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Kinder psychisch kranker Eltern

Lebenswelten und Hilfemöglichkeiten bei Kindern schizophren und affektiv erkrankter Eltern

©2006 Diplomarbeit 107 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Kinder, die mit einem psychisch kranken Elternteil aufwachsen, können durch die elterliche Erkrankung in vielfacher Weise belastet werden. Da ihre Lebenssituation meist unauffällig ist, wird ihre Belastung erst sichtbar, wenn sie selbst Verhaltensauffälligkeiten oder psychische Störungen entwickeln. Kinder benötigen für eine gesunde Entwicklung neben Ernährung und Hygiene auch emotionale Wärme, Körperkontakt und Kommunikation. In akuten Krankheitsphasen können Eltern auf diese Bedürfnisse nicht bzw. nicht ausreichend eingehen.
Die Kinder müssen ihre Bedürfnisse zurückstellen und darüber hinaus sogar noch ihre kindgerechten Rollen verlassen. Verantwortungsübernahme und Selbstständigkeit prägen das Leben der Kinder in krisenhaften Krankheitsphasen.
Das Thema Kinder psychisch kranker Eltern lässt sich zwar bis in die 30er Jahre zurückverfolgen, trotzdem war und ist diese Thematik in der Fachöffentlichkeit kaum präsent. Ausnahmen bilden die so genannten High- Risk- Forschungen, die sich mit den Auswirkungen psychischer Erkrankungen der Eltern und den damit verbundenen belastenden Lebenssituationen der Kinder beschäftigen. Die Anzahl der Arbeiten zu diesem Thema ist in den 70er Jahren erheblich gestiegen.
Das es sich um kein Randthema handelt, beweisen die etwa 500 000 in Deutschland lebenden Kinder, die mindestens einen psychisch erkrankten Elternteil haben.
Nach der Einleitung werde ich das Thema Kinder psychisch kranker Eltern im zweiten Kapitel in einem Problemaufriss darstellen, um einen Einblick in die Problematik der Kinder zu geben.
Im dritten Kapitel gebe ich einen kurzen Einblick der im Titel genannten Psychosen. Mein Anliegen in diesem Kapitel ist Darzustellen, mit welchen krankheitsspezifischen Verhaltensweisen die Kinder konfrontiert werden.
Das vierte Kapitel behandelt die Forschungseinrichtungen, die die Situationen der Kinder aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und sich mit der Frage beschäftigen, welche Faktoren die Entwicklung der Kinder beeinflussen und eine Erkrankung begünstigen.
Das fünfte Kapitel befasst sich mit den Lebenssituationen der Kinder. Da psychische Erkrankungen immer die ganze Familie betreffen, beginne ich mit einer Beschreibung der psychischen Erkrankung als Familienerkrankung. Im Folgenden werde ich speziell auf die Lebensbedingungen der Kinder eingehen. Neben der Beschreibung der Auswirkungen der elterlichen Erkrankungen gehe ich auf die protektiven Faktoren ein, die ein […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Katrin Müller
Kinder psychisch kranker Eltern
Lebenswelten und Hilfemöglichkeiten bei Kindern schizophren und affektiv erkrankter
Eltern
ISBN: 978-3-8366-0520-5
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven, Standort Emden, Emden,
Deutschland, Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
3
2. Problemaufriss
7
3. Psychische Störungsbilder
9
3.1
Affektive Psychosen
9
3.2
Schizophrene Psychosen
11
4. Forschungseinrichtungen zur Situation Kinder psychisch
kranker Eltern
13
4.1
Die High-Risk Forschung
14
4.2
Die Resilienzforschung
16
4.3
Die Vulnerabilitätsforschung
19
4.4
Die juristische Forschung in Fragen des Sorgerechts
20
4.5
Die Sozialpädagogische Forschung zur Situation Kinder
psychisch kranker Eltern
22
5. Die Lebenssituationen der Kinder
25
5.1
Die psychische Erkrankung als Familienerkrankung
25
5.2
Frühwahnzeichen 27
5.3
Kindliche Problemlagen
28
5.3.1 Unmittelbare Probleme
30
5.3.2 Folgeprobleme
31
5.4.
Direkte Auswirkung einer psychotischen Erkrankung
35
5.5.
Indirekte Auswirkung einer psychotischen Erkrankung
38
5.6
Protektive Faktoren
40
6. Überblick bestehender Hilfen für Kinder psychisch kranker
Eltern 45
6.1
Erwünschte Hilfen
45

2
6.2
Aufgaben der Jugendhilfe bei Kindern psychisch
erkrankter Eltern
47
6.2.1 Kinder psychisch kranker Eltern zwischen Jugendhilfe und
Psychiatrie 52
6.3
Pfiff e. V. - Ein Unterstützungsangebot im Rahmen der
Jugendhilfe 58
6.4
Stationäre Mutter- Kind- Einheiten
60
6.5
Präventive Projekte
63
6.5.1
KIPKEL e. V.
64
6.5.2
Auryn
67
7. Zusammenfassung
71
8. Literaturliste
75
Anhang 81

3
1. Einleitung
Kinder, die mit einem psychisch kranken Elternteil aufwachsen, können
durch die elterliche Erkrankung in vielfacher Weise belastet werden. Da
ihre Lebenssituation meist unauffällig ist, wird ihre Belastung erst sicht-
bar, wenn sie selbst Verhaltensauffälligkeiten oder psychische Störungen
entwickeln. Kinder benötigen für eine gesunde Entwicklung neben Ernäh-
rung und Hygiene auch emotionale Wärme, Körperkontakt und Kommu-
nikation. In akuten Krankheitsphasen können Eltern auf diese Bedürfnisse
nicht bzw. nicht ausreichend eingehen. Die Kinder müssen ihre Bedürfnis-
se zurückstellen und darüber hinaus sogar noch ihre kindgerechten Rollen
verlassen. Verantwortungsübernahme und Selbstständigkeit prägen das
Leben der Kinder in krisenhaften Krankheitsphasen.
Das Thema Kinder psychisch kranker Eltern lässt sich zwar bis in die 30er
Jahre zurückverfolgen, trotzdem war und ist diese Thematik in der Fach-
öffentlichkeit kaum präsent
1
. Ausnahmen bilden die so genannten High-
Risk- Forschungen, die sich mit den Auswirkungen psychischer Erkran-
kungen der Eltern und den damit verbundenen belastenden Lebenssitua-
tionen der Kinder beschäftigen. Die Anzahl der Arbeiten zu diesem The-
ma ist in den 70er Jahren erheblich gestiegen
2
.
Das es sich um kein Randthema handelt, beweisen die etwa 500 000 in
Deutschland lebenden Kinder, die mindestens einen psychisch erkrankten
Elternteil haben.
1
Mattejat, F. 2001, S. 491
2
Remschmidt, H./Mattejat, F. 1994, S 16

4
Nach der Einleitung werde ich das Thema Kinder psychisch kranker
Eltern im zweiten Kapitel in einem Problemaufriss darstellen, um einen
Einblick in die Problematik der Kinder zu geben.
Im dritten Kapitel gebe ich einen kurzen Einblick der im Titel genannten
Psychosen. Mein Anliegen in diesem Kapitel ist darzustellen, mit welchen
krankheitsspezifischen Verhaltensweisen die Kinder konfrontiert werden.
Das vierte Kapitel behandelt die Forschungseinrichtungen, die die Situati-
onen der Kinder aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und sich mit
der Frage beschäftigen, welche Faktoren die Entwicklung der Kinder
beeinflussen und eine Erkrankung begünstigen.
Das fünfte Kapitel befasst sich mit den Lebenssituationen der Kinder. Da
psychische Erkrankungen immer die ganze Familie betreffen, beginne ich
mit einer Beschreibung der psychischen Erkrankung als Familienerkran-
kung. Im Folgenden werde ich speziell auf die Lebensbedingungen der
Kinder eingehen. Neben der Beschreibung der Auswirkungen der elterli-
chen Erkrankungen gehe ich auf die protektiven Faktoren ein, die ein
Risiko einer Erkrankung der Kinder vermindert und ihnen bei der Bewäl-
tigung ihrer Situation hilft.
Im sechsten Kapitel beschreibe ich die Hilfemöglichkeiten für Kinder
psychisch kranker Eltern. Beginnen werde ich dieses Kapitel mit den
Hilfemöglichkeiten, die die Jugendämter bieten. Fortfahren werde ich mit
der Beschreibung der Kooperationsschwierigkeiten zwischen der Erwach-
senenpsychiatrie und der Jugendhilfe. Danach beschreibe ich Hilfemaß-
nahmen, unter anderem zwei präventive Hilfsprojekte.

5
Lesehinweise:
Die im Text angeführten Aussagen habe ich Interviews entnommen, die
ich mit drei verschiedenen, betroffenen Personen gemacht habe. Hinweise
dazu lassen sich im Anhang finden. Ebenso befinden sich dort die Inter-
views im Ganzen. Um den Aussagen aus dem Kontext heraus einen Sinn
zu geben, habe ich bei einigen Aussagen meine Frage mit eingebaut, ohne
den Sinngehalt zu verfälschen. Von mir eingefügte Wörter habe ich unter-
strichen.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichte ich auf geschlechtsspezifi-
sche, differenzierte Schreibweise, sofern sie nicht beim Zitieren übernom-
men werden muss. Verwende ich nur die maskuline Form, ist die femine
Form stets mitgemeint.
In meiner Arbeit verwende ich allgemein den Begriff Eltern, auch wenn
nur ein Elternteil erkrankt ist. In der Regel ist damit die Mutter gemeint,
sofern nicht spezifisch drauf hingewiesen ist.

7
2. Problemaufriss
In Deutschland begeben sich pro Jahr ca. 1, 6 Millionen Menschen auf-
grund einer psychiatrischen Erkrankung in fachärztliche Behandlung.
Dies entspricht in etwa drei Prozent der Bevölkerung über 21 Jahren.
Psychische Erkrankungen sind immer Familienerkrankungen und wirken
sich deshalb auf das ganze Familiensystem, seinen innerfamiliären Bezie-
hungen und die Lebensumstände der einzelnen Familienmitglieder aus.
Durch die Gesamtbetroffenheit ist die Angehörigenarbeit ein wichtiger
Bestandteil der heutigen Psychiatrie geworden. Während das Augenmerk
in den letzten Jahren hauptsächlich bei den erwachsenen Angehörigen lag,
richtet sich der Blickwinkel zunehmend auf die Kinder psychisch kranker
Menschen.
Erst 1996 wurden die spezifischen Problemlagen, mit denen Kinder psy-
chisch kranker Eltern konfrontiert sind, mit dem Kongress ,,Hilfen für
Kinder psychisch Kranker", veranstaltet von dem Dachverband Psychoso-
zialer Hilfevereinigung e. V., in der Fachöffentlichkeit diskutiert
3
. Es wur-
de deutlich, dass die Kinder, meist sogar sehr tief greifend, von der Er-
krankung ihrer Eltern betroffen sind und unter z. T. extremen Bedingun-
gen leben. Ebenfalls wurde deutlich, dass weder empirisch gesicherte
Erkenntnisse über die komplexe Problematik der Kinder und ihren Fami-
lien vorlagen, noch gab es eine genaue Größenvorstellung minderjähriger
Kinder mit mindestens einem psychisch erkrankten Elternteil.
,,[...]Das war aber auch ein bisschen die Zeit, damals wurde da einfach nicht
drüber geredet." (Frau S.)
3
Wagenblass, S. 2003, S. 8

8
Konservativen Schätzungen zufolge leben etwa 500 000 Kinder bei psy-
chisch kranken Eltern
4
. Bei diesen Schätzungen muss jedoch berücksichtigt
werden, dass Störungen wie Angst, Zwangs, und Persönlichkeitsstörun-
gen nicht erfasst wurden, so dass die Gesamtzahl der betroffenen Kinder
noch deutlich höher sein muss. Wenn man die verschiedenen, sich hinter
den Zahlen verbergenden Krankheitsverläufe betrachtet, deren Dauer und
Intensität variieren und sich in kontinuierliche, episodenhafte oder vorü-
bergehende Krankheiten unterscheiden, wird deutlich, dass es sich nicht
um eine soziale Randerscheinung handelt und das eine Vielzahl von
Kindern und Jugendlichen unter dem Eindruck der psychischen Erkran-
kung der Eltern leben. Ihr gesamtes Leben und oftmals auch ihre Entwick-
lungsperspektiven werden durch diese Erfahrungen geprägt.
4
Mattejat, R./ Remschmidt, H., 1994, S5

9
3. Psychische Störungsbilder
Unter psychischen Störungen wird eine ganze Reihe von Erkrankungen,
bei denen wichtige psychische Funktionen erheblich gestört sind, zu ei-
nem Begriff zusammengefasst. Es handelt sich hierbei um schwerwiegen-
de seelische Erkrankungen. Zu den häufigsten Störungen gehören die
Borderline- Persönlichkeitsstörung, Zwang- und Angststörungen, affekti-
ve- sowie schizophrene Störungen. Da ich im Rahmen meiner Diplomar-
beit nur auf schizophrene und affektive Psychosen eingehe, werde ich
mich auf eine Darstellung dieser beiden Erkrankungen beschränken. Diese
Darstellungen sollen nicht den Anspruch erheben, die Krankheiten umfas-
send zu beschreiben. Vielmehr möchte ich damit eine Vorstellung der
Krankheitsbilder ermöglichen, um aufzuzeigen, mit welchen Verhaltens-
weisen die Kinder durch die elterliche Erkrankung konfrontiert werden.
3.1 Affektive
Psychosen
Im Allgemeinen können affektive Psychosen als Störungen der Stimmung
und des subjektiven Gefühlszustandes bezeichnet werden. Zu ihnen gehö-
ren Depressionen, Manien und manisch- depressive Erkrankungen. Die
affektiven Störungen werden unterschieden in unipolare und bipolare
Störungen. Während unipolare Störungen ausschließlich in depressive
oder manische Phasen auftreten, wechseln sich bei einer bipolaren Stö-
rung depressive und manische Krankheitsphasen ab
5
.
Die Krankheitsphasen können sich wiederholen, sie führen aber nicht zu
einer dauerhaften Veränderung der Persönlichkeit.
5
Schone, R./ Wagenblass, S. 2002, S. 34

10
Die Depression ist gekennzeichnet durch Verstimmungen, emotionale
Versteinerung und Niedergeschlagenheit. Der Gefühlszustand depressi-
ver Menschen wird von Antriebsschwäche, Konzentrationsschwierigkei-
ten, verminderter Aktivität und Aufmerksamkeit begleitet. Depressions-
erkrankte haben Rückzugs- und Vermeidungstendenzen und alltägliche
Aufgaben und Anforderungen, wie z. B. die Haushaltsführung werden als
Überforderung erlebt. Die Gefühlswelt der Erkrankten ist geprägt von
Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit, Interesselosigkeit, Freudlosigkeit und
Wertlosigkeit. Zudem werden die Insuffizienzgefühle, also die Versagens-
und Schuldgefühle, sehr ausgeprägt
6
.
,,Aber als sie nach der Klinik als offiziell wieder geheilt zu Hause war, kam diese
irrsinnige Lethargie, dieses ,,ach, alles doof". Sie hatte immer den Gedanken im
Kopf, das wir nach der Schule etwas zu essen bekommen müssen und hat dann
immer diese Fertiggerichte gekauft die es bei den Schlachtern gibt. Aber zum
Schluss kam das auch nicht mehr, da war alles egal."
(Frau N.)
Die Manie ist das genaue Gegenteil einer Depression. Sie ist gekennzeich-
net durch situationsinadäquate, gereizte oder gehobene Stimmung ein-
hergehend mit einer Steigerung der körperlichen und psychischen Aktivi-
tät. Zu den Symptomen der Manieerkrankung gehört Ruhelosigkeit, eu-
phorische Stimmung, Ideenflucht( ein Gedanke jagt den anderen, ohne
das die Zuhörer den Gedanken folgen können) und gesteigerter Rede-
drang. Die Vitalität ist trotz vermindertem Schlafbedürfnis erhalten,
Hemmungen gehen verloren und die sexuellen Bedürfnisse steigern sich.
Das Selbstbewusstsein kann sich bis zum Größenwahn steigern und es
kann zu unangemessenen finanziellen Ausgaben kommen
7
.
Jedoch ist diese Erkrankung nicht nur durch Freudseeligkeit und Leicht-
sinn geprägt. In manchen Phasen ist die Stimmung eher gereizt und miss-
6
Maneros, A. 2003, S. 65
7
a. a. o. S. 79

11
trauisch. In der Anfangsphase werden Manien oft positiv und produktiv
erlebt.
Von einer manisch depressiven Störung spricht man, wenn extreme Stim-
mungsschwankungen ohne äußerlichen Einfluss zu beobachten sind. Das
heißt, nach einer depressiven Phase mit verringertem Antrieb folgt eine
Phase mit gehobener Stimmung. Manische Phasen beginnen meist ruckar-
tig und dauern zwischen zwei Wochen und vier bis fünf Monaten. De-
pressive Phasen dauern in der Regel ca. sechs Monate
8
.
3.2 Schizophrene Psychosen
Schizophrene Psychosen sind schwerwiegende, seelische Erkrankungen,
die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Persönlichkeit führen. Sie
gehen einher mit einer Störung des Denkens, Fühlens und Wahrnehmens.
Dazu gehören Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Stimmenhören,
Gedankeneingebung bzw. Gedankenentzug u. a. Die schizophrene Psy-
chose ist gekennzeichnet durch eine antriebsgestörte, ambivalente und
inadäquate Stimmung. Ebenso wie bei den Depressionen werden Anfor-
derungen als Überforderungen erlebt. ,,Die Störung beeinträchtigt die
Grundfunktionen, die dem Menschen normalerweise ein Gefühl von Individuali-
tät, Einzigartigkeit und Entscheidungsfreiheit geben
9
.
Diese Psychosen verlaufen zum Teil akut, zum Teil aber auch schleichend.
,,Sie hat alle Fenster permanent zu gehabt damit sie niemand sieht. Es durfte auch
keine Lampe angemacht werden, weil man dann ja sehen konnte, dass jemand zu
Hause ist. [...]Ich weiß noch, sie kam manchmal in mein Kinderzimmer und ich
war gerade beschäftigt mit malen oder lesen, halt alles was schön leise ist, ,,ich
müsste mal eben vor die Tür gehen und gucken was da für Autos parken". Dann
bin ich wie bescheuert durch die Siedlung gelaufen und habe mir die Nummern-
8
Schone, R./ Wagenblass, S. 2002 S. 37
9
a. a. O. s. 37

12
schilder von den Autos abgeschrieben und musste dann nach einer Stunde noch
mal gucken, ob die Autos da noch stehen, oder ob jemand seinen Beobachtungs-
posten mittlerweile aufgegeben hat."
(Frau N.)
Affektive und schizophrene Psychosen haben folgendes gemeinsam:
·
,,Eine tief greifende Störung der Realitätsbeziehung
·
Das Auftreten produktiver Symptome
·
Einen zeitlich intermittierenden Verlauf, der die Krankheit als
Einbruch in die Kontinuität der Entwicklung, des Erlebens und
des Verhaltens erscheinen lässt"
10
Im weiteren Verlauf meiner Arbeit werde ich allgemein von psychischen
Erkrankungen bzw. Störungen reden und werde sie nicht in schizophrene
oder affektive Psychosen unterscheiden. Nur bei spezifischen Unterschei-
dungen werde ich die Erkrankung eigenständig benennen.
10
Mattejat, F./ Remschmidt, H. 1994, s. 11

13
4. Forschungseinrichtungen zur Situation Kinder
psychisch kranker Eltern
Verschiedene Forschungseinrichtungen befassen sich seit den 20er Jahren
mit Kindern von psychisch erkrankten Eltern
11
Dabei lassen sich fünf Forschungseinrichtungen beschreiben. Die High-
Risk- Forschung beschäftigt sich mit der Frage, wie hoch die Wahrschein-
lichkeiten von Kindern psychisch kranker Eltern sind, im Laufe ihres
Lebens selber an einer psychischen Störung zu erkranken.
Die Risiko- und Bewältigungsforschung setzt sich mit der Frage auseinan-
der, warum Kinder trotz schwerer Belastungen sich zu gesunden und
kompetenten Menschen entwickeln und andere mit ähnlichen Belastun-
gen auffällig werden.
Die Vulnerabilitätsforschung befasst sich damit, welche Lebensereignisse
für Kinder verletzlich wirken und welche Auswirkungen psychische
Störungen der Eltern auf die Kinder haben.
Juristische Forschungseinrichtungen befassen sich mit den rechtlichen
Handlungsmöglichkeiten, wenn Eltern aufgrund ihrer Krankheit die
elterliche Sorge nicht mehr ausreichend ausüben können.
Die sozialpädagogische Forschungseinrichtung hat die Aufgabe, die Le-
benslagen der Kinder und deren Hilfebedarf zu erfassen.
11
Grundelfinger, R. in: Nicht von schlechten Eltern.2001, S . 120

14
4.1 Die High-Risk Forschung
Die High- Risk- Forschung setzt sich mit den Wahrscheinlichkeiten aus-
einander, im Laufe des Lebens an einer psychischen Krankheit zu erkran-
ken oder nicht.
Das Risiko von Kindern psychisch kranker Eltern, selbst irgendwann eine
psychische Krankheit zu entwickeln, ist deutlich erhöht. Dies haben laut
Lenz zahlreiche empirische Studien bewiesen.
12
So stellte sich heraus, dass
Kinder mit einem schizophren erkrankten Elternteil, mit einer Wahr-
scheinlichkeit von 10- 15%, im Gegensatz zu der Normalbevölkerung von
1 %, im Laufe ihres Lebens selbst an einer Schizophrenie erkranken. Bei
zwei erkrankten Elternteilen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit auf etwa
35- 50 %
13
.
,,Mein großer Bruder
[...]
hat sehr viel in sich hineingefressen und hat mit nie-
manden gesprochen. Eine Zeitlang habe ich gedacht, dass er mit seiner stillen Art
ganz gut zu Recht kommt [...]. Aber dann ist er richtig schwer krank geworden.
Er hat Schizophrenie bekommen und es war ganz klar, dass das mit der Situation
zusammen hängt." (Frau F.)
,,Ein Cousin von mir das auch hat und es gibt ja familiäre Häufungen und das
käme hin, weil das derselbe Zweig ist."
(Frau N.)
Das Erkrankungsrisiko bei Kindern mit einem affektiv erkrankten Eltern-
teil liegt bei einer Wahrscheinlichkeit 23- 38 %. Bei einer Erkrankung
beider Elternteile erhöht sich das Risiko der Kinder, selbst im Laufe ihres
Lebens eine Depression zu entwickeln um 70%
14
.
Diese erhöhten Risiken, selbst an schizophrenen und affektiven Psychosen
zu erkranken, sind zum einen auf genetische Faktoren zurückzuführen.
Hierzu wurden Zwillingsstudien durchgeführt. Diese ergaben, dass zwei-
12
Lenz, A. 2005, S. 13
13
Remschmidt, H, Mattejat, F., 1994, S. 37
14
a. a. O. S. 70

15
eiige Zwillinge hinsichtlich einer schizophrenen Erkrankung eine Über-
einstimmung von ca. 15,5% haben, bei eineiigen Zwillingen beträgt die
Konkordanz ca. 56,6 %. Relativ ähnlich verhält es sich bei affektiv erkrank-
ten Eltern. Demnach ergeben sich eine Konkordanz von ca. 58 % bei einei-
igen Zwillingen und ca. 14 % bei zweieiigen Zwillingen.
15
Auch bei anderen psychischen Krankheiten ist das Risiko der Kinder
erhöht, selbst an der Krankheit der Eltern zu erkranken. So haben Kinder,
deren Eltern an einer Angststörung leiden, das 7 fache Risiko, selbst an
dieser zu erkranken.
Kinder von Menschen mit einer Persönlichkeits- oder Suchtstörung weisen
deutlich schlechtere Entwicklungsmerkmale auf als Kinder von Eltern mit
schizophrenen oder affektiven Störungen.
16
Diese Studien belegen, dass genetische Faktoren für die Erkrankung der
Kinder psychisch kranker Eltern relevant sind. Da die Ergebnisse der
Studien aber nie 100% sind, müssen zudem andere Faktoren das Erkran-
kungsrisiko begünstigen. Ein weiteres Risiko stellen ungünstige psycho-
soziale Entwicklungsbedingungen dar.
Diese sind bedingt durch äußere Einflussfaktoren, die sich sowohl direkt
aus der Erkrankung der Eltern ergeben als auch indirekt durch eine Häu-
fung von psychosozialen Faktoren wie z. B. Scheidung der Eltern oder ein
Arbeitsplatzverlust. Auf die Auswirkungen der psychosozialen Entwick-
lungsbedingungen gehe ich im Kapitel 5. 5 ausführlicher ein.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein deutlich erhöhtes Er-
krankungsrisiko für Kinder psychisch kranker Eltern festgestellt wurde.
Dies beruht einerseits auf genetische Faktoren, zum anderen sind die
15
a. a. O. S. 52 und 84
16
Bohus, M. 1998, S. 135

16
ungünstigen psychosozialen Bedingungen, unter denen die Kinder als
Folge der Erkrankung aufwachsen, ausschlaggebend.
4.2 Die
Resilienzforschung
Die Resilienz- und Bewältigungsforschung beschäftigt sich mit der Frage,
warum manche Menschen trotz hoher Belastungen und Risiken gesund
bleiben, während andere Menschen unter vergleichbaren Bedingungen
auffällig werden. Bleuler konnte bereits 1972 in einer Langzeitstudie über
Kinder schizophrener Eltern nachweisen, dass Kinder in schwierigen
Familienkonstellationen durchaus in der Lage sind, ihre Lebenssituation
adäquat zu meistern. Es zeigte sich, dass trotz großer familiärer Belastun-
gen, denen die Kinder ausgesetzt waren, ,, nur eine Gefährdung und nicht
einabsolutes Hindernis für eine gesunde Entwicklung"
17
besteht.
Auch andere Langzeitstudien ergaben, dass Kinder, die trotz großer Belas-
tungen aufwuchsen, sich gesund entwickeln konnten. Die Kauai-Längs-
schnittstudie, z. B. ergab, dass eine Gruppe Erwachsener, die jeweils eine
risikobelastete Kindheit erlebten, sich zu leistungsfähigen, zuversichtli-
chen und fürsorglichen Menschen entwickelten. Diese Studie untersuchte
den Einfluss biologischer und psychosozialer Risikofaktoren, kritische
Lebensereignisse und schützende Faktoren in der Entwicklung von 698
Kindern, die 1955 auf der Insel Kauai in Hawaii geboren wurden.
18
Obwohl alle Kinder in dieser Studie erheblichem Stress in unterschied-
lichster Form ausgesetzt waren, gelang es einem Drittel dieser Kinder, sich
in ihren Lebenswelten zu behaupten. Sie waren resilient. ,,Die Ergebnisse
dieser Studie zeigten, dass selbst eine kumulative Erfassung signifikanter Ent-
17
Lenz, A. 2005, S. 17
18
Werner, E. in: Was Kinder stärkt, 1999, S. 26

17
wicklungsrisiken eine lineare Prognose für Entwicklungsauffälligkeiten nicht
zulässt"
19
Daraus entwickelt sich die Annahme, dass protektive Faktoren existieren,
die dazu führen, die Wirkungen von Risiken zu mindern. Jedoch sind
diese Schutzfaktoren und deren Wirkungsweisen noch nicht eindeutig
belegt. Resilienz muss in einem komplexen Zusammenhang gesehen
werden. Die Forscher Rutter und Masten sehen Resilienz nicht nur als ein
Ergebnis schützender Faktoren, sondern auch die Fähigkeit, sich an be-
drohenden Lebensumständen anzupassen und mit Lebensveränderungen
umgehen zu können.
20
"Von einem protektiven Faktor wird dann gesprochen, wenn die Ressource die
pathogene Wirkung vorhandener Risiken vermindert, also den Zusammenhang
zwischen Risikofaktor und Störung moderiert".
21
Protektive Faktoren sind
nicht allgemeingültig. Personen, die ein vergleichbares Risiko aufweisen,
bleiben in dem einem Fall gesund und im anderen nicht. Es konnten ver-
schiedene protektive Faktoren ermittelt werden, die das Risiko, selbst eine
psychische Krankheit zu entwickeln, vermindern. Diese Faktoren liegen
sowohl in der Persönlichkeit des Kindes (aktives, kontaktfreudiges Tem-
perament, Intelligenz, Kontrollüberzeugung usw.), als auch in seinem
sozialen Umfeld (kompensierender Elternteil, Informationen über die
elterliche Erkrankung usw.) Auf die protektiven Faktoren gehe ich im
Kapitel 5. 6 näher ein.
Neben den schützenden Faktoren beinhaltet Resilienz Bewältigungsstra-
tegien. Mit Bewältigungsstrategien sind aktive Verhaltensweisen gemeint,
die benötigt werden, um Anforderungen zu bestehen. Zudem umfassen
sie alle Reaktionen die benötigt werden, um Belastungen zu tolerieren,
19
Opp, G./ Fingerle, M./ Freytag, A. 1999, S15
20
a. a. O. S. 16
21
Lenz, A. 2005, S. 17

18
auszuhalten, zu vermeiden oder auch zu verleugnen. Resiliente Kinder
zeigen folgende Bewältigungsstrategien:
·
,,aktive, problemorientierte Strategien,
·
direkte Auseinandersetzungen mit Problemen, wenig Neigung zur
Verleugnung oder Verzerrung von Realitäten,
·
Fähigkeit, zwischen verschiedenen Bewältigungsstrategien zu
wählen und diese je nach Ziel, emotionaler Belastung oder vorhan-
dener Unterstützung flexibel einsetzen zu können,
·
Fähigkeit, ein hilfreiches soziales Netz aufzubauen und dieses zur
eigenen Unterstützung heranzuziehen."
22
Für die Bewältigung schwerer Lebenslagen ist Flexibilität und Anpas-
sungsfähigkeit eine wichtige Voraussetzung.
Je mehr ein Kind fähig ist, unterschiedliche Bewältigungsstrategien zu
unterschiedlichen Zeitpunkten einzusetzen, umso besser wird es mit den
Belastungssituationen umgehen können.
,,[...] Komischer Weise hat mich nie interessiert, was sie hat.
[...] Ich dachte immer: ,,boa ist die kompliziert, warum darf ich jetzt das schon
wieder nicht?"
. Ich habe immer gewusst irgendwie ist sie durchgedreht, aber ich
war immer ein Papakind, d. h. ich hatte nie so ein dickes Verhältnis zu meiner
Mutter, eben auch weil es so schwierig war [
...]Als sie in der Klinik
war[...]Ehrlich gesagt ich habe mich gefreut das sie nicht da war, das muss ich
zugeben. Weil das Verhältnis einfach so belastet war. Und nun waren die Fenster
endlich wieder auf und nun war es wieder hell und bei meinem Vater durfte ich
auch mehr. Es war für alle so ,,puh, Gott sei dank". Es wusste zwar keiner wie es
weiter geht aber es war erstmal entlastend[...]Angst vor ihr haben musste man
nicht. Sie hatte ja immer Angst und vor jemanden der Angst hat muss man ja
keine Angst haben
." (Frau N.)
22
a. a. O. S. 19

19
4.3 Die Vulnerabilitätsforschung
,,Zubin und Spring verstehen unter Vulnerabilität eine Schwellensenkung des
Menschens gegenüber bestimmten Reizen."
23
Diese Schwellensenkung besteht in erster Linie sozialen Reizen gegenüber,
die dann schnell zu Stressoren werden. Den Betroffenen fehlen die Mög-
lichkeiten, diese Stressoren zu regulieren. Aus diesem Grund kann ein für
die Bewältigung notwendiges Gleichgewicht nicht aufrecht erhalten blei-
ben.
Die Vulnerabilität gibt die Verletzbarkeit eines Kindes gegenüber von
außen kommenden Einflussfaktoren an und stellt somit den Gegenpol zur
Resilienz dar. Als Ursache der Vulnerabilität wird eine Störung der Infor-
mationsverarbeitung genannt. Reichen die Bewältigungsmöglichkeiten
eines vulnerablen Menschen bei bestimmten Belastungen nicht aus, um
Reize aufzunehmen, sie zu ordnen, verstehen, bewerten oder angemessen
darauf zu reagieren, wird diese Störung zu einem Problem. Die Informati-
onsverarbeitungsstörungen sind auf Schwierigkeiten der Dekodierung
von ,,Informationen und deren Zuordnung zu bestimmten Erfahrungen und
Kontexten"
zurückzuführen.
24
Die Dekodierungsschwierigkeiten sind je
nach Bedeutsamkeit der Reizsituation vorhanden. Da Kinder weniger
Bewältigungsmöglichkeiten haben als Erwachsene, können sie in Belas-
tungssituationen schnell überfordert werden, was sich in Angst, Anspan-
nung und Erschütterung des kindlichen Weltverständnisses äußern kann.
Die Vulnerabilitätsforschung beschäftigt sich mit den Auswirkungen
psychischer Störungen der Eltern auf die kindliche Entwicklung. In einem
Vergleich mehrer Studien kommen Laucht und andere Forscher zu dem
Ergebnis, dass sich bereits bei Säuglingen von drei Monaten erste Anzei-
23
a. a. O. S. 23
24
a. a. O. S. 24

20
chen von Abweichungen feststellen lassen und Kinder psychisch kranker
Mütter im Alter von zwei Jahren Defizite der sprachlichen Entwicklung
aufweisen. Zudem macht er deutlich, dass die Beziehung zwischen der
elterlichen Erkrankung und kindlicher Störung in Wechselwirkung zuein-
ander stehen. So wirkt sich der elterliche Krankheitszustand nicht nur auf
die kindliche Entwicklung aus, sondern die Mutter- Kind- Beziehung
wirkt sich auf die Gesundheit der Mutter aus.
25
Ein weiteres Aufgabenfeld der Vulnerabilitätsforschung ist ,, die Aufklä-
rung der Prozesse, die dem Zusammenhang zwischen elterlicher Erkrankung und
kindlichen Entwicklungsstörungen zugrunde liegen."
26
Die Forscher nehmen
an, das die mögliche Gefährdung der Kinder, selbst eine psychische Stö-
rung zu entwickeln, durch das Zusammenleben mit einem erkrankten
Elternteil besteht. Eine Reihe von Untersuchungen bestätigen, dass ein
Zusammenhang zwischen mütterlicher und kindlicher Auffälligkeiten
durch eine Störung der Mutter- Kind- Interaktion besteht.
Die Ergebnisse der Vulnerabilitätsforschung zeigen, dass eine Einbezie-
hung der Kinder in die Behandlung des erkrankten Elternteils eine wichti-
ge Rolle spielt, damit beide die Möglichkeit erhalten, die Situation bewäl-
tigen zu können.
4.4
Die juristische Forschung in Fragen des Sorgerechts
Das Anliegen der juristischen Forschung ist herauszufinden, welche recht-
lichen Handlungsmöglichkeiten bestehen, wenn Eltern aufgrund einer
psychischen Erkrankung die Personensorge ihrer Kinder nicht mehr an-
gemessen ausüben können und dadurch eine Kindeswohlgefährdung
gemäß § 1666 BGB besteht. Eine Kindeswohlgefährdung besteht demnach
25
a .a. O. S. 24
26
a. a. O. S 25

21
wenn: das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes [...] durch
missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung
des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder das Verhal-
ten eines Dritten [...] gefährdet wird.
Eine psychische Krankheit, ebenso eine Behinderung, der Eltern müssen
von Kindern grundsätzlich als schicksalhaft hingenommen werden. Sie
rechtfertigt an sich keinen Eingriff in die elterliche Sorge. Erziehungsdefi-
zite sollen in erster Linie durch öffentliche Hilfen ausgeglichen werden.
Erst wenn diese ausgeschöpft sind kommen beschränkte Sorgerechtsein-
griffe in Frage. Die Eingriffe in die Personensorge, die mit einer Trennung
von Eltern und Kindern einhergehen, dürfen nur unter strenger Beach-
tung der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Dies bedeutet laut Münder, dass
eine Trennung zwischen Eltern und Kindern nur erfolgen darf, wenn
andere Maßnahmen nicht mehr greifen und eine Gefahr nicht anders
abgewehrt werden kann.
In Rahmen einer rechtstatsächlichen Untersuchung im Auftrag des Bun-
desministeriums der Justiz kommt Münder zu folgenden Ergebnissen
27
:
·
Die Entscheidung, ob ein Kind außerhalb der Familie untergebracht
wird, erfolgt in der Regel mit einer Einwilligung der Eltern. Richterli-
che Entscheidungen spielen selten eine Rolle und hängen in hohem
Maße von den Aktivitäten der Sozialen Dienste ab.
·
Die richterlichen Maßnahmen weisen eine geringe Flexibilität auf. So
werden richterliche Entscheidungen zu selten auf die konkrete Situa-
tion des Eltern- Kind- Verhältnisses angepasst, sondern ,,Standard-
entscheidungen" beschlossen, die das Aufenthaltsbestimmungsrecht
bzw. das gesamte Sorgerecht entziehen.
·
Es muss sichergestellt werden, dass bei einer Fremdunterbringung
der Kinder die Eltern in ihrer Elternrolle nicht ,,enteignet" werden.
27
Schone/ Wagenblass, 2001, S. 13

22
Sie müssen in das Aufwachsen der Kinder mit einbezogen bleiben,
oder wo dies nicht möglich ist, muss ein Ablösungsprozess organi-
siert werden, der vom Gericht begleitet werden muss.
Wie sich zeigt, nimmt der juristische Forschungsaspekt nicht in erster
Linie die Situation der Kinder in den Blick, sondern beschäftigt sich mit
der Frage der Gestaltung der rechtlichen Beziehung von psychisch kran-
ken Eltern und ihren Kindern.
28
4.5 Die Sozialpädagogische Forschung zur Situation Kinder
psychisch kranker Eltern
Bei der sozialpädagogischen Forschung rückt die Lebenslage von Kindern
psychisch kranker Eltern in den Mittelpunkt. Diese Forschungseinrichtung
soll in Erfahrung bringen, wie die Kinder die Erkrankung der Eltern erle-
ben und wie die Kompetenzen und Angebote der Jugendhilfe vor dem
Hintergrund dieser Lebenslagen gestaltet sein müssen sowie eine adäqua-
te Hilfe und Unterstützung zu gewährleisten ist.
Aber leider hat sich die sozialpädagogische Forschung bisher mit den
Problemen der Kinder mit psychisch kranken Eltern nicht systematisch
auseinander gesetzt. Es gibt keine fokussierte Befassung mit den Lebens-
lagen der Kinder. Ebenso gibt es keine Diskussion darüber, wie die Ange-
bote der Jugendhilfe gestaltet werden müssten.
29
Die Aufgabe der sozialpädagogischen Forschung wäre die Erfassung der
Lebenslagen in Bezug auf die familiären Verhältnisse, die Probleme der
Kinder (z. B. Überforderung, emotionale Vernachlässigung, Ängste etc.)
die Auswirkungen der elterlichen Erkrankung auf die Kinder und Bewäl-
28
a. a. O. S. 24f
29
Schone, R./ Wagenblass, S. 2001, S 10

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836605205
Dateigröße
453 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven; Standort Emden – Sozialwesen
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
2,0
Schlagworte
eltern affektpsychose jugendhilfe jugendpsychiatrie resilienz psychische störungsbilder vulnerabilitätsforschung erkrankung
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Titel: Kinder psychisch kranker Eltern
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