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Männer im Gendermainstream

Möglichkeiten einer Gleichstellungsstrategie auch für Männer?

©2007 Diplomarbeit 109 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Spätestens seit dem Jahr 1999, als der Amsterdamer Vertrag das Konzept europaweit verankerte und die Bundesregierung es zu ihrem durchgängigen Leitprinzip erklärte, ist Gender Mainstreaming (GM) in aller Munde. Durch dessen weitreichende Einführung gelang es, das öffentliche Interesse an Geschlechterfragen neu zu entfachen und damit den ins Stocken geratenen geschlechterpolitischen Diskurs wiederzubeleben. Mit GM wird die Hoffnung verbunden, nun endlich die Gleichstellung von Männern und Frauen zu erreichen, welche trotz ihrer vielfältigen rechtlichen Festschreibung, trotz des jahrelangen Einsatzes der Frauenbewegung und trotz der in stetig gewachsener Anzahl vorzufindenden Gleichstellungsbeauftragten und expliziten Frauenförderplänen in Organisationen in der Gegenwart bei Weitem noch nicht realisiert ist. Obwohl diesbezüglich unbestritten beachtliche Fortschritte erzielt wurden, ziehen sich die Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts noch immer durch die gesamte Gesellschaft.
Im Zuge der Ausgestaltung von GM setzte sich aus diesem Grund immer stärker die Einsicht durch, dass auch die Männer an der Gestaltung der Geschlechterverhältnisse mitwirken müssen, um tatsächlich ein dominanzfreies Nebeneinander zu erreichen. Dabei sollen diese nun aber nicht mehr nur als Verursacher von Ungleichheit wahrgenommen werden, sondern auch als potentielle Adressaten von Gleichstellungsmaßnahmen. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied gegenüber der traditionellen Frauenförderpolitik, welche ausschließlich die Frauen als benachteiligte Gruppe im Blickfeld hat. GM richtet seinen Fokus hingegen ebenso auf die Männer. Geschlechtsspezifische Wirkungen, Benachteiligungen und Defizite sollen im Rahmen von GM für beide Geschlechter gleichermaßen erkannt und abgebaut werden. Ausgangspunkt ist dabei die Prämisse, dass dadurch eine „win-win“-Situation erwächst und damit sowohl Frauen als auch Männer profitieren können. Diese Annahme besitzt eine entscheidende Bedeutung, denn mit einem gleichstellungspolitischen Engagement der Männer, mit dem die vielfältigen Erwartungen an GM verbunden sind, kann kaum gerechnet werden, wenn diese darin ausschließlich eine Gefährdung ihrer Privilegien sehen.
Aufgrund dessen bildet genau diese Hypothese den Schwerpunkt der Auseinandersetzung der vorliegenden Arbeit mit GM. Ziel ist es aufzuzeigen, ob und, wenn ja, wie Männer tatsächlich davon profitieren können. Dabei steht deren Verhältnis zur Erwerbsarbeit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Martin Wistuba
Männer im Gendermainstream: Möglichkeiten einer Gleichstellungsstrategie auch für
Männer?
ISBN: 978-3-8366-0390-4
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen, Deutschland, Diplomarbeit, 2007
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

Autorenprofil:
Martin Wistuba
Diplom-Sozialwirt
Maschmühlenweg 4 App. 152
37073 Göttingen
Mail: martinwistuba@gmx.de
Tel: 0177/5899287
Persönliche Daten:
geboren am 14.09.1980 in der Lutherstadt Wittenberg
ledig, ortsungebunden
Wichtige Eigenschaften:
Einsatzbereitschaft, Innovationsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein,
analytisches Denkvermögen, Teamfähigkeit, Organisationstalent
Studium:
2000-2007 Studium der Sozialwissenschaften an der Georg ­ August ­ Universität Göttingen,
Niedersachsen
Abschluss: Diplom-Sozialwirt (1,7)
Diplomarbeit: ,,Männer im Gendermainstream: Möglichkeiten einer Gleichstellungsstrategie für
Männer?!" (1,0)
Studienfächer:
Betriebswirtschaftslehre:
Personalwesen
Rechtswissenschaften:
Zivilrecht,
Arbeitsrecht
Medien- und Kommunikationswissenschaft:
Public Relations, Medienwirkungsforschung
Politikwissenschaft:
Migrations-, Gewerkschafts-,
Geschlechterpolitik
Praktika:
2005
3-wöchiges Praktikum im Fachbereich Innerer Service ,,Personalmanagement und
Organisation" in der Stadtverwaltung der Lutherstadt Wittenberg
2006
6-monatiges Praktikum in der Personalentwicklung des Umweltbundesamtes in
Dessau
Kenntnisse und Fähigkeiten:
EDV:
MS Office (Word, Powerpoint, Excel), SPSS
Sehr gute Internet ­ Anwenderkenntnisse
Sprachen:
Deutsch ­ Muttersprache
Englisch ­ gut in Wort und Schrift
Französisch ­ Grundkenntnisse
Führerschein: Klasse
3
Vereinsarbeit: Mitarbeit im Vorstand des Kinder- und Jugendvereines ,,Don Bosco Live e.V"
Organisation, Durchführung und Leitung von Sommerfreizeiten (1997-2003)

Männer im Gendermainstream
1
Inhalt
1. Einleitung ... 3
2. Männer gelangen in den Gendermainstream ... 7
2.1. Die geschichtliche Entwicklung des Gender Mainstreaming ... 7
2.1.1. Die Integration der Frauenbelange in die Entwicklungspolitik ... 7
2.1.2. Die Etablierung des Gender-Ansatzes... 9
2.1.3. Die Ausbreitung des entwicklungspolitischen Ansatzes... 11
2.1.4. Die rechtliche Verankerung der Gleichstellungsstrategie... 12
2.2. Das Konzept des Gender Mainstreaming... 15
2.2.1. Ein Konzept der Organisationsentwicklung... 15
2.2.2. Ein Konzept für alle Organisationen... 19
2.2.3. Männer als Akteure und Adressaten ... 22
3. Die Zielsetzung von Gender Mainstreaming ... 27
3.1. Gender Mainstreaming als Strategie ohne Zielvorgabe? ... 27
3.2. Die Herrschaftskritik im Genderbegriff ... 30
3.3. Die Heterogenität innerhalb der Geschlechtergruppen ... 32
3.4. Soziale Gleichheit als Ziel des Konzepts ... 34
4. Die traditionellen Rollenbilder... 37
4.1. Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit ... 37
4.1.1. Männlichkeit als soziale Praxis ... 37
4.1.2. Die kulturelle Hegemonie ... 39
4.2. Das männliche Ernährermodell... 41
4.2.1. Die idealtypischen Vorstellungen des Modells... 41
4.2.2. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Gegenwart ... 43
4.2.3. Die strukturelle Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ... 46
4.2.4. Frauenförderung als notwendige Konsequenz des Ernährermodells ... 51
5. Der hohe Preis der Ernährerrolle... 55
5.1. Der Rollenzwang und das Opfern von Bedürfnissen ... 55
5.2. Die gesundheitlichen Folgen der männlichen Rolle ... 58
5.3. Die sinkende Erwerbsbeteiligung und die tiefe Krise bei Arbeitsplatzverlust... 60
6. Die Verankerung der Geschlechterrollen ... 65
6.1. Die Orientierung des deutschen Wohlfahrtsstaates am Ernährermodell... 65
6.2. Die tiefsitzenden Rollenklischees in den Köpfen ... 73
6.3. Die männerbündische Arbeitskultur... 78
7. Das Aufbrechen der Rollenbilder als Vorteil für Männer ... 83
7.1. Gender Mainstreaming als Zwang zur Auseinandersetzung mit den
Geschlechterverhältnissen... 83
7.2. Männerkritik wird zur Kritik an der hegemonialen Männlichkeit ... 86
7.3. Die konkreten Möglichkeiten für Männer im Bereich der Erwerbsarbeit ... 90
8. Fazit ... 95
Literaturverzeichnis... 99

Männer im Gendermainstream
3
1. Einleitung
Spätestens seit dem Jahr 1999, als der Amsterdamer Vertrag das Konzept europaweit veran-
kerte und die Bundesregierung es zu ihrem durchgängigen Leitprinzip erklärte, ist Gender
Mainstreaming (GM) in aller Munde. Durch dessen weitreichende Einführung gelang es, das
öffentliche Interesse an Geschlechterfragen neu zu entfachen und damit den ins Stocken
geratenen geschlechterpolitischen Diskurs wiederzubeleben. Mit GM wird die Hoffnung
verbunden, nun endlich die Gleichstellung von Männern und Frauen zu erreichen, welche
trotz ihrer vielfältigen rechtlichen Festschreibung, trotz des jahrelangen Einsatzes der Frauen-
bewegung und trotz der in stetig gewachsener Anzahl vorzufindenden Gleichstellungsbeauf-
tragten und expliziten Frauenförderplänen in Organisationen in der Gegenwart bei Weitem
noch nicht realisiert ist. Obwohl diesbezüglich unbestritten beachtliche Fortschritte erzielt
wurden, ziehen sich die Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts noch immer durch die
gesamte Gesellschaft.
Im Zuge der Ausgestaltung von GM setzte sich aus diesem Grund immer stärker die Einsicht
durch, dass auch die Männer an der Gestaltung der Geschlechterverhältnisse mitwirken müs-
sen, um tatsächlich ein dominanzfreies Nebeneinander zu erreichen. Dabei sollen diese nun
aber nicht mehr nur als Verursacher von Ungleichheit wahrgenommen werden, sondern auch
als potentielle Adressaten von Gleichstellungsmaßnahmen. Darin liegt ein wesentlicher Un-
terschied gegenüber der traditionellen Frauenförderpolitik, welche ausschließlich die Frauen
als benachteiligte Gruppe im Blickfeld hat. GM richtet seinen Fokus hingegen ebenso auf die
Männer. Geschlechtsspezifische Wirkungen, Benachteiligungen und Defizite sollen im Rah-
men von GM für beide Geschlechter gleichermaßen erkannt und abgebaut werden. Ausgangs-
punkt ist dabei die Prämisse, dass dadurch eine ,,win-win"-Situation erwächst und damit so-
wohl Frauen als auch Männer profitieren können. Diese Annahme besitzt eine entscheidende
Bedeutung, denn mit einem gleichstellungspolitischen Engagement der Männer, mit dem die
vielfältigen Erwartungen an GM verbunden sind, kann kaum gerechnet werden, wenn diese
darin ausschließlich eine Gefährdung ihrer Privilegien sehen.
Aufgrund dessen bildet genau diese Hypothese den Schwerpunkt der Auseinandersetzung der
vorliegenden Arbeit mit GM. Ziel ist es aufzuzeigen, ob und, wenn ja, wie Männer tatsächlich
davon profitieren können. Dabei steht deren Verhältnis zur Erwerbsarbeit im Fokus, da dieses
sehr eng mit ihrer Geschlechterrolle verbunden ist und damit wesentliche Auswirkungen auf
deren Leben besitzt. Des Weiteren wird das Hauptaugenmerk auf diesen Sektor gelegt, weil,

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4
auch wenn GM im Ergebnis eine gesamtgesellschaftliche Neugestaltung der Geschlechterver-
hältnisse anstrebt, es in erster Linie doch eine Strategie der Organisationsentwicklung dar-
stellt. Außerdem begrenzt sich diese Untersuchung auf die Bundesrepublik Deutschland, da
die Ausgangsbedingungen trotz vielfältiger Überschneidungen sogar zwischen westeuropäi-
schen Ländern zum Teil sehr stark variieren.
Um die Frage zu beantworten, inwieweit auch Männern Vorteile durch eine Gleichstellungs-
strategie, im Speziellen durch GM entstehen können, soll zunächst gezeigt werden, auf wel-
chem Wege sie überhaupt zu Adressaten der Gleichstellungspolitik wurden. Dabei zeigt die
Entstehung des Konzepts im entwicklungspolitischen Zusammenhang die maßgeblichen
Gründe für die Einbeziehung der Männer in die Gleichstellungspolitik auf. Ebenso wird durch
deren Betrachtung bereits die Distanz zwischen GM und biologischen Erklärungsmustern
deutlich, welches eine entscheidende Relevanz zur Beantwortung der dieser Arbeit zugrunde
liegenden Fragestellung besitzt. Des Weiteren gilt es an dieser Stelle aufzuzeigen, wie das
Konzept rechtliche Verbindlichkeit und erst damit für eine Vielzahl von Männern eine reale
Bedeutung erlangte. Um dessen mögliche Auswirkungen zu erkennen, wird im Folgenden der
konkrete Inhalt unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung seiner Anwendung inner-
halb der Organisationen dargestellt und außerdem der Frage nachgegangen, für welche Orga-
nisationen GM überhaupt Relevanz besitzt. Die Darstellung der Grundlagen des Konzepts
schließt mit der Beschreibung der konkreten Rolle, welche Männer darin sowohl als Akteure
als auch als Adressaten spielen.
Will man untersuchen, welche Möglichkeiten GM für Männer bereithält, ist auch die Zielset-
zung, auf der dessen Anwendung basiert, von elementarer Bedeutung. Liegt diese wirklich
nur in der Berücksichtigung der geschlechtsbezogenen Sichtweisen oder impliziert das Kon-
zept doch ein konkretes Ziel? Diese Frage wird unter Bezug auf den Genderbegriff diskutiert
und versucht zu beantworten.
Positive Veränderungen, welche GM Männern bieten kann, zu erkennen, ist ohne eine Be-
trachtung der Ausgangsbedingungen nicht möglich. Ohne eine Reflexion ihrer gegenwärtigen
Situation wird es GM auch kaum gelingen, diese zu modifizieren. Trotz der Fokussierung der
Arbeit auf die Vorteile der Männer ist dazu zunächst eine Darstellung ihrer Vormachtstellung
in der Gesellschaft notwendig, zugleich aber auch deren Relativierung, indem gezeigt wird,
dass diese Männer in ganz unterschiedlicher Form betrifft. Das Konzept der hegemonialen
Männlichkeit Connells bietet an dieser Stelle die theoretische Grundlage. Dabei wird die
besondere Bedeutung der Erwerbsarbeit für Männer und deren Vormachtstellung sichtbar.

Männer im Gendermainstream
5
Aus diesem Grund soll daraufhin auf die diesbezüglichen Vorstellungen der geschlechtsspezi-
fischen Arbeitsteilung, deren gegenwärtigen Bestand und auch auf die daraus resultierenden
Benachteiligungen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt eingegangen werden.
Die Arbeitsteilung bringt jedoch auch für Männer nicht nur Vorteile mit sich, vielmehr haben
diese für ihre Dominanz auf dem Arbeitsmarkt einen hohen Preis zu zahlen. Die Betrachtung
ihrer sich aus der Arbeitsteilung ergebenen Nachteile, des Opferns außerhalb der Erwerbsar-
beit liegender Bedürfnisse, der daraus erwachsenden gesundheitlichen Probleme, aber auch
der Schwierigkeiten zu denen ein Arbeitsplatzverlust führen kann, bietet deutliche Anhalts-
punkte, dass die Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse auch für Männer enorme Chan-
cen bereithält.
Doch an welchen Stellen muss GM ansetzen, um eine Abkehr von den traditionellen Rollen-
zuweisungen mit den damit verbundenen Nachteilen für beide Geschlechter zu erreichen? Um
diese Frage zu klären, wird untersucht, an welchen Stellen die Geschlechterrollen festge-
schrieben sind. Dabei wird zunächst sichtbar, wie stark diese in der Politik des deutschen
Wohlfahrtsstaates verankert sind. Ebenso zeigen Studien über die männliche Rolle jedoch,
dass trotz des einerseits vorhandenen Wunsches nach einer Beendigung der strikten Arbeits-
teilung, die aus den traditionellen Rollenvorgaben entstandenen Klischees noch immer tief in
den Köpfen der Männer und Frauen fixiert sind. Da GM in Organisationen Anwendung fin-
det, gilt es außerdem darzustellen, wie stark auch die Führungsetagen dieser durch die Vor-
stellungen der Arbeitsteilung geprägt sind.
Das Aufbrechen der starren Rollenbilder ist die Grundlage, soll diese Gleichstellungsstrategie
auch für Männer Vorteile beinhalten. Welche Potentiale GM innewohnen, um dieses Ziel zu
erreichen, ist der Schwerpunkt des letzten Abschnitts. Er beschreibt, wie dessen Anwendung
zu einer Erhöhung der diesbezüglichen Wahrnehmung führen kann, welches im Ergebnis mit
sich bringt, dass nicht mehr die Männer allgemein den Gegenstand der Kritik der Gleichstel-
lungspolitik darstellen, sondern die traditionellen Zuweisungen und die sich daraus ergebene
Dominanz der hegemonialen Männlichkeit. Daraufhin werden die konkreten Vorteile, welche
diese Wahrnehmungserweiterung durch GM für Männer im Bereich der Erwerbsarbeit bein-
halten kann, aufgezeigt.
Abschließend werden die wesentlichen Erkenntnisse im Fazit zusammengefasst, um die
dieser Arbeit zugrunde liegende Fragestellung zu beantworten.

Männer im Gendermainstream
7
2. Männer gelangen in den Gendermainstream
2.1. Die geschichtliche Entwicklung des Gender Mainstreaming
2.1.1. Die Integration der Frauenbelange in die Entwicklungspolitik
Zum besseren Verständnis von GM ist es sinnvoll, zunächst dessen Herkunft zu betrachten.
Die geschichtliche Entwicklung liefert wertvolle Hinweise zur Intention des Ansatzes, was
zur Beantwortung der Frage, inwieweit Männer daran partizipieren und profitieren können,
unabdingbar ist.
Bekannt wurde die Strategie GM in Deutschland durch deren Verankerung innerhalb der
Politik der Europäischen Union (EU)
1
. Sie entstammt jedoch dem Bereich der internationalen
Gleichstellungs- und Entwicklungspolitik. Die Studie Boserups ,,Die Rolle der Frau in der
Entwicklung", welche sich mit der Frauenarbeit in den Entwicklungsländern auseinandersetz-
te, lieferte dazu den entscheidenden Impuls. Sie zeigte auf, dass die weiblichen Belange aus
den Modernisierungsbemühungen der 1960er Jahre weitgehend ausgeschlossen waren und
Frauen durch diese teilweise sogar eine Schlechterstellung erfuhren, also zunehmend zu den
Verlierern der Globalisierung wurden
2
. Die Bedeutung der Frauen innerhalb der Gesellschaft
wurde nicht berücksichtigt und spielte in den entwicklungspolitischen Programmen und
Projekten keine Rolle. Frauen als Zielgruppe wurden bis dato nicht wahrgenommen. Viel-
mehr wurde häufig von einer Rollenverteilung ausgegangen, wie sie im europäischen Raum
die Vorstellungen prägte. Die Tatsache, dass es in diesen Ländern jedoch häufig Frauen wa-
ren, die auf den Feldern arbeiteten, wurde schlicht missachtet. Stattdessen wurden Frauen nur
in ihrer Funktion als Mütter und Hausfrauen angesprochen und Förderungen ausschließlich in
Bereichen wie Ernährung oder Gesundheitsförderung vorgenommen. Diese Erkenntnisse der
Studie entfachten die Diskussionen bezüglich der Wahrnehmung und Behandlung der Frauen
innerhalb der Entwicklungsarbeit
3
.
Als Ergebnis verstärkte sich in den 1970er und 1980er Jahren die Forderung, Frauen auf
sämtlichen Ebenen der Entwicklungsarbeit zu berücksichtigen und zu integrieren. Der Ansatz
,,Women in Development" (WID) war geboren. Er forderte die Anerkennung der von Frauen
wahrgenommenen Rollen und die Integration derer Interessen in die Projekte der Entwick-
lungsarbeit. Diese Zielsetzung wurde auch im Abschlussdokument der dritten Weltfrauenkon-
1
Vgl. Stiegler, B. (2000), S.7.
2
Vgl. Boserup, E. (1970), S.5.
3
Vgl. Callenius, C. (2002), S.64.

Männer im Gendermainstream
8
ferenz der Vereinten Nationen 1985 in Nairobi, welche vom WID-Ansatz geprägt war, er-
kennbar. ,,Die Frau sollte sowohl an der Festlegung der Entwicklungsziele und -modalitäten
als auch an der Ausarbeitung der Strategien und Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung voll
beteiligt werden"
4
. Durch die Forderung nach der Integration von Frauen in den Mainstream
war somit ein erster Schritt in Richtung GM gemacht.
Dem Ansatz lag dabei die Annahme zugrunde, dass durch spezifische Frauenförderung Frau-
en automatisch auch die Schwerpunktsetzungen und Arbeitsweisen der Entwicklungsinstituti-
onen mitbeeinflussen würden und somit in den Mainstream gelangten
5
. So wurden daraufhin
eigene Abteilungen, Referate oder Programme für Frauenanliegen in staatlichen, aber auch in
nichtstaatlichen Institutionen eingerichtet. Damit gelang es zwar zum Teil, Frauen ökono-
misch zu stärken, nicht aber, die Machtbeziehungen zwischen Frauen und Männern zu verän-
dern. Das mangelnde Durchsetzungsvermögen des WID­Ansatzes als Integrationsansatz
wurde erkannt. Die vereinzelten und kleinen Projekte zur Einkommens- und Beschäftigungs-
förderung von Frauen änderten wenig an der Hauptrichtung der Entwicklungspolitik und
berührten nicht die Ursachen der ungleichen Macht- und Ressourcenverteilung zwischen den
Geschlechtern. So wurde dem Ansatz vorgehalten, vereinheitlichend von den Frauen zu spre-
chen, die soziale Konstruktion der Geschlechterverhältnisse mitsamt seinen Rollenzuweisun-
gen und Erwartungen an Frauen und Männer dagegen unbetrachtet zu lassen
6
. ,,Er [der WID-
Ansatz; d.A.] machte Frauen letztendlich angepasster und verfügbarer für die Entwicklungser-
fordernisse"
7
, resümierte Thorn. ,,Die Konzeptualisierung der gesellschaftlichen Situation von
Frauen als Frauenfragen und Frauenproblem entlasse die Gesellschaft im Allgemeinen und
die Männer im Besonderen aus ihrer Verantwortung"
8
. Frauen würden dadurch weiterhin in
den ,,vormodernen Abhängigkeiten und Randlagen belassen"
9
. Dies führte zu der Erkenntnis,
dass die Frauenbelange von Beginn an in die Planungs- und Entscheidungsprozesse einge-
bracht werden müssen. Besonders das Südfrauennetzwerk DAWN (Development Alternatives
with Women for a New Era) und der Entwicklungsfonds für Frauen der Vereinten Nationen
(UNIFEM) nahmen bei der Verankerung der Frauenbelange im Mainstream eine herausra-
gende Rolle ein. Der Mainstreaming­Gedanke sollte nun neben der Integration auch den
4
BMJFFG (1988), S.42.
5
Vgl. Frey, R. (2004), S.26.
6
Vgl.
ebd.
7
Thorn, C. (2002), S. 41.
8
Braunmühl, C. (2002), S.18.
9
Ebd.

Männer im Gendermainstream
9
Anspruch der Transformation, der Veränderung des existierenden Entwicklungsparadigmas,
beinhalten und somit langfristig gesellschaftliche Veränderungen bewirken
10
.
2.1.2. Die Etablierung des Gender-Ansatzes
Um diese Veränderungen zu bewirken, bedurfte es eines Analyserahmens, welchen Wissen-
schaftler um Catherine Overholt an der Harvard Universität erstellten. Sie nutzten das ,,Sex-
Gender-System", welches von Gayle Rubin und Ann Oakley entwickelt worden war. So ent-
stand eine Form der Gender-Analyse, welche neben der Erfassung der Arbeitsteilung zwi-
schen den Geschlechtern und ihren Zugängen zu verschiedenen Ressourcen auch die Mög-
lichkeit enthielt, Veränderungen im Verlauf eines entwicklungspolitischen Projektes aufzu-
zeigen
11
. Diese unter dem Namen Harvard-Ansatz bekannte Methode stellte für überschauba-
re Projekte ein Erhebungs- und Frageraster für Datensammlungen zur Verfügung, denn Stu-
dien hatten belegt, dass eine Entwicklungsplanung ohne die Berücksichtigung von Frauen
nicht nur zu deren Benachteiligung führt, sondern in vielen Fällen Projekte auch ineffizient
werden ließ oder gar zu deren Scheitern beitrug. Institutionen an sich oder auch die politische
Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit stellte der Ansatz jedoch nicht in Frage, was
zu einem der Hauptkritikpunkte an ihm wurde
12
.
Zur Verbindung dieses eher auf die effiziente Planung abzielenden Ansatzes und der von den
Feministinnen eingeforderten Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse sind besonders die
Arbeiten Caroline Mosers von Bedeutung. Sie erstellte zwei Konzepte zur Gender-Analyse.
Zum einen unterschied sie zwischen praktischen Bedürfnissen, welche aufgrund der Ge-
schlechterrolle entstanden, und strategischen Interessen. Während bei Ersteren beispielsweise
Arbeitserleichterungen oder Aspekte der Gesundheitsversorgung, also die unmittelbare Ver-
besserung der Lebenssituation im Fokus standen, gingen die strategischen Interessen darüber
hinaus. Deren Ziel war eine Veränderung der Machtverteilung. Dazu mussten die Rahmenbe-
dingungen, wie die politische Mitsprachemöglichkeit oder auch die Anerkennung von unbe-
zahlter Arbeit, betrachtet werden. Zum anderen systematisierte Moser die Aufgaben von
Männern und Frauen. Analysen der Tätigkeiten und Arbeitszeiten sollten danach in drei
Bereichen durchgeführt werden, dem der Produktion, dem der Reproduktion und dem der
gemeinschaftlichen Aufgaben, also der öffentlichen und gemeinschaftsbezogenen Aufgaben.
10
Vgl. Frey, R. (2004), S.27ff.
11
Vgl. Callenius, C. (2002), S.66f.
12
Vgl. Frey, R./Zdunnek, G. (2002), S.71f.

Männer im Gendermainstream
10
Auch die letztgenannten wurden größtenteils von Frauen erledigt. Damit konnte gezeigt
werden, dass Mehrarbeit in einem Bereich mit Entlastungen in einem anderen einhergehen
muss
13
.
An dieser Stelle ist auch die Arbeit von Naila Kabeer zu erwähnen, welche auf einer kriti-
schen Reflexion des Harvard- und des Moser-Ansatzes basierte. Einerseits verwies der Ansatz
,,Social Relations Framework" (SRF) auf andere Faktoren neben dem Geschlecht. Auch
Klasse, Herkunft und weitere Komponenten spielen eine wesentliche Rolle bei Ausgrenzun-
gen. Des Weiteren geht der Ansatz aber auch über die Ebene von Entwicklungsprojekten im
engeren Sinn hinaus, indem er Schlüsselinstitutionen wie Staat, Markt und Familie einbezieht.
Ziel des SFR-Ansatzes war die Analyse der Ungleichheits- und Machtstrukturen, welche die
Geschlechterverhältnisse beeinflussten
14
.
Die Entwicklung dieser Ansätze führte zu Beginn der Neunziger gepaart mit einer breiten
gesellschaftlichen Diskussion zu einem neuen Ansatz mit Namen ,,Gender and Development"
(GAD). Er war als Weiterentwicklung des WID-Ansatzes zu sehen, definierte sich zunächst
aber in der Abgrenzung zu diesem. Er hatte die Veränderung der Geschlechtsverhältnisse als
Ziel und eben nicht die Beseitigung eines Entwicklungsdefizits bei Frauen. Statt den Fokus
auf praktische Bedürfnisse der Frauen zu legen, waren nun deren strategischen Interessen und
die geschlechtsspezifischen Determinierungen im Mittelpunkt. Der GAD-Ansatz betrachtete
die soziale Konstruktion der Geschlechterverhältnisse, bestimmter Rollen, Zuweisungen und
Verantwortlichkeiten und sollte somit einen ganzheitlich-kritischen Blick ermöglichen
15
. Er
hatte den Anspruch ,,Ziele und Umsetzungsmodalitäten entwicklungspolitischer Interventio-
nen und [...] nicht zuletzt die Perspektive eines neu zu formulierenden sozial gerechten Ent-
wicklungsmodells zu entwerfen"
16
.
Es war nun also das Genderkonzept und nicht mehr allein das Interesse der Frauen, welches
bei allen entwicklungspolitischen Aktivitäten berücksichtigt und damit in den Mainstream
gebracht werden sollte. Aus dieser Verbindung von ,,Gender" und ,,Mainstream" entwickelte
sich die Strategie GM.
13
Vgl. Callenius, C. (2002), S.66f.
14
Vgl. Frey, R./Zdunnek, G. (2002), S.74.
15
Vgl. Frey, R. (2004), S.29f.
16
Braunmühl, C. (2002), S.18.

Männer im Gendermainstream
11
2.1.3. Die Ausbreitung des entwicklungspolitischen Ansatzes
Innerhalb der 1990er Jahre erstarkte die Frauenbewegung innerhalb der Vereinten Nationen.
Die dabei engagierten Feministinnen erkannten, dass es nicht ausreiche, den Gender-Ansatz
nur bei Programmen zur Armutsbekämpfung innerhalb der Entwicklungspolitik anzuwenden.
Dabei verwiesen sie besonders auf die immer kleiner werdenden Spielräume der Frauen- und
Entwicklungspolitik, welche die Globalisierung mit sich brachte
17
. ,,Diesen Lobbyfrauen ist
es zu verdanken, dass Frauenanliegen Eingang in die internationalen Absichtserklärungen und
Aktionsprogramme gefunden haben"
18
.
Wenn der entwicklungspolitische Zusammenhang auch eine wesentliche Bedeutung für die
Entstehung von GM hatte, war er nicht die alleinige Ursache der Ausbreitung des Konzepts.
Auch in ihren eigenen Ländern hatten die Frauenbewegungen der 1970er Jahre bemerkt, dass
sie von außen kaum im Stande waren, die politischen Entscheidungen zu beeinflussen. Dies
führte innerhalb des folgenden Jahrzehnts dazu, dass sich die Frauenpolitik immer mehr zu
institutionalisieren begann. Doch trotz einer wachsenden Zahl von Frauenbeauftragten, Frau-
enministerien und Frauenausschüssen in den Parlamenten waren diese kaum in der Lage, die
patriarchalen Grundstrukturen der Regierungen, Parlamente oder Verwaltungen zu beeinflus-
sen, da personelle und finanzielle Ressourcen nur in höchstem Maße unzureichend zur Verfü-
gung gestellt wurden
19
. Dies führte zu derselben Erkenntnis, welche auch im entwicklungspo-
litischen Raum hervorgetreten war. Frauenpolitik muss auf allen Ebenen, also hier in jedem
Politikfeld, von Beginn an einfließen, um in der Lage zu sein, echte Veränderungen zu bewir-
ken.
Zwei wesentliche Entwicklungen in Bezug auf GM vollzogen sich daraufhin in den 1990er
Jahren. Zum einen die für diese Arbeit elementare Einsicht, dass eine Querschnittspolitik zur
Gleichberechtigung nur dann funktionieren kann, wenn auch die Männer einbezogen werden
und zum anderen die nicht unbedeutendere Akzeptanz der Tatsache, dass es nicht die eine
Frau gibt, sondern Unterschiede nach Herkunft, Einkommen, Alter etc. bestehen
20
. Die Not-
wendigkeit eines ganzheitlichen Blicks im Sinne des Gender-Ansatzes war erkannt.
Die vierte Weltfrauenkonferenz, welche 1995 in Peking abgehalten wurde, wird allgemein als
ein, wenn nicht sogar der Schlüsselmoment für die Einführung von GM als internationale
Gleichstellungsstrategie betrachtet, denn in Peking erreichte die Strategie erstmals einen
17
Vgl. Callenius, C. (2002), S.68.
18
Ebd.
19
Vgl. Pinl, C. (2002), S.3.
20
Vgl. Dunst, C. (2002), S.33f.

Männer im Gendermainstream
12
hohen Bekanntheitsgrad, fand Eingang in die breite politische Debatte und erhielt ihren Na-
men: Gender Mainstreaming
21
. Es ging dabei um mehr, als um die Entwicklungspolitik. Vor
jeder politischen Entscheidung sollten nun die unterschiedlichen Auswirkungen auf Männer
und Frauen analysiert werden. Mit dem Abschlussdokument, der Pekinger Aktionsplattform,
verpflichteten sich die 189 unterzeichnenden Staaten, zu denen auch die Bundesrepublik
Deutschland zählte, Konzepte zu dessen Implementierung zu prüfen und zu entwickeln. Diese
Verpflichtung besaß jedoch noch keine völkerrechtliche Bindung
22
.
2.1.4. Die rechtliche Verankerung der Gleichstellungsstrategie
Die Beschlüsse der vierten Weltfrauenkonferenz erhöhten auch den Druck auf Brüssel zur
Entwicklung einer GM-Politik
23
. Besonders die Europäische Kommission, welche aktiv an
der Vor- und Nachbereitung der Pekinger Konferenz teilgenommen und damit seine Kontakte
zur entwicklungspolitischen Frauenszene verstärkt hatte, trug zu einer deutlichen Ausrichtung
der europäischen Politik an diesem Konzept bei. Die Kommission um Präsident Santer hatte
großes Interesse an GM, woran auch die neuen Mitgliedsstaaten Schweden und Finnland
ihren Anteil besaßen
24
. Erklärtes Ziel war dabei, mit Hilfe des Konzepts ,,eine neue Partner-
schaft zwischen EU-Kommission und frauenpolitischer Basis zu begründen und damit zum
Abbau des Demokratiedefizits der EU-Behörden beizutragen"
25
. So war es auch die Mittei-
lung ,,Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen
der Gemeinschaft" der Europäischen Kommission, welche GM 1996 aufgriff und die EU
damit verpflichtete, politische Maßnahmen stets daraufhin zu prüfen, wie sie sich auf die Le-
benssituationen von Frauen und Männern auswirken
26
. Aufgrund eines Vorschlages der Euro-
päischen Kommission hatte der Rat der Europäischen Union bereits in das kurze Zeit zuvor
verabschiedete vierte EU-Aktionsprogramm zur Chancengleichheit von Frauen und Männer
(1996-2000) GM als zentrales Thema aufgenommen. Es zeigte das deutliche Bekenntnis der
EU zur neuen Gleichstellungsstrategie. Während die Vorgängerprogramme noch weitgehend
auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft und deren Eingliederung in den Arbeitsmarkt
fokussierten, war es nun Ziel des Programms ,,die Einbeziehung der Dimension der Chancen-
21
Vgl. Stiegler, B. (2000), S.7.
22
Vgl. Frey, R. (2004), S.32.
23
Vgl. Linde, K. (2003), S.228f.
24
Vgl. Frey, R. (2004), S.33.
25
Schunter-Kleemann, S. (2002), S.130.
26
Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften (1996).

Männer im Gendermainstream
13
gleichheit von Frauen und Männern bei der Konzeption, Durchführung und Begleitung aller
Politiken und Aktionen der Union und der Mitgliedsstaaten - im Rahmen ihrer jeweiligen
Befugnisse ­ zu fördern"
27
. Sechs Ziele wurden in diesem Programm benannt, wobei an die-
ser Stelle besonders die Förderung der Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen hervorzuheben sind
28
. Neben
dem sichtbaren Strategiewechsel hin zu GM wird darin auch dessen Ausweitung auf die
nationale, regionale und lokale Ebene sichtbar.
Rechtliche Verbindlichkeit erlangte GM mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1.
Mai 1999. Der Wille des europäischen Gesetzgebers, dem Ansatz dadurch stärkere Geltung
zu verleihen und die Mitgliedsstaaten zu verstärkten Bemühungen zur Erreichung einer tat-
sächlichen, nicht nur der rechtlichen Gleichstellung aufzufordern, zeigte sich deutlich
29
.
Besonders die neu gestalteten Artikel 2 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft (EGV) sind hierbei wesentlich. Während Artikel 2 das Ziel festhält, die Gleich-
stellung von Männern und Frauen zu fördern, konkretisiert Artikel 3 dieses. In Absatz 1 des
Artikels sind alle Tätigkeiten der Europäischen Gemeinschaft aufgeführt und Absatz 2 be-
nennt daraufhin GM, wenn auch nicht namentlich, als Prinzip
30
. ,,Bei allen in diesem Artikel
genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und
die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern"
31
, heißt es in der juristischen Fassung
des Konzepts. Dieses ist besonders bei der europäischen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungs-
politik zum Ausdruck gekommen. In den beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU, deren
Umsetzung durch die Mitgliedstaaten die Europäische Kommission bewertet, ist 1999 der
GM-Ansatz verankert wurden. Die neu geschaffene vierte Säule fordert zu starken Anstren-
gungen bezüglich der Umsetzung von Chancengleichheit auf und dieses nicht mehr in einem
isolierten Politikfeld. Die Leitlinien beinhalten explizit die Aufforderung, diesbezügliche
Aspekte in allen Politikfeldern zu berücksichtigen
32
.
In der Bundesrepublik ist die Änderung des Grundgesetzes (GG) im Jahr 1994 von großer
Bedeutung für die Gleichstellungspolitik. Der neu gestaltete Artikel 3 Absatz 2 verpflichtet
den Staat nun ausdrücklich, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung zwischen
27
Rat der Europäischen Union (1995).
28
Vgl. ebd.
29
Vgl. Schweikert, B. (2002), S.85.
30
Vgl. Europäische Union (1997), S.24f und EGV, Art. 2-3.
31
Ebd., S.25 und EGV, Art. 3 II.
32
Vgl. Maier, F. (2002), S.169ff.

Männer im Gendermainstream
14
Frauen und Männern zu fördern. GM bot sich hier als eine sinnvolle Strategie an
33
. Doch bis
zum Regierungswechsel 1998 fanden die Appelle der Pekinger Konferenz kaum Beachtung.
Fünf Jahre nach der Grundgesetzänderung führte die immer stärker werdende Verbindlichkeit
dann auch in Deutschland zur Umsetzung von GM. Nachdem bereits im Koalitionsvertrag er-
wähnt, erhob das Bundeskabinett am 23. Juni 1999 die Gleichstellung von Frauen und Män-
nern zum durchgängigen Leitprinzip der Bundesregierung. In Bezug auf den Amsterdamer
Vertrag sollte dieses mittels der Strategie GM erfolgen
34
. Die Novelle der Gemeinsamen Ge-
schäftsordnung (GGO) der Bundesministerien vom 26.7.2000 fixierte die Strategie ebenfalls,
nunmehr für sämtliche Ressorts der Bundesregierung. So lautet der neue § 2 GGO: ,,Die
Gleichstellung von Frauen und Männern ist durchgängiges Leitprinzip und soll bei allen
politischen, normgebenden und verwaltenden Maßnahmen der Bundesministerien in ihren Be-
reichen gefördert werden (Gender Mainstreaming)"
35
. Die Änderung der GGO im Rahmen
des Regierungsprogramms ,,Moderner Staat ­ Moderne Verwaltung" veranschaulicht auch die
Verbindung von Gleichstellung und Verwaltungsmodernisierung. Neben der höheren Zufrie-
denheit, welche dadurch bei den Beschäftigten erreicht werden kann, gibt die Berücksichti-
gung von Frauen und Männern als Norm- und Maßnahmenadressaten auch die Möglichkeit,
zielgruppenspezifischer und damit passgenauer zu handeln
36
. Hier wird ein Punkt sichtbar,
welcher GM auch für private Unternehmen interessant werden lassen könnte, was an späterer
Stelle ausführlicher thematisiert wird.
Von der Bundesebene gelangte das Konzept in die Länder und Kommunen. Ab dem Jahr
2000 wurde die bundesstaatliche Ebene größtenteils aktiv, während sich in Bezug auf die
Einführung von GM auf kommunaler Ebene bis heute ein sehr heterogenes Bild darbietet und
deutlich unterschiedliche Umsetzungsstände vorzufinden sind
37
.
Alle Stationen der geschichtlichen Entwicklung und Implementierung von GM darzustellen,
würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es würde auch nicht entscheidend zur Beantwor-
tung der Fragestellung beitragen, welche Konsequenzen dessen Umsetzung für Männer mit
sich bringt. Aber schon diese skizzenhafte Beschreibung des Entstehungsprozesses zeigt, dass
es die Frauenbewegungen waren, welche immer stärker auf eine Etablierung des Gleichbe-
rechtigungsgedankens in den Mainstream drängten. Beginnend bei der Entwicklungspolitik
über die Vereinten Nationen und die Europäische Union breitete sich das Konzept auch in der
33
Vgl. Döge, P./Stiegler, B. (2004), S.136.
34
Vgl. Schweikert, B. (2002), S.85f.
35
BMI (2000), S.11.
36
Vgl. Schweikert, B. (2002), S.87.
37
Vgl. Döge, P./Stiegler, B. (2004), S.139ff.

Männer im Gendermainstream
15
Bundesrepublik aus. Wenn es auch analytisch stark, wie eine spätere Darstellung aufzeigen
wird, von Frauenförderung zu unterscheiden ist, kann GM somit als ,,das vorläufige Ergebnis
aus den Lernerfahrungen von drei Dekaden verschiedener Frauenförderstrategien"
38
verstan-
den werden. GM wurde somit nicht von Männern entwickelt, welche ihre Situation verbessern
wollten. Dennoch führte die Etablierung des Gender-Ansatzes zu der Erkenntnis, dass die
Geschlechtsverhältnisse als Ganzes wahrgenommen werden sollten, und dies auch von Män-
nern, welche nun Akteure der Geschlechterpolitik waren. Durch die rechtliche Verbindlich-
keit in staatlichen Organisationen und Verwaltungen
39
beruhte deren Mitwirken nicht mehr
nur auf freiwilliger Basis. Dadurch war und ist zumindest eine Auseinandersetzung mit den
Geschlechterverhältnissen erreicht. Um sich der Frage zu nähern, was die Umsetzung von
GM in Organisationen nun konkret für Männer bedeutet, wird im folgenden Teil der Inhalt
des Konzepts genauer beleuchtet.
2.2. Das Konzept des Gender Mainstreaming
2.2.1. Ein Konzept der Organisationsentwicklung
Nachdem die Herkunft und die rechtliche Verankerung des Konzepts aufgezeigt wurde, muss
nun dessen Inhalt genauer betrachtet werden, um mögliche Auswirkungen auf Männer zu
analysieren.
GM ist ein gleichstellungspolitisches Konzept, welches neuen Schwung in die Realisierung
der Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen bringen soll
40
. Doch was genau verbirgt
sich hinter diesem Konzept, was eine derartige Hoffnung begründet? Wie die Darstellung der
historischen Entwicklung verdeutlichte, entstand GM ,,in einem kollektiven Lernprozess und
einem politischen Lobby-Prozess"
41
. Eine formale Definition stand somit nicht am Beginn des
Konzepts und auch heute existiert keine rechtlich gültige Definition, weder auf europäischer
38
Callenius, C. (2002), S.65.
39
An dieser Stelle ist festzuhalten, dass sich auch ohne gesetzliche Verpflichtung, sondern aufgrund der
eigenen Überzeugung und Zielsetzung, nichtstaatliche Organisationen, wenn auch in unterschiedlicher
Intensität mit GM auseinandersetzen. Besonders Gewerkschaften, aber auch Verbände, Vereine,
Bildungsträger, Stiftungen und Kirchen sind hier zu nennen. Vgl. dazu u.a.: Döge, P./Stiegler, B. (2004),
S.146ff und Schulz-Müller, I. (2002).
40
Vgl. Döge, P. (2002), S.9.
41
Callenius, C. (2002), S.68.

Männer im Gendermainstream
16
noch auf nationaler Ebene, was jedoch in den meisten Dokumenten und Rechtsquellen vor-
ausgesetzt wird
42
.
Ein Großteil der Definitionsversuche bezieht sich auf einen Vorschlag der von Mieke Verloo
geleiteten Expertengruppe des Europarates, welcher auch die in der europäischen Literatur
meistzitierte Definition darstellt
43
. ,,Gender Mainstreaming ist die (Re)Organisation, Verbes-
serung, Entwicklung und Evaluierung grundsatzpolitischer Prozesse, mit dem Ziel, eine
geschlechtsbezogene Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und in allen
Phasen durch alle normalerweise an politischen Entscheidungsprozessen beteiligten Akteure
einzubringen"
44
. Auch die Beschreibung des Konzepts durch das Bundesministerium für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) enthält im Wesentlichen dieselben Bestandtei-
le. ,,Gender Mainstreaming bezeichnet den Prozess und die Vorgehensweise, die Geschlech-
terperspektive in die Gesamtpolitik aufzunehmen. Dies bedeutet, die Entwicklung, Organisa-
tion und Evaluierung von politischen Entscheidungsprozessen und Maßnahmen so zu betrei-
ben, dass in jedem Politikbereich und auf allen Ebenen die Ausgangsbedingungen und Aus-
wirkungen auf die Geschlechter berücksichtigt werden, um auf das Ziel einer tatsächlichen
Gleichstellung von Frauen und Männern hinwirken zu können. Dieser Prozess soll Bestandteil
des normalen Handlungsmusters aller Ressorts und Organisationen werden, die an politischen
Entscheidungsprozessen beteiligt sind"
45
.
Die Definitionen machen bereits sichtbar, dass GM ein Konzept der Organisationsentwick-
lung darstellt. Organisationen, die die Geschlechterverhältnisse bisher nicht oder nur unzurei-
chend berücksichtigt haben, sollen ihre Entscheidungsprozesse diesbezüglich in ihrer Qualität
verbessern
46
. Diese Tatsache benennt auch die Bundesregierung in ihrer Erklärung des Kon-
zepts. ,,Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unter-
schiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Männern und Frauen zu berücksichtigen,
da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt"
47
. Wie bereits die Entstehungsgeschichte
verdeutlichte, soll durch die Umsetzung ermöglicht werden, die Geschlechterverhältnisse
insgesamt neu zu gestalten.
Der Wortbaustein ,,Mainstreaming" im Konzept veranschaulicht diesen übergreifenden Cha-
rakter. ,,Mainstream" wörtlich übersetzt meint Hauptstrom bzw. Hauptströmung. Eine Verb-
42
Vgl. Schunter-Kleemann, S. (2002), S.131.
43
Vgl. Behning, U. (2004a), S132.
44
Europarat (1998), S.14.
45
BMFSFJ (2000), S.1.
46
Vgl. Stiegler, B. (2000), S.8.
47
Bundesregierung (2002), S.5.

Männer im Gendermainstream
17
form des Wortes existiert im Englischen nicht. Nach Rosenstreich soll diese Neukreation
jedoch dazu dienen, den aktiven Prozess des ,,etwas in den Mainstream einbinden bzw. zum
Mainstream machen"
48
beschreiben zu können. Darin liegt ein großer Unterschied gegenüber
bisherigen Gleichstellungsstrategien. Organisationen, die die Geschlechterverhältnisse bisher
höchstens am Rande berücksichtigten, sollen dieses Thema von seinem Schattendasein be-
freien und es zu einem integralen Bestandteil bei all ihren Vorhaben werden lassen. Ge-
schlechterpolitik soll somit zur Querschnittsaufgabe werden.
Stiegler veranschaulicht das Konzept sehr treffend mit dem Bild eines Zopfes: ,,Wenn man
Entscheidungsprozesse von politisch handelnden Organisationen mit dem Flechten eines
Zopfes vergleicht, so werden bisher die Zöpfe mit den Strängen Sachgerechtigkeit, Machbar-
keit und Kosten geflochten. Wenn überhaupt, wird zum Schluss die Frage gestellt, in welcher
Weise Frauen betroffen sein könnten. Der fertige Zopf wird also noch am Ende mit einer
kleinen Schleife versehen. Gender Mainstreaming bedeutet, bleibt man in diesem Bild, dass
die Frage der Geschlechterverhältnisse einer der wesentlichen Stränge des Zopfes selber ist,
der durchgeflochten wird und die Entscheidungen von Anfang an prägt"
49
. Genauso selbstver-
ständlich wie die Frage nach den Kosten jede Entscheidung und jedes Handeln der Beteiligten
in einer Verwaltung beeinflusst, sollen nun auch Geschlechterfragen aktiv in den Blickpunkt
gerückt werden. Dieses muss auf allen Ebenen stattfinden, also unabhängig von der Hierar-
chieebene, ebenso wie in allen Phasen. Die Geschlechterverhältnisse sind bereits bei der
Planung einer Entscheidung zu berücksichtigen, nicht erst bei ihrer Durchführung und Bewer-
tung.
Die genaue Analyse der Auswirkungen sämtlicher Prozesse und Entscheidungen innerhalb
der Organisation auf die Geschlechter muss daher stets am Anfang stehen. Dieses ist nicht
unproblematisch und bedarf vielfältiger geschlechtsspezifischer Kenntnisse, denn im Alltags-
verständnis werden Organisationen und deren Strukturen und Prozesse häufig als ge-
schlechtsneutral angesehen, welches zu einer Nichtwahrnehmung oder gar Verleugnung von
Geschlechterdiskriminierung führen kann
50
. Die konsequente Implementierung von GM muss
im ersten Schritt dazu führen, Augen und Ohren für geschlechterspezifische Auswirkungen
auf allen Ebenen der Organisation zu öffnen. Mit Hilfe verschiedener Instrumente des Ver-
waltungshandelns, wie geschlechtsdifferenzierten Datenerhebungen, Checklisten und Leitfä-
den für die Planung und Auswertung von Maßnahmen soll ermittelt werden, inwieweit diese
48
Rosenstreich, G. (2002), S.26.
49
Stiegler, B. (2000), S.8.
50
Vgl. Krell, G./Mückenberger, U./Tondorf, K. (2004), S.77.

Männer im Gendermainstream
18
Auswirkungen auf das Leben von Frauen und Männern haben. Gender wird somit als Katego-
rie der Selbstbeobachtung in vergeschlechtlichten Organisationen eingeführt und genau darin
sieht Meuser ,,das Potenzial von Gender Mainstreaming"
51
.
GM endet jedoch nicht mit der Feststellung dieser Wirkungen, sondern fordert auf, die ge-
wonnenen Erkenntnisse in die Maßnahmengestaltung einzubinden. ,,Die Konzeptbeschrei-
bung des Europarates ist also zu präzisieren: Es geht bei Gender Mainstreaming weniger um
die schlichte Integration einer geschlechtsbezogenen Sichtweise [...], sondern vielmehr um die
kritische Reflexion und Evaluation von geschlechtsspezifischen Sichtweisen in politischen
Prozessen, die explizit und meist implizit von politischen AkteurInnen vertreten werden"
52
.
Fest etablierte Geschlechterbilder innerhalb der Organisationsstrukturen werden Änderungen
der Geschlechterverhältnisse blockieren und müssen aus diesem Grund kritisch hinterfragt
werden
53
. Es handelt sich bei GM um ein transformatives Konzept, bei dem die Regulierung
der Geschlechterverhältnisse zum Organisationsziel wird, was zu einem erheblichen Wandel
innerhalb dieser führen muss. Bei konsequenter Anwendung des GM-Prinzips muss eine
Änderung der Strukturen der Organisation erfolgen, welche die Ungleichheit immer wieder
reproduzieren. GM ist daher laut Pinl ,,weit mehr als der Versuch, durch antidiskriminatori-
sche Politik Gleichheit für Frauen durchzusetzen"
54
.
Darin ist auch eine Bedingung zu sehen, um mittels GM gesamtgesellschaftliche Veränderun-
gen zu erreichen. ,,Gender Mainstreaming zielt darauf ab, Einfluss auf den Output der öffent-
lichen Organisationen zu haben. Es werden jedoch nur geeignete Organisationsformen in der
Lage sein, eine glaubhafte Mainstreaming-Politik zu liefern"
55
. Organisationen werden somit
ihre eigenen Strukturen ins Blickfeld rücken müssen, wollen sie wirklich Politik im Sinne des
GM-Ansatzes betreiben. Die aufgedeckten Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern
werden dann bei konsequenter Umsetzung des Prinzips dazu führen, dass sich die Organisati-
onen selbst verändern und die internen Geschlechterverhältnisse und die Geschlechterhierar-
chie neu gestalten. GM liegt die Annahme zugrunde, dass sich die Ungleichheiten zwischen
den Geschlechtern wegen institutioneller Gewohnheiten reproduzieren und aus diesem Grund
bei diesen angesetzt werden muss
56
. ,,Das Ziel von Gender Mainstreaming besteht entspre-
51
Meuser, M. (2004a), S.103.
52
Behning, U./Sauer B. (2005), S.12.
53
Vgl. Döge, P. (2002), S.11.
54
Pinl, C. (2002), S.3.
55
Woodward, A. (2004), S.87.
56
Vgl. ebd., S.95.

Männer im Gendermainstream
19
chend in einem Institutionenwandel, der zur Gleichstellung von Männern und Frauen führt"
57
.
Jedoch ist GM keine Lösung, welche kurzfristig zu einem solchen Wandel beitragen kann.
GM muss vielmehr zu einem Teil der Identität der Organisation werden, wenn eine dauerhafte
Veränderung erfolgen soll
58
.
Sowohl die Geschichte als auch der Blick auf die Definitionen machten sichtbar, dass sich
GM ausdrücklich nur an staatliche Akteure richtet. Dieses würde den Wirkungskreis des Kon-
zepts jedoch erheblich einschränken. Der folgende Punkt soll daher aufzeigen, dass GM sehr
wohl auch bei privaten Organisationen auf Interesse stoßen kann.
2.2.2. Ein Konzept für alle Organisationen
Wie die bisherigen Betrachtungen aufzeigten, richtet sich GM vordergründig an die Akteure
und Akteurinnen, welche an der Entstehung politischer Entscheidungen beteiligt sind. Dahin-
ter verbirgt sich auch ein beträchtliches gesellschaftliches Veränderungspotential, denn ein
Großteil der Gesellschaft ist von deren politischen Entscheidungen betroffen und kann nach
der Implementierung von GM eine Politik erwarten, welche tatsächlich zu einer Förderung
und Weiterentwicklung der Gleichstellung der Geschlechter führt. Woodward sieht dement-
sprechend in dem Ansatz die Chance, Politik und Verwaltung zu transformieren und be-
schreibt GM deshalb als die ,,Mobilisierung des Staates, um die politische Zielsetzung einer
veränderten und geschlechtergerechten Gesellschaft durch eine bessere Politik und Verwal-
tung zu erreichen"
59
.
Dass mit der Einführung von GM aber nicht nur politische Entscheidungen im Fokus stehen,
sondern auch die Organisation an sich, wurde bereits dargestellt. Dennoch betrifft, wie auch
die rechtliche Verankerung veranschaulichte, GM zunächst die öffentliche Verwaltung. Dies
ist schon damit erklärbar, dass diese im Gegensatz zu den Unternehmen der Privatwirtschaft
diesbezüglich der direkten politischen Steuerung unterliegt
60
. Ein großer Teil der Erwerbstäti-
gen ist jedoch nicht in der öffentlichen Verwaltung tätig. Spielt GM in deren Organisationen
keine Rolle? Mitnichten, denn obwohl es sich bei GM um einen Gleichstellungsansatz han-
57
Behning, U. (2004a), S.123.
58
Vgl. Woodward, A. (2004), S.100.
59
Ebd., S.87.
60
Vgl. Meuser, M. (2004a), S.93.

Männer im Gendermainstream
20
delt, der für Organisationen entwickelt worden ist, welche Politik umsetzen, ist er dennoch in
fast allen Organisationen einsetzbar
61
.
Insgesamt ist die Resonanz von privaten Unternehmen in Bezug auf das Konzept bisher
jedoch tatsächlich eher gering, worin es sich kaum von bisherigen Maßnahmen zur Frauen-
förderung und Gleichberechtigung unterscheidet
62
. Dennoch können auch private Unterneh-
men durch die Einführung von GM profitieren. ,,Der unternehmerische Ansatz, die individu-
ellen Fähigkeiten so intensiv wie nur möglich nutzbar zu machen, verbietet per se die
Schlechterstellung eines Geschlechts, denn damit würde das Ziel der höchstmöglichen Poten-
zialausschöpfung der Belegschaft nicht erreicht, der Betrieb bliebe dann unter seinen Mög-
lichkeiten und das ginge zu Lasten des Unternehmens"
63
. Dieses Argument der damaligen
Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Renate Schmidt, richtete sich im Jahr
2003 an die Privatwirtschaft und versuchte, die Bedenken gegenüber einer Geschlechterpoli-
tik im Unternehmen zu zerstreuen. Sie bezog sich damit unmittelbar auf das Konzept des
Managing Diversity (MD), welches davon ausgeht, dass ethnisch und geschlechtlich multikul-
turelle Belegschaften einen wichtigen Wettbewerbsvorteil darstellen können
64
. Dieses Wett-
bewerbsargument richtet sich in erster Linie an die private Wirtschaft, denn bei dieser steht
die Profitmaximierung im Zentrum des Handelns, wohingegen öffentliche Institutionen auch
immer dem Gemeinwohl verpflichtet sind
65
. Dennoch trifft es ebenso für die öffentliche
Verwaltung zu. ,,Staatliches Handeln muss dem Erfordernis der Effizienz und Effektivität ge-
nügen"
66
beschreibt das Regierungsprogramm die, auch für die Verwaltung gegebenen, Hand-
lungszwänge aufgrund begrenzter finanzieller Möglichkeiten. Dass hierbei die Gefahr besteht,
Geschlecht auf eine Humanressource zu beschränken und die Geschlechterpolitik damit zu
entpolitisieren, muss an dieser Stelle erwähnt werden
67
. Nicht mehr soziales Unrecht und
Gesetzesverletzungen werden als Begründung für Gleichstellung herangezogen, sondern der
Wettbewerbsvorteil steht im Vordergrund. Schunter-Kleemann stellt die Wirkung von GM
61
Vgl. Höyng, S. (2002), S.216.
62
Vgl. Jung, D. (2004), S.206.
63
Schmidt, Renate zit. nach Bereswill, M. (2004), S.55.
64
Vgl. Schunter-Kleemann, S. (2002), S.128. Diese sieht sogar den Ursprung von GM im Konzept des MD.
Als Belegquelle nutzt sie dazu eine Veröffentlichung von Krell, welche diesem jedoch klar widerspricht. Vgl.
dazu Krell, G./Mückenberger, U./Tondorf, K. (2004), S.78.
65
Vgl. Woodward, A. (2004), S.87.
66
Bundesregierung (1999), S.3f.
67
Vgl. Bereswill, M. (2004), S.52ff.

Männer im Gendermainstream
21
aus diesem Grund in Frage und befürchtet, dass damit die festen Strukturen und lang andau-
ernden Diskriminierungen nicht abgebaut werden können
68
.
Gerechtigkeit und Gleichheit haben in einer Organisation tatsächlich nur dann eine Chance,
wenn sie von deren Spitze zu Organisationszielen erklärt werden. Dies geschieht aber nur
dann, wenn sie der Kosten-Nutzen-Rechnung standhalten. Die Verbetriebswirtschaftlichung
von Frauen- und Gleichstellungspolitik bedeutet dadurch die Chance, den ökonomischen
Nutzen für die Belange von Frauen, Frauenbewegungen und auch männlichen Sympathisan-
ten zu instrumentalisieren
69
. GM kann nach Kahlert somit zum ,,trojanischen Pferd" werden,
da es aufgrund ökonomischer Überlegungen eingeführt wird, aber dennoch eine Gleichstel-
lungspolitik vorantreibt
70
.
Schon der optimale Einsatz der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gemäß ihren Leistungspo-
tenzialen und nicht aufgrund geschlechtsspezifischer Zuschreibungen erhöht deren Effektivi-
tät beträchtlich und ist ebenso mit einer Erhöhung der Motivation und damit dem Abbau von
Fehlzeiten verbunden. Des Weiteren können auch die in der Familienphase erworbenen
sozialen und kommunikativen Kompetenzen wertvolle Ressourcen für ein Unternehmen
darstellen
71
. Böhnisch und Winter sprechen in diesem Zusammenhang von einer ,,Kapitalisie-
rung weiblicher Fähigkeiten". Kompetenzen, wie Kommunikation, Teamfähigkeit, Vernet-
zung und Kreativität erlangen eine immer größere Bedeutung für Unternehmen. Männer sind
hier aufgefordert, diese zu akzeptieren und sich anzueignen
72
. Die gleichberechtigte Chance
von Männern und Frauen zum Zugang zu Projekten erhöht außerdem die Effektivität von
Teams. So führen gemischtgeschlechtliche Teams, wenn sie entsprechend trainiert sind, zu
komplexeren Problemlösungen, da sie verschiedene Perspektiven einbringen. Auch wenn zu
berücksichtigen ist, dass Frauen und Männer keine homogenen Gruppen sind, können diese
gemischten Teams, beispielsweise bei der Produkt- und Konzeptentwicklung, aufgrund ihrer
geschlechtsbezogenen Sichtweise besser die Interessen und Bedürfnisse verschiedener Ziel-
gruppen erfassen. Für die Organisation führt die bessere Ausnutzung der Humanressourcen
somit zu einer Optimierung des Outputs
73
.
Wesentlicher Faktor für erfolgreiches Wirtschaften sind außerdem die Fach- und Führungs-
kräfte. Hierbei wird allgemein von einer zukünftigen Verknappung des Arbeitskräfteangebots
68
Vgl. Schunter-Kleemann, S. (2002), S.136f.
69
Vgl. Kahlert, H. (2005), S.49f.
70
Vgl. ebd., S.53.
71
Vgl. Döge, P. (2002), S.14.
72
Vgl. Böhnisch, L./Winter, R. (1993), S.142.
73
Vgl. Krell, G./Mückenberger, U./Tondorf, K. (2004), S.83.

Männer im Gendermainstream
22
dieser Gruppe ausgegangen. Werden durch die Umsetzung von GM für diese alternative
Karrieremuster angeboten, kann das einen großen Vorteil bei der Anwerbung des geeigneten
Personals gegenüber der Konkurrenz darstellen
74
. Jedoch ist die Berücksichtung von Ge-
schlechterfragen nicht nur für die Anwerbung neuer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hilf-
reich, sie dient ebenso dem positiven Image eines Unternehmens. Durch die öffentlich wirk-
same Darstellung seines Handelns, werden auch die Produkte des Unternehmens bei Konsu-
menten und Konsumentinnen in einem positiveren Licht erscheinen
75
.
Diese ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannten Beispiele zeigen, dass GM zur Moderni-
sierung, welche besonders aufgrund der Globalisierung der Märkte notwendig geworden ist,
beitragen kann. Die Humanressourcen können effizienter genutzt, der Output optimiert und
das Ansehen des Unternehmens verbessert werden. Die Verzahnungsmöglichkeiten von
betrieblicher Modernisierung und GM wurden damit deutlich
76
. Gerade darin ist die Chance
von GM zu sehen. Wenn auch die betriebswirtschaftlichen Vorteile für das Unternehmen im
Vordergrund stehen, so besteht doch in der Sensibilisierung der Unternehmen für Geschlech-
terfragen die Möglichkeit, die bisherigen Abwehrhaltungen gegenüber Gleichstellungspolitik
und Frauenförderung abzulegen und im Ergebnis tatsächlich eine größere Chancengleichheit
zu erreichen
77
.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass GM nicht nur eine Strategie für die öffentliche
Verwaltung darstellt, sondern auch für die Privatwirtschaft eine interessante, wenn langfristig
nicht sogar notwendige Option darstellt, sich mit dem Thema der Gleichstellung auseinander-
zusetzen. Somit können auch Männer, die nicht in der Verwaltung beschäftigt sind, in direk-
ten Kontakt mit GM kommen und, wie in der vorliegenden Arbeit dargestellt werden soll,
davon profitieren, denn dass sich GM auch an männlichen Personen richtet, ist unbestritten.
Welche Rolle sie im Rahmen der Strategie jedoch genau spielen, soll im Folgenden beschrie-
ben werden.
2.2.3. Männer als Akteure und Adressaten
Entscheidend für diese Arbeit und unterscheidend im Vergleich zu früheren Gleichstellungs-
strategien ist die Tatsache, dass Männer bei der Umsetzung von GM als Gestalter der Ge-
74
Vgl. Döge, P. (2002), S.15.
75
Vgl. Stiegler, B. (2002), S.13.
76
Vgl. Jung, D. (2004), S.211.
77
Vgl. ebd., S.215.

Männer im Gendermainstream
23
schlechterpolitik fungieren sollen. Das verwundert im ersten Moment, denn genau die Män-
ner, deren Haltungen und Verhaltensweisen man in der Vergangenheit selten genauer analy-
sierte, wurden häufig recht pauschal als Verhinderer der beruflichen Gleichstellung der Frau-
en abgestempelt
78
. Dennoch ist ihre bedeutende Rolle bei der Implementierung von GM
unumstritten, was schon aus der Definition des Europarates ersichtlich wird, wenn von der
Beteiligung aller politischen Akteure gesprochen wird. Nach Dunst wurde ,,mit dem An-
spruch der Querschnittspolitik deutlich, dass ohne die Mitarbeit von Männern Gleichberechti-
gung nicht zu erreichen ist"
79
. Wie auch die geschichtliche Entwicklung von GM aufzeigte,
war es ein wichtiges Anliegen, Männer endlich zum Zuhören bei Geschlechterfragen zu
zwingen
80
. Bedenkt man, dass es überwiegend Männer sind, welche die strategisch wichtigen
Positionen in Organisationen besetzen, ist es eine logische Folge, diese stärker in die Verant-
wortung zur Umsetzung von Chancengleichheit einzubeziehen
81
. Die bisherige Geschlechter-
kultur in der Bundesrepublik trägt jedoch nicht gerade dazu bei, dass Männer, selbst wenn sie
prinzipiell aufgeschlossen gegenüber Fragen der Geschlechtergleichstellung sind, sich aktiv
an dieser beteiligen. Geschlechterfragen meinen größtenteils nur Frauenfragen. Männer
dagegen werden einseitig als homogene Geschlechtergruppe betrachtet, welche deutliche
Vorteile gegenüber den Frauen genießt. Somit geraten die Männer in ein Dilemma. Klammern
sie Geschlechterfragen aus, wird ihnen ein Desinteresse daran vorgeworfen. Äußerungen zu
diesem Thema werden von feministischer Seite jedoch als Anmaßung gesehen
82
. ,,Diese
Geschlechterphilosophie setzte Frauen in kollektive Konkurrenz zu Männern"
83
. Männer
werden jedoch nicht nur von ihren Kolleginnen misstrauisch als Konkurrenz betrachtet,
sondern auch von männlichen Kollegen oftmals verspottet, wenn sie sich mit Geschlechter-
fragen beschäftigen
84
. Da GM nun ausdrücklich eine männliche Beteiligung fordert, bestehen
durch dessen Umsetzung gute Chancen, Männer aus diesem Dilemma zu befreien und damit
zugleich die Gleichstellungspolitik zu stärken. Wesentliche Neuerung, aber eben auch Bedin-
gung dieser integrierten Geschlechterpolitik, ist somit die ,,Einbeziehung von Männern in dem
ureigensten, weil autonom und gegen Männer erkämpften Politikfeld von Frauen"
85
.
78
Höyng, S./Lange, R. (2004), S.103.
79
Dunst, C. (2002), S.34.
80
Vgl. Stiegler, B. (2005), S.31.
81
Vgl. Jung, D. (2003), S.195.
82
Vgl. Döge, P./Stiegler, B. (2004), S.152ff.
83
Kahlert, H. (2005), S.54.
84
Vgl. Gesterkamp, T. (2004), S.116.
85
Sauerborn, W. (2003), S.36.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783836603904
Dateigröße
635 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen – Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,0
Schlagworte
mann gender mainstreaming gleichberechtigung geschlechterrollen ernährermodell sozialwissenschaften
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