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Interbankenmärkte-Bestandsaufnahme

©2011 Diplomarbeit 63 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Finanzindustrie wird derzeit von verschiedenen Tendenzen geprägt. Globalisierung, technischer Fortschritt und Konzentration sind Faktoren, die gravierende Veränderungen auf den Finanzmärkten auslösen. Hierdurch haben die Interbankenmärkte in den letzten Jahrzehnten im Hinblick auf das Funktionieren des Finanzsystems immer größere Bedeutung gewonnen, und das moderne Finanzsystem ist heutzutage ohne Interbankenmärkte kaum mehr vorstellbar. Die Interbankenbeziehungen erzeugen ein dichtes Netz zwischen den Kreditinstituten, und dessen Beständigkeit basiert wesentlich auf dem Vertrauen der Akteure in das System.
In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind Anzahl und Häufigkeit von Bankenkrisen stark angestiegen. Prominente Fälle sind hierbei die Asienkrise in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts und die immer noch andauernde Finanzkrise von 2007/2009. Die negativen Folgen dieser Krisen sind sehr groß. Dabei spielt die kurzfristige Refinanzierung von Banken im Interbankenmarkt als zentraler Verstärkungsmechanismus dieser Entwicklung eine große Rolle.
Die Banken zählen zwar zu den am stärksten regulierten Institutionen einer Volkswirtschaft: dennoch konnten die derzeit gültigen Regulierungsstandards und Berichterstattungspflichten immer wiederkehrende Krisen nicht verhindern. Es stellt sich somit die Frage, welche Maßnahmen zur Vervollständigung der Regulierungsmaßnahmen getroffen werden müssen, um Krisen eines ähnlichen Ausmaßes wie in der Vergangenheit wirksam zu begegnen. Angesichts der beträchtlichen Folgen solcher Krisen wird gegenwärtig intensiv darüber diskutiert, wie die Interbankenmärkte reguliert werden könnten, um deren Funktionsstörung eventuell in Krisenzeiten zu verhindern, und welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um den Schlüsselfaktor des Interbankenmarktes, nämlich das gegenseitige Vertrauen der Banken, aufrechtzuerhalten. Um derartige Regulierungen künftig realisieren zu können, müssen eine theoretische und eine empirische Grundlage zur Betrachtung von Interbankenbeziehungen vorliegen. Jedoch ist die Rolle solcher Interbankenbeziehungen bisher empirisch kaum bzw. unzureichend analysiert worden. Die Wahrnehmung von Risiken auf einer Systemebene anstelle der bisher vorherrschenden Betonung von Institutsrisiken sowie die vollständige Datensammlung von bilateralen Interbankenbeziehungen, die die Analyse von empirischen Untersuchungen ermöglicht, sind relevante Voraussetzungen zur […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

1 Einleitung und Problemstellung

2 Das Interbankengeschäft
2.1 Grundstruktur der Interbankenkredite
2.1.1 Unbesicherte Kredite
2.1.2 Gesicherte Kredite
2.1.3 Status quo der beiden Marktsegmente
2.1.3.1 Entwicklung der Geschäftsvolumen
2.1.3.2 Friststruktur
2.1.3.3 Handelsstruktur
2.2 Aggregierte Entwicklung der Interbankentransaktionen
2.2.1 Interbankenkredite im Eurowährungsraum
2.2.2 Beiträge der Länder zu den gesamten Interbankenverbindlichkeiten
2.2.3 Beiträge der inländischen Interbankenverbindlichkeiten
2.3 Bedeutende Zinssätze des Interbankenmarktes
2.3.1 EURIBOR
2.3.2 EONIA
2.3.3 EUREPO

3 Nutzen und Risiken der Interbankenmärkte
3.1 Aufgaben des Interbankenmarktes
3.1.1 Horizontaler Liquiditätsausgleich
3.1.2 Geldpolitischer Transmissionsmechanismus
3.1.3 Risikomanagement
3.2 Risiken des Interbankenmarktes
3.2.1 Kreditrisiko
3.2.1.1 Adressenausfallrisiko
3.2.1.2 Bonitätsrisiko
3.2.2 Liquiditätsrisiko
3.2.2.1 Refinanzierungsrisiko
3.2.2.2 Marktliquiditätsrisiko
3.2.3 Systemisches Risiko
3.2.3.1 Informationseffekte
3.2.3.2 Dominoeffekte

4 Bisherige Untersuchungen des Interbankenmarktes
4.1 Theoretische Ansätze für die Interbankenkoordination
4.1.1 Grundmodell (Einbankenmodell)
4.1.2 Modellerweiterung durch Unsicherheit der Bankkunden
4.1.3 Interbankenmarkt ohne aggregierte Unsicherheit
4.1.4 Interbankenmarkt mit aggregierter Unsicherheit
4.1.5 Modellierung der Interbankenmarkt als ein Netzwerk
4.2 Empirische Analyse der Netzwerkstruktur des Interbankenmarktes
4.2.1 Struktur des deutschen Interbankenmarkts
4.2.1.1 Daten
4.2.1.2 Formulierung der Interbankenverflechtungen
4.2.1.3 „Two-Tier-Struktur“ des deutschen Interbankenmarktes
4.2.2 Internationaler Vergleich

5 Einfluss der europäischen Zentralbank
5.1 Geldpolitische Instrumente der EZB
5.1.1 Mindestreservepflicht
5.1.2 Offenmarktgeschäfte bzw. Festlegung des Leitzinses
5.1.3 Ständige Fazilitäten bzw. Zinskorridor
5.2 Diskussion der Rolle des Staates
5.2.1 Folgen fehlender Staatseingriffe in Krisenzeiten
5.2.2 Grunddilemma zwischen Staat und dem Banken

6 Fazit

Literaturverzeichnis

Quellenverzeichnis

Ehrenwörtliche Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Durchschnittliches tägliches Kreditvolumen der unbesicherten und besicherten Interbankentransaktionen

Abbildung 2: Friststruktur der unbesicherten Refinanzierung

Abbildung 3: Friststruktur der besicherten Interbankenkredite

Abbildung 4: Handelsstruktur der beiden Marktsegmente

Abbildung 5: Entwicklung der Interbankenrefinanzierung im Eurowährungsraum

Abbildung 6: Länderbeiträge zur Interbankenverbindlichkeit im Eurowährungsraum

Abbildung 7: Geografische Aufgliederung der Geschäftspartner

Abbildung 8: Liquiditäts- und Marginspirale

Abbildung 9: Money-Center-Struktur nach Freixas et al. (2000)

Abbildung 10: Interbankenmarktstruktur nach Allen und Gale (2000)

Abbildung 11: Two-Tier-Struktur des deutschen Interbankenmarktes

Abbildung 12: Die Entwicklung des Leitzinses in letzten 10 Jahren

Abbildung 13: EONIA und EURIBOR im Vergleich zu den Zinssätzen der EZB

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Interbankenpositionen nach Fristigkeit und Bankensektor

Tabelle 2: Verbindlichkeiten und Forderungen im deutschen Interbankenmarkt

Tabelle 3: Überblick der empirischen Literaturen über den Interbankenmärkte und deren Exposures

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Symbolverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung und Problemstellung

Die Finanzindustrie wird derzeit von verschiedenen Tendenzen geprägt. Globalisierung, technischer Fortschritt und Konzentration sind Faktoren, die gravierende Veränderungen auf den Finanzmärkten auslösen. Hierdurch haben die Interbankenmärkte in den letzten Jahrzehnten im Hinblick auf das Funktionieren des Finanzsystems immer größere Bedeutung gewonnen, und das moderne Finanzsystem ist heutzutage ohne Interbankenmärkte kaum mehr vorstellbar. Die Interbankenbeziehungen erzeugen ein dichtes Netz zwischen den Kreditinstituten, und dessen Beständigkeit basiert wesentlich auf dem Vertrauen der Akteure in das System.[1]

In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind Anzahl und Häufigkeit von Bankenkrisen stark angestiegen. Prominente Fälle sind hierbei die Asienkrise in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts und die immer noch andauernde Finanzkrise von 2007/2009. Die negativen Folgen dieser Krisen sind sehr groß. Dabei spielt die kurzfristige Refinanzierung von Banken im Interbankenmarkt als zentraler Verstärkungsmechanismus dieser Entwicklung eine große Rolle.

Die Banken zählen zwar zu den am stärksten regulierten Institutionen einer Volkswirtschaft: dennoch konnten die derzeit gültigen Regulierungsstandards und Berichterstattungspflichten immer wiederkehrende Krisen nicht verhindern. Es stellt sich somit die Frage, welche Maßnahmen zur Vervollständigung der Regulierungsmaßnahmen getroffen werden müssen, um Krisen eines ähnlichen Ausmaßes wie in der Vergangenheit wirksam zu begegnen. Angesichts der beträchtlichen Folgen solcher Krisen wird gegenwärtig intensiv darüber diskutiert, wie die Interbankenmärkte reguliert werden könnten, um deren Funktionsstörung eventuell in Krisenzeiten zu verhindern, und welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um den Schlüsselfaktor des Interbankenmarktes, nämlich das gegenseitige Vertrauen der Banken, aufrechtzuerhalten. Um derartige Regulierungen künftig realisieren zu können, müssen eine theoretische und eine empirische Grundlage zur Betrachtung von Interbankenbeziehungen vorliegen. Jedoch ist die Rolle solcher Interbankenbeziehungen bisher empirisch kaum bzw. unzureichend analysiert worden. Die Wahrnehmung von Risiken auf einer Systemebene anstelle der bisher vorherrschenden Betonung von Institutsrisiken sowie die vollständige Datensammlung von bilateralen Interbankenbeziehungen, die die Analyse von empirischen Untersuchungen ermöglicht, sind relevante Voraussetzungen zur wissenschaftlichen Analyse.

Im Rahmen dieser Arbeit werden daher die nachfolgenden Fragen untersucht: Warum ist die Existenz des Interbankenmarkts von so großer Bedeutung? Aus welchen ökonomischen Motiven werden Interbankenkredite vergeben? Ist die Interbankenkoordination ein risikofreies Geschäft? Das Ziel ist es, zum einen die theoretischen Aspekte zum Zustandekommen der Interbankenkoordination zu zeigen und zum anderen Nutzen und Risiken dieser Märkte aufzuzeigen. Dabei wird die Arbeit in 6 Kapiteln gegliedert und ist wie folgt aufgebaut:

Kapitel 2 untersucht die Geschäftsentwicklung der verschiedenen Segmente des Interbankenmarktes im Eurowährungsraum. Dabei wird der Fokus vor allem auf die Geldmarktaktivitäten gerichtet. Im anschließenden Kapitel 3 wird der Nutzen des Interbankennetzwerkes aufgezeigt und veranschaulicht, dass die Interbankenkoordination auch bestimmte Gefahren in sich birgt. Kapitel 4 besteht aus den theoretischen und empirischen Untersuchungen des Interbankennetzwerkes. Dem theoretischen Teil liegen die Untersuchungen von Bhattacharya und Gale (1987), Allen und Gale (2000) und Freixas et.al (2000) zugrunde. Kapitel 5 verschafft einen Überblick über die geldpolitischen Instrumente der EZB und deren Wirkung auf die Interbankenmärkte. Anschließend erfolgt in Kapitel 6 die Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse.

Zum Grundverständnis über die Funktionsweise der Interbankenmärkte wird in der folgenden Arbeit exemplarisch der Interbankenmarkt der Eurozone herangezogen. Außerbilanzielle Positionen des Interbankenmarktes werden hier nicht betrachtet.

2 Das Interbankengeschäft

Die Geschäfte aus den Zahlungsverkehr-, Finanzierungs- und Anlageleistungen, bei denen beide Marktpartner Kreditinstitute sind, werden als Interbankengeschäfte bezeichnet.[2] Interbankenforderungen und -verbindlichkeiten entstehen aus dem kurzfristigen Liquiditätsausgleich, der mittel- und langfristigen Kredit- bzw. Anlageleistung und dem Zahlungsverkehr (Working Balances). Im Interbankenhandel werden hauptsächlich Geld, Wertpapiere, Devisen oder Derivate zu jeweiligen Interbankenpreisen entweder auf dem Kreditwege oder durch An- und Verkauf von Geldmarktpapieren ausgetauscht.[3] Der Interbankenmarkt ist also der ökonomische Ort, an dem Interbankenangebot und -nachfrage aufeinander treffen.

Die gehandelten Kredite umfassen Millionenbeträge, die Transaktionsabschlüsse erfolgen häufig telefonisch oder elektronisch über ein Zahlungssystem (SWIFT). Der Großteil des Interbankenhandels wird individuell zwischen den beteiligten Banken ausgehandelt; die Transaktionsdetails bleiben somit den anderen Banken verborgen.[4]

Interbankenkredite werden mit oder ohne Sicherheitshinterlegung gewährt und Zins- und Tilgungszahlungen werden nach dem vereinbarten Fristablauf zurückgezahlt. Interbankenkredite sind überwiegend kurzfristiger Natur.[5] Daher wird der Handel von kurzfristigen Finanzinstrumenten als Geldmarkt bzw. Interbankenmarkt im engeren Sinne bezeichnet.[6] Durch die Geldmarktaktivitäten spielt der Interbankenmarkt eine große Rolle im gesamten Finanzsystem. Die Laufzeiten dieser Kredite liegen in der Regel zwischen einem Tag und einem Jahr (jedoch selten über einem Jahr) und je nach ihrer Fristigkeit werden die Kredite in Tagesgeldmarkt (Overnight-Money) und Termingeldmarkt (Monats-, Dreimonats-, Halbjahres- und Jahresgeld) unterschieden.[7]

Bei derivativen Interbankengeschäften handelt es sich um Verträge, in denen die Vertragsparteien vereinbaren, einen oder mehrere Vertragsgegenstände zu festgelegten Bedingungen in der Zukunft zu kaufen, zu verkaufen oder zu tauschen bzw. alternative Wertausgleichszahlungen zu leisten (Zinsswaps und Zinsfutures). Es handelt sich hier zum Teil um außerbörsliche Geschäfte (OTC-Geschäfte). Die Verwendung derivativer Instrumente hat sich mit der Globalisierung des Interbankenmarktes sehr schnell ausgeweitet, mit der Folge einer starken Änderung in die Struktur traditioneller Interbankenmärkte.[8] Derivative Interbankengeschäfte machen heute einen großen Teil der weltweiten Finanz- und Interbankenbeziehungen aus.[9]

2.1 Grundstruktur der Interbankenkredite

Nach Art der Kreditgewährung werden die Interbankenkredite in unbesicherte und besicherte Kredite unterschieden.

2.1.1 Unbesicherte Kredite

Ein wichtiges Segment des Interbankenmarktes ist der unbesicherte Interbankenkreditmarkt. Der unbesicherte Interbankenmarkt funktioniert nur, solange sich die Banken gegenseitig vertrauen.[10] Im unbesicherten Interbankenmarkt erfolgt die Kreditvergabe ohne dingliche Sicherheiten, weshalb sich die unbesicherten Transaktionen im Geldhandel stark auf Gelder mit kurzen Laufzeiten konzentrieren. Im unbesicherten Interbankenmarkt müssen die Kreditgeber Vertrauen in die Absicht der Kreditnehmer, das Geld zurückzuzahlen, sowie in die Zahlungskräftigkeit des Kreditnehmers haben.[11] Aus diesem Grund weisen Banken eine entsprechende Bonität im Hinblick auf ihre Zahlungsfähigkeit auf, die von einer Ratingagentur eingeschätzt wird. Die externen Ratingagenturen nehmen daher eine wichtige Rolle als Vertrauensintermediäre zwischen den Finanzinstituten ein, denn ihre Bonitätsschätzung bestimmt maßgeblich die Kreditlimits.[12] Neben der Bonitätseinschätzung spielt das gegenseitige Vertrauen der Banken eine relevante Rolle. Dazu zählt erstens das bisherige, vertrauenswürdige Verhalten der Geschäftspartner, das für einen hohen positiven Reputationseffekt sorgt, und zweitens die Information über die Eigenkapitalquoten der Kreditnehmer als Informationssignal für ihre Risikobereitschaft. Je öfter in der Vergangenheit zwischen den Geschäftspartnern Kreditgeschäfte erfolgreich getätigt wurden, desto höher sind der Vertrauenseffekt und die Wahrscheinlichkeit für weitere Kreditbeziehungen, und zwar auch in Krisenzeiten.[13] Des Weiteren gilt, dass die Wahrscheinlichkeit, übermäßig hohe Risiken einzugehen, umso geringer ist, je höher ist die Eigenkapitalquote einer Bank ist.[14] Cocco et al. (2009) bestätigen diese These. Sie untersuchten den portugiesischen Interbankenmarkt zwischen 1997 und 2001 und werteten Dauer und Höhe der Kredite sowie die Identität der Kreditgeber und -nehmer aus. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Banken häufig zu einer bestimmten anderen Bank eine intensive Beziehung pflegen.[15] Außerdem wurde in der Untersuchung nachgewiesen, dass Banken insbesondere bei starken Liquiditätsschwankungen und in Abschwungphasen auf ihrer engen Beziehungen zurückgreifen.[16]

Auf dem unbesicherten Interbankenmarkt gelten zwei relevante Referenzzinssätze, und zwar der EONIA und der EURIBOR, die einen einheitlichen Referenzkurs für täglich fällige Gelder und Termingelder bestimmen (Erklärung der Zinssätze im Abschnitt 2.3).

2.1.2 Gesicherte Kredite

Bei Repogeschäften überlässt eine Bank einer anderen Bank Wertpapiere und erhält dafür einen Kredit. Nach Ende der Laufzeit kauft die Bank die überlassenen Wertpapiere zurück und tilgt damit den Kredit. Der Rückkaufswert bzw. Zins wird bei Vertragsabschluss vereinbart.[17]

Das besicherte Marktsegment wächst beständig. Dies ist auf die starke Rolle des Interbankenmarktes im internationalen Finanzsystem im Zuge der Globalisierung zurückzuführen. Diese Entwicklung resultiert in einer größeren Anzahl potenzieller Gegenparteien auf dem Interbankenmarkt. Trotz des Marktwachstums gab es in der Vergangenheit mehrmals krisenbedingte Abschwünge im Interbankenhandel, die bei den Banken ein Warnsignal für ein Kreditrisiko auslösten.[18] Bei unbesicherten Kreditgeschäften erhöhen sich dadurch die Informations- und Monitoringkosten, die einen reibungslosen Vertragsabschluss erschweren. Die besicherten Finanzgeschäfte werden aus diesem Grund im Interbankenhandel attraktiver und bieten eine Möglichkeit für Banken, auch mit einer Bank mit niedrigerer Bonität zu handeln.

Im besicherten Interbankenmarkt werden Wertpapiere, Anleihen, staatliche Schuldverschreibungen oder Ähnliches als Sicherheit für den Fall eines Kreditausfalls hinterlegt.[19] Ein typisches Repogeschäft beinhaltet somit den Abgang von Sicherheiten und einen Zufluss von Liquidität; umgekehrt verbindet ein Reverse-Repogeschäft den Eingang von Sicherheiten mit einem Abfluss von Liquidität. Ein Repogeschäft wird als „Special Repo“ bezeichnet, wenn ihm ein bestimmtes Wertpapier als Sicherheit zugrunde liegt.

Solange der Kreditgeber Vertrauen gegenüber dem Emittenten der Wertpapiere besitzt, ist es nicht nötig, dass er dem Kreditnehmer eine kreditwürdige Absicht unterstellt. Denn das Wertpapier dient als Sicherheit, deren Hauptaufgabe es ist, Kreditrisiken so weit wie möglich zu minimieren.[20]

2.1.3 Status quo der beiden Marktsegmente

2.1.3.1 Entwicklung der Geschäftsvolumen

Die Abbildung 1 zeigt die durchschnittlichen täglichen Handelsvolumen (in Mio. Euro) der unbesicherten und besicherten Interbankengeldmärkte sowohl für Kreditaufnahme (borrowing) als auch für Kreditvergabe (lending). Betrachtet man die Entwicklung verschiedener Segmente des Geldmarktes im Eurowährungsraum, so war der unbesicherte Markt von Beginn an durch einen hohen Aktivitäts- und Liquiditätsgrad gekennzeichnet. Dagegen entwickelte sich der Repomarkt in den Jahren 2000 und 2001 relativ langsam, bevor er sich anschließend sehr rasch ausweitete und ab dem Jahr 2002 den Umsatz bei der Kreditvergabe am unbesicherten Markt übertraf.

Der Tagesumsatz des unbesicherten Interbankenhandels wuchs kontinuierlich im gezeigten Zeitraum von 2002 bis 2007, ist ab Anfang 2008 jedoch sehr stark eingebrochen. Insbesondere ging das Handelsvolumen für die Kreditaufnahme stärker zurück als das der Kreditvergabe: Der Rückgang bei der Kreditaufnahme betrug 22 % und für die Kreditvergabe 11 % im Jahr 2010. Hauptursache dieser Entwicklung ist die jüngste Finanzkrise. Durch die Krise gingen mehrere Banken insolvent, die eine ausgezeichnete Bonität besaßen. Dies führte bei vielen Banken zu Schwierigkeiten, und in der Folge entwickelte sich ein großes Misstrauen der Banken untereinander. Als Resultat trat im unbesicherten Interbankenmarkt eine massive Marktstörung in Gestalt einer Liquiditätshortung ein.[21] Die krisenbedingten und unlimitierten Refinanzierungsangebote der Zentralbanken und die zunehmende Verwendung der Repogeschäfte sind die Folgeereignisse dieses Geschehens.[22] Aufgrund des stark erhöhten Kreditrisikos auf dem Interbankengeldmarkt erhöhte der Interbankenzinssatz auch stark. Aus diesem Grunde refinanzierten sich die Banken zunehmend über die Zentralbanken.[23]

Abbildung 1: Durchschnittliches tägliches Kreditvolumen der unbesicherten und besicherten Interbankentransaktionen[24]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das durchschnittliche Tagesvolumen im besicherten Marktsegment stieg mehrfach im Zeitraum von 2000 bis zum Krisenausbruch im Jahr 2007. Ab Mitte 2007 verursachte die wachsende Besorgnis im Hinblick auf Gegenparteirisiken starke Ausschläge der Vermögenspreise und in der Folge entwickelte sich eine zunehmende Unsicherheit in Bezug auf die Werthaltigkeit von Sicherheiten. Hierdurch geriet die besicherte Refinanzierung ebenfalls unter Druck, doch zumindest trocknete der Markt im besicherten Segment nicht aus. Dennoch stiegen die Reposätze deutlich an und die Kreditaufnahme für Laufzeiten über einen Monat gestaltete sich problematisch. Zudem konzentrierten sich die Repogeschäfte auf Sicherheiten höchster Qualität[25] und auf kürzere Laufzeiten.[26]

Der Handelsanstieg der Repogeschäfte ab 2008 spiegelt zum Teil den Handelsrückgang des unbesicherten Marktsegmentes wider. Die wachsende Besorgnis über das Kreditausfallrisiko ist der wesentliche Treiber dieser Entwicklung. Zudem nutzen immer mehr Marktteilnehmer die elektronische Plattform, die zur Entwicklung von Repogeschäften stark beiträgt.[27]

2.1.3.2 Friststruktur

Abbildung 2 zeigt die Fristigkeitsstruktur der unbesicherten Refinanzierung. Der Handel von Tagesgeld besitzt im unbesicherten Interbankenmarkt einen besonders hohen Anteil (linke Abbildung). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Banken ihre täglichen Liquiditätsungleichgewichte durch Tagesgeld ausbalancieren. Das Tagesgeld ist mit seinem geringen Kreditausfallrisiko besonders vorteilhaft (verglichen mit Geldern mit längeren Laufzeiten) und relativ einfach zu regeln (verglichen mit dem Repogeschäft).

Abbildung 2: Friststruktur der unbesicherten Refinanzierung[28]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise stieg das laufzeitgewichtete Handelsvolumen (rechte Abbildung) bei kurzfristigen Geldern, sank jedoch bei langfristigen Geldern. Insbesondere sanken die prozentualen Handelsvolumen bei Krediten mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr am stärksten: Der Handelsanteil betrug 33 % im Jahr 2009 und 20 % im Jahr 2010. In diesem Zeitraum wurde ein Großteil der langfristigen Refinanzierung durch die Geldangebote der Zentralbank ersetzt.[29]

Die Abbildung 3 zeigt die Fristigkeitsstruktur des besicherten Interbankenmarktes. Dieses Marktsegment ist auf Gelder mit einer Laufzeit von TOM/NEXT[30] bis zu einem Monat konzentriert (76 % im Jahr 2010). Zudem steigt der Anteil dieser Gelder seit 2008 an. Der Anteil am Tagesgeld ging im Gegensatz dazu von 22,8 % im Jahr 2009 auf 19,5 % im Jahr 2010 zurück. Diese Entwicklung ist auf die starke Beteiligung der Zentralbanken zurückzuführen, da das absolute Handelsvolumen an Tagesgeld im unbesicherten Segment ebenfalls zurückging.

Abbildung 3: Friststruktur der besicherten Interbankenkredite[31]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.1.3.3 Handelsstruktur

Abbildung 4 zeigt die Handelsstruktur des unbesicherten und des besicherten Marktsegments. Mehr als die Hälfte der unbesicherten Transaktionen werden direkt zwischen den Handelsparteien abgewickelt (51 % im Jahr 2009 und 55 % im Jahr 2010). Durch Broker und die elektronischen Handelsplattformen belaufen sie sich im Jahr 2010 jeweils auf 32 % und 13 %. Dieses Verhältnis der Handelsstruktur im unbesicherten Marktsegment hat sich in den letzten 10 Jahren relativ wenig verändert.[32]

Im besicherten Marktsegment hat sich der Anteil von Transaktionen über elektronische Plattformen seit 2002 fast verdoppelt (31 % im Jahr 2002 und 58 % im Jahr 2010) und bleibt somit dominant.[33] Die Finanzkrise hat den allgemeinen Handelstrend hin zum besicherten Handel, besonders durch eine zentrale Gegenpartei, bestimmt. Die wichtigste Aufgabe der zentralen Gegenpartei besteht darin, das Risiko der Gegenpartei zu minimieren. In Europa zählen zu den führenden elektronischen Plattformen beispielsweise ICAP, BrokerTec, Eurex Repo und MTS.[34]

Abbildung 4: Handelsstruktur der beiden Marktsegmente[35]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2 Aggregierte Entwicklung der Interbankentransaktionen

In diesem Abschnitt werden die weiteren relevanten Aspekte der Interbankenkredite in Bezug auf das gesamte Bankensystem im Eurowährungsraum dargestellt. Die der Betrachtung zugrunde liegenden Daten stammen von der EZB und der Deutschen Bundesbank.

2.2.1 Interbankenkredite im Eurowährungsraum

Abbildung 5 zeigt die Entwicklung der Interbankenkredite im Eurowährungsraum. Es handelt sich hierbei lediglich um diejenigen Kredite, die von im Eurowährungsraum ansässigen monetären Instituten an die im Eurowährungsraum ansässigen MFIs (Monetary Financial Institution) vergeben worden sind. Die Volumen der Interbankenkredite stiegen kontinuierlich im gezeigten Zeitraum bis 2008 und erreichte Ende 2008 ihr bisheriges Rekordhoch von 6587 Mrd. Euro. Danach brach im letzten Quartal 2008 das Interbankenkreditgeschäft sehr stark ein. Der Grund hierfür war die jüngste Finanzkrise, die von dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Bank Lehman Brothers ausgelöst wurde. Die Krise zog einen erheblichen Vertrauensverlust der Banken untereinander nach sich, der die Refinanzierungsmöglichkeiten der Banken über den Interbankenmarkt massiv behinderte, mit der Folge, dass sich die Banken zunehmend über die Zentralbanken refinanzierten.[36]

Abbildung 5: Entwicklung der Interbankenrefinanzierung im Eurowährungsraum[37]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Bilanzangaben der Banken verdeutlichen, dass die Banken ihre Interbankenpositionen nach der Finanzkrise deutlich abgebaut haben. Diese Maßnahme war zu erwarten, da Interbankenpositionen in Krisenzeiten besonders gefährdet sind.[38]

2.2.2 Beiträge der Länder zu den gesamten Interbankenverbindlichkeiten

Eine bedeutende Stellung nimmt der Anteil der Länder an den gesamten Interbanken-krediten ein. Diese Berechnung ist besonders relevant für die Regulierungsbehörde zur Identifikation systemrelevanter Länder bzw. der Systemrelevanz ihrer Bankensysteme.

Abbildung 6 zeigt, wie die einzelnen Länder zu den gesamten Interbankenverbindlichkeiten im Eurowährungsraum beitragen. Diese Beitragsberechnung ist insofern interessant, als auf diese Weise analysiert werden kann, welches Land auf dem Interbankenmarkt eine wichtige Rolle spielt.

Abbildung 6: Länderbeiträge zur Interbankenverbindlichkeit im Eurowährungsraum[39]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zur besseren Veranschaulichung und Lesbarkeit beschränkt sich die Darstellung auf Länder mit einem Beitrag, der mehr als 3 % der gesamten Interbankenverbindlichkeit ausmacht. Wie in den vorhergehenden Jahren konzentriert sich die Interbankenaktivität auf wenige Länder. Der Anteil dieser Länder – Deutschland, Italien, Frankreich und Estland – macht rund 76 % aus und diese Konzentration ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen (74,4 % im Jahr 2008, 75,1 % im Jahr 2009 und 76,1 % im Jahr 2010).[40]

2.2.3 Beiträge der inländischen Interbankenverbindlichkeiten

Eine weitere Eigenschaft der Interbankenbeziehungen stellt die Nationalität dar. Abbildung 7 zeigt die Gegenparteistruktur der Länder (Stand 2010).

Abbildung 7: Geografische Aufgliederung der Geschäftspartner[41]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Interbankenmarkt ist seit Einführung der gemeinsamen Währung noch nicht endgültig integriert. Die meisten Banken in den wirtschaftlich starken Ländern gehen zum größten Teil inländische Kreditbeziehungen ein. Das kann einerseits auf die jüngste Finanzkrise zurückgeführt werden, andererseits auf die asymmetrische Information, die im internationalen Interbankenmarkt existiert. Letzteres bedeutet, dass inländische Banken gegenseitig ihre Wirtschaftslage besser einschätzen können. Freixas und Holthausen (2001) haben gezeigt, dass Banken im Euroraum trotz einheitlicher Währung auf dem Interbankenmarkt nicht vollkommen integriert sind. Dies gilt insbesondere für ungesicherte Interbankenmärkte. Nur wenige Großbanken, die gute internationale Beziehungen besitzen, agieren als aktive Teilnehmer auf dem internationalen Interbankenmarkt. Der Großteil der Banken bewegt sich demgegenüber auf den inländischen Märkten, um ihre Liquidität zu managen.[42] Nur für Belgien, Luxemburg und die Niederlande scheint der einheimische Interbankenmarkt eine geringe Rolle zu spielen.

2.3 Bedeutende Zinssätze des Interbankenmarktes

2.3.1 EURIBOR

[43]EURIBOR ist eine Abkürzung für Euro Interbank Offered Rate und gibt den Referenzzinssatz für ungesicherte Termingelder in Euro im Interbankenmarkt an. Der EURIBOR wird täglich neu berechnet und basiert auf den Angaben von insgesamt 57 europäischen Banken (Panel-Banken). Bei den Panel-Banken handelt es sich um diejenigen Banken mit erstklassiger Kreditwürdigkeit und sowie dem höchsten Geschäftsvolumen im europäischen Geldmarkt. Diese Kreditinstitute geben parallel um 11 Uhr Brüsseler Zeit ihre Angebotssätze für Gelder mit ein- bis dreiwöchiger und ein- bis zwölfmonatiger Laufzeit an einen Informationsanbieter weiter, der diese anschließend an die internationale Nachrichtenagentur Reuters leitet. Der Zinssatz selbst wird dabei nach der Methode Act/360[44] (ein Jahr wird hier pauschal mit 360 Tagen definiert) festgelegt. Dabei gibt es eine Reihe externer Faktoren, die die Höhe des EURIBOR beeinflussen. Dazu gehören wirtschaftliche Umstände wie etwa das Wirtschaftswachstum, die Höhe der Inflation, die Kreditwürdigkeit und das gegenseitige Vertrauen der Banken. Der EURIBOR ist daher in der Regel die untere Zinsgrenze, so dass die Banken mit schlechterer Bonität unter Umständen mehr für unbesicherte Interbankenkredite zahlen müssen.

Der EURIBOR existiert seit 1999, dem Jahr der Einführung des Euros, und dient des Weiteren als Grundlage für zahlreiche Zinsprodukte wie Geldmarkt-Futures, Swaps sowie außerbörsliche Zinstermingeschäfte.

2.3.2 EONIA

[45]EONIA ist die Abkürzung für European Over Night Index Average und gibt den geschäftstäglich ermittelten Durchschnittszins der Panel-Banken für ungesicherte Ausleihungen über Nacht in Euro an. Er stellt eine besondere Form des EURIBOR dar. Seine Berechnung erfolgt durch die EZB nach der Zinsmethode Act/360, indem alle Banken ihre durchschnittlichen Zinssätze für ihre an dem Tag durchgeführten Ausleihungen von Tagesgeld im Interbankengeschäft übermitteln. Die Ermittlung wird dann an der Börse veröffentlicht. Die Entwicklung des EONIA wird in Abbildung 13 gezeigt.

Seit September 2007 wird der EONIA dergestalt ermittelt, dass jeweils die 15 Werte mit den niedrigsten und höchsten Zinssätzen aus der Berechnung ausgeschlossen werden; aus allen verbleibenden Werten wird der gewichtete Durchschnitt berechnet und mit drei Nachkommastellen ausgegeben.

Der EONIA bildet auch die Basis für verschiedene Produkte im Bereich der Geldanlage. Das wohl bekannteste dieser Produkte ist die Tagesanleihe des Bundesrepublik Deutschland, die täglich mit einem bestimmten Prozentsatz des EONIA verzinst wird. Aber auch Geldmarktfonds, Indexfonds oder Zinszertifikate nutzen den EONIA als Referenzzinssatz. Generell steigt der Zins, je länger die Laufzeit ist, denn mit höherer Laufzeit steigt auch das Kreditausfallrisiko.[46] Daher liegt die EONIA in der Regel unter dem EURIBOR für längere Laufzeiten.

2.3.3 EUREPO

[47]Der EUREPO ist der marktrepräsentative Referenzsatz, zu dem sich führende Kreditinstitute untereinander Finanzmittel in Euro anbieten und von diesen im Gegenzug Sicherheiten, die ausschließlich aus von den Regierungen begebenen Staatsanleihen und kurzfristigen Staatspapieren bestehen, erhalten. Dieser Referenzsatz ähnelt dem EURIBOR, ist aber lediglich ein Richtwert für die Marktzinssätze der besicherten Kredite.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Geschäftsentwicklung des Interbankenmarktes im Eurowährungsraum in dem letzten Jahrzehnt einen krisenbedingten, schwunghaften Verlauf nahm. Welche Rolle und welche Auswirkungen diese Geschäftsentwicklungen des Interbankenmarktes im Finanzsystem haben, wird im nächsten Kapitel ausführlich erläutert.

3 Nutzen und Risiken der Interbankenmärkte

In diesem Abschnitt wird erstens nach der Funktionsweise sowie den ökonomischen Motiven von Interbankenkrediten gefragt und zweitens von eben so großem Interesse ist der Frage nachzugehen, inwiefern solche Beziehungen Risiken kreieren.

3.1 Aufgaben des Interbankenmarktes

3.1.1 Horizontaler Liquiditätsausgleich

Das wichtigste Motiv für Interbankentransaktionen von Kreditinstituten stellt der (kurzfristige) Ausgleich von Liquiditätsengpässen und -überschüssen dar, die aus dem Nichtbankengeschäft resultieren.[48] Über den Interbankenmarkt wird Liquidität zwischen den Banken umverteilt, und zwar von den Banken, die einen Überschuss besitzen, zu solchen mit einem vorübergehenden Defizit. Dabei bleibt die Gesamtmenge an Liquidität im Bankensystem unverändert, wird jedoch unter den Geschäftsbanken besser verteilt.[49]

Grundsätzlich entsteht ein Liquiditätsproblem bei einer Bank dadurch, dass sich Zahlungseingänge und -ausgänge gegenseitig nicht ausgleichen. Die Ursache liegt darin, dass die Banken nicht vorhersehen können, wie sich ihre Kunden verhalten bzw. wann und wie viel Geld Einleger abheben bzw. einlegen wollen oder ob der Bedarf an Krediten steigt. Aus diesem Grund müssen die Banken stets so viel Liquidität vorhalten, dass sie derartige unvorhersehbare Ereignisse selbst bewältigen können. Hier kommt der Interbankenmarkt ins Spiel, der wie eine Versicherung funktioniert.[50] Versichern sich die Banken durch den Interbankenmarkt gegenseitig, verringert sich dadurch die insgesamt erforderliche Liquidität und es stehen damit mehr Mittel für Kredite an Private und Firmen zur Verfügung.

Die täglichen Transaktionen von Privathaushalten und Unternehmen (Überweisungen, Barabhebungen und Bareinzahlungen) sowie der Zu- und Abfluss von Zentralbankgeld im Rahmen von Devisengeschäften ändern den Reservebestand der Banken.[51] Als Bargeldreserve wird in diesem Zusammenhang der Bestand an Zentralbankgeld einer Bank bezeichnet. Die Veränderung der Bargeldreserve einzelner Banken zwingt die Banken, im Geldmarkt zu handeln. Durch einen Mittelüberschuss entstehen Opportunitätskosten, als Folge eines Mittelengpasses drohen Strafzinsen.[52]

Ob eine Bank als Geldanbieter oder als Geldnachfrager auftritt, hängt von ihrer Geschäftsstruktur ab. Die unterschiedliche Geschäftsstruktur spiegelt einen unterschiedlichen Liquiditätsbedarf wider. Dabei spielt die Kundenstruktur der Banken eine bedeutende Rolle. Manche Banken spezialisieren sich auf einen bestimmten Kundenkreis und werden dadurch stark abhängig von der Entwicklung der Kundengeschäftssituation. Als Beispiel lässt sich hier die Agrarwirtschaft anführen, für die vor der Ernte ein hoher Aufwand für Saatgut entsteht und die erst nach der Ernte Gewinn realisiert. Dies führt dazu, dass die entsprechenden Spezialbanken auf dem Interbankenmarkt saisonabhängig handeln müssen.[53] Das heißt, es existiert unter Kreditinstituten je nach ihrer Geschäftsstruktur eine Liquiditätsdivergenz, die zur Entstehung des Interbankenhandels zwingend erforderlich ist.[54] Weitet eine Bank ihr Kreditvolumen bei einer gleich bleibenden Einlage der Kunden stark aus, ergibt sich als Folge die Situation, dass die Bank als Nachfrager von Zentralbankgeld auftritt. Umgekehrt ist auch denkbar, dass die Einlagen einer Bank schneller ansteigen als die vergebenen Kredite. In dieser Situation tritt die Bank als Anbieter von Zentralbankgeld auf. Für Großbanken und Sparkassen, die ein breites regionales und sektorales Netzwerk an Kunden und Filialen aufweisen, ist der interne Verrechnungsfaktor[55] relativ höher als für Spezialbanken, die eine einseitige Kundenstruktur aufweisen. Dementsprechend sind sie die typischen Geldnachfrager im Interbankenmarkt.[56]

3.1.2 Geldpolitischer Transmissionsmechanismus

Die Europäische Zentralbank ist der alleinige Emittent von Banknoten und besitzt somit das Monopol als Anbieter der monetären Basis im gesamten Bankensystem des Eurowährungsraums. Das Hauptziel der Zentralbank besteht in der Preisniveaustabilität; aus diesem Grund ist es von besonderer Bedeutung, zu einer Einschätzung über die Wirkung geldpolitischer Maßnahmen auf das Preisniveau zu gelangen.[57] In diesem Zusammenhang ergibt sich das Nebenziel, mögliche Rezessionen in der Wirtschaft zu vermeiden. Zu diesem Zweck spielen die kurzfristigen Geldmarktsätze eine wichtige Rolle bei der Übertragung geldpolitischer Impulse, da die Banken den von der EZB festgelegten Leitzins in der Regel auf ähnlichem Niveau an die Realwirtschaft weitergeben (sollen).

Die Interbankengeldmärkte spielen somit in der Geldpolitik eine zentrale Rolle. Die Geldpolitik erfolgt heutzutage kaum noch durch individuelle Transaktionen zwischen der Zentralbank und einzelnen Banken, sondern über den Geldmarkt bzw. die Offenmarktgeschäfte. Durch die Geldpolitik legt die EZB den Leitzinskorridor fest, in dem sich der Zinssatz für Interbankenmärkte normalerweise bewegt. Diese Zinsanpassungen lösen eine Reihe von Reaktionen aus, um am Ende zu ihrem Hauptziel zu gelangen, nämlich zur Preisniveaustabilität. Der Geldmarkt ist der Erste in der Kettenwirkung der geldpolitischen Auswirkungen.[58] In Kapitel 5 wird die Rolle der EZB und ihrer geldpolitischen Instrumente näher beleuchtet.

3.1.3 Risikomanagement

Eine weitere Funktion des Interbankenmarktes basiert darauf, dass Banken Interbankengeschäfte primär eingehen, um im Rahmen eines bewussten Bilanzstrukturmanagements bestimmte Risiken an den Markt abzugeben. Hierbei bedeutet das Bilanzstrukturmanagement eine Abstimmung der Fälligkeitsstruktur der aktiven und passiven Bilanzpositionen, respektive die Steuerung des damit verbundenen Zinsänderungsrisikos. Banken versuchen in Interbankenmärkten auf verschiedenste Weise ihre Bankrisiken zu reduzieren. Beispielsweise werden kurzfristige Geldmarktanlagen dazu verwendet, das Ausmaß der Fristentransformation[59] in der Bilanz zu beschränken oder eine Bilanzverschönerung per Stichtag zu realisieren. Derivativgeschäfte werden genutzt, um Zins- und Wechselkursrisiken abzusichern. Zum Beispiel werden kurzfristige Interbankentransaktionen eingegangen, um das Ausmaß der Fristentransformation zu beschränken; langfristige Transaktionen werden zur Absicherung der Zins- und Wechselkursrisiken genutzt. Zudem werden die derivativen Instrumente als Schutz gegen das Zinsänderungsrisiko verwendet.[60]

[...]


[1] Vgl. De La Motte et al. 2010, S. 40.

[2] Vgl. Jarchow 2003, S. 354.

[3] Vgl. Jarchow 2003, S. 354.

[4] Vgl. Jarchow 2003, S. 362.

[5] Vgl. Moshirian/Bishop 2000, S. 332.

[6] Vgl. Jarchow 2003, S. 355.

[7] Vgl. Jarchow 2003, S. 362 ff.

[8] Vgl. BIS 1992, S. 29.

[9] Vgl. BIS Quarterly Review 2005, S. 43 ff.

[10] Vgl. De La Motte et al. 2010, S. 40.

[11] Vgl. De La Motte et al. 2010, S. 42.

[12] Vgl. Jarchow 2003, S. 362.

[13] Vgl. Schinke 2004, S. 39.

[14] Vgl. De La Motte et al. 2010, S. 43.

[15] Vgl. Cocco et al. 2009, S. 41 f.

[16] Vgl. Cocco et al. 2009, S. 46.

[17] Vgl. Schinke 2004, S. 64.

[18] Vgl. Bernard/Bisignano 2000, S. 37 ff.

[19] Vgl. Jarchow 2003, S. 362.

[20] Vgl. De La Motte et al. 2010, S. 4.

[21] Vgl. De La Motte et al. 2010, S. 67 ff.

[22] Vgl. EZB Money Market Study 2010, S. 13 f.

[23] Vgl. De La Motte et al. 2010, S. 52 ff.

[24] Quelle: EZB Money Market Study 2010, S. 14 und 20.

[25] Vgl. Repo Market Survey 2010, S. 16.

[26] Vgl. Repo Market Survey 2010, S. 19.

[27] Vgl. EZB Money Market Study 2010, S. 19 und 20.

[28] Quelle: EZB Money Market Study 2010, S. 15.

[29] Vgl. EZB Money Market Study 2010, S. 15 f.

[30] Bei den TOM/NEXT-Geschäften (tomorrow/next day) handelt es sich um die standardisierten Tagesgelder. Der Laufzeitbeginn liegt bei ihnen einen Tag nach dem Abschlusstermin.

[31] Quelle: EZB Money Market Study 2010, S. 23.

[32] Vgl. EZB Money Market Study 2010, S. 17.

[33] Vgl. EZB Money Market Study 2010, S. 27.

[34] Vgl. EZB Money Market Study 2010, S. 24.

[35] Quelle: EZB Money Market Study 2010, S. 16 f.

[36] Vgl. De La Motte et al. 2010, S. 65 f.

[37] Quelle: Eigene Darstellung, Daten: EZB.

[38] Vgl. Bernard/Bisignano 2000, S. 2.

[39] Quelle: Eigene Darstellung, Daten: Deutsche Bundesbank.

[40] Eigene Berechnung auf Basis der Daten der Datenbank der Deutschen Bundesbank.

[41] Quelle: Eigene Darstellung, Daten: Deutsche Bundesbank.

[42] Vgl. Freixas/Holthausen 2001, S. 9 f.

[43] Die Information über den EURIBOR stammt von der Webseite http://www.euribor.org (Stand: 20.04.2011).

[44] Detaillierte Erklärung unter: http://www.zinsmethoden.de .

[45] Die Information über den EONIA stammt von der Webseite http://www.euribor.org (Stand: 21.04.2011).

[46] Vgl. Schinke 2004, S. 60.

[47] Die Information über den EUREPO stammt von der Webseite http://www.eurepo.org (Stand: 21.04.2011).

[48] Vgl. Brüggestrat 1990, S. 106.

[49] Vgl. Jarchow 2003, S. 356.

[50] Vgl. NZZ Online 2008.

[51] Vgl. Schinke 2004, S. 24.

[52] Vgl. Hasewinkel 1993, S. 32.

[53] Vgl. Jarchow 2003, S. 359.

[54] Vgl. Jarchow 2003, S. 358.

[55] Interner Verrechnungsfaktor ist der Anteil der intern zu berechnenden Auszahlungsverfügungen an den gesamten (bargeldlosen) Auszahlungsverfügungen. Je höher der interne Verrechnungsfaktor ist, desto geringer ist die Belastung der Bargeldreserve durch Kundenüberweisungen. Das heißt, dass die Überweisungen innerhalb einer Bank (Bankensektor) getätigt werden.

[56] Vgl. Jarchow 2003, S. 359.

[57] Vgl. EZB-Geldpolitik 2004, S. 10 und 44.

[58] Vgl. Freixas/Jorge 2008, S. 4.

[59] Fristentransformation ist eine von den drei wichtigen Transformationsfunktionen einer Bank, in der die kurzfristige Einlage in langfristigen Krediten ausgegeben wird.

[60] Vgl. Staub 1998, S. 200.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842828049
DOI
10.3239/9783842828049
Dateigröße
832 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main – Wirtschaftswissenschaften, Studiengang Betriebswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2012 (Januar)
Note
2,0
Schlagworte
interbankenmarkt bankenrisiken interbankenbeziehungen netzwerk systemisches risiko
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Titel: Interbankenmärkte-Bestandsaufnahme
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