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Ein gesunder Geist in einem geschickten Körper?

Zur Beziehung von Bewegung, Kognition, Sprache und Selbstbild bei 6- und 7-jährigen Kindern. Eine theoretische und empirische Studie

©2000 Doktorarbeit / Dissertation 350 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Die vorliegende Untersuchung gilt dem Zusammenhang zwischen Merkmalen der körperlichen Bewegung und psychosozialen Prozessen und Strukturen bei sechs- und siebenjährigen Kindern.
Positive Effekte körperlicher Aktivität auf biologische Strukturen und Prozesse sind heute für das Erwachsenenalter wissenschaftlich relativ gut dokumentiert, obwohl die Resultate empirisch-analytischer Untersuchungen immer noch hinter den Wünschen vieler Forscher und Praktiker her hinken. Für den Kinderbereich liegen, wenn auch in viel geringerem Ausmaß, Befunde vor, die die Annahme positiver gesundheitlicher Konsequenzen körperlicher Aktivität teilweise unterstützen.
Im Hinblick auf psychosoziale Wirkungen sind die empirischen Resultate zwar spärlicher, für den Erwachsenenbereich kann aber dennoch bereits auf eine Reihe von Übersichtsdarstellungen hingewiesen werden, in denen zum Teil ermutigende Resultate referiert werden. Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass bedeutsame Meta-Analysen einem pauschalen und unkritischen Anspruch der Förderung der psychischen Gesundheit durch Sport nicht oder nur bedingt unterstützen. Empirische Befunde zu psychosozialen Wirkungen der Bewegung bei Kindern sind immer noch eher selten.
Insbesondere seit der Zeit der Aufklärung und des damit einhergehenden Philanthropismus, wird auch für das Kindesalter immer wieder nachdrücklich auf die große Bedeutung von Körper und Bewegung für die Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisierung hingewiesen, wie einschlägigen historischen Beiträgen zu entnehmen ist. Besondere Aktualität gewinnt das Thema im Zuge der Reformpädagogik am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nach einer Periode des Stillstands in der fachlichen und didaktischen Entwicklung während und nach dem Zweiten Weltkrieg, wird der persönlichkeitsformenden Wirkung von Körper, Bewegung und Sport in neuerer Zeit in der sportpädagogischen und -psychologischen Forschung wieder eine zentrale Stellung eingeräumt.
Bewegungsfähigkeiten und -fertigkeiten, kognitives und sprachliches Funktionsniveau sowie Selbstbild sind als bedeutungsvolle Teilkomponenten der ganzheitlichen Entwicklung von Kindern anzusehen. Gerade die eventuellen Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Objektbereichen der individuellen Entwicklung einer Person werden in der Literatur zwar häufig angesprochen, gehören aber dennoch nicht zu den Gebieten der Entwicklungspsychologie, denen intensive Forschungsbemühungen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Thomas Moser
Ein gesunder Geist in einem geschickten Körper?
Zur Beziehung von Bewegung, Kognition, Sprache und Selbstbild bei 6- und 7-jährigen
Kindern. Eine theoretische und empirische Studie
ISBN: 978-3-8366-1010-0
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Deutsche Sporthochschule Köln, Köln, Deutschland, Dissertation / Doktorarbeit,
2000
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

1
VORWORT
Diese Studie ist Teil einer mehrjährigen Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Psycho-
motorik, die seit 1993 an der Sektion für Leibesübungen und Sport an der Hochschule
in Vestfold (Norwegen) durchgeführt wird. Im Zuge unserer Bemühungen psychosozia-
le Effekte körperlicher Aktivität im frühen Schulkindalter zu untersuchen, sollte auch
der Frage nachgegangen werden, welche der oftmals behaupteten Beziehungen zwi-
schen motorischen und psychosozialen Teildimensionen empirisch dokumentiert wer-
den können. In Norwegen liegt dazu kaum empirisches Material vor, obwohl die Prob-
lemstellung in der pädagogischen Diskussion von großer Aktualität zu sein scheint.
Zur Realisierung der vorliegenden Studie hat eine Reihe Personen maßgeblich beigetra-
gen. Viele dieser Mitstreiter haben eigentlich größere Anerkennung verdient, als eine
bloße Erwähnung im Vorwort.
Mein besonderer Dank gilt den Schülern und Eltern sowie den Lehrern und Rektoren
der vier an der Untersuchung beteiligten Schulen. Sie haben mit ihrer positiven Haltung
maßgeblich zur Durchführung des Projektes beigetragen.
Den von mir betreuten Hauptfachstudenten, Bettina Dudas und Lars Vadder, beide zum
Untersuchungszeitpunkt auch Lehrer und somit Kollegen an der Sektion für Leibes-
übungen und Sport, gebührt große Dankbarkeit. Sie trugen die Hauptverantwortung bei
der Durchführung und Koordination der Datenerhebung. Bettina war auch wesentlich
an der Kodierung und Eingabe der Daten beteiligt. Hochschullektor Kari Christiansen,
ehemalige Hauptfachstudentin, führte die Sprachfunktionstests auf gewohnt souveräne
Weise durch.
Allen an der Testdurchführung beteiligten Personen gebührt die Ehre dafür, dass die
Untersuchungsdurchführung, nach Auskunft der Lehrer und Eltern sowie spontanen
Reaktionen der Schüler, für diese ein freudvolles und spannendes Erlebnis wurde. Dafür
danke ich Arild N. Didriksen, Wenche Danielsen, Asgeir Fremstad, Stein Jacobsen,
Renate Frugaard Johansen, Arve Mørk, Eva Myrtrøen Nielsen, May Lisbeth Plathan,
und Bård Söderberg.
Einen wesentlichen finanziellen Beitrag zur Realisierung dieser Untersuchung leistete
der norwegische Forschungsrat (Norges forskningsråd), der im Rahmen des Programms
für sportwissenschaftliche Forschung das Projekt unterstützte und mir ein einjähriges
Forscherstipendium gewährte. Gedankt sei auch der Abteilung für Lehrerausbildung an

2
der Hochschule in Vestfold, für wohl wollende Hilfestellungen in finanzieller und
organisatorischer Hinsicht, speziell für das halbjährige Stipendium das den Abschluss
dieser Arbeit ermöglichte. Unverzichtbar war auch der großartige Einsatz der Mitarbei-
ter/-innen unserer Fakultätsbibliothek, keiner meiner zum Teil doch sehr ungewöhnli-
chen Literaturwünsche blieb unerfüllt.
Dankbar bin ich auch dem Dekan der Fakultät für Lehrerausbildung an der Hochschule
in Vestfold, Herrn Prof. Bjørn Damsgaard, für die hilfreichen und anregenden Diskussi-
onen zur statistischen Datenanalyse.
Für die Mühe des Korrekturlesens zu einem relativ frühen Zeitpunkt im Prozess danke
ich Herrn Dipl. Psych. Dr. Gerhard Fries. Ich hoffe, dass unsere Freundschaft unter all
den im Nachhinein hinzugekommenen Fehler nicht leiden wird.
Schließlich gilt mein herzlicher Dank meinem ehemaligen Lehrer und Vorgesetzten
sowie Betreuer dieser Dissertation, Herrn Prof. Dr. Jürgen R. Nitsch, für seine Geduld
mit einem jahrelangen Doktoranden und für alles was ich durch ihn lernen durfte.
Ohne die Geduld, Ermunterung und Unterstützung, die mir von meiner Frau Bettina und
meinen Kindern Vilde und Andreas entgegengebracht wurde, wäre die Arbeit wohl
niemals fertig geworden.
Thomas Moser

3
I
I
N
N
H
H
A
A
L
L
T
T
S
S
V
V
E
E
R
R
Z
Z
E
E
I
I
C
C
H
H
N
N
I
I
S
S
Verzeichnis der Abbildungen ... 7
Verzeichnis der Tabellen ... 9
1
P
ROBLEMSTELLUNG
... 13
THEORETISCHER TEIL...19
2
Z
UR
B
EZIEHUNG VON
K
ÖRPER
, B
EWEGUNG UND
P
SYCHE
... 20
2.1 Begriffsklärung ... 21
2.2 Historischer Rückblick bis um Ende des 19. Jahrhunderts... 25
2.3 Entwicklungen im 20. Jahrhundert ... 34
2.3.1 Körper- und bewegungsrelevante gesellschaftliche Bedingungen
im Wandel... 34
2.3.2 Die Sichtweisen unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche ... 38
2.4 Dualismus, Monismus und alternative Sichtweisen ... 49
2.5 Zusamenfassung und Schlussfolgerungen ... 56
3
K
ÖRPER
, B
EWEGUNG UND
P
SYCHE IN HANDLUNGSTHEORETISCHER
P
ERSPEKTIVE
... 60
3.1 Handlungstheoretisch orientierte Modellbildung zu Körper und
Bewegung ... 63
3.1.1 Körper aus handlungstheoretischer Sicht... 63
3.1.2 Bewegung aus handlungstheoretischer Sicht ... 68
3.2 Psychomotorik als Konkretisierung einer handlungstheoretischen
Perspektive... 77
3.2.1 Begriffliche und konzeptuelle Abklärung... 77
3.2.2 Modellbildung zur Beziehung von Bewegung und Psyche... 85
3.3 Zusammenfassung... 111

4
4
D
ER EMPIRISCH
-
ANALYTISCHE
F
ORSCHUNGSSTAND ZUR
B
EZIEHUNG VON
B
EWEGUNG
, K
OGNITION
, S
PRACHE UND
S
ELBSTBILD
...113
4.1 Ansätze zur Erklärung von Zusammenhängen zwischen Bewegung
und Psyche...114
4.1.1 Unmittelbare Erklärungen...118
4.1.2 Mittelbare Erklärungen ...123
4.2 Bewegung und kognitive Prozesse...129
4.2.1 Zum Verständnis des Begriffs kognitive Prozesse ...129
4.2.2 Zur Beziehung von Bewegung und kognitiven Prozessen...130
4.2.3 Zusammenfassende Bewertung ...137
4.3 Bewegung und Sprache ...139
4.3.1 Zum Verständnis des Begriffs Sprache ...139
4.3.2 Zur Beziehung zwischen Bewegung und Sprache...141
4.3.3 Zusammenfassende Bewertung ...148
4.4 Bewegung und Selbstbild...150
4.4.1 Zum Verständnis des Begriffs Selbstbild ...150
4.4.2 Zur Beziehung von Bewegung und Selbstbild...154
4.4.3 Zusammenfassende Bewertung ...157
4.5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ...159
EMPIRISCHER TEIL ...165
5
K
ONKRETISIERUNG DER
P
ROBLEMSTELLUNG DER EMPIRISCHEN
U
NTERSUCHUNG
...166
5.1 Rahmenbedingungen der Problemgenerierung ...167
5.2 Fragestellung ...171
6
M
ETHODE
...172
6.1 Methodologische
Vorüberlegungen ...173
6.2 Untersuchungsverfahren...184
6.3 Untersuchungsgruppe...191
6.4 Untersuchungsdurchführung ...193
6.5 Untersuchungsauswertung ...195
6.6 Bewertung der Untersuchungsqualität ...198
6.7 Forschungsethische
Bewertung...200

5
7
D
ARSTELLUNG UND
D
ISKUSSION DER
E
RGEBNISSE
... 204
7.1 Überblick zu den Testergebnissen der Gesamtgruppe und der
Teilgruppen... 205
7.1.1 Kommentierte Darstellung ausgewählter Testergebnisse ... 206
7.1.2 Diskussion einiger Aspekte der Testergebnisse und ihrer
Konsequenzen... 210
7.2 Die Beziehung zwischen motorischem und kognitivem
Funktionsniveau... 216
7.2.1 Darstellung des Zusammenhangs innerhalb der Gesamtgruppe
sowie der Teilgruppenunterschiede... 216
7.2.2 Interpretation und Diskussion ... 222
7.3 Die Beziehung zwischen motorischem und sprachlichem
Funktionsniveau... 230
7.3.1 Darstellung des Zusammenhangs innerhalb der Gesamtgruppe
sowie der Teilgruppenunterschiede... 230
7.3.2 Interpretation und Diskussion ... 237
7.4 Die Beziehung zwischen motorischem Funktionsniveau und
Selbstbild ... 242
7.4.1 Darstellung des Zusammenhangs innerhalb der Gesamtgruppe
sowie der Teilgruppenunterschiede... 242
7.4.2 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse... 246
7.5 Übergeordnete und differenzierende Betrachtung der Beziehung
zwischen dem motorischen und dem psychosozialen Bereich ... 252
7.5.1 Bivariate Zusammenhänge und der Einfluss von Alter,
Geschlecht und Wechselwirkungen innerhalb der
Funktionsbereiche ... 252
7.5.2 Multivariate Zusammenhänge zwischen dem psychosozialen
Funktionsbereich und den motorischen Einzelvariablen ... 258
7.5.3 Unterschiede zwischen den motorischen Teilgruppen in den drei
psychosozialen Funktionsbereichen sowie im Gesamtbereich... 261
7.5.4 Interpretation und Diskussion ... 269
8
S
CHLUSSDISKUSSION
... 276
8.1 Gesamtdiskussion der Ergebnisse... 277
8.2 Ausblick ... 285
Z
USAMMENFASSUNG
... 287
L
ITERATURVERZEICHNIS
... 289
Anhang...321

6
Tabellenanhang ... 322
Abbildungsanhang... 343
Testanhang ... 344

7
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 1. Ein integratives Modell zum menschlichen Körper aus
handlungstheoretischer Sicht. ____________________________________________ 64
Abbildung 2. Ein integratives Modell zur menschlichen Bewegung aus
handlungstheoretischer Sicht. ____________________________________________ 70
Abbildung 3. Die Motorik dargestellt als eine Betrachtungsperspektive
menschlicher Bewegung und Haltung. _____________________________________ 79
Abbildung 4. Ein psychomotorisches Modell der Beziehung von Bewegung und
Psyche aus handlungstheoretischer Sicht. Nähere Erklärungen im Text.___________ 86
Abbildung 5. Unterschiedliche Abstraktionsniveaus bei der Betrachtung der
Beziehung zwischen Bewegung und dem psychosozialen Bereich. _______________ 117
Abbildung 6. Komponenten der kommunikativen Kompetenz (vgl. Moser &
Wenger, 1999; in Anlehnung an Grimm, 1995 sowie Schiefelbusch & Pickar,
1984). ______________________________________________________________ 140
Abbildung 7. Die Verbosensomotorik als Verbindung (Brücke) zwischen der
physisch-gegenständlichen und der symbolisch-sprachlichen Interaktion mit der
Umwelt (nach Breuer og Weuffen, 1986; entnommen von Moser, Wenger,
Jacobsen & Söderberg, 1999). __________________________________________ 145
Abbildung 8. Überdauernde und aktuelle Einflussfaktoren auf das Selbstbild und
die zwischen ihnen anzunehmenden Beziehungen (nach Moser & Dudas, 1997a,
S. 10). ______________________________________________________________ 152
Abbildung 9. Generelle kognitive Fähigkeiten (SPM), Konzentration und
Gedächtnis der starken, mittleren und schwachen Teilgruppen, getrennt für die
gesamt-, grob- und feinmotorische Gruppenbildung (Z-Werte)._________________ 221
Abbildung 10. Subtests des sprachlichen Funktionsniveaus (Silbenteilung,
Wegfall des ersten Lautes, Begriffserinnerung, Erkennen gleich klingender Worte)
der starken, mittleren und schwachen Teilgruppen, für eine von der statischen
Gleichgewichtsleistung ausgehenden Gruppenbildung (Z-Werte)._______________ 234
Abbildung 11. Subtests des sprachlichen Funktionsniveaus (Silbenteilung,
Wegfall des ersten Lautes, Begriffserinnerung, Erkennen gleich klingender Worte)
der starken, mittleren und schwachen Teilgruppen, getrennt für die gesamt-, grob-
und feinmotorischen Gruppenbildung (Z-Werte). ____________________________ 235
Abbildung 12. Dimensionen des Selbstbildes (kognitives SB, soziales SB,
körperliches SB und ästhetisches SB) der starken, mittleren und schwachen
Teilgruppen, getrennt für die gesamt-, grob- und feinmotorischen
Gruppenbildung (Z-Werte). _____________________________________________ 245

8
Abbildung 13. Graphische Darstellung des Zusammenhangs zwischen dem
motorischen und dem psychosozialen Funktionsbereich ohne Berücksichtigung
der Altersunterschiede bei den zu Grunde liegenden Z-Transformationen. Die 6-
und 7-Jährigen sind getrennt dargestellt. __________________________________ 253
Abbildung 14. Die Ausprägung des kognitiven und sprachlichen
Funktionsniveaus, des Selbstbildes sowie des gesamten psychosozialen
Funktionsbereichs in den gesamtmotorischen Teilgruppen (stark, mittel,
schwach).___________________________________________________________ 262
Abbildung 15. Die Ausprägung des kognitiven und sprachlichen
Funktionsniveaus, des Selbstbildes sowie des gesamten psychosozialen
Funktionsbereichs in den grobmotorischen Teilgruppen (stark, mittel, schwach). __ 263
Abbildung 16. Die Ausprägung des kognitiven und sprachlichen
Funktionsniveaus, des Selbstbildes sowie des gesamten psychosozialen
Funktionsbereichs in den feinmotorischen Teilgruppen (stark, mittel, schwach). ___ 264

9
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 1. Fünf Gruppen monistischer Positionen zur Erklärung des Leib-Seele-
Problems, ihre Hauptvertreter und Kritik (nach Sallinger, 1989, S. 27ff).__________ 51
Tabelle 2. Objektbereiche der ontogenetischen Entwicklung, entwicklungs-
kontrollierende Prozesse sowie deren `Quellen/Ursachen'. ____________________ 104
Tabelle 3. Meta-Analysen und Übersichtsdarstellungen (Reviews) zum
korrelativen und/oder kausalen Zusammenhang zwischen Bewegung und
kognitiven Funktionen. ________________________________________________ 132
Tabelle 4. Beispiele für empirisch-analytische Einzeluntersuchungen in denen
positive korrelative oder kausale Zusammenhänge zwischen Bewegung und
kognitiven Teilbereichen festgestellt werden konnten. ________________________ 135
Tabelle 5. Beispiele für Meta-Analysen und Übersichtsdarstellungen (Reviews)
zum korrelativen und/oder kausalen Zusammenhang zwischen Bewegung und
Selbstbild.___________________________________________________________ 155
Tabelle 6. Übersicht zu den verwendeten Verfahren bei der Bestimmung des
kognitiven Funktionsniveaus. ___________________________________________ 186
Tabelle 7. Übersicht zu den verwendeten Verfahren bei der Bestimmung des
motorischen Funktionsniveaus. __________________________________________ 187
Tabelle 8. Übersicht zur Zusammensetzung der Untersuchungsgruppen (Anzahl
SchülerInnen), getrennt nach Schulstufe, Geschlecht und Schule. _______________ 192
Tabelle 9. Vorgehensweise bei der Datenerhebung. __________________________ 194
Tabelle 10. Gesamtgruppenübersicht zu den Testergebnissen für Grobmotorik,
statisches Gleichgewicht und Feinmotorik._________________________________ 207
Tabelle 11. Gesamtgruppenübersicht zu den Testergebnissen für das kognitive
und das sprachliche Funktionsniveau. ____________________________________ 209
Tabelle 12. Gesamtgruppenübersicht zu den Ergebnissen der Selbstbilderfassung. _ 210
Tabelle 13. Zusammenhang der Gesamtmotorik und der drei motorischen
Teildimensionen (Grob-, Feinmotorik, Gleichgewicht) mit dem kognitiven
Funktionsniveau sowie den diesem zugrundeliegenden drei Variablen, getrennt
dargestellt für die Gesamtgruppe (N
234) und die beiden Altersgruppen (n
6
100; n
7
134)._______________________________________________________ 217

10
Tabelle 14. Ergebnisse der multiplen, schrittweisen Regressionsanalyse zwischen
den motorischen Einzelvariablen als Prädiktoren und dem kognitiven
Funktionsniveau als abhängige Variablen, dargestellt für die Gesamtgruppe
(N
=
234) und die beiden Altersgruppen (n
6
= 100; n
7
= 134). __________________ 219
Tabelle 15. Zusammenhang der Gesamtmotorik und der drei motorischen
Teildimensionen (Grob-, Feinmotorik, Gleichgewicht) mit dem sprachlichen
Funktionsniveau sowie den diesem zugrundeliegenden Variablen, getrennt
dargestellt für die Gesamtgruppe (N
234) und die beiden Altersgruppen (n
6
100; n
7
134). ______________________________________________________ 231
Tabelle 16. Ergebnisse der multiplen, schrittweisen Regressionsanalyse zwischen
den motorischen Einzelvariablen als Prädiktoren und dem sprachlichen
Funktionsniveau als abhängige Variablen, getrennt dargestellt für die
Gesamtgruppe (N
=
234) und die beiden Altersgruppen (n
6
= 100; n
7
=
134).______ 233
Tabelle 17. Zusammenhang (Rangkorrelation) der Gesamtmotorik und der drei
motorischen Teildimensionen (Grob-, Feinmotorik, Gleichgewicht) mit dem
Selbstbild sowie den diesem zugrundeliegenden Dimensionen, getrennt dargestellt
für die Gesamtgruppe (N
234) und die beiden Altersgruppen (n
6
100; n
7
134)._______________________________________________________________ 243
Tabelle 18. Zusammenhang zwischen dem gesamten motorischen und
psychosozialen Funktionsbereich sowie dessen Teilbereiche kognitives
Funktionsniveau, sprachliches Funktionsniveau und Selbstbild ohne und mit
Auspartialisierung der Variablen Alter und Geschlecht sowie der gemeinsamen
Wirkung von Alter und Geschlecht. ______________________________________ 254
Tabelle 19. Zusammenhang zwischen dem gesamten motorischen
Funktionsbereich und den psychosozialen Teilbereichen kognitives
Funktionsniveau, sprachliches Funktionsniveau und Selbstbild ohne und mit
Auspartialisierung der jeweils anderen psychosozialen Teilbereiche.____________ 255
Tabelle 20. Zusammenhang zwischen dem gesamten motorischen
Funktionsbereich und den psychosozialen Teilbereichen kognitives
Funktionsniveau, sprachliches Funktionsniveau und Selbstbild ohne und mit
Auspartialisierung der jeweils anderen psychosozialen Teilbereiche, getrennt
nach Altersgruppen. __________________________________________________ 257
Tabelle 21. Ergebnisse der multiplen, schrittweisen Regressionsanalyse zwischen
den motorischen Einzelvariablen als Prädiktoren und dem psychosozialen
Gesamtbereich als abhängige Variable, getrennt dargestellt für die
Gesamtgruppe (N
234) und die beiden Altersgruppen (n
6
100; n
7
134). ______ 259
Tabelle 22. Ergebnisse der multiplen, schrittweisen Regressionsanalyse zwischen
den motorischen Einzelvariablen als Prädiktoren und dem modifizierten
psychosozialen Gesamtbereich als abhängige Variable, getrennt dargestellt für
die Gesamtgruppe (N
234) und die beiden Altersgruppen (n
6
100; n
7
134). ___ 260

11
Tabelle 23. Statistische Prüfung der Unterschiede zwischen den motorischen
Teilgruppen (stark, mittel, schwach) im kognitiven und sprachlichen
Funktionsbereich, im Selbstbild sowie im gesamten psychosozialen Bereich
(GESAMT), getrennt dargestellt für Gesamt-, Grob- und Feinmotorik. ___________ 266
Tabelle 24. Multiple post-hoc Mittelwertsvergleiche des kognitiven und
sprachlichen Funktionsbereichs sowie des Selbstbildes zwischen den motorischen
Teilgruppen, getrennt dargestellt für Gesamt-, Grob- und Feinmotorik. __________ 267

13
1 Problemstellung
Die vorliegende Untersuchung gilt dem Zusammenhang zwischen Merkmalen der
körperlichen Bewegung und psychosozialen Prozessen und Strukturen bei sechs- und
siebenjährigen Kindern.
Positive Effekte körperlicher Aktivität auf biologische Strukturen und Prozesse sind
heute für das Erwachsenenalter wissenschaftlich relativ gut dokumentiert
1
, obwohl die
Resultate empirisch-analytischer Untersuchungen immer noch hinter den Wünschen
vieler Forscher und Praktiker her hinken. Für den Kinderbereich liegen, wenn auch in
viel geringerem Ausmaß, Befunde vor, die die Annahme positiver gesundheitlicher
Konsequenzen körperlicher Aktivität teilweise unterstützen
2
.
Im Hinblick auf psychosoziale Wirkungen sind die empirischen Resultate zwar spärli-
cher, für den Erwachsenenbereich kann aber dennoch bereits auf eine Reihe von Über-
sichtsdarstellungen hingewiesen werden, in denen zum Teil ermutigende Resultate
referiert werden
3
. Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass bedeutsame Meta-Analysen
einem pauschalen und unkritischen Anspruch der Förderung der psychischen Gesund-
heit durch Sport nicht oder nur bedingt unterstützen (Knoll, 1997; Schlicht, 1994a).
Empirische Befunde zu psychosozialen Wirkungen der Bewegung bei Kindern sind
immer noch eher selten
4
.
Insbesondere seit der Zeit der Aufklärung und des damit einhergehenden Philanthro-
pismus, wird auch für das Kindesalter immer wieder nachdrücklich auf die große Be-
deutung von Körper und Bewegung für die Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisie-
rung hingewiesen, wie einschlägigen historischen Beiträgen zu entnehmen ist
5
. Beson-
1
Dies belegen für den Erwachsenenbereich unter anderem die Übersichtsbeiträge von Bouchard,
Shepard und Stephens (1994), Eckert und Montoy (1984), Mester und The Club of Cologne (1996)
sowie Williams, Sanders und Wallace (1989).
2
Siehe hierzu die Übersichtsbeiträge Malina und Bouchard (1991), Rowland (1990, 1996), Shepard
(1982), Stull und Eckert (1986) sowie Winter (1992).
3
Genannt werden können in diesem Zusammenhang Biddle und Mutrie (1991), Berger und McInman
(1993), Bouchard, Shepard und Stephens (1994), Doan und Scherman (1987), Eckert und Montoy
(1984), Ilg et al. (1997), McAuley (1994), Morgan und Goldstone (1987), Nitsch und Allmer
(1995), Nitsch und Seiler (1994), Seefeldt (1986) sowie Seefeldt und Vogel (1986).
4
Vgl. die Übersichten bei Biddle (1993), Eggert und Lütje-Klose (1995) sowie Zimmer (1996)
5
Siehe bspw. Begov (1980), Bernett (1960), Goeldel und Begov (1977), Krüger (1993a) und Rittner
(1991).

14
dere Aktualität gewinnt das Thema im Zuge der Reformpädagogik am Ende des 19. und
zu Beginn des 20. Jahrhunderts (vgl. Weiler et al., 1975). Nach einer Periode des Still-
stands in der fachlichen und didaktischen Entwicklung während und nach dem Zweiten
Weltkrieg (Bernett, 1980; Krüger, 1993b), wird der persönlichkeitsformenden Wirkung
von Körper, Bewegung und Sport in neuerer Zeit in der sportpädagogischen und
­psychologischen Forschung wieder eine zentrale Stellung eingeräumt
6
.
Bewegungsfähigkeiten und -fertigkeiten, kognitives und sprachliches Funktionsniveau
sowie Selbstbild sind als bedeutungsvolle Teilkomponenten der ganzheitlichen Ent-
wicklung von Kindern anzusehen. Gerade die eventuellen Zusammenhänge zwischen
unterschiedlichen Objektbereichen (Trautner, 1991) der individuellen Entwicklung
einer Person werden in der Literatur zwar häufig angesprochen, gehören aber dennoch
nicht zu den Gebieten der Entwicklungspsychologie, denen intensive Forschungsbemü-
hungen entgegengebracht werden. Als Beleg dafür kann die dritte Ausgabe des von
Oerter und Montada (1995) herausgegebenen und wohl umfassendsten Lehrbuchs der
Entwicklungspsychologie in deutscher Sprache angeführt werden. In dessen 45 Kapi-
teln, die sich über nahezu 1200 Seiten erstrecken, nimmt die Beziehung zwischen
Objektbereichen keinen zentralen Platz ein. Sie wird gleichwohl innerhalb einzelner
Beiträge angesprochen.
Es kann also im Hinblick auf die Bedeutung von körperlicher Aktivität für eine optima-
le psychosoziale Entwicklung von Kindern generell festgestellt werden, dass sie trotz
einer großen Anzahl von Publikationen zu diesem Thema immer noch nicht ausreichend
empirisch dokumentiert ist. Angesichts der Tatsache, dass in der sportpädagogischen
Diskussion diesbezüglich schon seit langer Zeit starke Zusammenhänge und Abhängig-
keiten postuliert werden
7
, ist die eher bescheidene Anzahl entsprechender quantitativ-
empirischer Analysen doch etwas überraschend. Eggert und Lütje-Klose (1995) haben
zuletzt nachdrücklich auf diese Diskrepanz zwischen postulierten und wissenschaftlich
dokumentierten Sachverhalten hingewiesen.
Deutlich wird diese Diskrepanz auch daran, dass Lehrer und Physiotherapeuten über
einen kontinuierlichen Rückgang des motorischen Funktionsniveaus bei Kindern be-
6
Zu dieser neueren Entwicklung siehe beispielsweise Bielefeld (1986a), Cratty (1972), Eggert und
Lütje-Klose (1995), Größing (1993), Kiphard (1989), McAuley (1994), Pargman (1993), Paulus
(1986), Sage (1986), Seefeldt (1986), Seefeldt und Vogel (1986), Weiss (1993) sowie Williams
(1983).
7
Siehe hierzu beispielsweise auch Groll (1969
3
), Grupe (1976, 1977
4
), Humphrey (1991), Neumann
(1957), Oerter (1989) sowie Scherler (1975).

15
richten, wofür jedoch ebenfalls nur wenige überzeugende wissenschaftliche Dokumen-
tationen vorliegen. Der behauptete Rückgang motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten
wird häufig in kausale Beziehung zur ständig steigenden Anzahl von Verhaltens- und
Lernproblemen gesetzt. Für die Gesamtproblematik werden in der Regel die veränder-
ten Lebensbedingungen von Kindern in der modernen Gesellschaft verantwortlich
gemacht (siehe bspw. Noreng Sjølie, 1998).
In der Grundschule ist darüber hinaus die Meinung stark verbreitet, dass ein direkter
Zusammenhang zwischen Motorik und Lernen besteht. Das schulische Lernen, genauer
gesagt der schulische Lernerfolg, wird dabei als vom motorischen Funktionsniveau
abhängig angesehen. Dies findet in Norwegen auch Ausdruck in den neuen Lehrplänen
für die Grundschule, die im Schuljahr 1997/98 in Kraft traten. Hier wird die Bedeutung
von Spiel, sinnlichen Erfahrungen und Bewegung als primäre Lern- und Erfahrungs-
form in den Ersten vier Schulstufen besonders hervorgehoben (Kirke-, Undervisnings-
og Forskningsdepartementet, 1996). Dabei wird explizit von einem Zusammenhang
zwischen dem motorischen und dem kognitiven Funktionsniveau ausgegangen. Eine
solche Auffassung ist auch unter norwegischen Grundschullehrern weit verbreitet, wie
wir in einer neueren Untersuchung deutlich bestätigen konnten (Moser et al., 1999).
Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Abklärung der Frage leisten, bezüglich
welcher Merkmale und in welchem Ausmaß die Annahme eines Zusammenhanges
zwischen Bewegung und Psyche gerechtfertigt erscheint. Im Hinblick auf die Bewe-
gung wird dabei zwischen grob- und feinmotorischem Funktionsniveau sowie Gleich-
gewicht unterschieden. Im psychosozialen Bereich werden das kognitive Funktionsni-
veau (Intelligenz, Konzentration, Gedächtnis), das sprachliche Funktionsniveau und das
Selbstbild einbezogen.
Den Ausgangspunkt der vorliegenden Forschungsarbeit bilden Erfahrungen, die im
Zeitraum von 1993 bis 1996 in feldexperimentellen Untersuchungen an einer norwegi-
schen Grundschule gewonnen wurden (Moser, 1996; Moser & Christiansen, 1997). In
diesen Studien wurde unter anderem der Frage nachgegangen, welche Effekte ein
psychomotorisch orientiertes Trainingsprogramm im Hinblick auf verschiedene Ent-
wicklungsbereiche sechs- bis achtjähriger Kinder mit sich führt. Schon bei der Auswahl
dieser Kinder konnte ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem motorischen Funkti-
onsniveau, der generellen Intelligenz und der Sprachkompetenz konstatiert werden,
obwohl es sich dabei nur um verhältnismäßig kleine Gruppen handelte. Der Zusam-
menhang kam zum einem in den subjektiven Beurteilungen der Lehrer zum Ausdruck,
zum anderen aber auch in den Resultaten pädagogischer und psychologischer Tests. Die

16
gewonnenen Beobachtungen waren der Anlass dafür, diese Verhältnisse mit Hilfe einer
Querschnittsuntersuchung an einer größeren Anzahl von Normalschülern in einer
differenzierteren Form quantitativ zu analysieren.
Die Untersuchung liegt somit inhaltlich in einem Überschneidungsbereich von Psycho-
logie, Motologie/Psychomotorik und Pädagogik. Speziell die hier eingeschlagene
forschungsmethodische Annäherung an das Thema ist der Sportpsychologie zuzuord-
nen. Praktische Implikationen lassen sich gegebenenfalls für die Bewegungspädagogik
sowie die psychomotorische Entwicklungsförderung und Therapie ableiten.
Zum einen baut die Untersuchung auf handlungstheoretischen, genauer gesagt, hand-
lungspsychologischen, Grundüberlegungen auf, wie sie von Nitsch (1986, 1994) für den
Bereich der Sportpsychologie dargestellt wurden. Zum anderen wird von einem Psy-
chomotorikverständnis ausgegangen, das von der deutschen Tradition der Psychomoto-
rik und Motologie ausgeht
8
. Philippi-Eisenburger (1991) hat handlungstheoretische
Überlegungen, unter wesentlicher Bezugnahme auf Nitsch, für die theoretische Grund-
legung der Motologie (oder Psychomotorik) herangezogen. Eine handlungstheoretische
Perspektive wird auch in Verbindung mit Betrachtungen zu einer entwicklungsorientier-
ten Perspektive innerhalb der Psychomotorik angewandt (vgl. Fischer, 1996; Zimmer,
1981; 1996
2
).
Die Legitimität der Fragestellung dieser Studie, die also der Beziehung zwischen dem
motorischen, dem kognitiven und dem sprachlichen Funktionsniveau sowie dem Selbst-
bild von Kindern gilt, kann relativ einfach begründet werden: Auch heute gibt es dazu
noch verhältnismäßig wenige quantitativ ausgerichtete Untersuchungen mit großen
Gruppen `normaler' Kinder, das heißt mit Kindern die keinen speziellen Förderungs-
oder Behandlungsbedarf aufweisen. Der sich daraus ergebende Mangel an Wissen
9
ist
im Hinblick auf die Diskussion der Bedeutung von Körper und Bewegung für die
Entwicklung und Erziehung von Kindern sowie die Legitimation des Faches Leibes-
übungen (Sportunterricht) als gravierendes Erkenntnisdefizit aufzufassen. Hinzu
kommt, dass in Norwegen kaum nationale Untersuchungen zum Gegenstandsbereich
8
Siehe neben den hier erwähnten Arbeiten vor allem auch Amft und Seewald (1996), Eggert und
Lütje-Klose (1995), Hölter (1991; 1993), Huber, Rieder und Neuhäuser (1990), Irmischer und Fi-
scher (1989), Kiphard (1989). Zur Unterscheidung der Begriffe Motologie und Psychomotorik siehe
Abschnitt 1.3.6.
9
Eine Übersicht über Ausnahmen vom behaupteten Mangel an empirischen Befunden findet man
beispielsweise bei Cratty (1972), Eggert und Lütje-Klose (1995), Kiphard (1990) sowie Zimmer
(1981; 1996
2
).

17
vorliegen, in Verbindung mit den aktuellen schulpolitischen Diskussionen aber immer
wieder gewünscht und gefordert werden.
In der vorliegenden Untersuchung sollen daher ausschließlich quantitative Methoden
zur Anwendung kommen. Neben der relativ geringen Anzahl quantitativer Analysen,
kann für ein solches Vorgehen auch im Hinblick auf erwünschte praktische Konsequen-
zen argumentiert werden: Quantitative Resultate sind in der politischen Diskussion, als
Unterstützung pädagogischer und didaktischer Wünsche und Bedürfnisse häufig etwas
leichter `zu verkaufen', beispielsweise in Verbindung mit dem Setzen von Prioritäten
im Rahmen begrenzter finanzieller Ressourcen im Schulbereich. Dies darf allerdings
nicht dahingehend missverstanden werden, dass damit die Bedeutung qualitativer
Methoden grundsätzlich in Frage gestellt wird. Hier wird vielmehr die Ansicht vertre-
ten, dass auch diese mit wichtigen Erkenntnissen zur vorliegenden Fragestellung beitra-
gen können. Quantitative und qualitative Methoden ergänzen einander in ihren Aussa-
ge- und Erkenntnismöglichkeiten, ihre Anwendung ist daher keine prinzipielle Frage,
sondern von der Problemstellung und den Intentionen der Untersuchung abhängig.
Eine weitere Festlegung wurde bereits implizit getroffen, sie gilt dem Alter der zu
untersuchenden Gruppe, nämlich sechs- und siebenjähriger Kinder. Diese Altersgruppe
nimmt in der pädagogischen Diskussion in Norwegen gegenwärtig eine zentrale Stel-
lung ein. Die Ursache dafür liegt in der vorgehenden Grundschulreform, im Zuge derer
unter anderem das Alter für den Schulbeginn von sieben auf sechs Jahre gesenkt wurde.
Aus den hier angeführten Argumenten wird leicht ersichtlich, dass der vorliegenden
Untersuchung neben ihrer reinen `Erkenntnisfunktion' auch eine praktische Implikation
zu Grunde liegt, die sich auf die pädagogische Diskussion des Faches Leibesübungen
im norwegischen Schulwesen bezieht.
Mit der folgenden Übersicht wird zur Erleichterung der Orientierung ein Ausblick auf
den inhaltlichen Aufbau der Arbeit gegeben.
Im zweiten Kapitel des theoretischen Teils wird nach einer Begriffsabklärung zunächst
auf das Verhältnis zwischen Körper, Bewegung und Psyche aus historischer Sicht
eingegangen und darauf aufbauend Konsequenzen für die vorzunehmende Modellbil-
dung abgeleitet. Intention dieses Kapitels ist es dabei nicht eine erschöpfende Darstel-
lung und Diskussion der Thematik vorzunehmen, sondern einen Kontext für die Unter-
suchung zu erarbeiten.
Im dritten Kapitel werden aus handlungstheoretisch begründete Modellbildungen zu
Körper und Bewegung vorgenommen. Danach wird der Begriff Psychomotorik als eine

18
handlungstheoretische Konkretisierung eingeführt und eine psychomotorische Modell-
vorstellung zur Beziehung zwischen Körper, Bewegung und Psyche präsentiert und
diskutiert.
Das vierte Kapitel widmet sich einleitend einer Übersicht über Erklärungsmöglichkeiten
des Zusammenhangs zwischen Bewegung und Psyche. Im Anschluss daran werden
empirische Forschungsresultate zur Beziehung von motorischen, kognitiven und sprach-
lichen Prozessen sowie dem Selbstbild zusammenfassend dargestellt. Damit wird auch
der Übergang zum empirischen Teil der Arbeit vorgenommen.
Im kurzen fünften Kapitel, das den empirischen Teil einleitet, werden auf der Grundlage
der Problemstellung und der theoretischen Betrachtungen die Fragestellungen der
Untersuchung konkretisiert und spezifische Fragestellungen formuliert.
Das sechste Kapitel widmet sich der Darstellung und Diskussion der forschungsmetho-
dischen Bedingungen und Entscheidungen sowie der Bewertung forschungsethischer
Aspekte und der Untersuchungsqualität.
Im siebenten Kapitel werden die Untersuchungsresultate präsentiert und interpretiert.
Danach wird im achten Kapitel eine kurze und zusammenfassende Schlussdiskussion
der Befunde vorgenommen.

19
T H E O R E T I S C H E R T E I L

20
2
Zur Beziehung von Körper, Bewegung und Psyche
Als das so genannte Leib-Seele-Problem stellt die Beziehung zwischen Körper und
Psyche einen fundamentalen philosophischen und anthropologischen Gegenstandsbe-
reich dar, mit dem sich die Menschheit (genauer gesagt: ein kleiner Teil der Mensch-
heit) seit nunmehr Tausenden von Jahren beschäftigt. Die wesentlichsten Beiträge zur
Auseinandersetzung mit dieser Thematik wurden bislang im Kontext nicht-sportwissen-
schaftlicher Disziplinen geleistet, was auf Grund des relativ geringen Alters der Sport-
wissenschaft nicht weiter überraschend ist. Die philosophische und anthropologische
Auseinandersetzung spiegelt sich deshalb in den Sportwissenschaften (der Theorie der
Leibesübungen) wider, wohingegen die ständig steigende Anzahl relevanter sportwis-
senschaftlicher Beiträge in der philosophisch-anthropologischen Literatur bislang noch
kaum Berücksichtigung finden
10
.
Wenn im Folgenden einige zentrale Momente des Verhältnisses zwischen Leib und
Seele, Körper und Geist oder Körper und Psyche
11
aufgegriffen werden, so geschieht
dies mit der Absicht, die nachfolgenden theoretischen Ausführungen sowie den empiri-
schen Teil dieser Arbeit in einem historisch-philosophischen und anthropologischen
Kontext zu verankern. Es sei jedoch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die Menge
des zu dieser Thematik vorliegenden Materials eine erschöpfende Diskussion im hier
gegebenen Rahmen nicht einmal im Ansatz ermöglicht.
Das Kapitel wird mit einer pragmatischen Abklärung der Begriffe Körper, Bewegung
und Psyche eingeleitet. Danach werden in einem kurzen historischen Rückblick wesent-
liche Momente zur Geschichte der Beziehung zwischen Körper, Bewegung und Psyche
sowie zu dualistischen und monistischen Sichtweisen dieser Beziehung kurz dargestellt.
Zum Abschluss des Kapitels werden Konsequenzen für den vorzunehmenden Versuch
einer handlungstheoretischen Modellbildung gezogen.
10
In einem neueren philosophischen Werk zum Geist-Körper-Problem von Sallinger (1989) findet sich
beispielsweise in einem umfangreichen Literaturverzeichnis kein einziger Verweis in Richtung
Sportwissenschaft (allerings auch kein Verweis auf die medizinische Anthropologie und die Phäno-
menologie).
11
In den weiteren Ausführungen wird die Bezeichnung Körper und Psyche angewandt, auf die Be-
gründung dafür wird in Verbindung mit der Begriffsabklärung eingegangen.

21
2.1 Begriffsklärung
Das Herangehen an die Thematik Körper, Bewegung und Psyche zeichnet sich sowohl
durch Multidisziplinarität als auch durch Heterogenität innerhalb jeder Einzeldisziplin
aus. Es erscheint daher angeraten, zunächst eine sehr pragmatische Abklärung dieser
zentralen Begriffe vorzunehmen.
Körper
In dieser Arbeit wird bewusst auf den Begriff Leib verzichtet und stattdessen der Ter-
minus Körper verwendet. Die Differenzierung zwischen Leib und Körper beruht weit-
gehend auf der Unterscheidung zwischen einem `subjektiven' und einem `objektiven'
Verständnis des zu Grunde liegenden Phänomens
12
, der Leib wird in der Regel als eine
beseelte und vom Individuum erlebte und erlebnisgenerierende Instanz verstanden,
welche die sinnhafte Beziehung der Person zur Welt ausdrückt. Der Körper wird hinge-
gen als biologisch-naturwissenschaftlich orientierte Bezeichnung des Objekts, also des
`Gegenstandes'
13
aufgefasst. Keine der beiden Verständnisformen soll hier jedoch
ausgeschlossen werden, oder, positiv formuliert, beide sollen Berücksichtigung finden.
Damit muss also entweder ein dritter Begriff als Oberbegriff eingeführt oder einer der
beiden Termini so verstanden werden, dass er beide Perspektiven umfasst. Es wäre nahe
liegend, in diesem Fall den Begriff Leib zu verwenden, da der Körper in einer Objekt-
perspektive ohne große Schwierigkeiten als Teil des Leibes aufgefasst werden kann.
Dass sich hier dennoch für die andere Alternative entschieden wird, also ein erweiterter
Körperbegriff Anwendung findet, hat in erster Linie pragmatische Gründe. Erstens ist
der Gebrauch des Leibbegriffes in der jüngeren Vergangenheit in der Sportwissenschaft
und insbesondere auch der Sportpädagogik nicht mehr üblich. Zweitens findet man in
den Weltsprachen Englisch und Französisch nur einen Terminus für den Gegenstand der
Betrachtung (respektive body und corps).
Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass der Terminus Körper hier sowohl
den zu Grunde liegenden objektiven als auch den subjektiven Phänomenbereich um-
12
Siehe dazu die eingehende Darstellung bei Merleau-Ponty (1966) sowie bei Mattner (1987), der
allerdings im Hinblick auf die Terminologie zu einer anderen Konklusion gelangt und in seinen
Ausführungen den Leibbegriff beibehält.
13
Diese Subjekt-Objekt-Problematik ist durchaus als ein wesentliches Teilmoment des dualistischen
Körperverständnisses zu verstehen und hat seit der Antike in der philosophischen Diskussion einen
zentralen Platz. Dass das Subjekt ohne das Objekt (und vice versa) nicht denkbar ist, wurde, nach-
dem Schopenhauer nachdrücklich darauf hingewiesen hatte, erst in den letzten 100 Jahren philoso-
phischen Denkens allgemein akzeptiert.

22
fasst. Somit besteht er zum einen aus all jenen subjektiven und objektiven Prozessen
und Strukturen, die `auf, in und unter der Haut' vor sich gehen (vgl. das substanzielle
Körperbild bei Tamboer, 1994). Zum anderen steht der Körper aber auch für die Bezie-
hung des Menschen zur Welt, im Sinne des von Tamboer (1994) als relational bezeich-
neten Körperbildes. Der Körper ist somit nicht ausschließlich auf die psycho-
biologische Entität eines beseelten Organismus zu reduzieren, er ist vielmehr als ein
offenes System zu verstehen.
Bewegung
Historisch betrachtet hat der Begriff Bewegung eine starke Veränderung seines Inhalts
erfahren. Für Aristoteles ist die Bewegung ein universelles Prinzip des Daseins, das
weit über die Ortsveränderung im physikalischen Sinne hinausgeht. Der Begriff Bewe-
gung wird von ihm als ein übergeordnetes Prinzip des «...Übergangs vom potenziellen
zum aktuellen Sein...» (zitiert nach Tamboer, 1994, S. 13) verstanden. Bewegung steht
dabei für vier verschiedene Formen der Veränderung: der substanziellen Bewegung als
Werden eines Wesens, der quantitativen Bewegung als Wachstum, der qualitativen
Bewegung als Veränderung einer Eigenschaft sowie schließlich der relationalen Bewe-
gung als Ortsveränderung. Als Erscheinung wird die Bewegung damit zu einem gene-
rellen und grundlegenden Phänomen der Natur. Das Bewegungsverständnis von Aristo-
teles erfährt allerdings später eine, von ihm selbst in keiner Weise angestrebte, starke
Einengung. Vor allem von Galilei und Newton wird, um wieder mit Tamboer (1994, S.
13) zu sprechen, dem Aspekt der Ortsveränderung eine «Monopolposition» zugeschrie-
ben, aus der in weiterer Folge durch die Entwicklung der Bewegungsgesetze die ma-
thematisch-quantitative Mechanik entsteht.
Hier wird im weiteren eine pragmatische Sichtweise zu Grunde gelegt, indem Bewe-
gung als primärer Ausdruck der Körperlichkeit des Menschen verstanden wird. Als
Bewegung werden körperliche Prozesse verstanden, die sich, bei oberflächlicher Be-
trachtung, als Veränderungen der Position des gesamten Körpers oder von Körperteilen
im Raum äußern und selbst von diesen Veränderungen beeinflusst werden. Als von
außen beobachtbares Phänomen umfasst dies das gesamte Spektrum von eher `stati-
schen Prozessen' der Haltung bis hin zu den `dynamischen Prozessen' der Lokomotion.
Bei genauerer Betrachtung beinhaltet Bewegung aber mehr als nur diese oberflächliche
Phänomene, zum einen eine effektorische Dimension, welche die Kontrolle von Verhal-
ten (z.b. Reflexe, automatisierte Bewegungsmuster, nicht bewusste regulative Prozesse
wie bei der Erhaltung des Gleichgewichts) und Handeln (intentionales und absichtlich
organisiertes Verhalten) umfasst. Zum anderen beinhaltet Bewegung eine sensorisch-

23
perzeptive Dimension (Wahrnehmen und Verarbeiten von unmittelbaren Körperemp-
findungen (Muskelspannung, Gelenkswinkelveränderungen, etc.) sowie von über den
Körper vermittelte Empfindungen (Sinnesempfindungen ausgelöst von Merkmalen der
physischen und sozialen Umwelt). Diese sensorische Dimension macht Bewegung auch
zu einer Grundlage des ganzheitlichen Erlebens der eigenen Person (Identität) in ihrer
Beziehung und als Teil der jeweiligen Umwelt. Darüber hinaus finden in der Haltung
und Bewegung immer auch andere, nicht direkt an der Prozessregulation der Bewegung
beteiligte physische und psychische Prozesse Ausdruck (bspw. Emotionen) und ist im
sozialen Kontext ein wesentlicher Träger von Bedeutung.
Physiologische und psychische Prozesse, mit ihrer gemeinsamen Grundlage in der
Aktivität des Nervensystems, verbinden die effektorischen und sensorischen Vorgänge
zu einer Einheit. Beide Prozesse sind für ein ganzheitliches Bewegungsverständnis
unentbehrlich, Bewegung ist immer gleichzeitig sensorisches und effektorisches Ge-
schehen. Die Komponenten können gegebenenfalls isoliert betrachtet und als Teilme-
chanismen erklärt werden, ein solches Vorgehen lässt dann aber keine generalisierenden
Rückschlüsse auf die gesamte Bewegungshandlung zu.
Für den Humanbereich erscheint es wenig sinnvoll, Körper und Bewegung zu trennen,
wenn es um die Beziehung zum psychosozialen Bereich geht, da dies unter anderem die
Gefahr mit sich führen würde, dass der Körper zu einem biologischen und die Bewe-
gung zu einem physikalischen Phänomen reduziert wird.
Psyche
Der aus dem griechischen stammenden Begriff Psyche (Lebenshauch, oder auch Seele)
ist mehrdeutig, was unter anderem in den Definitionen des Gegenstandsbereiches der
Psychologie in verschiedenen psychologischen Schulen Ausdruck findet. Begriffe wie
Psyche, Geist oder Seele bezeichnen, in Abhängigkeit von der eingenommenen theore-
tischen Perspektive, entweder sehr ähnliche, teilweise sogar identische, oder grundle-
gend verschiedene Sachverhalte.
Mit Psyche ist hier die Ganzheit jener erlebensmäßigen Prozesse und Strukturen ge-
meint, die der eigenen Person, der aktuellen Umwelt, den konkreten situativen Aufga-
ben und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gelten sowie für die Planung und
Kontrolle von Verhalten und Handeln verantwortlich sind. Bei den Prozessen handelt es
sich um die Informationsaufnahme (wie z.b. Wahrnehmung, Konzentration), um die
weitere Be- und Verarbeitung dieser Informationen und ihrer Folgen (wie z.b. Gedächt-

24
nis, Denken, Lernen, Emotionen, Stress), um die Verhaltens- und Handlungskontrolle
(wie z.b. Planungs-, Entscheidungs- und Vorstellungsprozesse, Motivation, Psychoregu-
lation) sowie um die Regulation sozialer Bedingungen (wie z.b. Kommunikation und
Sprache). Mit Strukturen sind jene in der Psychologie gebräuchlichen Konstrukte
gemeint, die auf latente Eigenschaften und Fähigkeiten (wie beispielsweise Persönlich-
keitseigenschaften und Intelligenz) abzielen, in denen also psychisches Geschehen als
hypothetisches Konstrukt eine zeit- und situationsübergreifende Vergegenständlichung
erfährt. Vereinfacht ausgedrückt, handelt es sich also beim Psychischen um jene Pro-
zesse und Strukturen, die über ein ausschließlich biologisches Verständnis von Handeln
und Wahrnehmen hinausgehen.
Das Psychische wird hier als immaterielles Phänomen aufgefasst, es entsteht aber
(immer) auf der Grundlage organischer Prozesse und Strukturen. Im Verhalten und
Handeln sowie in dessen Folgen kann sich das Psychische, gewissermaßen in materiali-
sierter Form, äußern. Im weiteren wird sich auf das Psychische in der dargestellten
Form beschränkt. Das Geistige und das Seelische, als immaterielle und nicht an organi-
sche Prozesse und Strukturen gebundene Phänomene, werden hier nicht berücksichtigt.
Der in der wissenschaftlichen Literatur heute eher ungebräuchliche Begriff Psyche wird
aus Gründen einer Vereinfachung der Schreibweise verwendet, er steht immer für
`psychische Prozesse und Strukturen'.

25
2.2 Historischer Rückblick bis um Ende des 19. Jahrhunderts
Angestrebt wird hier, für den theoretischen und empirischen Teil dieser Untersuchung
eines knappen historischen Bezugsrahmen zur Beziehung von Körper, Bewegung und
Psyche zu schaffen. Die offensichtlichen Bezüge dieser Untersuchung zu zentralen
philosophischen Fragestellungen lassen einen solchen Exkurs gerechtfertigt erscheinen.
Schon für die Anfänge des spezifisch Menschlichen, also für eine Zeit, die über eine
Million Jahre zurück liegt, zeigt Plessner (1986) in seinem Beitrag Conditio Humana,
dass die Körperlichkeit neben der Weltoffenheit und der sozialen Dimension, als ein
wesentlicher Faktor der Menschwerdung anzusehen ist. Der Mensch wird sich zum
einen der räumlichen und zeitlichen Endlichkeit seines Körpers bewusst, was ihn nach-
haltig aus der Tierwelt hervortreten lässt
14
. Zum anderen tragen das Freiwerden der
Hände und die Vergrößerung des Blickfeldes durch die Aufrichtung des Körpers we-
sentlich zur Weltoffenheit bei, wodurch unter anderem die Grundlage für die dominie-
rende Bedeutung des visuellen Systems gelegt wird. Die Hände werden für den Werk-
zeuggebrauch frei gemacht und dienen auch als `komplexe Sinnesorgane', um die Welt
zu begreifen. Auch im naturwissenschaftlichen Bereich wird auf die Parallelität der
Entwicklung des menschlichen Gehirns mit dem Entstehen der aufrechten Haltung und
den damit verbundenen Möglichkeiten der Sinneserfahrung und Manipulation hinge-
wiesen (vgl. bspw. Jones, 1955).
Es kann davon ausgegangen werden, dass schon in vorhistorischer Zeit, Körper, Bewe-
gung mit dem psychosozialen Bereich in Verbindung gebracht werden (Decker, 1978;
Tangen, 1997; Weiler et al., 1975). Folgt man Tangens (1997) umfassender soziologi-
schen Analyse des sozialen Systems Sport, ist bereits für die Hochkulturen Mesopota-
miens, Ägyptens und Kretas, der Tüchtigkeitsvergleich zwischen Menschen, also der
Beste im nahen sozialem Bezugsfeld oder der Beste überhaupt zu sein, ein konstituie-
render Faktor. Es ist anzunehmen, dass körperliche Tüchtigkeit dabei als Ausdruck der
Gesamtkompetenz einer Person aufgefasst wird und ihr auch Konsequenzen für die
nicht unmittelbar körperlichen Bereiche zugeschrieben werden (Eigenschaften wie Mut
und Tapferkeit, soziale Position, etc.).
Das Idealbild eines harmonischen Menschen, das sowohl durch die Entwicklung des
Geistes als auch des Körpers erreicht werden soll, ist Ziel der Erziehung in der ägypti-
14
Ein Faktum das bereits in der Bibel als eine der ersten menschlichen Einsichten Erwähnung findet:
«Und es wurde ihnen klar, dass sie nackt waren» (1. Mos. 3, 7).

26
schen Hochkultur ca. 4500 v.Chr. (Decker, 1978; Weiler et al., 1975). Auch für die
alten Kulturen Indiens und Chinas (etwa 2000-3000 v.Chr.) liegen Befunde vor, die auf
den Einsatz körperlicher Übungen zur Stärkung psychosozialer Prozesse schließen
lassen (z.b. Gottmann, 1981; Mathiesen Johansen, 1960). Bereits für das 3. Jahrtau-
send v.Chr. kann dokumentiert werden, dass in Ägypten Bewegung zur Behandlung
psychisch Kranker angewandt wird (Tamboer, 1994).
In der griechischen Antike wird bereits 500 v.Chr. von den Pythagoräern die Seele als
Gefangene des Körpers betrachtet. Höchstes Ziel im menschlichen Dasein ist es ihrer
Meinung nach, die Seele durch intellektuelle Aktivitäten zu läutern und von `sensori-
schen Vergnügungen' abzusehen (Næss, 1978a). Ein ähnliches Verständnis liegt später
auch den asketisch orientierten Lehren der Zyniker (z.b. Diogenes, 404-324 v.Chr.) und
Stoiker (z.b. Zenon, 326-264 v.Chr.) zu Grunde. Die Stoiker nehmen die Seele als im
Körper verteilt an und sprechen ihr materielle Eigenschaften zu. Körperliche Empfin-
dungen können ihrer Meinung nach starke Affekte und damit den Verlust der Sinnesru-
he auslösen, was in weiterer Folge zu unethischen Handlungen führen kann. Epikur
(341-271 v.Chr.) vertritt hingegen ein monistisches Leib-Seele-Verständnis, wenn er
betont, dass der Mensch Lust, Wohlbefinden, aber auch alle sensorischen Eindrücke
letztlich durch den Körper erfasst. Daher können geistige Werte auch als körperliche
Werte angesehen werden (vgl. Næss, 1978a; Skirbekk, 1980a).
Für Platon (427-347 v.Chr.) sind Körper und Seele zwei fundamental verschiedene
Elemente, wobei die Seele dem Körper grundlegend überlegen ist. Mit der Annahme,
dass die Wirklichkeit immer nur die unvollkommene Abbildung einer Idee ist, schafft
Platon die Grundlage eines `geistfreundlichen' und `körperfeindlichen' dualistischen
Verständnisses, das auch von den Stoikern und Zynikern vertreten wird. Der Körper ist
das größte Hindernis auf dem Weg zur Erlangung wahrer Erkenntnis. Die Ablehnung
des Körpers als erkenntnisbringende Instanz steht in deutlichem Gegensatz sowohl zu
den Sophisten als auch zu Platons eigenem Schüler, Aristoteles (384-322 v.Chr.).
Dieser vertritt zwar ebenfalls eine dualistische Grundauffassung, anerkennt aber die
wichtige Funktion sensorischer Prozesse für die Erkenntnisgewinnung.
Wie schon die Sophisten betonen auch Platon und Aristoteles die Bedeutung körperli-
cher Aktivität als Wettkampfsport und Teil der Erziehung der (männlichen) Bürger-
schaft. Dabei wird die Kalokagathie, das Ideal der Harmonie zwischen einer schönen
äußeren Erscheinung und einem sittlich-moralisch guten Menschen, angestrebt (Decker,
1995; Weiler et al., 1975). Dieses Erziehungsideal verliert seine Bedeutung gegen Ende
der hellenistischen Periode und dann vor allem im Römischen Reich und im Mittelalter,

27
körperlichen Aktivitäten kommt zunehmend eine Zerstreuungs- und Unterhaltungsfunk-
tion zu (Tangen, 1997).
Für den zwischen dem 1. und 3. Jhdt. n.Chr. entstehenden Neoplatonismus ist es das
höchste Ziel menschlichen Daseins, sich durch körperliche Entsagung auf die (ekstati-
sche) Wiedervereinigung mit Gott vorzubereiten (Næss, 1978a; Skirbekk, 1980a). Nach
Plotin (204-270) sind sensorische Prozesse eine Aktivität der Seele, die nichts mit den
Bewegungen in der physischen Welt zu tun haben.
Sowohl dualistische als auch monistische Annäherungen an die Körper-Psyche-
Problematik sind also bereits in der griechischen Antike zu beobachten, wobei der
ersten Annäherung eine vorherrschende Position zukommt, was eine Abwertung der
menschlichen Körperlichkeit im Vergleich zur Seele zur Folge hat. Im Hinblick auf den
Erkenntnisprozess wird die Bedeutung des Körpers unterschiedlich bewertet, indem die
Wichtigkeit der Sinne und der sinnlichen Erfahrung entweder anerkannt oder abgelehnt
wird. Die Bedeutung von Bewegung und Körper für die Erziehung scheint allerdings
unbestritten zu sein, sei es als Förderung erwünschter Persönlichkeitsmerkmale oder als
Hemmung unerwünschter Eigenschaften (Askese).
Zu Beginn des Mittelalters (500-1500 n.Chr.), aber auch schon gegen Ende der Antike,
finden die `heidnischen' Lehren der Griechen Eingang in das Christentum, wobei dem
Neoplatonismus eine entscheidende Rolle zukommt. Der Körper und die Sinne werden
als wesentliche Hindernisse für die Erlangung wahrer Erkenntnis und Moral betrachtet
(Augustinus, 354-430). Erst mit der Wiederentdeckung der aristotelischen Lehre zum
Ausgang des Hochmittelalters öffnet Thomas von Aquin (1225-1274) für andere Sicht-
weisen der Körperlichkeit. Es wird zwar weiterhin von der Seele als vorherrschender
Instanz ausgegangen, die Bedeutung der Sinneserfahrung für das Erkennen wird aber
nach über einem Jahrtausend wieder aus der Vergessenheit geholt.
Gemäß den Ausführungen Tangens (1997) ist diese Epoche im Hinblick auf die gesell-
schaftliche Stellung des Körpers, der Bewegung und Leibesübungen, also der prak-
tizierten Körperlichkeit (z.B. Badehäuser, Maskenbälle, Mysterienspiele), keineswegs
so dunkel wie häufig der Eindruck erweckt wird (vgl. auch Gilhus, 1997). Für die
heidnische Wikingerkultur des frühen Mittelalters zeugen die nordischen Sagas von
einer zentralen Stellung körperlicher Aktivität in der Gesellschaft. In der Darstellung
von Wikingerhelden kommt die implizite Annahme eines positiven Zusammenhangs
körperlicher und psychischer Eigenschaften zum Ausdruck (vgl. Tangen, 1997).

28
Für das Mittelalter kann festgestellt werden, dass es durch die Übernahme antiker
Denkweisen in die christliche Lehre das Körperverständnis der westlichen Kultur bis
heute nachhaltig prägt. Der Körper als das Vergängliche hindert den Menschen an
seiner geistig-seelischen Entwicklung und Vervollkommnung. Die unterschiedliche
Bewertung der beiden Instanzen wird dogmatisch festgeschrieben und ist in der weite-
ren Folge über Jahrhunderte ein unveränderbarer Faktor in Philosophie und Wissen-
schaft.
Während Änderungen in der Sichtweise des menschlichen Körpers und der Bewegung
am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1500 n.Chr.) noch eher langsam vor sich
gehen (Weiler et al., 1975; Tangen, 1997), kommt es dann im 17. und 18. Jahrhundert in
der Philosophie und den entstehenden Wissenschaften sowie unter anderem auch in
Verbindung mit den Ideen der Aufklärung und dem Philanthropismus zu radikalen
Entwicklungen.
Im 16. Jahrhundert findet man in den erziehungsorientierten Arbeiten der Humanisten,
wie beispielsweise Johann-Ludwig Vives (1492-1540), Françeois Rabelais (1494-1553)
und Michel-Eyquem Montaigne (1533-1592), Elemente sehr moderner Gedanken zu
angenommenen Effekten der Leibesübungen im Hinblick auf psychosoziale Prozesse.
Den Leibesübungen wird eine persönlichkeitsbildende Wirkung zugesprochen, die über
die Erholungs- und Zerstreuungsfunktion sowie die bloße Vorbereitung auf Alltags-
handlungen hinausgeht (siehe dazu auch Weiler et al., 1975 sowie Größing, 1993). In
den pädagogisch orientierten Schriften dieser frühen Vertreter der Neuzeit kommen
damit bereits implizite Annahmen einer positiven Beziehung zwischen Körper und
Psyche zum Ausdruck, die sich auch in den Werken späterer Verfasser wieder finden,
wie beispielsweise bei Jan Amos Komensky (`Comenius', 1592-1670) und John Locke
(1632-1704).
Zu einem bedeutsamen Ereignis der Neuzeit wird die in erkenntnismäßigem Zusam-
menhang von Descartes (1596-1650) vorgenommene Einführung der Begriffe «res
cogitans» für die Welt des Bewusstseins und «res extensa» für die Welt des Physika-
lisch-Körperlichen und die daraus folgende Aktualisierung einer dualistischen Sicht-
weise der Leib-Seele-Beziehung. Der Mensch gehört in gewisser Weise beiden Welten
an, der einen als `bewusstes' Subjekt und der anderen als physikalisches Objekt. Die
Beziehung zwischen den Welten wird von Descartes als wechselseitig beeinflussbar
verstanden, ein Faktum, das in der dualismuskritischen Literatur gelegentlich nicht
deutlich genug zum Ausdruck kommt. Die Position Descartes erscheint bei genauerer
Betrachtung nicht so extrem wie sie häufig interpretiert wird (Böhme, 1992; Spicker,

29
1970), dennoch ist nicht daran vorbeizukommen, dass der von Descartes vertretene
Dualismus inhaltliche und auch logische Schwächen aufweist. Dabei wird die Art der
(Wechsel-)Beziehung zwischen Körper und Psyche zum Hauptansatzpunkt der Kritik
am cartesianischen Ansatz, weil sie nicht zufrieden stellend geklärt, sondern in ihrer
Widersprüchlichkeit belassen wird. Die wechselseitige Beeinflussungsmöglichkeit
zwischen den Substanzen verbleibt ein Postulat (vgl. Næss, 1978b, S. 69ff).
Für Descartes ist der Körper relativ unzuverlässige Materie, nur die Gedanken können
letztlich Sicherheit im Bezug auf Erkenntnis geben. Den Körper versteht er als ein
maschinenähnliches Objekt, das durch Aufteilung in seine kleinsten Bestandteile und
die Beobachtung der zwischen ihnen bestehenden Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge
vollständig beschreibbar und erklärbar ist. Dem Körper wird keine darüber hinausge-
hende Qualität im Hinblick auf die menschliche Identität und Subjektivität zugespro-
chen. Tamboer (1994) weist darauf hin, dass auch in der Zeit nach Descartes das me-
chanische Verständnis im Gebrauch von Bildern und Metaphern vom Körper als Ma-
schine oder Instrument seine Fortsetzung findet. Jede Epoche scheint eine ihrem techno-
logischen Entwicklungsstand entsprechende Analogie als Modell für das Funktionieren
des Körpers heranzuziehen (Uhrwerk, Dampfmaschine, Computer). Für Tamboer (1994,
S. 26) ist dies ein Ausdruck der «... Mundtoterklärung des menschlichen Leibes im
griechisch-westlichen Denken (und Tun)...».
Im Anschluss an Descartes entfaltet sich im 17. und 18. Jahrhundert eine rege Diskus-
sion im Hinblick auf die Bedeutung des Körpers (der Sinne) für den Erkenntnisprozess.
Für Thomas Hobbes (1588-1679) sind sensorische und psychische Phänomene nichts
anderes als materiell-mechanisches Geschehen (materieller Monismus). Die Sinne
haben entscheidende Bedeutung für die Entstehung von Ideen, der Körper wird zur
Grundlage von Erkenntnisprozessen. Nach Ansicht von Baruch Spinoza (1632 - 1677)
sind Körper und Geist zwei Formen einer identischen Grundsubstanz (Natur, Gott), die
parallel zueinander verlaufen, ohne sich jedoch direkt zu beeinflussen (Doppelaspekt-
Lehre). Daraus ergibt sich die interessante Konsequenz einer prinzipiellen Gleichwer-
tigkeit körperlichen und geistigen Geschehens, da Gott gleichermaßen in der körperli-
chen und der geistigen Form Ausdruck findet. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 - 1716)
nimmt an, dass jeder Teil eines Organismus Sitz eines immateriellen Kraftzentrums, der
Monade, ist. Alle Monaden sind voneinander vollständig isoliert und es ist die Folge
einer göttlichen Intention, dass körperliche und seelische Vorgänge koordiniert verlau-
fen, sie sind vorab eingestellt (prästabilierte Harmonie) und damit teleologisch orientiert
(Psychophysischer Parallelismus).

30
In der Bestrebung, den Dualismus zu überwinden, führt Christian von Wolff (1679-
1754) erstmals in der neuen Zeit den Begriff Monismus wieder ein. Der von ihm als
philosophischen Terminus angewendete Bewusstseinsbegriff umfasst sowohl das Sub-
jekt als auch das Objekt der Vorstellung, woraus er die Konsequenz ableitet, dass das
Bewusstsein keine ausschließlich geistige Konstruktion sein kann. Im Gegensatz dazu
folgt Immanuel Kant (1724-1804) einer dualistischen Tradition, wenn er die Auffassung
vertritt, dass der sinnlichen Erfahrung nur die der sinnlichen Natur zugehörigen Merk-
male zugänglich sind, Erkenntnis jedoch erst durch die übersinnliche Natur, der von der
Erfahrung unabhängigen reinen Vernunft, möglich (vgl. Trebels, 1996).
Die mit der Aufklärung einhergehende starke Veränderung des Menschenbildes eröffnet
neue Möglichkeiten innerhalb von Bildung und Erziehung. John Locke (1632-1704),
der `Vater der Aufklärung', betont in seinen erziehungsorientierten Schriften die Bedeu-
tung der Leibesübungen für die charakterliche Entwicklung des Menschen (Ehrlichkeit,
Höflichkeit, Einsatzwille und Beharrlichkeit, Verarbeiten von Sieg und Niederlage). Für
Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) sind Leibesübungen Vorbereitung, Begleitung und
Vervollständigung der geistigen und ethischen Bildung und dienen neben der Hygiene
und Gesundheit sowie der Förderung der Widerstandskraft auch der Sinnesentwicklung.
In den Leibesübungen sollen Schüler sich nach Ansicht von Johann Bernhard Basedow
(1723-1790) ihren individuellen Voraussetzungen folgend, unter relativ freien Bedin-
gungen, entfalten können, wobei auf eine gute soziale Atmosphäre sowie positive
Emotionen Wert zu legen ist. Diese Fokussierung auf das Freudvolle in Verbindung mit
den Leibesübungen ist eine der wichtigen Neuerungen dieser Epoche. Das antike Ideal
der harmonischen Persönlichkeit und die zugehörige Bedeutung der Leibesübungen
wird von Heinrich Pestalozzi (1746-1827) wieder aufgegriffen. «Die Natur gibt das
Kind als ein untrennbares Ganzes, als eine wesentliche organische Einheit mit vielseiti-
gen Anlagen des Herzens, des Geistes und des Körpers. Sie will entschieden, dass keine
dieser Anlagen unentwickelt bleibe» (Pestalozzi, 1807, zitiert nach Groll, 1955, S. 38 f).
Im 19. Jahrhundert sind es vor allem die aufkommenden atheistischen Tendenzen in
der Philosophie sowie der einsetzende Materialismus, die zu einer Abkehr von dualisti-
schen Sichtweisen und zu einem neuen Verständnis der menschlichen Körperlichkeit
beitragen.
Für Arthur Schopenhauer (1788-1860) sind Willensakte und Akte des Leibes dasselbe,
einmal unmittelbar und einmal in der Anschauung für den Verstand. Georg Wilhelm
Friedrich Hegel (1770-1831) versteht Seele und Leib als dieselbe Totalität der selben
Bestimmtheiten. Der Verstand setzt die Seele der Materie gegenüber ohne ihre Gemein-

31
schaft zu erkennen. Mit der Abkehr von Hegels Idealismus und der Grundlegung der
materialistischen Theorie bestreitet Ludwig Feuerbach (1804-1872) in seiner Religions-
kritik die Existenz der Seele, woraus sich eine dramatische Aufwertung der physischen
Existenz ergibt. Der Körper wird zur zentralen erkenntnisgenerierenden Instanz, das
Bewusstsein (der Geist) als ein Produkt der Wechselwirkung zwischen Sinnesorganen
und der Umwelt angesehen.
Im historischen Materialismus von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-
1895) wird eine dualistische Annäherung an die Körper-Psyche-Relation grundsätzlich
abgelehnt. Der Mensch ist eine `biotische' (psychobiologische) Einheit, die nur aus
ihren historischen und sozialen Bezügen heraus in ihren Handlungen verstanden werden
kann. Als ein zentraler körperrelevanter Aspekt wird der Werkzeuggebrauch, als «diffe-
rentia specifica», als spezifische menschliche Abgrenzung gegenüber den Tieren, ver-
standen. Auch die Konstrukte der Entäußerung sowie der Entfremdung rücken den
Menschen als körperliches Wesen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Handlung
(Tätigkeit) ist entscheidend für die Entwicklung des Psychischen.
Friedrich Nietzsche (1844-1900) leistet im ausgehenden 19. Jahrhundert einen funda-
mentalen Beitrag zu einem veränderten Körperverständnis in der Philosophie. In seinem
Werk kumuliert eine Reihe aktueller Tendenzen und Entwicklungen in der Sichtweise
der Körper-Seele-Problematik (vgl. bspw. Eriksen, 1989; Nietzsche, 1962). Nicht
zuletzt auf Grund seiner Popularität in der Zeit nach der Jahrhundertwende führt sein
Werk zu entscheidenden Weichenstellungen für das 20. Jahrhundert (unter anderem bei
Michel Foucault).
Nietzsches Verdienst ist darin zu sehen, dass er vom Körper ausgeht und diesen erst-
mals in expliziter Form als positives Thema der Philosophie aufnimmt. Die Todeserklä-
rung Gottes, die radikale Ablehnung der platonischen Lehre, die Redefinition der Seele
als Teil des Körpers und die sich daraus ergebende Neudefinition des Körpers bedeuten
eine dramatisch veränderte philosophische Sichtweise. Nietzsche (1962) bezeichnet den
Körper als die große Vernunft, für die der Geist, die kleine Vernunft, nur ein Werkzeug
oder Spielzeug ist (Nietzsche, 1962). Er ersetzt Descartes berühmtes «cogito, ergo sum»
mit dem seiner Ansicht nach richtigeren Satz «vivo, ergo cogito». Der Körper ist nicht
nur eine unspezifische Voraussetzung für das Denken, sondern das Denken entspringt
direkt aus dem Körper, der Körper stellt also eine spezifische Voraussetzung dar. Nietz-
sche verfolgt weder eine hedonistische noch eine asketische Linie. Er gewinnt zwar
dem körperlichen Schmerz auf der psychischen Ebene positive Seiten ab, reduziert

32
dabei jedoch den Körper nicht zu einem Instrument der Askese und individuellen
Selbstüberwindung im Sinne der Stoiker oder Zyniker.
Im 19. Jahrhundert zeigt sich auch in den Naturwissenschaften und der Medizin stei-
gendes Interesse an der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Materie und Geist
oder Körper und Psyche. Trotz der weiterhin bestehenden Bemühungen, die Wechsel-
wirkungslehre Descartes den modernen Erkenntnissen anzupassen (Rudolph Hermann
Lotze, 1817-1881), kommt es in verschiedenen Disziplinen zu immer stärkeren, durch-
aus auch philosophisch inspirierten Bestrebungen, das Psychische vollständig in den
Bereich des Materiellen zu integrieren oder zumindest wesentlich aus dem Materiellen
heraus zu erklären. Als Beispiele können genannt werden: der Versuch von Julien O. de
la Mettrie, die Seele als einen Teil des Gehirns zu verstehen, der mechanistische Mo-
nismus Ernst Haeckels (1834-1919), der energetische Monismus Wilhelm Ostwalds
(1853-1932) sowie der modern anmutende und etwas gemäßigtere Materialismus Lud-
wig Büchners (1824-1899).
Insbesondere Vertreter der Physiologie und Neurologie, später auch der Psychiatrie,
widmen der Frage nach der Beziehung zwischen Körper und Seele vermehrt Aufmerk-
samkeit. In den Anfängen galt das Interesse dabei insbesondere der Anwendung von
Bewegung als sonder- und heilpädagogische Maßnahmen. Die französischen Neurolo-
gen Jean Itard und Edouard Séguin lösen mit ihren Bestrebungen um eine `physiologi-
sche Erziehung' einen Prozess aus, der bis in die heutige französische Psychomotorik
hinein reicht (siehe dazu Hänsel, 1964; Irmischer, 1989; Itard, 1964). Die gezielte
Schulung der Sinnessysteme soll zu einer positiven Entwicklung der Gesamtpersönlich-
keit beitragen. Die italienische Psychiaterin Maria Montessori wurde in ihren Arbeiten
wesentlich von Itard und Séguin beeinflusst, weshalb deren Gedanken indirekt auch
heute noch in die pädagogische Diskussion einfließen.
Der Ausdruck Psychosomatik zur Bezeichnung des Zusammenwirkens psychischer und
körperlicher Prozesse wird in Folge Bräutigam und Christian (1973) erstmals im Jahre
1818 von Heinroth eingeführt. Zehn Jahre später verwendet Jakobi den Begriff soma-
topsychisch und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt Novalis die
Psychophysiologie, in der neben der Körper-Psyche-Beziehung auch die Mensch-
Umwelt-Verbindung thematisiert wird.
Innerhalb der Psychiatrie werden körperliche Aktivität und Arbeit ebenfalls schon im
19. Jahrhundert systematisch als Teil der Behandlung von Patienten anzuwenden ver-
sucht. Diese in erster Linie europäische Entwicklung wird von Ärzten in Frankreich,

33
Deutschland, Belgien, Niederlanden und Italien vorangetrieben. Simons (1996, persön-
liche Mitteilung) macht darauf aufmerksam, dass diese körperlichen Behandlungsange-
bote etwa 1870 wieder aus den Anstalten verschwinden, vermutlich kommen Zweifel an
der Effektivität der Verfahrensweisen auf.
In der sich als eigenes Fachgebiet etablierenden Psychologie wird die Beziehung zwi-
schen Körper und Psyche diskutiert, was sich mit dem fachlichen Hintergrund jener
Personen, die zur Grundlegung der Psychologie beitragen, leicht erklären lässt. Persön-
lichkeiten wie Herbart, Lotze, Wundt, Weber, Fechner und James kommen ursprünglich
von der Philosophie und/oder Naturwissenschaft (Physiologie, Physik).
Als Beispiele für Sichtweisen der Beziehung zwischen Körper und Psyche, wie sie in
der frühen Psychologie vertreten werden, seien genannt: Gustav Theodor Fechner
(1801-1887), der Körper und Seele als Außen- und Innenseite der selben Sache im
Sinne des Parallelismus von Spinoza versteht. Das Verhältnis zwischen den beiden
Seiten kann mathematisch ausgedrückt werden, wobei er allerdings eine explizit anti-
mechanistische Haltung vertritt und eher zu einer Form des Pantheismus tendiert. Von
Willhelm Wundt (1832-1920) wird die Psychologie nicht länger als Seelenlehre, son-
dern als Lehre vom Bewusstsein verstanden, wobei ihr Gegenstand die der direkten
Observation zugängliche unmittelbare Erfahrung sein soll. Das Physische ist Erschei-
nung des unmittelbar gegebenen Psychischen, jeder der beiden Bereiche weist seiner
Auffassung nach geschlossene Kausalzusammenhänge auf. Der Handlungskomponente,
d.h. der Aktivität in Verbindung mit dem Erleben sowie der Intentionalität der Wahr-
nehmung, wird erstmals von Franz Brentano (1838-1917) größere Bedeutung zuge-
schrieben.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird in Deutschland Gymnastik und Turnen als
Schulfach eingeführt. Neben gesundheitlichen Überlegungen werden von den Schulbe-
hörden in erster Linie die Förderung psychischer Voraussetzungen, wie Wille, Seelen-
stärke und Sinnesschärfe, als Argumente für das Fach angeführt. Vom Beginn des 19.
Jahrhunderts an muss sich die philanthropische Bewegung der Konkurrenz der Turnbe-
wegung stellen. Der persönlichkeitsbildende Wert der Leibesübungen (des Turnens)
verlagert sich von der optimalen Förderung jedes einzelnen Zöglings unter relativ freien
Bedingungen hin zu einer politischen Gesinnungs- und Haltungserziehung. Auch diesen
Bestrebungen liegt die Annahme einer Beziehung zwischen Leibesübungen und Persön-
lichkeit zu Grunde.

34
2.3 Entwicklungen im 20. Jahrhundert
Aus einer Körper- und Bewegungsperspektive zeichnet sich das 20. Jahrhundert durch
tief greifende Veränderungen aus, die für die Sichtweise der Beziehung zum psychi-
schen Bereich nicht ohne Folgen bleiben. Einleitend werden daher einige wesentliche
Merkmale der gesellschaftlichen Entwicklungen aufgezeigt, die einerseits für die Ver-
änderungen des Körperverständnisses bedeutungsvoll erscheinen, andererseits aber
auch selbst von einem veränderten Körperverständnis beeinflusst und geprägt werden.
Im Anschluss daran werden einige Aspekte mit besonderer Bedeutung für die Bezie-
hung von Körper, Bewegung und Psyche innerhalb ausgewählter Wissenschaftsbereiche
skizziert.
2.3.1 Körper- und bewegungsrelevante gesellschaftliche Bedingungen im Wandel
Die Entwicklungen einer `neuen Zeit' können immer nur vor dem Hintergrund der
konkreten historischen und gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen sinnvoll beschrie-
ben und verstanden werden. Im 20. Jahrhundert kommt es insbesondere in Europa und
Nordamerika zu gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und kulturellen Umwäl-
zungen, die in einer solchen Dichte und Intensität wohl noch niemals in der Geschichte
der Menschheit zu beobachten waren. In diesem Kontext entwickelt sich auch das
gesellschaftliche Subsystem Sport zu einem bedeutsamen sozialen Faktor. Zwischen
den Veränderungen in den Lebensbedingungen und erkenntnismäßigen Fortschritten
kann ein enger und wechselseitiger Zusammenhang angenommen werden
15
. Körper und
Bewegung werden dabei sowohl als Folge als auch als (Mit-)Ursache gesellschaftli-
chen, ökonomischen, politischen, kulturellen und damit auch wissenschaftlichen Wan-
dels verstanden.
Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert beginnt sich die Arbeiterschaft als eine die
gesellschaftliche Entwicklung wesentlich mitbestimmende Kraft zu etablieren. Der
Sport bietet, in erster Linie in Europa, die Möglichkeit der aktiven Teilnahme an einem
bedeutsamen gesellschaftlichen Teilbereich und beinhaltet damit auch ein politisches
Potenzial. Die Arbeiter-, Turn - und Sportbewegung setzt zu Beginn des Jahrhunderts
deutliche Akzente, indem Körper und Bewegung zum Werkzeug (oder zu einem Aus-
tragungsort) der Politik werden. In diesem Zusammenhang ist unter anderem auch auf
15
Ausführliche Hinweise zur Beziehung zwischen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen und
Körper, bewegung und Sport findet man beispielsweise bei Eichberg (1986), Klein (1984), Weiß
(1990), und Weiss und Schulz (1995).

35
die Freikörperkultur, die Wanderbewegung und die Jugendbewegung hinzuweisen. In
diesen Bewegungen wird neben dem politischen Aspekt auch auf rekreative, gesund-
heitsorientierte Momente sowie auf die Lebensqualität Wert gelegt (vgl. Krammer,
1981; Ueberhorst, 1973).
Insbesondere in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg verliert der Körper für große
Teile der westlichen Bevölkerung seine grundlegende Bedeutung für das Arbeitsleben
und damit auch für die materielle Absicherung der Existenz (vgl. Rittner, 1986). Schwe-
re körperliche Arbeit wird im zunehmenden Grad von Maschinen übernommen. Gleich-
zeitig verkürzen sich die tägliche Arbeitszeit und die relative Lebensarbeitszeit. Die
Menschen disponieren beträchtliche Anteile ihrer Zeit selbst (Freizeit).
Die Relativierung gesellschaftlicher Werte und Normen führt dazu, dass das Individuum
in weit größerem Ausmaß als früher für die Ausformung und Gestaltung des eigenen
Lebens selbst verantwortlich ist. Das körperliche Aussehen mit allen Ausdrucks- und
Darstellungsfacetten, sinngebenden Körpererfahrungen oder körperlicher Genuss wer-
den zu wichtigen Arenen dieses Gestaltungsprozesses (vgl. bspw. Mrazek, 1984).
Die Körperideale werden zunehmend von wirtschaftlichen Akteuren und Interessen
unter Zuhilfenahme von Bildmedien geprägt. In Verbindung mit der Selbstinitiierung
des Individuums erhält die Körperlichkeit eine wesentliche Funktion (siehe hierzu
Stelter, 1996). Jugendliches Aussehen und Fitness werden unabhängig vom Lebensalter
zu wichtigen Maßstäben (der Vorspiegelung) einer geglückten Existenz. Der Körper
wird sowohl zu einem wichtigen Moment ökonomischen Denkens und Handelns sowie
zu einer Ausdrucksmöglichkeit für karrieremäßigen, wirtschaftlichen und sozialen
Erfolg, Baudrillard (1981) spricht dabei vom Körper als «Objekt einer Investitionsar-
beit» (S. 97). Idealisierte Körperbilder (Schönheitsideale) und materielle Hilfen zur
Betonung erwünschter und zum Verschleiern oder Verbergen unerwünschter körperli-
cher Merkmale und Eigenschaften (von der Mode bis zur Schönheitschirurgie) schaffen
eine paradoxe Situation, die Entkörperlichung (vgl. Heinemann, 1983, S. 78) in einer
extrem körperfixierten Zeit. Oder, wie Rittner (1986, S. 149) es ausdrückt: «Gerade die
sozialen Lebenswelten komplexer Gesellschaften zeichnen sich durch übereinander
gelagerte, teilweise widersprüchliche und mehrdeutige Phänomene aus, die sich sowohl
in Theoreme der Körperdistanzierung wie der Körperthematisierung einordnen lassen».
Ein modebedingtes Zur-Schau-Stellen des Körpers sowie körperliche Nacktheit und
Sexualität werden für weite Kreise der westlichen Bevölkerung `alltäglich', sie sind in
viel geringerem Grad als früher Gegenstand der Tabuisierung. Wie Elias (1976) in einer

36
soziologischen Perspektive feststellt, handelt es sich hier allerdings nur um gesellschaft-
lich akzeptierte individuelle Gestaltungsspielräume, die auf Grund einer totalen gesell-
schaftlichen Körperkontrolle dem Einzelnen zugestanden werden können.
Der `richtige Gebrauch' des Körpers sowie seine Pflege werden zu zentralen Momen-
ten in der Gesundheitsvorsorge und der Therapie. Mattner (1996) meint dazu: «Der
Körper ist zur manipulierbaren Stoffwechselapparatur geworden, `dessen' lästige Be-
findlichkeiten medikamentös in die erwünschte Richtung korrigiert werden können,
wodurch das menschliche Wohlbefinden tendenziell zur pharmazeutischen Angelegen-
heit wurde» (Mattner, 1996, S. 89). Andererseits wird die Körperlichkeit aber auch zu
einem persönlichen Gestaltungs- und Verantwortungsbereich, der individuelles Enga-
gement im Sinne von gesundheitsorientiertem Handeln (Gesundheits-/Fitnesstraining)
erfordert. Eine Reihe von Krankheiten werden zumindest teilweise ursächlich mit dem
Versäumnis dieses Bereichs in Verbindung gebracht, ein Beispiel dafür ist das Risiko-
faktoren-Denken im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen (vgl. zusammenfassend
Bouchard et al., 1994; Mester The Club of Cologne, 1996).
Psychische und soziale Probleme und Erkrankungen werden, und dies verdeutlicht die
Vielschichtigkeit des Körperverständnisses in der Gegenwart, in zunehmendem Grad
über körperorientierte Vorgehensweisen zu verstehen und zu behandeln versucht und
zum Teil kausal mit einer gewissen Vernachlässigung der Körperlichkeit in Verbindung
gebracht. Gegenwärtig gibt es eine nahezu unüberschaubare Palette von sonder- und
heilpädagogischen sowie therapeutischen Vorgehensweisen, und die Entwicklung
scheint vorläufig auch noch kein Ende zu nehmen (siehe dazu Kiphard, 1983; Nitsch
Seiler, 1994; Petzold, 1987; Rümmele, 1990, 1991).
Die Bestrebungen um Gleichberechtigung der Geschlechter, und die sich daraus erge-
bende veränderte gesellschaftliche Stellung der Frau, beeinflussen das Körperverständ-
nis, werden andererseits aber auch wesentlich von dieser mitgeprägt (vgl. Ainley,
1998). Körper und Bewegung werden zu bedeutsamen Arenen der Gleichberechtigung,
was unter anderem in der kontinuierlich steigenden Teilnahme der Frauen in unter-
schiedlichen Sportarten zum Ausdruck kommt (vgl. dazu bspw. die Bilanz zur sportwis-
senschaftlichen Frauenforschung bei Henkel Kröner, 1997).
Neue körperliche Erlebens- und Ausdrucksformen entstehen und verbreiten sich rasch
(bspw. Ausdruckstanz; moderner Tanz; Rhythmische Sportgymnastik; Bodybuilding;
Schi- und Natursport; Abenteuer- und Risikosportarten) oder sie werden aus anderen
Kulturen übernommen (bspw. die große Verbreitung von Meditations- und Kampffor-

37
men mit fernöstlichem Ursprung oder die Popularität afrikanischer Tänze). Die Ge-
schwindigkeit des Entstehens neuer Bewegungsformen scheint sich gegen Ende des 20.
Jahrhunderts noch weiter zu erhöhen. Man kann dies, in Anlehnung an die Terminolo-
gie bei Größing (1993), als Ausdruck nachhaltiger Veränderungen in der Bewegungs-
kultur deuten.
Trotz des Heranwachsens alternativer Bewegungsformen erlangt der Leistungs- und
Wettkampfsport eine noch nie da gewesene gesellschaftliche Bedeutung. Der Leistungs-
sport hat für große Gruppen der Bevölkerung eine bedeutsame Show- und Unterhal-
tungsfunktion und wird dadurch auch zu einem wichtigen politischen und ökonomi-
schen Faktor (vgl. bspw. Krockow, 1972; Weiß, 1990). Sowohl die wissenschaftliche
Durchdringung des Spitzensports als auch das Entstehen leistungssport-kritischer Ge-
genkulturen kann als ein Ausdruck dieser Entwicklung gewertet werden.
Schließlich erhalten Körper und Bewegung auch als Gegenstandsbereiche der Wissen-
schaft großen Stellenwert, auf diesen Aspekt wird im nächsten Abschnitt zurückge-
kommen.
Die hier vorgenommene, relativ unsystematische und oberflächliche Auflistung relevan-
ter gesellschaftlicher Bedingungen könnte fortgesetzt und ausdifferenziert werden. Für
eine umfassendere und tiefergehende Analyse der für die menschliche Körperlichkeit
relevanten Veränderungen im 20. Jahrhundert muss auf die erst in Ansätzen vorliegen-
den Gesamtdarstellungen hingewiesen werden
16
.
Zusammenfassend kann auf Grundlage dieser kurzen Übersicht der Schluss gezogen
werden, dass die Rückbesinnung auf die Körperlichkeit sowie deren vermehrte wissen-
schaftliche Durchdringung unter anderem auch als eine natürliche Folge der gesell-
schaftlichen Entwicklungen im 20. Jahrhundert zu verstehen ist. Veränderungen im
Körper- und Bewegungsverständnis könne sowohl als Ausdruck der gesellschaftlichen,
ökonomischen, politischen und kulturellen Entwicklung als auch wissenschaftlicher und
erkenntnismäßiger Neuerungen verstanden werden. Ein verändertes Körperverständnis
hat aber auch selbst Einfluss auf die Entwicklung. Die Realisierung eines neuen Kör-
perverständnisses oder einer neuen Darstellungsform der Körperlichkeit innerhalb
gesellschaftlicher Subgruppen, wird damit also selbst zum Träger von Veränderungen
im sozialen und kulturellen Bereich. Auch die Beziehung von Körper und Bewegung
16
Siehe dazu beispielsweise Bernard (1980), Eichberg (1986), Größing (1993), Kamper und Rittner
(1976), Kamper und Wulf (1982; 1984), Klein (1984), Mattner (1987), Prohl und Seewald (1995),
Rittner (1986), Schierz (1995), Skårderud und Isdahl (1998) und Thiele (1996).

38
zum psychosozialen Bereich ist einerseits von gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen
abhängig, und trägt andererseits zur Konstituierung dieser Bedingungen bei. Die meis-
ten der hier angesprochenen gesellschaftsbezogenen Momente und Perspektiven berüh-
ren auch die Beziehung zwischen Körper, Bewegung und Psyche.
2.3.2 Die Sichtweisen unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche
Aus den disziplinspezifischen Prämissen und Forschungsmethoden der sich ständige
ausdifferenzierenden Wissenschaften eröffnen sich im Takt mit dem ständig wachsen-
den Interesse für die Körperlichkeit des Menschen neue Sichtweisen. Die naturwissen-
schaftliche, sozialwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Forschung in Hinblick
auf die zwischen körperlichen und psychischen Prozessen und Strukturen bestehenden
Beziehungen erreicht im 20. Jahrhundert quantitativ und qualitativ ein historisch noch
nie da gewesenes Niveau. Jahrtausende alte philosophische Grundfragen können heute
teilweise durch Befunde empirischer Forschung beantwortet oder zumindest konkreti-
siert und präzisiert werden. Dennoch ist Rohracher (1971) in der Behauptung zuzu-
stimmen, dass auch die empirische Forschung immer noch keine Lösung des Leib-
Seele-Problems gebracht hat und eventuell auch nicht erbringen kann.
Auf die zahlreichen Facetten und die zum Teil bedeutsamen Unterschiede in den Auf-
fassungen zu Körper und Bewegung sowie deren Beziehung zur Psyche, kann hier nicht
mit der erforderlichen Differenziertheit eingegangen werden. Im Folgenden werden
daher nur einige für die Fragestellung wesentlich erscheinende Momente aus den Berei-
chen der Naturwissenschaften, der Philosophie und Geisteswissenschaften, der Soziolo-
gie und Psychologie sowie der Sportwissenschaft/Sportpädagogik herausgegriffen.
Für den naturwissenschaftlichen Bereich kann auf die Arbeiten von `Nervenärzten' zu
Beginn des Jahrhunderts hingewiesen werden, die sich dem Körper und der Bewegung
in einer diagnostischen Perspektive zuwenden. Nach Günther und Gruber (1983) und Le
Camus (1983) wird in der deutsch- und französischsprachigen Literatur der Begriff
Psychomotorik erstmals 1901 eingeführt.
Die bereits im 19. Jahrhundert ihren Anfang nehmenden Arbeiten Siegmund Freuds
haben in vielerlei Hinsicht nachhaltige Folgen für ein verändertes Körperverständnis in
der Psychiatrie und Psychotherapie (vgl. Starobinski, 1987). Davon nicht unabhängig ist
die nach dem ersten Weltkrieg einsetzende akademische Etablierung des Faches Psy-
chosomatik (Bräutigam Christian, 1973). Damit wird, über den diagnostischen Be-

39
reich hinausgehend, die Perspektive einer kausalen Verbindung zwischen körperlichen
und psychischen Prozessen eröffnet, die nicht unmittelbar mit einem physiologischen
Substrat in Verbindung gebracht wird.
Der Versuch der Entwicklung von Konstitutionslehren, wie die des Psychiaters und
Neurologen Ernst Kretschmer (1949) in Deutschland und die von Sheldon und Stevens
(1942) in den USA, kann als Ausdruck einer gewissen, durchaus zweifelhaften,
Aufwertung der Körperlichkeit im Hinblick auf den psychischen Bereich aufgefasst
werden.
Eine gänzlich andere Annäherung wird von der sich zu Beginn der Fünfzigerjahre
etablierenden medizinischen Anthropologie versucht, indem sie ein ausschließlich
mechanistisches Denken im Hinblick auf die menschliche Existenz überwinden will.
Alle Formen empirisch-naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Erkennt-
nisse sollen bei der Wesensbestimmung des Menschen Berücksichtigung finden, ein
Vorhaben das in der Medizin immer noch von großer Aktualität ist (vgl. Scheper-
Hughes Lock, 1987). Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang auch die
wichtigen anthropologischen Beiträge aus dem Bereich der Neurologie (vgl. bspw.
Buytendijk, Christian und Plügge, 1963).
Viktor von Weizsäckers fundamentaler Beitrag Der Gestaltkreis - Theorie der Einheit
von Wahrnehmung und Bewegung, 1940 erstmals publiziert, unterstreicht insbesondere
die Bedeutung des Subjekts (der Subjektivität) als wesentlichen Bestandteil einer Wis-
senschaft vom Menschen. Das Konzept der Ganzheit von Leib und Seele, der Einheit
von Wahrnehmung und Bewegung sowie ein ganzheitliches Verständnis von Person
und Umwelt repräsentieren einen epochalen erkenntnismäßigen Fortschritt.
In der jüngsten Vergangenheit erbringt das stark interdisziplinär orientierte Forschungs-
feld der Psycho-Neuro-Immunologie (vgl. Berg, 1996; Lötzerich, et al. 1994; Schulz,
1996) überaus bedeutsame naturwissenschaftliche und psychologische Erkenntnisse zur
Körper-Psyche-Problematik. Viele bislang überwiegend mit psychologischen Modellen
beschriebene Zusammenhänge, wie beispielsweise die Beziehung zwischen Körper,
Bewegung und Stress, können nun zusätzlich auch mit biologischen Modellen abgebil-
det werden, was einem ganzheitlichen Verständnis des Phänomens förderlich ist.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kommt es innerhalb der Neurowissenschaften
zu vermehrten Forschungsbemühungen im Hinblick auf erfahrungsbedingte Verände-
rungen von Struktur und Funktion des Nervensystems. Es wird sowohl für den periphe-

40
ren als auch den zentralen Bereich gezeigt, dass Form und Funktion nervaler Verbin-
dungen durch deren Gebrauch mitbestimmt wird (z.b. Eccles, 1970; Held Hein, 1963;
Rosenzweig m.fl., 1972). Neuere Beiträge erbringen überzeugende Befunde dazu, dass
die Plastizität des Nervensystems neben der Entwicklung, dem Alter und eventuellen
Verletzungen oder Erkrankungen nicht zuletzt auch von Erfahrung beeinflusst wird
(siehe dazu Birbaumer Schmidt, 1991; Finlay, Innocenti Scheich, 1991; Gree-
nough, 1993; Greenough, Black Wallace 1993; Kolb, 1995; Williams, 1986).
Die alte philosophische Frage ob von einem Zusammenhang zwischen Körper und
Psyche überhaupt auszugehen ist, erscheint heute auf der Grundlage der naturwissen-
schaftlichen Erkenntnisse hinfällig. Es gilt vielmehr zu fragen, auf welche Weise, wann
und unter welchen Bedingungen sich diese Beziehung äußert.
Ein wesentliches Entwicklungsmerkmal Philosophie und Geisteswissenschaften des
20. Jahrhunderts ist das Entstehen der Phänomenologie, vorwiegend in Deutschland,
Frankreich und den Niederlanden. Die Gedanken der deutschen Philosophen Edmund
Husserl und Franz Brentano, letzterer auch Psychologe, werden unter anderen von den
französischen Philosophen Jean Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty weitergeführt.
Merleau-Ponty (1966) weist 1945 in seinem zentralen Werk zur Phänomenologie der
Wahrnehmung darauf hin, dass ähnlich Kunstwerken, die nicht als Summe ihrer Einzel-
komponenten sondern nur als Ganzheit wirklich erlebt werden können, kann auch das
Verhältnis des Körpers zur Welt nicht rein mechanisch, biologisch oder intellektuell
betrachtet werden, sondern nur als existenzielle Erscheinung. Die explizite Unterschei-
dung der beiden Perspektiven des Leib-Habens und Leib-Seins geht auf Merleau-Ponty
zurück, wobei die letztere, die für ihn entscheidende Perspektive darstellt (`Wir sind
unser Körper'). Der Körper ist grundlegend mehrdeutig, er ist gleichzeitig Subjekt und
Objekt sowie immer auch ein sozialer Körper. Sartre (1963) hat die Bedeutung der
sozialen Dimension für das Erleben des eigenen Körpers herausgearbeitet.
Bei Tamboer (1994), einem bewegungswissenschaftlich orientierten Vertreter der
Phänomenologie, wird die intentionale Bezogenheit des Körpers auf die Welt zum
zentralen Gegenstand der Betrachtung, wobei er die Bedeutung der zu Grunde liegen-
den Körperbilder betont. Er unterscheidet dabei das substanzielle und das relationale
Körperbild und weist auf die Verwandtschaft mit den in der existenzialistisch-
phänomenologischen Richtung vertretenen Konzepten des Leib-Objekts (`Körper-
Haben') und des Leib-Subjekts (`Körper-Sein') hin. Im substanziellen Körperbild wird
der Körper als eine in sich selbst geschlossene Ganzheit aufgefasst und sowohl von der

41
Außenwelt als auch vom Psychischen getrennt gesehen. Im relationalen Körperbild
kommt es zu einer Veränderung der Perspektive von einer rein objektbezogenen Be-
trachtung des Körpers zu einer Perspektive in welcher der Mensch als unlösbar mit der
Welt verbunden betrachtet wird.
Nur hingewiesen werden soll auf die Vielzahl der Beiträge zur menschlichen Körper-
lichkeit, die im Rahmen der Sozial- und Kulturanthropologie und philosophischen
Anthropologie erbracht werden (bspw. Grupe, 1980; Hoppe, 1991; Kamper Rittner,
1976; Kamper Wulf, 1982). Der menschliche Körper hat sich als ein zentraler Ge-
genstandsbereich der Anthropologie etabliert, während die Bewegung in den meisten
Fällen offensichtlich als eine natürliche und implizite Konsequenz der Körperlichkeit
aufgefasst wird.
Ein heute vielfach als `klassisch' bewerteter anthropologischer Versuch ist der schon in
den Dreißigerjahren veröffentlichte und viel zitierte Beitrag Die Techniken des Körpers
von Marcel Mauss (1972). In diesem wird der Körper als eine von historischen, kultu-
rellen, normativen und institutionellen Einflüssen abhängige Erscheinung neu bewertet.
Der Körper wird dabei nicht länger ausschließlich als ein gegebener statischer Sachver-
halt, sondern als Bedeutungsträger in zwischenmenschlichen Beziehungen erkannt und
verstanden, er wird als dynamisch, veränderlich und subjektiv aufgefasst.
Im Rahmen einer grundlegenden Neubewertung des Körpers geht es den Vertretern der
Anthropologie insgesamt gesehen um ein besseres Verständnis der Beziehung des
Menschen über seinen Leib zur Umwelt (Natur). Die Überwindung sowohl der monisti-
schen als auch der dualistischen Sicht von Ich und Leib (Subjekt und Objekt), wird
durch die Proklamation einer `Offenheit' und `Unbestimmbarkeit' des Leibverhältnisses
zu erreichen versucht. Es wird ein prozesshaftes Denken eingeführt, indem der Hand-
lung eine grundlegende Bedeutung für die `erlebte Leiblichkeit' zugeschrieben wird.
Die Bewegung, vor allem der Lernprozess von Bewegungen, wird unter dem Gesichts-
punkt der Dynamik von Trennung und Einheit von Ich und Leib (Subjekt und Objekt)
beschrieben.
Dem Aspekt des Leib-Habens und Leib-Seins wird bereits von Plessner eine fundamen-
tale Bedeutung für das Verstehen der menschlichen Existenz zugeschrieben. Seiner
Ansicht nach macht es gerade das reflexive Vermögen des Menschen - im Unterschied
zum Tier - möglich, sich im Bezug auf die eigene Person zu distanzieren, was einer
Objektivierung und Instrumentalisierung des Körpers gleichkommt. «Mein Leib in
seinen Grenzen ist mir unmittelbar doppelt gegeben: ich kann ihn bewegen und ich

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2000
ISBN (eBook)
9783836610100
DOI
10.3239/9783836610100
Dateigröße
2.7 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Deutsche Sporthochschule Köln – unbekannt, Psychologie
Erscheinungsdatum
2008 (Februar)
Note
1,0
Schlagworte
kind jahre motorische entwicklung kognitive psychomotorik selbstbild sprache kongnition handlungstheorie
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Titel: Ein gesunder Geist in einem geschickten Körper?
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