Lade Inhalt...

EU-Beitritt der Türkei?

Analyse der Beitrittsreife und ökonomische Implikationen

©2007 Diplomarbeit 101 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Der Beitrittswunsch der Türkei polarisierte und polarisiert die Diskussionen über die Erweiterung der Europäischen Union (EU) wie keine Kandidatur zuvor. Bereits der historische Annäherungsprozess (vgl. Kapitel 3.2) war durch ein kontinuierliches Für und Wider und Hin und Zurück gekennzeichnet. Mit der Entscheidung die Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, hat sich die öffentliche Auseinandersetzung nochmals intensiviert und ist seitdem ein beinahe ständiger Begleiter bei allen Themen, die die Türkei betreffen.
Neben den ökonomischen Gesichtspunkten eines Beitritts sind noch eine Reihe weiterer Aspekte bei einer Integration zu berücksichtigen. Hierbei werden insbesondere die kulturellen und religiösen Fragen zum Teil kontrovers diskutiert. Gleichwohl werden derartige Fragen in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt.
Der Fokus liegt in erster Linie auf der Analyse und Beurteilung ökonomischer Aspekte, die im Zusammenhang mit einem Anschluss der Türkei an die Europäische Union von Bedeutung sind. Daneben werden, wenn auch nur ansatzweise, im Rahmen der Beitrittskriterien zur Union, politische und rechtliche Gegebenheiten beleuchtet.
Im Gegensatz zu kulturellen oder politischen Fragestellungen ist eine objektive Messung wirtschaftlicher Gegebenheiten und der gegebenenfalls noch vorhandenen Defizite vergleichsweise einfach. Ungleich schwieriger und mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, ist eine Prognose zu den Auswirkungen, die ein Beitritt der Türkei mit sich bringen würde. Zum einen kann eine Bewertung nur aufgrund der aktuellen Sachlage und erwarteter Entwicklungen erfolgen, zum anderen können bestehende Rahmenbedingungen künftig durch politische Entscheidungen verändert werden.
Nicht zuletzt deshalb, kann auch die Ökonomie bei der Frage, ob ein Beitritt der Türkei zur Europäischen Union richtig oder falsch ist, wirtschaftlich erfolgreich oder unerheblich sein wird, keine ultimative Antwort geben.
Mit der Beurteilung der gegenwärtigen Beitrittsreife, vor dem Hintergrund der historischen und möglichen künftigen Entwicklung der Türkei, und der Abschätzung möglicher Konsequenzen eines Beitritts unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen, versucht die vorliegende Arbeit den Leser für dieses Thema zu sensibilisieren.
Gang der Untersuchung:
Zu Beginn befasst sich die Arbeit mit der Europäischen Union und deren Erweiterungsmotiven und skizziert die Strategie zur Heranführung neuer Mitgliedstaaten. Daneben wird […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Markus Aulbach
EU-Beitritt der Türkei?
Analyse der Beitrittsreife und ökonomische Implikationen
ISBN: 978-3-8366-0794-0
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. FOM - Fachhochschule für Oekonomie und Management Essen, Essen,
Deutschland, Diplomarbeit, 2007
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

I
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis...II
Abbildungsverzeichnis...III
Tabellenverzeichnis...IV
1 Einleitung...1
1.1
Problemstellung und Abgrenzung der Thematik ...1
1.2
Gang der Untersuchung ...2
2
Die Europäische Union ­ Beitrittspartner und Integrationsraum ...4
2.1
Erweiterungsmotive und Heranführungsstrategie der EU ...4
2.2
Wirtschafts- und Währungsunion ­ Ziel des Integrationsprozesses ...6
2.3
Konvergenzkriterien und Beitrittsverfahren ...8
3
Die Türkei als Beitrittskandidatin...11
3.1
Die politischen Situation im Kontext eines EU-Beitritts ...11
3.2
Der Annäherungsprozess an die EU ...13
4
Beitrittsreife und Konvergenzlage der Türkei ...16
4.1
Das EU-Konzept der Beitrittsreife...16
4.1.1 Theoretischer Hintergrund zum EU-Konzept der Beitrittsreife...16
4.1.2 Politische
Kriterien...17
4.1.3 Rechtliche
Kriterien ...18
4.1.4 Ökonomische
Kriterien ...19
4.2
Konvergenzvoraussetzungen der Währungsunion...20
4.2.1 Diskussion der (nominalen) Konvergenzkriterien ...20
4.2.2 Reale
Konvergenz ...23
4.3
Bisherige Erfahrungen mit Konvergenzprozessen von Beitrittsländern...24
4.3.1 EU-Erweiterung
2004 ...24
4.3.2 Konvergenzindikator der Deutschen Bank ...24
4.3.3 Konvergenzentwicklung
nach
der Erweiterung und Ausblick...26
4.3.4 Konvergenzniveau im Jahr vor Beginn der Beitrittsverhandlungen...30
4.4
Die aktuelle Beitrittsreife der Türkei ...32
4.4.1 Bewertung der politischen und rechtlichen Angleichung ...32
4.4.1.1 Politische
Kriterien...32
4.4.1.2 Rechtliche
Normenangleichung...34
4.4.2 Bewertung der ökonomischen Kriterien ...35
4.4.2.1 Makroökonomische
Stabilität ...35
4.4.2.2 Beschäftigung und Humankapital...37
4.4.2.3 Verkehrs- und Energie-Infrastruktur...38
4.4.2.4 Leistungsbilanz und Handelsverflechtungen ...39
4.4.2.5 Entwicklung des Finanzsektors...41

II
4.4.2.6 Freies Spiel der Marktkräfte ... 42
4.4.2.7 Preisentwicklung... 42
4.4.2.8 Entwicklung der öffentlichen Finanzen ... 44
4.4.2.9 Wechselkursentwicklung ... 45
4.4.2.10 Entwicklung des Zinsniveaus... 47
4.4.3 Ausblick ... 48
5 Ökonomische
Aspekte
eines
möglichen EU-Beitritts... 51
5.1
Theoretische Grundlagen zur Integration ... 51
5.1.1 Die Chancen und Risiken einer Integration ... 51
5.1.2 Integration
und
Konvergenz... 53
5.1.3 Währungsintegration und optimale Währungsräume ... 54
5.2
Wirkungen eines Türkei-Beitritts auf die EU ... 55
5.2.1 Währungspolitik... 55
5.2.2 Veränderung des Institutionengefüges... 58
5.2.3 Struktur- und Regionalpolitik ... 59
5.2.4 Auswirkungen des türkischen Agrarsektors auf die GAP ... 62
5.2.5 Migrationspotential und Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ... 65
5.2.6 Auswirkungen der Handelsintegration... 69
5.3
Wirkungen auf die Türkei ... 70
5.3.1 Verpflichtung zur Währungsunion... 70
5.3.1.1 Potentielle Wechselkurssysteme und ihre Auswirkungen ... 71
5.3.1.2 Auswirkungen bei zu frühem Beitritt zur Währungsunion... 73
5.3.2 Anpassungsbedarf aus der GAP... 74
5.3.3 Makroökonomische
Auswirkungen ... 75
6
Abschlussbewertung: Chancen und Risiken eines EU-Beitritts... 77
Anhang...80
Literaturverzeichnis ...83

III
Abkürzungsverzeichnis
BIP
Bruttoinlandsprodukt
EBRD
European Bank for Reconstruction and Development
EG
Europäische
Gemeinschaft
EU
Europäische
Union
EU-10
Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien,
Tschechische Republik, Ungarn, Zypern
EU-15
Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich,
Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Luxemburg,
Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien
EU-25
Länder der Europäischen Union ohne Bulgarien und Rumänien
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EWS
Europäisches
Währungssystem
EWU
Europäische
Währungsunion
EWWU
Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
EZB
Europäische
Zentralbank
GAP
Gemeinsame
Agrarpolitik
HVPI
Harmonisierter
Verbraucherpreisindex
IWF
Internationaler
Währungsfonds
NMS-8
EU-10 ohne Malta und Zypern
o.V.
ohne
Verfasser
WKM II
Wechselkursmechanismus II

IV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Konvergenzentwicklung osteuropäischer Länder... 26
Abbildung 2: Entwicklung des Bankensektors der NMS-8... 29
Abbildung 3: Entwicklung der Wettbewerbspolitik der NMS-8 ... 29
Abbildung 4: Wachstumsrate des realen BIP seit 1987... 36
Abbildung 5: Beschäftigung in der Türkei ... 38
Abbildung 6: Leistungsbilanzsaldo der Türkei in % des BIP... 39
Abbildung 7: Inflationsraten der Türkei p.a. von 1997-2006 ... 43
Abbildung 8: Entwicklung der öffentlichen Finanzen der Türkei ... 45
Abbildung 9: Wechselkurs der türkischen Lira gegenüber dem Euro seit 1995 ... 46
Abbildung 10: Veränderung der neuen Türkischen Lira seit 2003... 47
Abbildung 11:Vergleich der Tagesgeldsätze Eurozone/Türkei ... 48
Abbildung 12: Entwicklung des BIP pro Kopf als ein Indikator realer Konvergenz ... 49
Abbildung 13: Migrationsmodell... 67
Abbildung 14: Daten zur Strukturkonvergenz 1999... 80
Abbildung 15: IW-Humankapitalindikator... 81
Abbildung 16: Ausgaben im Rahmen der Kohäsionspolitik ... 82

V
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Einzelindikatoren des DB-Konvergenzindikators ...25
Tabelle 2: Entwicklung der Inflationsraten und des Budgetdefizits der EU-10 ...27
Tabelle 3: Entwicklung des BIP der EU-10...28
Tabelle 4: Ausgewählte Indikatoren im Jahr vor Beginn der Beitrittsverhandlungen...31
Tabelle 5: Außenhandelsvolumen der Türkei...40
Tabelle 6: Struktur des Bankensystems der Türkei 2004 ...41
Tabelle 7: Ausgewählte Indikatoren im Jahr vor den Erweiterungen 2004 und 2007...50
Tabelle 8: Bedeutung der Kohäsionsländer jeweils in % der EU ...58
Tabelle 9: Kosten der Struktur- und Regionalpolitik...61
Tabelle 10: Anteil des Agrarsektors am Finanzrahmen der EU 2007 - 2013 ...63
Tabelle 11: Anteil des Agrarsektors in der Türkei und EU-25 im Jahr 2006 ...64
Tabelle 12: Kosten der Agrarpolitik ...65
Tabelle 13: Ökonomische Effekte aus der Handelsintegration...70
Tabelle 14: Auswirkungen eines Beitritts zur EU auf das türkische BIP ...76

1
1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Abgrenzung der Thematik
Der Beitrittswunsch der Türkei polarisierte und polarisiert die Diskussionen über die
Erweiterung der Europäischen Union (EU) wie keine Kandidatur zuvor. Bereits der
historische Annäherungsprozess (vgl. Kapitel 3.2) war durch ein kontinuierliches Für
und Wider und Hin und Zurück gekennzeichnet. Mit der Entscheidung die
Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, hat sich die öffentliche Auseinandersetzung
nochmals intensiviert und ist seitdem ein beinahe ständiger Begleiter bei allen Themen,
die die Türkei betreffen.
Neben den ökonomischen Gesichtspunkten eines Beitritts sind noch eine Reihe weiterer
Aspekte bei einer Integration zu berücksichtigen. Hierbei werden insbesondere die
kulturellen und religiösen Fragen zum Teil kontrovers diskutiert. Gleichwohl werden
derartige Fragen in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt.
Der Fokus liegt in erster Linie auf der Analyse und Beurteilung ökonomischer Aspekte,
die im Zusammenhang mit einem Anschluss der Türkei an die Europäische Union von
Bedeutung sind. Daneben werden, wenn auch nur ansatzweise, im Rahmen der
Beitrittskriterien zur Union, politische und rechtliche Gegebenheiten beleuchtet.
Im Gegensatz zu kulturellen oder politischen Fragestellungen ist eine objektive Messung
wirtschaftlicher Gegebenheiten und der gegebenenfalls noch vorhandenen Defizite
vergleichsweise einfach. Ungleich schwieriger und mit erheblichen Unsicherheiten
behaftet, ist eine Prognose zu den Auswirkungen, die ein Beitritt der Türkei mit sich
bringen würde. Zum einen kann eine Bewertung nur aufgrund der aktuellen Sachlage
und erwarteter Entwicklungen erfolgen, zum anderen können bestehende
Rahmenbedingungen künftig durch politische Entscheidungen verändert werden.
Nicht zuletzt deshalb, kann auch die Ökonomie bei der Frage, ob ein Beitritt der Türkei
zur Europäischen Union richtig oder falsch ist, wirtschaftlich erfolgreich oder
unerheblich sein wird, keine ultimative Antwort geben.
Mit der Beurteilung der gegenwärtigen Beitrittsreife, vor dem Hintergrund der
historischen und möglichen künftigen Entwicklung der Türkei, und der Abschätzung
möglicher Konsequenzen eines Beitritts unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen,
versucht die vorliegende Arbeit den Leser für dieses Thema zu sensibilisieren.

2
1.2 Gang der Untersuchung
Zu Beginn befasst sich die Arbeit mit der Europäischen Union und deren
Erweiterungsmotiven und skizziert die Strategie zur Heranführung neuer
Mitgliedstaaten. Daneben wird die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion als
Ziel des Integrationsprozesses beleuchtet, um ausgehend von einem kurzen historischen
Abriss, anschließend das Beitrittsverfahren und die Kriterien zur Teilnahme an der
Währungsunion zu erläutern.
Im darauffolgenden Kapitel erfolgt eine einleitende Beurteilung der politischen Situation
der Türkei, die aus verschiedenen Gesichtspunkten eine exponierte Stellung unter den
Mitgliedern einnehmen würde. Diese Exponiertheit führte zu der anschließend
aufgezeigten, vergleichsweise schwierigen Annäherung an die Europäische Union.
Mit dem Gliederungspunkt vier beginnt der erste zentrale Punkt der Arbeit, die
Beurteilung der Beitrittsreife und Konvergenzlage der Türkei. Im ersten Schritt werden
in diesem Kapitel einige Hintergründe zu den Beurteilungskriterien aufgezeigt, bevor
anschließend die einzelnen Teilgebiete der Kopenhagener Beitrittskriterien abgegrenzt
werden. Ein zweiter Schritt befasst sich mit der Beurteilung der Konvergenzkriterien
inwiefern sie zur Bemessung der Beitrittsreife zur Währungsunion ausreichend sind, um
anschließend die Bedeutung der realen Konvergenz herauszuarbeiten.
In Kapitel 4.3 werden dann die Erfahrungen mit Konvergenzentwicklungen am Beispiel
der Erweiterungsrunde 2004 analysiert, wobei sowohl die Entwicklung vor dem
Beitrittstermin als auch nach dem Beitritt betrachtet wird. Als Abschluss erfolgt dann
eine Beurteilung der ökonomischen Kriterien bei der Beitrittszusage durch die EU.
Das Kapitel 4.4 befasst sich detailliert mit der aktuellen Beitrittsreife der Türkei. Dies
beinhaltet auch die politischen und rechtlichen Kriterien. In erster Linie werden hier aber
die wirtschaftlichen Kennziffern beurteilt. Sofern es aufgrund von Veränderungen
notwendig war, wurde der erst wenige Tage vor Fertigstellung dieser Arbeit
veröffentlichte Fortschrittsbericht 2007 mitberücksichtigt. Aus der Beurteilung der
Kennziffern heraus wird abschließend ein Ausblick auf eine mögliche künftige
Entwicklung der Türkei abgeleitet.
Der zweite Schwerpunkt der Arbeit befasst sich mit den möglichen ökonomischen
Implikationen, die ein Beitritt der Türkei nach sich ziehen könnte.

3
Einleitend beginnt der Gliederungspunkt 5 mit verschiedenen theoretischen Grundlagen,
die im Zusammenhang mit einem Beitritt relevant sind.
Diese Grundlagen umfassen zunächst die Beurteilung von Chancen und Risiken im Zuge
einer Integration. Danach wird der Zusammenhang zwischen einer Integration und
einhergehender Konvergenz analysiert. Als Abschluss des integrationstheoretischen
Parts folgt die Beuteilung des europäischen Integrationsgebiets als optimaler
Währungsraum.
Die Analyse ökonomischer Implikationen beginnt mit den Wirkungen des Beitritts auf
die Europäische Union. Hier werden zunächst die Auswirkungen einer Währungsunion
betrachtet, wohlwissend dass dies im Falle eines Beitritts erst nach einer Übergangszeit
relevant sein wird. Anschließend werden die unmittelbaren Beitrittsimplikationen
aufgezeigt. Finanziell sind diese zum großen Teil in den Bereichen der Struktur- und
Regionalpolitik sowie in der Gemeinsamen Agrarpolitik zu erwarten. Aber auch die
danach untersuchten Migrationseffekte können von erheblicher Bedeutung sein.
Abgeschlossen werden die Untersuchungen zu den Auswirkungen auf Europa mit einer
Aufstellung der möglichen Handelseffekte.
Im Anschluss daran erfolgt die Betrachtung der Auswirkungen auf die Türkei. Auch hier
werden zunächst ebenfalls währungspolitische Sachverhalte beurteilt. Dies sind zunächst
potentielle Wechselkurssysteme und ihre Auswirkungen. Darauf aufbauend erfolgt eine
kritische Betrachtung einer zu frühen Euroeinführung.
Bevor abschließend die makroökonomischen Auswirkungen auf die Türkei aufgezeigt
werden, erfolgt die Verdeutlichung des Anpassungsbedarfs aus der Gemeinsamen
Agrarpolitik, die für die Türkei insofern erheblich ist, als dass der Agrarsektor eine
enorme Bedeutung für dieses Land darstellt.
Die Arbeit endet mit der Herausarbeitung der Chancen und Risiken eines Beitritts der
Türkei zur Europäischen Union und führt in eine Abschlussbetrachtung über.

4
2 Die Europäische Union ­ Beitrittspartner und Integrationsraum
2.1 Erweiterungsmotive und Heranführungsstrategie der EU
Die beiden grundsätzlichen Motive der Erweiterung eines Wirtschaftsraumes sind das
Streben nach größerer Wohlfahrt und nach mehr Sicherheit. Beides lässt sich im
Rahmen einer vernünftigen Erweiterungspolitik erreichen, wenn die Volkswirtschaften,
die in einen Wirtschaftsraum integriert werden sollen, bestimmten Grundstandards
genügen.
Bereits die Geburtsstunde des europäischen Integrationsprozesses, die Gründung der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahre 1951, war von dem
Wunsch geprägt, die lange Gegnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich durch
einen gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl zu beenden
1
und darauf aufbauend
sowohl eine politische als auch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zu fördern.
2
Der gemeinsame Markt, der sich daraus im Laufe der Jahre entwickelte, hatte auf die
anderen Staaten Europas eine starke wirtschaftliche Anziehungskraft, so dass sukzessive
weitere Staaten Teile ihrer nationalstaatlichen Souveränität aufgaben und der
Gemeinschaft beitraten.
3
Waren die Erweiterungsrunden in den 70er und 80er Jahren in erster Linie von
wirtschaftlichen Interessen geleitet, standen nach dem Zusammenbruch des
Kommunismus in Osteuropa politische Motive im Vordergrund. So bestand nach dem
Ende der sowjetischen Vorherrschaft über die Länder Mittel- und Osteuropas eine
einmalige historische Chance, die Europäische Gemeinschaft nach Osten hin zu
erweitern und somit zum einen, westeuropäische Werte wie Freiheit, Frieden und
Wohlstand weiterzugeben und zum anderen, einen bedeutenden Beitrag zur nachhaltigen
und dauerhaften Überwindung der Teilung Europas zu leisten.
4
Im Fall der Türkei sind neben erweiterungs- und sicherheitspolitischen Aspekten auch
nachbarschaftspolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen, so dass die Türkei durchaus
als Sonder- oder Grenzfall der Erweiterungspolitik betrachtet werden kann. Darüber
hinaus unterscheidet sich die Türkei nicht nur aufgrund enormer politischer Probleme
1
Vgl. Müller, J. (1999), S. 133
2
Vgl. Woyke, W. (1998), S. 19
3
Vgl. Woyke, W. (1998), S. 23 ff.; Weindl, J.;Woyke, W. (1999), S. 3 f.
4
Vgl. Lippert, B. (2003), S. 7 ff.; Lippert, B. (2006), S. 47

5
und ihrem Nachholbedarf in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, sondern auch
hinsichtlich ihrer Größe von den anderen Beitrittskandidaten.
5
Aufgrund der unterschiedlichen Erweiterungsmotive und der mitunter sehr stark
differierenden Länderstandards, sowohl politisch als auch wirtschaftlich, ist eine
individuelle Heranführung der einzelnen Beitrittskandidaten an die EU erforderlich.
Basis hierfür sind bilaterale Abkommen mit den jeweiligen Beitrittkandidaten. Im Falle
der Türkei ist es das sogenannte Ankara-Abkommen, in dem der Verhandlungsrahmen
und die grundsätzlichen Ziele und Verpflichtungen festgelegt wurden. Die Grundlage
eines Beitritts ist der zum jeweiligen Beitrittstermin gültige Besitzstand der Union.
6
Dieser Besitzstand soll mit Hilfe der Heranführungsstrategie bereits vor Beginn der
Mitgliedschaft in möglichst großem Umfang vom Bewerberland übernommen werden.
Um dies zu erreichen, wurde die Heranführungsstrategie im Rahmen der EU-
Osterweiterung intensiviert und umfasst nun ein Bündel von Maßnahmen und
Vereinbarungen, die individuell auf den Beitrittskandidaten abgestimmt sind und den
Beitritt vorbereiten sollen.
7
Neben den bereits genannten bilateralen Abkommen, sind vor allem die
Beitrittspartnerschaften interessant. In ihnen werden zum einen der Rahmen für die
Unterstützung der Beitrittsvorbereitungen formuliert und zum anderen, die sich aus den
Kopenhagener Kriterien ergebenden Reformverpflichtungen für das Beitrittsland, seien
es gesetzgeberische, institutionelle oder infrastrukturelle Verpflichtungen, dokumentiert.
Darüber hinaus stellen die Beitrittskandidaten nationale Programme zur Übernahme des
gemeinsamen Besitzstandes auf und versehen diese mit Umsetzungszeitplänen.
8
Die Beitrittspartnerschaft mit der Türkei wurde 2001 vereinbart und zuletzt 2006
überarbeitet. Kern der Überarbeitung war die Erstellung einer Prioritätenliste für
vorrangig wichtige Themenkomplexe. So sind beispielsweise die Stärkung der
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, aber auch der Minderheitenschutz und die
Einhaltung der Menschenrechte innerhalb von ein bis zwei Jahren umzusetzen. Dagegen
5
Vgl. Lippert, B. (2005), S. 119 f.
6
Unter dem Besitzstand versteht man u. a. die Rechte und Pflichten der Mitglieder aber auch gültige
Verträge zwischen einzelnen Saaten der Union
7
Vgl. Europäische Kommission (1997), S. 57 ff.;
http://europa.eu - Der Prozess bis zum Beitritt eines neuen Mitgliedstaates
8
Vgl. http://europa.eu - Der Prozess bis zum Beitritt eines neuen Mitgliedstaates

6
besteht für die Türkei im Bereich der Privatisierung und Reformierung verschiedener
Sicherungssysteme und des Agrarsektors eine Umsetzungsfrist von drei bis vier Jahren.
9
Die Bewertung dieser Maßnahmen erfolgt in Form eines jährlichen Fortschrittsberichts,
auf den im Kapitel 4.4.1 eingegangen wird.
Die Annäherung eines Beitrittskandidaten an die wirtschaftlichen und politischen
Standards der Union wird bereits während der Heranführungsphase durch finanzielle
Mittelzuwendungen unterstützt, die auf die Prioritäten der Beitrittspartnerschaft
ausgerichtet sind. So dienen die Transferzahlungen an die Türkei in erster Linie der
Stärkung der institutionellen Kapazitäten (ca. 30 %) und als Investitionshilfe (ca. 70 %).
Die Summe der Mittelzuweisungen betrug in den Jahren 2002-2005 knapp 850 Mio.
Euro und 2006 weitere 500 Mio. Euro. Darüber hinaus kann die Türkei Darlehen aus
verschiedenen Sonderprogrammen abrufen.
10
2.2 Wirtschafts- und Währungsunion ­ Ziel des Integrationsprozesses
Die Vollendung des in den 50er-Jahren angestoßenen europäischen Einigungsprozesses,
begann im Jahr 1990 stufenweise mit der Umsetzung der Europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion (EWWU), die auf dem Grundsatz einer Marktwirtschaft mit einem
freien Wettbewerb und offenen Märkten innerhalb der Union beruht. Um das Wohl ihrer
Mitglieder zu fördern, hohe Beschäftigung, soziale Sicherheit und ein anhaltendes
Wirtschaftswachstum zu ermöglichen, ist die Geldwertstabilität eine der wesentlichen
Grundlagen der Union. Darüber hinaus sind alle Mitglieder verpflichtet für solide
Staatsfinanzen zu sorgen, eine vollständige Integration der Finanzmärkte und vollständig
freien Kapitalverkehr zu ermöglichen.
11
Mit der ersten Stufe wurde das Ziel verknüpft, die nationalen Wirtschafts- und
Währungspolitiken besser zu koordinieren, um so das primäre Ziel, die Preisstabilität, zu
erreichen. Als Koordinierungsinstrument wurde hierzu eine multilaterale Überwachung
durch den Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin-Rat) eingeführt, die
insbesondere die Haushaltpolitik betraf. Weitere Eckpunkte waren die Liberalisierung
des Geld- und Kapitalverkehrs, sowie die vollständige Schaffung des gemeinsamen
9
Vgl. http://europa.eu - Die Beitrittspartnerschaft mit der Türkei
10
Vgl. http://europa.eu - Die Beitrittspartnerschaft mit der Türkei
11
Vgl. Woyke, W. (1998), S. 238 f.

7
Binnenmarktes durch den Abbau der Beschränkungen im Personen-, Waren- und
Dienstleistungsverkehr.
12
Der wirtschaftliche Zusammenschluss Europas erfolgte in den Anfangsjahren ohne
eigene Währungspolitik, denn das nach dem zweiten Weltkrieg entstandene
Währungssystem von Bretton Woods und die Gründung des Internationalen
Währungsfonds (IWF) als supranationale Währungsbehörde förderten zunächst noch die
Wechselkursstabilität und das Funktionieren eines gemeinsamen Markts.
13
Ende der 60er Jahre entstand jedoch in Europa aufgrund währungspolitsicher
Turbulenzen der Wunsch, von den USA unabhängiger zu werden. Um dieses Ziel zu
erreichen, wurde 1979 das Europäische Währungssystem (EWS) mit einem
bandbreitenfixierten, aber anpassungsfähigen Wechselkursmechanismus geschaffen. Das
EWS war ein Versuch engerer währungspolitischer Zusammenarbeit, auf das Teile der
währungspolitischen Autonomie übertragen wurden. So konnten beispielsweise die
Währungsparitäten nur in gegenseitigem Einvernehmen der Mitgliedstaaten geändert
werden.
14
Im Rahmen der zweiten Stufe der EWWU, die 1994 begann, wurde diese Entwicklung
forciert und die geld- und währungspolitische Koordinierung verstärkt. Gleichzeitig
wurde die Gründung einer europäischen Zentralbank initiiert und das Szenarium für den
Übergang in die dritte Stufe festgelegt.
15
Die dritte Stufe der EWWU sollte spätestens 1999 mit der Einführung der gemeinsamen
Währung beginnen. Hierbei sollten die Länder teilnehmen, die zu diesem Zeitpunkt
bereits die im nächsten Kapitel beschriebenen Konvergenzkriterien erfüllten.
Gleichzeitig wurde das nun obsolet gewordene Europäische Währungssystem durch den
neuen Wechselkursmechanismus (WKM II)
16
abgelöst, über den die Anbindung der
Währungen der Länder, die noch nicht zum Eurogebiet gehören, erfolgt.
17
12
Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 16, Görgens, E. et al. (2004), S. 6 ff.
13
Vgl. Dieckheuer, G. (2001), S. 269 ff.
14
Vgl. Woyke, W. (1998), S. 235 ff.
15
Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 17 ff.
16
Vgl. Kapitel 4.4.2.9, S. 46
17
Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 76

8
2.3 Konvergenzkriterien und Beitrittsverfahren
Der Beitrittsprozess zur Teilnahme an der EU besteht aus drei Phasen (Antrags-,
Verhandlungs- und Ratifikationsphase). Er beginnt mit dem Antrag eines Landes auf
Aufnahme in die Europäische Union. Der Antrag wird beim Rat der Europäischen
Union
18
eingereicht, über den dieser einstimmig entscheiden muss. Vor seiner
Entscheidung hört der Rat zum einen die Kommission
19
an und muss sich zum anderen
vom Europäischen Parlament, das mit absoluter Mehrheit über den Antrag entscheidet,
die Zustimmung einholen.
Hat ein Land den Status des Kandidatenlandes erhalten, müssen bestimmte Bedingungen
erfüllt sein, damit mit Beitrittsverhandlungen überhaupt begonnen werden kann. Diese
Beitrittskriterien (vgl. Kapitel 4.1) hat der Europäische Rat 1992 in Kopenhagen
festgelegt und 1997 nochmals ergänzt, wobei bei den Verhandlungen mit Kroatien und
der Türkei erstmals die Option besteht, die Verhandlungen auszusetzen, sofern
schwerwiegend und dauerhaft gegen die Grundwerte der Union verstoßen wird.
20
Kern der eigentlichen Beitrittsverhandlungen ist der gemeinschaftliche Besitzstand, der
sogenannte Acquis communautaire, der in einzelne Bereiche untergliedert ist und jeweils
getrennt, im Rahmen bilateraler Konferenzen, verhandelt wird. Aus den Verhandlungen
geht schließlich der Beitrittsvertrag hervor, der sowohl vom Beitrittsstaat also auch von
jedem einzelnen Mitgliedsstaat und der EU ratifiziert werden muss. In ihm sind das
Beitrittsdatum und die Beitrittsbedingungen zur Wirtschaftsunion, z.B. mögliche
Übergangsfristen, geregelt.
21
Mit dem Eintritt in die Europäische Wirtschaftsunion ist der erste Teil des formalen
Integrationsprozesses für das Beitrittsland abgeschlossen. Die relevanten Grundlagen
hierfür sind in den Kopenhagener Kriterien gelegt. Den zweiten Teil bildet nach einer
mindestens zweijährigen Übergangsphase die Währungsunion.
18
Der Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten und dem
Kommissionspräsidenten zusammen.
19
Die Europäische Kommission besteht aus jeweils einem Vertreter der Mitgliedsstaaten. Im Gegensatz
zum Rat, der die nationalstaatlichen Interessen vertritt, ist die Kommission völlig unabhängig. Ihre
Mitglieder dürfen von den Regierungen keine Anweisungen anfordern und entgegennehmen.
20
Vgl. http://europa.eu - Beitrittskriterien (Kopenhagener Kriterien)
21
Vgl. http://europa.eu - Der Prozess bis zum Beitritt eines neuen Mitgliedstaates;
Lippert, B. (2006), S. 47 f.

9
Sie ist für alle Neumitglieder, da keine Opting-out-Klausel
22
mehr besteht, zwingender
Bestandteil des Integrationsprozesses. Unabdingbare Voraussetzung, für die
Euroeinführung ist ein hoher Grad an dauerhafter Konvergenz, da nur annähernd
gleichgerichtete Volkswirtschaften eine erfolgreiche Währungsunion bilden können. Um
dies zu erreichen sind bereits deutlich vor dem Eintritt in die Währungsunion die
sogenannten Konvergenzkriterien zu erfüllen.
23
Das erste Kriterium ist Preisstabilität, die sich an der Inflationsrate ablesen lässt. Diese
darf maximal um 1,5 % größer sein, als die durchschnittliche Inflationsrate der -
höchstens drei - preisstabilsten Mitgliedsstaaten. Die während des letzen Jahres vor der
Prüfung gemessene Inflationsrate eines Landes wird anhand des Harmonisierten
Verbraucherpreisindexes (HVPI) ermittelt.
24
Zweites Kriterium ist eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand. Die
geforderte Haushaltsdisziplin wird sowohl am Finanzierungssaldo als auch am
Schuldenstand eines Landes gemessen. So sind das jährliche Haushaltsdefizit auf
maximal 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der öffentliche Schuldenstand auf
höchsten 60 % des BIP begrenzt. Von Sanktionsmaßnahmen bei der Überschreitung der
Werte kann abgesehen werden, wenn das Defizit erheblich und laufend zurückgegangen
ist und der Finanzierungssaldo annähernd bei 3 % des BIP liegt, beziehungsweise der
Referenzwert nur ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wurde. Für den
Schuldenstand gilt bei hinreichender Rückläufigkeit und rascher Annäherung an den
Referenzwert das Gleiche.
25
Die tragbare Finanzlage muss auch nach einem Beitritt zur Währungsunion erhalten
bleiben. Hierfür wurde 1997 der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt konzipiert,
der die beiden Grenzwerte auch für die Mitglieder der Europäischen Währungsunion
setzt.
26
Die Entwicklung des langfristigen Zinses ist ein weiteres Konvergenzkriterium. Im
Laufe eines Jahres vor der Prüfung darf der Zinssatz nicht mehr als zwei Prozentpunkte
über dem durchschnittlichen Zinssatz der - höchstens drei - Mitgliedstaaten mit der
22
Im Vertrag von Maastricht haben Dänemark und Großbritannien ausgehandelt, dass sie selbst
entscheiden können, ob sie der Währungsunion beitreten.
23
Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 18
24
Vgl. http://www.ecb.int - Konvergenzkriterien
25
Vgl. http://www.ecb.int - Konvergenzkriterien
26
Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 37 f.

10
niedrigsten Inflationsrate liegen.
27
Hintergrund dieses Kriteriums ist die Annahme, dass
ein überdurchschnittlich hoher langfristiger Zinssatz eine Risikoprämie für
Inflationspotential beinhaltet, die wiederum auf eine unzureichende Stabilitätspolitik
eines Landes schließen lässt.
28
Die spannungsfreie Teilnahme am Europäischen Wechselkursmechanismus ist das letzte
Kriterium. Sie muss innerhalb der letzten beiden Jahre vor Prüfung gewährleistet sein
und wird durch das Einhalten der normalen Bandbreiten ohne Abwertung gegenüber der
Währung eines anderen Mitgliedstaates sichergestellt.
29
Die Erfüllung dieser nominalen Konvergenzkriterien ist zwar Voraussetzung für die
Teilnahme, gleichwohl ist ihre Erfüllung alleine nicht ausreichend für eine erfolgreiche
Union. Vielmehr ist eine reale Konvergenz, also die Angleichung der
realwirtschaftlichen Strukturen, das entscheidende Kriterium für den richtigen
Beitrittszeitpunkt (vgl. Kapitel 4.2.2).
27
Vgl. http://www.ecb.int - Konvergenzkriterien
28
Vgl. Görgens, E. et al. (2004), S. 17 f.
29
Vgl. http://www.ecb.int - Konvergenzkriterien

11
3 Die Türkei als Beitrittskandidatin
3.1 Die politischen Situation im Kontext eines EU-Beitritts
Die Türkei nimmt vor dem Hintergrund eines EU-Beitritts von allen anderen bisherigen
Beitrittskandidaten eine besondere Stellung ein. Diese Besonderheiten beziehen sich
sowohl auf innen- und außenpolitische als auch auf regionale und kulturelle
Gegebenheiten und beinhalten somit Chancen und Risiken zugleich.
Mit ihren zurzeit ca. 72 Mio. Einwohnern (2006) und einer Landfläche von ca. 783.000
km² würde sie im Falle eines Beitritts in beiden Kategorien zu den Schwergewichten der
Union gehören.
Innenpolitisch verbindet die Türkei Elemente einer modernen, westlich geprägten
Gesellschaft mit Elementen eines lebendigen Islam, dem 99,8 % der Bevölkerung
angehören. Die Orientierung nach Europa ist seit der Staatsgründung durch Atatürk eine
wesentliche Leitlinie der türkischen Politik.
30
Gleichwohl war die türkische Politik lange Zeit von einer stark fragmentierten und
instabilen Parteienlandschaft geprägt, was dazu führte, dass Reformen nur zögerlich
umgesetzt wurden. Zudem spielte das Militär in den vergangen Jahrzehnten eine
beträchtliche Rolle und riss seit 1960 viermal die Macht an sich. Eines der weiteren
innenpolitischen Problemfelder ist die seit Jahrzehnten existierende ,,Kurdenfrage", die
auch heute noch in Sachen Menschenrechtsfragen Anlass zu berechtigter Kritik gibt. Seit
der Wahl im Jahr 2002, bei der die Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP)
annähernd eine Zweidrittelmehrheit erreichte, konnten jedoch wichtig Reformen auf den
Weg gebracht und die Wirtschaft des Landes deutlich stabilisiert werden. Die
Währungsreform mit der Streichung von sechs Nullen dürfte die bekannteste Reform
dieser Zeit gewesen sein.
31
Vor allem die gute wirtschaftliche Entwicklung wird als Grund für die Wiederwahl der
AKP in diesem Jahr gesehen, die weiter unter Ministerpräsident Erdogan mit absoluter
Mehrheit regieren kann und somit erneut gute Voraussetzungen für die Fortführung
einer konsequenten Reformpolitik vorfindet. Dennoch handelt es sich bei der Türkei um
eine, im Vergleich zu Deutschland oder beispielsweise Frankreich, ,,fragile oder defekte
30
Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de - Türkei: Staatsaufbau/Innenpolitik
31
Vgl. Deutsche Bank Research (2005), S. 2 f.; Steinbach, U. (2002), S. 28 ff.

12
Demokratie, deren ... innere... Souveränität .. noch ungefestigt ist"
32
. Dies wurde
besonders im April 2007 deutlich, als sich die AKP unter Ministerpräsident Erdogan
einer Putschdrohung der Opposition und des Militärs ausgesetzt sah, da die Regierung
das Staatpräsidentenamt mit dem als islamisch-konservativ geltenden Außenminister
Gül besetzen wollte und dies insbesondere das Militär, das sich selbst als Hüter der
laizistischen Verfassung versteht, verhindern wollte.
33
Geographisch gesehen nimmt die Türkei aufgrund ihrer exponierten Lage eine
besondere Stellung ein. Zum einen befinden sich rund 97 % des türkischen Territoriums
in Asien, zum anderen ist das Umfeld der Türkei höchst heterogen. So grenzt die Türkei
unmittelbar an die Krisengebiete Irak und Iran, aber auch die Beziehungen zu
Griechenland, Russland und anderen Nachbarstaaten sind historisch nicht unbelastet.
34
Wie brisant die Situation an den türkischen Grenzgebieten sein kann, zeigt sich in den
Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit, als die kurdische Terrororganisation PKK
von irakischen Kurdengebieten aus, unbehelligt Anschläge in der Türkei vorbereiten
konnte. Ebenso schwierig war und ist es, hier ein einvernehmliches Vorgehen zu finden,
das dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Türkei gerecht wird.
Aufgrund des Spannungsfeldes in dem sich die Türkei befindet, hat sie ein besonderes
Interesse an einem dauerhaften Frieden im Nahen Osten. Dies führt dazu, dass sie
sowohl mit Israel eine strategische Beziehung unterhält als auch versucht die bilateralen
Beziehungen zu den arabischen Staaten zu intensivieren. Auch hier ergibt sich aus dem
außenpolitischen Spagat, in den auch der Palästinenser-Konflikt mit einspielt, politische
Brisanz.
35
Vorteile aus ihrer geographischen Lage zieht die Türkei vor allem daraus, dass sie im
Begriff ist, ein wichtiges Transitland für Erdöl und Erdgas aus dem Kaspischen Raum zu
werden. Neu gebaute Gas- und Erdölleitungen unterstützen diese Prognose nachhaltig.
36
Allein aufgrund der Größe stellt die Integration der Türkei schon eine besondere
Herausforderung dar. Darüber hinaus kommen die bereits genannten Besonderheiten
hinzu, die eine genaue Abwägung des künftigen Handelns der Europäischen Union als
unabdingbar erscheinen lassen. So besteht für die EU bei der Aufnahme der Türkei rein
32
Lippert, B. (2005), S. 119 f.
33
Vgl. http://www.bpb.de - Parlamentswahlen in der Türkei
34
Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de - Türkei: Außenpolitik
35
Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de - Türkei: Außenpolitik
36
Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de - Türkei: Außenpolitik

13
politisch das Problem, unmittelbar an eine der größten Krisenregionen der Welt
heranzurücken und somit die Notwendigkeit, noch stärker als bisher, die dortigen
Konflikte in ihr Handeln mit einbeziehen zu müssen. Auf der anderen Seite besteht auch
die Chance über die Türkei einen direkteren Zugang zu einigen der wichtigsten
Rohstoffgebiete unserer Zeit zu erhalten.
3.2 Der Annäherungsprozess an die EU
Mit dem Beschluss des Europäischen Rates im Dezember 2004, die
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Oktober 2005 zu eröffnen, wurde ein
wesentlicher Meilenstein in einem Annäherungsprozess zwischen der EU und der Türkei
erreicht, dessen Ursprung bereits mehr als 45 Jahre zurückliegt.
Bereits im Jahr 1959 stellte die Türkei einen Antrag auf Aufnahme in die Europäische
Union und wartet damit länger als jedes andere Land auf eine Entscheidung.
37
Im sogenannten Ankara-Abkommen von 1963 wurde eine beständige und ausgewogene
Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen
vereinbart und der Türkei der
Status eines Partners verliehen. Die Intensivierung dieser Beziehungen sollte zunächst
durch Schaffung einer Zollunion erfolgen, mit der Aussicht einen Beitritt der Türkei zur
Gemeinschaft zu prüfen.
Das Ankara-Abkommen sah zunächst eine Vorbereitungsphase von 5-9 Jahren vor.
Anschließend sollte eine Übergangsphase von 12-22 Jahren folgen, deren Ziel die
Zollunion einschließlich einer verstärkten Koordinierung der Wirtschaftspolitiken war.
38
Konkretisiert wurde der Weg in Richtung Zollunion durch ein Zusatzprotokoll im
November 1970. Dieses Zusatzprotokoll beinhaltet die beiderseitige Abschaffung von
Zöllen, was für die türkische Produktion zum Teil erhebliche Vorteile mit sich brachte.
Zudem ist die Harmonisierung der Gesetze der Türkei mit dem EG-Recht angeraten.
39
In den darauffolgenden Jahren verschlechterten sich allerdings die Beziehungen
zwischen der EG und der Türkei erheblich. Der zweite Militärputsch im Jahr 1971 (der
erste erfolgte 1960), die Zypernkrise 1974 und Griechenlands Antrag auf
Vollmitgliedschaft 1975 ließen den Beitritt der Türkei in weite Ferne rücken. Zumal der
dritte Militärputsch im September 1980 verhinderte, dass die türkische Regierung ihren
37
Vgl. Yilmaz, M. (2004), S. 193 f.
38
Vgl. Riemer A. K. (2003), S. 41

14
Beschluss auf Einreichung eines Aufnahmeantrags abgeben konnte. Tiefpunkt dieser
Entwicklung war die Aussetzung des Ankara-Abkommens im Jahr 1982.
40
Nach den Wahlen 1983 und dem damit verbundenen Ende der Militärherrschaft
normalisierten sich die Beziehungen wieder allmählich und mündeten schließlich 1987
im Antrag der Türkei auf Vollmitgliedschaft. Dieser Antrag wurde von der Europäischen
Kommission als verfrüht zurückgewiesen und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Dennoch intensivierten sich fortan die beiderseitigen Bemühungen um ein umfassendes
Kooperationsprogramm. Zudem wurde die Vollendung der Zollunion bis 1995 als Ziel
fixiert. Dieses Ziel wurde durch die Gründung der Zollunion im März 1995 erreicht.
41
Seit dem Inkrafttreten am 1. Januar 1996 sind zwischen der EU und der Türkei die Zölle
auf gewerbliche Produkte abgebaut, sowie ein gemeinsamer Außenzoll festgelegt.
Im darauffolgenden Jahr, im April 1997, attestierte der Assoziationsrat der EU der
Türkei die Eignung für eine Vollmitgliedschaft und beauftragte die Europäische
Kommission, Vorschläge für eine Intensivierung der Beziehungen auszuarbeiten.
Die Vorschläge, die von der Kommission eingebracht wurden, bezogen sich u.a. auf den
Dienstleistungsbereich, aber auch auf bestimmte Themen wie Energie und
Telekommunikation, sowie auf eine länderspezifische Strategie. Darüber hinaus wurden
aber auch Anhaltspunkte zur Stärkung des Rechtstaats und der Menschenrechte
entworfen. Da die Türkei sich hier jedoch gegenüber anderen Beitrittskandidaten
benachteiligt fühlte, nahm sie an der Europäischen Konferenz im März 1998 nicht teil.
Dennoch wurde auf dieser Konferenz eine Europastrategie für die Türkei
verabschiedet.
42
Als die EU der Türkei aufgrund des Erdbebens im August 1999 massive Finanzhilfe
gewährten, entspannten und verbesserten sich die Beziehungen wieder und der Dialog
konnte fortgesetzt werden. Auf dem EU-Gipfel in Helsinki im Dezember 1999 wurde
die Türkei schließlich als Beitrittskandidat anerkannt, auf Grundlage der 1993
aufgestellten und für alle Beitrittskandidaten geltenden Kopenhagener Kriterien. Ein
Zeitrahmen wurde jedoch nicht vorgegeben. Die Hintergründe für diese zu diesem
Zeitpunkt doch überraschende Entscheidung sind vielfältiger Natur. Zum einen wollte
39
Vgl. http://www.tuerkischebotschaft.de - Die Türkei und die EU
40
Vgl. http://www.tuerkischebotschaft.de - Die Türkei und die EU
41
Vgl. http://www.mfa.gov.tr - Relations between Turkey and the European Union
42
Vgl. Guttenberg, K.-T. Zu (2004), S. 8 f.

15
die EU die suboptimalen politischen Beziehungen zur Türkei verbessern, nicht zuletzt
unter dem Eindruck der verbesserten griechisch-türkischen Beziehungen. Zum anderen
dürfte der politische Druck der USA ein Übriges zu dieser Entscheidung gegeben
haben.
43
Anhand des Fortschrittsberichts 2002 zur Türkei, wurde eine Entscheidung über den
Start der Beitrittsverhandlungen auf dem EU-Gipfel im Dezember 2004 auf Grundlage
eines weiteren Berichts und einer Empfehlung der Kommission angekündigt.
44
In
diesem Bericht bescheinigte die Kommission der Türkei eine ausreichende Erfüllung der
politischen Kriterien und empfahl die Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Dieser
Empfehlung folgten die Regierungschefs mit dem Beginn der Verhandlungen zum EU-
Beitritt am 3. Oktober 2005.
45
43
Vgl. Riemer, A. K. (2003), S. 42
44
Vgl. Belke, A.; Terzibas, N. (2005), S. 488
45
Vgl. Seufert, G.; Kubaseck, Ch. (2006), S. 180 f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836607940
Dateigröße
798 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FOM Essen, Hochschule für Oekonomie & Management gemeinnützige GmbH, Hochschulleitung Essen früher Fachhochschule – Studiengang Wirtschaft
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
türkei beitritt wirtschaft auswirkung europäische union integration beitrittskriterium eu-erweiterung
Zurück

Titel: EU-Beitritt der Türkei?
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
101 Seiten
Cookie-Einstellungen