Verhaltensweisen umfassen und er unterteilt diese wie häufig bei der Ausarbeitung von Anti-Stalking Gesetzen in Leichtes und Schweres Stalking:[5]
„Leichtes Stalking oder Belästigen:
- Ständige unerwünschte Kommunikation durch Briefe
- Andauernde anonyme und nicht anonyme Telefonanrufe
- Dauerndes Beobachten und Verfolgen des Opfers
- demonstratives Warten und Belagerung des Hauses oder des Arbeitsplatzes
- Ausfragen und Belästigen der Freunde des Opfers
- Stehlen und Lesen der Post des Opfers
- Zusenden von Gegenständen mit obszönem oder bedrohlichem Charakter
- Zusenden von Geschenken, die implizite Drohungen enthalten
Schweres und gewalttätiges Stalking:
- Explizite verbale Beschimpfungen und Gewaltandrohungen gegen das Opfer oder gegen dessen Angehörige
- Tatsächliche körperliche oder sexuelle Übergriffe
- Diebstahl von persönlichem Material oder Eigentum
- Verletzen oder Töten eines Haustiers
- Zerstören, Beschädigen und Beschmutzen von Gegenständen aus dem Besitz des Opfers, wie z.B. das Übergießen des Autos mit Farbe oder Öl, das Zerstechen der Autoreifen, das Vernichten wichtiger Unterlagen und Akten usw.“
Er stellt dabei fest, dass es nicht immer klar zu sagen ist, was nun als schweres und was als leichtes Verhalten verstanden werden soll.
Fiedler geht davon aus, dass die Dauer von Stalking zwischen vier Wochen und zwanzig Jahren liegen kann, also eine recht große Zeitspanne.[6] Wobei Stalker mit einer Persönlichkeitsstörung[7] ihre Opfer besonders lange verfolgen.[8]
Im Strafgesetzbuch wird Stalking, zu Deutsch dort „Nachstellung“ unter Strafe gestellt.
In § 238 StGB Nachstellung wird Stalking wie folgt definiert:
„(1) Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich
1. seine räumliche Nähe aufsucht,
2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,
3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen,
4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht, oder
5. eine andere vergleichbare Handlung vornimmt und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt(…)
(2) (…)wenn der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahe stehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt
(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person(…)“
Das vollständige Gesetz wird nochmal in Kapitel 4 (Gesetzeslage) aufgegriffen.
Zusammenfassend kann man Stalking als ein „obsessives oder unnormal langes Muster von Bedrohung oder Belästigung, welches gegen ein bestimmtes Individuum gerichtet ist“[9], verstehen. Zona et. al. (1993) haben es so als eine der ersten wissenschaftlichen Definitionen formuliert.
2.2 Historischer Ursprung
„Stalking, ein altes Verhalten, ein neues Verbrechen.“[10]
Dem Stalking liegt ein psychopathologisches bzw. psychologisches Prinzip zu Grunde, welches sehr viel länger unter dem Begriff Erotomanie (krankhafter Liebeswahn) bzw. Liebeswahn bekannt ist, als der Begriff Stalking überhaupt existiert.
Fälschlicher Weise werden heute die Begriffe Liebeswahn und Stalking oft für ein und dasselbe gehalten.
Hoffmann (2006) beschreibt den Unterschied zwischen Stalking und Erotomanie:[11]
Stalking stellt ein Verhaltenssyndrom dar, hinter dem sich eine obsessive Fixierung auf eine andere Person verbirgt. Ein Grund für ein Kontaktverhalten und Verfolgung kann der Wunsch nach einem Liebesverhältnis, aber auch ein anderes Motiv wie etwa Rache sein.
Erotomanie bzw. Liebeswahn ist hingegen ein psychiatrisches Syndrom, bei dem der Betroffene wahnhaft von einer wechselseitigen Liebe bzw. der Liebe des Anderen ausgeht.
In der ICD 10 wird Erotomanie heute unter F52.7 „Gesteigertes Sexuelles Verlangen“ geführt.
(International Statistical C lassification of D iseases and Related Health Problems, Ziffer 10 bezeichnet die 10. Revision der Klassifikation (psychische Störungen)).[12]
Personen, die unter Erotomanie leiden, zeigen zwar häufig auch Stalkingverhalten, aber Stalker, die jemanden bedrohen oder verfolgen sind nicht unbedingt an Liebeswahn erkrankt.[13]
Bereits in den Schriften der großen ärztlichen Philosophen der Antike, z.B. bei Plutarch, Hippokrates oder Galen finden sich erste Hinweise auf Liebeswahn.
Das Phänomen der Erotomanie, auch als Liebesraserei oder Liebestollheit bezeichnet, wurde damals vor einem mythologischen Hintergrund gesehen.[14]
Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts änderte sich die Sichtweise für Erscheinungen der Erotomanie. Der „französische Vater der klinischen Psychiatrie“ Philippe Pinel beschrieb im Jahr 1800 eine „Manie pour amour“, worunter er eine wahnhaft bedingte erotische Zuneigung verstand.[15]
Im deutschen Sprachraum waren die großen Kliniker Kraepelin und Kretschmer die ersten, die sich mit dem Phänomen der Erotomanie auseinandersetzten. Kraepelin fasste unter dem Begriff „Erotische Verrücktheit“ eine Form des Größenwahns in Zusammenhang mit verschiedenen Formen der Paranoia zusammen.[16]
Die Betroffenen bezeichnete er als größenwahnsinnig, weil sich diese Personen, die meistens Frauen waren, von sozial hochrangigen, fernstehenden Persönlichkeiten wie Königen usw. geliebt fühlten und aus jeder Veränderung im Umfeld ihres Verehrten einen Beweis seiner Zuneigung sahen.[17]
Hier wird auch wieder der Unterschied zum Begriff Stalking deutlich, da heute Männer unter den Stalkern die Mehrheit bilden und unter den verschiedensten Motiven handeln.[18]
Der französische Psychiater De Clérambault beschrieb in seinem Werk „Les psychoses passionelles“ von 1921 fünf Fälle von Erotomanie, wobei die unerschütterliche Wahnvorstellung, von einer anderen Person geliebt zu werden, zum entscheidenden diagnostischen Kriterium machte.
Dabei machte auch er deutlich, dass der gewählte Liebhaber immer von höherem Sozialstatus war, was heute wie bereits dargestellt, nicht immer der Fall ist.[19] Hoffmann (2006) zitiert Skoler (1998), um die Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Stalkinghandlungen deutlich zu machen: „Eine westliche Kultur, die einst das Verfolgen einer unerwiderten Liebe idealisierte, romantisierte und erotisierte, kriminalisiert diese nun“.[20]
3. Formen und Ausprägung des Stalking heute
In diesem Kapitel soll einmal die Seite des Täters und einmal die Seite des Opfers von Stalking vorgestellt werden. Herangezogen werden dabei auch verschiedene Theorien und Thesen, um Verhaltensweisen zu erklären.
3.1 Täterarten und Tätermotive
Nachdem sich der Psychologe J.R. Meloy mit verschiedener Literatur beschäftigt hatte, entwarf er ein Kurzportrait eines obsessiven Verfolgers:
„Der typische Stalker ist ein arbeitsloser oder unterbeschäftigter Mann im vierten Lebensjahrzehnt. Er ist alleinstehend oder geschieden und hat eine Vorgeschichte von kriminellen und psychiatrischen Auffälligkeiten sowie von Alkohol – oder Drogenmissbrauch. Er verfügt über eine hohe Schulbildung und ist intelligenter als andere Kriminelle.“[21]
In den verschiedenen Untersuchungen wird jedoch deutlich, dass es nicht einen einzigen Prototyp eines Stalkers gibt, sondern verschiedenste Tätergruppen mit unterschiedlichen Tatmotiven. Die Einteilung der Täter erfolgt teilweise unterschiedlich.
Während Schuhmacher (2004) und Voß, Wondrak und Hoffmann (2006) nach Art der Vorbeziehung zwischen Stalker und Opfer und des Tatmotives unterteilen, unterteilen z.B. Sheridan et al. (2001) nach Verhaltensweisen und Handlungsmuster der Stalker.
Auffallend häufiger ist jedoch die Kategorisierung nach der Vorbeziehung und dem Tatmotiv.
Krüger (2007) erachtet die Unterscheidung nach Täterpersönlichkeit in erster Linie ebenfalls als am sinnvollsten, da Stalker fast immer als Alleintäter agieren, nicht selten unter krankhaften Störungen leiden und unterschiedliche Motive verfolgen.
International am einflussreichsten ist die Typologie nach Mullen et. al. (1999). Mullen benennt fünf verschiedene Grundmotivationen für Stalker, die sich aufgrund ihrer Motive, psychischen Auffälligkeiten und Persönlichkeitsstrukturen unterscheiden lassen:[22]
1. Der zurückgewiesene Stalker ( „Rejected Stalker“)
Dies betrifft vor allem Fälle, wo zuvor zwischen Opfer und Täter eine enge Beziehung bestand. Diese Tätergruppe ist die am häufigsten auftretende. Die Trennung dieser Beziehung kann von dem Täter nicht anerkannt bzw. ohne weiteres hingenommen werden. Der Täter empfindet die Trennung als ungerecht, willkürlich oder als unerklärlichen Irrtum. Meistens handelt es sich hierbei um den Ex – Partner, aber auch gelegentlich um Familienmitglieder oder enge Freunde. Der Stalker leidet unter Verlustgefühlen, Wut, Frustration, Eifersucht und ist oftmals depressiv.
Der Wunsch nach Versöhnung und der Wiederherstellung der Beziehung kann genauso wie Rache aufgrund der erfahrenen Zurückweisung ein Motiv für die Stalkinghandlung darstellen.
Oftmals ist der Täter auch zwischen dem Wunsch, das Opfer für sich zurück zu gewinnen und seinen Rachegelüsten hin und her gerissen. Diese Unentschlossenheit spiegelt sich in einem andauernden Wechsel aus Zuneigungsbekundungen und aggressiven Handlungen gegenüber dem Opfer wieder.
Weitere Zurückweisungen des Opfers werden entweder verharmlost, fehlinterpretiert oder gar ganz ignoriert.
Der Stalker deutet den Wunsch des Opfers, im Moment keine Beziehung mehr eingehen zu wollen als Ansporn, seine Bemühungen zu intensivieren.
2. Der intimitätssuchende / Nähe suchende Stalker („Intimacy Seeker“)
In dieser Gruppe versucht der Täter, mit dem Opfer eine Liebesbeziehung einzugehen. Vom Opfer werden diese Gefühle jedoch nicht erwidert, wovon sich der Stalker in seiner Werbung um den vermeintlichen Partner nicht abschrecken lässt. Das Opfer wird dabei vom Stalker stark idealisiert. Zurückweisungen, die selbst für Außenstehende eindeutig sind, werden vom Täter als „Zieren“ interpretiert.
Meistens sind die Stalker überzeugt davon, dass ihre Hoffnungen und Wünsche eines Tages in Erfüllung gehen, solange sie nur hartnäckig genug bleiben. Viele Stalker in dieser Gruppe leben einsam und zurückgezogen und es fehlt ihnen zumeist an sozialer Kompetenz. Eine weitere größere Anzahl der Täter ist emotional gestört und außerdem schizophren (Erkranken an einer Persönlichkeitsspaltung, ICD F20-29) veranlagt. Erotomanie und wahnhafte Liebesvorstellungen tauchen in dieser Gruppe vermehrt auf.
3. Der sozial unfähige, inkompetente Stalker („Incompetent Suitor“)
In dieser Gruppe haben die Täter zumeist nur geringe intellektuelle und finanzielle Möglichkeiten. Im Gegensatz dazu stehen ihre Wünsche und Erwartungen und sie entwickeln Liebesgefühle, die nicht erwidert werden.
Der inkompetente Stalker sucht eine direkte Beziehung. Diese Stalker zeichnen sich durch mangelndes Einfühlungsvermögen in die Perspektive anderer Menschen und durch Selbstüberschätzung aus. Sie können die Abweisung des Opfers nicht verstehen, da sie von ihrem Charme und ihrer Attraktivität mehr als überzeugt sind. Bei manchen Stalkern geht das Verhalten sogar in regelrechte Machoattitüden über. Im Vergleich zu den anderen Stalkergruppen ist die Stalkingdauer recht kurz. Der Stalker wendet sich einem anderen Opfer zu, wenn seine Bemühungen keinen Erfolg bringen.
4. Der Rachestalker bzw. der ärgergetriebene Stalker („Resentful Stalker“)
Oberstes Ziel der Stalker in dieser Gruppe ist es, bei ihren Opfern Angst, Terror und Schrecken zu erzeugen. Der Täter fühlt sich in irgendeiner Art und Weise vom Opfer ungerecht behandelt und will sich für dieses von ihm wahrgenommene Unrecht rächen. Auch Personen, die er für seinen persönlichen Misserfolg verantwortlich macht, werden zum Opfer. Opfer können auch Personen sein, die der Täter symbolisch für eine verhasste Organisation oder Bevölkerungsgruppe ausgewählt hat.
Ein großer Teil der Stalker findet seine Opfer des Weiteren auch am Arbeitsplatz. Besonders oft betroffen als Opfer in dieser Stalkergruppe sind zum einen Personen in übergeordneten Positionen, z.B. der eigene Chef, oder der Rechtsanwalt, zum anderen Personen in helfenden Berufen, wie z.B. Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzte oder auch Sozialarbeiter.
5. Der beherrschende Stalker bzw. der Jagdstalker („Predatory Stalker“)
Diese Stalkergruppe ist zwar quantitativ die kleinste, aber auch gefährlichste Gruppe. Ziel des Stalkers ist es, sein Opfer permanent zu beherrschen und zu überwachen. Er ist vom Wünsch erfüllt, viel über sein Opfer zu erfahren.
Es kann verstärkt zu körperlichen Angriffen kommen, da der Täter zumeist vorangegangene Stalkinghandlungen nur dazu nutzt, einen Überfall auf das Opfer vorzubereiten. Der Angriff ist außerdem oft sexueller Natur. Vor dem Angriff gehören Wochen-, oder Monatelange Verfolgungs- und Beobachtungshandlungen dazu, wobei der Täter meistens versucht, möglichst unauffällig und unbemerkt zu bleiben. Die Kontrolle über das Opfer und die Planung des Angriffs verschaffen dem Täter Befriedigung. Diese Befriedigung kann von Macht oder Kontrolle dominiert sein, zumeist ist die Befriedigung aber sexuell dominiert. Häufig wird bei Stalkern dieser Gruppe Paraphilie bis hin zur Perversion festgestellt.[23]
Diese Typologie ist hier und da auf Kritik gestoßen. Zum Beispiel wirft sich die Frage auf, ob man wirklich immer zwischen verschiedenen Gruppen differenzieren kann oder ob Stalkingfälle nicht mehrere Motive und Handlungen aus verschiedenen Gruppen beinhalten können. Die Beschreibungen sind vielleicht auch zu weit gefasst, so dass eventuell „Nichtstalker“ in die Gruppen fallen. Insgesamt ist die Typologie von Mullen jedoch das Standardmodell in der Stalkingforschung und gibt einen recht umfassenden Überblick über die Tätergruppen. Einheitlich bei allen Stalkertypen ist, dass sie nur selten ein Schuldbewusstsein entwickeln und ihr Verhalten nicht als negativ bewerten.
3.1.1 Thesen und Theorien zur Ausbreitung von Stalking heute
Studien, die sich auf die Phänomenologie (Ursprungsfoschung) und die Erforschung von Stalking in Deutschland beziehen, sind rar. Krüger (2007) hält besonders die Studie der TU Darmstadt für erwähnenswert.[24] Im Zeitraum von 2002 bis 2005 wurde an der Technischen Universität Darmstadt die bisher größte wissenschaftliche Studie zum Thema Stalking im deutschsprachigen Raum erstellt. Staatliche Stellen hatten das Projekt abgelehnt und es wurde dann durch die Unterstützung des Weißen Rings[25] ermöglicht. Die Studie ist auch unter dem Titel: Stalking in Deutschland – Aus Sicht der Betroffenen und Verfolger, 2006 im Nomos Verlag erschienen.[26]
Die Initiative www.gegenstalking.de von Frau Horn fasst die Ergebnisse der Studie relativ gut und knapp zusammen:[27]
- „Es mangelte an Hilfsangeboten für die Opfer
- Die Polizei war hilflos, bagatellisierte das Problem oder hielt das Problem für eine Privatangelegenheit
- Durchschnittliche Dauer des Stalkings betrug 28 Monate
- Stalker waren zu 49% Ex-Partner, zu 9% Fremde
- 81% der Stalker waren männlich
- Gewalttätigkeiten bei Stalking betrug 39%
- 66% der Opfer litten unter Schlafstörungen und Albträumen
- häufige Krankschreibungen nach Stalkingattacken
- 55% der Stalker hatten einen höheren Bildungsabschluss“
Die Studie macht des Weiteren deutlich, dass Stalking zunächst als Problem von Prominenten galt, aber sich dann herausstellte, dass es sich hierbei um ein Massenphänomen handelt, mit dem ein großer Anteil der Bevölkerung zumindest einmal Erfahrung gemacht hat.[28] Um dieses Massenphänomen jedoch zu erklären, bedarf es der Veranschauung verschiedener Ansätze und Theorien. Hoffmann und Voß (2006) benennen vor allem Erklärungsansätze aus der psychoanalytischen Theorie der Persönlichkeitsentwicklung (S. Freud)[29]:
Bei der Bindungstheorie ist der Aufbau einer gesicherten, emotionalen und stabilen Beziehung des Kindes zur Hauptbeziehungsperson, zumeist zur Mutter, der Kern. Dadurch wird die Hauptbeziehungsperson einzigartig für das Kind. Im Bezug auf das Stalkingphänomen bedeutet dies, dass ein Kind, dessen Aufbau eines Bindungssystems in irgend einer Art und Weise gestört wurde, eine größere Wahrscheinlichkeit hat, sich im Erwachsenenalter zum Stalker zu entwickeln. Auch wenn diese Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie mit früheren traumatischen Erlebnissen und Verletzungen in Verbindung bringt, kann ein Stalkingverhalten ausgelöst werden. Diese Menschen hatten zumeist bereits bevor sie sich zum Stalker entwickelten, Probleme in anderen zwischenmenschlichen Beziehungen, z.B. in einer Partnerschaft, oder konnten überhaupt keine länger andauernde Beziehung aufbauen.
Auch die Psychoanalytische Objektbeziehungstheorie sucht die Ursachen in der frühen Kindheit und es geht unter anderem auch um die Beziehung zur primären Bezugsperson. Maßgeblich dabei sind zum einen die gelingende Loslösung von der Bindungsperson und die Selbstwerdung sowie die Erlangung von Autonomie. Kann die Balance zwischen dem Wunsch nach Nähe und dem Wunsch nach Autonomie nicht hergestellt werden, kommt es zum Ungleichgewicht und das Kind spaltet Objektbeziehungen nur noch in Gut und Böse.
Im Bezug auf Stalking bedeutet dies, dass solche Menschen, die sich zu Stalkern entwickeln, enorm zwischen starker Idealisierung und Abwertung einer Person hin und her schwanken. Solche Personen, die eine frühkindliche Phase in der Entwicklung von Objektbeziehungen nicht richtig verarbeitet haben, sind zumeist unfähig, alleine zu sein und eine Trennung zu tolerieren, sowohl Nähe als auch Distanz werden mit Ängsten verbunden.
Unter den Psychodynamischen Ansätzen und unter der Psychopathologie stellen Voß und Hoffmann besonders die Theorie der obsessiven Verfolgung von Meloy (1996) in den Vordergrund, um Stalking zu erklären. Dies stellt nach ihrer Meinung die umfangreichste Erklärung von Stalking auf psychoanalytischer Grundlage dar. Nach dieser Theorie neigen Personen zum Stalking nach einem Verlust einer Person, der an ein Verlustgefühl aus der Kindheit erinnert. Meloy stellt sechs Phasen vor, die erklären, wie sich ein Stalker krankhaft in die Beziehung zu einer Person hineinsteigert:[30]
1. „Der obsessive Verfolger entwickelt eine Phantasie, in der er sich mit dem Objekt (der verfolgten Person) vereinigt fühlt. Das Objekt wird idealisiert, geliebt, bewundert und als dazu ausersehen betrachtet, mit ihm zusammen zu sein. Es ist die Phase der narzisstischen (selbstverliebten) Vereinigung mit dem Objekt.
2. Die Vereinigungs-Phantasie ist eine primäre Motivation für die nun in der Realität stattfindenden Annäherungsversuche, die jedoch
mit Zurückweisung beantwortet werden.
3. Die Zurückweisung (quasi durch die Realität), die in krassem Gegensatz steht zu den sich wiederholenden Vereinigungs-Phantasien, verursacht eine tiefe narzisstische Kränkung (im Original „Wunde“), verbunden mit dem Gefühl der Erniedrigung oder Scham.
[...]
[1] http://www.polizei-beratung.de/rat_hilfe/opferinfo/stalking/fakten/ , Stand 15.01.09
[2] Hoffmann u. Voß , 2006, S. 9
[3] Vgl. Fiedler, 2006 , S. 15
[4] Fiedler, 2006 , S. 15-16
[5] Fiedler, 2006 , S. 15-16
[6] Vgl. Fiedler, 2006 , S. 20-22
[7] Definition ICD-10: „Schwere Störung der charakterlichen Konstitution und des Verhaltens, die mehrere Bereiche der Persönlichkeit betrifft“ , in: Dilling, Mombour u. Schmidt, 2008, S. 246
[8] Vgl. Fiedler, 2006 , S. 20-22
[9] Zona et al ,1993 , S. 896, in : Fiedler , 2006
[10] J.R. Meloy 1999, in: Hoffmann, 2006, S. 15
[11] Vgl. Hoffmann, 2006, S. 116 ff.
[12] Vgl. Hoffmann, 2006, S. 121
[13] Hoffmann, 2006, S. 115 - 116
[14] Vgl. http://www.medicalforum.ch/pdf/pdf_d/2005/2005-06/2005-06-046.PDF , Stand 25.12.2008
[15] Vgl. Si e he Fußnote 14
[16] Vgl. Siehe Fußnote 14
[17] Vgl. Siehe Fußnote 14
[18] Vgl. Siehe Fußnote 14
[19] Vgl. http://www.medicalforum.ch/pdf/pdf_d/2005/2005-06/2005-06-046.PDF , Stand 25.12.2008
[20] Skoler 1998, S. 110 , in : Hoffmann, 2006, S. 16.
[21] Meloy, 1999, S. 86 , in: Voß / Hoffman / Wondrak , 2006, S. 15
[22] Vgl. Matthias-Bleck, 2006, S.12-15 ; Hoffmann, 2006, S. 72-75 ; Schuhmacher, 2004, S.95-132
[23] Definition Paraphilie u. Perversion laut DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) : „Kriterium A: wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuelle dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die sich im allgemeinen auf 1. nichtmenschliche Objekte, 2. das Leiden oder die Demütigung von sich selbst oder seines Partners, 3. Kinder oder andere nicht einwilligende oder nicht einwilligungsfähige Personen beziehen und die über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten auftreten. Kriterium B: Das Verhalten, die sexuell dranghaften Bedürfnisse oder Phantasien führen in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. z.B.: Exhibitionismus, Fetischismus, Frotteurismus, Pädophilie, Voyeurismus“ , in: http://www.neuro24.de/show_glossar.php?id=1286 , Stand 05.02.09
[24] Vgl. Krüger, 2007, S. 23
[25] Weißer Ring: Gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten e.V.
[26] Vgl. http://www.gegenstalking.de/stalking-studie.html , Stand 03.01.2009
[27] http://www.gegenstalking.de/stalking-studie.html , Stand 03.01.2009
[28] Vgl. Krüger, 2007, S. 12
[29] Vgl. Hoffmann u. Voß, 2006, S. 16-21
[30] Hoffmann u. Voß, 2006, S. 20
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Originalausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2009
- ISBN (eBook)
- 9783842828216
- DOI
- 10.3239/9783842828216
- Dateigröße
- 891 KB
- Sprache
- Deutsch
- Institution / Hochschule
- Fachhochschule Dortmund – Angewandte Sozialwissenschaften, Soziale Arbeit
- Erscheinungsdatum
- 2012 (Januar)
- Note
- 2,0
- Schlagworte
- stalking sozialarbeit tätermotiv therapie opferhilfe
- Produktsicherheit
- Diplom.de