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Behavioral Finance

Psychologische Erklärungsansätze für typisches Anlegerverhalten

©2004 Diplomarbeit 91 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Anschauungen der Wirtschaftswissenschaftler über die Steuerung wirtschaftlicher Prozesse an Märkten wie auch der Börse sind praktisch ohne Rückgriff auf die wissenschaftliche Psychologie entstanden. Der rational handelnde Mensch steht im Zentrum dieser Dynamik. Er unterliegt durch die Knappheit des Gutes Geld einem Rationalitätsdruck, der wirtschaftliches Handeln erfordert. Coleman beschreibt ihn als: „unsocialized, entirely self interested, not constrained by norms of a system, but only rationally calculating to further his own self interests.” Kapitalmarkttheoretische und statistisch-mathematische Modelle lassen jedoch einen entscheidenden Aspekt regelmäßig außer Acht. An den Finanzmärkten agieren Menschen und nicht der nutzenmaximierende homo oeconomicus.
Die von Psychologen als unrealistisch kritisierte Annahme der Rationalität wurde von Ökonomen durch eine vereinfachte Darstellung aggregierter Marktgrößen in normativen Modellen gerechtfertigt. Den Vertretern psychologischer Ansätze wurde oft zur Last gelegt, sie verlören sich im Detail durch den Einfluss vieler Variablen, die sie in ihre Untersuchungen mit einbeziehen.
„Tatsächlich ist jedoch der Mensch … voll von Eigensinn. Er ist beherrscht von Vorurteilen, launisch, impulsiv und schlecht informiert. Er ist wechselnden Einflüssen unterworfen, aber vergisst und verdrängt manches Erfahrene, wirft manchmal auch Grundsätze und Weltanschauungen über Bord. Er überträgt Erlebnisse und Erfahrungen von einem Lebensbereich auf den anderen und bringt es sogar fertig, wirtschaftliche Erwartungen zu ändern, wenn einschneidende außerwirtschaftliche Ereignisse eintreten. Er lernt.“
Diese Aussage fasst einige der Ansätze zusammen, die im Laufe der Diplomarbeit in Hinblick auf das Verhalten von Anlegern an der Börse psychologisch untersucht werden sollen.
Gang der Untersuchung:
Die Psychologie beschäftigt sich mit dem Verhalten und Erleben von Individuen. Sie analysiert jene Prozesse, welche die Gefühls- und Gedankenwelt eines Menschen sowie sein Verhalten bestimmen. In dieser Diplomarbeit soll gezeigt werden, dass mit Hilfe von psychologischen Theorien Vorgänge an Märkten erklärt werden können. Somit ist sie an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Wirtschaftswissenschaft positioniert, wo die Behavioral Finance ansetzt. Mit Hilfe dieser neuen Forschungsrichtung soll das Anlegerverhalten untersucht werden.
Die Anwendung innerhalb der Diplomarbeit erfolgt durch […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Susanne Voigt
Behavioral Finance
Psychologische Erklärungsansätze für typisches Anlegerverhalten
ISBN: 978-3-8366-0952-4
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Berufsakademie Berlin, Berlin, Deutschland, Diplomarbeit, 2004
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ... II
ANLAGENVERZEICHNIS ... III
1. EINLEITUNG... 1
2. VORANGESTELLTE HINFÜHRUNG ZUM THEMA ... 2
2.1 E
INORDNUNG IN DIE
A
UFGABEN DER
P
SYCHOLOGIE
... 2
2.2 T
HEORETISCHE
A
SPEKTE
... 3
2.2.1 Behavioral Finance ... 3
2.2.2 Entscheidungstheorie ... 4
2.3 D
ER TYPISCHE
A
NLEGER
: U
MFELD UND
E
INFLÜSSE
... 5
2.3.1 Typische Anleger im Rahmen der Behavioral Finance... 5
2.3.2 Entscheidungssituationen typischer Anleger ... 6
2.3.3 Determinanten des Anlegerverhaltens ... 7
2.3.3.1 Motivation und Ziele ... 7
2.3.3.2 Die Normen ... 9
2.3.3.3 Der Kenntnisstand ... 9
3. ERKLÄRUNGSVERSUCHE IN PARADIGMEN DER PSYCHOLOGIE...10
3.1 B
EHAVIORISMUS
...10
3.1.1 Die Grundannahmen ...10
3.1.2 Operantes Konditionieren ...11
3.1.2.1 Grundannahmen des operanten Konditionierens ...11
3.1.2.2 Reiz-Reaktions-Beziehungen ...12
3.1.2.3 Reiz-Folge-Beziehungen ...14
3.1.2.4 Grenzen der Theorie ...15
3.1.3 Klassisches Konditionieren ...16
3.2 K
OGNITIVISMUS
...18
3.2.1 Die Grundannahmen ...18
3.2.2 Kognitivistische Lerntheorien ...19
3.2.2.1 Erwartungslernen ...19
3.2.2.2 Lernen durch Einsicht ...20
3.2.3 Wahrnehmung...21
3.2.3.1 Die Informationsaufnahme ...22
3.2.3.1.1 Gestaltpsychologische Ansätze ...22
3.2.3.1.2 Selektive Wahrnehmung...22
3.2.3.2 Die Informationsverarbeitung...23
3.2.3.2.1 Dissonanzverarbeitung ...23
3.2.3.2.2 Die Anwendung von Heuristiken ...26
3.2.4 Emotionen...30
3.2.4.1 Stress und Angst ...30
3.2.4.2 Die Prospect Theory ...31
3.2.4.3 Commitment ...33
3.2.4.4 Kontrollillusion ...34
3.2.5 Das Praxisbeispiel: Der Anleger Daniel G....37
3.3 S
OZIALPSYCHOLOGIE
...42
3.3.1 Die Grundannahmen ...42
3.3.2 Modelllernen ...43
3.3.3 Herdenverhalten...44
3.4 T
IEFENPSYCHOLOGIE
...47
3.4.1 Die Grundannahmen ...47
3.4.2 Abwehrmechanismen ...48
3.4.3 Das Kollektivbewusstsein ...50
4. KRITISCHE AUSEINANDERSETZUNG...53
5. SCHLUSSBETRACHTUNG ...54
LITERATURVERZEICHNIS ...56
INTERNETVERZEICHNIS ...60
ANHANG ...67

II
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Aufgaben der Psychologie... 3
Abbildung 2: Typische Anlegermotive ... 8
Abbildung 3: Bestimmungsfaktoren des Anlegerverhaltens... 8
Abbildung 4: Schema einer Reiz- Reaktions- Beziehung ­ Beispiel 1 ... 12
Abbildung 5: Schema einer Reiz- Reaktions- Beziehung ­ Beispiel 2 ... 12
Abbildung 6: Schema einer Reiz- Folge- Beziehung mit 2 unterschiedlichen Folgebedingungen ... 14
Abbildung 7: Schema des klassischen Konditionierens - Beispiel 1... 16
Abbildung 8: Schema des klassischen Konditionierens ­ Beispiel 2... 17
Abbildung 9: Gegenüberstellung Kognitivismus und Behaviorismus ... 19
Abbildung 10: Erwartungslernen nach Tolman ­ Schema ... 20
Abbildung 11: Darstellung der kognitiven Dissonanz. ... 24
Abbildung 12: Wertefunktion... 32
Abbildung 13: Schema der erlernten Hilflosigkeit. ... 35
Abbildung 14: Theorie der erlernten Hilflosigkeit: Wirkreaktionsschema ... 36
Abbildung 15: Lernen durch Einsicht... 41
Abbildung 16: Schema des Modelllernens ... 44

III
Anlagenverzeichnis
Anhang 1: Verfügbarkeitsheuristik: Positivbeispiel: ... 67
Anhang 2: Verfügbarkeitsheuristik: Negativbeispiel, ProSiebenSat.1 Media AG ... 68
Anhang 3: Beispiel Verankerung, adidas-Salomon erfüllt Erwartungen ... 69
Anhang 4: Depotaufstellung von Daniel G., Stand: 22.02.2004 ... 70
Anhang 5: Fresenius Medical Care Chart 02.04.2002 bis 22.03.2004... 71
Anhang 6: Chart der condomi AG Inhaber-Aktien o.N. von 01.04.2002 ­ 22.03.2004... 71
Anhang 7: Presseartikel, für das praktische Fallbeispiel Daniel G... 72
Anhang 7. 1: Kalte Dusche für Infineon-Aktie... 72
Anhang 7. 2: Bund profitiert nicht von steigenden Steuereinnahmen ... 73
Anhang 7. 3: Deutscher Pkw-Markt bleibt 2004 instabil ... 74
Anhang 7. 4: Schwarz Pharma entwickelt innovativen Schmerz-Wirkstoff ... 75
Anhang 7. 5: Xetra: Etwas leichter - Marke von 4.000 Punkten hält... 76
Anhang 7. 6: Oracle will Angebot für PeopleSoft nicht mehr aufstocken ... 77
Anhang 7. 7: Update: condomi-Aktie steigt nach Übernahmegerüchten über 35 Prozent ... 78
Anhang 7. 8: Beiersdorf will 2004 mit Markenartikeln wieder wachsen ... 79
Anhang 7. 9: Kommentar: Schwäche wirkt nicht verlockend... 80
Anhang 7. 10: Ad-hoc-Mitteilung: WCM-Konzern und RSE AG... 81
Anhang 7. 11: Presse: Microsoft will Preis für XBox im April senken ... 81
Anhang 7. 12: Dax startet nach enttäuschenden US-Daten mit Verlusten... 82
Anhang 7. 13: Verhandlungen um Metalltarif in Thüringen gehen weiter... 82
Anhang 7. 14: Wall Street wegen Inflationsangst im Verlauf leichter... 83
Anhang 7. 15: Presse/Kagermann (SAP) droht Microsoft mit Preiskampf ... 84

1
1. Einleitung
Die Anschauungen der Wirtschaftswissenschaftler über die Steuerung wirtschaftlicher Prozesse an
Märkten wie auch der Börse sind praktisch ohne Rückgriff auf die wissenschaftliche Psychologie
entstanden. Der rational handelnde Mensch steht im Zentrum dieser Dynamik.
1
Er unterliegt durch die
Knappheit des Gutes Geld einem Rationalitätsdruck, der wirtschaftliches Handeln erfordert.
2
Coleman
beschreibt ihn als: ,,unsocialized, entirely self interested, not constrained by norms of a system, but only
rationally calculating to further his own self interests."
3
Kapitalmarkttheoretische und statistisch-
mathematische Modelle lassen jedoch einen entscheidenden Aspekt regelmäßig außer Acht. An den
Finanzmärkten agieren Menschen und nicht der nutzenmaximierende homo oeconomicus.
Die von Psychologen als unrealistisch kritisierte Annahme der Rationalität wurde von Ökonomen
durch eine vereinfachte Darstellung aggregierter Marktgrößen in normativen Modellen gerechtfertigt.
Den Vertretern psychologischer Ansätze wurde oft zur Last gelegt, sie verlören sich im Detail durch
den Einfluss vieler Variablen, die sie in ihre Untersuchungen mit einbeziehen.
4
,,Tatsächlich ist jedoch der Mensch ... voll von Eigensinn. Er ist beherrscht von Vorurteilen, lau-
nisch, impulsiv und schlecht informiert. Er ist wechselnden Einflüssen unterworfen, aber vergisst
und verdrängt manches Erfahrene, wirft manchmal auch Grundsätze und Weltanschauungen über
Bord. Er überträgt Erlebnisse und Erfahrungen von einem Lebensbereich auf den anderen und
bringt es sogar fertig, wirtschaftliche Erwartungen zu ändern, wenn einschneidende außerwirt-
schaftliche Ereignisse eintreten. Er lernt."
5
Diese Aussage fasst einige der Ansätze zusammen, die im Laufe der Diplomarbeit in Hinblick auf das
Verhalten von Anlegern an der Börse psychologisch untersucht werden sollen.
Die Psychologie beschäftigt sich mit dem Verhalten und Erleben von Individuen. Sie analysiert jene
Prozesse, welche die Gefühls- und Gedankenwelt eines Menschen sowie sein Verhalten bestimmen. In
dieser Diplomarbeit soll gezeigt werden, dass mit Hilfe von psychologischen Theorien Vorgänge an
Märkten erklärt werden können. Somit ist sie an der Schnittstelle zwischen Psychologie und Wirt-
schaftswissenschaft positioniert, wo die Behavioral Finance
6
ansetzt. Mit Hilfe dieser neuen For-
schungsrichtung soll das Anlegerverhalten untersucht werden. Die Anwendung innerhalb der Diplom-
arbeit erfolgt durch Übertragung bekannter psychologischer Standpunkte und Theorien auf das Anle-
gerverhalten. Somit wirkt die Arbeit bei der Erklärung der Marktgeschehnisse mit. Sie untersucht die
Grenzen, die wirtschaftliches Handeln an der Börse einschränken. Weiterhin soll sie ein tieferes Ver-
1
Vgl. Hrsg. Irle, M. (1983), Band 4, S. 225.
2
Vgl. Röckemann, Ch. (1995), S. 33.
3
Coleman, J.S. (1964): Collective Decisions in Sociological inquiry, Heft 34, S. 166-181, zitiert nach Hrsg. Irle,
M. (1983), Band 4, S. 151.
4
Vgl. Hrsg. Kirchler, E. et al (1997), S. 22f.
5
Hrsg. Irle, M. (1983), Band 4, S. 225.
6
Zur Begrifflichkeit der Behavioral Finance siehe Kapitel 2.2.1.

2
ständnis von typischem Anlegerverhalten erwirken, um einen Grundstein zu legen für daraus ableitbare
mögliche Prognosen. Was beeinflusst das Anlegerverhalten? Worauf sind bestimmte typische Verhal-
tensweisen der an Wertpapiermärkten agierenden Personen zurückzuführen? Was bildet die Grundlage
von Marktanomalien? Zur Beantwortung dieser Fragen wird das Verhalten der Anleger oder Analysten
im Hauptteil Punkt 3 von verschiedenen Perspektiven der Psychologie betrachtet. Diese Paradigmen
7
gehen von unterschiedlichen Annahmen aus, welche zu Beginn jedes Abschnitts kurz erläutert werden.
Anschließend wird auf das Anlegerverhalten eingegangen, wobei die Theorie beleuchtet und daraufhin
auf praktische Beispiele angewandt wird. Das erste Paradigma in Punkt 3.1 ist der Behaviorismus. In
diesem Abschnitt stehen typische Lerntheorien im Mittelpunkt der Betrachtung. Im nachfolgenden
Punkt soll auf den Kognitivismus eingegangen werden, dem die ausführlichste Betrachtung gewidmet
ist. Neben weiterentwickelten Lerntheorien bilden hier die Wahrnehmung sowie Emotionen den
Schwerpunkt. Die in diesem Abschnitt diskutierten Theorien werden abschließend anhand eines Bei-
spielanlegers in die Praxis umgesetzt. Die Theorie in Punkt 3.3 bezieht sich besonders auf die sozialen
Einflüsse und die Nachahmung von Verhaltensweisen. Das Herdenverhalten von Anlegern bildet hier
einen weiteren interessanten Ansatzpunkt. Die Tiefenpsychologie in Punkt 3.4 bildet den Abschluss der
psychologischen Erklärungsversuche. In Anlehnung an Freud und andere Vertreter dieser Spezialrich-
tung werden die Erkenntnisse dieser Fachrichtung auf den Finanzmarkt angewandt. Die Diplomarbeit
fährt fort mit Punkt 4, in dem eine abschließende Auseinandersetzung mit kritischer Abgrenzung der
Paradigmen erfolgt. Die Schlussbetrachtung in Punkt 5 gewährt einen Blick auf die Perspektiven der
Behavioral Finance und beleuchtet den Nutzen dieser Arbeit.
2. Vorangestellte Hinführung zum Thema
Zunächst soll ein Überblick über den Untersuchungsbereich der Arbeit gegeben werden, wobei die
wesentlichen Begriffe erläutert und einleitende Erklärungen zum Umfeld eines typischen Anlegers
vorgenommen werden.
2.1 Einordnung in die Aufgaben der Psychologie
Abbildung 1 verdeutlicht den Standort der Diplomarbeit innerhalb der Aufgaben der Psychologie. Die
Erklärung des Anlegerverhaltens ist Voraussetzung für die Vorhersage von Anlegerverhalten.
7
Gemäß Stegmüller sind Paradigmen ,,...allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen, die für eine gewisse
Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten Modelle und Lösungen liefern" Stegmüller, W. (1973): Probleme und
Resultate der Wissenschaftstheorie und der analytischen Philosophie, Bd. II, Theorie und Erfahrung, 2. Halbband,
Theoriestrukturen und Theoriedynamik, Berlin et al, S. 157, zitiert nach Stein, F. (1987), S. 5.

3
Abbildung 1: Aufgaben der Psychologie.
Quelle: Eigene Erstellung, vgl. Dörner/ Selg (1996), S. 26f.
Zunächst gilt es, das Verhalten möglichst umfassend und systematisch zu beschreiben. Dadurch eröff-
nen sich Zusammenhänge und Gesetze
8
entstehen. Das Verhalten kann mit Hilfe von theoretischen
Annahmen erklärt und somit auch besser verstanden werden. Erklären bedeutet, einen Spezialfall auf
etwas Allgemeingültiges zurückzuführen. Das zu erklärende Verhalten folgt logisch aus vorgegebenen
Gesetzen und Randbedingungen.
9
Daraus ergibt sich als nächster Schritt die Vorhersage des Verhal-
tens. Unter der Voraussetzung der Gültigkeit einer bestehenden Theorie kann diese nicht nur in einer ex
post Betrachtungsweise angewendet werden, sondern ebenso vorwärts gerichtet. Das Ergebnis ist eine
bedingte Prognose. Die Gültigkeit einer Theorie wird anhand von umfangreichen empirischen Untersu-
chungen nachgewiesen.
10
Mit Kontrolle ist keineswegs die Manipulation gemeint. Eher bedeutet es ein
gezieltes Beeinflussen, ein bewusstes und gekonntes Verändern. An der Börse könnte diese Verände-
rung des Verhaltens sich in einer gezielten Anwendung der Erkenntnisse der Behavioral Finance bei
der Anlage in Wertpapieren zeigen, was psychologisch bedingte Fallen vermeiden würde.
In dieser Diplomarbeit werden demnach bereits bestehende Theorien und Gesetze auf den Spezialfall,
das Anlegerverhalten an der Börse, angewandt. Alle anderen Aufgaben der Psychologie sind nicht
Bestandteil der Diplomarbeit. Das Prognostizieren von Anlegerverhalten bleibt somit weiteren For-
schungen vorbehalten.
2.2 Theoretische Aspekte
Um dem theoretischen Hintergrund Rechnung zu tragen, soll im Folgenden auf die Behavioral Finance
und die Entscheidungstheorie eingegangen werden.
2.2.1 Behavioral Finance
Als Zweig der verhaltensorientierten Kapitalmarktforschung greift das Fachgebiet der Behavioral
Finance Erkenntnisse aus der Psychologie auf, um sowohl das Anlegerverhalten, als auch andere Phä-
8
Gesetze sind Bestandteile von Theorien. Sie können als Aussagen über notwendige, allgemeine und wesentli-
chen Zusammenhänge zwischen Sachverhalten der objektiven Realität umschreiben. Sie sind gekennzeichnet
durch eine Wenn-dann oder Je-desto-Form. Im Unterschied zu Hypothesen haben sie sich bereits praktisch be-
währt. Vgl. Dörner, D./ Selg, H. (1996), S. 26.
9
Vgl. ebenda, S. 26f.
10
Vgl. Weber, M. (1993), S. 28.
Beschreiben
Erklären
Vorhersagen
Kontrollieren

4
nomene
11
an den Kapitalmärkten zu erklären. Sie gehört zu den neueren Forschungsgebieten der Fi-
nanzwirtschaft und ist von ihrer Natur her deskriptiv.
Die klassischen Ansätze zur Erklärung des Börsengeschehens waren nicht in der Lage zuverlässige
Prognosen zu generieren
12
, was aus ihrer Annahme des rationalen und nutzenmaximierenden Men-
schen resultierte. Dadurch legten sie den Grundstein für eine mehr auf die Psyche des Menschen ausge-
richtete Forschungsrichtung.
13
Die Wurzeln der Behavioral Finance lassen sich bis in die frühen 50er
Jahre zurückverfolgen, obwohl erst Ende der 80er Jahre ein breites Interesse geweckt wurde. Aus vielen
Publikationen, die sich mit verhaltenswissenschaftlichen Aspekten im finanzwirtschaftlichen Bereich
befassten, entstand schließlich der Begriff Behavioral Finance. Ziel dieses Forschungsansatzes ist die
Erklärung des Geschehens an Finanzmärkten mit Hilfe von spezifischen, typisch menschlichen Verhal-
tensmustern. Dazu untersucht die Behavioral Finance alle Prozesse der Auswahl, Aufnahme und Ver-
arbeitung entscheidungsrelevanter Informationen, die Erwartungsbildung sowie die Konsequenzen
sozialer Interaktion auf Marktebene. Durch das systematische Herausfiltern von Einflussfaktoren soll
das menschliche Entscheidungsverhalten an den Finanzmärkten möglichst prognostizierbar gemacht
werden.
In dieser Arbeit soll der Begriff der Behavioral Finance etwas weiter gefasst werden. Es werden sowohl
die schon bestehenden Erkenntnisse aufgeführt, die sich hauptsächlich im Abschnitt Kognitivismus
wieder finden. Aber auch weitere psychologische Theorien, die bisher vernachlässigt wurden, sollen
auf ihre Übertragungsfähigkeit auf den Kapitalmarkt überprüft werden. Dazu werden die in Punkt 3
aufgeführten Paradigmen der Psychologie in das Forschungsgebiet der Behavioral Finance eingeord-
net.
14
2.2.2 Entscheidungstheorie
Entscheidungssituationen
15
verlangen eine Festlegung auf eine Alternative, womit sich die Entschei-
dungstheorie befasst. Da diese als umfangreiches Thema allein zahlreiche Seiten füllen kann, soll hier
nur ein Einblick in deren Bedeutung für die vorliegende Diplomarbeit gegeben werden.
In der Entscheidungstheorie wird zwischen zwei Ansätzen unterschieden. Während die normative
Entscheidungstheorie Normen bzw. Regeln aufstellt, um zur bestmöglichen Entscheidung zu gelangen,
befasst sich die deskriptive Entscheidungstheorie mit dem tatsächlichen Entscheidungsverhalten der
11
Z.B. Spekulationsblasen wie die Tulpeneuphorie 1633-1637 in Holland. Tulpen galten damals als Statussymbol
und wurden sogar als Sicherheit für Kredite akzeptiert. Vgl. Rojs, C. (2002), S. 41ff.
12
Auf einen detaillierten Vergleich klassischer Methoden mit der Behavioral Finance soll hier verzichtet werden.
Eine umfangreiche Gegenüberstellung bietet Rojs, C. (2002), S. 14ff.
13
Vgl. Wechsler, H. (2001), S. 10f.
14
Gyomlay ordnete bereits den Kognitivismus unter das Forschungsgebiet der Behavioral Finance und betonte
damit seine Bedeutung. Vgl. Gyomlay, K. (2002), S. 3f.
15
Siehe auch Kapitel 2.3.2.

5
Menschen. Die Idealversion geht von der Prämisse des rational handelnden Individuums aus, während
die deskriptive Entscheidungstheorie anhand von empirischen Untersuchungen das reale Verhalten von
Menschen in Entscheidungssituationen betrachtet.
16
Die deskriptive Entscheidungstheorie schließt
kognitive Beschränkungen in ihre Überlegungen mit ein. Menschen sind nicht wie Computer. In kom-
plexen Entscheidungssituationen stoßen sie oft an die Grenzen ihrer Informationsverarbeitungskapazi-
tät. Ihre Entscheidungen und Urteile treffen sie im Rahmen dieser kognitiven Grenzen. Dazu gehören
die emotionalen Einflüsse, Motive sowie die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung.
17
Diese
Grenzen führen dazu, dass nur ein Teil der verfügbaren Informationen als Entscheidungsgrundlage
dient. Mit zunehmender Aufgabenkomplexität und Informationsmenge sucht der Entscheider verstärkt
nach Möglichkeiten das Entscheidungsproblem zu vereinfachen.
18
Besondere Bedeutung hat die deskriptive Entscheidungstheorie, wenn das Verhalten des Entschei-
dungsträgers von der bestmöglichen Alternative abweicht. In diesen Fällen entscheidet die Person
irrational.
19
An der Börse führen irrationale Entscheidungen vieler Anleger zu scheinbar unbegründba-
ren Kursbewegungen. Hier setzt die Psychologie an, Verhalten zu erklären und zu verstehen. Besonders
der Kognitivismus wendet die Erkenntnisse aus der deskriptiven Entscheidungstheorie an.
20
2.3 Der typische Anleger: Umfeld und Einflüsse
Nach ersten Bemerkungen zu charakteristischen Eigenschaften typischer Anleger, soll deren Umfeld
betrachtet werden.
2.3.1 Typische Anleger im Rahmen der Behavioral Finance
Der typische Anleger soll in dieser Arbeit die Mehrheit der Anleger repräsentieren. Die Wirkung psy-
chischer Phänomene ist dabei abhängig davon, dass der Anleger sich bisher nicht mit derartigen Ein-
flüssen tiefgehend beschäftigt hat. Als Anleger sollen alle Personen verstanden werden, die in Wertpa-
piere investieren, wobei der Schwerpunkt jedoch auf den Aktionären liegt. Dabei soll das Wort Anleger
allgemein aufgefasst werden. Es erfolgt keine Unterscheidung von Spielern, Spekulanten oder langfris-
tig orientierten Börsenteilnehmern.
Die spezifischen Merkmale eines typischen Anlegers werden sich im Laufe der Arbeit durch die Wir-
kung bestimmter Einflüsse herauskristallisieren. Dennoch sei eine kurze Vorwegnahme einiger wesent-
16
Vgl. Rommelfanger, H./ Eickemeier, S. (2002), S.3ff.
17
Vgl. von Nitzsch, R. (2002), S. 1f.
18
Vgl. Höser, H. (1998), S. 57.
19
Vgl. Dörsam, P. (2003), S. 7f.
20
Eine sehr bekannte deskriptive Entscheidungstheorie, die das Entscheidungsverhalten an der Börse erklärt, ist
die Prospect Theory von Kahneman und Tversky. Die Kernaussagen der Theorie werden im Abschnitt Kogniti-
vismus erläutert, auch wenn die Prospect Theory nicht Hauptbestandteil der vorliegenden Diplomarbeit sein soll.

6
licher Eigenschaften gewährt:
Ein typischer Anleger lässt sich in seinen Wertpapierentscheidungen stark von Konsequenzen beein-
flussen. Weitere Investitionen hängen von Belohnungen bzw. Bestrafungen ab. Der typische Anleger
überträgt alte Verhaltensweisen auf neue Situationen, obwohl dies nicht immer angemessen ist.
21
Er unterliegt Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsbeschränkungen, die ihn unter Umständen
nicht zu optimalen Entscheidungen führen. Dennoch ist er ein vernunftbegabtes Wesen, das durch
Einsichtigkeit lernen kann. Zusätzlich lässt er sich jedoch bei seinen Anlageentscheidungen stark von
Emotionen leiten. Er erliegt der Illusion, die Einflussfaktoren an den Aktienmärkten zu kennen und
seine eigene Situation gut einschätzen zu können.
22
Ein typischer Anleger legt auf die Meinung anderer
zu bestimmten Wertpapieren bzw. Börsensituationen Wert. Er trägt dazu bei, dass sich an der Börse
Tendenzen entwickeln durch den Einfluss der Herde.
23
Schließlich wirken beim typischen Anleger
unbewusste Inhalte. Er verdrängt Risiken und Gefahrensignale. Als Mitglied der Anlegermasse passt er
sein Verhalten an das der anderen Marktteilnehmer an.
24
2.3.2 Entscheidungssituationen typischer Anleger
Entscheidungssituationen zeichnen sich durch das Vorhandensein verschiedener Handlungsalter-
nativen zur Erreichung eines oder mehrerer Ziele aus. Jede der Alternativen weist dabei bestimm-
te mögliche Konsequenzen auf. Oftmals ist der Nutzen der einzelnen Alternativen nicht transpa-
rent bzw. die Alternativen weisen einen Zielkonflikt auf.
25
Das bedeutet, dass die gleichzeitige
Erreichung mehrerer Ziele mit der Auswahl einer Alternative nicht immer möglich ist. Bei der
Geldanlage stehen die drei Ziele Rendite, Sicherheit und Liquidität stark in Konkurrenz. Diese
als magisches Dreieck bezeichnete Beziehung zwischen den Zielen macht es nötig, Prioritäten
zwischen den Zielen festzulegen. So kann eine Anlage nicht sehr sicher sein und gleichzeitig eine
hohe Rendite generieren. Wer z.B. in Aktien investiert, muss ein gewisses Risiko zu akzeptieren
bereit sein. Dafür hat der Anleger eine Chance auf eine weitaus höhere Rendite, als beispielswei-
se das sichere Sparbuch verspricht. Zwar sind Aktien jederzeit veräußerbar, jedoch kann auch das
Ziel Liquidität im Konflikt stehen mit dem Streben ein bestimmtes Kursziel zu erreichen.
Die Informationslage einer Entscheidungssituation kann derart diffus sein, dass keine sich erge-
benden Konsequenzen auszumachen sind.
26
Innerhalb von Entscheidungssituationen gibt es eine
Vielzahl von Einflussfaktoren, die auch gegenseitig voneinander abhängen können. Die sich
21
Eine ausfühliche Auseinandersetzung mit diesem Thema bietet Punkt 3.1.
22
Eine ausfühliche Auseinandersetzung mit diesem Thema bietet Punkt 3.2.
23
Eine ausfühliche Auseinandersetzung mit diesem Thema bietet Punkt 3.3.
24
Eine ausfühliche Auseinandersetzung mit diesem Thema bietet Punkt 3.4.
25
Vgl. Dörsam, P. (2003), S. 7f.
26
Vgl. ebenda, S. 7f.

7
ständig ändernde Umwelt bewirkt zusätzlich Zeitinstabilität
27
von Entscheidungen.
28
Um die Komplexität einer Entscheidungssituation zu beschreiben, benutzt Dörner eine Metapher:
,,...ein Akteur in einer komplexen Handlungssituation einem Schachspieler gleicht, der
mit einem Schachspiel spielen muss, welches sehr viele ... Figuren aufweist, die mit
Gummifäden aneinanderhängen, so dass es Ihm unmöglich ist, nur eine Figur zu bewegen.
Außerdem bewegen sich seine und des Gegners Figuren auch von allein, nach Regeln, die
er nicht genau erkennt oder über die er falsche Annahmen hat. Und obendrein befindet
sich ein Teil der eigenen und der fremden Figuren im Nebel und sind nicht oder nur unge-
nau zu erkennen."
29
Ein Anleger befindet sich an der Börse jederzeit in einer Entscheidungssituation, in der eine Frage im
Zentrum steht: Kaufen oder Verkaufen. Außerdem stellt die Auswahl der einzelnen Titel den Anleger
vor eine weitere komplexe Entscheidungssituation.
2.3.3 Determinanten des Anlegerverhaltens
Jedes, der in Punkt 3 dargestellten Paradigmen, stellt andere Determinanten von Verhalten in den
Mittelpunkt. Allgemein wird menschliches Handeln durch eine Reihe von Faktoren beeinflusst. Dazu
gehören: Motivation, Ziele, Kenntnisstand, soziale Interaktion, Einstellung sowie Situationsfaktoren
wie Erwartungen, Normen und zur Verfügung stehende Handlungsalternativen.
30
Außerdem sind auch
biologische und genetische Faktoren zu nennen. Letztgenannte sollen jedoch in dieser Arbeit nicht
berücksichtigt werden.
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Bestimmungsfaktoren näher, die für alle Theorien
allgemeingültig sind. Die einzelnen Paradigmen stellen andere Einflussfaktoren in den Mittelpunkt,
schließen jedoch die Geltung der folgenden Determinanten nicht aus.
2.3.3.1 Motivation und Ziele
Anlegermotive können als die inneren Beweggründe für das Anlegerverhalten definiert werden, die der
Anleger in Form von Affekten und Gefühlen wahrnimmt.
31
Eine Auswahl typischer Motive für die
Geldanlage zeigt Abbildung 2.
27
Eine Entscheidung, die heute noch zum optimalen Ergebnis führt kann morgen unter Umständen als irrational
gewertet werden, da die Entwicklung der Einflussfaktoren ungewiss ist.
28
Vgl. von Nietzsch, R. (2002), S. 20.
29
Dörner, D. (1993): Die Logik des Misslingens ­ Strategisches Denken in komplexen Situationen, 2. Auflage,
Hamburg, S. 66, zitiert nach Schroeder-Wildberg, U. (1998), S. 76.
30
Vgl. Stein, F. (1987), S. 14.
31
Vgl. Hein, J. (2002), S. 60.

8
Abbildung 2: Typische Anlegermotive.
Quelle: In Anlehnung an Hein (2002), S. 60ff.
Z.B. ist eine nahe liegende Erklärung für risikoreiche Anlagen die Aussicht auf eine hohe Rendite.
Zusätzlich wirkt der soziale Neid derjenigen, die die sichere Geldanlage wählen. Verbunden damit ist
das Streben nach Prestige. Erwirtschaftet ein Anleger tatsächlich eine überdurchschnittlich hohe Rendi-
te, fühlt er sich selbst durch seinen Erfolg bestätigt und schreibt ihn seiner Kompetenz zu.
Ziele sind erstrebenswerte, zukünftige Zustände der Realität. Als Konkretisierung der Beweggründe
stellen sie die Zweckorientierung der Motive dar. Teilweise können die Ziele von den jeweiligen Moti-
ven abgeleitet werden.
32
Als Anlageziele können z.B. Sicherheit, Rentabilität, Liquidierbarkeit, Ver-
waltbarkeit, Mitsprache, Prestige und Spekulation genannt werden. Anlegerziele sind zukunftsorien-
tiert, während die Motive aus der Vergangenheit resultieren. Abbildung 3 fasst die soeben dargelegten
Beziehungen zusammen.
Abbildung 3: Bestimmungsfaktoren des Anlegerverhaltens.
Quelle: Eigene Erstellung.
32
Vgl. Hein, J. (2002), S. 60ff.
Anlegermotive
= Gründe, sich für eine
Anlage zu entscheiden
Warum entscheidet sich
der Anleger für eine
Anlage?
Anlegerziele
= Was will der Anleger
mit dieser Anlage errei-
chen?
Anleger-
verhalten
wirkt auf
Anlegermotive
Zukünftiger Konsum
Absicherung /
Vorsorge
Vermögens- /
Einkommenserhöhung
Selbstbestätigung durch
Erfolg/ Kompetenz
Prestige
Leistung
Macht
Spekulation

9
2.3.3.2 Die Normen
Weitere Einflussfaktoren für das Anlegerverhalten stellen die Normen dar. Weber definiert sie als
Kriterien, nach denen Individuen ihr Verhalten ausrichten und Verhalten anderer beurteilen. Dabei
können drei Normen unterschieden werden: die gesellschaftliche, die statistische sowie die Ich-Norm.
Die gesellschaftliche Norm beinhaltet alle Werte, die der Gesellschaft des Anlegers zugrunde liegen.
Sie besagt, was innerhalb einer Kultur akzeptiert und angesehen ist. Zum Teil stellt sie schwer erreich-
bare Idealzustände des menschlichen Verhaltens dar
.
Der Einfluss dieser Norm auf das Anlegerverhal-
ten wird besonders im Abschnitt Sozialpsychologie dargelegt, weshalb an dieser Stelle eine ausführli-
che Auseinandersetzung mit dem Thema unterbleibt.
Die statistische Norm bezieht sich darauf, welches Verhalten die Mehrheit einer Gruppe zeigt. Dies soll
innerhalb der Arbeit durch Hinweise auf Ergebnisse empirischer Untersuchungen unterlegt werden.
33
Die Ich-Norm bezeichnet das Verhalten als normentsprechend, welches das Individuum selbst auf-
grund seiner Erfahrungen, Ziele und Leistungsmöglichkeit als angemessen empfindet und Leidens-
druck vermeidet.
34
Interessanterweise wird ein solches Verhalten in diesem Zusammenhang zwar als
,,normal" definiert, jedoch ergeben sich aufgrund von Ich-Norm-entsprechendem Verhalten durchaus
Irrationalitäten.
35
2.3.3.3 Der Kenntnisstand
Der Kenntnisstand bestimmt das Anlegerverhalten durch seinen Einfluss auf die Verarbeitung der
wahrgenommenen Informationen
36
des Empfängers. Hat der Anleger nur geringe Kenntnisse über die
zur Auswahl stehenden Aktien, besitzt er weder ausgeprägte Idealvorstellungen noch geeignete Maß-
stäbe zu ihrer Bewertung. Die kognitiven Voraussetzungen für die Urteilsbildung fehlen. Besonders bei
der Verarbeitung komplexer Aktieninformationen können Defizite vermutet werden, da es an erforder-
lichen Wissensstrukturen mangelt.
37
Kenntnisreiche Entscheider neigen dazu, neue Informationen mit
alten zu vergleichen und gemäß ihrer Übereinstimmung zu gewichten. Informationen, welche die
bisherigen Kenntnisse bestätigen, werden eine höhere Glaubwürdigkeit zugemessen. Sie sind eher
geeignet eine Entscheidung zu beeinflussen.
38
33
Weitere Erläuterungen, die sich auf statistische Mehrheiten beziehen, finden sich in den Abschnitten 3.3.3 sowie
3.4.3.
34
Vgl. Weber, M. (1993), S. 285f.
35
Siehe hierzu Punkt 3.4.3.
36
Der Kenntnisstand umfasst sowohl die Vertrautheit der Person mit dem Produktfeld, als auch seine Sachkennt-
nis. Dabei wird Vertrautheit als die Anzahl produktbezogener Erfahrungen und Sachkenntnis als die Fähigkeit zur
erfolgreichen Bewältigung produktbezogener Aufgaben definiert. Vgl. Höser, H. (1998), S. 89.
37
Vgl. ebenda, S. 89.
38
Vgl. ebenda, S. 91.

10
Alle der in diesem Kapitel genannten Einflüsse prägen das typische Anlegerverhalten und wirken auf
die Umwelt in der sich der typische Anleger bewegt.
3. Erklärungsversuche in Paradigmen der Psychologie
Die Psychologie teilt sich in drei grundlegende theoretische Richtungen: Behaviorismus, Kognitivismus
und Tiefenpsychologie.
39
Obwohl die Sozialpsychologie kein eigenständiges Paradigma darstellt, da
die Erklärungsansätze sich aus behavioristischen, kognitivistischen und tiefenpsychologischen Annah-
men zusammensetzen,
40
soll sie hier mit aufgeführt werden, um den bedeutenden Einfluss sozialer
Beziehungen und Gruppendynamik, welche auch am Kapitalmarkt wirken, zu verdeutlichen.
3.1 Behaviorismus
Als erstes Paradigma soll der Behaviorismus im Mittelpunkt stehen. Obwohl sich inzwischen viele
Kritiker zu Wort gemeldet haben, leistete die behavioristische Lernpsychologie doch einen wichtigen
Beitrag zum Verständnis des Lernens.
41, 42
3.1.1 Die Grundannahmen
Behavioristen vertreten die Auffassung, dass innere Prozesse, wie Empfindungen und Gefühle nur
unzureichend untersucht werden können. Bewusstseinszustände und geistige Phänomene führen nicht
zu objektiven Ergebnissen und sind daher nicht wissenschaftlich. Aufgrund dessen ist nur das beob-
achtbare Verhalten Gegenstand der Psychologie. Dieses wird von Reizen aus der Umwelt verursacht.
43
Die inneren Prozesse werden als so genannte Black Box ausgeblendet und dienen nicht der Erklärung
von Verhalten. Der Behaviorismus, welcher von John Broadus Watson begründet wurde, betrachtet
jegliches Verhalten als erlernt. Dabei bezieht sich das Lernen nicht auf den Erwerb und die Speicherung
von Wissen, sondern auf die Formung menschlichen Verhaltens und die Entstehung bestimmter Ver-
haltensmuster.
44
Im folgenden Abschnitt sollen die beiden wichtigsten Lerntheorien des Behaviorismus genauer erläutert
werden.
39
Vgl. Schönpflug, W./ Schönpflug, U. (1995), S. 33.
40
Vgl. ebenda, S. 61.
41
Vgl. Zimbardo, P./ Gerrig, R. (2003), S. 208.
42
Siehe hierzu auch letzter Absatz im Kapitel 3.1.3 und Kapitel 4.
43
Vgl. Zimbardo, P./ Gerrig, R. (2003), S. 207f.
44
Vgl. Wiswede, G. (2000), S. 67.

11
3.1.2 Operantes Konditionieren
Diese Lerntheorie wird in der Literatur auch als Lernen durch Versuch und Irrtum bezeichnet. Operan-
tes Konditionieren kann als ,,die Umwelt beeinflussende Bedingung" übersetzt werden.
3.1.2.1 Grundannahmen des operanten Konditionierens
Erklärt wird die Entstehung einer Reiz- Reaktions- Verbindung, wobei die Reaktion an eine vorange-
hende Bedingung gekoppelt wird.
45
Watson erklärte, dass die Reaktion in Form eines Antwortverhal-
tens an einen situativen Stimulus gebunden ist. Es war der Psychologe Burrhus F. Skinner, der diese
Theorie aufgriff und weiterentwickelte. Er vertrat die Auffassung, dass zwei verschiedene Reaktionen
zu unterscheiden seien. Zum einen die schon angesprochene Reaktion, die durch einen Reiz aus der
Umwelt ausgelöst wird. Zum anderen die vom Individuum von sich aus hervorgebrachten Reaktionen.
Diese ihrer Wirkung willen vorgebrachten Reaktionen bezeichnet Skinner als Wirkreaktionen. Sie
werden nicht durch Koppelung an die vorangehenden Bedingungen gelernt, sondern durch ihre Bezie-
hung zu den Folgebedingungen.
46
Somit untersuchen Psychologen die Reiz- Reaktions- Beziehungen
(S-R Beziehung) sowie die Reiz- Folge- Beziehungen.
47
Lernen wirkt als ein Selektionsvorgang, bei dem Verhaltensweisen, die positive Konsequenzen haben,
in ihrer Häufigkeit zunehmen, während negative Konsequenzen zu einer Reduzierung des Verhaltens
führen.
48
Ereignisse, die die Reaktion des Individuums festigen, werden als Verstärker bezeichnet.
Dabei unterscheiden sich positive und negative Verstärker. Positive Verstärker erhöhen die Auftretens-
wahrscheinlichkeit des Verhaltens bei angenehmen Konsequenzen. Negative Verstärker reduzieren,
entfernen oder vermeiden negative Konsequenzen.
Davon abzugrenzen sind die Bestrafungen, die auf eine Reaktion folgend, die Auftretenswahrschein-
lichkeit des Verhaltens abnehmen lässt. Folgt auf ein Verhalten ein aversiver Reiz, so handelt es sich
um eine positive Bestrafung, während bei einer negativen Bestrafung ein angenehmer Reiz entfernt
wird.
49
Im Folgenden soll die soeben geschilderte Theorie auf typisches Anlegerverhalten angewandt werden.
Zur Verdeutlichung sollen einige Beispiele aus der Praxis des Anlegerverhaltens dienen. Zunächst
werden Reiz- Reaktions- Beziehungen betrachtet.
45
Vgl. Schönpflug, W./ Schönpflug, U. (1995), S. 49.
46
Vgl. ebenda, S. 354f.
47
Vgl. ebenda, S. 49.
48
Vgl. ebenda, S. 354.
49
Vgl. Zimbardo, P./ Gerrig, R. (2003), S. 219f.

12
3.1.2.2 Reiz-Reaktions-Beziehungen
Die nachgestellten Abbildungen stellen zwei Beispiele für Reiz-Reaktions-Beziehungen dar.
Abbildung 4: Schema einer Reiz- Reaktions- Beziehung ­ Beispiel 1.
Quelle: Eigene Erstellung.
Abbildung 5: Schema einer Reiz- Reaktions- Beziehung ­ Beispiel 2.
Quelle: Eigene Erstellung.
Beide Abbildungen erklären das Kaufverhalten als Reaktion auf einen Stimulus, welcher diskriminati-
ver Reiz genannt wird.
50
In Abbildung 4 folgen durch den Kauf von Aktien positive Konsequenzen in
Form von Dividenden und Kurssteigerungen. Höhere Einnahmen bedeuten einen Anstieg des
Wohlstandes und die Möglichkeit zu einem gesteigerten Konsumverhalten. Diese Konsequenzen
führen in einer Rückkoppelung dazu, dass das Aktienkaufverhalten zukünftig verstärkt auf den diskri-
minativen Reiz, die Aktienempfehlung, folgt. Die Person lernt, dass die Aktienempfehlungen seines
Informanten zum Erfolg führen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Person bei einem
erneuten Aktientipp seines Informanten wieder die empfohlenen Aktien kaufen wird.
Das Verhalten wird umso wahrscheinlicher, je öfter die Verstärkung gewirkt hat.
In Abbildung 5 ist das andere Extrem dargestellt. Auch hier bewirkte die Aktienempfehlung einen Kauf
der Aktie. Die Konsequenz dieses Verhaltens unterscheidet sich diesmal jedoch deutlich. Die Kursver-
luste der Aktie und der damit einhergehende Vermögensverlust bei Realisierung wirken als negative
Bestrafung. Dies bedeutet, dass ein angenehmer Reiz aus der Situation wegfällt. In diesem Fall verliert
der Anleger einen Teil seines Vermögens, verbunden mit einer wahrscheinlichen Konsumeinschrän-
kung. Die negative Bestrafung führt dazu, die Auftretenswahrscheinlichkeit des operanten Verhaltens
50
Ein diskriminativer Reiz hat Signalcharakter. Er zeigt dem Individuum an, ob ein Verstärker oder eine Bestra-
fung folgen wird, wenn eine bestimmte Reaktion ausgeführt wird. Vgl. Zimbardo, P./ Gerrig, R. (2003), S. 784.
Diskriminativer Reiz:
Aktienempfehlung
Operantes Verhalten:
Aktienkauf
Negative Bestrafung: Vermögensverlust
Konsequenz:
Aktienkurs fällt drastisch
wirkt auf
Diskriminativer Reiz:
Aktienempfehlung
Operantes Verhalten:
Aktienkauf
Positive Verstärkung: Höhere Konsummöglichkeit
Konsequenz: Dividenden-
erträge, Kurssteigerungen
wirkt auf

13
(das Verhalten, welches durch einen Umweltreiz bedingt wurde) zu reduzieren. Hier lernt die Person,
dass der Aktienkauf, welcher durch die Ratschläge des Informanten bedingt wurde, nicht den Weg zum
Erfolg bahnt, sondern Einschränkungen in Vermögen und Konsum mit sich bringt. Somit sinkt die
Wahrscheinlichkeit, dass die Person bei der nächsten Aktienempfehlung seines Informanten reagiert.
Unter der Annahme, dass beide Beispiele nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern nach-
einander ablaufen, ergibt sich folgendes Bild. Zunächst wird das Kaufverhalten als Reaktion auf die
Aktienempfehlung erlernt durch mehrere Wiederholungen der angenehmen Konsequenzen. Bei diesem
vorher verstärkten Verhalten bleiben die erwarteten Konsequenzen plötzlich aus, womit die Auftre-
tenswahrscheinlichkeit des Verhaltens wieder absinkt. Die operante Konditionierung wird gelöscht.
Dennoch kann das Verhalten bei erneutem Auftreten von Verstärkern wieder erlernt werden.
51
Viele Anleger verlassen sich bei ihrer Anlageentscheidung auf Preistrends. Die Gefahr dabei liegt in der
Erkennung von positiven Trends, wo objektiv betrachtet keine vorliegen. Bei mehreren Anlegern
gleichzeitig bedeutet das eine Steigerung des Kurses, welche bestätigend wirkt und nicht nur das Anle-
gerverhalten, sondern auch den Trend verstärkt.
52
In einer Aufschwungphase an der Börse wird der
Kauf von Aktien bei den Anlegern belohnt, was zur Verstärkung des Verhaltens und weiteren Investiti-
onen führt. Aus dem entstehenden Nachfrageüberhang resultieren steigende Börsenkurse. Dabei steigt
die Gefahr für die Anleger Risikosignale nicht mehr ausreichend wahrzunehmen und die Änderungsbe-
reitschaft und Flexibilität sinkt. Der Anleger unterliegt der Illusion auch zukünftig auf diese einfache
Weise Erträge zu erwirtschaften. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von erlernter Sorg-
losigkeit.
53,
54
Menschen neigen dazu zu generalisieren. Das bedeutet, dass sie früher erlerntes Verhalten auch in
Situationen anwenden, die der ursprünglichen Situation ähneln. Die Generalisierung ist von besonderer
Bedeutung, da nicht für jede der unzähligen Situationen, in denen sich ein Mensch im Laufe seines
Lebens wieder findet, ein neues Verhalten erlernt werden kann. Die Generalisierung ist somit eine
Lernübertragung, die dazu dient in neuen Situationen angemessen zu reagieren. Im Gegensatz dazu
steht die Fähigkeit der Diskrimination. Menschen müssen in bestimmten Situationen unterscheiden,
wann generalisiert werden darf und wann eine Diskrimination nötig ist.
55
In Bezug auf Abbildung 4 würde das bedeuten, dass die Person auch bei einer Empfehlung von einem
51
Vgl. Zimbardo, P./ Gerrig, R. (2003), S. 219f.
52
Vgl. Röckemann, Ch. (1995), S. 36.
53
Vgl. Wiswede, G. (1996), S. 268f.
54
Die erlernte Sorglosigkeit steht eng mit der Kontrollillusion in Verbindung, deren Einfluss ausführlich im
Kapitel 3.2.4.4 beschrieben wird.
55
Vgl. Lefrancois, G. (1986), S. 44f.

14
Analysten, die er in der Zeitung liest, mit Aktienkauf reagiert. Bei einer positiven Verstärkung könnte
der Anleger eine solche, neue Situation mit der früheren in Verbindung bringen und dadurch gleichge-
richtet reagieren.
Bei einer Bestrafung wie in Abbildung 5 würde eine Aktienempfehlung eines Dritten, z.B. des zustän-
digen Kundenberaters bei der Hausbank, ebenso dazu führen, dass die Auftretenswahrscheinlichkeit
gering ist und das Aktienkaufverhalten eher unterlassen wird. Der Anleger generalisiert sein Verhalten
auch bei Empfehlungen anderer Personen oder Institutionen, indem er eher von einem Kauf absieht
bzw. nur sehr vorsichtig mit kleineren Beträgen investiert.
Führen die Aktienempfehlungen von unterschiedlichen Ratgebern zu verschiedenen Konsequenzen,
kommt die Diskrimination zum Einsatz. Der Anleger, der auf Empfehlung eines Informanten sowie auf
Empfehlung seines Bankberaters Aktien gekauft hat, wird schnell unterscheiden, nach wessen Empfeh-
lung sich ein Aktienkauf vorteilhaft auswirkt. Dabei grenzt er den Ratgeber, dessen Empfehlungen zu
positiven Ergebnissen führen, von demjenigen ab, dessen Empfehlungen weniger Erfolg versprechend
sind.
Die nächsten Beispiele beziehen sich auf Reiz- Folge- Beziehungen.
3.1.2.3 Reiz-Folge-Beziehungen
Der Anleger entscheidet sich für den Kauf einer risikoreichen Aktie. Die innere Motivation für diesen
Kauf ist für die Behavioristen nicht von Interesse. Das Verhalten kommt zustande durch die darauf
folgende Konsequenz.
Abbildung 6: Schema einer Reiz- Folge- Beziehung mit 2 unterschiedlichen Folgebedingungen.
Quelle: Eigene Erstellung.
Möglichkeit 1 der Abbildung 6 zeigt eine Aufwärtsbewegung der Aktienkurse. Diese führt bei dem
Beispielanleger dazu, dass Personen aus seinem sozialen Umfeld ihn anerkennen und seine wahrge-
nommene Kompetenz bewundern. Der Anleger führt diese positive Verstärkung auf den Kauf der
Aktien zurück, was sein Verhalten bekräftigt. Zudem ist der Anleger nicht mehr den Anspielungen
Wirkreaktion: Kauf von
risikoreichen Aktien
Folgebedingung: 1) steigende Kurse
2) fallende Kurse
1) Positiver Verstärker: Anerkennung durch Freunde und Bekannte
Negativer Verstärker: Druck von Freunden, er würde kein Risiko wagen, fällt weg
2) Positive Bestrafung: Anleger wird belächelt
Negative Bestrafung: Anerkennung der Freunde fällt weg

15
seiner Freunde ausgesetzt, keine Wagnisse einzugehen und Risiko zu scheuen. Diese negative Kompo-
nente fällt aus der Situation weg, was die Auftretenswahrscheinlichkeit des Kaufverhaltens zusätzlich
verstärkt.
In Möglichkeit 2 der Abbildung 6 treten als Folge fallende Aktienkurse auf. Der Beispielanleger wird
nun von seinen Freunden mitleidig belächelt. Dieser negative Umstand kommt zur Folgebedingung der
fallenden Aktienkurse hinzu. Als positive Bestrafung verringert er die Auftretenswahrscheinlichkeit für
den Aktienkauf. Unter der Annahme, der Anleger hatte zuerst Erfolg mit seinen Aktien, fällt nun noch
die Anerkennung weg, die er bei seinen Freunden für Risikobereitschaft und Erfolg im Aktiengeschäft
fand. In diesem Fall wirkt zusätzlich die negative Bestrafung.
Es bleibt zu klären, warum das Verhalten beim ersten Kauf der Aktien überhaupt auftrat. Schließlich
unterstellen Behavioristen eine Erlernung jeglichen Verhaltens. Die Rückkoppelung durch die Verstär-
ker erklärt zwar die erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit, jedoch nicht das Auftreten des ersten Akti-
enkaufs. Hierbei kann argumentiert werden, dass das Verhalten zunächst durch zufälligen Versuch und
Irrtum zustande kam, worauf die Konsequenzen wirken konnten. Ein anderer Ansatz geht davon aus,
dass neues Verhalten durch die Generalisierung bereits gemachter Erfahrungen entsteht.
56
So hat der
Anleger unter Umständen schon vorher gute Erfahrungen mit Fonds oder festverzinslichen Wertpapie-
ren gemacht und generalisiert, indem er davon ausgeht, auch mit Aktien positive Renditen zu erwirt-
schaften. Auch das erlernte Verhalten kann weiter generalisiert werden. So könnte der Anleger nicht
nur verstärktes Kaufverhalten in Bezug auf eine bestimmte Aktie zeigen, sondern die gesamte Branche,
in der die Aktie angesiedelt ist, mit einbeziehen.
Bei der Wirkung von Bestrafungen kann es dazu kommen, dass der Anleger generell keine Aktien
mehr kaufen will oder seine Abneigung auf andere Gruppen von Wertpapieren überträgt, z.B. Fonds.
3.1.2.4 Grenzen der Theorie
Die Theorie der Belohnung und Bestrafung von Verhalten kann nur Gültigkeit haben, wenn die konkre-
ten Bedürfnisse und Wertvorstellungen von Personen und Gruppen bekannt sind. Was als belohnend
oder bestrafend empfunden wird, ist subjektiv geprägt. Ferner sind Verhaltensweisen für die Person
sowohl mit positiven als auch mit negativen Konsequenzen verbunden. Treten keine klaren Dominan-
zen auf, ist die weitere Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens nicht vorauszusagen.
57
So bringt
ein Verlust an der Börse auf der einen Seite die negative Konsequenz der Vermögensreduzierung
verbunden mit eventuellen Konsumeinschränkungen mit sich. Andererseits kann ein Anleger, der
innerhalb der Spekulationsfrist verkauft, einen Verlust durchaus als positiv betrachten, wenn seine
56
Vgl. Wiswede, G. (2000), S. 67.
57
Vgl. Hrsg. Irle, M. (1983), Band 4, S. 178.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2004
ISBN (eBook)
9783836609524
DOI
10.3239/9783836609524
Dateigröße
902 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Berufsakademie Berlin – Betriebswirtschaftslehre FR Bank
Erscheinungsdatum
2008 (Februar)
Note
1,0
Schlagworte
anlageverhalten behavioral finance dissonanz herdenverhalten prospect theory
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Titel: Behavioral Finance
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