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Dynamik meromorpher Funktionen auf der Riemannschen Zahlenkugel

Zur Charakterisierung von Julia-Mengen

©2008 Diplomarbeit 101 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Gang der Untersuchung:
Diese Diplomarbeit vollzieht den für die Entwicklung der komplexen Dynamik so bedeutsamen Schritt der Anwendung des Konzeptes der normalen Familie nach.
Während wir in Kapitel 1 funktionentheoretische Grundlagen und grundlegende Definitionen einführen und insbesondere zeigen, dass die rationalen Funktionen genau die auf C meromorphen Funktionen sind, wird im 2. Kapitel bereits der Begriff der normalen Familie meromorpher Funktionen eingeführt. In Abschnitt 2.2 beweisen wir den Satz von Arzelà und Ascoli (vergl. Satz 2.4), welcher normale Familien mit gleichgradig stetigen Familien in Zusammenhang bringt. In Abschnitt 2.3 wird der für die Arbeiten von Fatou und Julia sehr bedeutende Satz von Montel zitiert, mit dessen Hilfe besonders im 3. Kapitel viele Beweise geführt werden.
Dieser Satz besagt anschaulich formuliert, dass, wenn jede Funktion einer Familie meromorpher (rationaler) Funktionen (mindestens) drei paarweise verschiedene Werte a, b, c 2 C nicht annimmt (diese müssen für jede Funktion dieselben drei paarweise verschiedenen Werte sein), diese Familie normal ist (vergl. Satz 2.5).
Im 3. Kapitel werden die Julia - und Fatou - Menge über den Begriff der normalen Familie definiert und grundlegende Eigenschaften dieser Mengen bewiesen. In Abschnitt 3.2 werden die periodischen Orbits eingeführt und anhand ihrer Eigenwerte klassifiziert.
Ein Ergebnis dieses Abschnittes ist, dass die (super)attraktiven periodischen Orbits in der Fatou - Menge und die repulsiven periodischen Orbits in der Julia - Menge liegen.
In Abschnitt 3.3 wird die so genannte Ausnahmemenge eingeführt (vergl. Def. 3.19), anhand welcher deutlich wird, dass die für Julia - Mengen typische, bereits angedeutete lokale Abstoßung tatsächlich globaler Natur ist. Am Ende von Kapitel 3 beweisen wir den Satz, dass die Menge [ n2N0 {z 2 CIRn(z) = z0} (wobei z0 Element aus der Julia - Menge ist und R eine rationale Funktion vom Grad größer gleich 2) dicht in der Julia - Menge liegt. Aus diesem Satz werden wir im 4. Kapitel einen Algorithmus zum Zeichnen von Julia - Mengen mit einem Computer entwickeln und Julia - Mengen anhand ausgewählter Beispiele betrachten.
Im 4. Kapitel wird insbesondere noch einmal das Newtonverfahren an einem Beispiel genauer betrachtet.
Im 5. Kapitel werden wir dann die in Kapitel 3 über den Begriff der normalen Familie funktionentheoretisch definierten Julia - Mengen dynamisch charakterisieren, nämlich als den Abschluss […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Christoph Dötsch
Dynamik meromorpher Funktionen auf der Riemannschen Zahlenkugel
Zur Charakterisierung von Julia-Mengen
ISBN: 978-3-8366-1026-1
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Universität Kassel, Kassel, Deutschland, Diplomarbeit, 2008
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

2
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
4
Notationen
5
Einleitung
6
1
Hintergrund und Bezeichnungen
13
1.1
Rationale Abbildungen R :
C - C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.2
Rationale und meromorphe Funktionen auf
C . . . . . . . . . . . . . . . . 18
1.3
Diskrete dynamische Systeme und grundlegende Definitionen . . . . . . .
22
1.4
M ¨obiustransformation und Konjugation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
2
Normale Familien und gleichgradige Stetigkeit
25
2.1
Definitionen und S¨atze ¨uber metrische R¨aume . . . . . . . . . . . . . . . .
25
2.2
Normale und gleichgradig stetige Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
2.3
Satz von Montel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
3
Julia - Mengen
31
3.1
Definition und grundlegende Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
3.2
Periodische Punkte und periodische Orbits . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
3.3
Folgerungen aus dem Satz von Montel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
3.3.1
Folgerungen f ¨ur Ausnahmemengen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
3.3.2
Folgerungen f ¨ur Julia - Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
4
Graphische Darstellungen von Julia - Mengen
53
4.1
Ein Algorithmus zum Zeichnen von Julia - Mengen . . . . . . . . . . . . .
53
4.2
Julia - Mengen zum Anschauen: komplizierte dynamische Zerlegung von
C 62
4.3
Das Newton-Fraktal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
5
Der Zusammenhang von Julia - Mengen und periodischen Repellern
75
5.1
Teil 1: J(R) Per(R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
5.1.1
Kritische Punkte und Werte, Defekt . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76

3
5.1.2
Anzahl der kritischen Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
5.1.3
Beweis von J(R) Per(R) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
5.2
Teil 2: J(R) ist der Abschluss der repulsiven periodischen Punkte . . . . .
85
5.2.1
Funktionentheoretische Vorbereitungen . . . . . . . . . . . . . . . .
85
5.2.2
Die Anzahl (super)attraktiver periodischer Punkte ist endlich . . .
86
5.2.3
Die Anzahl nicht hyperbolischer periodischer Punkte ist endlich .
92
Literatur
97

4
Abbildungsverzeichnis
1
Histogramm f ¨ur J
(
p
c
(
z
))
mit c
=
0.68i.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
2
Julia - Menge des Polynoms P
(
z
) =
z
2
-
1.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
3
Dynamik des ddS
(
C, P
(
z
) =
z
2
-
1
)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
4
Latt`es Beispiel - die Menge
{
z
C
|
R
k
(
z
) =
z
0
f ¨ur ein k
n
}
f ¨ur n
=
6 und n
=
7.
63
5
Latt`es Beispiel - die Menge
{
z
C
|
R
k
(
z
) =
z
0
f ¨ur ein k
n
}
f ¨ur n
=
8 und n
=
9.
64
6
Julia - Mengen f ¨ur die Funktion z
z
2
+
c (links mit c
= -
0.11
+
0.67i und
rechts mit c
= -
0.194
+
0.6557i).
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
7
Dynamische Zerlegung von
C f ¨ur das ddS
(
C, z
-(
z
2
+
0.1
)
/
(
z
+
i
))
. . . . .
65
8
Dynamische Zerlegung von
C f ¨ur das ddS
(
C, z
(
z
3
)
/
(
z
2
+
1
))
. . . . . . . .
65
9
Dynamische Zerlegung von
C f ¨ur das ddS
(
C, z
z
2
-
0.12
+
0.74 i
)
. . . . . .
65
10
Dynamische Zerlegung von
C f ¨ur das ddS
(
C, z
z
2
+
i
)
. . . . . . . . . . . .
65
11
Julia - Mengen (echter) rationaler Funktionen (1-6)
. . . . . . . . . . . . . . . .
66
12
Julia - Mengen (echter) rationaler Funktionen (7-9)
. . . . . . . . . . . . . . . .
67
13
Julia - Menge der Funktion z
z
2
-
0.74543
+
0.11301i
. . . . . . . . . . . . . .
68
14
4 Ausschnittvergr ¨oßerungen der Julia - Menge von z
z
2
-
0.74543
+
0.11301i
.
69
15
Die weißen Bereiche veranschaulichen die N¨aherung f ¨ur
{
z
C
|
R
n
(
z
)
n
-
1
}
mit R
(
z
)
:
=
2z
3
+
1
3z
2
.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
16
Ausschnittvergr ¨oßerungen von Abbildung 15
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
17
Julia - Menge der Funktion R
(
z
)
:
=
2z
3
+
1
3z
2
.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
18
Triangulierung von S
2
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80

5
Notationen
C
:=
C {}
S
2
:= (x
1
, x
2
, x
3
)
R
3
x
2
1
+ x
2
2
+ x
2
3
= 1
chordaler Abstand
| · |
komplexer Betrag
deg(R)
Grad einer rationalen Funktion R
ddS
diskretes dynamisches System
O
+
R
(z
0
)
:= {R
n
(z
0
)|n
N
0
}
M ¨obiustransformation
(z)
Realteil von z
(z)
Imagin¨arteil von z
N
0
:=
N {0}
F(R)
Fatou - Menge von R
J(R)
Julia - Menge von R
{R
n
}
:= {R
n
|n
N}
E
U
(R)
:=
C \
n
N
R
n
(U)
E
z
(R)
:=
UU (z)
E
U
(R)
E(R)
:=
UU (z)
E
U
(R)
|M|
Anzahl der Elemente der Menge M
(R S)(z)
:= R(S(z))
M
Inneres der Menge M
M
Menge aller H¨aufungspunkte der Menge M
M
:= M M
n
N
0
R
-n
(z
0
)
:=
n
N
0
{z
C|R
n
(z) = z
0
}
O
-
R
(z
0
)
:=
n
N
0
R
-n
(z
0
)
p
c
:= z
2
+ c mit c
C
J
n
z
0
(p
c
)
:= {z
C|p
n
c
(z) = z
0
}
Fix(R)
:= {z
C|R(z) = z}
Per
n
(R)
:= {z
C| z ist n - periodisch}
Per(R)
:=
n
N
Per
n
(R)
C
R
kritischer Punkt von R
V
R
kritischer Wert von R
d
z
0
:= deg(R) - |R
-1
(z
0
)|
d
U
:=
zU
d
z
dim(s)
Dimension eines Simplexes s
(s)
:= (-1)
m
heißt Eulersche Charakteristik eines
Simplexes s mit m := dim(s)
W
s
(z
0
, R)
:= {z
C|R
n
(z)
n
- z
0
}
A(z
0
, R)
unmittelbar stabile Menge von z
0
M
Rand der Menge M

6
Einleitung
Wir betrachten in dieser Arbeit diskrete dynamische Systeme
1
der Form (
C, R), wobei
C := C {} erweiterte komplexe Zahlenebene genannt wird
2
und R :
C - C eine
rationale Funktion ist
3
. Wir betrachten dabei genauer die dynamischen Eigenschaften
von diskreten dynamischen Systemen der Form (
C, R). Die dynamischen Eigenschaften
eines ddS (
C, R) sind keine Eigenschaften der Funktion R, sondern der so genannten
Orbits:
Werten wir eine rationale Funktion R :
C - C f ¨ur einen Startwert z
0
C aus und
setzen das Ergebnis wieder in die Funktion ein und wiederholen dieses Einsetzen fort-
laufend, so entsteht dabei eine
"
Spur"
z
0
, z
1
:= R(z
0
), z
2
:= R(z
1
), . . .
im Phasenraum, welche (Vorw¨arts-)Orbit vom Startwert z
0
genannt wird. Formal wer-
den die Orbits mit Hilfe der so genannten Iterierten definiert. F ¨ur eine rationale Funkti-
on R :
C - C werden die Abbildungen R
n
:
C - C, definiert durch
R
0
(z) := z
R
n+1
(z) := R(R
n
(z))
mit z
C und n N
0
:=
N {0}, als die n-ten (Vorw¨arts-)Iterierten von R bezeichnet.
F ¨ur ein z
0
C heißt dann die Menge
O
+
R
(z
0
) := {R
n
(z
0
)|n
N
0
}
(Vorw¨arts-)Orbit
von z
0
. Die Berechnung eines solchen Orbits oder auch nur die Berech-
nung von R
j
(z
0
) f ¨ur ein j
N nennt man Iteration, d.h. mit der Bezeichnung
"
Iterati-
on rationaler Funktionen" wird die weiter oben anschaulich beschriebene wiederholte
Anwendung einer rationalen Funktion auf einen Startwert z
0
C bezeichnet. Orbits
werden in nicht periodische und periodische Orbits klassifiziert (vergl. Def. 3.11). Gilt
R
n
(z
0
) = z
0
f ¨ur ein n
N, so heißt O
+
R
(z
0
) periodischer Orbit. Dabei bezeichnet das
kleinste n, f ¨ur das R
n
(z
0
) = z
0
gilt, die Periode des Orbits O
+
R
(z
0
). Ist O
+
R
(z
0
) ein n-
periodischer Orbit, so heißt
z
0
:= (R
n
) (z
0
) Eigenwert von O
+
R
(z
0
). Ein n-periodischer
Orbit O
+
R
(z
0
) heißt (super)attraktiv, falls |
z
0
| < 1 gilt, repulsiv, falls |
z
0
| > 1 gilt und
nicht hyperbolisch
sonst.
Die dynamischen Eigenschaften eines ddS sind, wie gesagt, Eigenschaften der Orbits.
Bevor wir diese Eigenschaften und die in dieser Arbeit behandelten Themen genauer
1
Ein Tupel (X, f ), bestehend aus einem metrischen Raum X und einer stetigen Selbstabbildung f : X X,
wird diskretes dynamisches System (ddS) genannt. Dabei heißt X der Phasenraum von f.
2
Im 1. Kapitel werden wir sehen, dass
C hom¨oomorph zur so genannten Riemannschen Zahlenkugel
S
2
:= (x
1
, x
2
, x
3
)
R
3
x
2
1
+ x
2
2
+ x
2
3
= 1 ist.
3
Grob gesprochen ist eine rationale Funktion eine Funktion, die Quotient zweier Polynome ist (vergl. Def.
1.4). Im 1. Kapitel wird gezeigt, dass die von uns betrachteten rationalen Funktionen genau die auf
C
meromorphen Funktionen sind (vergl. Def. 1.13 und Satz 1.14).

7
betrachten, wollen wir zun¨achst die Historie der komplexen diskreten Dynamik (d.h.
die Anf¨ange und die Entwicklung der Betrachtung von ddS der Form (
C, R) mit ratio-
naler Funktion R) betrachten, um die Fragestellungen der komplexen Dynamik besser
verstehen zu k ¨onnen.
In der Zeit von 1664 bis 1671 verfasste der ber ¨uhmte Sir Isaac Newton (1642-1727) im Al-
ter von 21-28 Jahren eine Arbeit, in der er (unter anderem) anhand eines Beispieles einen
Algorithmus zum approximativen Bestimmen der reellen L ¨osungen von Gleichungen
der Form
f (x) = 0
(0.1)
beschrieb, wobei f :
R - R ein reelles Polynom ist. Heutzutage ist dieser Algorithmus
in modifizierter Form als das so genannte Newtonverfahren bekannt
4
und durch die
Iterationsvorschrift
x
n+1
:= x
n
-
f (x
n
)
f (x
n
)
(0.2)
gegeben, wobei ein Startwert x
0
R gegeben sein muss. Um eine reelle L¨osung von
(0.1) zu approximieren, muss man bekanntlich einen Startwert x
0
w¨ahlen der hinrei-
chend nahe an der gesuchten L ¨osung von f (x) = 0 liegt. Die verm ¨oge der Vorschrift
(0.2) gebildete Folge (x
n
) konvergiert dann gegen die gesuchte L ¨osung, sofern f (x) = 0
an den Iterationspunkten gilt (vergl. [30], S. 24).
Die Mathematiker Cayley und Schr ¨oder (siehe Abschnitt 4.3) betrachteten gegen Ende
des 19. Jahrhunderts erstmalig das Newtonverfahren f ¨ur komplexe Polynome. Cayley
besch¨aftigte die Frage, f ¨ur welche Startwerte z
0
C das komplexe Newtonverfahren
z
n+1
:= z
n
-
p(z
n
)
p (z
n
)
(0.3)
mit einem komplexen Polynom p :
C - C gegen eine bestimmte komplexe L¨osung
der Gleichung p(z) = 0 konvergiert. Er suchte also die Menge
{z
C|p
n
(z)
n
- }.
(0.4)
F ¨ur quadratische komplexe Polynome konnte er diese Frage beantworten - f ¨ur Polyno-
me h ¨oheren Grades allerdings nicht.
Das komplexe Newtonverfahren (0.3) entspricht offensichtlich der wiederholten An-
wendung (Iteration) der komplexen rationalen Funktion
R(z) := z -
p(z)
p (z)
auf einen Startwert z
0
C. Vor diesem Hintergrund war die Arbeit von Cayley Aus-
gangspunkt vieler Arbeiten ¨uber die Iteration rationaler Funktionen R :
C - C. In-
sofern hat also die komplexe Dynamik eine ihrer Wurzeln im Bereich numerischer Fra-
gestellungen. Tats¨achlich ist die Frage, die Cayley aufwarf, sehr eng mit der zentralen
4
F ¨ur genauere Informationen, wie aus dem von Newton beschriebenen Algorithmus das heutige New-
tonverfahren entstanden ist, siehe Abschnitt 4.3.

8
Frage der komplexen Dynamik verbunden, wie ich sp¨ater erl¨autern werde.
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts konnten in der komplexen Dynamik vornehm-
lich Ergebnisse bez ¨uglich des lokalen dynamischen Verhaltens von ddS erzielt werden.
Dabei wurde beispielsweise betrachtet, wie sich ein Orbit O
+
R
(z
0
) f ¨ur einen Startwert z
0
"
verh¨alt", wenn sich z
0
in der N¨ahe eines repulsiven, (super)attraktiven oder nicht hy-
perbolischen periodischen Orbits befindet
5
. Die lokale Dynamik wird in dieser Arbeit
jedoch nur am Rande betrachtet (vergl. Abschnitt 3.3). Das Erstaunliche ist, dass bis zu
dem Zeitpunkt, ab dem auch allgemeine globale dynamische Ergebnisse erzielt wur-
den, in der komplexen Dynamik die Funktionentheorie nahezu keine Rolle spielte, in
dem Sinne, dass die komplexe Dynamik lediglich auf S¨atzen beruhte, die aus der kom-
plexen Dynamik selbst heraus entstanden waren (vergl. [3], S. 97).
Dies ¨anderte sich jedoch (in historischen Dimensionen gemessen) schlagartig: Die Acad´e-
mie des Sciences in Paris gab 1915 das Thema ihres
"
Grand Prix" f ¨ur 1918 bekannt.
Der Preis sollte f ¨ur eine Studie zum Thema Iterationen verliehen werden, da sich die
Acad´emie des Sciences davon eine Weiterentwicklung von Montels Konzept normaler
Familien erhoffte (vergl. [4] und [26]). Paul Montel (1876-1975) hatte in zwei Arbeiten
von 1912 und 1916 den Begriff der
"
normalen Familie" f ¨ur Familien meromorpher (ra-
tionaler) Funktionen eingef ¨uhrt (vergl. Def. 2.3):
Sei G
C offen und F := { f
i
: G -
C|i I} eine Familie meromorpher (rationaler)
Funktionen (I beliebige Indexmenge). F heißt normale Familie in G, wenn jede Folge von
Funktionen aus F eine Teilfolge enth¨alt, welche auf jeder kompakten Teilmenge von G chordal
(d.h. bez ¨uglich des chordalen Abstandes
6
) gleichm¨aßig konvergiert.
Montels Theorie ¨uber normale Familien war sehr bedeutend, insofern, als dass Montel
seine Theorie auf eine Vielzahl von Gebieten innerhalb der Funktionentheorie anwende-
te. Jedoch wendete er diese nicht auf die Iteration komplexer Funktionen an - dies taten
als Erste unabh¨angig voneinander die beiden Mathematiker Gaston Maurice Julia (1893
- 1978) und Pierre Fatou (1878-1929) um 1917 vor dem Hintergrund des
"
Grand Prix",
der 1918 stattfinden sollte.
Julia wurde 1893 in Sidi Abb`es in Algerien geboren. Zu dieser Zeit war Algerien be-
kanntlich ein D´epartement Frankreichs. Julias Vater war ein Handwerker - jedoch war
die mathematische Begabung Julias, der von M ¨onchen unterrichtet wurde, bereits fr ¨uh
zu erkennen. Julia bestand 1911 im Alter von 18 Jahren die Aufnahmepr ¨ufung an der
´Ecole Normale Sup´erieure als auch an der ´Ecole Polytechnique jeweils mit dem 1. Platz
und entschied sich f ¨ur ein Studium an der ´Ecole Normale Sup´erieure. Bereits 1913 ver ¨of-
fentlichte Julia seine erste mathematische Arbeit im Bulletin de la Soci´et´e math´ematique.
Julia diente w¨ahrend des 1. Weltkrieges in der franz ¨osischen Armee. Im Jahre 1915 wur-
de er ernsthaft verwundet und trug eine entstellte Nase davon. Seitdem verdeckte er
bis an sein Lebensende seine Nase mit einem Lederriemen ¨uber dem Gesicht. W¨ahrend
5
So hatte beispielsweise Schr ¨oder den so genannten Fixpunktsatz bewiesen, dass wenn O
+
R
(z
0
) = {z
0
}
ein 1-periodischer Orbit ist (d.h. es gilt R(z
0
) = z
0
und z
0
heißt Fixpunkt von R) mit |
z
0
| < 1, dass dann
lim
n
R
n
(z) = z
0
f ¨ur alle z in einer Umgebung von z
0
gilt.
6
vergl. Def. 1.3

9
mehrerer schmerzvoller Operationen f ¨uhrte er seine mathematischen Forschungen im
Krankenhaus fort und erhielt bereits 1917 seinen Doktortitel von der Universit¨at von
Paris.
Fatou wurde 1878 in Lorient in der Bretagne in Frankreich am rauen Golf von Biskaya
geboren. Im Jahre 1898, im Alter von 20 Jahren, verließ Fatou diesen unwirtlichen Ort,
um an der ´Ecole Normale Sup´erieure in Paris bis 1901 zu studieren. Seinen Doktortitel
erhielt er 1907 von der Universit¨at von Paris.
Fatou und Julia ver ¨offentlichten 1919/1920 bzw. 1918 ihre ber ¨uhmten Arbeiten ¨uber
die Iteration komplexer rationaler Funktionen (vergl. [20],[21], [22] und [37]). Durch die
Anwendung des Konzeptes der normalen Familie durch Fatou und Julia standen der
komplexen Dynamik nun funktionentheoretische Ergebnisse zur Verf ¨ugung. Julia und
Fatou gelang so der Durchbruch bei der Betrachtung des globalen dynamischen Verhal-
tens der Orbits: Sie stellten fest, dass die Riemannsche Zahlenkugel in zwei disjunkte
Mengen zerf¨allt. In die heutzutage als Fatou - Menge bezeichnete Menge F(R), auf der
zwei Orbits O
+
R
(z
1
) und O
+
R
(z
2
) ein ¨ahnliches Verhalten aufweisen, wenn z
1
F(R) und
z
2
F(R) hinreichend nahe beieinander liegen. Und in die heutzutage als Julia - Menge
bezeichnete Menge J(R), auf der zwei verschiedene Orbits O
+
R
(z
1
) und O
+
R
(z
2
) vollkom-
men unterschiedliches Verhalten aufweisen, auch wenn die Startwerte z
1
J(R) und
z
2
J(R) der beiden Orbits noch so dicht beieinander liegen
7
. Tats¨achlich besitzen die
komplexen rationalen Funktionen vom Grad
8
gr ¨oßer gleich 2 in gewisser Weise einige
der Merkmale des in der Theorie diskreter dynamischer Systeme als chaotisches Verhalten
bezeichneten Verhaltens. Am Ende von Kapitel 5, nach Satz 5.32, wird der Aspekt des
chaotischen Verhaltens im Zusammenhang mit Julia - Mengen genauer beleuchtet - dort
wird auch der Begriff des Chaos exakt definiert. Devaney hat f ¨ur komplexe Polynome
vom Grad gr ¨oßer gleich 2 zeigen k ¨onnen, dass diese auf ihrer Julia - Menge chaotisch
sind (siehe [19], S. 283).
Die Julia - und Fatou - Menge wurden mit Hilfe des Begriffes der normalen Familie
definiert:
Sei R :
C - C eine rationale Funktion mit deg(R) 2. Ein Punkt z
0
C heißt normaler
Punkt von R, falls es eine offene Umgebung U von z
0
gibt, so dass die Familie der Iterierten
{R
n
|
U
} (n
N) eine normale Familie ist. Die Menge
F(R) := {z
C| z ist normaler Punkt von R}
heißt Fatou - Menge von R und J(R) :=
C \ F(R) heißt Julia - Menge.
Diese disjunkte Zerlegung von
C war haupts¨achlicher Gegenstand der Arbeiten von
Fatou und Julia und ist der zentrale Gegenstand der komplexen Dynamik. Wir werden
in Kapitel 5 beweisen, dass der Rand der von Cayley gesuchten Menge (0.4) tats¨achlich
gerade die Julia - Menge ist. Dies zeigt, wie sehr Cayleys Frage tats¨achlich mit der zen-
tralen Frage der komplexen Dynamik in Zusammenhang steht.
7
J(R) und F(R) sind vollst¨andig invariant (vergl. Satz 3.2), d.h. es gilt R(F(R)) = F(R), R
-1
(F(R)) =
F(R) und R(J(R)) = J(R), R
-1
(J(R)) = J(R). Somit liegen die Orbits in der Julia - Menge bzw. Fatou -
Menge, sofern der Startwert z
0
in der Julia - Menge bzw. Fatou - Menge liegt.
8
vergl. Def. 1.5

10
Wenngleich beispielsweise Julia ein weltbekannter Mathematiker in den 1920er Jahren
war, gerieten die Arbeiten von Fatou und Julia alsbald in Vergessenheit. In den sp¨aten
70er Jahren des 20. Jahrhunderts gelangten sie aber erneut zur Ber ¨uhmtheit aufgrund
der Arbeiten von Beno^it Mandelbrot (1924-) und anderen. Mandelbrot wurde 1924 in
Polen geboren. Im Jahre 1936 emigrierte seine Familie nach Frankreich. Sein Onkel Szo-
lem Mandelbrojt war Mathematikprofessor in Paris und der Nachfolger von Jacques
Salomon Hadamard (1865-1963) am
"
Coll`ege de France"
9
. Szolem Mandelbrojt f ¨uhlte
sich als Onkel von B. Mandelbrot verantwortlich f ¨ur dessen Bildung. Um 1945 empfahl
ihm sein Onkel Julias Arbeit von 1918 als eine inspirierende Quelle f ¨ur ungel ¨oste ma-
thematische Probleme (vergl. [35], S. 138). Jedoch gefiel Mandelbrot Julias Arbeit nicht,
da er keinen Zugang zu dieser Art von Mathematik fand. Deshalb ging Mandelbrot sei-
nen eigenen Weg, der ihn allerdings 1977 wieder auf Julias Arbeit stoßen ließ. Mit Hilfe
von Computerbildern zeigte Mandelbrot, dass Julias Arbeit eine Quelle f ¨ur einige der
sch ¨onsten Fraktale ist, die heutzutage bekannt sind
10
.
Zu Beginn der 1980er Jahre machte sich auf deutscher Seite besonders die Bremer For-
schungsgruppe um Prof. Heinz-Otto Peitgen um die komplexe Dynamik verdient. 1981
wurde in Bremen der erste Workshop im Bereich der dynamischen Systeme unter dem
Namen
"
Chaotic Dynamics" gehalten. Bereits im Jahre 1986 wurde von H.-O. Peitgen
und P. H. Richter das ber ¨uhmte Buch
"
The Beauty of Fractals - Images of Complex Dyna-
mical Systems" publiziert ([34]), welches dazu beitrug, das Interesse f ¨ur die so genannte
fraktale Geometrie einer breiten ¨
Offentlichkeit zu wecken und weltweit bekannt zu ma-
chen. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Anwendung der Theorie komplexer
dynamischer Systeme machte mich Prof. Peitgen auf die Arbeiten der beiden Physiker
Yang und Lee aufmerksam, die 1957
"
f ¨ur grundlegende Forschungen ¨uber die Gesetze
der Parit¨at, die zu wichtigen Entdeckungen ¨uber die Elementarteilchen f ¨uhrten", den
Nobelpreis f ¨ur Physik erhielten. Die komplexe Dynamik hat in der
"
Theorie der Pha-
sen ¨uberg¨ange" nach Yang und Lee eine wichtige Anwendung gefunden. Eine Darstel-
lung dazu findet man ebenfalls in [34], S. 139.
Im Jahre 1984 publizierte der Mathematiker Paul Blanchard von der Boston University
im Bulletin of the Amer. Math. Soc. (N.S.), Volume 11, Number 1 unter dem Titel
"
Complex
Analytic Dynamics on the Riemann Sphere" eine viel beachtete Arbeit ¨uber die Arbei-
ten von Julia, Fatou, Mandelbrot u.a. An den Paragraphen 1-5 dieser Ver ¨offentlichung
orientiert sich ein Großteil dieser Arbeit. Prof. Blanchard wies mich, als ich mit dieser
Arbeit begann, auf das Buch von John Milnor [31] hin, welches die komplexe Dynamik
allgemeiner im Kontext Riemannscher Fl¨achen betrachtet. Er schrieb mir allerdings ¨uber
seine Arbeit von 1984:
"
[... ] but I've been told that my paper did a good job of stressing
the role of normal families in the discussion." Zur ¨uckschauend ist festzustellen, dass ich,
w¨ahrend diese Arbeit entstand, auf keine Ver ¨offentlichung gestoßen bin, die die (histo-
9
Bei Hadamard findet man ¨ubrigens das Motiv, den Krieg und seine Folgen durch intensives Betreiben
der Mathematik zu verarbeiten: 1916 fielen seine beiden ¨alteren S ¨ohne innerhalb weniger Wochen in
der Schlacht von Verdun. Hadamard verarbeitete seine Trauer, indem er sich noch intensiver in die Ma-
thematik vertiefte. Ein ¨ahnlicher Aspekt spielte sicherlich auch bei Julias Forschungen im Krankenhaus
w¨ahrend der Zeit seiner Operationen und der Genesung eine gewisse Rolle.
10
Der Begriff des Fraktals wurde 1975 von Beno^it Mandelbrot eingef ¨uhrt. Was ein Fraktal ist, wird am
Ende von Abschnitt 4.3 definiert. Fast alle Julia - Mengen sind Fraktale (vergl. [36], S. 374).

11
rische) Rolle des Konzeptes der normalen Familie im Kontext komplexer dynamischer
Systeme in vergleichbarer Weise behandelt. Bei der Lekt ¨ure aller anderen Publikationen,
wie beispielsweise des sehr lesenswerten Buches [7] von Alan F. Beardon, wird die histo-
rische Bedeutung der normalen Familie nicht deutlich. Dies zeichnet gerade die Arbeit
von Blanchard und diese Arbeit, da sie sich an seiner Arbeit orientiert, besonders aus.
Diese Arbeit vollzieht den f ¨ur die Entwicklung der komplexen Dynamik so bedeutsa-
men Schritt der Anwendung des Konzeptes der normalen Familie nach. W¨ahrend wir in
Kapitel 1 funktionentheoretische Grundlagen und grundlegende Definitionen einf ¨uhren
und insbesondere zeigen, dass die rationalen Funktionen genau die auf
C meromorphen
Funktionen sind, wird im 2. Kapitel bereits der Begriff der normalen Familie meromor-
pher Funktionen eingef ¨uhrt. In Abschnitt 2.2 beweisen wir den Satz von Arzel`a und As-
coli (vergl. Satz 2.4), welcher normale Familien mit gleichgradig stetigen Familien
11
in
Zusammenhang bringt. In Abschnitt 2.3 wird der f ¨ur die Arbeiten von Fatou und Julia
sehr bedeutende Satz von Montel zitiert, mit dessen Hilfe besonders im 3. Kapitel vie-
le Beweise gef ¨uhrt werden. Dieser Satz besagt anschaulich formuliert, dass, wenn jede
Funktion einer Familie meromorpher (rationaler) Funktionen (mindestens) drei paar-
weise verschiedene Werte a, b, c
C nicht annimmt (diese m ¨ussen f ¨ur jede Funktion
dieselben drei paarweise verschiedenen Werte sein), diese Familie normal ist (vergl. Satz
2.5).
Im 3. Kapitel werden die Julia - und Fatou - Menge ¨uber den Begriff der normalen Fami-
lie definiert und grundlegende Eigenschaften dieser Mengen bewiesen. In Abschnitt 3.2
werden die periodischen Orbits eingef ¨uhrt und anhand ihrer Eigenwerte klassifiziert.
Ein Ergebnis dieses Abschnittes ist, dass die (super)attraktiven periodischen Orbits in
der Fatou - Menge und die repulsiven periodischen Orbits in der Julia - Menge liegen.
In Abschnitt 3.3 wird die so genannte Ausnahmemenge eingef ¨uhrt (vergl. Def. 3.19),
anhand welcher deutlich wird, dass die f ¨ur Julia - Mengen typische, bereits angedeutete
lokale Abstoßung tats¨achlich globaler Natur ist. Am Ende von Kapitel 3 beweisen wir
den Satz, dass die Menge
n
N
0
{z
C|R
n
(z) = z
0
}
(wobei z
0
Element aus der Julia - Menge ist und R eine rationale Funktion vom Grad
gr ¨oßer gleich 2) dicht in der Julia - Menge liegt. Aus diesem Satz werden wir im 4. Ka-
pitel einen Algorithmus zum Zeichnen von Julia - Mengen mit einem Computer entwi-
ckeln und Julia - Mengen anhand ausgew¨ahlter Beispiele betrachten. Im 4. Kapitel wird
insbesondere noch einmal das Newtonverfahren an einem Beispiel genauer betrachtet.
Im 5. Kapitel werden wir dann die in Kapitel 3 ¨uber den Begriff der normalen Familie
funktionentheoretisch definierten Julia - Mengen dynamisch charakterisieren, n¨amlich
als den Abschluss der repulsiven periodischen Orbits. Um dieses Ergebnis zu beweisen,
werden wir unter anderem einige Begriffe und Methoden aus dem Bereich der algebrai-
schen Topologie anwenden.
11
vergl. Def. 2.2

12
Ich m ¨ochte Mark McClure danken, der Dozent am Department of Mathematics der
University of North Carolina in Asheville ist. Er hat mir seine Implementierung f ¨ur
die Erzeugung besonders komplizierter Bilder von Julia - Mengen f ¨ur diese Arbeit zur
Verf ¨ugung gestellt.
Die Idee f ¨ur das Thema dieser Arbeit hatte Dr. Wolfgang Metzler. Daf ¨ur bin ich ihm
sehr dankbar. Ohne seine Unterst ¨utzung w¨are diese Arbeit nicht ann¨ahernd zu einer
solchen Reife gelangt. Daf ¨ur vielen Dank!

13
1
Hintergrund und Bezeichnungen
In diesem Kapitel werden grundlegende Definitionen eingef ¨uhrt, die eine Basis f ¨ur das
Verst¨andnis dieser Arbeit bilden. Dabei wird auf eine Darstellung des kompletten funk-
tionentheoretischen Kanons - den man f ¨ur das Verst¨andnis dieser Arbeit ben ¨otigt und
der beispielsweise am Anfang einer Einf ¨uhrungsveranstaltung in die Funktionentheorie
vermittelt wird - verzichtet. Wir orientieren uns in diesem Kapitel an den Standardwer-
ken [2] von L.V. Ahlfors sowie [12] von C. Carath´eodory. Der Leser sei aber auch auf das
Buch [25] von Freitag und Busam hingewiesen, welches insbesondere f ¨ur den Abschnitt
1.2 von Bedeutung ist. Die Definitionen aus Abschnitt 1.3 sind im Wesentlichen dem
Buch [29] von W. Metzler entnommen.
1.1
Rationale Abbildungen R
:
C
-
C
Wir interessieren uns f ¨ur diskrete dynamische Systeme
12
, welche von rationalen Abbil-
dungen
R :
C - C
erzeugt werden. Im Folgenden wird zun¨achst definiert, was wir unter
C verstehen, und
wir f ¨uhren dann den Begriff der rationalen Funktion ein.
1.1 Definition.
C := C {} heißt erweiterte komplexe Zahlenebene oder vollst¨andige
Gaußsche Zahlenebene. Dabei nennen wir
den unendlich fernen Punkt.
An den bestehenden Rechenregeln in
C ¨andert sich nichts f ¨ur C, allerdings m ¨ussen wir
diese f ¨ur
C erweitern:
1.2 Definition. In der erweiterten komplexen Zahlenebene
C gelten die bekannten Rechenre-
geln aus
C und zus¨atzlich soll gelten
a ±
= ± a = und
a
= 0, f ¨
ur alle a
C,
b ·
= · b =
13
und
b
0
=
, f ¨ur alle b C \ {0}.
± , 0 · ,
und
0
0
sind nicht definiert.
Der Betrag der komplexen Zahlen liefert f ¨ur
C keine sinnvolle Metrik mehr. Durch die
Hinzunahme des Punktes
erwarten wir von einer sinnvollen Metrik, dass bez ¨uglich
dieser beispielsweise der Abstand der beiden Folgen (n + 0i)
n
N
und (-n + 0i)
n
N
in
C
12
Was ein diskretes dynamisches System ist, wird in Abschnitt 1.3 definiert.
13
Da f ¨ur alle b
C \ {0} ein b
-1
existiert mit bb
-1
= 1, gilt: b ·
= =
b
=
f ¨ur alle b C \ {0}.

14
gegen 0 konvergiert, da beide Folgen gegen den Wert
konvergieren
14
. Dies ist f ¨ur den
komplexen Betrag nicht der Fall, denn es gilt |(n + 0i) - (-n + 0i)| -
f ¨ur n - .
Daher werden wir im Folgenden mit Hilfe der stereographischen Projektion eine neue
Metrik definieren.
Bernhard Riemann (1826 - 1866) schlug als Erster vor, die Gaußsche Zahlenebene durch
die so genannte stereographische Projektion auf eine Kugel abzubilden. Verm ¨oge der
Abbildung
: S
2
-
C, (x
1
, x
2
, x
3
) - ((x
1
, x
2
, x
3
))
mit
((x
1
, x
2
, x
3
)) :=
x
1
+ix
2
1-x
3
f ¨ur (x
1
, x
2
, x
3
) = (0, 0, 1)
f ¨ur (x
1
, x
2
, x
3
) = (0, 0, 1)
wird die so genannte Riemannsche Zahlenkugel
S
2
:= (x
1
, x
2
, x
3
)
R
3
x
2
1
+ x
2
2
+ x
2
3
= 1
hom ¨oomorph
15
auf die erweiterte komplexe Zahlenebene
C abgebildet. Dabei ist die
Umkehrabbildung
-1
:
C - S
2
gegeben durch
16
-1
(z) =
2 (z)
|z|
2
+1
,
2 (z)
|z|
2
+1
,
|z|
2
-1
|z|
2
+1
f ¨ur z
C
(0, 0, 1)
f ¨ur z =
(siehe Ahlfors [2], S.18).
S
2
als Teilmenge des
R
3
ist zusammen mit der Euklidischen Metrik d
3
:
R
3
×
R
3
-
R
des
R
3
, definiert durch
d
3
(x, y) :=
3
i=1
(x
i
- y
i
)
2
, f ¨ur alle x, y
R
3
,
ein metrischer Raum. Mit Hilfe der Umkehrabbildung der stereographischen Projektion
-1
:
C - S
2
,
k ¨onnen wir auf
C den so genannten chordalen Abstand f ¨ur z
1
, z
2
C definieren:
14
Man beachte, dass -
= nach Def. 1.2 gilt.
15
D.h. die Abbildung ist ein Hom ¨oomorphismus. Eine Abbildung f ist ein Hom ¨oomorphismus, wenn
f stetig und bijektiv ist und wenn die Umkehrfunktion f
-1
von f ebenfalls stetig ist.
16
(z) bezeichnet den Realteil von z und
(z) den Imagin¨arteil; | · | ist der komplexe Betrag.

15
1.3 Satz und Definition. Die Abbildung
:
C × C - R,
definiert durch
(z
1
, z
2
) := d
3
(
-1
(z
1
),
-1
(z
2
)),
heißt chordaler Abstand. Der so definierte chordale Abstand besitzt die Darstellung
(z
1
, z
2
) =
2|z
1
-z
2
|
(1+|z
1
|
2
)(1+|z
2
|
2
)
f
¨
ur z
1
, z
2
C
2
1+|z
1
|
2
f
¨
ur z
1
C, z
2
=
0
f
¨
ur z
1
= z
2
=
.
(1.1)
Beweis
: F ¨ur die Herleitung der Darstellung (1.1) siehe Ahlfors [2], S. 20.
I
Der chordale Abstand ist laut Definition eine Metrik, da sich die Eigenschaften der
Euklidischen Metrik ¨ubertragen. Damit ist (
C, ) ein zur Riemannschen Zahlenkugel
hom ¨oomorpher metrischer Raum und aufgrund der Kompaktheit von S
2
folgt sofort
die Kompaktheit von
C
17
.
Der oben definierte chordale Abstand ist eine ad¨aquate Metrik auf
C. So konvergiert
beispielsweise die Folge (((n + 0i), (-n + 0i)))
n
N
f ¨ur n -
gegen 0.
1.4 Definition. Sei G
C. Eine Abbildung
R : G -
C
mit
z R(z) =
p(z)
q(z)
,
(1.2)
wobei p(z) :=
n
i=0
a
i
z
i
, q(z) :=
m
i=0
b
i
z
i
mit n, m
N
0
, a
i
, b
i
C f¨ur alle i, b
m
= 0, a
n
= 0
falls n 1 und p(z), q(z) keine gemeinsamen Nullstellen besitzen sollen, heißt rationale
Funktion.
Bemerkung
: Die k-fachen Nullstellen von q(z) werden Pole der Ordnung k von R ge-
nannt. Falls
G ist, sagen wir, dass R f ¨ur z = eine Nullstelle bzw. einen Pol der
Ordnung k besitzt, falls die ebenfalls rationale Funktion (vergl. (1.3))
~
R : z
C 1/z G - C,
17
Der Begriff der Hom ¨oomorphie ist f ¨ur topologische R¨aume reserviert - wir m ¨ussen hier eigentlich von
zueinander isometrischen metrischen R¨aumen sprechen. Jedoch induziert eine jede Metrik eine Topo-
logie, so dass wir von
C und S
2
als zueinander hom ¨oomorphen kompakten topologischen R¨aumen
sprechen k ¨onnen.

16
definiert durch
~
R(z) := R
1
z
,
f ¨ur z = 0 eine Nullstelle bzw. einen Pol der Ordnung k besitzt. Die Polstellen von R
werden auf
abgebildet. Aus
R(z) =
a
0
+ a
1
z + . . . + a
n
z
n
b
0
+ b
1
z + . . . + b
m
z
m
erhalten wir
~
R(z) := R
1
z
= z
m-n
a
0
z
n
+ a
1
z
n-1
+ . . . + a
n
b
0
z
m
+ b
1
z
m-1
+ . . . + b
m
.
(1.3)
Es gilt:
R(
) =
falls n > m
a
n
b
n
falls n = m
0
falls n < m,
(1.4)
denn aus (1.3) folgt, dass R in z =
f ¨ur n > m einen Pol der Ordnung n - m besitzt, f ¨ur
n < m in z =
eine Nullstelle der Ordnung m - n, und f ¨ur n = m gilt R() = a
n
/b
n
.
Die rationalen Funktionen R := p/q :
C - C sind als Quotienten stetiger Funktionen
f ¨ur alle z
C \ S(R)
18
stetig. In den Polstellen z
0
S(R)
C wird R verm¨oge R(z
0
) =
stetig fortgesetzt. F ¨ur z =
ist R ebenfalls stetig, was man aus der folgenden Darstel-
lung von R zusammen mit (1.4) erkennt:
R(z) = z
n-m
a
0
z
n
+
a
1
z
n-1
+ . . . + a
n
b
0
z
m
+
b
1
z
m-1
+ . . . + b
m
Ì
1.5 Definition. Wir definieren den Grad einer rationalen Funktion R, definiert wie in Def.
1.4, durch
deg(R) := max{deg(p), deg(q)}.
Dabei bezeichnet deg(p) f ¨ur ein Polynom p(x) = a
n
x
n
+ a
n-1
x
n-1
+ . . . + a
0
C[x] den
Grad des Polynoms p - d.h. deg(p) = n sofern a
n
= 0 ist. F ¨ur das Nullpolynom p(x) 0
definieren wir deg(p) = 0.
Bemerkung
: F ¨ur den Grad zweier nicht konstanter rationaler Funktionen R und S gilt
die Beziehung
19
deg(R S) = deg(R) · deg(S)
(1.5)
und somit
deg(R R · · · R
n-mal
) = (deg(R))
n
mit n
N
(1.6)
(siehe [7], S. 32).
Ì
18
S(R) sei die Polstellenmenge von R.
19
Man ¨uberzeugt sich leicht davon, dass f ¨ur zwei nicht konstante rationale Funktionen R und S die Ver-
kn ¨upfung R S ebenfalls eine rationale Funktion ist.

17
Die Theorie von Fatou und Julia, auf der die Betrachtungen dieser Arbeit beruhen,
besch¨aftigt sich mit rationalen Funktionen vom Grad 2. Das dynamische Verhalten
rationaler Funktionen vom Grad 1 betrachten wir in dieser Arbeit nicht. Eine vollst¨andi-
ge Darstellung des dynamischen Verhaltens solcher Funktionen findet man bei Beardon
(siehe [7], S. 4 und 5).
1.6 Satz. Ist R
:
C - C eine rationale Funktion mit d := deg(R) 1, dann hat die
Gleichung R(z) = w f ¨ur jedes w
C genau d L¨osungen (Vielfachheiten
20
mitgez¨ahlt).
Beweis
: Sei R(z) :=
p(z)
q(z)
mit p(z) :=
n
i=0
a
i
z
i
, q(z) :=
m
i=0
b
i
z
i
und n = deg(p), m =
deg(q) sowie d := deg(R) = max{n, m} gegeben. Wir betrachten die Gleichung R(z) =
w.
1. Fall, w {0,
}: (a) d = n = m: Es gilt R() =
a
n
b
n
, so dass alle Nullstellen und Pole
von R in
C liegen. R besitzt d Nullstellen und d Pole (mit Vielfachheiten gez¨ahlt) in C, da
p und q als komplexe Polynome vom Grad d ¨uber
C in d Linearfaktoren zerfallen. Die
Gleichungen R(z) = 0 und R(z) =
besitzen also (mit Vielfachheiten gez¨ahlt) jeweils
d L ¨osungen.
(b) d = n > m: R besitzt in z =
einen Pol der Ordnung n - m (siehe Bemerkung nach
Def. 1.4). Die Funktion R besitzt in
C d Nullstellen und m Pole (mit Vielfachheiten), da p
in d und q in m Linearfaktoren ¨uber
C zerf¨allt. Insgesamt hat R somit d Nullstellen und
n - m + m = n = d Polstellen.
(c) d = m > n: Die Funktion R besitzt in z =
eine Nullstelle der Ordnung m - n (siehe
Bemerkung nach Def. 1.4). R besitzt in
C n Nullstellen und d Polstellen (mit Vielfachhei-
ten gez¨ahlt), also insgesamt n + m - n = m = d Nullstellen und d Polstellen.
2. Fall, w
C \ {0}: Die Punkte z C mit R(z) = w sind genau die Nullstellen der
Funktion
z S(z) := R(z) - w =
p(z) - w q(z)
q(z)
.
Die Polynome p(z) - w q(z) und q(z) besitzen keine gemeinsamen Linearfaktoren (denn
aus p(z
0
) - w q(z
0
) = 0 und q(z
0
) = 0 f ¨ur ein z
0
C folgt p(z
0
) = 0, im Widerspruch
dazu, dass p(z) und q(z) keine gemeinsamen Linearfaktoren besitzen). Es gen ¨ugt zu zei-
gen, dass die rationale Funktion S f ¨ur jedes w
C \ {0} d = deg(R) Nullstellen besitzt
(mit Vielfachheiten). Nach dem ersten Fall besitzt S eine Anzahl von d Nullstellen, wenn
deg(S) = d gilt. Wir m ¨ussen also deg(S) = d zeigen. Es gilt:
deg(S) = max{deg(p - w q), deg(q)}
=
deg(q),
falls deg(q) deg(p)
deg(p),
falls deg(q) < deg(p)
= max{deg(p), deg(q)}
= deg(R) = d.
I
20
Sei w
C. Dann heißt z
0
C n-fache L¨osung der Gleichung R(z) = w, falls z
0
eine n-fache Nullstelle
von R - w ist. F ¨ur w =
heißt jede n-fache Polstelle von R eine n-fache L¨osung der Gleichung R(z) =
.

18
Im Folgenden betrachten wir - sofern nichts ¨uber den Grad gesagt wird - rationale
Funktionen vom Grad
2. Aus Satz 1.6 erhalten wir direkt folgendes Korollar:
1.7 Korollar. Sei R
:
C - C eine rationale Funktion mit deg(R) 1. Dann ist R surjektiv.
1.2
Rationale und meromorphe Funktionen auf
C
Wir wollen nun die funktionentheoretische Tatsache betrachten, dass die rationalen Ab-
bildungen
R :
C - C
genau die auf
C meromorphen Funktionen sind. Dazu m ¨ussen wir zun¨achst einige De-
finitionen einf ¨uhren.
1.8 Definition. Sei G
C offen
21
. Eine komplexe Funktion
f : G -
C
heißt in einem Punkt z
0
G differenzierbar, falls der Grenzwert
f (z
0
) := lim
zz
0
f (z) - f (z
0
)
z - z
0
existiert - wir nennen dann f (z
0
) die Ableitung von f an der Stelle z
0
.
1.9 Definition. Eine Funktion wie in Def. 1.8, die in jedem Punkt von G differenzierbar ist,
heißt analytisch in G. Die Funktion heißt analytisch in einem Punkt z
0
G, wenn sie in
einer offenen Umgebung U G von z
0
analytisch ist.
Bemerkung
: Die Ableitungsgregeln sind im Komplexen ebenfalls g ¨ultig und man be-
weist diese wie im reellen Fall. Folglich geh ¨oren Polynome mit Koeffizienten in
C als
Summe analytischer Funktionen zu den auf ganz
C analytischen Funktionen. F ¨ur eine
rationale Funktion R = p/q ergibt sich f ¨ur z
C \ S(R) - wobei S(R) die Menge der
Polstellen von R ist - nach der Quotientenregel die ebenfalls rationale Funktion
22
:
R (z) :=
p (z)q(z) - p(z)q (z)
q
2
(z)
.
(1.7)
21
Sei (X,d) ein metrischer Raum, dann heißt M X offen, wenn zu jedem x
0
X eine reelle Zahl > 0
existiert, so dass gilt: B
(x
0
) := {x X|d(x, x
0
) < } M.
22
Besitzen Z¨ahler- und Nennerpolynom gemeinsame Nullstellen, so k ¨onnen wir die gemeinsamen Line-
arfaktoren der beiden Polynome wegk ¨urzen, da jedes komplexe Polynom ¨uber
C vollst¨andig in Linear-
faktoren zerf¨allt.

19
Falls R(
) = gilt, definieren wir R () := ^R (0) := ( R
-1
) (0) mit
(z) :=
1
z
.
Ì
1.10 Definition. Sei G
C offen, z
0
G und f : G \ {z
0
} -
C eine in G \ {z
0
}
analytische Funktion. Dann heißt der Punkt z
0
isolierte Singularit ¨at von f. Eine isolierte
Singularit¨at heißt
(a) hebbare Singularit ¨at, falls f in z
0
bzw. auf G analytisch fortsetzbar ist (d.h. falls eine
auf G analytische Funktion ~f : G -
C existiert, so dass gilt ~f
G\{z
0
}
f ).
(b) Pol, falls z
0
keine hebbare Singularit¨at von f ist, aber ein m
N existiert, so dass z
0
eine
hebbare Singularit¨at von ~f : G \ {z
0
} -
C, definiert durch ~f(z) := f (z) · (z - z
0
)
m
,
ist. Das kleinste solche m heißt Ordnung des Pols.
(c) wesentliche Singularit ¨at, wenn sie weder hebbar noch ein Pol ist.
1.11 Definition. Sei G
C eine offene Menge, welche enth¨alt. Sei
f : G \ {
} - C
eine analytische Funktion. Dann heißt der Punkt z =
isolierte Singularit¨at und insbeson-
dere Pol (hebbare/wesentliche Singularit ¨at) von f , falls ein
R
>0
{
} existiert, so
dass die Funktion
~f : ~G := z C 0 < |z| < - C,
definiert durch
~f(z) := f
1
z
,
analytisch ist in ~
G und die entsprechende Eigenschaft f ¨ur die isolierte Singularit¨at z = 0
besitzt.
Bemerkungen
: (1) Def. 1.10 bzw. 1.11 ist eine vollst¨andige Klassifizierung isolierter Sin-
gularit¨aten, d.h. eine isolierte Singularit¨at muss eine hebbare Singularit¨at, ein Pol oder
eine wesentliche Singularit¨at sein. Im Folgenden werden wir die analytische Fortset-
zung einer Funktion f ebenfalls mit f bezeichnen.
(2) Funktionen, die auf ganz
C analytisch sind, heißen ganze Funktionen. Ganze Funk-
tionen sind in jedem Punkt der Gaußschen Ebene in eine in ganz
C konvergente Potenz-
reihe entwickelbar. Die ganzen Funktionen werden in zwei Klassen unterteilt. Die gan-
zen rationalen Funktionen
sind die ganzen Funktionen, deren Potenzreihenentwick-
lungen endlich viele Glieder besitzen. Dies sind genau die Polynome. Diese besitzen
in z =
einen Pol oder eine hebbare Singularit¨at (vergl. mit Bsp. 1.12). Alle ganzen
Funktionen, deren Potenzreihenentwicklungen unendlich viele Glieder besitzen, wer-
den ganze transzendente Funktionen genannt. Die ganzen transzendenten Funktionen
sind in z =
nicht analytisch fortsetzbar und aufgrund der nicht abbrechenden Po-

20
tenzreihenentwicklung ist klar, dass ganze transzendente Funktionen in z =
eine
wesentliche Singularit¨at besitzen
(vergleiche auch [8], S. 153).
Ì
Wir wollen nun - um Def. 1.11 zu verdeutlichen - als Beispiel ein nicht konstantes Poly-
nom betrachten und untersuchen, welche Art von isolierter Singularit¨at dieses in dem
Punkt z =
besitzt:
1.12 Beispiel. Sei p
:
C \ {} - C eine Funktion, definiert durch p(z) :=
n
k=0
a
k
z
k
mit
n
N, a
k
C f¨ur k = 1, 2, . . . , n und a
n
= 0. Um die Art der isolierten Singularit¨at z =
von p zu bestimmen, m ¨ussen wir nach Def. 1.11 die isolierte Singularit¨at z = 0 der Funktion
~p :
C \ {0} - C, definiert durch ~p(z) := p
1
z
, betrachten:
~p(z) = a
0
+
a
1
z
+ . . . +
a
n
z
n
=
a
0
z
n
+ a
1
z
n-1
+ . . . + a
n
z
n
.
~p(z) besitzt f ¨ur z = 0, nach Def. 1.10, einen Pol der Ordnung n und somit besitzt p f ¨ur z =
,
nach Def. 1.11, einen Pol der Ordnung n. Im ¨
Ubrigen - wenn wir
~p als rationale Funktion
betrachten - liefert uns die Definition der Pole einer rationalen Funktion f ¨ur z = 0 ebenfalls
einen Pol der Ordnung n f ¨ur
~p und somit f ¨ur p.
1.13 Definition. Sei G
C offen. Eine Funktion f : G - C heißt meromorph, falls gilt:
(a) Die Menge S( f ) := f
-1
({
}) ist diskret in G
23
.
(b) Die Einschr¨ankung von f,
f
0
: (G \ S( f ))
C - C,
ist analytisch.
(c) Alle Elemente aus S( f ) sind Pole von f
0
.
(d) Falls
G \ S( f ) ist, so besitzt f
0
in
eine hebbare Singularit¨at.
Bemerkungen
: (1) Die meromorphen Funktionen sind - anschaulich gesprochen - die bis
auf Polstellen analytischen Funktionen. Damit ist klar, dass eine isolierte Singularit¨at
einer meromorphen Funktion entweder hebbar oder ein Pol ist!
Aus der Bedingung
(d) in Def. 1.13 folgt nach Def. 1.11, dass die dort in ~
G (einer punktierten Umgebung der
0
24
) definierte Funktion ~f in z = 0 analytisch fortsetzbar ist. Manche Autoren sprechen
dann davon, dass f in z =
analytisch ist. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass f
"
in der
N¨ahe" von z =
, gem¨aß Definition, dasselbe Verhalten aufweist wie ~f
"
in der N¨ahe"
von z = 0.
23
S( f ) G heißt diskret in G, falls in G kein H¨aufungspunkt von S( f ) enthalten ist. D.h. p G existiert
eine Umgebung U(p), so dass f ¨ur
U(p) := U(p) \ {p} gilt:
U(p) S( f ) =
(falls S( f ) = , so ist S( f )
diskret in G).
24
F ¨ur
R
>0
{
} heißt z C 0 < |z| < punktierte Umgebung der 0.

21
(2) Sei G
C ein Gebiet
25
. Dann bildet die Gesamtheit der meromorphen Funktionen
f : G -
C einen K¨orper (vergl. [25], S. 157).
Ì
Nun kommen wir zum Kern dieses Abschnittes. Es wird folgender Satz bewiesen:
1.14 Satz. Die meromorphen Funktionen f
:
C - C sind genau die auf C rationalen Funk-
tionen.
Beweis
: Sei R eine rationale Funktion auf
C. Dann ist R bis auf Pole analytisch in C und
somit meromorph in
C. Die Funktion R(1/z) ist ebenfalls eine rationale Funktion (siehe
(1.3)) und besitzt somit als eine, bis auf Polstellen, analytische Funktion ausschließlich
Pole und hebbare, aber keine wesentlichen Singularit¨aten. Damit besitzt R in z =
ent-
weder eine hebbare Singularit¨at oder einen Pol und somit ist R in ganz
C meromorph.
Sei umgekehrt f :
C - C eine meromorphe Funktion. Falls S( f ) = gilt (wobei S( f )
die Menge der Pole von f in
C ist), so ist f eine ganze Funktion. f |
C
besitzt als mero-
morphe Funktion f ¨ur z =
eine hebbare Singularit¨at oder einen Pol. Damit ist f ein
Polynom und somit eine rationale Funktion auf
C. Wir betrachten den Fall S( f ) = .
Die Menge S( f ) der Pole von f in
C ist diskret in C, und da C als kompakter metri-
scher Raum totalbeschr¨ankt ist
26
, muss S( f ) = {z
1
, z
2
, . . . , z
m
} endlich sein. W¨are S( f )
nicht endlich, so k ¨onnten wir offene Umgebungen U
j
(z
j
) f ¨ur j = 1, 2, . . . w¨ahlen, so
dass U
r
(z
r
) U
s
(z
s
) =
f ¨ur alle r = s gilt (da S( f ) diskret in C ist). Dann w ¨urde f ¨ur
0
:= min{
1
,
2
, . . .} gelten:
j=1
{z
C|(z, z
j
) <
0
}
C.
D.h. f ¨ur
0
existierte somit keine endliche
0
- ¨
Uberdeckung von
C, was die Totalbe-
schr¨anktheit von
C verletzen w ¨urde.
Seien also z
1
, z
2
, . . . , z
m
die Polstellen von f in
C und v
1
, v
2
, . . . , v
m
die zugeh ¨origen Ord-
nungen der Polstellen mit m
N. Wir definieren p(z) := f (z) · g(z) mit
g(z) :=
m
k=1
(z - z
k
)
v
k
.
Die Funktion p ist analytisch in ganz
C, also eine ganze Funktion und als Produkt der
auf
C meromorphen Funktion f und des auf C meromorphen Polynoms g eine auf C
meromorphe Funktion. p|
C
besitzt als meromorphe Funktion in z =
entweder einen
Pol oder eine hebbare Singularit¨at. Das bedeutet aber, dass p keine ganze transzenden-
te Funktion sein kann und somit ein Polynom sein muss (siehe Bemerkung (1) und (2)
25
Sei (X,d) ein metrischer Raum, dann heißt G X Gebiet, falls G eine nichtleere offene zusam-
menh¨angende Menge ist.
26
Ein metrischer Raum ist genau dann kompakt, wenn er vollst¨andig und totalbeschr¨ankt ist (siehe [24],
S. 116). Dass
C totalbeschr¨ankt ist, bedeutet, dass f ¨ur jedes > 0 eine endliche Menge {z
1
, z
2
, . . . , z
n
} mit
z
i
C f ¨ur i = 1, 2, . . . , n existiert, so dass gilt:
n
k=1
z
C (z, z
k
) < =
C. Man sagt auch, es existiert
dann f ¨ur alle > 0 eine endliche - ¨
Uberdeckung von
C.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2008
ISBN (eBook)
9783836610261
Dateigröße
3.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Kassel – 17: Mathematik / Informatik, Mathematik
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
riemannsche zahlenkugel meromorphe funktion julia-menge normale familien iteration funktionen globales verhaltens orbits disjunkte mengen fraktale
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Titel: Dynamik meromorpher Funktionen auf der Riemannschen Zahlenkugel
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