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TV-Serien als Megamovies

Die US-Serie Lost als Beispiel einer neuen Seriengeneration

©2006 Diplomarbeit 129 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Zusammenfassung:
Der amerikanische Markt der TV-Serien befindet sich in einer stetigen Entwicklung. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass immer häufiger sehr aufwendig produzierte und dramaturgisch komplexe Serien zur Prime Time der US-Amerikanischen Networks und Sender ausgestrahlt werden.
Es sind Serien wie Lost, 24, Battlestar Galactica, Alias oder Enterprise, deren Erfolg nicht nur auf dem größeren Budget allein beruhen kann.
Diese Serien sind der aktuelle Zwischenstand einer Entwicklung, die durch Serien wie Twin Peaks, X-Files oder Star Trek wesentlich vorangetrieben wurde. Sie unterscheiden sich wesentlich in Bildästhetik, Dramaturgie und Charakterensemble von konventionellen Serientypen wie der Series mit ihrer abgeschlossenen Episodenhandlung, der Serial mit ihrer miteinander verbundenen Handlungssträngen oder dem Endlosmodell der Soap Opera. Die Serien des untersuchten neuen Typs sind komplexer und vereinen konventionelle Erzählmodelle und Werkzeuge, um dem Zuschauer etwas Größeres zu anzubieten: Jede Episode ist Teil einer übergeordneten, oft schier riesigen Handlung und wirkt wie ein Kapitel eines überdimensionierten Films, eines Megamovies. Die Serie scheint mit jeder Staffel dem vermeintlichem Ende dieses Filmes näher zurücken und die Erzählung zu einem Ende zu bringen.
Diese Diplomarbeit untersucht die Serie Lost als Beispiel dieser Megamovies, stellt die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale heraus und vergleicht sie mit konventionell erzählten Serien u.a. in Dramaturgie, Bildästhetik, Genre, Figuren und Handlungssträngen. Vertreter der konventionellen Serien sind C.S.I. New York als Series, Gilmore Girls als Serial und Dallas als Beispiel der Prime Time Soap.
Die Arbeit bezieht aktuelle Produktionsentwicklungen in den USA in das Ergebnis der Arbeit mit ein. Ebenso wird auf die Ähnlichkeiten der Megamovieentwicklung zu der des postmodernen Films im Kino hingewiesen.


Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis:
1.Einleitung5
2.Serientheorie8
2.1Series, Serial und Cumulative Narrative8
2.2Die Diskursstrukturen Spannung, Neugier und Überraschung11
2.3Seriengenres13
2.4Soap Opera14
2.5Figuren und Konflikte17
2.6Serienformatierung21
2.7Konventionelle Serienästethik22
2.6.1Die Auflösung23
2.6.2Der Dialog24
2.6.3Kamera, Musik, Licht und Schnitt24
3.Konventionelle Serien26
3.1Gilmore Girls als Beispiel für eine konventionelle Serial28
3.1.1Formatierung28
3.1.2Genre28
3.1.3Synopsis zur […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Markus Reinecke
TV-Serien als Megamovies
Die US-Serie Lost als Beispiel einer neuen Seriengeneration
ISBN: 978-3-8366-0451-2
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg, Potsdam,
Deutschland, Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ______________________________________ 3
2. Serientheorie ___________________________________ 7
2.1 Series, Serial und Cumulative Narrative __________ 7
2.2 Die Diskursstrukturen Spannung, Neugier und
Überraschung ____________________________________ 10
2.3 Seriengenres ____________________________________ 12
2.4 Soap Opera ______________________________________ 13
2.5 Figuren und Konflikte ___________________________ 16
2.6 Serienformatierung ______________________________ 20
2.7 Konventionelle Serienästethik ___________________ 21
2.6.1 Die Auflösung _______________________________ 22
2.6.2 Der Dialog __________________________________ 23
2.6.3 Kamera, Musik, Licht und Schnitt ____________ 24
3. Konventionelle Serien __________________________ 27
3.1 Gilmore Girls als Beispiel für eine
konventionelle Serial ___________________________ 28
3.1.1 Formatierung ________________________________ 28
3.1.2 Genre _______________________________________ 29
3.1.3 Synopsis zur untersuchten Folge _____________ 30
3.1.4 Look ________________________________________ 30
3.1.5 Figuren und Konflikte _______________________ 32
3.1.6 Handlungsstränge und Diskursstrukturen ______ 33
3.1.7 Der Dialog __________________________________ 36
3.1.8 Auffälligkeiten _____________________________ 38
3.1.9 Zusammenfassung _____________________________ 39
3.2 C.S.I. NY als Beispiel für eine konventionelle
Series __________________________________________ 40
3.2.1 Formatierung ________________________________ 40
3.2.2 Genre _______________________________________ 41
3.2.3 Synopsis der untersuchten Folge _____________ 41
3.2.4 Look ________________________________________ 41
3.2.5 Figuren und Konflikte _______________________ 43
3.2.6 Handlungsstränge und Diskursstrukturen ______ 45
3.2.7 Der Dialog __________________________________ 47
3.2.8 Auffälligkeiten _____________________________ 49
3.2.9 Zusammenfassung _____________________________ 50
3.3 Dallas als Beispiel einer Prime Time Soaps ______ 51
3.3.1 Inhalt der Serie ____________________________ 51
3.3.2 Formatierung ________________________________ 51
3.3.3 Genre _______________________________________ 51

2
3.3.4 Synopsis der untersuchten Folge _____________ 52
3.3.5 Auflösung und Look __________________________ 52
3.3.6 Figuren und Konflikte _______________________ 53
3.3.7 Handlungsstränge und Diskursstrukturen ______ 54
3.3.8 Der Dialog __________________________________ 56
3.3.9 Zusammenfassung _____________________________ 58
4. Die Serie Lost als Vertreter einer neuen
Serienform_____________________________________ 59
4.1 Inhalt der Serie ________________________________ 59
4.2 Formatierung ____________________________________ 60
4.3 Genre ___________________________________________ 60
4.4 Look ____________________________________________ 62
4.5 Figuren und Konflikte ___________________________ 65
4.5.1 Die Protagonisten ___________________________ 66
4.5.2 Die Antagonisten ­ Die Insel als Feind ______ 72
4.5.3 Narrative Funktionen der Figuren ____________ 74
4.6 Handlungsstränge und Diskursstrukturen __________ 76
4.7 Der Dialog ______________________________________ 81
4.8 Auffälliges _____________________________________ 84
4.9 Zusammenfassung _________________________________ 86
5. Der Megamovie__________________________________ 89
5.1 Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu
konventionellen Serien __________________________ 89
5.2 Zusammenfassung der Kennzeichen einer
Megamovie-Serie _________________________________ 93
5.3 Die Entwicklung zur heutigen Megamovie-Serie ____ 94
5.4 Der Megamovie als verbreitete neue Serienform ­
aktuelle Beispiele _____________________________ 101
6. Schlussbetrachtung____________________________ 107
6.1 Zusammenfassung ________________________________ 107
6.2 Die Nähe zum Kino ______________________________ 109
6.3 Parallelen zum Postmodernen Film _______________ 110
6.4 Megamovies in Deutschland ______________________ 113
7. Anhang _______________________________________ 117
8. Literaturverzeichnis__________________________ 127

3
1. Einleitung
Geschichten in Raten zu erzählen, ist keine Erfindung
moderner Medien. Serielles Erzählen besitzt eine lange
Tradition. Scheherasades Erzählungen aus 1001 Nacht, die
Bibel oder auch die Ilias, Homers Epos vom Trojanischen
Krieg, sind frühe Serienformen, die heute noch von
Bedeutung sind.
Dass diese schon in der Antike erfolgreiche Form des
Erzählens schnell Einzug ins Fernsehen fand, überrascht
nicht. Allein in den USA werden im Schnitt pro Jahr 25
neue Serien produziert und auf den Sender gebracht
1
-
und das gilt nur für die Prime Time-Sendezeit der drei
großen Networks ABC, NBC und CBS. Dazu kommen weitere wie
FOX und CW
2
und nationale amerikanische Sender wie HBO,
Comedy Central oder SciFi-Channel, die ebenso eigene
Serien produzieren.
Um auch ein Gefühl für die Anzahl internationaler Serien
geben zu können, eignen sich immer noch die Zahlen Uwe
Bolls: 1993 gab es weltweit mindestens über 13.000
verschiedene Serien und Mehrteiler. Geht man von den
Durchschnittslängen und Episodenanzahl aus, müsste man
über 23 Jahre am Stück vor dem Fernseher verbringen, um
alle dieser Serien sehen zu können.
3
Ihre Vielfalt ist inhaltlich wie strukturell immens.
Nichts scheint dabei unmöglich: japanische
Actionzeichentrickserien, die tägliche Soap Opera der
Reichen und Schönen, wöchentliche Dramedy-Serien über
beziehungsgestörte Anwälte, Sitcoms über Paketzusteller,
brasilianische Telenovelas oder Actionserien mit aufwen-
digen Stunts.
1
Vgl. Boll,1994, S. 19
2
Seit September 2006 gibt es das CW Television Network, das aus der
Fusion der Sender UPN und WB hervorging.
3
Boll, 1994, S.20

4
In diesem riesigen Kosmos von fiktiven Serienformaten
gibt immer wieder neue Entwicklungen. In den letzten
Jahren fallen amerikanische Serien auf, die neue Merkmale
aufweisen. Sie wirken anders als konventionelle Serien,
sind komplex, aufwendig und auf dem amerikanischen Markt
auch erfolgreich. Es sind Serien wie 24, Lost oder
Battlestar Galactica.
Bis jetzt findet sich in der Fachliteratur noch kein
konkreter Ansatz, diese Andersartigkeit zu analysieren
und genau zu bezeichnen. Sie genau in Worte zu fassen,
fehlt daher schwer. Anlässlich des TV-Festivals in Monte
Carlo wird z.B. nur nebulös von einem ,,neuen ameri-
kanischen Erzählstil"
4
gesprochen. Einen ersten Versuch,
diese Neuartigkeit zu greifen, unternahm in einem Artikel
der New York Times Vincent Canby. Zum Start der zweiten
Staffel der US-amerikanischen Serie Sopranos setzte er
sich mit der Definition dieser neuen Serien auseinander:
,,No matter what they are labeled or what they become,
they are not open-ended series, or even mini-series. They
are Megamovies."
5
Die Bezeichnung Megamovie, diese Serien also als großen
Film zu verstehen, scheint auf den ersten Blick zutref-
fend zu sein: Die Erzählung erstreckt sich über einen
sehr großen Zeitraum, unterscheidet sich aber von einer
klassischen Soap Opera.
Dennoch ist diese Bezeichnung sehr vage. Diese Diplom-
arbeit wird die Unterschiede dieser Serien im Vergleich
zu konventionellen herausarbeiten und festhalten, was
eine moderne Serie zu einem Megamovie macht. Nach einer
Einführung in die notwendige Serientheorie werden
4
,,Geschichten aus dem eigenen Leben" in Kölner Stadt Anzeiger,
4.7.2006
5
"From the Humble Mini-Series Comes the Magnificent Megamovie"
in New
York Times, 31.10.1999

5
zunächst die drei konventionellen Serientypen vorge-
stellt, in die sich die Abendunterhaltung des amerikani-
schen Fernsehen gliedert: Die rein episodische Form der
Series, die endlose Serienform des Serials und die Prime
Time Soap. Alle drei Formen werden anhand einer Beispiel-
folge konkretisiert und analysiert, um einen genauen
Vergleich zu ermöglichen.
Als Vertreter des Megamovies wird Lost untersucht, da
diese Serie über sehr ausgeprägte Eigenschaften dieser
neuen amerikanischen Serienform verfügt. In der Analyse
und im Vergleich werden so am Beispiel von Lost die
Unterschiede zu konventionellen Serien herausgearbeitet
und geprüft, ob diese neue Serienform als Megamovie
bezeichnet werden kann.
Als Ziel dieser Arbeit sollen die wesentlichen und auf
andere aktuelle Serien übertragbaren Eigenschaften der
Dramaturgie, Ästhetik und Struktur einer Megamovie-Serie
genannt werden.
Im Rahmen der gesamten Untersuchung gilt es zu beachten,
dass es aufgrund der erwähnten unendlichen Fülle an TV-
Serien immer Ausnahmen zu Regeln gibt. Um zu einer all-
gemeingültigen Aussage zu kommen, kann im Rahmen dieser
Arbeit nicht auf alle Ausnahmen eingegangen werden. Denn
Ziel der Arbeit soll eine erstes Regelwerk der Megamovies
sein, und nicht eine Auflistung der Ausnahmen.
Bei den untersuchten Serien handelt es sich ausschließ-
lich um fiktionale Serien und keine Shows. Sie alle
werden in der amerikanischen Prime Time eingesetzt.
Ebenso sind alle Serien in erster Linie dem Bereich des
Drama zuzuordnen.(Stand-Up-) Comedy-Serien sind nicht
Teil der Untersuchung, ebenso Kinder- und Zeichentrick-

6
serien, da sie nicht vergleichbaren Gesetzmäßigkeiten
unterliegen.

7
2. Serientheorie
Um Lost und die Beispiele der konventionellen Serien
untersuchen und analysieren zu können, bedarf es einer
geeigneten Terminologie und passender Werkzeuge der
Serientheorie und Narrationsforschung. Es muss dabei eine
klare Eingrenzung des eingesetzten Vokabulars geben, da
viele verschiedene, sich überlappende oder in Details
sogar widersprechende Theorien in der Narrationsforschung
vorkommen.
In diesem Kapitel folgt die Darstellung und Erklärung der
verwendeten Terminologien und Modelle, die für das Ziel
der Arbeit notwendig sind.
2.1 Series, Serial und Cumulative Narrative
,,Mit der Fernsehserie meinen wir heute in erster Linie
eine fiktionale Produktion, die auf Fortsetzung
konzipiert und produziert wird, die aber zwischen ihren
einzelnen Teilen Verknüpfungsformen aufweist. Sie ist in
ihren Ausformungen vielfältig und nicht allein auf die
Form der Soap Opera oder die Telenovela beschränkt. Zur
Seriengeschichte gehören ebenso Serien mit abge-
schlossenen Folgehandlungen wie Fortsetzungsgeschichten,
deren Folgen aufeinander aufbauen."
6
Hickethiers Unterscheidung von Serienformen richtet sich
nach der Länge der Erzählstränge. Werden die Geschichten,
die in einer Episode begonnen werden, auch in derselben
Folge zu Ende erzählt, spricht man von episodischen
Serien
7
oder dem Bonanza-Modell
8
. Die einzelnen Episoden
einer solchen Serie sind nicht Teil einer übergeordneten
linearen Erzählung. Die Geschehnisse innerhalb einer
Folge haben also keinerlei Konsequenzen auf andere
Episoden. In der Regel handelt es sich dabei um Krimi-/
6
Hickethier, 1991, S.8
7
Vgl. Hickethier, 1991, S.18
8
Liebnitz, 1992, S.165, nach der US-Serie Bonanza (NBC 1959-1973)

8
oder Abenteuerserien, die in jeder Folge einen neuen Fall
erzählen. Das Lösen eine Falles beendet die Episode und
nimmt keinen Einfluss auf die folgenden. Daher können die
Episoden dieser Serien in einer beliebigen Reihenfolge
konsumiert werden, ohne dass dadurch der Erzählfluss oder
eine Dramaturgie gestört wird. Es gibt eine oder wenige
Hauptfiguren oder wie beim Bonanza-Modell ein kleines,
festes Figurenensemble. Die Figuren unterliegen keiner
persönlichen Entwicklung ­ sie sind am Ende immer noch
dieselbe Figur wie zu Beginn einer Staffel. Eine per-
sönliche Entwicklung ist auch schwer möglich, da die
Fälle der Episoden selten ein persönliches oder privates
Engagement der Figuren erfordern. Die erzählte Zeit
dieser Serien ist für den Zuschauer nicht messbar. Er
kann nicht erkennen, ob zwischen einzelnen Folgen Tage
oder Monate liegen.
Um sich auf einen Terminus zu einigen, wird im Folgenden
der aktuelle englische Begriff für die episodische Serie
benutzt: Series.
9
Klassische Beispiele sind Serien wie A-
Team (NBC, 1984-87), Flipper (NBC, 1964-67), Straßen von
San Francisco (ABC, 1972-77) oder Cobra 11 ­ Alarm für
die Autobahnpolizei (RTL, 1996-), um auch ein deutsches
Beispiel zu nennen.
Nehmen die Erzählstränge von Episoden aufeinander Bezug
und erzählen miteinander verwoben eine in die Zukunft
ausgerichtete Geschichte, wird diese Art von Serie im
Englischen mittlerweile als Serial bezeichnet
10
. Die
einzelnen Folgen bauen aufeinander auf, sind für eine
bestimmte Reihenfolge konzipiert und machen es für den
Zuschauer nicht möglich, sie in einer wahllosen Reihen-
folge zu schauen.
11
Die einzelnen Episoden sind narrativ
9
Creeber, 2004, S. 8
10
vgl. Hobson, 2003, S.31
11
vgl. auch Boll, 1994, S.45

9
nicht abgeschlossen, sondern stellen ein Zeitfenster
einer viel größeren, linear erzählten Geschichte dar.
Hickethier unterscheidet bei diesen aufeinander auf-
bauenden Serienmodellen noch das Saga-Modell von der
Endlos-Serial. Beim Saga-Modell steht die Geschichte im
Vordergrund und wird meist von der Vergangenheit in die
Gegenwart erzählt.
12
Die erzählte Zeit ist hier für den
Zuschauer messbar. Dieses Format hat ein festes Erzähl-
ziel, z.B. den Ausgang einer Familiensaga. Es handelt
sich dabei um keine Serie, sondern um einen von Anfang an
in seinen Episoden begrenzten Mehrteiler. Meist wird die
Geschichte in drei bis sechs Teilen erzählt, die nicht
für eine weitergehende Fortsetzung konzipiert sind. Das
Saga-Modell wird heute häufiger als Mini-Serie
bezeichnet.
Die Serial hat kein klares Erzählziel vor Augen, erzählt
also nicht auf einen festen Punkt oder ein Ereignis hin.
Vielmehr gibt es in jeder Folge mehrere Geschichten in
unterschiedlichen Stadien: Eine wird eingeleitet, die
nächste zum Höhepunkt gebracht, während die nächste
wieder verändert wird. Meist handelt es sich bei diesen
Endlos-Serien um Soap Operas, wie The Bold and the
Beautiful (CBS, 1987-) und Santa Barbara (NBC, 1984-93)
oder um Drama-Serien wie Gilmore Girls (CW, 2000-) oder
ER (NBC, 1994-).
Ein narratives Werkzeug, um Elemente der Serial mit der
Series zu kombinieren, ist die Cumulative Narrative
13
.
Hier werden bei episodisch erzählten Serien kleine
Handlungsbögen oder Cliffhanger eingebaut, um einzelne
Episoden miteinander zu verbinden. Sie gelten als
zusätzlicher Anreiz für den Zuschauer, die folgende
12
Liebnitz, 1992, S. 165
13
Creeber, 2004, S.11; Wiemker, 1998, S.19

10
Episode ebenfalls zu schauen. Diese Handlungsbögen sind
nicht komplex oder von großer Bedeutung für die Serie,
sodass die einzelnen Folgen immer noch in wahlloser
Reihenfolge konsumiert werden können. Die Cumulative
Narrative wird oft eingesetzt, um persönliche Handlungen
der Protagonisten zu erzählen. Bei Magnum P.I. (CBS,
1980-88) wird in jeder Folge ein abgeschlossener Fall des
Privatdetektivs erzählt. Es handelt sich eindeutig um
eine Series. Bei einigen besonderen Folgen wird aber
beispielsweise parallel zur Fallhandlung die Geschichte
um seine mysteriöse Ehefrau nicht zu Ende erzählt. Diese
Nichtabgeschlossenheit eines Nebenstranges reizt den
Zuschauer zusätzlich, die nächste Episode zu schauen. Bei
der Serie Charmed (WB, 1998-2006) werden ebenfalls häufig
persönliche Entwicklungsstränge der drei Hexenschwestern
mit dem Ausgang der Episodenhandlung verknüpft. Diese
persönlichen Nebenstränge sind aber nicht kompliziert und
ermöglichen es dem Zuschauer immer noch, die Episoden
dieser Series in einer beliebigen Reihenfolge zu sehen.
2.2 Die Diskursstrukturen Spannung, Neugier und Überra-
schung
In der Narrationsforschung werden die einzelnen Hand-
lungsstränge einer Serienepisode in Diskurs-Strukturen
unterteilt. Sie erhalten ihre Bezeichnung nach dem
Effekt, den sie beim Zuschauer auslösen: Spannungs-,
Neugier-, und Überraschungsstruktur.
14
Bei einer Span-
nungsstruktur werden dem Zuschauer so viele Infor-
mationen im Verlauf einer Erzählung gegeben, dass er
selber über den Ausgang der Geschichte spekulieren kann.
Die Konsequenzen müssen drastisch sein, etwas muss auf
dem Spiel stehen, damit tatsächlich Spannung erzeugt
14
Schneider, 1995, S. 42f.

11
werden kann.
15
Als Beispiel: Lassie findet den schwer
verletzten Timmy. Der Weg zurück, um Hilfe zu holen, ist
gefährlich und dauert lange. Mögliche Ausgänge der
Geschichte wären also: Lassie stößt etwas auf dem Rückweg
zu, Timmy wäre weiter in Gefahr; Lassie schafft zwar den
Weg, kommt aber zu spät zu Timmy; oder aber Lassie holt
rechtzeitig Hilfe und kann Timmy retten. Der Zuschauer
besitzt alle notwendigen Informationen, es ist für ihn
lediglich unklar, welchen Verlauf die Geschichte nimmt.
Er hofft natürlich auf einen positiven Ausgang der
Erzählung und bangt um das Leben von Lassie und Timmy.
Bei einem Handlungsstrang mit Neugierstruktur wird dem
Zuschauer eine wesentliche Information vorenthalten. Der
Zuschauer ist sich dessen voll bewusst, so dass die
Lösung des Rätsels für ihn bei dieser Art der Erzähl-
struktur von höchster Bedeutung ist. Das klassische
Beispiel hierfür ist der Krimi: Der Zuschauer bekommt
alle Informationen, die auch der ermittelnde Kommissar
erhält und die Schritt für Schritt auf die Entlarvung des
Kriminellen hindeuten. Das einzige, was der Zuschauer
nicht kennt, ist die Identität des Täters. Auf dessen
Enthüllung steuert die Geschichte hin. Der Zuschauer
fiebert nicht wie beim Spannungsdiskurs in der Aktion
mit. Die Handlung ist zur Entlarvung des Täters in die
Zukunft gerichtet.
Bei der Überraschungsstruktur bleibt dem Zuschauer
ebenfalls eine entscheidende Information verborgen. In
diesem Fall allerdings ist er sich dessen nicht bewusst.
Vom Eintreten des verborgenen Ereignisses bzw. von der
Preisgabe der versteckten Information wird er völlig
überrascht. Der Zuschauer kann mit dem Ende der Erzählung
nicht rechnen. Bei einer Liebesgeschichte wäre dies z.B.
15
Brandt, 1995, S. 53

12
das zufällige Aufeinandertreffen zum Schluss, dass die
verhindert Verliebten nun doch schicksalsträchtig
zusammenbringt.
In den Anfängen der TV-Serien-Narration war eine einzelne
der drei Strukturen für eine komplette Episode aus-
reichend. Ab den 70er Jahren wurden die drei Arten der
Diskursstruktur in Anlehnung an Hollywood addiert, wo
dies schon länger üblich war
16
. Je nach Genre wechseln
sich in kleineren Erzähleinheiten Neugier, Spannung und
Überraschung in beliebiger Kombination ab und erzählen
mehrere, kleine Erzählbögen in einer Episode.
Mit den 80er und 90er Jahren entstand die nächste
Entwicklungsstufe: Die Diskursstrukturen Spannung,
Neugier und Überraschung werden ineinander verschachtelt,
überlappen sich und werden parallel zueinander erzählt.
Bevor eine Spannungsstruktur aufgelöst wird, wird z.B.
eine Neugierstruktur eingeführt; und bevor diese aufge-
löst wird, wird eine Überraschungsstruktur etabliert. So
kombiniert, können dem Zuschauer verschiedene sich
gegenseitig beeinflussende Geschichten innerhalb einer
Episode erzählt werden. Durch die Parallelität ändert
sich auch die Perspektive des Zuschauers: Er behält im
Gegensatz zum Protagonisten die Übersicht über alle
Handlungsstränge
17
.
2.3 Seriengenres
Die genaue Bezeichnung des Genres einer Serie gestaltet
sich oft schwierig, da die Kombination des Handlungs-
musters, des Milieus und der Protagonisten einer Serie
eine Zuweisung nur eines eindeutigen Genres unmöglich
machen. Die heutzutage verwendeten Genrebezeichnung für
16
Schneider, 1995, S.44
17
Mikos, 1992, S.22

13
Serien sind so variantenreich wie Serien selbst: Action-
serien, Mysteryserien, Dramedy-, Gerichtsmedizin- oder
Polizeidramaserien.
Es lassen sich aber unterscheidende Kriterien für jede
Serie festlegen. Uwe Boll stellte fest, dass egal welchem
Genre eine Serie angehört, sie immer entweder Elemente
der Familienserie oder der Krimiserie beinhaltet. Demnach
sind Abenteuer-, Fantasy- oder Krankenhausserien immer
nur eine Variation von Familien- und Kriminal-
geschichten.
18
Leitet man diese Aussage weiter ab, ist
das Genre einer Serie davon abhängig, ob entweder das
Leben und das Schicksal einer Gruppe von Menschen im
Vordergrund steht oder das Lösen eines wie auch immer
gearteten Falles durch einen Helden. Es wird also
zwischen Drama-, da das Schicksal von Figuren behandelt
wird, und episodischen Fallserien, da das Rätsel zum Ende
der Folge gelöst sein muss, unterschieden. Diese Fest-
stellung ist insofern wichtig und für diese Arbeit
notwendig, da z.B. die einfache Bezeichnung ,,Sci-Fi-
Serie" sowohl eine episodische Serie als auch eine
Dramaserie im Weltraum meinen kann.
2.4 Soap Opera
Einer Serienform sei besondere Aufmerksamkeit geschenkt,
da sie sowohl in Struktur als auch visueller Gestaltung
über stark unterscheidende und eindeutige Kriterien
verfügt. Sie ist im nationalen wie internationalen
Fernsehen nicht wegzudenken: die Soap Opera. Die Wurzeln
dieser Serienform liegen in US-amerikanischen Radiosen-
dungen der 30er Jahre. Zu dieser Zeit wurden Programme
entwickelt, die gezielt Hausfrauen ansprachen, um den
Absatzmarkt für Haushaltswaren und Waschmittel von
18
Boll, 1994, S.51

14
Werbekunden wie Procter & Gamble zu vergrößern. Es sollte
ein leichtes Programm sein, das die weiblichen Zuhörer
problemlos während ihrer Hausarbeit konsumieren konnten.
Es sollte gleichzeitig so spannend konstruiert sein, dass
sich eine tägliche Zuhörerschaft entwickelt. Die Soap
Opera war geboren und wurde später aus ähnlichen werbe-
wirtschaftlichen Gründen auch im Fernsehen eingesetzt. Da
das ursprüngliche Zielpublikum die durchschnittliche
Hausfrau war, haftet der Soap Opera noch heute der Ruf
der einfältigen und belanglosen Unterhaltung an.
19
Die Soap Opera ist eine endlose Dramaserie, bei der
persönliche und intime Geschichten eines festen Ensembles
von Charakteren an festen Orten erzählt werden. Die
Geschichten selbst werden linear erzählt und behandeln
das häusliche, alltägliche Leben in all seinen Facetten.
Typisch für die Soap Opera ist außerdem, dass auftreten-
den Probleme durch den Dialog und nicht durch Taten
gelöst werden. Die Dialoge beschreiben die Handlungen,
die noch durchgeführt werden sollen. Sie erklären
ausführlich die emotionalen Zustände der Figuren.
Emotionen werden daher nie allein mimisch oder gestisch
wie im Film ausgespielt, sondern immer verbal erklärt und
begleitet. Der Dialog ist außerdem hauptsächlicher
Informationsträger. Er allein vermittelt Inhalte und
Hinweise.
20
Die Spielorte einer Soap bestehen aus einer stetigen
Rotation fester Orte, die vom Zuschauer sofort wieder-
erkannt werden. Die meisten Szenen werden im Studio bzw.
an Innenmotiven gedreht. Bei den wenigen verwendeten
Außeneinstellung handelt es sich meist um Establishment-
Shots, die beispielsweise als Totale das Haus eines
Protagonisten als neuen Spielort einführen. Außenaufnah-
19
Hobson, 2003, S.7
20
vgl. Hickethier, 1991, S46; Hobson, 2003, S.35

15
men dienen fast nur zur Illustration oder Orientierung,
selten als tatsächlicher Spielort der Handlung.
21
Die Handlungsstränge werden verschachtelt und über
mehrere Episoden zum Ende erzählt. Sie können dabei
miteinander in Beziehung stehen, werden aber meist völlig
unabhängig zueinander parallel erzählt. Hobson beschreibt
die Verschachtelung bei der Soap als eine ,,recurrent
catastasis": ein narrativer Höhepunkt wird erzählt,
während der nächste vorbereitet wird. Doch meint das Wort
,,Catastasis" auch eine dramatische Verkomplizierung, die
dem Höhepunkt einer Erzählung unmittelbar voransteht.
22
Es wird kurz vor der Auflösung eines Konflikts noch ein
weiteres Element hinzugefügt, dass das Problem noch
dramatischer Erscheinen lässt. So kann die Spannungskurve
zum Höhepunkt noch effektiver und drastischer angezogen
werden. Dadurch, dass die Soap in jeder Folge über
narrative Höhepunkte verfügt und so auf einem gleichblei-
bendem Spannungsniveau bleibt, wird das erzählerische
Werkzeug des Hooks, also der dramatische Einstieg in eine
Episode, bei der Soap selten eingesetzt. Der Zuschauer
kennt die etablierten Handlungsstränge in ihren verschie-
denen Stadien und weiß, dass in jeder Folge mit der
Eskalation und Auflösung mindestens eines Konfliktes zu
rechnen ist. Er benötigt keinen zusätzlichen Hinweis,
auch bei der nächsten Folge einzuschalten. Wichtiger zu
Beginn ist die Wiederholung der schon bestehenden
Konflikte.
23
Die typische Soap kann sowohl täglich als auch mehrmals
pro Woche ausgestrahlt werden, mindestens aber einmal pro
Woche als Weekly Soap, wie die Lindenstraße (ARD, 1985-).
Unabhängig von dieser Frequenz haben alle Soapformen
21
Nagel, 1992, S.73
22
"Catastasis" bei Encyclopædia Britannica Online
23
Hobson, 2003, S.30

16
gemein, dass sie ohne Pause über das ganze Jahr gesendet
werden und sich die erzählte Zeit der des Zuschauers
anpasst; vergeht ein Tag im richtigen Leben, vergeht auch
ungefähr ein Tag in der ,,Daily Soap", liegt eine Woche
zwischen der Ausstrahlung einer Folge, erzählt eine Folge
,,Lindenstraße" ebenfalls die Ereignisse einer gefühlten
Woche. Es gibt keine Zeitsprünge oder Erzählstränge, die
Geschehnisse aus der Vergangenheit rückblickend erzählen.
Die Geschichten sind linear und behandeln immer die
Gegenwart. Das bewusst langsame Erzähltempo und die
Wiederholung von Informationen in verschiedenen Szenen
ermöglicht es dem Zuschauer, auch einige Folgen verpassen
zu können, ohne dabei den Anschluss zu verlieren.
Andererseits erleichtert es den Einstieg in die Serie für
neue Zuschauer.
Eine Sonderform der Soap ist die Prime Time Soap wie
Dallas, Dynasty oder Falcon Crest. Diese Produktionen
erzählen zwar immer noch das alltägliche Leben eines
festen Ensembles von Charakteren, die Schauplätze und das
Milieu dieser Geschichten sind aber exklusiv und exo-
tisch. Die Erzählstruktur der Nachmittagssoaps wurde
übernommen und mit dem Ausstattungsaufwand der Prime
Time-Serien kombiniert, so dass auch szenische Außenauf-
nahmen möglich waren. Der Studiodreh mit festen Motiven
blieb aber weiterhin die Regel.
2.5 Figuren und Konflikte
Die Figuren und ihr Konfliktpotenzial richten sich
zunächst nach dem Genre der konventionellen Serie. Auch
ob es sich um eine episodisch oder seriell erzählte
Serienform handelt, ist ausschlaggebend. Bei episodischen
Formen steht immer der besondere Fall der Folge im
Vordergrund. Meistens ist der erzählte Vorfall auch der

17
Namensgeber der Episode: beim Krimi ist es der spezielle
Mordfall, bei der Adventure-Serie das besondere
Abenteuer, das der Held zu bestehen hat. Da der Vorfall
die Protagonisten involviert, handelt es sich bei
konventionellen episodischen Serien um eine handlungsori-
entierte Dramaturgie. Die Herausforderung kommt Woche für
Woche zu den Helden, nicht umgekehrt. Beim Zuschauer
entsteht eher eine Erwartungshaltung an das, was an
Handlung passiert, als an das, was der Figur passiert.
Denn bei der episodischen Serie kann einem Protagonisten
nichts passieren, was Konsequenzen mit sich bringen
könnte. Ein Beinbruch wäre wohl das gravierendste, über
das der Held am Ende der Episode herzhaft lachen kann, da
klar ist, dass er in der nächsten Folge wieder genesen
ist. Die klare episodische Struktur verbietet weit-
tragende Konsequenzen, da sie eine beliebige Reihenfolge
des Folgenkonsums verhindern würde.
Aufgrund des Mangels an Konsequenzen können auch die
persönlichen Konflikte der Figuren nicht schwerwiegend
sein, da zum Folgenende alles wieder zum Anfangszustand
zurückkehren muss. Es wäre unglaubwürdig, würde man im
Rahmen einer einzigen Episode eine lebensbedrohliche
Erkrankung und die anschließende vollständige Genesung
eines Protagonisten erzählen. Dies wäre nur möglich, wenn
diese Erkrankung gleichzeitig der Vorfall der Episode
ist. An einem solchen Fall sind allerdings stets Bedin-
gungen geknüpft, die die Genesung von Anfang an in
Aussicht stellen, z.B. müssen die Freunde des Helden ein
Gegengift oder den Grund der Erkrankung finden, um ihn zu
heilen. Eine schwerwiegende Erkrankung wie sie aber ,,das
Leben" schreiben würde, z.B. Krebs oder Aids, können
nicht erzählt werden. Sie würden den Rahmen einer
abgeschlossenen Episodenerzählung sprengen.

18
Detailliertere Figurenhandlungen, wie private und intime
Konflikte, werden zudem bei konventionellen episodischen
Serien nicht erzählt. Sie würden zu stark in Konkurrenz
zum folgenbestimmenden Fall stehen. Die Figuren einer
Series ordnen sich dem Fall unter und werden durch ihn
bestimmt. Bei persönlichen Konflikten einer Hauptfigur
handelt es sich eher um geringere Probleme, die auf-
lockernd oder unterstützend neben dem Fall erzählt
werden, z.B. eine starke Erkältung, Arbeitsstress oder
Probleme mit dem Auto.
Daraus ergibt sich bei der episodisch erzählten Series,
dass keine besondere Verbundenheit und Intimität zum
Zuschauer aufgebaut wird. Der Zuschauer kennt die Figuren
oberflächlich und weiß, wie sie in typischen Situationen
reagieren. Aber er kennt nicht ihre innersten Wünsche,
Bedürfnisse und Ängste. Solche Figuren sind wie der nette
Kerl, den man regelmäßig in der Kneipe trifft und mit dem
man Geschichten austauscht: Man will von ihm nett
unterhalten werden. Lust auf seine Probleme hat man aber
nicht.
Die Erzählstruktur der Serials indes gewährt einen
näheren Blick in das Leben der Hauptfiguren. Da zum Ende
einer Episode nicht zum Anfangszustand zurückgekehrt
werden muss, können hier längere Handlungsstränge über
eine einzelne Episode hinaus erzählt werden. Dabei werden
die Probleme und Konflikte der Figuren komplexer und
privater. Besonders häufig sind Liebes- und Partner-
schaftsprobleme, da bei ihnen nahezu alle Gefühle der
Figur gezeigt werden können (Wut, Angst, Glück, Eifer-
sucht etc.). Mit der Bewältigung dieser Konflikte wird
ihnen Raum zur Weiterentwicklung eingeräumt, was bei
episodisch erzählten Serien nicht möglich ist. Während
bei Series die Figuren sich nicht weiterentwickeln

19
können, ändern sich Einstellungen und Verhaltensweisen
der Figuren in Serials. Diese Möglichkeiten werden aber
sparsam eingesetzt, die Emotionalität wird nicht ausge-
schlachtet und das Innerste der Figuren nicht komplett
nach Außen gekehrt. Denn zum einen steht der unterhalten-
de Charakter dieser Serienform im Vordergrund, der
Zuschauer soll nicht belastet werden. Außerdem müssen die
Figuren für den Zuschauer wiedererkennbar bleiben und
dürfen sich nicht zu stark entwickeln, damit der
Zuschauer stets den Zugang zur Serie findet. Um dies zu
gewährleisten, werden Informationen über lange Konflikte
und Handlungsstränge ständig wiederholt und in die
Episodenhandlung miteingebunden. Der Zuschauer wird so
immer wieder an die für die Folge wichtigen zurückliegen-
den Elemente erinnert.
Dadurch, dass bei der Serial die privaten Handlungs-
stränge im Vordergrund stehen, ist sie nicht so sehr auf
einen Episodenfall oder ein Folgenereignis angewiesen wie
die Series. Sie kann wählen, ob sie ein solches Ereignis
in einer Folge nutzt, um das Leben der Figuren damit zu
verknüpfen oder es einfach als neutrale Spielfläche für
die grundlegenden Charaktereigenschaften einer Figur zu
nutzen. Serials können auf einen solchen Vorfall ver-
zichten, wenn sie z.B. einen wichtigen privaten Konflikt
einer Hauptfigur in einer Episode auflösen will.
Die Soap indes benötigt einen solchen episodischen
Vorfall noch weniger, da bei ihr ausschließlich private
Konflikte eines ganzes Figurenensembles erzählt werden.
Es gibt zwar besondere Sympathieträger, deren Schicksals-
schläge mehr Platz einnehmen können als die anderer
Figuren (z.B. das Attentat auf J.R.), aber insgesamt
werden private Figurenkonflikte des gesamten Ensembles
erzählt. Diese treiben sich selber an und sind mit dieser

20
Eigendynamik nicht auf einen in die Folge hineingesetzten
Vorfall angewiesen. Besonders bei der Prime Time Soap
brachte diese ,,emotionale Strategie" etwas Neues, wie
Hickethier beschreibt:
,,Waren die episodisch angelegten Serien auf ein Schema
,,Harmonie / Störung der Harmonie/ Wiederherstellung der
Harmonie" hin angelegt, zielten also letztlich immer
wieder auf eine Bestätigung der Welt als einer letztlich
guten, so zeigte gerade Dallas die Welt als eine der
Intrigen, Machtkämpfe, der Gemeinheiten und Schlechtig-
keiten, in der die zwischenzeitlich erreichten Zustände
der Befriedung und des individuellen Glücks immer nur von
kurzer Dauer sind."
24
Die Konflikte wurden immer privater und gaben bei einer
Prime Time-Serie ganz neue Einblicke in das Wesen der
Serienfiguren. Je privater die Handlungsstränge werden,
um so offener reden die Figuren der Soap über ihre
Emotionen. Es wurde der direkte Streit gesucht. Solche
zwischenmenschlichen Konfrontationen und emotionale Auf-
lösungen sind bei konventionellen Series und Serials die
Ausnahme.
2.6 Serienformatierung
Ein abschließendes formales Unterscheidungsmerkmal von
Serien ist die Länge, die Anzahl und die Frequenz der
ausgestrahlten Episoden.
Grundsätzlich gibt es in den USA TV-Serien mit einer
Bruttolaufzeit pro Episode von 30 oder 60 Minuten. Die
tatsächliche Nettolänge variiert dabei je nach Werbung
und Sender zwischen 21 bis 23 und 42 bis 46 Minuten.
Bedingt durch den jeweiligen Aufbau der sogenannten
Season, also dem geplanten Jahresprogramm eines Senders,
und der Sendeplätze, haben Serien auf dem amerikanischen
24
Hickethier, 1991, S.33

21
Markt normalerweise eine Episodenanzahl von 22 bis 26 pro
Staffel und richten sich oft nach ihrem Erfolg. Staffeln
mit einer Episodenanzahl von 13 sind aber auch durchaus
üblich, wenn eine Serie zunächst getestet werden soll.
Auch hohe Produktionskosten können die Anzahl der
Episoden beeinflussen, um das wirtschaftliche Risiko zu
minimieren. Diese Serien werden für die Prime Time, also
die Sendezeit von 20:00 bis 23:00, hergestellt.
Neben den in Staffeln produzierten und ausgestrahlten
Serien gibt es die ,,Dailys" oder ,,Weeklys", die das ganze
Jahr über gesendet werden und daher über keine Staffel-
struktur verfügen. Bei ihnen handelt es sich um Soap
Operas, die am Nachmittag oder Frühabendprogramm gesendet
werden.
2.7 Konventionelle Serienästethik
Wie bei den vorrangegangenen Serientheorien und Beschrei-
bungen gilt insbesondere für dieses Kapitel, dass es
unmöglich ist, eine allgemeingültige Aussage über alle
konventionellen Serie treffen zu können. Mit Hilfe der
Beobachtungen Bolls, die zu einem Großteil diesem Kapitel
zugrunde liegen, können aber dennoch Aussagen getroffen
werden, die nach Boll auf ,,mindestens 80% aller Serien-
produktionen Anwendung finden"
25
.
Generell verbindet man mit Serien eine Bildästhetik und
einen technischen Aufwand, die den Mitteln und Möglich-
keiten des Kinofilms weit unterlegen sind. Dieser Umstand
erklärt sich schon allein aus den engeren Budgets für
Serien. Zwar wurden die meisten US-amerikanischen Serien
bis vor Kurzem auf Filmmaterial (meist 16mm) gedreht,
dennoch erkannte man bei diesen Produktionen, ob es sich
25
Uwe Boll, 1994, S.48ff

22
um eine TV-Serie oder einen Kinofilm handelt. Dies lag
zunächst sicherlich am offensichtlichen 4:3 Bildformat.
Aber auch über das Bildformat hinaus gibt es auffällige
Eigenschaften der konventionellen TV-Serie.
2.6.1 Die Auflösung
In der Regel beginnt eine Serienszene mit der Totalen
einer Außenaufnahme, die den Ort eines neuen Bildes
etabliert. Die nächste Einstellung im Motiv ist erneut
eine weite Einstellung, die dem Zuschauer direkt ver-
ständlich macht, an welchem Ort sich welche Personen
gerade befinden. Der folgende Dialog von zwei Figuren
wird im ,,Schuss-Gegenschuss-Verfahren" aufgelöst, in der
Regel behalten die Figuren ihre Position bei und bewegen
sich kaum. Denn Positionswechsel ziehen auch Kamera-
wechsel und technische Umbauten mit sich, die das
Serienbudget belasten würden.
Im Schuss-Gegenschuss des Dialogs werden halbnahe Auf-
nahmen bevorzugt, wobei der Schnitt während des Dialogs
in eine Amerikanische oder totalere Einstellung zurückge-
hen kann, um die Bildkomposition aufzulockern. Jede Szene
endet meist mit einer Naheinstellung eines Charakters und
bildet mit dem Dialog einen kleinen Höhepunkt innerhalb
der Episode. Mit diesem Mini-Cliffhanger
26
wird ein
erhöhtes Spannungsniveau erreicht, um sicherzustellen,
dass der Zuschauer nach dem folgenden Werbebreak die
Episode weiter konsumiert. Bei der Prime Time Soap wird
außerdem der normale Cliffhanger zum Schluss einer Folge
eingesetzt. Hier kann die nahe Einstellung einer Person
sogar eingefroren werden, um eine größere Dramatik zu
erzeugen.
26
Nagel, 1992, S.75

23
Großeinstellungen werden in konventionellen Series,
Serials und Prime Time Soaps nicht eingesetzt, der ,,stark
psychologisierende, oft sogar bedrohlich wirkende Effekt
von Groß-Einstellungen (z.B. in Ingmar-Bergmann-Filmen)
wird so gemieden. Die Serienfiguren kommen nie bedrohlich
nahe."
27
Wie die im alltäglichen Gespräch gewahrte
Distanz zum Gegenüber wird die Einstellungsgröße der
Naheinstellung nie unterschritten, eine emotionale
Intimität mit den Figuren wird so vermieden.
Durch diese Ästhetik entsteht ein Look, der bei
konventionellen Serien beim Zuschauer ein Gefühl des
neutralen Beobachtens weckt. Die Auflösung ist selbst
kein dramatisierendes Mittel, da alle Figuren gleich oder
ähnlich dargestellt werden. Man würde z.B. bei einem
Bösewicht keine nahe Froschperspektive wählen, um diese
Figur noch dominanter erscheinen zu lassen. Seine Haltung
und sein Inneres wird vielmehr durch den Dialog wieder
gegeben.
2.6.2 Der Dialog
Da durch die Länge der Episode ein enger Zeitrahmen für
die Geschichte gesetzt ist, treibt der Dialog die Story
voran und ist wichtigster Informationsträger; es wird
sich keine Zeit dafür genommen, dass Bilder bzw.
besondere Kameraeinstellungen allein Informationen
liefern. Auch die Emotionen der Figuren werden dialogi-
siert und nur selten wie im Kinofilm mimisch und gestisch
ausgespielt
28
. Bei Seifenopern findet diese Rolle des
Dialogs seine stärkste Ausprägung.
27
Boll, 1994, S. 48
28
Mikos, 1992, S.22

24
2.6.3 Kamera, Musik, Licht und Schnitt
Aufwendige filmische oder sogar experimentelle Bild- und
Tongestaltung sucht man bei konventionellen TV-Serien
vergeblich. Kamerabewegungen, Musik, Lichtgestaltung und
Schnitt werden nie auffällig und extrem, sondern nur
handlungsunterstützend eingesetzt
29
. Der Look einer
konventionellen Serie drängt sich also nicht in den
Vordergrund und ist i.d.R. kein dramaturgisches Mittel.
Auffälliges Merkmal ist die Wahl des Lichtstils. Konven-
tionelle Serien nutzen das Licht nicht dramaturgisch
sondern setzen es im Normalstil ein: Dem Zuschauer wird
das Lichtmuster vermittelt, das er aus dem normalen Leben
kennt. Alles im Bild ist gleichmäßig und deutlich
ausgeleuchtet, es geht nichts im Schatten verloren.
Dadurch ist auch keine Fokussierung oder Hervorhebung
möglich ­ alle Objekte bewegen sich gleichwertig im Raum
bzw. auf dem Bildschirm. Dazu Mikos: ,,Der Zuschauer
empfindet die Szenerie als natürlich und dramaturgisch
nicht beeinflusst."
30
Lichtstile wie High-Key, bei dem
Helligkeit dramaturgisch eingesetzt wird, oder der Low-
Key, bei dem ein Großteil des Bildes unbeleuchtet ist,
Schatten dominieren und so eine bildkompositorische
Fokussierung zulassen, finden bei konventionellen Serien
keine Anwendung.
Bis vor wenigen Jahren wurden Prime Time Produktionen in
der Regel auf Filmmaterial, also 16mm, aufgenommen und
erzeugten so ein Bildformat von 4:3. Hochauflösendes 35mm
Filmmaterial wurde nicht fürs Fernsehen eingesetzt. Erst
mit dem Einzug der High Definition-Technik, kurz HD,
wurde hochauflösendes digitales Aufnehmen möglich und
29
Boll, 1994, S. 48f
30
Mikos, 2003, S.201

25
immer mehr Produktionen wenden nun ein 16:9 Bildformat
an.
Durch die vielen Schuss-Gegenschuss-Einstellungen erhöht
sich im Vergleich zum Film die Schnittfrequenz enorm. Bei
amerikanischen Serien liegt diese bei fast sechs Sekun-
den. Eine amerikanische Serienfolge mit einer Nettozeit
von 45 Minuten kommt so auf 500 Schnitte, während
90minütige Kinofilme im Durchschnitt ebenfalls mit dieser
Anzahl auskommen.
31
Die Schnittfrequenz von Serien ist
also doppelt so hoch wie die im Film.
Mit der Musik verhält es sich bei konventionellen Serien
wie mit der Beleuchtung: Die Musik wird sparsam und
unauffällig eingesetzt, oft handelt es sich um kurze
Musiksequenzen, die z.B. die überleitende Totale eines
Motivwechsels begleiten. Wie Lichtstil und Auflösung wird
auch die Musik ebenfalls nicht als dramaturgisches Mittel
eingesetzt. Sie soll keine grundlegenden Atmosphären oder
Stimmungen beim Zuschauer erzeugen, sondern höchstens
einzelne Momente akzentuieren.
Durch das im Vergleich zum Kinofilm geringere Budget der
konventionellen TV-Serien fehlt es ihnen insgesamt an der
Möglichkeit, die Wertigkeit im Bild zu erhöhen. Massen-
szenen, aufwendige Actionsequenzen und Kulissen oder
kostspielige Special Effects sind in der konventionellen
Serie nicht möglich. Sie werden höchstens eingesetzt, um
z.B. den Piloten oder das Staffelfinale aufzuwerten.
31
Boll, 1994, S.48

27
3. Konventionelle Serien
In der Literatur wird bei der Erklärung von Serienmodel-
len und Definitionen meist auf alte Serien wie ,,Bonanza"
verwiesen. Diese Serien sind zwar weitläufig bekannt,
doch haben sie keine alltägliche Bedeutung mehr. Man
könnte daher den Eindruck bekommen, dass diese konventio-
nellen Serienmodelle heutzutage gar nicht mehr zu finden
sind. Um aufzuzeigen, dass diese Modelle in technisch
angepasster Form auch auf dem heutigen amerikanischen
Markt immer noch eine große Rolle spielen, folgen
zunächst zwei aktuelle Beispiele einer Serials und einer
Series. Bei beiden handelt es sich um auf dem US-
Fernsehmarkt etablierte Serien, die auch in synchroni-
sierter Form im deutschen Fernsehen zu sehen sind.
Beim Vergleich von Lost mit konventionellen Serien kann
abschließend auf die Darstellung einer reinen Prime Time
Soap nicht verzichtet werden. Daher wird als drittes
konkretes Beispiel konventioneller Serien für die Prime
Time Soaps die Serie Dallas dargestellt. Dallas ist zwar
keine aktuelle Serie, sie ist aber nicht nur wegen ihres
langanhaltenden Erfolges besonders für diese Untersuchung
geeignet. Dallas setzte neue Standards in der Prime Time
Unterhaltung und es folgten zahlreiche Nachahmer im
Fahrwasser dieses Mutterschiffs: Dynasty
32
(ABC, 1981-
89), Falcon Crest (CBS, 1981-90), The Colbys (ABC, 1985-
87), Beverly Hills 90210 (Fox, 1990-2000) oder Melrose
Place (Fox, 1992-99).
Stilistisch und dramaturgisch entwickelten sich diese
Serien nicht weiter, so dass ein Vergleich mit dem
Original der Prime Time Soap weiter zulässig ist. Die
stilistischen Merkmale dieser Art von Abendunterhaltung
32
Deutscher Titel ,,Denver Clan"

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836604512
DOI
10.3239/9783836604512
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg – Film- und Fernsehproduktion, Studiengang Film- und Fernsehproduktion
Erscheinungsdatum
2007 (Juli)
Note
1,7
Schlagworte
lost fernsehsendung kino soap opera medien film
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Titel: TV-Serien als Megamovies
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