Lade Inhalt...

Zentralisierungsgrad der Rechtsdurchsetzung am Beispiel der lex mercatoria

Kliometrische Studie zur Rechtsentwicklung

©2007 Diplomarbeit 70 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Problemstellung:
Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob und unter welchen Umständen die Entstehung eines Rechtssystems auch ohne staatliche beziehungsweise ohne eine übergeordnete Macht möglich ist. Dazu werden auf Basis konflikttheoretischer Modelle Überlegungen zu einem Zyklus der Zentralisierungsgrade der Rechtsdurchsetzung angestellt.
Üblicherweise wird in der Volkswirtschaftslehre davon ausgegangen, dass bestimmte Güter öffentlicher Art nicht effizient privat bereitgestellt werden können und demzufolge unter staatliche Lenkung fallen. Ein Rechtssystem zählt ebenfalls dazu, weil hohe Kosten der Rechtsdurchsetzung und Überwachung anfallen.
Allerdings kann die Funktionsweise von Institutionen nicht immer mit den weitläufig verbreiteten Modellen erklärt werden. Ein Beispiel dafür ist die mittelalterliche lex mercatoria, bzw das ius mercatorum. Es handelt sich hierbei um ein Kaufmannsrecht, welches bindend für alle Kaufleute und losgelöst von jeglicher staatlicher oder obrigkeitlicher Bindung Jahrhunderte lang das vorrangige Rechtssystem der Kaufleute bildete. Die Besonderheit liegt in der dezentralen Entstehung dieses als Gewohnheitsrecht funktionierenden und von den Kaufleuten selbst durchgesetzten Ordnungsrahmens. Innerhalb der immer größer und intransparenter werdenden Gruppe von Kaufleuten erhielt sich, entgegen der üblichen Annahmen, eine effiziente Selbstorganisation. Der historische Hintergrund und die Inhalte des mittelalterlichen Kaufmannsrechts werden im zweiten Kapital dargestellt.
Darauf aufbauend werden im dritten und vierten Kapitel die verwendeten Modelle erklärt und bereits in den historischen Kontext eingebunden. Die theoretische Fundierung erfolgt anhand von Modellen von Hirshleifer, Grossman und Skaperdas, die den konflikttheoretischen Ansatz gewählt haben, nach dem die Entscheidung eines Individuums zu destruktivem Verhalten auf Basis eines ebenso rationalen Kalküls getroffen werden kann wie die Entscheidung zu produktivem Verhalten wie Tausch oder Kauf.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich eingehend mit den Grundlagen rationalen Verhaltens im konflikttheoretischen Sinn und die Entstehung von kooperativen und konfliktären Gleichgewichten in Anarchie. Das vierte Kapitel stellt unter Wohlfahrtsaspekten vergleichend die staatliche, die selbst – organisatorische und die anarchische Lösung als Gleichgewichtszustand nebeneinander.
Das fünfte und letzte Kapital wendet die Modelle auf die Situation der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Mareike Herda
Zentralisierungsgrad der Rechtsdurchsetzung am Beispiel der lex mercatoria
Kliometrische Studie zur Rechtsentwicklung
ISBN: 978-3-8366-0618-9
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2008
Zugl. Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland, Diplomarbeit, 2007
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte,
insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von
Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,
bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung
dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen
der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik
Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich
vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des
Urheberrechtes.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei
zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können
Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden, und die Diplomarbeiten Agentur, die
Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine
Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen.
© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2008
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1
Vorwort
3
2
Das mittelalterliche Kaufmannsrecht
6
2.1 Die
"
Kommerzielle Revolution" . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
2.2 Entstehung und Besonderheiten des ius mercatorum . . . . . .
8
2.3 Wachstum und Bedeutung kaufm¨annischer Institutionen . . . 11
2.3.1
Die Messegerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.3.2
Das Konzept der Gilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.4 Integration und Fixierung der Lex Mercatoria . . . . . . . . . 14
3
Strategienwahl in Anarchie
17
3.1 Die
"
dunkle Seite der Macht" . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
3.2 Gleichgewichte in Anarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
3.2.1
Friedliche Anarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3.2.2
Partielle Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.2.3
Gleichgewicht in Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
3.2.4
Macht und Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
4
Theoretische ¨
Uberlegungen zum Zentralisierungsprozess
29
4.1 Vor¨uberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
4.2 Ein K¨onig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
4.3 Autorit¨ares Recht vs. Selbstorganisation . . . . . . . . . . . . 34
5
Die Zyklen der Rechtsdurchsetzung
40
5.1 Anarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5.2 Freiwillige Gewohnheitsrechtsbildung . . . . . . . . . . . . . . 44
5.3 Wettbewerb um die Besteuerungsbasis . . . . . . . . . . . . . 51
5.4 Das Entstehen zentraler Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . 54
5.5 Niedergang staatlicher Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . 57
1

6
Kritik und Fazit
61
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
2

Kapitel 1
Vorwort
Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Jack Hirshleifer pr¨agte den Be-
griff der
"
dunklen Seite" des ¨okonomischen Denkens. Die
"
dunkle Seite" be-
schreibt Konflikte, wie Raub, Streik oder Betrug als Bestandteil des ¨okono-
mischen Entscheidungsprozesses eines Individuums und blieb in den Wirt-
schaftswissenschaften lange Zeit ohne große Beachtung. Konflikt f¨uhrt zur
Erh¨ohung des Wohls nur einer Partei. Anders als regelm¨aßig in der ¨
Okonomie
angenommen wird, profitieren nicht beide Spieler. In der ¨okonomischen Theo-
rie des Konflikts geht es um die Erkenntnis, dass bewusstes, intelligentes Ver-
halten Konflikt als eine erfolgreiche Strategie um einen Wettbewerb zu gewin-
nen mit einschließt. Das Verst¨andnis von Konflikt als maßgeblich f¨ur das Ent-
scheidungskalk¨ul eines rationalen Spielers in einem Wettbewerb, erm¨oglicht
eine viel realistischere Einsch¨atzung der eigenen Strategiewahl, sowie der Re-
aktion des Gegners. In den letzen Jahrzehnten wandten viele ¨
Okonomen die-
sem Forschungsfeld ihre Aufmerksamkeit zu. Einige davon bilden mit ihren
Modellen die theoretische Basis dieser Arbeit, wie Jack Hirshleifer, Herschel
Grossman und Stergios Skaperdas. In Kapitel 3 werden die Grundlagen
f¨ur das Verst¨andnis der Konfliktstrategien und der Einfluß fehlender Eigen-
tumsrechte in Anarchie auf die Wohlfahrt erkl¨art. Insbesondere dort exis-
tiert Konflikt, weil niemand die Spieler daran hindert, andere zu berauben,
anstatt zu einem Wertsch¨opfungsprozess beizutragen. Nur unter bestimm-
ten Voraussetzungen kommt es zur friedlichen Anarchie ohne Wohlfahrts-
verlust. Ansonsten werden die Individuen einen Teil ihrer Ressourcen auf
Schutz des Eigentums verwenden m¨ussen, sodass Produktion verteuert wird
und es bei ausreichend großer Konflikttechnologie, aufgrund geringer Oppor-
tunit¨atskosten aus dem Produktionsverlust, attraktiv wird, sich an einem
anderen Spieler zu bereichern. So wie ein Land oder ein Unternehmen seinen
komparativen Vorteil im Wettbewerb nutzt, so spezialisiert sich auch ein Indi-
viduum in dieser Situation entsprechend der Grenzproduktivit¨atstheorie auf
3

Produktion oder Konflikt. Die Entscheidung daf¨ur, ab welcher Kosteninten-
sit¨at eine Strategie gew¨ahlt wird, h¨angt maßgeblich von der Ressourcenaus-
stattung ab. Jede unproduktive Verwendung von Ressourcen, wie Raub oder
Schutz, verringert das Wohlstandsniveau und f¨uhrt zu einer schwach pareto
ineffizienten Verteilung. Nun liegt die ¨
Uberlegung nahe, das Wohlstandsni-
veau f¨ur beide Parteien durch einen Autokraten anzuheben, der Sicherheit
gegen Steuerzahlungen bereitstellt und Diebstahl monopolisiert. Durch seine
Macht, die optimale Menge an Schutz bereitzustellen, verhindert er Kon-
flikt und senkt die Kosten f¨ur die Produktion. Das Wohlstandsniveau steigt
an. Allerdings entsteht gerade durch die besonderen Eigenschaften des Gu-
tes Sicherheit auch eine Konfliktsituation, weil der Apparat, der zur Bereit-
stellung von Sicherheit genutzt wird, wie W¨achter und Polizisten, es dem
K¨onig erm¨oglicht, so hohe Steuern einzutreiben, dass sich die Anreize zur
Produktion verringern und damit das Wohlstandsniveau unter dem in Anar-
chie sinkt.
Die M¨oglichkeit, anhand des ¨offentlichen Gutes Sicherheit, Eigentums-
rechte zu garantieren und den Rechtsanspruch durchzusetzen wird traditio-
nell nur dem Staat zugestanden. Allerdings existierte bereits ein Rechtssys-
tem, bei dem Brauch und Gewohnheit Gesetzeskraft verliehen wurde, und so
Recht dezentral ohne staatliches Machtmonopol entstand. Da dieser Zustand
ein quasi-anarchischer ist, muss festgestellt werden, dass Anarchie nicht im-
mer gleichbedeutend mit Konflikt oder Raub sein muss. Der Wunsch, Kon-
fliktkosten zu reduzieren war der Anreiz f¨ur das Entstehen eines privaten
Rechtssystems, welches sich aufgrund des reziproken Benefits aller Beteilig-
ten aufrecht erh¨alt. Kooperation und die daraus resultierenden Wohlfahrts-
vorteile k¨onnen also einen Anreiz bieten, opportunistisches Verhalten auch
ohne Autorit¨at zu verhindern.
Das Beispiel dieser Arbeit ist das mittelalterliche Kaufmannsrecht, die
Lex Mercatoria. Fernh¨andler schlossen sich zusammen und regelten mittels
eigens geschaffener, auf Gewohnheit basierender Institutionen, Recht und
Eigentum. Vor dem Aufkommen der Lex Mercatoria, deren Wirkung eng
mit der Entstehung der Messen verkn¨upft ist, waren die Handelsgewinne ge-
ring und reichten weder aus, um Fernhandel auszul¨osen noch Institutionen
zu schaffen. Allerdings k¨onnen rational und in ihrem Eigeninteresse han-
delnde Individuen nicht immer eine solche freiheitliche Gesellschaftsordnung
aufrecht erhalten. Sie unterliegen dem Trade-off zwischen Verfolgung ihrer
eigenen Interessen und denen der Gruppe, innerhalb derer sie zur Rechts-
durchsetzung beitragen m¨ussen. Solange das Verfolgen eigener Ziele weniger
ertragreich ist, also die Opportunit¨atskosten aus Defekt hoch sind, wird das
Individuum kooperieren.
Bis zu welchem Grad ist das Gewohnheitsrecht der Fernh¨andler im Mit-
4

telalter nun von diesem Problem des koordinierten Handelns innerhalb großer
Gruppen betroffen und ab welchem Grad kann nur eine zentrale Autorit¨at
einen h¨oheren Wohlstand garantieren? Die Funktionsweise eines sogenannten
Gesellschaftsvertrags zur wechselseitigen F¨orderung des individuellen Wohls
kann eben auch nur unter bestimmten Umst¨anden aufrecht erhalten werden.
Danach wird in der Regel ein Autokrat die M¨oglichkeit erkennen, mit der Be-
reitstellung von Sicherheit Einnahmen zu erzielen und die dezentrale Form
abl¨osen. Dieser allm¨achtige Herrscher maximiert seine Rendite als Differenz
zwischen Steuern und den Kosten des Verwaltungsapparates. Er versucht
maximale Sicherheit herzustellen, um die dadurch ausgel¨oste Erh¨ohung des
Grenzertrags aus Produktion und die damit einhergehende Verringerung des
Raubes zu nutzen, denn mehr Produzenten erh¨ohen nat¨urlich die Besteuer-
ungsbasis. F¨ur die Untertanen kann diese Form der Sicherheitsbereitstellung
unter Beachtung des Trade-offs zwischen dem Nutzenbenefit aus staatlichen
steigenden Skalenertr¨agen in der Bereitstellung des Gutes Sicherheit, und
den zur Finanzierung notwendigen Steuern, besser sein als Selbstschutz und
seine Opportunit¨atskosten der entgangenen Produktion. Unter bestimmten
Umst¨anden wird ein K¨onig aber soviel Gewinne extrahieren, dass sich die
Produktionsanreize wieder verringern und sich die Kaufleute wegen hoher
Kosten einer dezentralen Rechtsdurchsetzung schlechter stellen. Die Tat-
sache, dass es sich um ein Gewohnheitsrecht handelt, welches von der großen
Akzeptanz der H¨andler profitiert, nimmt bez¨uglich des free-rider Problems
eine besondere Rolle ein, weshalb auch an den dargestellten Modellen in die-
sem ganz speziellen Beispiel Kritik ge¨ubt werden kann. Das f¨unfte Kapitel
erkl¨art den Prozess der Rechtszentralisierung anhand der vorgestellten Mo-
delle und bildet damit den Kern der Arbeit.
5

Kapitel 2
Das mittelalterliche
Kaufmannsrecht
2.1
Die
"
Kommerzielle Revolution"
Die islamischen Invasionen im 7. Jhd. unterbrachen den fr¨uhmittelalterlichen
Handel, der in Europa noch aus der Antike fortexistierte. Mit Aufkommen
des Feudalismus im 9. Jhd. verschwanden die St¨adte und Europa wurde
in eine rein agrarische Verfassung zur¨uckgeworfen. Zur Zeit der Karoling-
er (ca. 8.-10. Jhd.) war die Bewirtschaftung des Bodens zur Sicherung der
Ern¨ahrung vordergr¨undig, weshalb es weder einen Kaufmannsstand, noch
eine Handelsmentalit¨at gab. Der Gedanke, durch Handel zu Wohlstand zu
kommen, war im traditionellen Leben, in der die gesamte Familie, von Vater
bis zum Sohn, an den Boden gebunden war, kaum verbreitet. Zudem galt
Profitstreben und Wohlstandsmehrung im von der Kirche stark gepr¨agten
Denken der Bev¨olkerung als glaubenswidrig.[Bri86, S.84] Die Gefahren f¨ur
wandernde Kaufleute waren schlechte Wege, primitive Verkehrsmittel und
h¨aufige Pl¨underungen. Zu diesem Gesch¨aft taugten nur
"
abenteuerlustige,
rauhe Gesellen, die schnell zugreifen, und ein Schiff f¨uhren konnten, in den
Waffen bewandert waren und die Handelswege, Sitten und Gebr¨auche frem-
der V¨olker und deren Sprache gut kennen".[Pla40, S.16f] Der Handel wur-
de außerdem erschwert durch die großen Distanzen, die den Kaufmann aus
seinen sozialen Bindungen herausrissen. Sogar die durch Karl den großen ver-
wirklichte Vereinheitlichung der Gewichte, Maße und M¨unzen verfiel.[Pir61,
S.184] Lediglich die zum byzantinischen Reich geh¨orenden Gebiete Venedig
und Unteritalien unterhielten weiterhin Handelsbeziehungen zu Konstantino-
pel und konnten sich im 8. Jhd. sogar einen Großteil der Lebensmittelversorg-
ung der Großstadt sichern.[Pir71, S.63]. Der Handel wurde den Venetianern
6

seit je her durch die geographischen Umst¨ande aufgezwungen, sodass alsbald
durch das Gesch¨aft mit Salz und Fischerei ein Kaufmannsstand in dieser
Region entstand. Die Kreuzz¨uge im 11.-13. Jhd. er¨offneten Pisa, Genua und
Venedig sp¨ater viele M¨arkte, denn das ¨uberseeische moslemische Herrschafts-
gebiet war reich, und Glaubenseifer und Gewinnsucht verschmolzen zu ein-
em Unternehmergeist.[Pir62, S.185]. Die sich hier er¨offnenden Absatzm¨arkte
sorgten f¨ur den wirtschaftlichen Aufschwung der italienischen St¨adte. Im
12. Jhd. erhielten die Pisaner und Genuesen Privilegien f¨ur den Handel mit
Konstantinopel, und die Seefahrt im Mittelmeerraum breitete sich aus. Die
Anziehungskraft der Gewinnchancen im Handel mit Konstantinopel f¨orderte
auch den maritimen Aufschwung der Nord- und Ostseek¨usten, wie auch am
finnischen Meerbusen.[Pir62, S.188] Ein zweites Handelszentrum Europas
entwickelte sich seit dem 10. Jhd. im Raum zwischen Rhein und Seine, also im
karolingischen Kernland, welches durch seine Lage sowohl an K¨usten als auch
an schiffbaren Fl¨ussen wichtige Handelspl¨atze ausbildete.[Pla40, S.9] Zeug-
nisse davon finden sich in den Consulat de la mer.[Bou08] Von Venedig aus
breitete sich das Kaufmannsgebaren ¨uber den Brenner nach S¨uddeutschland
aus. Der Handel S¨udeuropas bl¨uhte durch den Kontakt zu den Muselma-
nen auf, und nach und nach ¨ubernahmen die europ¨aischen H¨andler deren
Handelsformen und -institutionen. In den St¨adten bildeten sich die ersten
Kaufmannsschichten aus dem niederen Adel, der durch die Landknappheit
in die St¨adte gedr¨angt wurde und nun gezwungen war, sich den Lebensunter-
halt durch Handel zu verdienen. Obwohl Zeitpunkt und Ort der Entstehung
des Kaufmannsberufs strittig ist und die Quellenlage kaum Auskunft gibt,
kann mit einiger Sicherheit behauptet werden, dass die kaufm¨annischen Be-
rufe schon in Venedig auftauchten, lange bevor man eine Ausbreitung auf
ganz Europa ¨uberhaupt in Betracht zog. Schon im 6. Jhd beschreibt der
r¨omische Staatsmann Cassiodor die Venetianer als
"
ein Volk von Seefahrern
und H¨andlern".[Pir71, S.81] Bereits am Ende des 10. Jhd. wurde er nicht
mehr nur lokal betrieben, sondern bereits ¨uber lange Strecken quer durch
Europa gef¨uhrt. [Pir71, S.89] Zwar wurden die H¨andler von den Herrschern
protegiert, aber die Neuheit dieses Berufsstandes erforderte ein Recht, welch-
es sich an die Notwendigkeiten anpasste.[Pir71, S.95f] Der Zeitpunkt des Be-
ginns dieser Entwicklung und ihre Folgen werden in der Literatur h¨aufig als
"
kommerzielle Revolution" bezeichnet. Mit der
"
kommerziellen Revolution"
entwickelte sich auch die Kreditgew¨ahrung, die Zahlung und Lieferung von
der Ware zeitlich trennte und den Handel f¨orderte. Der h¨aufige Gebrauch
ließ Gewohnheiten zu Normen und Normen zu Gesetzen werden, bis sich
ein Gewohnheitsrecht der Kaufleute mit eigenen Gesetzen herausbildete, die
sogenannte Lex Mercatoria.
7

2.2
Entstehung und Besonderheiten des ius
mercatorum
Generell bezeichnet der Begriff
"
Lex Mercatoria" einen Rechtsk¨orper aus
systematisch zusammenh¨angenden Regeln, die ¨ubernational die Belange der
Kaufleute regeln und sich aus der Gewohnheit der Kaufmannst¨atigkeit ent-
wickelten und nicht von einem nationalen Herrscher erlassen wurden.[Cor05,
S.57] Inwieweit es sich bei der mittelalterlichen Lex Mercatoria um einen
solchen zusammenh¨angenden Rechtsk¨orper handelte, der in der engen Defini-
tion von Rechtshistorikern gefordert wird, ist kontrovers diskutiert. Tatsache
ist aber, dass die Kaufleute auf den M¨arkten und Messen einer eigenen Ge-
richtsbarkeit unterlagen und eigene Regeln befolgten. Ein genauer Nachweis
¨
uber Intensit¨at und Systematik ist insofern schwierig, weil das Gewohnheits-
recht des Mittelalters als Bestandteil einer weithin schriftlosen Rechtskultur
verstanden werden muss.[Sch92, S.14] Die fr¨uhesten schriftlichen Erw¨ahnung-
en des Ausdrucks Lex Mercatoria im
"
Law Book of Fleta" gehen zur¨uck ins
Jahr 1290. Darin wird der beh¨ordliche Erlaß von Schulden und die Verh¨altnis-
se zwischen Kl¨ager und Angeklagtem geregelt. [Cor05, S.57f] Kein materielles
Recht, sondern die Behandlung der Kaufleute vor Gericht, regelt die Abhand-
lung mit dem Titel
"
Lex Mercatoria" im
"
Red Book of Bristol"[Englische
¨
Ubersetzung aus dem Lateinischen von Paul Teetor; Englands earliest treati-
se on the law merchant; The Amercian Journal of Legal History, Vol.6, No.2,
Apr.1962, pp. 178-210] von 1280.[Cor05, S.59] Eine weitere schriftliche Quelle
aus neuerer Zeit ist Gerard Malynes Buch
"
Lex Mercatoria" von 1622, wobei
aber kritisch anzumerken ist, dass es von vielen Historiker mehr als ein Argu-
ment in einem Rechtsstreit zwischen K¨onig und Parlament um den Erlaß neu-
er Z¨olle, denn als Beweis eines historischen Faktes sehen.[Cor05, S.60] Eben-
falls strittig ist die Bedeutung des Begriffs
"
lex", der von der Antike bis ins
Mittelalter inhaltlichen Wandlungen unterlegen war. [Kro82, S.286ff] Deshalb
wird vielfach der eindeutige Begriff ius mercatorum f¨ur das Gewohnheitsrecht
der Kaufleute im Mittelalter verwendet. Das mittelalterliche Kaufmannsrecht
bezeichnet danach universelle Kaufmannsrechtsgewohnheiten im internatio-
nalen Handels- und Wirtschaftsverkehr, die sich außerhalb des r¨omischen
Reiches autonom und in eigenst¨andigen handels- und gesellschaftsrechtlich-
en Formen entwickelt haben und bis zu einer allm¨ahlichen Integration in
die einzelnen nationalstaatlichen Rechtsordnungen selbst¨andig fortbestand-
en hatten.[Ste95, S.4] Das ius mercatorum schafft kaufm¨annisches Recht und
deren Institutionen außerhalb der politischen Sph¨are und unterst¨utzt damit
die Verbreitung des internationalen Handels, der durch den Feudalismus in
der ¨
Ubertragung von Eigentum und Kapitalfreiheit behindert wurde. Die
8

Voraussetzung, die f¨ur die Anerkennung kaufm¨annischen Gewohnheitsrechts
notwendig war, erwuchs aus dem gegenseitigen Vorteil beim Austausch, denn
nur einem fairen, objektiven und unparteiischen Gesetz w¨urden alle H¨andler
freiwillig zustimmen.[Ben90, S.32ff] Die Besonderheiten waren auch, dass sich
die Gerichte aus Kaufleuten zusammensetzten, und daher sowohl Gewin-
ner und Verlierer darauf vertrauen konnten, dass nur eine faire Transaktion
vor dem Gericht gutgeheißen w¨urde und so ein Vertrauen auf gegenseitigem
Nutzen durch eine faires Urteil resultierte. Weitere Gr¨unde f¨ur eigenst¨andige
Gerichte waren, dass k¨onigliche H¨ofe sich nicht f¨ur Dispute aus Vertrags-
abschl¨ussen im Ausland zust¨andig f¨uhlten und auch Zinszahlungen nicht
akzeptierten.[Ben90, S.233] Fernhandel hingegen war durch die Lex Mer-
catoria
"
immun" gegen lokales Recht. Dadurch entstand ein dualistisches
System f¨ur beide Handelsformen, wobei das entscheidende Element der Lex
Mercatoria die selbstregulierende Natur durch die Kaufmannsgemeinschaft,
sowohl in der Rechtsschaffung als auch in deren Durchsetzung war.[Cut03,
S.109f] Das ius mercatorum basiert zum einen auf r¨omischen Staatenrecht
(ius gentium), auf antikem Seerecht und in einem wesentlichen Teil auf dem
Recht der mittelalterlichen europ¨aischen M¨arkte. Der genaue Ursprung ist
ungewiß, aber nach vorherrschender Meinung gab es ¨ahnliche Rechtssyste-
me bereits im Nahen Osten, 2000 Jahre vor Entstehen des Christentums.
[Ker67, S.353] dass kaufm¨annische Gewohnheitsrechtsbildung als eine den
Lebensbedingungen entsprechende Erscheinung betrachtet werden kann, wird
dadurch belegt, dass Kaufleute, gleich welcher Nationalit¨at Br¨auche entwi-
ckeln, die alle denselben Charakter haben. So belegen Quellen aus ¨agyptischen
Genizas (Aufbewahrungsraum in Synagogen f¨ur hebr¨aische Schriftst¨ucke von
denen man nicht sicher war, ob sie Gottesnamen enthielten) Rechtsbr¨auche
im islamischen Raum, die den sp¨ateren Europas erstaunlich ¨ahneln. Die
hanafitische Rechtsschule im 8. Jhd. kann als islamisches Gegenst¨uck des
europ¨aischen Kaufmannsrechts gesehen werden, da kaufm¨annische Praxis das
hanafitische Recht weitgehend bestimmte.[RB89, S.12f] Fernh¨andler schlos-
sen sich ab dem 10. Jhd. zu societas, einer G¨utergemeinschaft mit gemein-
schaftlicher Haftung, zusammen. Die Rechtsinstitute der Fernh¨andler, Han-
delskompanie und Commenda, waren, wie auch in Europa, Ergebnis von
Handelsbr¨auchen und zeigen, dass die M¨oglichkeit das Risiko zu mildern
f¨ur den Fernhandel sehr wichtig war. Speziell im Fernhandel gab es, auch
schon in der Antike, eine offizielle Repr¨asentanz der arabischen Kaufleute
im Ausland; ein Wakil, "Bevollm¨achtigter der Kaufleute"genannt, ¨ubernahm
treuh¨anderische und notarielle Aufgaben oder fungierte als ¨
Uberwachungsor-
gan f¨ur Transaktionen. [RB89, S.21] Es ist nicht abwegig, diese Einrichtung
mit der des sp¨ateren Konsuls in den italienischen Kaufmannskolonien zu ver-
gleichen. Der Kaufmann konnte sich auf faire Standards verlassen, die sich
9

aus der Praxis entwickelten und, unabh¨angig von der Lokalit¨at der Transak-
tion oder des Gerichts, einheitlich waren.[Tra83, S.11] Auch in Skandinavien
schlossen sich Fernkaufleute zu Handelsgesellschaften (f´elag) zusammen. Mit
einer G¨utergemeinschaft auf langen Reisen wurde Kapital abgesichert und
beim Todesfall eines Mitreisenden dem Zugriff des jeweiligen Herrschers des
durchquerten Gebietes entzogen.[Hof89, S.200] Auch im antiken Seehandel
der Ph¨onizier und Griechen gab es einen Rechtsk¨orper, der auf Kaufmanns-
gewohnheiten basierte, das Seerecht lex rhodia.[Tra83, S.8] Dieses wurde
von den Kaufleuten am Mittelmeer imitiert und im 11. Jhd., als sich der
¨
uberregionale Handel ausbreitete, in der italienischen Republik Amalfi nie-
dergeschrieben und von anderen italienischen St¨adten ¨ubernommen.[Cut03,
S.114] Nach und nach entstanden so Rechtsgewohnheiten wie die franz¨osischen
R^oles d'Olerons, die die Atlantikk¨uste, die Nordsee und das englische Admira-
lity Law beeinflussten. In den baltischen Staaten galten die Gesetze von Wis-
by. Das Consulato del Mar aus Barcelona um 1340 basierte auf den Br¨auchen
der italienischen St¨adte und wird international anerkanntes kaufm¨annisches
Gewohnheitsrecht.[Mit04] Dieses Seerecht entwickelte sich ausschließlich aus
kaufm¨annischen Br¨auchen, da sich bestimmte Verfahren, bei Partnerschaften,
Versicherungen oder Lieferbestimmungen bew¨ahrten und deren Anwendung
sich im Laufe des 12.-13. Jhds. zu Universalrecht ausbildeten. Die H¨andler
brauchten sich nun nicht mehr um die f¨ur sie m¨oglicherweise ung¨unstigen
lokalen Br¨auche zu k¨ummern. Das ius mercatorum erm¨oglichte eine Eigen-
tums¨ubertragung ohne Formalit¨aten und Vermittler. Denn die Gerichtsh¨ofe
dienten als Institutionen, vor denen man Rechtsgesch¨afte wie Versicherungen
oder Handelskompanien wirksam abschließen und best¨atigen konnte. Do-
kumente hatten G¨ultigkeit auch ohne notarielle Best¨atigung und auch die
Schuld¨ubertragung wurde erleichtert. [Tra24, S.14] Eine weitere Eigenschaft
des ius mercatorum war die Rechtsdurchsetzung durch kaufm¨annische Rich-
ter mit entsprechender Erfahrung. Internationale kaufm¨annische Angelegen-
heiten konnten von lokalen Obrigkeiten nicht beeinflußt werden, weil sie auf-
grund der feudalen politischen Struktur des Mittelalters zum einen nicht ein-
deutig einem Rechtsbereich zugeordnet werden konnten, zum anderen, weil
sich keine Autorit¨at daf¨ur zust¨andig f¨uhlen wollte.[Cut03, S.140] Herrscher,
die versuchten das Kaufmannsrecht zu
"
erstarren", liefen Gefahr, sowohl die
lokalen als auch die ausl¨andischen H¨andler zu verlieren. Eine gr¨oßtm¨ogliche
Flexibilit¨at der Gesetze und die Gew¨ahrung des Freiraums des eigenen Ur-
teils konnte das wirtschaftliche Umfeld also nur verbessern.[Tra83, S.8f] Die
K¨onige und Herrscher hatten berechtigtes Interesse am zahlreichen Besuch
der Kaufleute, denn durch die Errichtung eines Marktes oder einer Messe
erzielten sie Zoll- und Steuereinnahmen, weshalb sie einer autonomen Juris-
diktion offen gegen¨uber standen.[Tra24, S.6] Zudem konnte der Markt die
10

W¨unsche der Hofangestellten und der Herrscherfamilien nach Luxusware be-
friedigen. Die Regierungen nutzten den Verkauf von Monopolen und Rechten
an die Gilden als Einnahmequelle.[Koh03, S.15f] All das f¨uhrte dazu, dass
die F¨ursten den Rechtsdualismus akzeptierten und den H¨andlern Konzes-
sionen gew¨ahrten.[For05, S.145] Durch ein k¨onigliches Privileg wurden die
Kaufleute von der lokalen Rechtsprechung, wie eine Aufzeichnung des
"
Law
Books of Fleta"beweist, befreit: Es erm¨oglichte einem H¨andler per royalem
Dekret, einen vor Gericht g¨ultigen Beweis entsprechend dem Kaufmannsrecht
zu erbringen.[d S.57f]
2.3
Wachstum und Bedeutung kaufm¨
annisch-
er Institutionen
2.3.1
Die Messegerichte
Die Kaufleute konnten Rechtsstreitigkeiten mittels mehrerer Institutionen
austragen, zum Beispiel durch den k¨oniglichen Gerichtshof, den geistlichen
Gerichtshof, durch normale oder eben durch das Kaufmannsgericht. [Ben51,
S.92] Viele Anspr¨uche konnten nur dort durchgesetzt werden, weil die ander-
en Gerichte kaufm¨annische Angelegenheiten nicht beurteilen konnten und,
wie insbesondere das kanonische Recht zeigt, eine vollkommen andere Ziel-
setzung, wie bspw. moralische und klerikale, durch die Urteilssprechung ver-
folgten. [Cut03, S.133]. Außerdem wurden nur dort die speziellen Rechts-
institutionen der Kaufleute und die Zinserhebung anerkannt.[Ben61, S.650]
Die Kaufmannsgerichte, die sogenannten pie powder courts, befanden sich
auf den Messen. Die Bedeutung des Terms pie powder court ist uneinheit-
lich, und bezieht sich entweder auf die staubigen F¨uße der in allen Landen
umherziehender Kaufleute oder aber auch auf die Geschwindigkeit der Recht-
sprechung, die vollzogen sein sollte, ehe der Staub von den F¨ußen auf den
Boden f¨allt. Welches nun genau die Substanz des materiellen Rechts der dort
durchgesetzten Lex Mercatoria war, ist aufgrund der, insbesondere ¨uber die
Messegerichte, sehr sp¨arlichen Quellenlage kaum zu ermitteln. Eine wichtige
Sammlung von Marktrechten aus dem 13. Jhd., bezogen auf M¨arkte in der
Champagne, tr¨agt den Titel "Ce sont le privileges et coustumes des foires
lesquelles le Sire du lieu promest `a tenir", und zeigt, dass auf den Messen
die Praktiken der Kaufleute eine wichtige Rolle spielten.[For05, S.144] Sicher
ist, dass einiges davon materielles Recht, anderes Regeln zum Ablauf des
Gerichtsverfahrens und der Beweisf¨uhrung waren.[Bew23, S.14]
Die Marktgerichte waren die Institutionen, die das ius mercatorum durch-
setzten und damit eine Rechtssicherheit aufbauten. Nur durch den Frieden
11

und die Sicherheit der M¨arkte wurde die Kommunikation zwischen fremden
Kaufleuten aller Nationen und Kulturen auf den M¨arkten und Messen unter-
einander erm¨oglicht, damit sich Transaktionen, Kredit und der Gedanke des
guten Glaubens und der Loyalit¨at unter den Kaufleuten entwickelten.[Bew23,
S.137f] Die Kaufmannsgerichte zeichneten sich durch ihre schnelle Recht-
sprechung, aus. Das war wichtig, denn die Messen waren ¨ortlich und zeitlich
begrenzt und der Anreiz sich durch Verlassen der Messe der Strafe zu entzie-
hen, musste verringert werden. Beispielsweise besagte der Verfahrensverlauf
aus den
"
Privileges et coustumes" der franz¨osischen M¨arkte, dass gericht-
liche Sitzungen drei mal am Tag abgehalten werden sollten.[For05, S.147]
Die Stadtstatuten von Brescia (1313), die Leges Genueses (1403-07) und die
statute calimalae von Florenz (1302) instruierten die Richter schnelle Pro-
zesse zu f¨uhren.[Tra83, S.13]. Aber der Einfluß der H¨andlergerichte reichte
noch weit ¨uber das Messegebiet hinaus. So besagt ein Text ¨uber das Gewohn-
heitsrecht der Champagnemessen, dass sich der Schuldner mit K¨orper und
Gut dem Gl¨aubiger verpflichtet. Diese Verpflichtung erstreckte sich im Rah-
men der angewandten Kollektivschuld auch auf das Verm¨ogen anderer Stadt-
oder Staatsb¨urger des Gl¨aubigers. Um eine Rechtsdurchsetzung bei einem
fl¨uchtigen oder bankrotten H¨andler zu erm¨oglichen, wurden die gerichtlichen
Instanzen im Land des Fl¨uchtigen benachrichtigt und notfalls die Anwen-
dung des Rechts von den Beh¨orden unter Repressalien eingefordert.[For05,
S.148] Die wirtschaftliche Macht der Messen erm¨oglichte dem Gl¨aubiger die
Beh¨orden im Land des Schuldners zur Begleichung der ausstehenden Schuld
zu verpflichten. Blieb dieses Mittel ohne Resultat, stellten die Vertreter des
Kl¨agers einen Erlaß aus, mit dem alle B¨urger im Einflußbereich der aus-
stellenden Beh¨orde f¨ur die Schuld ihres Mitb¨urgers eintreten mussten. Sollte
sich dies nicht als wirksam erweisen, musste ein anderes Mittel den Druck der
Rechtsdurchsetzung erh¨ohen; der Ausschluß aller Mitb¨urger des Schuldners
von den Messen der Champagne.[For05, S.149] Damit die Rechtsprechung
der Messegerichte allgegenw¨artig und bedingungslos ¨uber alle Nationalit¨aten
vollzogen werden konnte, wurden in den St¨adten Rechtsgrundlagen f¨ur die
Strafverfolgung erlassen.
2.3.2
Das Konzept der Gilde
Zu Beginn der kommerziellen Revolution Anfang des 10. bis 11. Jhd. schlossen
sich immer mehr Kaufleute zu Organisationen, Gilden, Hansen oder zeitlich
begrenzten Handelsgesellschaften zusammen. Die Hanse stellt die Gemein-
schaft der fernhandeltreibenden Kaufleute dar, wobei die Gilde die Kauf-
mannsgenossenschaft f¨ur eine Region selbst war.[Pla40, S.20] Alle diese Ver-
einigungen dienten dem gegenseitigen Schutz und Beistand in Notzeiten und
12

bildeten sich zumeist dort, wo der Schutz des K¨onigs oder jeweiligen Herr-
schers kaum oder gar nicht vorhanden war.[Oex89, S.184] Aus der internen
Verwaltungsstruktur der Gilden entwickelte sich die Stadtverwaltung.[Koh03,
S.4] Die Ausnahme bildete Italien: Dort wurde Top-Bottom von den St¨adten
Kontrolle auf die H¨andler ausge¨ubt. Es entstanden keine unabh¨angigen Gil-
den, denn die Stadt verstand sich selbst als Kaufmannsvereinigung. Diese
Sonderentwicklung l¨aßt sich mit der langen Handelstradition der italienischen
K¨ustenst¨adte und deren großen Bedeutung im Mittelmeerhandel erkl¨aren. So
konnte ein H¨andler in Prato nur voller Stadtb¨urger werden, wenn er einer
Gilde beitrat und sich damit ihren Rechtsgrunds¨atzen verpflichtete.[Koh03,
S.5] In den anderen St¨adten beinhalteten die Statuten der Gilden ebenso
Kaufmannsrecht, welches f¨ur alle H¨andler in der Stadt, ¨ahnlich nationalem
Recht, bindend war.[Bew23, S.18] Um 1154 entstand in den norditalienischen
St¨adten der consul mercatorum als Spezialist f¨ur Kaufmannsrecht.[Tra24,
S.16] Diese Gildenvorsteher sprachen Recht und die Stadtbeamten unter-
lagen der strengen Verpflichtung, den consules mercatorum mit all ihren
Kr¨aften bei der Durchsetzung ihrer Rechtsprechung zu helfen.[Mit04, S.28-
32] Ab dem sp¨aten 12. Jhd. kam in Italien das domus mercatorum, Haus
der H¨andler, als Schirmorganisation aller Gilden auf.[Koh03, S.5] Zahlrei-
che Zusammenschl¨usse der Kaufleute f¨orderten aktiv und passiv, wenn auch
nur innerhalb ihrer eigenen Gruppierung, die Durchsetzung der Lex Merca-
toria. ¨
Ahnlich den Messen bewirkte der Zusammenschluß der H¨andler eine
st¨arkere Durchsetzungsf¨ahigkeit der Gilde bei Verhandlungen. Damit soll-
ten willk¨urliche Enteignung, Steuererhebung oder unbillige Behandlung ein-
es Gildemitglieds seitens Dritter verhindert werden.[Koh03, S.10] Im Aus-
land bildeten sich H¨andlerkolonien, deren Konsul mit der wichtigen Auf-
gabe des Schutzes der Kaufleute durch die Verhandlung mit der jeweili-
gen Obrigkeit betraut war. Wurde ein Mitglied unfair behandelt oder wirt-
schaftlich gesch¨adigt erhielt es von der Gilde eine Entsch¨adigung und ¨uber
den Sch¨adiger, sei es ein Staat oder eine Einzelperson, konnte ein Embargo
verh¨angt werden. Die Besonderheit Italiens zeigt aber auch die Bedeutung der
Messen und ihre wirtschaftlichen Macht, das Kaufmannsrecht durchzusetzen
und ihm damit erst eine Legitimation zu erm¨oglichen. In Italien spielten die
St¨adte schon fr¨uh eine große Rolle, weil sie seit je her von Kaufleuten gef¨uhrt
wurden. Ihre Organisation als große Gilde und eben ihr Einfluß auf den me-
diterranen Handel garantierte Rechtssicherheit nach innen und außen. Die
zentralen Punkte der Macht existierten bereits und mussten sich nicht erst
wie die Messen bilden.
13

2.4
Integration und Fixierung der Lex Mer-
catoria
Mit Verschwinden der Gilden im 12. Jhd ¨ubernahmen die St¨adte die ge-
nossenschaftliche Absicherung der Fernh¨andler.[Dil85, S.104] Das wichtigste
Mittel, der Eid, wird nun auch in Zentraleuropa von der Stadt f¨ur den
B¨urgerverband ¨ubernommen. Planitz beschreibt den prozess folgendermaßen:
In der zweiten Epoche der st¨adtischen Verfassungsgeschichte ... kam es zur
Entwicklung einer Stadtgemeinde. Dazu bedurfte es des Zusammenschlus-
ses aller freien, h¨origen und unfreien Elemente der Stadt zu einem einheit-
lichen Verbande. Nur ein Schwurverband aller B¨urger untereinander konnte
die n¨otige Stoßkraft besitzen, um die Machtstellung des Stadtherrn (h¨aufig
Bisch¨ofe, Abteien, Grafen) aus den Angeln zu heben. Neben den Gerichts-
und Verwaltungsbeh¨orden des Stadtherrn stellte der Verband seine eige-
nen Beh¨orden. Sein Ziel war es, die Machttr¨ager des Stadtherrn zu ver-
dr¨angen und auszuschalten und so allm¨ahlich die Autonomie des Verban-
des zu verwirklichen. Der Antrieb zu dieser Entwicklung kam von der Gilde
der Kaufleute, die ihre F¨uhrerschaft ¨uber die Zeit des Umbruchs hinaus in
der Stadtgemeinde fortsetzte.[Pla40, S.101f] Das immer intensiver werdende
st¨adtische Wirtschaftsleben forderte eine st¨arkere Regulierung der Stadt, und
die Privilegien, die der Stadtherr den Gilden gew¨ahrte, ordneten nur einige
Fragen, sodass der gewohnheitsrechtlichen Bildung breiter Raum gew¨ahrt
wurde.[Pla40, S.102] Das so entstehende Stadtrecht war das Recht, die Lex
Mercatoria. Das Beispiel Saint-Omer zeigt den Einfluß der Gilden; diese un-
terhielten Straßen, die Stadtmauer und eine Hilfe f¨ur die Armen.[Koh03, S.4]
Im 11. Jhd. berichtet Alpert von Metz von den Tieler Kaufleuten, dass der
Kaiser ihnen ein eigenes Gericht verliehen habe, indem nach ihrer Willk¨ur, al-
so nach Kaufmannsrecht gerichtet werden konnte. Eine K¨olner Urkunde von
1103 hebt die
"
juste consuetudines et leges negotiatorum" in Colonia hervor,
was sich 1120 auch in der Freiburg Handfeste wieder findet.[Pla40, S.105]
Viele der von Kaufleuten h¨aufig frequentierten St¨adte tragen in den Stadt-
statuten eindeutig Kaufmannshandschrift. Das eigentliche Gewohnheitsrecht
der Kaufleute, welches dem Wortlaut nach auch kein geschriebenes Recht
ist, verschwindet mit der Integration in das ius civile und die Stadtgerichte
¨
ubernehmen die Rolle der Messegerichte. England war das erste europ¨aische
Land, welches unter Edward I. im 13. Jhd.. das ius mercatorum durch die
Carta Mercatoria in den Common law court aufnahm.[Ker67, S.356] Darin
wurde verf¨ugt, dass alle Streitigkeiten unter Kaufleuten nach den Br¨auchen
der St¨adte und M¨arkte, in denen der Vertrag geschlossen wurde, beigelegt
werden sollte, sodass die K¨onigsgerichte im 14. Jhd. schließlich die einzigen
14

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836606189
DOI
10.3239/9783836606189
Dateigröße
605 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz – Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Studiengang Volkswirtschaftslehre
Erscheinungsdatum
2007 (Oktober)
Note
1,3
Schlagworte
rechtsnorm durchsetzung volkswirtschaftslehre kaufmannsrecht institutionenökonomik rechtsentstehung
Zurück

Titel: Zentralisierungsgrad der Rechtsdurchsetzung am Beispiel der lex mercatoria
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
70 Seiten
Cookie-Einstellungen