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Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Der Beitrag Sozialer Arbeit im Mehrgenerationenhaus

©2005 Diplomarbeit 104 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs: die Globalisierung fordert von Menschen und Märkten ein hohes Maß an Mobilität. Mit den Formen der Wirtschaft verändern sich auch die Formen des Zusammenlebens. Doch mitten in allen Umwälzungen und Neuerungen gibt es eine Konstante. Das ist die Familie. Um diese Kostante, ihre Bedeutung und Möglichkeit oder Unmöglichkeit sie in Verbindung mit Erwerbstätigkeit der Eltern zu leben geht es in dieser Arbeit. Das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist schon seit einiger Zeit, vermehrt seit etwa einem halben Jahr, in aller Munde. Es vergeht kaum ein Tag ohne neue Berichterstattungen über die angestrebte Familienfreundlichkeit Deutschlands, fehlende Kinderbetreuung, Geburtenrückgang und somit unser überaltertes Land. Zeitungsartikel mit den Schlagzeilen „Wohin mit den Kleinsten?“, „Kinder als Gewinn – wo Eltern sorglos arbeiten“, „Gemeinsam für Familien“, „Beruf und Familie? So geht´ s!“, “Stadt bietet Ausbildung für Tagesmütter“, „Beruf und Baby – wie geht das?“, „Krippenkinder, Rabenmütter?“, „Familienfreundlichkeit rechnet sich“, „Busemann: Weniger Pillen, mehr Erziehung“ oder auch „Land ohne Kinder“ gehören fast schon zur Tagesordnung. Auch Gerhard Schröder mit seiner Grundsatzrede zur nachhaltigen Familienpolitik im April 2005 hat genau diesen Nerv getroffen.
Er beschreibt dort die Familie als Erfolgsfaktor für die Wirtschaft und fordert von den Unternehmen, mehr zur Vereinbarkeit beizutragen, denn die Unternehmen setzten sich seiner Ansicht nach nicht genug für das Wachstum von Familien ein. Es sei Aufgabe von Politik, Wirtschaft und allen Gruppen der Gesellschaft zusammen, dass in Deutschland genügend Kinder geboren und gut ausgebildet würden. „Wir müssen auf jeden Fall die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern.“ Die Steigerung der Geburtenrate in Deutschland bezeichnete Schröder als „strategische Aufgabe ersten Ranges“. Die Bundesregierung wolle Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts zum familienfreundlichsten Land in Europa machen. Dies solle sich nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Familien auszahlen. Konkret fordert der Kanzler mehr Unterstützung der Unternehmen bei der Kinderbetreuung. Vor allem Frauen im Westen hätten Angst, dass sie wegen fehlender Betreuungsplätze für Kinder nur schwer oder gar nicht wieder in ihren Beruf zurückkehren könnten. „Wir dürfen aber nicht zulassen, dass sich eine junge Frau gegen ein Kind entscheidet, […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Andrea Warda
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Der Beitrag Sozialer Arbeit im Mehrgenerationenhaus
ISBN: 978-3-8366-0577-9
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Evangelische Fachhochschule Hannover, Hannover, Deutschland, Diplomarbeit,
2005
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ... 3
1
Zum Begriff und Wandel der Familie in Deutschland ... 7
1.1 Gesellschaftliche
Bedingungen... 7
1.2 Zum Begriff der Familie ... 9
1.3 Zur Funktion und Bedeutung der Familie... 11
1.4 Zu Geschichte und Wandel der Familie... 12
1.5 Familie
heute... 14
2
Zum Begriff und der Bedeutung von Beruf ... 19
2.1 Der
Begriff ... 19
2.2 Die
Bedeutung... 20
3
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ­ Ein Frauenthema?... 23
3.1 Weibliche
Sozialisationsfaktoren... 23
3.2 Männerwelt Beruf ­ Frauenwelt Familie ... 26
3.3 Problemlagen von Frauen ... 30
3.4 Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie... 36
3.4.1 Was Vereinbarkeit bedeutet... 36
3.4.2 Warum Vereinbarkeit wichtig ist... 37
3.4.3 Was Vereinbarkeit behindert ... 40
3.4.4 Was Familien brauchen ... 41
4 Das
Mehrgenerationenhaus ... 45
4.1 Mehrgenerationenhäuser
in Niedersachsen... 45
4.2 Konzept der Mehrgenerationenhäuser in Niedersachsen... 46
4.2.1 Allgemeine
Zielsetzung... 46
4.2.2 Zielgruppe... 47
4.2.3 Arbeitsweisen und Methoden ... 47
4.2.4 Rahmenbedingungen ... 48
4.3 Konzept des Mehrgenerationenhaus Pattensen... 49
4.3.1 Entstehung
und
Geschichte... 49
4.3.2 Finanzierung ... 50
4.3.3 Räumlichkeiten... 50
4.3.4 Ziele ... 51

2
4.3.5 MitarbeiterInnen ... 51
4.3.6 Angebote und familienunterstützende Dienstleistungen ... 52
4.4 Aufgaben der Sozialarbeiterin im Mehrgenerationenhaus Pattensen ... 55
4.5 Aufgabenbeschreibung für die geschäftsführende und leitende Tätigkeit der
Vorsitzenden des Vorstandes ... 56
4.6 Chancen und Grenzen des Mehrgenerationenhaus Pattensen... 57
4.6.1 Chancen der Familienbildung und des Mehrgenerationenhauses ... 57
4.6.2 Grenzen der Familienbildung und des Mehrgenerationenhauses... 60
5
Und was ist daran Soziale Arbeit? ­ Empowerment im Sozialen Raum ... 62
5.1 Der
Soziale
Raum ... 62
5.2 Empowerment ... 63
5.2.1 Definition... 63
5.2.2 Menschenbild und Grundwerte... 64
5.2.3 Ebenen
der
Empowermentpraxis... 66
5.2.4 Zielstationen ... 69
5.2.5 Politisches Empowerment als Politische Partizipation und
Umweltgestaltung... 70
5.2.6 Selbsthilfe ... 74
5.2.7 Anforderungen an die SozialarbeiterInnen... 76
5.2.8 Chancen und Grenzen von Empowermentprozessen ... 81
6
Der Beitrag Sozialer Arbeit im Mehrgenerationenhaus ­ Ein Resümee ... 87
7 Literaturverzeichnis... 97

3
Einleitung
Wir leben in einer Zeit des Umbruchs: die Globalisierung fordert von Menschen und
Märkten ein hohes Maß an Mobilität. Mit den Formen der Wirtschaft verändern sich
auch die Formen des Zusammenlebens. Doch mitten in allen Umwälzungen und Neue-
rungen gibt es eine Konstante. Das ist die Familie.
1
Um diese Kostante, ihre Bedeutung
und Möglichkeit oder Unmöglichkeit sie in Verbindung mit Erwerbstätigkeit der Eltern
zu leben geht es in dieser Arbeit. Das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
ist schon seit einiger Zeit, vermehrt seit etwa einem halben Jahr, in aller Munde. Es ver-
geht kaum ein Tag ohne neue Berichterstattungen über die angestrebte Familienfreund-
lichkeit Deutschlands, fehlende Kinderbetreuung, Geburtenrückgang und somit unser
überaltertes Land. Zeitungsartikel mit den Schlagzeilen ,,Wohin mit den Kleinsten?",
,,Kinder als Gewinn ­ wo Eltern sorglos arbeiten", ,,Gemeinsam für Familien", ,,Beruf
und Familie? So geht´ s!", "Stadt bietet Ausbildung für Tagesmütter", ,,Beruf und Baby
­ wie geht das?", ,,Krippenkinder, Rabenmütter?", ,,Familienfreundlichkeit rechnet
sich", ,,Busemann: Weniger Pillen, mehr Erziehung" oder auch ,,Land ohne Kinder"
gehören fast schon zur Tagesordnung. Auch Gerhard Schröder mit seiner Grundsatzrede
zur nachhaltigen Familienpolitik im April 2005 hat genau diesen Nerv getroffen. Er
beschreibt dort die Familie als Erfolgsfaktor für die Wirtschaft und fordert von den Un-
ternehmen, mehr zur Vereinbarkeit beizutragen, denn die Unternehmen setzten sich
seiner Ansicht nach nicht genug für das Wachstum von Familien ein. Es sei Aufgabe
von Politik, Wirtschaft und allen Gruppen der Gesellschaft zusammen, dass in Deutsch-
land genügend Kinder geboren und gut ausgebildet würden. ,,Wir müssen auf jeden Fall
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern."
2
Die Steigerung der
Geburtenrate in Deutschland bezeichnete Schröder als ,,strategische Aufgabe ersten
Ranges". Die Bundesregierung wolle Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts zum
familienfreundlichsten Land in Europa machen. Dies solle sich nicht nur für die Wirt-
schaft, sondern auch für die Familien auszahlen. Konkret fordert der Kanzler mehr Un-
terstützung der Unternehmen bei der Kinderbetreuung. Vor allem Frauen im Westen
hätten Angst, dass sie wegen fehlender Betreuungsplätze für Kinder nur schwer oder gar
nicht wieder in ihren Beruf zurückkehren könnten. ,,Wir dürfen aber nicht zulassen, dass
1
Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2003: Seite 5
2
Gerhard Schröder in http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=13528 / Zugriff am
13.04.2005

4
sich eine junge Frau gegen ein Kind entscheidet, nur weil sie vor die Alternative Kind
oder Karriere gestellt wird"
3
, sagte Schröder. Auch müsse dafür gesorgt werden, dass
Familien mit Normaleinkommen nicht der Kosten wegen, die Kinder nun einmal verur-
sachen, auf ein solches verzichten.
4
Meiner Ansicht nach, und das ist mein Hauptanliegen, sollte es hier aber nicht um die
Wirtschaft sondern um die Entscheidungsfreiheit für oder gegen Kinder, sowie um die
Zufriedenheit und Gesundheit von Familien bzw. Menschen gehen. Interessant oder
besser erschreckend empfinde ich es, wenn in einem Bericht über die Vereinbarkeits-
problematik in Deutschland im Vergleich zu der in Frankreich ganz klar wird, dass es
diese dort gar nicht gibt. Das Wort Kinderfeindlichkeit existiert im Französischen
nicht
5
, genauso wie ,,Fremdbetreuung", ,,Kinder abgeben", ,,sich Kinder anschaffen" in
Frankreich unbekannte Begriffe sind.
6
Die Frage dort sei nicht, ob man bzw. Frau ein
Kind bekommt, sondern lediglich ob zwei, drei oder vier.
7
Dies alles hat mein Interesse an der Auseinandersetzung mit diesem Thema zwar nicht
geweckt, wenn doch verstärkt. Angefangen hat es eigentlich damit, dass aus meinem
Bekanntenkreis vermehrt laut wurde, dass Mütter keiner oder nur sehr eingeschränkter
Arbeit nachgehen konnten aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder.
Weiterhin ging es darum, dass man rechnen müsse, ob man sich ein Kind leisten könne,
ob der finanziellen Einbußen und des Bruchs der Erwerbsbiographie der Frau. Dies
mündete in die Aussage, dass der Geburtenrückgang auch dadurch bedingt sei, dass
immer weniger Familien u.a. aus finanziellen Gründen Kinder bekommen können ­
vielleicht doch aber gerne würden. Es sollten also durch eine verbesserte Vereinbarkeit
von Beruf und Familie und somit verbesserte Rahmenbedingungen all diejenigen Kin-
der bekommen können, die es sich wünschen.
Auf die Mehrgenerationenhäuser bin ich durch einen Zeitungsartikel aufmerksam ge-
worden. Da die ältere Bevölkerung zunimmt und dabei aktiv bleibt halte ich dieses Pro-
jekt für gut und zukunftsträchtig. Hier geht es nun jedoch weniger um die älteren
Menschen, sondern um die jungen Familien und die Unterstützungsmöglichkeiten durch
ein Mehrgenerationenhaus. Um mehr Informationen über Mehrgenerationenhäuser zu
bekommen und ein konkretes vorstellen zu können, bin ich nach Pattensen gefahren und
habe mir vor Ort die Einrichtung und Arbeit angesehen.
3
Gerhard Schröder in http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=13528 / Zugriff am
13.04.1005
4
vgl. http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=13528 / Zugriff am 13.04.1005
5
vgl. Rosenkranz,2005: Seite 29
6
vgl. ebenda: Seite 37
7
vgl. ebenda: Seite 29

5
,,Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ­ Der Beitrag Sozialer Arbeit im Mehrgene-
rationenhaus". Um sich diesem äußerst spannenden wie umfangreichen Thema anzunä-
hern und einen bestimmten Fokus in der Bearbeitung zu legen lauten meine erkenntnis-
leitenden Fragen:
· Was bedeutet Vereinbarkeit von Beruf und Familie und wodurch wird sie er-
schwert?
· Warum sehen sich vorwiegend Frauen vor diese Schwierigkeit gestellt?
· Was brauchen bzw. was entlastet Familien?
· Welchen Beitrag kann das Mehrgenerationenhaus zur Vereinbarkeit von Familie
und Beruf leisten und wo liegen seine Grenzen?
Aufgrund der Aktualität des Themas Vereinbarkeit habe ich auch auf Internetseiten zu-
gegriffen, da dort die aktuellsten Zusammenfassungen, die teils noch nicht in Buchform
vorgelegen haben, zu finden waren. Auch zum Thema Mehrgenerationenhaus gibt es
keine Literatur, daher der Rückgriff auf das Internet.
Aufgrund der Breite des Themas und der Fülle der dazu vorhandenen Literatur habe ich
es noch weiter eingrenzen müssen. Es soll in dieser Arbeit ausschließlich auf die Ver-
einbarkeit von Kind und Beruf eingegangen werden und nicht auf den Fall der Versor-
gung von Hilfe- und Pflegebedürftiger. Auch diese besondere Lebenssituation erfordert
besondere Maßnahmen, die hier allerdings nicht diskutiert werden sollen und können.
Wobei auch diese Aufgaben noch immer frauenspezifisch sind und eine weitere Belas-
tung bzw. Aufgabe bedeuten.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollte ein Thema für beide Geschlechter sein
und ist dies sicher auch schon vereinzelt. Es scheint jedoch ein Thema zu sein, dass ü-
berwiegend Frauen betrifft. Daher und aus Gründen der weiteren Eingrenzung der The-
matik habe ich mich auf die Frauen in diesem Spannungsfeld beschränkt. Eine weitere
Einschränkung ist der Blick auf die Familie im Sinne der traditionellen Kleinfamilie mit
Vater, Mutter und Kind, egal ob die Eltern verheiratet sind oder nicht. Es ist klar, dass
Alleinerziehende einer weiteren, spezifischeren, höheren, besonders finanziellen Belas-
tung ausgesetzt sind, was hier allerdings nicht Schwerpunkt sein wird.
Zum Aufbau der Arbeit ist zu sagen, dass sie aus sechs Kapiteln besteht. Das erste bein-
haltet eine Beschreibung der gesellschaftlichen Bedingungen, eine Klärung des Begriffs
Familie und deren Bedeutung. Weiterhin wird dort auf die Geschichte der Familie als
auch auf ihren Wandel bis heute eingegangen. Das zweite Kapitel beinhaltet eine Klä-
rung des Begriffs und der Bedeutung von Berufstätigkeit. Im dritten Kapitel wird der
Frage nachgegangen, ob die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein typisches Problem

6
von Frauen ist und was unter Vereinbarkeit zu verstehen ist. Zur Klärung dieser Fragen
werden die weiblichen Sozialisationsfaktoren und die traditionelle Arbeitsteilung und
ihre Auswirkungen auf die Geschlechter beleuchtet, sowie die sich daraus ergebenden
speziellen Problemlagen von Frauen beschrieben. Es geht auch darum, was Vereinbar-
keit bedeutet, warum sie wichtig ist, was sie behindert und was Familien brauchen. Im
vierten Kapitel werden Mehrgenerationenhäuser generell und speziell das Mehrgenera-
tionenhaus Pattensen mit seinen Zielen, Angeboten und den Aufgaben ­ die praktische
Arbeit - der dort tätigen Sozialarbeiterin vorgestellt. Es werden auch die Chancen und
Grenzen des Mehrgenerationenhauses diskutiert. Im darauf folgenden fünften Kapitel
wird das im Konzept der Mehrgenerationenhäuser schon angedeutete Arbeitsprinzip des
Empowerment ­ also die Theorie ­ ausgeführt, sowie der Sozialraum definiert. Auch
hier werden Möglichkeiten und Begrenzungen beleuchtet. Das sechste Kapitel ist als
eine Zusammenführung zu verstehen, als ein Resümee der vorhergegangenen Kapitel.
Hier wird der Beitrag der Sozialen Arbeit im Mehrgenerationenhaus dargestellt und
reflektiert.
Um die Frauen auch in der schriftlichen Form mit zu berücksichtigen und sichtbar zu
machen, verwende ich in dieser Arbeit das große ,,I". Die wahrscheinlich am meisten
Betroffenen sollten auch in der Schriftform erkennbar sein.
Um sich dem Thema anzunähern ist es hilfreich die wichtigsten Begriffe ­ Familie,
Vereinbarkeit und Beruf ­ zu definieren, sie mit Inhalt zu füllen. Doch zuvor, sozusagen
zur Einstimmung, noch Zitate von zwei Frauen, die sehr wahrscheinlich wissen, wovon
sie sprechen:
,,Keiner stellt infrage, dass Straßen von Steuergeldern finanziert werden müssen, damit
Menschen zur Arbeit kommen. Das Gleiche gilt für Kinderbetreuung. Ohne die kom-
men Mütter nicht aus dem Haus."
8
Inzwischen bleibt rund ein Drittel aller Frauen ohne
Nachwuchs. Kinder bedeuten vielen Deutschen längst nicht mehr ,,ein Gefühl des tiefen
Glücks und der Zuversicht, eine ganz einzigartige Antwort auf den Sinn des Lebens."
9
Stattdessen gelten sie als ,,Armutsrisiko", ,,Plage" und ,,etwas ganz Fürchterliches", das
man besser gar nicht erst in die Welt setzt, wie Renate Schmidt in einem Interview be-
dauert. Die Elternschaft in Deutschland bedeutet, vor einer Aufgabe zu stehen, die man
einerseits nur selbst erledigen kann, und an der man andererseits scheitern muss. Man
schuldet seinem Kind all seine Zeit, all seinen Schlaf, all seine Liebe, all seine Mühe,
und es ist doch nie genug. Eine gute deutsche Mutter ist eine Mutter am Rande des Ner-
8
zit. Ursula von der Leyen in: Rosenkranz,2005: Seite 29
9
zit. Ursula von der Leyen ebenda

7
venzusammenbruchs, die sich trotzdem schuldig fühlt. Und wer fühlt sich schon gerne
permanent schuldig?
10
,,Außerhalb des Jobs ist man eine Rabenmutter, die ihre Kinder
abgibt, im Job ist man jemand, ach Gott, auf die können wir gleich verzichten. Nach
dem ersten Kind lautete das unterschwellige Urteil über mich im Kollegenkreis: Wis-
senschaftlich ist die eine Null, die kriegt ja Kinder. Die kann auf Station arbeiten. Als
ich das dritte Kind erwartete, sagte der Oberarzt zu mir vor versammelter Mannschaft:
Frau von der Leyen! Sie sind wohl zu faul zum Arbeiten!"
11
1 Zum Begriff und Wandel der Familie in Deutschland
Um sich dem Begriff der heutigen Familie zu nähern, ist es wichtig, die gesellschaftli-
chen Bedingungen in denen sie existiert zu charakterisieren und die Auswirkungen die-
ser Bedingungen zu schildern. Es soll hier auch eine Klärung des Begriffs Familie
stattfinden, ihre Funktion und Bedeutung beleuchtet und die für diese Arbeit bedeuten-
den Eckdaten aus der Geschichte und dem Wandel der Familie bis heute dargestellt
werden.
1.1 Gesellschaftliche
Bedingungen
Die sozialwissenschaftliche Diskussion zum Ende des 20. Jahrhunderts in Deutschland
ist deutlich durch die Thematik der ,,Risikogesellschaft" geprägt. Dieser Begriff ver-
weist auf einen seit Ende des 19. Jahrhunderts anhaltenden gesellschaftlichen Prozess
der Individualisierung, als Konsequenz beschleunigter ökonomischer und sozialer Ar-
beitsteilung, den Emile Durkheim schon damals beschrieben und Ulrich Beck fast hun-
dert Jahre später systematisch neu gefasst hat. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts
wurde die ganze Tragweite dieses Individualisierungsprozesses bewusst und in seinen
Konsequenzen freigelegt.
12
Die Individualisierung als eine Folge des Modernisierungs-
prozesses wird von Beck in drei Dimensionen unterteilt:
13
· Die Auflösung tradierter Sozial- und Kontrollbedingungen: die Herauslösung
und Freisetzung des Individuums aus historisch vorgegebenen Sozialformen und
-bindungen im Sinne traditionaler Herrschafts- und Versorgungszusammenhän-
ge von Familie, sozialem Milieu und Klassenkultur.
10
vgl. Rosenkranz,2005: Seite 29
11
zit. Ursula von der Leyen in: Rosenkranz,2005: Seite 36
12
vgl. Beck und Beck ­ Gernsheim, 1994: Klappentext
13
vgl. Beck, 1986: Seite 206

8
· Die Erosion normativer Sinnhorizonte: der Verlust von traditionellen Sicherhei-
ten und festen Wertbindungen im Hinblick auf Handlungswissen, Glaubenssys-
temen und verpflichtenden Normen einer subjektiven Alltagsethik.
· Die Entstrukturierung der subjektiven Lebensläufe: die Auflösung festgefügter
und sozial normierter Lebenswegprogramme, die Vervielfältigung der prinzipiell
wahloffenen biographischen Optionen und die Suche nach neuen, sicherheits-
spendenden Formen sozialer Einbindung.
Individualisierung bedeutet also Herauslösung bzw. Freisetzung, Stabilitäts- und Si-
cherheitsverlust sowie Wiedereinbindung in neue Systeme.
14
Im Individualisierungsthe-
orem ist die These enthalten, dass die Menschen in solchen Prozessen der sozialen
Freisetzung immer auch nach neuen Formen sozialer Integration suchen. Denn der mo-
derne Mensch in einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft ist existentiell auf andere ange-
wiesen und kann nur lebendig sein, wenn er sozial irgendwie eingebunden ist.
15
Die Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft verlangt ein kompliziertes Netz von Ent-
scheidungen von jedem Einzelnen. Die Grundlagen des sozialen Zusammenlebens ha-
ben sich fundamental verändert. Es gibt sowohl Chancen als auch Risiken der
beschriebenen Individualisierung. Jeder muss für sich entscheiden, wo er steht und wel-
che Regeln für ihn gelten. Beck sagt, dass dadurch der Blick für das eigene Leben ge-
schärft wird. Der Mensch wird nicht mehr, wie vor 10 bis 20 Jahren, durch den
gesellschaftlichen Rahmen von Normen und Traditionen geleitet. Jede Biografie stellt
den einzelnen vor immer mehr folgenreiche Entscheidungen, woraus sich eine Vielzahl
von Biografievarianten ergibt. Dies beinhaltet auch den Zwang ,,basteln" zu müssen;
jeder hat die Verantwortung das eigene Leben in den Griff zu bekommen. Dieser An-
spruch, diese Anforderung wächst weiterhin. In der westlichen Welt steigt der Wunsch
nach eigenem Leben. Als Grund für diesen Aufbruch wird der Mensch selbst angeführt,
seine abnehmende Bereitschaft Vorgegebenes auszuführen, sich einzuordnen, zu ver-
zichten usw. Menschen werden im dauernden Wechsel zwischen verschiedenartigen
z.T. unvereinbaren Verhaltenslogiken zerrieben bzw. hin und her gerissen. Um dies
zusammenzubringen ist eigener Einsatz nötig, da es für diese neuartigen Anforderungen
keine ,,traditionellen" Lösungen gibt oder sie nicht mehr angemessen sind. Bindende
Traditionen werden durch Vorgaben das eigene Leben zu organisieren ersetzt. Die
Normalbiografie wird zur Wahlbiografie. Dies gilt auch für die weibliche Normalbio-
grafie, was später noch weiter ausgeführt wird.
14
vgl. Beck, 1986: Seite 206
15
vgl. ebenda

9
Menschen sind gezwungen sich selbst sowie die Traditionen und Werte neu zu definie-
ren. Dem Menschen wird ein Leben zugemutet, das durch die unterschiedlichsten, ein-
ander widersprechender globaler und persönlicher Risiken und Anforderungen
gekennzeichnet ist. Der Mensch muss aktiv sein und täglich Entscheidungen treffen, ist
ständig unkalkulierbaren Unsicherheiten ausgesetzt. Es gibt immer mehr Entschei-
dungsmöglichkeiten und immer weniger ,,fremde Ursachen".
Überlieferte Rollen sowie Rollenstereotypen (auch Geschlechterrollen) versagen, die
Zukunft kann nicht mehr aus der Herkunft jedes Einzelnen abgeleitet werden. Dies be-
wirkt eine Unruhe des Zeitgeistes, weil niemand weiß, wie dies gelingt. Es besteht nicht
nur die Möglichkeit, sondern regelrecht ein Zwang zu Selbstverwirklichung und Selbst-
bestimmung, welcher in Verzweiflung umschlagen kann. Nicht jeder Mensch ist ,,ge-
macht" für Veränderungen. Dies kann eine dauerhafte, elementare Überforderung
bedeuten. Das eigene Leben wird als Lebensform hoch bewertet und erzeugt auch das
Ideal der Liebesehe als sozialemotionalen Rückhalt. Die Ehe wird nicht mehr traditio-
nell und materiell gesehen, sondern emotional und individuell.
16
Die Individualisierung und Pluralisierung nach Beck stürzt Menschen in Krisen, da Alt-
bekanntes nicht mehr funktioniert oder sie mit völlig unbekanntem Neuen konfrontiert
werden für das sie keine Bewältigungsstrategie haben. Daraus ergeben sich soziale
Probleme.
1.2 Zum Begriff der Familie
In der Fachliteratur finden sich viele verschiedene Definitionen des Begriffs ,,Familie".
Die Komplexität, die dieser Begriff heute mit sich bringt, wird in dem Versuch einer
Definition im Sinne dieser Arbeit sehr deutlich. Bei näherer Untersuchung stellt man
fest, dass sich das Wort ,,Familie" erst seit dem 17. Jahrhundert im deutschen Sprach-
gebrauch verbreitete, ausgehend von dem französischen Wort ,,famille". Dieser neue
Begriff ersetzte den älteren des ,,Hauses". Damit wird also schon deutlich, dass die ge-
samte Gemeinschaft eines Hauses als Familie bezeichnet werden sollte, eine Einheit zu
der auch das Gesinde gehörte. Auf näheres gehe ich später noch weiter ein. Aber man
sieht schon das Problem dieser Definition. Es wird nur von zusammenwohnenden Per-
sonen gesprochen, ohne damit im geringsten unserer heutigen Auffassung von Familie
zu entsprechen. Nicht die Kernfamilie wird dadurch definiert, sondern die ,,große Haus-
haltsfamilie". Betrachten wir nun einmal die heutigen Definitionen des Begriffes ,,Fami-
16
vgl. Beck et al; 1995: Seite 5 und 9 bis 17

10
lie". So heißt es: ,,Eine Familie ist im weitesten Sinne eine Kleingruppe mit einem spe-
zifischen Kooperations- und wechselseitigem Solidaritätsverhältnis, deren Hauptaufga-
be in der biologischen und sozialen Reproduktion der Gesellschaftsmitglieder
besteht".
17
Oder die Feststellung Neidhardts: ,,Aus einer Ehe wird eine Familie aber erst
dann, wenn die Ehepartner zu Eltern werden".
18
Daraus ergibt sich dann wieder das
Problem, ab wann man eine ,,Gruppe" eine ,,Familie" nennen kann.
Eine ähnliche, etwas
enger gefasste Definition findet Hermann L. Gukenbiehl:
19
,,Familie [...] ist eine aus
dem frz. ,,famille" übernommene Bezeichnung für eine familiale Lebensform, die sich
im städtischbürgerlichen Lebensraum des 19. Jahrhunderts ausprägte. Allgemein weist
eine familiale Lebensform als Kern zumindest eine relativ dauerhafte und legitimierte
Beziehung zwischen einer / einem Erwachsenen und einem Kind auf (Elternschaft /
Kindschaft), wobei dem Erwachsenen die Hauptverantwortung für die Fürsorge und die
Sozialisation des Kindes zukommt".
20
,,Als Familie im Sinne der amtlichen Statistik
zählen... Ehepaare ohne oder mit Kindern, sowie alleinerziehende, ledige, verheiratete
getrennt lebende, geschiedene und verwitwete, Väter und Mütter, die mit ihren ledigen
Kindern im gleichen Haushalt zusammen leben".
21
Ich kann mich mit einer Einschrän-
kung an diese Definition anlehnen. Hier greife ich aus der Definition Gukenbiehls her-
aus, dass der Kern einer Familie mindestens aus einem Erwachsenen und einem Kind
besteht und der Erwachsene die hauptsächliche Verantwortung für das Kind hat. Somit
schränke ich die Definition des Statistischen Bundesamtes lediglich in soweit ein, dass
kinderlose Ehepaare nicht zur Familie zählen. Für meine Arbeit macht dies in soweit
Sinn, als das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erst dann voll zum tragen kommt,
wenn ein Kind zu versorgen ist. Es ist klar, dass auch schon vorher Probleme entstehen
können durch evtl. Ungleichverteilung der Familienarbeit. Dies beinhaltet jedoch nicht
den wesentlichen Aspekt dieser Arbeit. Abschließen will ich diesen Teil mit folgender
Definition, die wohl doch die treffendste ist. ,,Unser Familienbegriff", so heißt es im
aktuellen Koalitionsvertrag, ,,ist so vielfältig wie die Lebensumstände der Menschen:
Familie ist für uns, wo Kinder sind. Uns geht es um die Kinder und die Eltern ­ unab-
hängig davon, in welcher Lebensgemeinschaft sie zusammenleben."
22
17
zit. Geißler, 1996: Seite 306
18
zit. Neidhardt, 1975: Seite 9
19
zit. Gukenbiehl in Schäfers, 1998: Seite 80
20
zit. Schäfers ebenda
21
zit. Familie (Definition), www-zr.destatis.de, Statistisches Bundesamt, 28.07.2005
22
zit. Nöthen, 2005: Seite 33

11
1.3 Zur Funktion und Bedeutung der Familie
Wie schon gesagt wird in der Fachliteratur die Komplexität des Themas Familie sehr
deutlich. Es werden ihre Funktionen beleuchtet, Funktionsverlust und Funktionswandel
werden thematisiert. Zu diesem Thema möchte ich nur kurz anmerken, dass für mich
und meine Arbeit zwei beschriebene Funktionen besonders wichtig erscheinen. Dies ist
zum einen die Solidaritätsfunktion. Sie bietet den Familienmitgliedern Sicherheit,
Schutz und Geborgenheit. Dies geschieht zum Teil durch Hilfen bei Krankheit und Kri-
sen. Zum zweiten die Funktion des Spannungsausgleichs, welche in der Familie dem
Menschen die Möglichkeit zur Bewältigung von Problemen geben kann, welche im Zu-
sammenhang mit der Öffentlichkeit und ihren geforderten Einstellungen und Verhal-
tensweisen wie Sachlichkeit und Rationalität steht. Die Familie bietet demgegenüber
einen Ausgleich: Chance zur Selbstbestimmung, Selbstdarstellung, Gefühlsbetonung,
Entfaltung und Verwirklichung.
23
So leistet die Familie einen wichtigen Beitrag zur
Erhaltung der psychischen Gesundheit.
24
Sie bietet im allgemeinen auch ein Zuhause,
Heimat, Rückenstärkung, Unterstützung und Hilfe, Arbeitsteilung und Erfahrungsaus-
tausch. Somit ist die Funktion der emotionalen Stabilisierung und Unterstützung in ei-
ner Zeit der Schnelllebigkeit, dauernder schneller Veränderung, Leistungsgesellschaft,
hoher immer steigender Anforderungen, Unsicherheit und Zukunftsangst, Arbeitslosig-
keit und vielem mehr besonders wichtig. Es geht in dieser Arbeit nicht um wirtschaftli-
che und gesellschaftliche Aspekte der Familie, sondern um Sinngebung, Geborgenheit,
gesunde Menschen und Kinder, nicht um die Sicherung des Generationenvertrags oder
anderen wirtschaftlichen Nutzen.
Weiterhin ist die Familie eine fundamentale Erfahrung. Sie prägt uns fürs Leben. In der
Art des Charakters, in unseren Werten und Normen und in der Akzeptanz von Erlaub-
tem und Verbotenem, von Gut und Böse und sie bestimmt das Bild, dass wir von ande-
ren und der Gesellschaft haben. Die Erfahrungen in der eigenen Familie statten nicht
nur für das künftige Leben aus, sie prägen auch unsere Stellungnahmen zur Familie als
Thema. Eine glückliche Kindheit lässt anders über Familie denken als entbehrte Wärme
und Vertrautheit oder erlittene Kränkungen. Gerade solcher Schmerz birgt die Gefahr in
sich, ein idealisiertes Bild von Familie zu entwerfen, das mit seinen Ansprüchen die
konkret handelnden Personen überfordern kann. Die Veränderungen der familialen Rea-
litäten bringen auch vielfältige Probleme mit sich. Die Anforderungen Familie zu leben,
23
vgl. Hamann, 1988: Seite 31
24
vgl. Textor, 1991, o. Seite

12
der Stellenwert und die Erwartungen, die an Familie geknüpft sind, stehen in direktem
Widerspruch zu der Vorbereitung auf Ehe und Familie. Die Orientierung in familialen
Lebensformen sind durch eine Grundspannung des Willens nach Freiheit und dem Be-
dürfnis nach Bindung bestimmt. Während letzteres in den Familien gesuchten Werte
wie Treue, Nähe, Wärme, Geborgenheit und Intimität zum Ausdruck kommen, äußert
sich der Wille nach Freiheit in den Ansprüchen nach individueller, auch finanzieller,
Unabhängigkeit und in dem Streben nach Selbstverwirklichung. Vorstellungen, die
nicht einfach zu vereinbaren sind. Neben persönlichen Lebenswegentscheidungen und -
gestaltungen müssen moderne Beziehungsformen auch immer in ihrer oben beschriebe-
nen gesellschaftlichen Dimension gesehen werden, denn dadurch wirken hohe Erwar-
tungen und Belastungen von außen auf die Beziehungen ein.
25
1.4 Zu Geschichte und Wandel der Familie
Das in der Begriffsdefinition schon kurz erwähnte ,,ganze Haus" war bis zur Industriali-
sierung das weitverbreitetste Wirtschafts- und Sozialgebilde. Es war sowohl eine Pro-
duktions- und Arbeitsgemeinschaft als auch eine Verbrauchs- und Versorgungsgemein-
schaft.
26
Alle Mitglieder des ,,ganzen Hauses" unterstanden dem gemeinsamen Ziel des
Überlebens. Sie befanden sich meist am Rande des Existenzminimums. Der eigene Be-
darf konnte nur gesichert werden, wenn alle fast rund um die Uhr mitarbeiteten. Somit
waren die im ,,Haus" vorherrschenden zweckmäßigen Beziehungen für das Überleben
wichtiger als gefühlsmäßige.
27
Das ,,Haus" der Handwerker und Bauern war eine Le-
bensgemeinschaft, zu der (wie oben schon angedeutet) sowohl Eltern, Kinder und oft
unverheiratete Verwandte als auch Lehrlinge und Gesellen bzw. Mägde und Knechte
gehörten. Die weit verbreitete Vorstellung, dass es in der vorindustriellen Zeit nur
mehrgenerationelle Großfamilien gab, ist so nicht richtig (hohe Sterblichkeit, hohes
Heiratsalter, niedrige Lebenserwartung).
28
Die Beziehungen unter den Mitgliedern des
,,Hauses" waren, wie oben schon erwähnt, zweckmäßig. Dies fällt besonders im Ver-
hältnis der Geschlechter und in der Stellung der Kinder auf. Für eine Heirat waren wirt-
schaftliche Aspekte und die Interessen des ,,ganzen Hauses" ausschlaggebend.
29
Im
Hinblick auf die Arbeits- und Aufgabenverteilung kann man sagen, dass der Mann das
Oberhaupt und absolute Autoritätsperson des ,,ganzen Hauses" war. Aber auch die Frau
25
vgl. Textor, 1991, o. Seite
26
vgl. Meyer, 1992: Seite 31
27
vgl. Textor, 1991: o. Seite
28
vgl. Textor, 1991: o. Seite
29
vgl. Meyer, 1992: Seite 33 f.

13
hatte ihre festen Aufgaben in der Hausgemeinschaft.
30
Sie hatte Hoheit und Machtbe-
fugnisse über den häuslichen Bereich, sowie die finanzielle Verfügungsmacht. Die Kin-
der des ,,Hauses" hatten ebenfalls ihre Funktion im Produktionsprozess. Sie mussten
mitarbeiten und wie die anderen dem Zweck des Überlebens dienen. Ihre Kindheit dau-
erte nicht lange, und für ihre Erziehung und Pflege wurde nur wenig Zeit verwendet. In
der Beziehung zwischen Eltern und Kindern spielten Gefühle keine große Rolle. Hierbei
ist jedoch zu bedenken, dass viele Kinder noch im Säuglingsalter starben.
31
Mit den großen wirtschaftlichen, technisch ­ industriellen und politischen Veränderun-
gen im späten 18. und 19. Jahrhundert änderten sich die Handlungsorientierungen und -
bedingungen der Menschen. Der starke Bevölkerungswachstum, die Verarmung der
Landbevölkerung sowie die Bauernbefreiung führten zu starken Wanderungsbewegun-
gen in andere Länder sowie in die Stadt. Als dritte Auswanderungsform kann man die
alltägliche Wanderung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz bezeichnen.
32
Mit dem
Produktionsanstieg hingen Faktoren zusammen wie Spezialisierung der Arbeit, Einsatz
von Maschinen, anhaltender technischer Fortschritt, Mobilisierung von Kapital und eine
deutliche Trennung zwischen lohnabhängigen Arbeitern und zwischen Besitzenden von
Produktionsmitteln. Ein Heer von Arbeitskräften zusammenhängend mit der Agrarrevo-
lution suchte Beschäftigung in den neuen Industrien. Die gesellschaftlichen Verände-
rungen durch die Industrialisierung und andere Faktoren riefen auch ein neues
Familienmodell hervor: das bürgerliche Familienmodell. Die bürgerliche Familie unter-
scheidet sich in folgenden Punkten von der Familie des ,,ganzen Hauses":
· Trennung von Wohnung und Arbeit,
· Gesinde und Dienstboten sind räumlich getrennt und erhalten zunehmend Ange-
stelltenstatus,
· die Familie wird privat und die Ehe wird emotionalisiert und intimisiert und hebt
somit die Austauschbarkeit der Partner auf,
· die Polarisierung der Geschlechter: Die Frau wird auf die unbezahlte Haushalts-
organisation / Erziehung verwiesen und verliert die finanzielle Verfügungs-
macht. Der Mann geht der bezahlten Erwerbsarbeit nach und hat die Macht-
position in der Familie,
· Kindheit wird zu einer selbständigen, anerkannten Lebensphase.
30
vgl. Meyer, 1992: Seite 35
31
vgl. Textor, 1991: o. Seite / Meyer, 1992: Seite 36 f.
32
vgl. Rerrich, 1998: Seite 34

14
Die bezahlte Erwerbsarbeit erfuhr eine immer stärkere gesellschaftliche Wertschätzung,
während unbezahlte Tätigkeiten wie Hausarbeit, Kindererziehung oder häusliche Pfle-
getätigkeiten immer weniger als Arbeit und statt dessen als quasi ­ natürliche Beschäf-
tigung von Frauen verstanden wurden. Auch das Verhältnis von Familie, von Männer-
und Frauenrollen und vom Verhältnis der Geschlechter zueinander veränderte sich. Im
individuellen Bewusstsein wie auch in den gesellschaftlichen Normen wurden die Er-
werbsarbeit wie auch das öffentliche Leben noch deutlicher als in früheren Epochen zur
,,Männersache", Haushalt und privates Leben dagegen zur ,,Frauensache".
33
Diese bür-
gerliche Geschlechter- und Familienideologie stellte ein unhinterfragtes Leitbild dar,
dem zufolge die ,,züchtige Hausfrau" unter Zuhilfenahme von Dienstpersonal für den
Haushalt, die Erziehung der Kinder und das Wohlbefinden des arbeitenden Mannes zu
sorgen hatte, obwohl nur eine Minderheit der Familien tatsächlich einen solchen Le-
bensentwurf realisieren konnte.
34
Besondere Auswirkungen hatte damit die Entwicklung der Trennung von Arbeits- und
Familienstätte für die Frauen, weil sie gleichzeitig die hauswirtschaftlichen von den
erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten schied und damit eine Gruppe von Frauen erstmalig
allein auf den Innenbereich des Hauses verwiesen wurde. Durch die fehlende gesell-
schaftliche Anerkennung unbezahlter (Familien-) Arbeit und den Verlust der finanziel-
len Verfügungsmacht manifestierte sich eine Abwertung der Frau bzw. der Frauen-
rolle.
35
1.5 Familie
heute
Ein weiterer entscheidender Punkt des in Kapitel 1.1 beschriebenen Individualisie-
rungsprozesses ist die Individualisierung des weiblichen Lebenslaufes. Mit dem ver-
stärkten Übergreifen des Individualisierungsprozesses auf die Frau ist nicht mehr nur
eine Person (der Mann) mit Entscheidungszwängen konfrontiert Die traditionelle
Selbstverständlichkeit Hausfrau, Ehefrau und Mutter zu sein, hat nachgelassen. Die
Frau hat auch einen Anspruch auf Beruf bzw. Karriere und Selbstverwirklichung.
36
Er-
eignisse, die zur Veränderung der Rolle der Frau beigetragen haben, unter anderem:
37
· die Reform des Ehe- und Familienrechts 1976 / 1977,
· die Studenten- und Frauenbewegung,
33
vgl. Mogge ­ Grotjahn, 2004: Seite 15 bis 23
34
vgl. ebenda
35
vgl. Nave ­ Herz, 2004: Seite 40 bis 52 / Mogge ­ Grotjahn, 2004: Seite 15 bis 23
36
vgl. Peuckert 2004: Seite 253
37
vgl. Peuckert 2004: Seite 198

15
· verbesserte Planungsmöglichkeiten einer Schwangerschaft,
· Abgabe von Erziehungsaufgaben an Institutionen wie Kindergarten / Schule,
· Mechanisierung der Haushalte,
· Angleichung der Bildungschancen,
· Verändertes Selbstbewusstsein.
Von der Frauenbewegung wurden Veränderungen gefordert, die sich insbesondere auf
die innerfamiliale Arbeitsteilung, auf die sexuellen Beziehungen, auf egalitärere Macht-
strukturen und auf die Anerkennung der Erwerbstätigkeit von Müttern bezogen. Durch
das verbesserte Schul-, Ausbildungs- und Berufssystem für Frauen gibt es heute eine
hohe Zahl qualifiziert ausgebildeter Frauen wie noch nie, wodurch das Berufsengage-
ment von Frauen steigt. Der Anteil erwerbstätiger Mütter ist vor allem seit den 1970er
Jahren ständig angestiegen. 1950 war jede vierte Mutter von Kindern unter 18 Jahren,
1961 jede dritte, 1991 jede zweite erwerbstätig. Heute sind es zwei Drittel der Mütter
mit Kindern unter 15 Jahren. Ihr Anteil schwankt im Hinblick auf die Zahl der Kinder
und Familienstand. Am häufigsten sind alleinerziehende Mütter erwerbstätig, meistens
auch ganztags. Das Familiensystem aber, einschließlich der geschlechtsspezifischen
Arbeitsteilung, hat keine Veränderung in gleich starkem Maße erfahren. Dies gilt auch
für den gesellschaftlichen / öffentlichen Bereich. Noch immer ist die Zahl von Krippen,
Ganztagskindergärten und -schulen in Deutschland sehr gering; die Halbtagsschulen
herrschen bei weitem vor.
38
Verursachend für die fehlenden Infrastruktureinrichtungen für erwerbstätige Mütter sind
nicht nur fehlende staatliche Unterstützungsmaßnahmen, sondern auch die in Deutsch-
land vor allem in der alten Bundesrepublik noch gültige Ideologie, dass Mütter von
Kleinst- und Kleinkindern nicht erwerbstätig sein sollten, weil sie die ,,besten Erziehe-
rinnen" ihrer Kinder wären. Die steigende Kinderlosigkeit in Deutschland ist also kein
Indikator für die Ablehnung einer Familiengründung, sondern für die noch immer hohe
Akzeptanz des bürgerlichen Familienideals bei gleichzeitig starker Berufsorientierung
der Frauen und fehlenden Infrastruktureinrichtungen für die Betreuung von Kindern.
Kulturvergleichende Untersuchungen bestätigen diese These, da diese hohe Kinderlo-
senquote für Frauen ­ z.B. in Schweden oder in Frankreich ­ nicht gegeben ist, für Län-
der also, in denen die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinstkindern als selbstver-
38
vgl. Nave ­ Herz, 2002a: Seite 37 bis 43

16
ständlich gilt und die Vereinbarkeitsproblematik nicht in dem Maße wie bei uns Gültig-
keit besitzt.
39
Die Veränderungen, die mit dem Individualisierungs- und Modernisierungsprozess ein-
hergegangen sind, haben natürlich Auswirkungen auf das Ehe- und Familienleben. Es
wird zunehmend belastet und erschwert. Heute müssen die Vorstellungen und Wünsche
von zwei selbstständigen Individuen mit jeweils eigenen Lebensplänen und Zwängen
koordiniert werden.
40
Nach den 1960er Jahren stieg die Zahl anderer Familienformen als der traditionellen
Familie an. Vor allem nahm die öffentliche Akzeptanz anderer Familienformen zu.
Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten wurden sie lebbar, was vorher nicht der Fall
war. Dies gilt auch für die in der Gegenwart oft finanzielle sehr schlecht gestellten Mut-
ter ­ Familien. In Deutschland und den meisten westlichen Ländern haben in den letzten
30 Jahren die nichtehelichen Lebensgemeinschaften stark zugenommen. In den letzten
10 Jahren hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt. Sie betrug 2000 2,1 Millionen. Diese
Partnerschaftsform hat bewirkt, dass sich der Ablauf bis zur Ehegründung und die Sinn-
belegung der Ehe verändert haben. Heute wird vorwiegend aus drei Gründen geheiratet:
wegen Schwangerschaft, eines Kinderwunsches oder wegen Vorhandensein eines Kin-
des. Deshalb wird auch von einer kindorientierten Ehegründung gesprochen. Die Heirat
hat heute die zwingende Notwendigkeit zur Erfüllung bestimmter grundlegender Be-
dürfnisse sowie als ökonomische Versorgungsinstanz (vor allem für Frauen) an Bedeu-
tung verloren. Die Vermehrung der nichtehelichen Lebensgemeinschaften trug unter
anderem zur Abnahme der Eheschließungen und dem Ansteigen des Heiratsalters bei.
Die subjektive Wertschätzung von Ehe und Familie (Eltern ­ Familie) hat jedoch nicht
abgenommen. Die meisten, die in einer anderen Lebensform leben, würden die Eltern ­
Familie bevorzugen und haben ihre derzeitige Lebensform nicht willentlich als Alterna-
tive gewählt.
41
Für immer mehr Kinder haben sich jedoch die Sozialisationsbedingungen durch fehlen-
de Geschwistergemeinschaften und nachbarschaftliche Spielgruppen gewandelt. Das
Einzelkind ist also nicht nur in der Familie, sondern auch in der näheren Umgebung
allein. Darum wird es nötig, Kinder überhaupt miteinander in Kontakt zu bringen. Müt-
ter werden daher zu ,,Transporteurinnen" für ihre Kinder, die sie von ihrer ,,Insel" nach
außen in Kontakt bringt.
39
vgl. Nave ­ Herz, 2002b: Seite 45 bis 62
40
vgl. Peuckert 2004: Seite 256
41
vgl. Nave ­ Herz, 2002a: Seite 13 bis 20

17
In einer Debatte des Bundestages Anfang der 1980er Jahre wurde erste Sorge über die
Familie zum Ausdruck gebracht. Ihr Stellenwert in unserer Gesellschaft sei gering,
ideologisch werde sie abgewertet und gerade auch von vielen Frauen missachtet.
Mehrere Sprecher deuteten an, wichtigster Urheber der heutigen Familienprobleme sei
die Frauenemanzipation. Zu viele Frauen, so wird auch in der weiteren Öffentlichkeit
oft gesagt, seien zu sehr auf ihre Selbständigkeit bedacht, zu egozentrisch, zu wenig
bereit, sich den Ansprüchen der Familie unterzuordnen. Damit trügen sie dazu bei, die
Familie zu schwächen. Ihre Emanzipationswünsche gingen zu Lasten der Familie, in
erster Linie zu Lasten der Kinder.
42
Vor allem die Berufstätigkeit von Frauen und
generell ihr Verlangen nach Unabhängigkeit seien verantwortlich für zahlreiche
Schwierigkeiten: Anstieg der Scheidungsrate, Geburtenrückgang, Verhaltensstörungen
von Schulkindern, Jugendkriminalität. Die Frauenemanzipation, so eine geläufige
Schlussfolgerung, habe für die Familie mehr Nachteile als Vorteile gebracht, sie wirke
sich zerstörerisch aus und müsse eingedämmt werden.
43
Erneut wurde der Vorwurf, frauenpolitische Belange vor den Grundsatz des Kindes-
wohls zu stellen, nach der Wiedervereinigung laut, und zwar im Rahmen der Diskussion
um den Erhalt der Krippenplätze in der DDR. ,,Krippen bleiben indessen, auch dort, wo
sie für Elternteile in Notsituationen hilfreich sind, Institutionen der Gefährdungsbetreu-
ung".
44
Die Abschaffung der Krippenplätze nach der Wende wurde mit den negativen
Erfahrungen mit der in der DDR gemachten kollektiven Fremdbetreuung begründet.
Die psychisch gesunde Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern ­ so wird argu-
mentiert
45
­ ist nur dann gewährleistet, wenn das Kind in den ersten drei Jahren unter
ausschließlicher Pflege und Obhut der Mutter heranwächst, weil nur diese Daseinsform
ihm die notwendige Sicherheit und die Entwicklung von Bindungsfähigkeit ermög-
licht.
46
,,Müssen wir aber unsere Kinder Trennungsängste und Verlusterfahrungen
durchleiden lassen, die sie ihr ganzes Leben lang mit seelischen Schäden belasten kön-
nen?".
47
Inzwischen liegen zahlreiche empirische Untersuchungen und theoretische Ab-
handlungen über die Folgen der mütterlichen Erwerbstätigkeit für ihre Kinder vor, die
zeigen, dass die pauschale Abwertung, wie sie aus dem zuvor wiedergegebenen Zitat zu
entnehmen ist ­ sowohl gegenüber der mütterlichen Erwerbstätigkeit als auch gegen-
über der institutionellen Kleinkindbetreuung ­ nicht haltbar ist. Weiterhin haben viele
42
vgl. Nave ­ Herz, 2002a: Seite 37 bis 43
43
vgl. Pross, 1981 in: Nave ­ Herz 2002a: Seite 37 bis 43
44
zit. Pechstein, 1990 in: Nave ­ Herz 2002a: Seite 37 bis 43
45
vgl. Pechstein, 1990 ebenda
46
vgl. Nave ­ Herz, 2002a: Seite 57 bis 63
47
zit. Richter (Präsident der Deutschen Liga für das Kind), 1990 ebenda

18
Forschungsergebnisse mittlerweile bewiesen, dass ein eindimensionaler Blick auf den
doch sehr komplexen Sozialisationsprozess nicht alle Faktoren berücksichtigt. Schon
1956 (deutsche Erstveröffentlichung erschien 1960) fassten Myrdal und Klein
48
, aner-
kannte Expertinnen in Bezug auf die Auswirkungen mütterlicher Erwerbstätigkeit, ihre
Analyse zusammen: ,,Es kann gar nicht genug betont werden, dass der allerwichtigste
Faktor bei der Erziehung des Kleinkindes die Einstellung und Persönlichkeit der Mutter
ist und nicht etwa die Länge der Zeit, die sie mit dem Kind verbringt".
49
Laut Nave ­
Herz zeigen neueste demoskopische Umfragen, dass die Mehrzahl (75%) der Bevölke-
rung noch immer der Meinung ist, dass Mütter von Kindern unter drei Jahren nicht er-
werbstätig sein sollten bzw. mindestens ein Elternteil ganz beim Kind bleiben soll.
50
Ein Blick in die Geschichte jedoch zeigt, dass sowohl die exklusive Mutter ­ Kind ­
Beziehung als auch die Versorgung des Kleinstkindes durch seine Mutter ­ ein völlig
neues Phänomen ist. Mitterauer
51
schreibt: In Haushalten des traditionalen Europa ha-
ben vor allem Dienstboten und ältere Geschwister für die Kindererziehung eine große
Rolle gespielt. Dennoch sind doch wohl nicht alle unsere Vorväter und -mütter psy-
chisch gestörte und / oder bindungsschwache Menschen gewesen, wie aus dem Zitat
von Richter ableitbar wäre.
So sind Frauen dem Druck ausgesetzt der Gesellschaft gegenüber ihr ,,nicht ­ tun" im
Haushalt zu verteidigen ­ vor allem gegenüber älteren Generationen ­ gute Arbeit zu
leisten und den Mann dazu zu bewegen, mitzuhelfen. Das heißt auch, Auseinanderset-
zungen über dieses Thema aber auch einen nicht perfekten Haushalt auszuhalten. Sie
müssen sich erklären, warum sie arbeiten wollen, was der Mann nicht müsste. Vielleicht
kommt noch ein schlechtes Gewissen dem Kind gegenüber dazu. Sie kämpfen also an
verschiedenen Fronten gleichzeitig, was jedes für sich schon viel Kraft und Zeit kos-
tet.
52
In diesem Kapitel hat sich gezeigt, dass sich die Gesellschaft in einem Prozess der Indi-
vidualisierung befindet, welcher gekennzeichnet ist durch den Verlust von vorgegebe-
nen Traditionen, Geschlechterrollen und Lebenswegen wie auch einem Verlust an
Sicherheiten. Dies bedeutet Chance und Risiko zu gleich. Der Begriff der Familie ist
schwer zu begrenzen. Für diese Arbeit ist Familie mindestens ein Erziehungsberechtig-
48
vgl. Nave ­ Herz 2002a: Seite 44 bis 48
49
zit. Myrdal / Klein, 1962 in: ebenda: Seite 44 bis 48
50
vgl. Nave ­ Herz 2002a: Seite 57 bis 63
51
vgl. Mitterauer, 1989 in: ebenda: Seite 60
52
vgl. ebenda: Seite 57 bis 63

19
ter mit Kind. Die Wichtigkeit von Familie äußert sich in deren Funktionen und Bedeu-
tung. Sie bietet einen Halt und Hilfe, ein Zuhause und emotionale Unterstützung, wel-
che gerade in Zeiten der Individualisierung einen wichtigen Beitrag zur psychischen
Gesundheit von Menschen hat. Weiterhin wurde deutlich, dass durch die Trennung von
Wohnen und Arbeit während der Industrialisierung die Zuweisung der Frau auf den
Innenbereich stattgefunden hat. Diese Tatsache, die fehlende Anerkennung der Famili-
enarbeit und der Verlust ihrer finanziellen Verfügungsmacht führte zur Abwertung der
Frauenrolle. Familie heute beinhaltet viele verschiedene auch neue Lebensformen.
Frauen nehmen ihr eigenes Leben in die Hände, sind qualifiziert und wollen erwerbstä-
tig sein. Sie werden weiterhin für die Familienarbeit verantwortlich gemacht. Zusam-
menfassend kann auch festgehalten werden, dass Frauen in Deutschland nach wie vor
ein schlechtes Gewissen gemacht wird, wenn sie ihre Kinder (früh) in Fremdbetreuung
geben, um erwerbstätig zu sein oder zu bleiben.
2 Zum Begriff und der Bedeutung von Beruf
Um den Begriff Beruf bzw. Berufstätigkeit zu klären und einen kurzen Überblick dar-
über zu geben, was Berufstätigkeit für Menschen bedeutet, wie sie Menschen beein-
flusst, und warum sie daraus folgend wichtig für sie ist, gehe ich hier nun auf diese
Begrifflichkeiten ein. Es soll geklärt werden, mit welcher Bedeutung diese im weiteren
Verlauf der Arbeit verwendeten Begriffe belegt sind.
2.1 Der
Begriff
,,Unter dem Beruf versteht man diejenige Tätigkeit, die ein Mensch für (a) finanzielle
oder (b) herkömmliche Gegenleistungen oder (c) im Dienste Dritter regelmäßig er-
bringt, bzw. für die er ausgebildet, erzogen oder berufen ist. Im Allgemeinen dient die
Ausübung eines Berufes der Sicherung des Lebensunterhaltes. Die erwirtschafteten
Geld-, Sach- oder Tauschleistungen dienen der Stillung der persönlichen Bedürfnisse
oder denen der sozialen Gemeinschaft (z.B. der Familie), der der Ausübende angehört.
Dazu gehören in erster Linie die Ernährung, die Bekleidung, der (häusliche) Schutz vor
Gefahr und Krankheit und die Vorratsbildung".
53
Unter Beruf ist also ,,jede wirtschaft-
lich sinnvolle, erlaubte, in selbständiger oder unselbständiger Stellung ausgeübte Tätig-
53
zit. http://de.wikipedia.org/wiki/Beruf#Siehe_auch; letzter Zugriff: 20.07.2005

20
keit zu verstehen, die für den"
54
Menschen ,,Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist
und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung er-
bringt".
55
Berufstätigkeit übersetze ich mit im (erlernten) Beruf tätig sein. Unter dem Schlagwort
Berufstätigkeit erscheint im Internet ­ Lexikon Wikipedia aber auch ein Querverweis
zu Erwerbstätigkeit, Lohnarbeit oder Erwerbsarbeit. Darunter wird ein Handel ver-
standen, bei dem die Arbeitskraft eines Menschen (meist gegen Geld) eingetauscht
wird. Als andere Formen der Arbeit wird das Ehrenamt und die unbezahlte Haus- und
Familienarbeit genannt. Erwähnt wird außerdem, dass Mischformen möglich sind.
56
,,Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik" definiert Erwerbstätigkeit als ,,alle
arbeitsvertraglich geregelten, selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeiten, unabhän-
gig von Arbeitszeit bzw. Einkommen, also auch geringfügig Beschäftigte".
57
Arbeit
wiederum wird als eine auf ein Ziel gerichtete und an einen Zweck gebundene von ei-
nem Menschen ausgeführte Aufgabe bezeichnet.
58
Arbeit umfasst geschichtlich betrach-
tet die gegensätzlichen Anforderungen Freiheit und Mühe, Selbstverwirklichung und
Selbstentfremdung, Produktivität und Ausbeutung. Heute ist sie eine in das System der
gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der Berufe eingefügte, nutzbringende Tätigkeit.
59
Unter Beruf kann und soll in dieser Arbeit also auch Erwerbstätigkeit / Erwerbsarbeit
verstanden werden bzw. eine notwendige Arbeit, mit welcher der Lebensunterhalt er-
wirtschaftet wird.
2.2 Die
Bedeutung
Die Arbeitswelt beeinflusst über verschiedene Wege die Lebensführung, Wertorientie-
rung und Persönlichkeit der Menschen. Durch Zeitaufwand und Inhalte der ausgeübten
Arbeit werden die Betätigungen in der Freizeit beeinflusst. Auch längere und unfreiwil-
lige Erwerbslosigkeit wirkt sich mit den damit verbundenen mit materiellen und sozia-
len Abstiegsprozessen auf die Betroffenen psychisch stark belastend aus. Die
Persönlichkeit kann sich über Erwerbsarbeit nur begrenzt selbst verwirklichen, sie bietet
jedoch Möglichkeiten, die dazu beitragen können, das Leben zeitlich, sozial und inhalt-
54
zit. Heinz, 1995: Seite 18
55
zit. ebenda
56
vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Erwerbsarbeit; letzter Zugriff: 20.07.2005
57
zit. Engstler / Menning, 2003: Seite 105
58
vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeit; letzter Zugriff: 20.07.2005
59
vgl. Heinz, 1995: Seite 17

21
lich zu strukturieren.
60
Erwerbsarbeit ist fremdbestimmt und bedeutet Leistungsauf-
wand. Sie ist daher mit Mühe und Anstrengung verbunden. Sie kann den Menschen
über- oder unterfordern, zu Leistungsabfall, Gleichgültigkeit und zu körperlichen sowie
psychischen Störungen führen. Erwerbsarbeit hat demnach nicht nur materielle Folgen
(Lebensstandard) und sozialkulturelle Auswirkungen (Lebensweise), sie prägt auch
,,Weltbild und Selbstbild der Arbeitenden und ist Grundlage ihrer Identität".
61
Berufs-
bezogene Lern- und Entwicklungsprozesse beinhalten also nicht nur die Qualifizierung
für Arbeitstätigkeiten, sondern auch die gesamte Persönlichkeitsentwicklung. Die Er-
fahrungen, die im betrieblichen Arbeitsprozess gemacht werden, können sich auf das
Leben sowohl bewusstseinsbildend, persönlichkeitsfördernd aber auch ­zerstörend
auswirken.
62
Die Sozialisation für und durch die Erwerbsarbeit formt die Identität der
Beschäftigten nicht ohne Mitwirkung des Individuums. Sie ist ein Interaktionsprozess
zwischen Ausbildungs- und Arbeitsstrukturen und der durch Elternhaus und Schule
vorgeprägten Persönlichkeit. Die entstehende Kontinuität oder Diskontinuität von Be-
rufsbiographie prägt die Persönlichkeitsstrukturen, beeinflusst die Lebensführung und
die Bewertung von Berufsarbeit.
63
Die Autonomie bei der Arbeitstätigkeit ist besonders
wichtig für die Wertvorstellungen, die gesellschaftliche Orientierung und das Selbst-
konzept der Beschäftigten. Selbstbestimmte Arbeit bewirkt geistige Beweglichkeit und
selbständige gesellschaftliche Orientierung.
64
Es besteht ein Zusammenhang zwischen
Selbstbestimmung am Arbeitsplatz und Selbstvertrauen (psychologischer Ansatz der
Kontrollüberzeugung). Weiterhin findet eine subjektive Sinnstiftung über die Arbeit
statt.
Eine besondere Problematik ergibt sich für die Sozialisation durch Arbeit für berufstäti-
ge Frauen. Es sind auch für sie Merkmale der beruflichen Selbstbestimmung, die das
Selbstkonzept, die gesellschaftlichen Orientierungen und die intellektuelle Flexibilität
berufstätiger Frauen beeinflussen. Sie sind jedoch durch Berufs- und Familienarbeit in
widersprüchliche Handlungsbereiche und somit konflikthafte Anforderungen eingebun-
den. In einer qualitativen Studie wurde untersucht, wie die in einer Fabrik arbeitenden
Mütter mit den widersprüchlichen Erwartungen und zeitlichen Verpflichtungen umge-
hen. Die befragten Frauen erleben die Fabrikarbeit als wichtig für ihre finanzielle Un-
abhängigkeit; sie erleben sich als sozial anerkannt und sind stolz auf ihre Leistungsfä-
60
vgl. Heinz in: Hurrelmann / Ulich, 1991: Seite 397
61
zit. Heinz, 1995: Seite 22
62
vgl. Heinz in: Hurrelmann / Ulich, 1991: Seite 398
63
vgl. ebenda: Seite 404
64
vgl. ebenda: Seite 412

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2005
ISBN (eBook)
9783836605779
DOI
10.3239/9783836605779
Dateigröße
583 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule Hannover – Sozialwesen
Erscheinungsdatum
2007 (Oktober)
Note
1,5
Schlagworte
mehrgenerationenhaus berufstätigkeit familie empowerment mehrgenerationenarbeit beruf ehrenamt sozialpädagogik
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