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Exhibition - Untersuchung des Selbst

Von der Veränderung im Alltäglichen

von Marcus Pfab (Autor:in)
©1999 Magisterarbeit 75 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
„Ich biete eine Innenschau, eine Reise in die Vergangenheit, eine Entdeckung des Ichs ... Ich will nicht schockieren, ich will genau sein. ... Magst du dich selbst, oder magst du dich nicht?“
Im Rahmen meiner Magisterarbeit habe ich eine Ausstellung konzipiert und realisiert, die sich über das Mittel Selbstporträt, vielseitig und multimedial interpretiert, definieren läßt.
Das äußere Thema der Exposition, hier exhibition, ist das Ausstellen von Bildern. Ich zeige Abbildungen meines Gesichtes, der Bildausschnitt beschränkt sich weitgehend auf Augen, Nase und Mund ohne schmückende Elemente oder mich in irgend einer Art und Weise kennzeichnende Attribute. Durch den Frontalblick direkt in die Kamera sind alle Fotos einerseits komplett distanzlos und subjektiv, zum anderen werde ich versuchen, durch Nachbearbeitung am Computer, die multimediale Präsentation sowie die Mittel der Reihung und des Rasters den Versuch unternehmen, Distanz zu mir, meinem Ich und der mich umgebenden Umwelt aufzubauen. Realität und Medienrealität sollen zu einer eigenen Dimension im Ausstellungsraum verschmelzen. Es geht hierbei unter anderem um die Konfrontation meiner selbst mit mir persönlich, sowie um die Gegenüberstellung von mir und meiner Umwelt. Wie reagiere ich auf so eine Masse von mir; wie reagieren die Menschen um mich herum auf solch einen gehäuft auftretenden Marcus?
Die Konfrontation mit der Umwelt geschieht durch Anstecker, ein Erinnerungsspiel, Postkarten, eine Webside, eine Videoinstallation, Computerausdrucke und Fotografien.
Die äußere Präsentation ist also durch eine Ausstellung mit Selbstporträts ohne größere ersichtliche Unterschiede gekennzeichnet. Jedoch gerade die kleinen Abweichungen zwischen den einzelnen Porträts machen die zweite, innere Ebene dieser Arbeit aus. Zeigen sie doch das Individuum hinter den Kunstwerken mit seinen verschiedenen alltäglichen Identitäten, ausgelöst durch Erlebnisse und Gefühle, die der Betrachter grundsätzlich nicht nachvollziehen kann, da er sie nicht kennt. Diese Unwissenheit soll auch in letzter Konsequenz erhalten bleiben, ermöglicht sie doch eine freie Gedankenarbeit des Betrachters. Die Bilder sollen zunächst visuell gelesen werden, nicht inhaltlich. Somit verzichte ich auf ein, für temporäre Projekte dieser Art durchaus typisches und gern genutztes, Tagebuch. Oft habe ich den Eindruck, daß es als Seitenfüller dient und des Angesagtseins wegen verwendet wird.
Mein scheinbar […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Marcus Pfab
Exhibition - Untersuchung des Selbst
Von der Veränderung im Alltäglichen
ISBN: 978-3-8366-0701-8
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Greifswald, Deutschland, Magisterarbeit,
1999
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
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Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
5
2.
Das
Projekt
9
2.1. Entstehungsgeschichte und Grundlagenforschung
9
2.2. Selbstporträt und Selbstinszenierung im kunsthistorischen Kontext
13
2.3.
Künstlerische
Mittel
20
2.4.
Selbstbetrachtung
25
2.5.
Exhibition
und
Voyeurismus
28
2.6.
Über
meinen
Narzißmus
30
2.7.
Ich
Selbst
33
3.
Die
Exhibition
36
3.1. Das Raum - Zeit - Konzept
36
3.1.1.
Der
Raum
36
3.1.2.
Die
Zeit
38
3.2.
Die
mediale
Präsentation
41
3.2.1.
Die
Fotoreihe
41
3.2.2.
Die
Videoinstallation
43
3.2.3.
Das
Erinnerungsspiel
45
3.2.4.
Die
Anstecker
46
3.2.5.
Die
Internet-Seite 47
3.2.6. Die Computerbearbeiteten Porträts
48
3.2.7.
Die
Chimären
49
3.2.8.
Die
Postkarten
54
4. Gedankenspiel um weitere Vertiefungen
56
5.
Resümee
58
6.
Bildteil
63
7.
Literaturverzeichnis
70
8.
Abbildungsverzeichnis
72

2
Ich zolle den folgenden Personen Tribut, ohne die
weder mein Selbst noch diese Arbeit inklusive der da-
zugehörigen Präsentation zustande gekommen wären.
Ich danke meiner Mutter, meinem Vater und meinen
älteren Vorfahren, Claudia, Professor Soltau und Katrin.

3
...
William Hurt : Wußte nicht, daß du fotografierst.
Harvey Keitel : Man könnte es ein Hobby nennen. Ich brau-
che nur 5 Minuten am Tag, aber ich tu es jeden Tag, Regen
oder Sonne, Eis oder Schnee. Wie der Briefträger.
William Hurt : Du schiebst also nicht nur Kleingeld über den
Ladentisch?
Harvey Keitel : Das ist, was die Leute sehen, aber das bin
nicht unbedingt ich.
...
William Hurt : Die sind ja alle gleich.
Harvey Keitel : Genau. Über 400 Bilder vom selben Ort. Drit-
te Straße und siebte Avenue, 8 Uhr früh. 4000 Tage bei jedem
Wetter. Deshalb mache ich nie Urlaub, ich muß hier sein. Je-
den Morgen am selben Platz, zur selben Zeit.
William Hurt : Sowas habe ich noch nie gesehen.
Harvey Keitel : Das ist mein Projekt. Sozusagen mein Le-
benswerk.
William Hurt : Nicht zu fassen. Aber ich versteh nicht ganz ...
Wie bist du auf die Idee gekommen, mit dem ... Projekt.
Harvey Keitel : Ich weiß nicht, einfach so. Schließlich wohne
ich hier. Nur ein kleiner Teil der Welt, aber hier passieren
auch Dinge, genau wie woanders. Eine Aufzeichnung meiner
Welt.
William Hurt : Wirklich überwältigend.
Harvey Keitel : Mach langsamer, sonst kapierst du´s nie.
William Hurt : Wie meinst du das?
Harvey Keitel : Du bist zu schnell. Du siehst gar nichts.
William Hurt : Aber die sind doch alle gleich.
Harvey Keitel : Die sind alle gleich, und doch ist jedes an-
ders. Es gibt helle Morgen und dunkle Morgen, Sommerlicht
und Herbstlicht, Wochentage und Wochenende, Leute in Män-
teln und in Überschuhen, und Leute in T-shirts und kurzen
Hosen. Manchmal dieselben Leute, manchmal andere. Und
manchmal sind die anderen dieselben, und dieselben ver-
schwinden. Die Erde dreht sich um die Sonne, und jeden Tag
bescheint die Sonne die Erde anders.
William Hurt : Langsamer machen, mh.
Harvey Keitel : Das würde ich empfehlen. Du weißt ja, immer
morgen und morgen, und die Zeit schleicht langsam voran.
...
1
1
Wang, Wayne / Auster, Paul: Smoke
mit William Hurt, Harvey Keitel, Stockard Channing, Harald Perrineau jr, Forest Whitaker, eine Produktion
der NFD/Eurospace und Peter Newman/Interal ã Miramax International. USA 1995

4
...
Voyeur: Wußte nicht, daß du fotografierst.
Exhibitionist: Tu ich auch nicht regelmäßig. Nur vom April bis
zum Juli dieses Jahres habe ich täglich zwei Fotos geschos-
sen; jeden Morgen nach dem Aufwachen und jeden Abend
vor dem Einschlafen. Als ob der Briefträger zwei mal käme.
Voyeur: Du studierst also nicht einfach so vor dich hin?
Exhibitionist: Das ist, was die Leute sehen, aber das bin
nicht unbedingt ich.
...
Voyeur: Die sind ja alle gleich.
Exhibitionist: Genau. 129 Bilder vom selben Ort. Früh und
abends in meinem Zimmer in der Münterstraße 4. Vier Monate
meines Lebens mit je zwei Schnappschüssen dokumentiert.
Voyeur: Sowas habe ich noch nie gesehen.
Exhibitionist: Das ist mein Projekt. Sozusagen ein Lebens-
abschnitt als Magisterarbeit.
Voyeur: Nicht zu fassen. Aber ich versteh nicht ganz ... Wie
bist du auf die Idee gekommen, mit dem ... Projekt.
Exhibitionist: Ich weiß nicht, einfach so. Schließlich wohne
ich hier. Nur ein kleiner Teil der Welt, aber hier passieren
auch Dinge, genau wie woanders. Eine Aufzeichnung meiner
Welt. Außen und Innen gleichzeitig.
Voyeur: Wirklich überwältigend.
Exhibitionist: Mach langsamer, sonst kapierst du´s nie.
Voyeur: Wie meinst du das?
Exhibitionist: Du bist zu schnell. Du siehst gar nichts.
Voyeur: Aber die sind doch alle gleich.
Exhibitionist: Die sind alle gleich, und doch ist jedes anders.
Es gibt helle Morgen und dunkle Morgen, graue Abende und
farbige Abende, Müdigkeit und Frische, gute Laune und
schlechte Laune, Geistesgegenwart und sprichwörtliche
Dummheit. Immer derselbe Mensch, und doch manchmal ein
anderer. Und manchmal ist der andere derselbe. Die Erde
dreht sich um die Sonne, und jeden Tag bescheint die Sonne
die Erde anders. Jeden Tag bin ich anders. Und doch gleich.
Voyeur: Langsamer machen, mh.
Exhibitionist: Das würde ich empfehlen. Du weißt ja, immer
morgen und morgen, und die Zeit schleicht langsam voran.
...

5
1. Einleitung
,,Ich biete eine Innenschau, eine Reise in die Vergangenheit, eine Ent-
deckung des Ichs ... Ich will nicht schockieren, ich will genau sein. ...
Magst du dich selbst, oder magst du dich nicht?"
2
Im Rahmen meiner Magisterarbeit habe ich eine Ausstellung
konzipiert und realisiert, die sich über das Mittel Selbstporträt,
vielseitig und multimedial interpretiert, definieren läßt.
Das äußere Thema
3
der Exposition, hier exhibition, ist das
Ausstellen von Bildern. Ich zeige Abbildungen meines Gesich-
tes, der Bildausschnitt beschränkt sich weitgehend auf Augen,
Nase und Mund ohne schmückende Elemente oder mich in
irgend einer Art und Weise kennzeichnende Attribute. Durch
den Frontalblick direkt in die Kamera sind alle Fotos einerseits
komplett distanzlos und subjektiv, zum anderen werde ich
versuchen, durch Nachbearbeitung am Computer, die multi-
mediale Präsentation sowie die Mittel der Reihung und des
Rasters den Versuch unternehmen, Distanz zu mir, meinem
Ich und der mich umgebenden Umwelt aufzubauen.
4
Realität
und Medienrealität sollen zu einer eigenen Dimension im Aus-
stellungsraum verschmelzen. Es geht hierbei unter anderem
um die Konfrontation meiner selbst mit mir persönlich, sowie
um die Gegenüberstellung von mir und meiner Umwelt. Wie
reagiere ich auf so eine Masse von mir; wie reagieren die
Menschen um mich herum auf solch einen gehäuft auftreten-
den Marcus?
2
Louise Bourgeois in Die Zeit vom 25. 3. 1999, In der Hölle war es wundervoll - Alterslos obsessiv - Louise
Bourgeois in der Kunsthalle Bielefeld von Ursula Bode.
3
Ich differenziere, angelehnt an die Funktionen von Porträt und Selbstporträt, in äußere und innere
Präsentation. Die im wesentlichen abbildende Funktion registriert die äußere Erscheinung des
Porträtierten. Die innere Ebene wird durch das darin immer enthaltene visionäre Bildnis repräsentiert.
4
Pinder hat in diesem Zusammenhang auf Seite 10 in Rembrandts Selbstbildnisse von einer inneren
Spaltung von Sehen und Gesehenwerden gesprochen und damit die Problematik des Selbstabbildens gut
gekennzeichnet.

6
Die Konfrontation mit der Umwelt geschieht durch Anste-
cker, ein Erinnerungsspiel, Postkarten, eine Webside, eine
Videoinstallation, Computerausdrucke und Fotografien.
Die äußere Präsentation ist also durch eine Ausstellung mit
Selbstporträts ohne größere ersichtliche Unterschiede ge-
kennzeichnet. Jedoch gerade die kleinen Abweichungen zwi-
schen den einzelnen Porträts machen die zweite, innere Ebe-
ne dieser Arbeit aus. Zeigen sie doch das Individuum hinter
den Kunstwerken mit seinen verschiedenen alltäglichen
Identitäten, ausgelöst durch Erlebnisse und Gefühle, die der
Betrachter grundsätzlich nicht nachvollziehen kann, da er sie
nicht kennt. Diese Unwissenheit soll auch in letzter Konse-
quenz erhalten bleiben, ermöglicht sie doch eine freie Gedan-
kenarbeit des Betrachters. Die Bilder sollen zunächst visuell
gelesen werden, nicht inhaltlich. Somit verzichte ich auf ein,
für temporäre Projekte dieser Art durchaus typisches und gern
genutztes, Tagebuch. Oft habe ich den Eindruck, daß es als
Seitenfüller dient und des Angesagtseins wegen verwendet
wird.
Mein scheinbar gleiches Aussehen offenbart jedoch mehrere
neue, eigene, im Alltag verwurzelte, Identitäten. Die Porträts
ergründen verschiedene Erscheinungsweisen meiner eigenen
Person / Persönlichkeit, die auf den ersten Blick doch so uni-
form erscheinen. Die Bilder dokumentieren auf der einen Seite
automatisch und unterbewußt, das heißt nicht gestellt oder
beabsichtigt, meine Situation in meiner mich umgebenden ra-
tionalen Außenwelt und irrationalen Innenwelt. Gleichzeitig
können in die sich verändernde Mimik die Wechselfälle des
Lebens hineininterpretiert werden. Das klingt hochgestochen,
aber ich werde versuchen, durch einen konkreten Diskurs, der
Selbst- und Fremdbeobachtung einschließt, das mir innewoh-
nende Leben zu entdecken, eine - nicht die - Geschichte der
knapp vier dokumentierten Monate zu lesen.
Die Beständigkeit meines Daseins auf der einen Seite wird
einer kaum merklichen und doch vorhandenen und wichtigen
Veränderung auf der anderen Seite gegenübergestellt.

7
Welche Rolle spielt also der Faktor Zeit in dieser Präsentati-
on? Wie ist er einzubeziehen?
Die Ausstellung wird von Ambivalenzen in mir und beim Bet-
rachter regiert. Diese gilt es, im Prozeß der Beobachtung vor,
während und nach der Ausstellung zu fixieren und auszuwer-
ten. Das ist, neben der konkreten verbalen und visuellen Vor-
stellung der Ausstellungsstücke, der Inhalt meiner Magisterar-
beit. Ich nenne diese exhibition eine systematische De-
konstruktion meines Selbst. Systematisch erscheint sie mir
aufgrund der Regelmäßigkeit der Fotos und der dadurch er-
reichten Kontinuität und Dichte. Als dekonstruktivistisch be-
zeichne ich die Aufsplittung meines Selbst in viele Einzelele-
mente.
Ich zeige dem Betrachter etwas sehr Intimes. So lasse ich
sowohl die Kamera als auch den Betrachter näher als fünfzig
Zentimeter an mich heran, was einem Durchbrechen des In-
timabstandes gleich kommt, in welchen jeder ansonsten nur
die ihm liebsten Menschen vordringen läßt.
Da das Phänomen des Selbstporträts und der damit unwei-
gerlich verbundenen Selbstinszenierung in Vergangenheit und
Gegenwart ein äußerst diffiziles und vielschichtiges Thema ist,
kann der Leser keine abschließenden Antworten diesbezüg-
lich erwarten. Im optimalen Fall ergeben sich Anregungen
zum eigenen Nachdenken. Trotzdem oder gerade deshalb will
ich im Verlauf der Arbeit unter anderem auf das Selbstbildnis
im kunsthistorischen Kontext am Beispiel einiger ausgewähl-
ter Künstler eingehen.
Aus der Art der Grundlagenarbeit, die mit den regelmäßig
aufgenommenen Bildern zu kennzeichnen ist, und den daran
anschließenden Erklärungsversuchen und ästhetischen Expe-
rimenten ergibt sich folglich eine teils empirische, als auch
gleichermaßen hermeneutische Herangehensweise an mein
Projekt.

8
Die nachstehenden Fragen werden im Verlauf meiner Aus-
führungen zu untersuchen sein:
Wie wirkt welches der von mir genutzten Medien? Welche
Vorteile oder Nachteile hat jedes einzelne? Was erreiche ich
mit einer Rasterung / Reihung? Warum scheint es so einfach
zu sein, Menschen für Medien, nicht für Motive, zu interessie-
ren? Benötigt meine Präsentation eine Philosophie zur Exis-
tenzberechtigung oder gibt es automatisch eine solche? Wie
manifestieren sich Nähe und Distanz? Kann es ethische
Probleme für den Exhibitionisten und den Voyeur geben? Wie
gehe ich mit Wahrnehmungsvermögen der Betrachter um?
Wie spannend ist also eine Veränderung im Alltäglichen
wirklich.

9
Abb. 1 Wand im Rücken meiner
Schlafstätte; versehen mit Original-
Aufzeichnungen und einem
Ausschnitt aus der Jagd nach dem
Mörder Thomas Drach
Abb. 2 Wand zu Füßen meiner
Schlafstätte mit Original-Daten und
dem Hochzeitsfoto meiner Eltern
2. Das Projekt
2.1. Entstehungsgeschichte und Grundlagenforschung
Am 15.04.1998 um 01.02 Uhr schoß ich das erste, zielstre-
big auf mein Gesicht gerichtete, Foto.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht die Folgen, die ich
damit heraufbeschworen hatte. Zunächst erfaßte ich einfach
einen Teil meines Körpers, bannte Augen, Nase, Mund und
Stirn einmal auf die lichtempfindliche Schicht eines 100er Ko-
dak-Diafilms.
Wenige Tage vor diesem ersten Foto bin ich in die Mün-
terstraße 4 gezogen. Meine primäre Intention war es, diesen
neuen Räumen Intensität zu verleihen, mich selbst in ihnen
und dem Lauf der Zeit wiederzufinden.
Womit wäre ein solcher Feldversuch besser zu bewerkstelli-
gen als mit dem Gesicht, dem Teil meines Körpers, in wel-
chem sich Charakter und Bewußtsein spiegeln. Mit der Abwe-
senheit des Gesichtes würde sich der Körper in etwas Allge-
meines verwandeln, das nicht für Männlichkeit steht, sondern
eher für Mensch. Bewußt verzichtete ich auch auf jegliche
schmückende oder charakterisierende Attribute wie Ohren,
Haare, Kleidung oder Brille, um nicht eine gesellschaftliche
Position und Schicht kenntlich zu machen. So blieben die Fo-
tografien auf einer puristischen, quasi-wissenschaftlichen E-
bene und haben damit den bereits angesprochenen sowohl
experimentellen als auch hermeneutischen Zugang. Daß ich
hiermit ein fortlaufendes, zeitübergreifendes Selbstporträt im
Stile eines Rembrandt schuf, wurde mir erst im Laufe der Ar-
beit bewußt. Erst später begannen sich die Fotos von ihrem
primären Zweck, der rein persönlichen Selbstbeobachtung, zu
lösen, und ein umfangreiches Projekt fing an sich zu entwi-
ckeln.

10
Doch zurück zu den Anfängen.
In einem zeitlichen Abschnitt vom 15.04.1998 bis zum
12.07.1998 verfolgte ich mein Leben in einer statistischen und
empirische Erhebungen ermöglichenden Art und Weise. Mei-
nes Erachtens befinde ich mich stets in meinem eigenen offe-
nen System, meinem Leben im Alltag mit seinen temporären,
sozialen, regionalen, physischen und psychischen Verände-
rungen. Dieses komplexe System des Lebens scheint mir völ-
lig bekannt und bewußt zu sein. Das setzt jedoch eine kom-
plette, möglichst sekündlich wiederkehrende Wahrnehmung
und Verarbeitung meiner Umgebung und meines Bewußtseins
voraus. Dieses vollkommene Sehen, Fühlen, Wahrnehmen,
Erkennen und Verarbeiten ist dem Menschen in seiner Funk-
tion als biologischem und denkendem Wesen nicht möglich.
Wenn das soeben genannte doch realisierbar wäre, so könnte
es den Begriff des Alltags gar nicht geben, wäre doch jeder
Augenblick unseres Lebens aktiv und präsent und in keiner
Weise passiv. Um den Alltag der passiven Selbst- und
Fremdwahrnehmung zu durchbrechen, bedarf es einer Inten-
sivierung von Wahrnehmung, einer Fixierung von Alltägli-
chem. Als Künstler versuche ich darum, Alltag zu denormali-
sieren, seinem Vertrauten Umfeld zu entziehen und neuen
Zusammenhängen zuzuführen. An den Grundlagen der
visuellen Wahrnehmung orientiert, will ich diese Intention
folgendermaßen erläutern: Der Mensch entwickelt in seinem
Gehirn aus der ihn real umgebenden Welt eine eigene Sym-
bolwelt. Diese Bilder im Kopf machen ihm den Schein zur
Selbstverständlichkeit. Dabei sehen wir gar nicht wirklich
hinaus, sondern lassen visuelle Eindrücke über unseren
optischen Wahrnehmungsapparat in uns hinein.
Die Welt draußen existiert zu guter letzt in einer individuellen
Symbolwelt im Kopf des einzelnen. Was der Mensch sieht ist
was er sich vorstellt. Je mehr er also sieht und je besser er
sehen lernt, desto mehr differenzierte Symbole kann er im
Gehirn sammeln.

11
Abb. 5 Daten des Einschlafens
vor Mitternacht
Abb. 6 Daten des Einschlafens
nach Mitternacht
Abb. 4 Daten des Einschlafens
Abb. 3 Daten des Erwachens
Daran entwickelte ich den Gedanken, mein täglich wieder-
kehrendes Selbst in den Kontext einer Ausstellung zu stellen,
um den oben genannten Effekt zu erzielen.
Ich begann, jeden Morgen nach dem Erwachen und jeden
Abend vor dem Einschlafen mein Gesicht zu fotografieren. Zu-
fällig stellte dabei der Autofocus regelmäßig meine Nase
scharf und verlieh ihr damit überproportional viel Gewicht.
Diesen unerwarteten Umstand werde ich in Bälde noch persif-
lierend nutzen.
Die Zeitpunkte der Entstehung der Fotografien notierte ich.
Diese Fakten, die mein Leben mathematisch determinieren
und in konkrete Zahlen und damit Zeitabschnitte zerlegen,
sind gleichzeitig die abstrakten, Überlegungen zulassenden
Titel der Fotos. Die Daten wurden von mir erfaßt und sollen im
Rahmen der Grundlagenuntersuchung ausgewertet werden.
Die nebenstehenden Abbildungen zeigen die vom Statistik-
programm berechneten Kurven, welche letztlich nur besagen,
daß ich aufstehe und auch wieder zu Bett gehe, und das mit
einer gewissen Regelmäßigkeit. Der Verlauf der morgendli-
chen Kurve liest sich recht einfach und zeigt keinen Grund zu
Besorgnis: Ich stand in der erfaßten Zeitspanne durchschnitt-
lich um 9.
53
Uhr auf, frühestens um 7.
02
Uhr und spätestens
um 13.
12
Uhr. Diese Zahlen bedeuten für mich keine Überra-
schung, da sie ja sowohl die Wochentage als auch die freien
Tage mit den damit verbundenen verlängerten Schlafzeiten
berücksichtigen. Anfangs verwunderten mich sowohl die Kur-
ve der abendlichen Daten als auch die dazu gehörenden Be-
rechnungen. So meinte der Computer, daß ich durchschnitt-
lich 8.
88
(!) Uhr schlafen ginge, frühestens um 00.
04
Uhr und
spätestens 23.
55
Uhr. Dazu eine Kurve, die zwei sich lieben-
den Regenwürmern gleicht, welche nicht zueinander kommen
können. Nach der Erkenntnis der mitternächtlichen Unterbre-
chung und den daraus resultierenden zwei durch komplett
verschiedene Werte definierte Berechnungsgrundlagen gerie-
ten auch die grafischen Anzeigen überzeugender.

12
20.
31
Uhr war der früheste Zeitpunkt, zu welchem ich schla-
fen ging, 3.
45
Uhr der späteste. Hauptsächlich begab ich mich
zwischen 23.
00
Uhr und 01.
00
Uhr zur Ruhe.
All diese Zahlen sind für mich letztendlich nur als Grundla-
gen für mögliche Fortführungen des Projekts von Relevanz.
So könnte ich mir zum Beispiel vorstellen, mein Leben nach
den Durchschnittswerten zu reglementieren, das heißt, wirk-
lich über einen bestimmten Zeitraum morgens um 9.
53
Uhr
aufzustehen und mich abends um Mitternacht schlafen zu le-
gen. Auch diesen Prozeß könnte man mit künstlerischen Mit-
teln dokumentieren und sehen, wie sich diese strenge Orga-
nisation auf mein Leben auswirkt.

13
2.2. Selbstporträt und Selbstinszenierung im
kunsthistorischen Kontext
Das Selbstbildnis ist ,,der Sonderfall einer doppelten Gegebenheit des
Darstellungsstoffes, als Ichbewußtsein und als Gegenüber im Spiegelbild;
Selbstdarstellung und Fremdbericht in einem, möglicherweise auch Selbst-
darstellung als Fremdbericht. Da das Objekt zugleich auch Subjekt des
Darstellenden ist, hat es dieser schwer, vor ihm restlos objektiv zu werden,
es sei denn in einem Prozeß radikaler Verfremdung."
5
Neben anderen Kunstwerken wird das Publikum in besonde-
rem Maße vom Selbstporträt angezogen, weil hier der Bet-
rachter scheinbar einen tiefen Blick in die Künstler werfen
kann. Wer van Goghs Bilder mit dem abgeschnittenen Ohr
sieht, glaubt zu wissen, wie der Künstler sich einen originalen
Moment seines Lebens sah bzw. wie er gesehen werden woll-
te. Das Allergeheimste des Malers wird hier durchleuchtet, of-
fenbart Intimes - und kann doch nicht alles von der Person
preisgeben. Letztendlich ist jedes Selbstporträt nichts anderes
als eine Selbstinszenierung, weil sich der Künstler selbst in
Szene setzt. Aber wieviel wirklich von ihm zu sehen ist, bleibt
fraglich. Auf´s äußerste enthüllt und schonungslos direkt port-
rätiert, bleibt doch vieles verborgen.
Kunsthistorisch ist der Begriff des Selbstporträts oder
Selbstbildnis´ eine ,,Bezeichnung für die malerische, zeichne-
rische oder plastische Selbstdarstellung des Künstlers. Das
Selbstporträt ist bereits in der archaischen Kunst Griechen-
lands bezeugt, auch das Mittelalter kennt Beispiele der
Selbstdarstellung, etwa bei Peter Parler.
Eigenständige Gattung aber wurde das Selbstporträt erst im
15. Jahrhundert, als italienische Maler den Assistenzfiguren
eines religiösen Bildes eigene, porträthafte Züge verliehen.
Als isoliertes Bild findet das Selbstporträt erst mit dem Werk
Albrecht Dürers Geltung.
5
Pächt, O., 1991, S. 65

14
Abb. 11 Selbstbildnis 1629,
gewendet
Abb. 8 Selbstbildnis 1630, über die
Schulter blickend
Im Schaffen Rembrandts erlangt es einen Höhepunkt psy-
chologischer Vertiefung."
6
Durch ein sich ständig weiterentwickelndes Menschenbild
erfuhr das Selbstporträt als Bildgattung im Laufe der Jahrhun-
derte eine sich immer wieder wandelnde Bewertung. Das Mit-
telalter kennt also das eigenständige Selbstporträt noch nicht.
Erst in der Renaissance mit der Entdeckung des Künstlers als
eigenständigem Schöpfer, ja sogar Genie, begegnet man der
autonomen Selbstdarstellung im Bild.
Von Dürer, Rembrandt, über van Gogh, Beckmann, Picasso
oder Frida Kahlo in der Malerei ausgehend, setzt sich die
Reihe dieser von Selbstbeobachtung ausgehenden Reflexio-
nen heute mit anderen Mitteln fort. Neue mediale gestalteri-
sche Möglichkeiten, wie zum Beispiel die Video-Installation
oder die Aktion, zeigen doch letztendlich immer den hinter
der Kunst stehenden Künstler, sind auf diese Weise auch
Selbstporträts. Oft sind sie damit noch hintergründiger, das
Selbst noch besser versteckend oder aber auch beleuchtend
als dies malerisch-zeichnerisch möglich wäre. Ob nun Wolf-
gang Flatz mittels Performance, Rebecca Horn mit Installatio-
nen von Handlungsobjekten, Gilbert und George in Photogra-
phie und Performance, Bill Viola in Videosequenzen; sie alle
übersetzen eine sehr alte Tradition, die des Selbstporträtie-
rens, in unsere Zeit.
Auf zwei der mich in meiner Selbstbetrachtung anregenden
Künstler werde ich im Folgenden näher eingehen, immer be-
zugnehmend auf mein eigenes Projekt.
6
Lucie-Smith, E.: DuMont´s Lexikon der Bildenden Kunst, S. 287.

15
Abb. 10 Selbstbildnis um 1640
Abb. 9 Selbstbildnis 1639
Dieses Kapitel ist damit kein wahrer kunsthistorischer Abriß,
sondern zeigt vielmehr meine persönlichen kunstgeschichtli-
chen Anregungen.
In der weiter oben angesprochenen Renaissance stellte sich
der Künstler nicht freiwillig außerhalb der Gesellschaft. Ver-
folgte er jedoch seinen individuellen Stil entgegen dem Zeit-
geschmack, bedeutete dies Mißerfolg, soziale Entwurzlung
und Gefährdung der geistigen Unabhängigkeit, wie es die
Beispiele von Rembrandt, Frans Hals oder van Gogh zeigen.
Gerade mit Rembrandt begann sich das Selbstbildnis als ei-
genständige Bildgattung zu etablieren. Er prägte im 17. Jahr-
hundert das Porträt als Ausdruck von Individualität und als
Dokument von Lebensgeschichte. Insbesondere dieser zweite
Aspekt macht ihn für mich so spannend. Rembrandt van Rijns
fasziniert mich durch die starke Intensität, die sich in seinen
Selbstporträts widerspiegelt. Interessant ist für mich der Pro-
zeß in den Bildern Rembrandts, vom jungen bis zum alten
Mann, die eine noch viel längere Geschichte als mein Projekt
erzählen. Sie bilden eine gemalte Selbstbiographie. Seiner
Arbeit mit dem Selbst liegt keine Selbstgefälligkeit zugrunde.
Das beweist die Erbarmungslosigkeit, mit der der Maler nicht
wenige solcher Selbstenthüllungen versah.
Desweiteren finden sich gerade unter den frühen Selbstbild-
nissen und in thematischer Wiederkehr im späten Selbstport-
rät eine Reihe unaffektierter Darstellungen, die, und das war
neu im 17. Jahrhundert, gern als Ausdrucksstudien tituliert
werden.
7
Auch denen will ich meine Aufmerksamkeit widmen.
Seit Rembrandt hat bis auf Max Beckmann wohl kein Maler
mehr seine Physiognomie mit solcher Eindringlichkeit studiert.
Der lachende, finster blickende oder die Augen aufreißende
Rembrandt präsentiert sich dem Betrachter in zumeist ver-
gleichbarer Position und ähnelt damit überraschenderweise,
wenn man die Selbstporträts in Reihe oder Raster bringen
würde, durchaus meinem Projekt der exhibition.
7
Pächt, O., 1991, S. 66

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
1999
ISBN (eBook)
9783836607018
DOI
10.3239/9783836607018
Dateigröße
5.9 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald – unbekannt, Caspar-David-Friedrich-Institut für Kunstwissenschaften
Erscheinungsdatum
2007 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
selbstbildnis medienkunst selbstportrait neue medien ausstellung videoinstallation selbstdarstellung

Autor

  • Marcus Pfab (Autor:in)

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