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Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie

Eine Analyse der Ethikmanagement-Maßnahmen der drei umsatzstärksten amerikanischen Unternehmen der Roten Biotechnologiebranche anhand von Fallstudien

©2007 Diplomarbeit 141 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Biotechnologieunternehmen, die im Bereich der Medizin und Pharmazie agieren, sind mit außergewöhnlichen ethischen Herausforderungen konfrontiert. Die Besonderheit ihrer biotechnologischen Produkte, die nicht mit gewöhnlichen Konsumgütern gleichzusetzen sind, erfordert die Übernahme von sowohl bioethischer als auch unternehmensethischer Verantwortung. Welche Ethikmanagement-Maßnahmen die drei umsatzstärksten amerikanischen Unternehmen der Roten Biotechnologiebranche, Genentech Inc., Amgen Inc. und Genzyme Corp. anwenden, um dieser Forderung nachzukommen, wird anhand von Fallstudien erläutert. Die unternehmensethische Frage zum Ausmass der jeweiligen unternehmerischen Moral unter den Bedingungen des Wettbewerbes steht dabei im Mittelpunkt der Ausarbeitungen.
Die genannten Unternehmen wenden primär institutionalisierte – im Gegensatz zu informellen – Ethikmanagement-Maßnahmen an. Diese umschließen Verhaltensstandards, Ethikrichtlinien, Hotlines und Helplines, Ausbildung und Training, den Einsatz von Richtlinienbeauftragten, Komitees und Ombudspersonen. Die unternehmensethischen Verpflichtungen Roter Biotechnologieunternehmen wie die Produktsicherheit, die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und die ethisch korrekte Unternehmensführung erfüllen sie beispielhaft. Die analysierten Biotechnologieunternehmen, in denen ethische Grundsätze im Sinne eines Integrity-Ansatzes verankert sind, genießen in der Gesellschaft, bei Investoren und Mitarbeitern eine hohe Reputation. Es kann jedoch abschließend nicht mit Sicherheit bestätigt werden, dass das ethische Verhalten der Unternehmen eine wahre Tugend ist, oder ob es aus Eigeninteresse getätigt wird und als Mittel zur Akzeptanzbeschaffung dienen soll.
Gang der Untersuchung:
Das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Ethikmanagement-Massnahmen der drei umsatzstärksten amerikanischen Unternehmen der Roten Biotechnologiebranche zu erläutern, legt ein Vorgehen in folgenden Schritten nahe:
Kapitel 2 stellt eine Einführung in die Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen dar. Neben einer Begriffsdefinition werden die geschichtlichen Eckdaten der Biotechnologie erläutert und ihre heutigen Anwendungsfelder abgegrenzt. Unter Bezugnahme auf die Gentechnik, Gentherapie, Genmedizin und Reproduktionsmedizin wird aufgezeigt, dass im Bereich der Roten Biotechnologie diverse bioethische Probleme existieren, die eine ethische Reflexion seitens der BU notwendig machen. Um die […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Julia Hillebrandt
Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
Eine Analyse der Ethikmanagement-Maßnahmen der drei umsatzstärksten
amerikanischen Unternehmen der Roten Biotechnologiebranche anhand von Fallstudien
ISBN: 978-3-8366-0809-1
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Universität Zürich, Zürich, Schweiz, Diplomarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
Abstract
I
Abstract
Biotechnologieunternehmen, die im Bereich der Medizin und Pharmazie agieren, sind
mit aussergewöhnlichen ethischen Herausforderungen konfrontiert. Die Besonderheit
ihrer biotechnologischen Produkte, die nicht mit gewöhnlichen Konsumgütern gleichzu-
setzen sind, erfordert die Übernahme von sowohl bioethischer als auch unternehmens-
ethischer Verantwortung. Welche Ethikmanagement-Massnahmen die drei umsatz-
stärksten amerikanischen Unternehmen der Roten Biotechnologiebranche, Genentech
Inc., Amgen Inc. und Genzyme Corp. anwenden, um dieser Forderung nachzukommen,
wird anhand von Fallstudien erläutert. Die unternehmensethische Frage zum Ausmass
der jeweiligen unternehmerischen Moral unter den Bedingungen des Wettbewerbes
steht dabei im Mittelpunkt der Ausarbeitungen.
Die genannten Unternehmen wenden primär institutionalisierte ­ im Gegensatz zu in-
formellen
­
Ethikmanagement-Massnahmen an. Diese umschliessen Verhaltensstan-
dards, Ethikrichtlinien, Hotlines und Helplines, Ausbildung und Training, den Einsatz
von Richtlinienbeauftragten, Komitees und Ombudspersonen. Die unternehmensethi-
schen Verpflichtungen Roter Biotechnologieunternehmen wie die Produktsicherheit, die
Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und die ethisch korrekte Unternehmens-
führung erfüllen sie beispielhaft. Die analysierten Biotechnologieunternehmen, in denen
ethische Grundsätze im Sinne eines Integrity-Ansatzes verankert sind, geniessen in der
Gesellschaft, bei Investoren und Mitarbeitern eine hohe Reputation. Es kann jedoch
abschliessend nicht mit Sicherheit bestätigt werden, dass das ethische Verhalten der
Unternehmen eine wahre Tugend ist, oder ob es aus Eigeninteresse getätigt wird und als
Mittel zur Akzeptanzbeschaffung dienen soll.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
Inhaltsverzeichnis
III
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ... VI
Abkürzungsverzeichnis... VII
1. Einführung in die Thematik ... 1
1.1 Problemstellung ... 1
1.2 Zielsetzung ... 2
1.3 Forschungsmethode ... 3
1.4 Vorgehensweise ... 4
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen... 6
2.1 Einführung in die Biotechnologie ... 6
2.2 Die Relevanz der Ethik in der Roten Biotechnologie ... 9
2.2.1 Definition der Begriffe Moral, Ethik und Bioethik ... 9
2.2.2 Bioethische Herausforderungen in der Roten Biotechnologie ... 11
2.2.2.1 Gentechnik ... 11
2.2.2.2 Gentherapie ... 12
2.2.2.3 Genmedizin ... 13
2.2.2.4 Reproduktionsmedizin ... 14
2.2.3 Gesellschaftliche Akzeptanz der Roten Biotechnologie... 16
2.3 Zwischenrésumé... 18
3. Biotechnologieunternehmen und Unternehmensethik... 20
3.1 Definition der Unternehmensethik... 20
3.2 Vereinbarkeit von Ökonomie und Ethik ... 21
3.3 Unternehmensethische Verpflichtungen Roter Biotechnologieunternehmen. 25
3.3.1 Produktsicherheit ... 25
3.3.2 Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung ... 26
3.3.3 Unternehmensführung ... 27
3.3.4 Management von Reputationsrisiken ... 28
3.4 Verankerung ethischer Grundsätze in Unternehmen ... 32
3.4.1 Compliance-Ansatz ... 32
3.4.2 Integrity-Ansatz ... 34
3.5 Ethikmanagement-Massnahmen europäischer Biotechnologieunternehmen . 36
3.5.1 Institutionalisierte und informelle Massnahmen ... 37
3.5.2 Ausprägung eines ethischen Bewusstseins in den Unternehmen ... 38

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
Inhaltsverzeichnis
IV
3.6 Zwischenrésumé... 39
4. Ethikmanagement-Massnahmen amerikanischer Unternehmen der Roten
Biotechnologiebranche ... 43
4.1 Fallstudiendesign ... 43
4.1.1 Kriterien der Unternehmensauswahl ... 43
4.1.2 Erhebungsmethode ... 45
4.2 Fallstudie Genentech Inc... 47
4.2.1 Ethikmanagement-Massnahmen von Genentech Inc... 48
4.2.1.1 Leitbild und Werte ... 48
4.2.1.2 Verhaltensstandards ... 49
4.2.1.3 Ethikrichtlinien... 50
4.2.1.4 Prinzipien der Unternehmensführung ... 51
4.2.1.5 Hotline... 52
4.2.1.6 Richtlinienbeauftragter und Komitees ... 53
4.2.1.7 Philanthropisches Engagement ... 53
4.2.2 Fazit ... 55
4.3 Fallstudie Amgen Inc. ... 58
4.3.1 Ethikmanagement-Massnahmen von Amgen Inc... 59
4.3.1.1 Leitbild und Werte ... 59
4.3.1.2 Verhaltensstandards ... 60
4.3.1.3 Ethikrichtlinien... 61
4.3.1.4 Prinzipien der Unternehmensführung ... 62
4.3.1.5 Hotline, Richtlinienbeauftragter und Ombudsmann ... 62
4.3.1.6 Komitees ... 63
4.3.1.7 Philanthropisches Engagement ... 64
4.3.2 Fazit ... 65
4.4 Fallstudie Genzyme Corp... 69
4.4.1 Ethikmanagement-Massnahmen von Genzyme Corp. ... 70
4.4.1.1 Leitbild und Werte ... 70
4.4.1.2 Verhaltensstandards ... 70
4.4.1.3 Prinzipien der Unternehmensführung ... 73
4.4.1.4 Helpline und Richtlinienbeauftragter... 73
4.4.1.5 Komitees ... 74
4.4.1.6 Philanthropisches Engagement ... 74

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
Inhaltsverzeichnis
V
4.4.2 Fazit ... 76
4.5 Zwischenrésumé... 80
5. Schlussbetrachtungen... 83
Literaturverzeichnis ... 86
Anhang A: Abbildungen ... 106
Anhang B: Interviewprotokoll, Prof. Dr. Henrich Hasko Paradies, University of
Salford (UK)... 126

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
Abbildungsverzeichnis
VI
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Pyramid of Corporate Social Responsibility...23
Abb. 2:
Reputation Risk Management Best Practice Model...30
Abb. A-1:
Chronologie der Biotechnologie ...108
Abb. A-2:
Rechtliche Grenzen der Reproduktionsmedizin...109
Abb. A-3:
Ethikmanagment-Massnahmen in verschiedenen Bereichen...110
Abb. A-4:
Clarkson Principles for Stakeholder Management...111
Abb. A-5:
Identifikation einflussreicher Stakeholder ...111
Abb. A-6:
Kommunikationsausgaben von Fortune Most Admired Companies 112
Abb. A-7:
Ethikmanagement-Massnahmen in Europa...112
Abb. A-8:
Werte von Genentech...114
Abb. A-9:
Verhaltensstandards von Genentech ...116
Abb. A-10:
Ethikrichtlinien für das Top Management von Genentech ...118
Abb. A-11:
Werte von Amgen ...119
Abb. A-12:
Verhaltensstandards für das Top Management von Amgen ...120
Abb. A-13:
Verhaltensstandards für die Zulieferer von Amgen ...121
Abb. A-14:
Ethikrichtlinien für das Top Management von Amgen...122
Abb. A-15:
Compliance-Zertifikat von Amgen ...122
Abb. A-16:
Spendenempfänger von Amgen 2006 ...123
Abb. A-17:
Spenden von Amgen nach Fokusgebieten 2006 ...124
Abb. A-18:
Werte von Genzyme...125
Abb. A-19:
Compliance-Zertifikat von Genzyme...125

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
Abkürzungsverzeichnis
VII
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
Abs. Absatz
AOA
Amgen Oncology Assistance
Art. Artikel
ASVP
Amgen Staff Volunteer Program
BIO
Biotechnology Industry Organization
BU Biotechnologieunternehmen
CC Corporate
Citizenship
CCO
Chief Compliance Officer
CEO
Chief Executive Officer
Corp. Corporation
CSR
Corporate Social Responsibility
DNA Desoxyribonucleic
Acid
DNS Desoxyribonukleinsäure
EFB
Europäische Föderation Biotechnologie
f. folgende
ff. fortfolgende
FDA
Food and Drug Administration (USA)
GATCF
Genentech Access to Care Foundation
GG Deutsches
Grundgesetz
GGOPs
Genentech Good Operating Principles
Hrsg. Herausgeber
HOPE
Humanitarian Organization for Peace on Earth
ICSI Intrazytoplasmatische
Spermieninjektion
Inc. Incorporated
IVF
In-vitro-Fertilisation
Mio. Millionen
Mrd. Milliarden
NASDAQ
National Association of Securities Dealers Automated Quotations
NGOs
Non-Governmental
Organizations
NWF
National Wildlife Federation
NYSE
New York Stock Exchange

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
Abkürzungsverzeichnis
VIII
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
PAC
Political Action Committee
PCR
Polymerase Chain Reaction
PhRMA
Pharmaceutical Research and Manufacturers of America
PID Präimplantationsdiagnostik
QA/QC
Quality Assurance/Quality Control
RNA Ribonucleic
Acid
RPAP
Renal Patient Assistance Program
Sp. Spalte
SS&P
Strategic Sourcing and Procurement
SWOT
Strengths Weaknesses Opportunities Threads
UK United
Kingdom
UN United
Nations
US United
States
USA
United States of America
USD US
Dollar
USSC
United States Sentencing Commission
WpHG Deutsches
Wertpapierhandelsgesetz

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
1. Einführung in die Thematik
1
1. Einführung in die Thematik
1.1 Problemstellung
Biotechnologieunternehmen
(BU)
1
, die medizinische und pharmazeutische Produkte
und Dienstleistungen herstellen, sind Bestandteile zweier Domänen. Einerseits sind sie
Bestandteil des Gesundheitssystems. Die Produkte, Dienstleistungen und Verfahren,
welche sie entwickeln, haben die Verbesserung der menschlichen Gesundheit, die Ver-
ringerung menschlichen Leidens und die Verlängerung der menschlichen Lebensdauer
zum Ziel. Andererseits sind BU auch kommerzielle Gebilde, welche durch den Vertrieb
ihrer Erzeugnisse einen Gewinn für ihre Eigentümer respektive Anteilseigner generieren
wollen. Als Bestandteile dieser beiden Domänen, des Gesundheitssystems und der
Wirtschaft, stehen BU ethischen Herausforderungen zweier Dimensionen gegenüber.
2
Zum einen sind sie mit bioethischen Herausforderungen konfrontiert, die ihrer Beteili-
gung am Gesundheitssystem und ihrem Engagement in den Biowissenschaften ent-
stammen, denn a
lle biotechnologischen Innovationen stehen potentiell mit ethischen
Problemfeldern in Verbindung.
3
Zum anderen müssen sich die Unternehmen unterneh-
mensethischen Herausforderungen stellen, die auf ihrer kommerziellen Beteiligung an
der Wirtschaft basieren. Anliegen in diesem Bereich schliessen etwa die Produktsicher-
heit, die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung und die verantwortungsbewusste
Unternehmensführung ein.
4
Aufgrund der Einzigartigkeit ihrer Produkte, die nicht mit
gewöhnlichen Konsumgütern gleichzusetzen sind, erwächst für BU folglich sowohl
bioethische als auch spezielle unternehmensethische Verantwortung. Die Übernahme
einer solchen ethischen Verantwortung ist eine Voraussetzung, um gesellschaftliche
Akzeptanz sowie unternehmerische Freiheit und Wettbewerbsfähigkeit unter heutigen
Bedingungen zu sichern.
5
Die rasante Marktentwicklung und das Wachstum in den ver-
schiedensten Segmenten der Biotechnologie haben insbesondere im Bereich der Roten
Biotechnologie (Medizin, Pharmazie) Kritiker und Ethiker
6
auf den Plan gerufen.
7
Ge-
1
Hierbei handelt es sich um eine selbst gewählte Abkürzung, die in dieser Arbeit als verkürzte Darstel-
lungsform zur Leseerleichterung beitragen soll.
2
Vgl. MacDonald (2004), S. 71 f.
3
Vgl. Kato/Macer (2003), S. 153.
4
Vgl. MacDonald (2004), S. 72 f.
5
Vgl. Scherer/Patzer (2006), S. 42 (in Anlehnung an Parsons (1960) und Pfeffer/Salancik (1987)) und
Dresser (2006), S. 121 ff.
6
Im Folgenden steht die männliche Form stellvertretend für beide Geschlechter.
7
Vgl. Finegold et al. (2005), S. 1 f. Eine genaue Definierung der Roten Biotechnologie wird in Kapitel
2.1 vorgenommen.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
1. Einführung in die Thematik
2
fördert durch das intensive Medien- und Öffentlichkeitsinteresse sind BU Reputationsri-
siken ausgesetzt, die in dieser Form in anderen Branchen nicht existieren.
8
Die öffentli-
che Debatte über ethische und soziale Aspekte der Biotechnologie hat einen Rechtferti-
gungsdruck erzeugt und Unternehmen dazu gezwungen, sich mit diesen Belangen aus-
einanderzusetzen.
BU müssen Massnahmen ergreifen, um bio- und unternehmensethi-
sche Probleme zu reduzieren bzw. zu verhindern und um ihre Aktivitäten auf einer ge-
sellschaftlich erteilten Legitimationsbasis ausführen zu können.
9
1.2 Zielsetzung
In dieser Diplomarbeit werden die bioethischen und unternehmensethischen Herausfor-
derungen Roter BU herausgearbeitet, die aus der Tätigkeit der Unternehmen im medizi-
nischen bzw. pharmazeutischen Bereich resultieren. Es wird dargelegt, dass die Unter-
nehmen bio- und unternehmensethische Verantwortung übernehmen müssen, da ihre
Produkte und Verfahren Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und ihre un-
ternehmerischen Aktivitäten Auswirkungen auf das gesellschaftliche und ökologische
Umfeld haben. Das Ziel dieser Arbeit ist sodann die Erörterung jener Massnahmen, die
von den drei umsatzstärksten amerikanischen Unternehmen der Roten Biotechnologie-
branche, Genentech Inc., Amgen Inc. und Genzyme Corp.
10
als proaktive oder reaktive
Erwiderung auf die öffentliche Debatte über moralisch relevante Aspekte der Biotech-
nologie und auf gesellschaftspolitische Forderungen angewendet werden. Da europäi-
schen Unternehmen noch weitgehend eigene Produkte fehlen
11
, werden Unternehmen
aus den USA, dem Pionierland der Biotechnologieindustrie, zur Analyse herangezogen.
Aufgrund der erfolgreichen Etablierung bzw. des hohen Umsatzes der zu analysieren-
den Unternehmen ist anzunehmen, dass sie bereits mit bio- und unternehmensethischen
Herausforderungen konfrontiert wurden und Massnahmen etabliert haben, um diese zu
meistern. Die ausgewählten Unternehmen werden eingehend analysiert und folgende
Fragen beantwortet:
· Welche Ethikmanagement-Massnahmen wenden die Unternehmen an?
· Sind ethische Grundsätze im Sinne eines Compliance- oder Integrity-Ansatzes in
den Unternehmen verankert?
8
Vgl. Moon/Piper (2001), S. 309.
9
Vgl. Kleinfeld (2001), S. 122.
10
Im folgenden Verlauf dieser Arbeit wird auf die Nennung der Gesellschaftsformen Incorporated (Inc.)
und Corporation (Corp.) verzichtet.
11
Vgl. Riewenherm (2000), S. 4.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
1. Einführung in die Thematik
3
· Erfüllen die Unternehmen die unternehmensethischen Verpflichtungen Roter BU?
Mit dieser Diplomarbeit, welche sich an Unternehmen, ihre Manager und Forscher rich-
tet, werden folglich Einsichten in die Instrumentarien geliefert, die von den grössten
Industrie-Playern ergriffen werden, um es dem Leser zu ermöglichen, sich das Wissen
dieser erfahrenen Unternehmen zu Nutze zu machen. Die Darstellung der drei Unter-
nehmensbeispiele dient vor allem der Sensibilisierung für die verschiedenen Möglich-
keiten, mit ethischen Herausforderungen umzugehen. Fernerhin ist beabsichtigt, mit
dieser Diplomarbeit einen Beitrag zur bestehenden unternehmensethischen Literatur zu
leisten, denn: ,,For whatever reason, business ethics issues that arise in the field of bio-
technology have received surprisingly little attention."
12
1.3 Forschungsmethode
Die Kapitel 2 und 3 stellen die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit dar und liefern
eine Aufarbeitung der Literatur zum jeweiligen Kapitelthema. Ein Experteninterview,
welches mit Prof. Dr. Henrich Hasko Paradies von der University of Salford geführt
wurde, ermöglicht weitere Einsichten in das Fachgebiet der Roten Biotechnologie und
ihre bioethischen Implikationen. Kapitel 4 umfasst Fallstudien von amerikanischen BU,
die biotechnologische Medikamente produzieren und im Bereich der Organtransplanta-
tion und des genetischen Testens tätig sind. Da spezifische, zur Beantwortung der vor-
liegenden Fragestellungen relevante Firmeninformationen nur auf den Webseiten der zu
analysierenden BU verfügbar sind, stellen die webbasierten Dokumente das Hauptana-
lysematerial der Fallstudien dar. Zur Verdeutlichung der Ethikmanagement-
Massnahmen werden insbesondere Dokumente über konkrete Bemühungen der ausge-
wählten Unternehmen verwendet. Abgesehen von der Führung des Experteninterviews
beruht diese Diplomarbeit folglich auf einer Dokumentenanalyse, wobei der Internetre-
cherche zur Erarbeitung der Fallstudien eine besondere Bedeutung zukommt. Das fall-
spezifische Vorgehen zur Analyse der Ethikmanagement-Massnahmen der ausgewähl-
ten BU bietet sich gemäss Yin (2003) an, da
1. eine ,,Warum"- und ,,Wie"-Fragestellung vorliegt und Begründungen (warum)
und Situationsbeschreibungen (wie) nicht allgemeingültig beantwortet werden
12
MacDonald (2004), S. 72. Eine informelle Untersuchung des Autors hat ergeben, dass die beiden füh-
renden Zeitschriften im Gebiet der Unternehmensethik, das Journal of Business Ethics und Business E-
thics Quarterly in der fünfjährigen Zeitperiode von 1997-2002 nur sieben Artikel veröffentlicht haben,
die Biotechnologie thematisieren. Eine eigene Recherche der Verfasserin hat ergeben, dass sich diese
Quote auch im Zeitraum von 2003-2007 nicht verbessert hat. Beide Zeitschriften haben in dieser Zeit-
spanne zusammen nur zehn Artikel veröffentlicht, die Biotechnologie thematisieren.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
1. Einführung in die Thematik
4
können.
2. die Fallstudie seitens des Forschers keine Kontrolle über Verhalten respektive
Variablen erfordert, wie z.B. in einem Experiment bzw. Laborsetting.
3. der Fokus auf ein zeitgenössisches ­ und kein historisches ­ Phänomen gerichtet
ist.
13
Es werden bewusst drei Unternehmen zur Analyse ausgewählt, denn: ,,The evidence
from multiple cases is often considered more compelling, and the overall study is there-
fore regarded as being more robust."
14
Um den Validitätsanforderungen gemäss Yin
(2003) zu genügen, werden unterschiedliche Recherchequellen sowie wissenschaftliche
Studien zu anderen Unternehmen herangezogen.
15
1.4 Vorgehensweise
Das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Ethikmanagement-Massnahmen der drei umsatz-
stärksten amerikanischen Unternehmen der Roten Biotechnologiebranche zu erläutern,
legt ein Vorgehen in folgenden Schritten nahe:
Kapitel 2 stellt eine Einführung in die Biotechnologie und ihre bioethischen Implikati-
onen dar. Neben einer Begriffsdefinition werden die geschichtlichen Eckdaten der Bio-
technologie erläutert und ihre heutigen Anwendungsfelder abgegrenzt. Unter Bezug-
nahme auf die Gentechnik, Gentherapie, Genmedizin und Reproduktionsmedizin wird
aufgezeigt, dass im Bereich der Roten Biotechnologie diverse bioethische Probleme
existieren, die eine ethische Reflexion seitens der BU notwendig machen. Um die Sen-
sibilität der Gesellschaft gegenüber diesen Anwendungsfeldern zu veranschaulichen,
werden zudem die Ergebnisse einer Studie zur Akzeptanzforschung von Renn (2005)
vorgestellt. Ein Zwischenrésumé, welches die bisher gewonnenen Erkenntnisse zusam-
menfasst, bildet den Abschluss des zweiten Kapitels.
Kapitel 3 thematisiert die Unternehmensethik, da BU neben den in Kapitel 2 beschrie-
benen bioethischen auch unternehmensethischen Herausforderungen gegenüber stehen.
Zunächst wird die Vereinbarkeit von Ökonomie und Ethik diskutiert und betont, dass
eine Koexistenz möglich, ja geradezu notwendig ist. Basierend auf dieser Argumentati-
13
Vgl. Yin (2003), S. 1 und S. 5.
14
Yin (2003), S. 46, in Anlehnung an Herriott/Firestone (1983).
15
Vgl. Yin (2003), S. 33 ff.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
1. Einführung in die Thematik
5
on werden unternehmensethische Verpflichtungen Roter BU diskutiert, deren Erfüllung
sich auf die Reputation eines BU auswirkt. Es werden dabei die Best Practice Kriterien
eines effektiven Managements von Reputationsrisiken nach Moon und Piper (2001)
dargelegt, um diese zur Erarbeitung der Unternehmensfallstudien im vierten Kapitel
heranziehen zu können. Da die Wahrnehmung sozialer Verantwortung und die Veranke-
rung ethischer Grundsätze in den Unternehmen variiert, wird diesbezüglich eine Klassi-
fikation in drei Ansätze vorgenommen: Markt-, Compliance- und Integrity-Ansatz. Das
jeweilige Ethikbewusstsein, welches den einzelnen Ansätzen zugrunde liegt, wird skiz-
ziert, um es ebenfalls für die Analyse der ausgewählten Unternehmen im vierten Kapitel
anwendbar zu machen. Im Anschluss daran werden anhand einer Studie von Kleinfeld
(2001) die Ethikmanagement-Massnahmen europäischer BU verschiedener Sektoren
und Grössen erläutert, um einen Bezug zu den in der Praxis verwendeten Instrumenta-
rien herzustellen und einen Übergang zum folgenden Fallstudienkapitel zu schaffen.
Wiederum dient ein Zwischenrésumé zum Abschluss des Kapitels dazu, die Möglich-
keit der gedanklichen Nachvollziehung der Untersuchung zu erhöhen.
Kapitel 4 stellt das zentrale Kapitel dieser Arbeit dar. Es führt die zuvor angeeigneten
theoretischen Grundlagen bei der Erarbeitung der Unternehmensfallstudien zusammen.
Zunächst werden die zur Unternehmensauswahl angewendeten Kriterien sowie die Er-
hebungsmethode der Untersuchung beschrieben. Jeder Fallstudie wird sodann ein Un-
terkapitel gewidmet. Anfänglich werden in Kürze die wichtigsten Eckdaten der Firmen
und die Anwendungsgebiete ihrer Produkte dargestellt. In einem nächsten Schritt wer-
den ihre jeweiligen Ethikmanagement-Massnahmen ausführlich beschrieben. Basierend
auf den Analyseergebnissen wird im Fazit jeder Fallstudie anhand der zuvor erläuterten
Klassifikation aus Abschnitt 3.4 identifiziert, ob ethische Grundsätze in den Unterneh-
men verankert sind, ob sie die unternehmensethischen Verpflichtungen Roter BU erfül-
len, und ob ihr Management von Reputationsrisiken den Best Practice Kriterien, wie in
Passage 3.3.4 beschrieben, genügt. Im abschliessenden Zwischenrésumé werden die
Resultate der Fallstudien zusammengefasst und verglichen.
Kapitel 5 fasst die Hauptaussagen dieser Arbeit in komprimierter Form zusammen und
liefert eine kritische Stellungnahme zu den Ergebnissen der Untersuchung.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
6
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
2.1 Einführung in die Biotechnologie
Der Begriff ,,Biotechnologie" wurde 1919 durch den ungarischen Ingenieur Karl Ereky
geprägt.
16
Aus gängigen Definitionen ergibt sich ein sehr breites Anwendungsgebiet
biotechnologischer Verfahren. Die Europäische Föderation Biotechnologie (EFB) ver-
steht die Biotechnologie als ,,das Zusammenwirken von Naturwissenschaften und Tech-
nik mit dem Ziel, Organismen, Zellen und Teile davon oder entsprechende Moleküle für
Produkte und Dienstleistungen zu nutzen (...)".
17
Heiden und Zinke (2006) erklären,
dass die Biotechnologie nicht nur auf Erkenntnissen anderer wissenschaftlicher Diszi-
plinen, wie der Mikro-, Molekular- und Zellbiologie, Chemie, Immunologie, Virologie
und der (Bio-)Verfahrenstechnik basiert, sondern vielmehr auch Instrumente und Er-
kenntnisse der Sozialwissenschaften integriert, um eine wirtschaftliche und durch die
Gesellschaft akzeptierbare praktische Umsetzung der gewonnen Erkenntnisse zu be-
werkstelligen.
18
Die Autoren konstatieren: ,,Eben in dieser interdisziplinären Herange-
hensweise, die die konventionellen Grenzen klassischer Wissenschaftsbereiche schon
lange überwunden hat, liegt die Faszination und das enorme Potential dieser Zukunfts-
technologie."
19
Da die verschiedensten Segmente der Biotechnologie, die ähnlich wie die Informations-
und Kommunikationstechnologie als bedeutendste Schlüsseltechnologie des 21. Jahr-
hunderts gilt, eine rasante Marktentwicklung aufweisen, werden grosse Erwartungen in
diesen Wachstumsmotor gesetzt.
20
Prof. Dr. Henrich Hasko Paradies von der University
of Salford, mit dem für die vorliegende Arbeit ein eingehendes Fachinterview zum
Thema der Biotechnologie geführt wurde, bemerkt:
,,Mit Hilfe der Biotechnologie lassen sich z.B. biologische und chemische Analyse-
techniken verfeinern und vor allem kostengünstiger und schneller gestalten. Neue
und alte Berufssparten werden ausgebaut bzw. entstehen. Die Biotechnologie mit
allen ihren neuen Varianten und ihren etablierten Sparten ist zu vergleichen mit der
Umstellung des Cargoverkehrs von der Eisenbahn zum Luftverkehr und Massen-
tourismus."
21
16
Vgl. Lippold (2004).
17
EFB (1994), S. 1.
18
Vgl. Heiden/Zinke (2006), S. 5.
19
Heiden/Zinke (2006), S. 5.
20
Vgl. Heiden/Zinke (2006), S. 5, Ulber/Soyez (2004), S. 172 f. und Manager Magazin (1998), S. 252.
21
Paradies (2007), Anhang B, 1.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
7
Nicht zuletzt aufgrund von Wortneuschöpfungen wie ,,Genfood", ,,Klonen", ,,transgene
Tiere" oder ,,Gentherapie", die in den alltäglichen Sprachgebrauch Eingang gefunden
haben oder dem in breiten Bevölkerungsschichten bekannten, geklonten Schaf ,,Dolly"
entsteht der Eindruck, dass die Biotechnologie eine Errungenschaft der letzten zwei
Jahrzehnte ist.
22
Die Gentechnik ist jedoch nur ein Fachgebiet der Biotechnologie. Ver-
steht man unter der Biotechnologie ,,die technische Nutzung biologischer Systeme zur
gezielten Herstellung von Produkten"
23
, so reichen die Ursprünge dieser vermeintlich
modernen Wissenschaft bereits Jahrtausende in der Menschheitsgeschichte zurück.
24
Dennoch stammt ein Grossteil des theoretischen Wissens der modernen Biotechnologie
aus dem späten 20. Jahrhundert. Gemäss Lippold (2004) wird die Geburtsstunde der
Biotechnologie im wissenschaftlichen Sinne häufig auf das Jahr 1977 festgelegt, in dem
erstmalig das Klonen
25
eines menschlichen Gens und die gentechnische Herstellung des
menschlichen Wachstumshormons Somatostatin durch ein Bakterium gelang.
26
1982
wurde menschliches Insulin als erstes gentechnisch hergestelltes Medikament ver-
kauft.
27
Während bereits weitere biotechnologische Produkte auf den Markt kamen,
wurde in den achtziger und neunziger Jahren der genetische Aufbau immer komplexerer
Organismen entschlüsselt und das Klonen von Lebewesen machte immer schnellere
Fortschritte.
28
Da sich die heutigen Anwendungsmöglichkeiten biologischer Verfahren auf unter-
schiedliche Technologiesektoren erstrecken, wird die Biotechnologie in verschiedene
Kategorien bzw. in eine Farbskala gegliedert. Die Weisse, Grüne und Rote Biotechno-
logie gelten als klassische Vertreter bereits als etabliert. Zusätzlich wird eine Unter-
scheidung in Blaue, Graue, Braune und Gelbe Biotechnologie vorgenommen.
29
Die
Blaue Biotechnologie richtet ihren Fokus auf die Erforschung und industrielle Nutzung
biologischer Organismen der Weltmeere. Die Graue Biotechnologie, die oft als Syn-
onym für die Weisse Biotechnologie verwendet wird, beinhaltet klassische Vorgänge
22
Vgl. Lippold (2004).
23
Lippold (2004).
24
Vgl. Scheller (1988), S. 11.
25
Der Begriff ,,Klon" bezeichnet die genetisch identische Kopie eines Lebewesens. Diese entsteht durch
das ,,Klonen", d.h. ungeschlechtliche Zweiteilung (vgl. Oduncu (2001), S. 113).
26
Vgl. Lippold (2004). Diesen Meilenstein setzte das ein Jahr zuvor gegründete erste BU der Welt Ge-
nentech, dessen Ethikmanagementaktivitäten ­ neben denjenigen von Amgen und Genzyme ­ in Kapitel
4 analysiert werden.
27
Auch hinter diesem Erfolg steht die Firma Genentech.
28
Vgl. Lippold (2004). Abb. A-1 zeigt die wichtigsten Daten und wissenschaftlichen Errungenschaften
der Biotechnologie in chronologischer Form auf.
29
Vgl. Lippold (2006), S. 1 ff.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
8
wie die Fermentierung und die Bestrebung, Biotechnologie für den Umweltschutz ein-
zusetzen. Jedoch wird die auf den Umweltschutz ausgerichtete Disziplin mitunter auch
als Braune Biotechnologie bezeichnet.
Auch die Definition der Gelben Biotechnologie
ist gemäss Lippold (2006) noch nicht gefestigt. Sie wird vereinzelt als Biotechnologie
der Lebensmittel oder der Herstellung von chemischen Grundstoffen definiert.
30
Die
Anwendungsfelder der ,,drei großen Grundfarben"
31
sind hingegen gesichert. Die Weis-
se Biotechnologie nutzt biologische Mittel für die Optimierung industrieller Prozesse
und der Umweltverträglichkeit und findet beispielsweise in der Chemie-, Textil- oder
Lebensmittelindustrie Anwendung.
32
Die Grüne Biotechnologie umfasst die gentechni-
sche Veränderung von landwirtschaftlichen Nutztieren und Pflanzen zur Verbesserung
ihrer Eigenschaften oder zur Übertragung neuer Eigenschaften.
33
Innerhalb dem ,,Regenbogen der Biotechnologie"
34
befasst sich diese Arbeit mit der
Roten Biotechnologie, welche diejenigen Bereiche umfasst, die medizinische und
pharmazeutische Anwendungen zum Ziel haben. Die Rote Biotechnologie kann in drei
wesentliche Produktgruppen bzw. Verfahren eingeteilt werden: die Entwicklung von
Diagnostika, die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen sowie der Beitrag
der Biotechnologie zur Gentherapie und Reproduktionsmedizin.
35
Da BU, die im Be-
reich der Medizin und Pharmazie tätig sind, Produkte und Dienstleistungen herstellen,
die sich von gewöhnlichen Konsumgütern und den Produkten der BU anderer Sparten
unterscheiden, muss der Roten Biotechnologie erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet wer-
den:
,,Die Rote Biotechnologie steht im Dienst der Gesundheit und verdient daher eine
besondere Beachtung. Sie ist ein grosser Hoffnungsträger für eine humanere Zu-
kunft, in der Krankheiten und Altern mit weniger Leiden verbunden sein werden.
Jedoch haben auch ethische Gesichtspunkte in der Sparte der Roten Biotechnologie
eine besondere Bedeutung."
36
Die Unterschiede der biotechnologischen medizinischen und pharmazeutischen Produk-
30
Vgl. Lippold (2006), S. 3.
31
Lippold (2006), S. 3.
32
Vgl. Lippold (2006), S. 2.
33
Vgl. Stäudel/Werber (2003), S. 3 f. Paradies (2007) erläutert, dass sich die Grüne Biotechnologie in
Europa momentan in einer Art Stillstand befindet. Er macht die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz und
die politische Uneinigkeit auf europäischer Ebene dafür verantwortlich. Er legt jedoch ferner dar, dass in
der Agrobiotechnologie und in der Lebensmittelindustrie ein grosses wirtschaftliches Potential steckt und
momentan nur eine ,,(...) Verzögerung einer verstärkten wirtschaftlichen Nutzung in diesem Bereich
(...)" vorliegt (Paradies (2007), Anhang B, 4.).
34
Lippold (2006), S. 1.
35
Vgl. BIOPRO (2006). Für eine Stellungnahme von Paradies (2007) zu den konkreten Ergebnissen, die
von der Roten Biotechnologie bzw. Gentechnik bisher erzielt wurden, siehe Anhang B, 2.
36
Paradies (2007), Anhang B, 5.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
9
te bringen aussergewöhnliche ethische Verantwortlichkeiten für die produzierenden
Unternehmen mit sich. Dresser (2006) beispielsweise ist der Meinung, dass einer In-
dustrie, die Produkte entwickelt und vermarktet, welche die menschliche Gesundheit
fördern, stärkere ethische Verpflichtungen zugewiesen werden sollten als Industrien,
welche gewöhnliche Konsumprodukte bzw. Verbrauchsgegenstände herstellen.
37
Auch
Angell (2004) führt an: ,,If prescription drugs were like ordinary consumer goods, all
this might not matter very much. But drugs are different. People depend on them for
their health and even their lives."
38
Bevor die unternehmensethischen Verpflichtungen Roter BU, welche auf dieser Beson-
derheit der medizinischen und pharmazeutischen Produkte beruhen, im dritten Kapitel
thematisiert werden, sollen zunächst grundlegende philosophische Begriffe erläutert und
die moralischen und bioethischen Probleme dargestellt werden, die mit den Produkten
und Verfahren der Roten Biotechnologie in Verbindung stehen und von BU berücksich-
tigt werden müssen.
2.2 Die Relevanz der Ethik in der Roten Biotechnologie
Die Rote Biotechnologie besitzt das Potential zu einer Vervollkommnung der Natur.
Eine Art Heilserwartung wird auf diese Wissenschaft übertragen. Als Kehrseite dazu
wird ausgemalt, dass den manipulierenden Wissenschaftlern die Kontrolle über ihre
Experimente entgleiten kann.
39
Es
stellt sich daher grundsätzlich die Frage, ob das, was
technisch bzw. medizinisch möglich ist, auch moralisch verantwortet werden kann. Zu-
nächst empfiehlt es sich, eine Klärung und Abgrenzung der Begriffe ,,Moral", ,,Ethik"
und ,,Bioethik" vorzunehmen, welche die philosophische Grundlage dieser Arbeit dar-
stellen.
2.2.1 Definition der Begriffe Moral, Ethik und Bioethik
Moral bezeichnet die in Gruppen, Organisationen oder ganzen Gesellschaften zugrunde
liegenden und als verbindlich akzeptierten ethisch-sittlichen Normen
40
, Tugenden
41
und
37
Vgl. Dresser (2006), S. 121.
38
Angell (2004), S. xix.
39
Vgl. Stäudel/Werber (2003), S. 2.
40
Gemäss Hoerster (2003) ist eine Norm ,,im Allgemeinen eine Aufforderung zu einem bestimmten Ver-
halten. Sie wird damit zur Steuerung und Lenkung von Verhalten eingesetzt und erscheint je nach Kon-
text bezogen auf ein Verhalten als Befehl, Vorschrift, Anweisung, Forderung, Anleitung, Regel, Richt-
schnur, Ersuchen oder Bitte" (vgl. Hoerster (2003), S. 43).
41
Die Tugend bezieht sich auf die ,,Qualität eines Handelns, das sich einem unbedingten Anspruch (dem
Guten) verpflichtet weiß" (vgl. Kluxen (1999), S. 189).

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
10
Werturteile
42
. Diese richten sich durch verschiedene Formen von Geboten und Verboten
an die spezifizierten sozialen Einheiten.
43
Moralisches Handeln liegt dann vor, wenn die
als allgemein verbindlich anerkannten Normen, Werturteile und Tugenden beachtet
werden.
44
Ethik ist die philosophische Wissenschaft vom sittlichen Handeln und Verhalten des
Menschen. Sie hat die Aufgabe, die in Gruppen, Organisationen und Gesellschaften
geltenden Normen und Werte kritisch zu hinterfragen, d.h. zu reflektieren, ob das, was
als moralisch gilt, auch wirklich gut und richtig ist.
45
Ethik ist folglich als ein methodi-
sches Nachdenken über die herrschende Moral, als die Theorie der moralischen Praxis
zu bezeichnen.
46
Die Bioethik ist ein Teilgebiet der philosophischen Ethik. Der Begriff ,,Bioethik" wurde
angesichts der rasanten biomedizinischen Entwicklungen zu Beginn der siebziger Jahre
in den USA eingeführt.
47
Mit der Entwicklung neuer Technologien und dem damit ein-
hergehenden Wandel der Rahmenbedingungen der Medizin wurden schwierige morali-
sche Fragen aufgeworfen. Die Bioethik, welche diese Fragen philosophisch angeht, ist
als eine Erweiterung der Medizinethik
48
zu sehen, welche auf die Bearbeitung von Pro-
blemstellungen in der Medizin beschränkt ist.
49
Die Bioethik beschäftigt sich konkret
mit den sittlichen Fragen und Verhaltensweisen im Umgang mit Lebewesen und Natur
sowie mit medizinischen und biotechnischen Anwendungen. Düwell und Steigleder
(2003) bezeichnen die Bioethik als ,,eine im Kern philosophische Medizinethik, die sich
von der traditionellen Standesethik unterscheidet, mit Erweiterungen um medizinnahe
Problemstellungen in der Biologie".
50
Überdies führen die Autoren aus, dass es in der
Bioethik darum geht, ,,mit Hilfe der methodischen Möglichkeiten der philosophischen
Ethik Problemkontexte zu untersuchen, in denen der Umgang mit dem «Lebendigen» zu
42
Ein Werturteil ist ,,ein Urteil über den Wert einer Sache oder Handlung" (vgl. Brockhaus (1996f), S.
98).
43
Vgl. Pieper (2000), S. 32.
44
Vgl. Brockhaus (1996e), S. 125.
45
Vgl. Honecker (1993), S. 249.
46
Es lassen sich drei Typen ethischer Theorien unterscheiden. Die deskriptive Ethik versteht sich als
wertneutrale Beschreibung und Erklärung von Normen, ohne selbst Normen setzen zu wollen. Die norma-
tive Ethik macht normative Aussagen darüber, woran sittliches Handeln zu messen ist und was moralisch
richtig bzw. falsch ist. Die Metaethik analysiert wertneutral den sprachlich-logischen Status moralischer
Begriffe und beschäftigt sich mit der Bedeutung und Verwendung ethischer Begriffe und der Frage nach
der Begründbarkeit von Werturteilen (vgl. Quante (2003), S. 16 ff.).
47
Vgl. Düwell/Steigleder (2003), S. 12. Der englische Begriff ,,Bioethics" wird im angloamerikanischen
Raum weitgehend mit ,,Medical Ethics" gleichgesetzt.
48
Die Medizinethik wird definiert als ,,die sittlichen Prinzipien und Verhaltensregeln, denen (...) ärztli-
ches Handeln Folge leisten soll" (Brockhaus (1996c), S. 411).
49
Vgl. Düwell/Steigleder (2003), S. 23.
50
Düwell/Steigleder (2003), S. 21.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
11
einem Problem geworden ist".
51
Eine abschliessende Definition, welche weitere Aspekte
und die Bedeutung der Bioethik für Unternehmen einbezieht, stammt von Dhanda
(2005):
,,Bioethics represents the body of theory that frames the ethical and moral dimen-
sions of biological and medical research. In many ways, it is a barometer of the so-
cial acceptance, resistance, or apathy towards new technological developments. For
a corporation, it also represents a strategic tool that can pinpoint areas of weakness
and opportunity."
52
Welche moralischen und bioethischen Dimensionen die Produkte und Verfahren der
Roten Biotechnologie beinhalten, mit denen BU konfrontiert sind, wird in den folgen-
den Abschnitten erläutert.
2.2.2 Bioethische Herausforderungen in der Roten Biotechnologie
Mit den neuen Möglichkeiten der Einflussnahme und Kontrolle der Prozesse des Le-
bens, welche die Erweiterung des biologischen und medizinischen Wissens mit sich
bringt, stellen sich zahlreiche ethische Fragen, die stark umstritten sind.
53
Diese Fragen
betreffen die Produkte und Verfahren der Gentechnik, Gentherapie, Genmedizin und
Reproduktionsmedizin. Der Fortschritt und das Vorstossen in Grenzbereiche führen zur
Auseinandersetzung mit der Frage, was sittlich geboten und was noch sittlich richtig
ist.
54
Im Folgenden werden die zentralen Verfahren der Roten Biotechnologie vorge-
stellt und wesentliche Gesichtspunkte ethischer Reflexion dazu vorgestellt.
2.2.2.1 Gentechnik
Die Gentechnik befasst sich mit der Isolierung, Bestimmung und Neukombination von
Erbmaterial. Durch Einbringung fremder Gene
55
kann das Erbgut lebender Organismen
gezielt verändert und so nicht-natürlich vorhandenes Leben hergestellt werden.
56
Die
Gentechnik und ihre Methoden haben in den vergangenen Jahrzehnten eine rapide Fort-
entwicklung erfahren und werden in den Medien und der Öffentlichkeit intensiv disku-
tiert. Da die Möglichkeiten der Genmanipulation Vorstellungen von Individualität, Na-
51
Düwell/Steigleder (2003), S. 9.
52
Dhanda (2005), S. 94.
53
Vgl. Oduncu (2001), S. 116.
54
Vgl. Oduncu (2001), S. 113.
55
Die Gene bezeichnen die Erbanlagen von Pflanzen und Lebewesen. Sie sind für alle im Leben eines
Organismus ablaufenden Zellfunktionen verantwortlich (vgl. Brockhaus (1996a), S. 304).
56
Vgl. Stäudel/Werber (2003), S. 1. Die Übertragung von DNA von einem Organismus in einen anderen
bzw. die gentechnische Umlagerung von Erbgut wird als ,,rekombinante DNA-Technologie" bezeichnet
(vgl. Lexikon Medizin (1997), S. 1465).

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
12
tur und einem respektvollen Umgang mit dem Seienden untergraben, sind die Diskussi-
onen deutlich emotional geladen. Paradies (2007) äussert sich bedenklich: ,,Mögliche
Veränderungen können nicht mehr rückgängig gemacht werden. Gentechnisch verän-
derte Organismen könnten sich zukünftig in der Umwelt verbreiten und die Evolution in
kaum vorhersehbarer Weise beeinflussen."
57
Demgegenüber stehen Vorstellungen, mit-
tels Genmanipulationen Leid abwenden zu können, aber auch umfangreiche wirtschaft-
liche Interessen, wie die gentechnische Herstellung von Medikamenten oder die Paten-
tierung der Erbinformationen beliebiger Lebewesen.
58
2.2.2.2 Gentherapie
Mit Hilfe der Gentherapie können anomale Funktionen von Genen korrigiert werden. Es
ist bei gentherapeutischen Eingriffen zwischen der Korrektur von Gendefekten in Kör-
perzellen im Sinne einer Heilung im Einzelfall (somatische Gentherapie) und den Ver-
änderungen der Keimbahn (Keimbahntherapie respektive Stammzellentherapie) und
somit der Vererbbarkeit einer eingeführten genetischen Veränderung zu differenzieren.
59
Die somatische Gentherapie, die defekte Gene durch Einführung funktioneller Gene in
Körperzellen eines Kranken ersetzt, ist mit einer Organtransplantation vergleichbar. Sie
unterliegt Verpflichtungen wie dem Respekt vor dem Leben, der Wahrung der Integrität
der behandelten Person sowie der Vertraulichkeit gesammelter Daten.
60
Im Gegensatz zur somatischen Gentherapie bestehen bei der Keimbahntherapie, welche
fundamental in die Funktionsweise eines Organismus eingreift, weitaus erheblichere
Bedenken. Fagan (1999) äussert Sicherheitsbedenken, die jeden Menschen betreffen. Er
argumentiert, dass trotz aller Fortschritte in der Keimbahntherapie immer die Gefahr
von unkontrollierten genetischen Veränderungen und schädlichen Nebenwirkungen
bestehen wird, und dass jede gentechnische Manipulation Mutationen heraufbeschwört,
die nicht nur den einzelnen Menschen, sondern auch alle seine Nachkommen betref-
fen.
61
Wilson (1999) formuliert daher die zentralen ethischen Fragestellungen der Gen-
57
Paradies (2007), Anhang B, 7. Paradies problematisiert eine weitere potentielle negative Auswirkung:
,,Gentechnisch veränderte Mikroorganismen sowie Toxine und Viren werden zukünftig im Falle einer
Kriegsführung eine immer grössere Rolle spielen. Influenza-Viren können beispielsweise durch Aerosole
[Anm. d. Verf.: Ein Aerosol ist ein Gemisch aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen und Luft] weit in
das Hinterland getragen werden. Es wird aber auch möglich sein, dass Impfstoffe entwickelt werden kön-
nen, die in der Lage sind, die negativen Auswirkungen solcher Geschehnisse zumindest zu mildern. Das
ist der Preis des Fortschrittes: Er muss nicht immer nur positiv sein" (vgl. Paradies (2007), Anhang B, 7.).
58
Vgl. Stäudel/Werber (2003), S. 1.
59
Vgl. Stadler (1999), S. 22.
60
Vgl. Stadler (1999), S. 23.
61
Vgl. Fagan (1999), S. 23.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
13
therapie folgendermassen: ,,Dürfen Menschen ihre Gene und die ihrer Nachkommen
nach Belieben modellieren?" und ,,nach welchen Kriterien wird man entscheiden, wie
viel DNA-Flickerei noch moralisch ist?"
62
Auch das therapeutische Klonen
63
menschlicher Embryonen wirft schwere ethische Fra-
gen, wie die Zulässigkeit der Forschung an embryonalen Stammzellen, auf. Diese es-
senzielle bioethische Frage führt zur Definition des Lebensbeginns. Ab wann ist dem
menschlichen Leben die volle und uneingeschränkte Menschenwürde
64
, die in den Ver-
fassungen aller liberalen Demokratien anerkannt wird, und somit der volle Lebens-
schutz
65
zuzugestehen? Die Diskrepanzen zu diesem Thema in der bioethischen Debatte
nehmen umso stärker zu, je später dem beginnenden Leben die volle Menschenwürde
zugesprochen wird.
66
2.2.2.3 Genmedizin
Im Unterschied zur Gentherapie greift die Genmedizin nicht in die Zellfunktionen ein,
sondern behandelt disfunktionale Gene durch Medikamente, welche bei geringeren Ne-
benwirkungen selektiver auf den Organismus wirken als eine Gentherapie. Zur Herstel-
lung von Medikamenten oder Wirkstoffen werden insbesondere Bakterien verwendet,
die durch die Manipulation mit gentechnischen Methoden dazu gebracht werden, Stoffe
wie z.B. humanes Insulin in grossen Mengen zu produzieren.
67
Der Einsatz der Biotech-
nologie im Pharmabereich beinhaltet ein grosses Potential: ,,Der Arzneimittelmarkt ist
ein attraktiver Wachstumsmarkt, dessen Bedeutung auch angesichts der demografischen
Entwicklung in den westlichen Industriestaaten stark zunehmen wird und die gesell-
schaftliche Akzeptanz von Biopharmazeutika ist relativ hoch."
68
Die Methode der Me-
62
Wilson (1999), S. 14.
63
Beim therapeutischen Klonen wird ein Embryo nach wenigen Zellteilungen zerstört und die einzelnen
Zellen werden zum weiteren Wachstum gebracht. Die embryonalen Stammzellen können dabei entspre-
chend der Zielsetzung gentechnologisch, d.h. durch die Technik der DNA-Rekombination, vervielfältigt,
isoliert, verändert und anschliessend direkt in den Körper des Patienten eingebracht werden (vgl. Wertz
(2002), S. 200).
64
Die Menschenwürde ist ,,der unverlierbare, geistig-sittliche Wert eines jeden Menschen um seiner
selbst willen. Mit ihr ist (...) der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es
verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszuset-
zen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt" (Brockhaus (1996d), S. 501). Eine Missachtung
der Menschenwürde ist z.B. in einer erniedrigenden Behandlung oder in der Behandlung des Menschen
als reines Objekt zu sehen (vgl. Brockhaus (1996d), S. 501).
65
Der Lebensschutz ist ,,seit 1962 Oberbegriff für die Gesamtheit aller Schutzmaßnahmen zur Erhaltung
der Lebensgrundlagen für Menschen, Tiere und Pflanzen (...)" (Brockhaus (1996b), S. 202).
66
Vgl. Oduncu (2001), S. 116 ff.
67
Vgl. Thurau (1999), S. 24 f. Auch durch die Züchtung transgener Tiere, welche Träger menschlicher
Gene sind und daher bestimmte Proteine erzeugen, lassen sich Medikamente herstellen.
68
Paradies (2007), Anhang B, 3.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
14
dikamentenherstellung durch gentechnisch modifizierte Bakterien wird von den Unter-
nehmen Genentech und Amgen angewendet, deren Ethikmanagement-Massnahmen im
vierten Kapitel untersucht werden.
Auch die Entwicklung von Diagnostika, wie sie von dem ebenfalls in Kapitel 4 zu ana-
lysierenden Unternehmen Genzyme vorgenommen wird, gehört zum Bereich der Gen-
technik bzw. Genmedizin. Mit Hilfe von Gen-Chips beispielsweise, die auf der Oberflä-
che mit reaktionsfähigen DNS-Sequenzen ausgestattet sind, können diverse genetisch
bedingte Erkrankungen, wie z.B. die Veranlagung für Brustkrebs, diagnostiziert wer-
den.
69
Gentests sind jedoch problematisch, wenn für erkannte Krankheiten noch keine
Therapien zur Verfügung stehen, und wenn sie zu Beitragsdifferenzierungen bei Kran-
ken- und Lebensversicherungen führen.
70
Eine weitere Domäne der Genmedizin, welche auch von Genzyme praktiziert wird, ist
die Transplantationsmedizin. Diese umfasst, neben der Nutzung von Stammzellen zu
therapeutischen Zwecken, die Gewebe- und Organtransplantation von Mensch zu
Mensch sowie die Xenotransplantation, d.h. die Transplantation eines tierischen Organs
auf den Menschen.
71
Durch die Transplantationsmedizin werden bisher sicher geglaubte
Grenzziehungen zwischen Leben und Tod, Sterbenlassen und Töten und die Grenzen
der biologischen Abgeschlossenheit des Körpers in Frage gestellt.
72
Insbesondere die
Xenotransplantation, welche als Durchbrechung der Barriere zwischen Mensch und Tier
eine weitere Grenzüberschreitung beinhaltet, wirft ganz neue ethische Fragen auf: Wer-
den Menschen, die mit einem tierischen Organ weiterleben, mit Reaktionen wie Distanz
oder Ausgrenzung rechnen müssen? Wie sieht eine gerechte Allokation aus? Wird es
zwei Klassen von Empfängern geben? Für die einen menschliche, für die anderen tieri-
sche Organe?
73
2.2.2.4 Reproduktionsmedizin
Die Verfahren der Reproduktionsmedizin verursachen die grössten ethischen Beden-
ken.
74
Die In-vitro-Fertilisation (IVF) beispielsweise, welche eine Behandlungsmethode
für unfruchtbare Paare ist, beinhaltet die ethische Frage, wie mit überzähligen Embryo-
nen, die aufgrund des Risikos einer Mehrlingsschwangerschaft nicht in den Mutterleib
69
Vgl. Stäudel/Werber (2003), S. 9.
70
Vgl. Paradies (2007), Anhang B, 5.
71
Vgl. Geilser (2005), S. 4 f.
72
Vgl. Geilser (2005), S. 5, in Anlehnung an Schlich (1998).
73
Vgl. Geilser (2005), S. 5.
74
Vgl. Geilser (2005), S. 6 f. und Emmerich (1999), S. 16.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
15
eingepflanzt werden, umgegangen werden soll. Diese Frage hängt wiederum mit dem
Eintreten der Menschenwürde und dem prinzipiellen Umgang mit menschlichem Leben
zusammen.
75
Auch mit der von Genzyme angewendeten Präimplantationsdiagnostik (PID), bei der im
Reagenzglas befruchtete Eizellen auf mögliche unerwünschte genetische Dispositionen
untersucht werden, werden ethische Bedenken aufgeworfen. Da nur solche Embryonen
in den Mutterleib implantiert werden, die lebensfähig sind und keine Schädigungen er-
warten lassen, werden ethisch bedenkliche Vorstellungen von lebenswertem und le-
bensunwertem Leben geweckt. Die Fragen lauten daher, ob Selektion betrieben werden
darf und was mit den ,,qualitativ minderwertigen" Embryonen, die nicht den Testkrite-
rien entsprechen, geschehen soll.
76
Das reproduktive Klonen, welches das beliebige Kopieren ganzer Organismen bzw.
Individuen mit identischem genetischem Material potentiell ermöglicht, ist ein weiterer
Bestandteil der Reproduktionsmedizin.
77
Das reproduktive Klonen, welches bisher nur
bei Tieren praktiziert wird, beinhaltet substantielle ethische Bedenken, denn die Exis-
tenz eines geklonten Menschen würde dadurch begründet, dass er als Ersatz oder Or-
ganquelle für einen anderen Menschen dienen, dessen Mängel kompensieren oder be-
stimmte gesellschaftliche Funktionen erfüllen soll. Wenn der konkrete Mensch zu ei-
nem blossen Objekt herabgewürdigt wird, wäre die Menschenwürde verletzt. Durch die
Fremdbestimmung würde ausserdem eine freie individuelle Entfaltung und Selbstver-
wirklichung, wie sie beispielsweise durch Art. 2 des deutschen Grundgesetzes (GG)
78
75
Vom ethischen Kantianismus wird beispielsweise die philosophische Auffassung vertreten, dass jegli-
che Instrumentalisierung von Leben verboten ist. (Für eine Orientierung über das Grundgefüge der Ethik
Kants mit seinen Voraussetzungen und seiner Tragfähigkeit siehe Baumanns (2000)). Oder aber es wird
ein Abwägen des Lebensschutzes von Embryonen mit dem Nutzen daraus entwickelter Stammzellen für
potentielle Patienten erlaubt. Diese Position wird beispielsweise vom Utilitarismus eingenommen. Für
eine Beschreibung der utilitaristischen Ethik, die als eine ethische Theorie verstanden wird, nach der die
Beförderung des allgemeinen Glücks das erste und einzige Kriterium des moralisch richtigen Handelns
ist, siehe Mill (1991). Für eine Beschreibung der Voraussetzungen und Folgen des Utilitarismus in der
Bioethik siehe Boloz/Höver (2002).
76
Vgl. Stäudel/Werber (2003), S. 9 und Emmerich (1999), S. 16.
77
Vgl. Oduncu (2001), S. 114 ff. Die Ziele, die sich durch das reproduktive Klonen potentiell realisieren
liessen, beinhalten die Bekämpfung des Organmangels durch die Produktion von Ersatzgeweben und
-
organen, die Fortpflanzung in Form von Mehrlingsherstellung von einem erwachsenen Individuum, die
Wiederherstellung und Erhaltung von Verstorbenen sowie die Produktion von Ersatzmenschen bzw.
Menschen zur Erfüllung bestimmter Aufgaben (vgl. Oduncu (2001), S. 116, in Anlehnung an Kas-
sier/Rosenthal (1998) und Robertson (1998)).
78
Art. 2 Abs. 1: ,,Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die
Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."
Art. 2 Abs. 2: ,,Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist
unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden" (vgl. Satorius
(1995), S. 8).

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
16
geschützt und garantiert wird, verhindert.
79
Eine geklonte Person, die den Wünschen
und Zielen des Herstellers unterstehen würde, wäre somit massgeblich ihrer Freiheit
beraubt.
80
Die Darstellung der biotechnologischen therapeutischen und medizinischen Verfahren
und ihrer ethischen Dimensionen zeigt, dass die neuen gentechnologischen Möglichkei-
ten an den Grundfesten herrschender Normen und Werte bezüglich des menschlichen
Lebens und der menschlichen Würde rütteln. Bisher ist nicht absehbar, ob die Folgen
des Einsatzes der neuen Technik beherrschbar sind oder ein ungeahnter Missbrauch in
Gang gesetzt wird.
81
Um die Sensibilität der Gesellschaft gegenüber dieser Technologie
zu verdeutlichen, wird im Folgenden auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Roten Bio-
technologie eingegangen, welche für BU die Basis ihrer Geschäftsfähigkeit darstellt.
2.2.3 Gesellschaftliche Akzeptanz der Roten Biotechnologie
In seiner Studie zur Akzeptanzforschung zählt Renn (2005) die vier grossen Konflikt-
felder in Bezug auf den technischen Wandel auf.
82
Neben der Kerntechnik, grossen
Chemieanlangen und der Diskussion um elektromagnetische Wellen von Mobiltelefo-
nen und Sendemastanlagen bezeichnet Renn (2005) die Anwendung der Gentechnik in
der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie sowie die Reproduktionsmedizin als die
dominanten Brennpunkte der öffentlichen Auseinandersetzung.
83
Der Umstand, dass
gleich zwei der Konfliktfelder in den Bereich biotechnologischer Verfahren fallen, ver-
deutlicht die hohe Sensibilität der Gesellschaft gegenüber diesem Wissenschafts- und
Wirtschaftsfeld. Während sich in der Gesellschaft mehrheitlich eine ablehnende Haltung
gegenüber der Anwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft und noch deutlicher
79
Vgl. Oduncu (2001), S. 116 ff.
80
Vgl. Annas (1998), S. 123 f. Paradies (2007) ist jedoch der Meinung, dass der Mensch trotz Regelung
und Überwachung aus Neugierde und aus dem auf Konsumvermehrung gerichteten Bestreben das Klonen
von Menschen in Zukunft praktizieren wird: ,,Verschiedene wissenschaftliche Gruppen planen bereits die
Klonierung von Menschen. Aus reproduktionstechnologischer Sicht kann das Verfahren der Zellkern-
transplantation, wie bei Klonschaf Dolly angewandt, grundsätzlich auch beim Menschen angewendet
werden" (vgl. Paradies (2007), Anhang B, 6.).
81
Vgl. Oduncu (2001), S. 116. Um erforderliche Grenzen einzuhalten existieren Gesetze, welche sich
jedoch zwischen den Ländern unterscheiden, wie Abb. A-2 veranschaulicht, welche die unterschiedliche
Gesetzeslage der Reproduktionsmedizin in Deutschland, Grossbritannien und den USA gegenüberstellt.
Bei Betrachtung der Abbildung wird ersichtlich, dass die Vorbehalte gegenüber Auslese- und Züchtungs-
utopien in den angelsächsischen Ländern geringer entwickelt sind als im Nachkriegsdeutschland.
82
Renn (2005) fasst in seiner Studie die wesentlichen Erkenntnisse aus der Akzeptanzforschung zusam-
men. Er unterscheidet zwischen Alltags-, Arbeits- und externer Technik. Die nachfolgend erwähnten
Konfliktfelder sind dem letztgenannten Technikbereich zuzuweisen (vgl. Renn (2005), S. 30 ff.).
83
Vgl. Renn (2005), S. 32.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
17
gegenüber gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln (Genfood) abzeichnet
84
, ist die
Einstellung gegenüber der Verwendung dieser Technologie in der Medizin unentschie-
dener. Renn (2005) spricht in diesem Zusammenhang von einer ,,erlebten Ambivalenz":
,,Gerade im Bereich der umstrittenen Möglichkeiten der roten Gentechnik für Di-
agnose und Forschung sind die Menschen hin und her gerissen: Auf der einen Seite
sehen sie das Potenzial dieser Technologien und könnten sich auch oft vorstellen,
diese selbst benutzen zu wollen. Auf der anderen Seite ist ihnen aber bewusst, dass
die Anwendung solcher Techniken gesellschaftliche Auswirkungen haben könnte,
die sie nicht als wünschenswert erachten."
85
Paradies (2007) bemerkt, dass sich aufgrund der Bedenken auch nicht alle Möglichkei-
ten der Roten Biotechnologie nutzen lassen, und dass es in der Gesellschaft einen brei-
ten Konsens gibt, dass in der Forschung nicht jedes Mittel legitim ist.
86
Gemäss Irrgang
(1997) ist ein generelles Unbehagen an der Technologie-Zivilisation entstanden. Tech-
nologische Innovationen und Forschung werden nicht mehr zwangsläufig mit Fortschritt
in Verbindung gebracht, sondern als Mitauslöser der ökologischen Krise angesehen. Die
Berufung auf eine Autonomie der Wissenschaft wird nicht mehr länger als ausreichend
empfunden. Irrgang (1997) legt dar: ,,Vielmehr scheint die Forderung nach einer umfas-
senderen Forschungsethik oder Wissenschaftsethik berechtigt."
87
Die bereits beschrie-
benen Verfahren der Roten Biotechnologie und die damit verbundenen umfangreichen
bioethischen Problemstellungen machen eine solche Forderung nach einer umfassenden
Wissenschaftsethik plausibel.
Wie eine Untersuchung der 1999-2000 World Bio Companies von Kato und Macer
(2003) ergeben hat, wurden 24% dieser Unternehmen in der Vergangenheit mit bioethi-
schen Problemen und gesellschaftlichem Druck konfrontiert. Darunter sind insbesonde-
re solche Unternehmen zu finden, die im Bereich der Medizin tätig sind. Die am häu-
figsten genannten ethischen Probleme entstanden durch Experimente mit Tieren, Xeno-
transplantationen, die Verwendung von menschlichem biologischem Material, Fragen
der Produktsicherheit, klinische Versuche sowie die geforderte Priorität der Medika-
mentenentwicklung für die Dritte Welt.
88
Weiterhin sehen sich 47% der Unternehmen in
der Zukunft mit bioethischen Problemen konfrontiert.
89
Insbesondere solche Unterneh-
84
Für eine ausführliche Abhandlung zum Thema der Grünen Gentechnik bzw. der Biotechnologie in der
Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie siehe Zarzer (2006).
85
Renn (2005), S. 33.
86
Vgl. Paradies (2007), Anhang B, 5.
87
Irrgang (1997), S. 9.
88
Vgl. Kato/Macer (2003), S. 155 f.
89
Vgl. Abb. A-3.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
18
men, die sich mit biologischem Material oder genetischen Informationen befassen, se-
hen bestimmte bioethische Probleme mit Beunruhigung auf sich zukommen. Diese Be-
unruhigung ist im Hinblick auf die Nationalität der Unternehmen am häufigsten in US-
amerikanischen Unternehmen beobachtbar
90
, deren Ethikmanagement-Massnahmen im
vierten Kapitel analysiert werden.
2.3 Zwischenrésumé
In diesem Kapitel wurden die Verfahren und bioethischen Implikationen der Roten Bio-
technologie skizziert. Ein erster Abschnitt zeigte, dass biotechnologische Verfahren ein
sehr breites Anwendungsfeld aufweisen. Nach einer kurzen Erörterung der Entwick-
lungsgeschichte wurden diese Anwendungsfelder, welche als Blaue, Braune, Graue,
Gelbe, Weisse, Grüne und Rote Biotechnologie in eine Farbskala klassifiziert werden,
geschildert. Es wurde herausgestellt, dass die Rote Biotechnologie besondere Aufmerk-
samkeit verdient, da sich die medizinischen und pharmazeutischen Produkte und Ver-
fahren Roter BU von gewöhnlichen Konsumgütern unterscheiden und besondere Ver-
antwortlichkeiten der produzierenden Unternehmen implizieren. Im Anschluss an die
Klärung der ,,Instrumentarien" dieser Arbeit ­ die grundlegenden philosophischen Beg-
riffe Moral, Ethik und Bioethik ­ wurden die Verfahren der Roten Biotechnologie und
die damit verbundenen bioethischen Problemstellungen erläutert. Es wurde herausge-
stellt, dass die Anwendung von Gentechnik, Gentherapie, Genmedizin und Reprodukti-
onsmedizin zum Teil schwere bioethische Bedenken aufwirft. Eine Auseinandersetzung
mit diesen Entwicklungen muss auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden und bedarf
neben einer gesellschaftspolitischen Analyse, die nach Interessen und politischer Ver-
antwortung fragt, der ethischen Bewertung sowie der Befassung mit den naturwissen-
schaftlichen Grundlagen der eingesetzten Techniken.
91
Zum Abschluss dieses Kapitels
verdeutlichte eine Studie von Renn (2005) den Zusammenhang zwischen den herausge-
arbeiteten bioethischen Problemstellungen und der gesellschaftlichen Akzeptanz mo-
derner Biotechnologien. Dass eine bioethische Reflexion der Unternehmen aufgrund der
neuen technischen Handlungsmöglichkeiten mehr denn je nötig ist, hat eine Studie von
Kato und Macer (2003) gezeigt.
Da Rote BU neben den bereits diskutierten bioethischen zusätzlich unternehmensethi-
schen Herausforderungen gegenüberstehen, die auf ihren Status als kommerzielle Ein-
90
Vgl. Kato/Macer (2003), S. 156 f.
91
Vgl. Stäudel/Werber (2003), S. 1.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
2. Biotechnologie und ihre bioethischen Implikationen
19
heiten zurückgehen und der Art ihrer biotechnologischen Produkte und Verfahren ent-
springen
92
, wird im folgenden Kapitel die Unternehmensethik thematisiert. MacDonald
(2004) konstatiert, dass die Berücksichtigung von Unternehmensethik in der Biotechno-
logiebranche immer relevanter wird, da sich die Biotechnologie von der spekulativen
Wissenschaft zu einem Gebiet kommerzieller Unternehmen entwickelt:
,,The first three quarters of a decade of intensive public attention to the world of
biotechnology (beginning roughly with the birth of Dolly (...)) was dominated by
discussion of bioethical issues. (...) The next decade will see ­ indeed, must see ­
increased attention to corporate ethics in the world of biotech. As biotech moves
from a realm of speculative science to a realm of serious commercial enterprises,
ethical reflection on that realm must shift as well. In a world of commercial bio-
technology, questions of corporate ethics, including questions related to product
safety, CSR, and corporate governance, will increasingly come to dominate the
field of biotech ethics."
93
MacDonald (2004) führt obendrein aus, dass die unternehmensethischen Aspekte kom-
merzieller Biotechnologie nicht von der Bioethik behandelt werden können, und dass
ihre Betrachtung notwendig ist, um die Bandbreite der ethischen Herausforderungen
Roter BU zu erfassen:
,,(...) a number of the specific ethical issues that arise with regard to commercial
biotechnology are in fact quite foreign to the sorts of considerations and frame-
works that flow from the field of bioethics. So attending here to the corporate ethi-
cal issues that arise in biotech is part of an attempt to fill a gap in our practical and
theoretical understanding of the ethical challenges faced in that industry."
94
92
Vgl. MacDonald (2004), S. 71.
93
MacDonald (2004), S. 76.
94
MacDonald (2004), S. 72.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
3. Biotechnologieunternehmen und Unternehmensethik
20
3. Biotechnologieunternehmen und Unternehmensethik
3.1 Definition der Unternehmensethik
Die Hauptaufgabe der Unternehmensethik, welche vielfältige interdisziplinäre Bezüge
zur Philosophie, Psychologie, Soziologie, zu den Rechtswissenschaften und zu ökono-
mischen Disziplinen wie der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre herstellt
95
, besteht
darin, Lösungen für das Problem der Vereinbarkeit von Gewinn und Moral zu finden
und damit zur unternehmerischen sowie zugleich gesellschaftlichen Besserstellung bei-
zutragen.
96
Im Gabler Wirtschafts-Lexikon (2004) wird die Unternehmensethik definiert
als:
,,Zweig der angewandten Ethik, der sich v.a. [vor allem] mit Fragen der
Verantwortung von Unternehmen und seiner Mitarbeiter befasst. Systematischer
Ausgangspunkt der U. [Unternehmensethik] ist der Konflikt zwischen Gewinn,
hier i.w.S. [im weitesten Sinne] verstanden als Unternehmenserfolg unter Wettbe-
werbsbedingungen, und Moral, verstanden als adäquate Berücksichtigung der be-
rechtigten Interessen betroffener Anspruchsgruppen des Unternehmens."
97
Wird zum Vergleich die Definition der Unternehmensethik von Steinmann und Zerfass
(1993) aus dem Lexikon der Wirtschaftsethik
98
herangezogen, so zeigt sich nebst der
Vielfalt tangierter Wissenschaftsbereiche eine zusätzliche Eigenheit: In den für die Un-
ternehmensethik vorgeschlagenen begrifflichen Kennzeichnungen schlägt sich vielfach
die theoretische und auch ethische Position des jeweiligen Autors nieder. Konkret wird
an den verschiedenen Definitionen der enge Zusammenhang zwischen der jeweiligen
Vorstellung von Wirtschaft, dem Wissenschaftsprogramm, der ethischen Konzeption
und der Abgrenzung von Unternehmensethik sichtbar.
99
Bezüglich der Notwendigkeit
einer unternehmerischen Selbstverpflichtung respektive einer Leistung von Beiträgen
zur nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaft und Umwelt existieren zwei konträre
Sichtweisen, welche einander im folgenden Abschnitt gegenübergestellt werden.
95
Vgl. Steinmann/Löhr (1994), S. 206.
96
Vgl. Suchanek (2001), S. 1 ff.
97
Gabler Wirtschaftslexikon (2004), S. 3037.
98
,,Unternehmensethik ist eine Lehre von denjenigen idealen Normen, die dazu anleiten sollen, durch
einen sozialverträglichen Gebrauch der unternehmerischen Handlungsfreiheit in der Marktwirtschaft
einen eigenständigen Beitrag zur gesellschaftlichen Friedensstiftung zu leisten. Sie ist genauerhin eine
Verfahrenslehre zur Gestaltung von Dialogprozessen, die dann durchgeführt werden sollen, wenn das
Gewinnprinzip und das geltende Recht nicht in der Lage sind, Interessenkonflikte mit den internen und
externen Bezugsgruppen des Unternehmens zu vermeiden oder friedlich beizulegen. Aus solchen Ver-
ständigungsprozessen sollen begründete Normen hervorgehen, die vom Unternehmen im Sinne einer
Selbstverpflichtung in Kraft zu setzen sind" (Steinmann/Zerfass (1993), Sp. 1117).
99
Vgl. Küpper/Picot (1999), S. 134 f.

Ethikmanagement in der Roten Biotechnologie
3. Biotechnologieunternehmen und Unternehmensethik
21
3.2 Vereinbarkeit von Ökonomie und Ethik
Die zwei sich konfliktär gegenüberstehenden Sichtweisen bezüglich der Wahrnehmung
unternehmensethischer Verantwortung sind die ökonomische Neoklassik respektive der
Shareholder-Value-Ansatz und der Stakeholder-Ansatz. In seinem Artikel The Social
Responsibility of Business Is to Increase Its Profits legt der amerikanische Ökonom und
Nobelpreisträger Friedman (1970) dar, dass ein Unternehmen nur eine Aufgabe hat,
nämlich die Maximierung der Profite.
100
Friedman (1970) verneint jegliches sozial-
politisches Verantwortungsbewusstsein von Unternehmen und verlässt sich darauf, dass
Regierungen diesen Aufgaben als alleinige sozial-verantwortungsvolle Akteure voll-
ständig nachkommen. Nur durch diese klare Aufteilung der Aufgaben könne der
höchstmögliche Wohlstand für die Gesellschaft generiert werden. Unternehmen, die
,,gute Taten" vollbringen, die von den Spielregeln nicht ausdrücklich verlangt werden
und zusätzlich die Kapitalerträge schmälern, haben, so Friedman (1970), das Ziel des
Wirtschaftens verfehlt.
101
Mit der Auffassung, das Ziel der Gewinnmaximierung liesse
keinen Platz für moralische Anliegen, präsentiert sich Friedman (1970) als Vertreter des
Shareholder-Value-Ansatzes
102
, der einem sozial-ethischen Engagement jegliche Not-
wendigkeit abspricht.
Im Unterschied dazu vertritt der Stakeholder-Ansatz die These, dass Unternehmen nicht
nur gegenüber ihren Eigentümern verantwortlich sind, sondern auch gegenüber weiteren
Gruppen, die ein Interesse an der Geschäftstätigkeit der Unternehmen haben, wie z.B.
Kunden, Mitarbeitern oder Lieferanten.
103
Die Stakeholder-Theorie geht somit von ei-
100
Vgl. Friedman (1970), S. 223. Friedman betont jedoch, dass die Maximierung der Gewinne nicht abso-
lut gilt. Aktivitäten sollen innerhalb der Spielregeln ablaufen, die vom Staat vorgegeben werden und
Unternehmen sollen sich für freien Wettbewerb ohne Täuschung und Betrug engagieren (vgl. Friedman
(1970), S. 223). Friedman setzt also moralische Verantwortung in Form von Fairness durchaus voraus.
101
Vgl. Friedman (1970), S. 118 ff. Auch die Autoren Jensen (2002) sowie Sundaram und Inkpen (2004)
teilen die Auffassung Friedmans. Sie verlassen sich, wie Friedman, auf den Regierungsapparat, der als
einziger Akteur sozial-verantwortungsvoll handeln soll.
102
Der Shareholder-Value-Ansatz erachtet eine soziale bzw. politische Verantwortung der Unternehmung
geradezu als schädlich für die Erfüllung der ökonomischen Aufgaben. Für einen Überblick über den Sha-
reholder-Value-Ansatz siehe Rappaport (1986). Für eine Darstellung der Probleme und Handlungsmög-
lichkeiten des Shareholder-Value-Konzepts siehe Bischoff (1995). Einen kritischen Artikel zum Share-
holder-Value-Ansatz bieten Aglietta und Rebérioux (2005), die konstatieren, dass die primäre Berück-
sichtigung der Interessen von Anteilseignern für das Auftreten von Rechnungs fehlern bzw. Bilanzie-
rungstricks und opportunistischem Verhalten und den Anstieg von Managergehältern verantwortlich ist.
103
Diese Interessengruppen eines Unternehmens werden auch als ,,Stakeholder" bezeichnet. Da der engli-
sche Begriff ,,Stakeholder" auch im deutschen Sprachgebrauch verbreitet ist, wird er in dieser Arbeit in
seiner englischen Form verwendet. Eine Definition der Stakeholder liefern Post et al. (2002): ,,The stake-
holders in a corporation are the individuals and constituencies that contribute, either voluntarily or invol-
untarily, to its wealth-creating capacity and activities, and that are therefore its potential beneficiaries
and/or risk bearers" (Post et al. (2002), S. 19). Aktives Stakeholder-Management ist eine Voraussetzung
für Nachhaltigkeit, d.h. langfristiges erfolgreiches Bestehen einer Unternehmung. Die von Max Clarkson

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836608091
Dateigröße
2.8 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Zürich – Wirtschaftswissenschaften, Betriebswirtschaftliche Forschung
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,7
Schlagworte
biotechnologische industrie bioethik unternehmensethik ethikmanagement biotechnologie wirtschaftsethik gentechnik
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