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Tabuthema männliche Prostitution

Eine Herausforderung an die soziale Arbeit

©2006 Diplomarbeit 146 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Diese Diplomarbeit beschäftigt sich mit der männlichen Prostitution in Deutschland. Es wird hier speziell auf die Problematik eingegangen, die sich bei ausländischen sich prostituierenden jungen Männern ergibt, die als vorübergehende oder dauerhafte Migranten sich in Deutschland prostituieren. Voraus geht ein allgemeiner Teil, der die männliche Prostitution genauer beschreibt und sich mit den Problemlagen von Strichern beschäftigt.
Es wurden im empirischen Teil drei Interviews in verschiedenen Einrichtungen deutschlandweit mit Experten auf diesem Gebiet durchgeführt, um so einen genaueren Einblick in diesen Arbeitsbereich zu bekommen. Ebenso wird untersucht, in wie weit männliche Prostitution und Homosexualität heute noch sowohl in Deutschland als auch in den Herkunftsländern der Migranten als Tabuthemen gelten. In dieser Arbeit wird speziell auf die Länder Rumänien und Bulgarien eingegangen, da junge Männer aus diesen Ländern momentan den größten Teil an Migranten in der männlichen Prostitution ausmachen.
Ziel dieser Arbeit soll sein, die für diese Klientel besonderen und typischen Probleme und Konflikte herauszufinden und dabei aufzuzeigen, welche Herausforderungen an die soziale Arbeit gestellt werden und welche Handlungsmöglichkeiten der sozialen Arbeit für diese Klientel zur Verfügung stehen.
Des weiteren soll sich diese Arbeit nicht nur mit der männlichen Prostitution im Allgemeinen befassen, viel mehr soll es hier um jene Probleme gehen, die durch die Migration in der männlichen Prostitution entstehen. Durch die andauernde Erweiterung der EU kann man Veränderungen der Klientel im Stricherbereich beobachten- Migranten, die hauptsächlich aus Osteuropa, Afrika und Südamerika stammen sind nun, verglichen mit der deutschen Klientel, stärker vertreten.
1989, nach dem Fall der Mauer war es ähnlich, als viele Stricher aus der ehemaligen DDR und den Ostblockländern mit dem zunehmenden Strichertourismus in den Westen kamen. Es entstand ein Überangebot an Strichern, welches alsbald zu existenziellen Problemen der Stricher führte. Hinzu kam die rasant ansteigende Gewalt und das Problem, dass Stricher aus der ehemaligen DDR bis zu diesem Zeitpunkt nicht mit HIV und AIDS konfrontiert waren und auf Safer Sex- Praktiken keinen Wert legten. In den darauf folgenden Jahren kamen zunehmend junge Männer aus Polen und Tschechien, zunächst als Wochenendpendler, dann als Touristen, um sich in Deutschland zu prostituieren. Gründe […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Nikolas Hagele
Tabuthema männliche Prostitution - Eine Herausforderung an die soziale Arbeit
ISBN: 978-3-8366-0344-7
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Katholische Stiftungsfachhochschule München, München, Deutschland,
Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis
1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ... 3
2. Die mann-männliche Prostitution... 5
2.1. Überblick über die aktuelle Situation ... 5
2.2. Übersicht der vorhandenen Angebote und ihrer Grundmerkmale... 6
2.3. Zusammenfassung ... 8
3. Die verschiedenen Seiten der Prostitution... 11
3.1. Stricher mit professionellem Bewusstsein... 11
3.2. Stricher ohne professionelles Bewusstsein... 11
3.2.1. Sexuelle Identität der Stricher ... 13
3.2.2. Motivation der Stricher... 14
3.2.2. Problemlagen von Strichern ... 18
3.2.3. Lebenslagen von Strichern ... 21
3.2.4. Zusammenfassung ... 23
3.3. Freier... 23
3.3.1. Verschiedene Freiertypen... 24
3.3.2. Identität der Freier ... 25
3.3.3. Zusammenfassung ... 26
4. Orte der Prostitution ... 27
4.1. Die reale Stricherszene ... 27
4.1.1. Prostitution in öffentlichen Räumen... 27
4.1.2. Prostitution in halböffentlichen Räumen... 28
4.1.3. Prostitution in privaten Räumen... 30
4.2. Die virtuelle Stricherszene... 30
4.3. Zusammenfassung ... 31
5. Prostitution und Geld... 33
6. Prostitution und Recht ... 35
6.1. Das Prostitutionsgesetz... 35
6.2. Das Infektionsschutzgesetz... 36
6.3. Zusammenfassung ... 39
7. Die qualitative Datenerhebung ... 41

Inhaltsverzeichnis
2
7.1. Die Fragestellung... 41
7.2. Die Methodik... 42
7.2.1. Das Experteninterview ... 42
7.2.2. Auswahl und Beschreibung der Interviewpartner ... 43
7.2.3. Entwicklung des Interviewleitfadens ... 43
7.3. Die Stichprobe ... 44
8. Auswertung der Ergebnisse... 47
8.1. Darstellung der verschiedenen Interviews... 47
8.1.1. Interview in der Einrichtung I, sub/way in Berlin... 49
8.1.2. Interview in der Einrichtung II, looks e.V. in Köln... 57
8.1.3. Interview in der Einrichtung III, marikas e.V. in München ... 65
8.2. Die Interpretation... 72
9. Schlussfolgerungen für die soziale Arbeit... 77
9.1. Ziele der sozialen Arbeit... 77
9.2. Notwendigkeiten in der Arbeit mit Migranten ... 78
9.3. Professionalität in der Stricherarbeit ... 82
9.4. Arbeitsbereich und Methoden in der Stricherarbeit ... 84
9.5. Aussichten ... 88
10. Literaturverzeichnis... 89
11. Abbildungsverzeichnis ... 95
12. Interviewleitfaden... 97
12. Anhang ... 101

Einleitung
3
1. Einleitung
Diese Arbeit soll sich nicht nur mit der männlichen Prostitution im Allgemeinen befas-
sen, vielmehr soll es hier um die Probleme gehen, die durch die Migration in der männ-
lichen Prostitution entstehen. Durch die andauernde Erweiterung der EU kann man
Veränderungen der Klientel im Stricherbereich beobachten. Migranten, die hauptsäch-
lich aus Osteuropa, Afrika und Südamerika stammen sind nun, verglichen mit der
deutschen Klientel, stärker vertreten.
1989, nach dem Fall der Mauer war es ähnlich, als viele Stricher aus der ehemaligen
DDR und den Ostblockländern mit dem zunehmenden Strichertourismus in den Westen
kamen. Es entstand ein Überangebot an Strichern, welches alsbald zu existenziellen
Problemen der Stricher führte. Hinzu kam die rasant ansteigende Gewalt und das Prob-
lem, dass Stricher aus der ehemaligen DDR bis zu diesem Zeitpunkt nicht mit HIV und
AIDS konfrontiert waren und auf Safer Sex- Praktiken
1
keinen Wert legten
2
. In den
darauf folgenden Jahren kamen zunehmend junge Männer aus Polen und Tschechien,
zunächst als Wochenendpendler, dann als Touristen, um sich in Deutschland zu prosti-
tuieren. Gründe hierfür waren die leicht auszulebende Homosexualität und das große
Geld, das sie glaubten in Deutschland verdienen zu können. Die Problematik ähnelt der
in der ehemaligen DDR. Angebot und Nachfrage ist im Ungleichgewicht und ein Exis-
tenzkampf beginnt. Heute machen den Hauptanteil in Deutschland Jungs
3
aus Rumänien
und Bulgarien aus.
In dieser Arbeit wird nun das Thema der männlichen Prostitution zunächst allgemein
erläutert und dann mit Hilfe einer empirischen Untersuchung genauer auf die Migration
aus den Ländern Rumänien und Bulgarien in der männlichen Prostitution eingegangen.
Es wird untersucht, welche zusätzlichen Probleme mit dieser Klientel entstehen und wie
die soziale Arbeit darauf zu reagieren hat und welche Herausforderungen an sie gestellt
werden.
1
Bedeutet sexuelle Praktiken, bei denen das Risiko von sexuell übertragbaren Krankheiten minimiert
bzw. ausgeschlossen wird.
2
vgl. WERNER, 1993, S. 140.
3
Diese Bezeichnung für Stricher, welche vor allem in der Szene häufig gebraucht wird, wird ebenso in
der folgenden Arbeit verwendet.

Die mann-männliche Prostitution
5
2. Die mann-männliche Prostitution
Unter mann-männlicher Prostitution versteht man das regelmäßige oder gelegentliche
Angebot von sexuellen Dienstleistungen durch Jugendliche oder junge Männer. Als
Gegenleistung werden Geld oder materielle Werte wie Nahrungsmittel, Unterkunft oder
Kleidung, die zum Lebensunterhalt beitragen, geboten. Als Gegenwert kann auch die
Bereitstellung oder die Finanzierung von Drogen wie Heroin, Crack, synthetische
Drogen, Alkohol, Cannabis und Tabletten gehören. Auch dient Schmuck, teure Desig-
nerware als Zahlungsmittel. Die Erfüllung von emotionalen Bedürfnissen wie Gebor-
genheit, Liebe, Sicherheit und Zuwendung bleibt außen vor.
4
2.1. Überblick über die aktuelle Situation
Männliche Prostitution ist ein urbanes Phänomen und findet hauptsächlich in Metropo-
len statt, dort vor allem in den Innenstädten bzw. Bahnhofsbereichen.
Eine genaue Angabe zu machen, wie viele Stricher es momentan in Deutschland gibt,
ist unmöglich. Es gibt nur grobe Schätzungen der einzelnen Stricherprojekte, da sich die
Zahl durch die vielen, nur zeitweise sich hier aufhaltenden Migranten, sowie der hohen
Fluktuation und Mobilität der Stricher, immer in Veränderung befindet. Eine weitere
Schwierigkeit stellt die hohe Anonymität dar, da nicht die ganze Szene institutionalisiert
ist. Ebenso ist der Begriff der ,,Stricher" nicht klar zu definieren. Schickedanz gelangte
bereits in seiner Untersuchung aus dem Jahre 1979 zur Annahme, dass die Zahl der
Stricher, die sich in der damaligen BRD hauptberuflich prostituierten, auf 5000 kommt.
Zusätzlich schätzte er, dass sich weitere 15.000 Jungs und junge Männer gelegentlich
prostituieren
5
. Genauere Zahlen, die auf ganz Deutschland zu beziehen sind, sind nicht
vorhanden. Die einzelnen Stricherprojekte geben ungefähre Zahlen in deren jeweiligen
Regionen. So schätzt SUB/WAY Berlin e.V. die Zahl der anschaffenden jungen Männer
auf ca. 1000, Looks e.V. gibt an, dass sie ca. 500 Jungs im Jahr treffen, und schätzen,
dass 1000 Jungs im Jahr in Köln anschaffen
6
. Marikas in München redet von ca. 300
Jungs, die konstant in München ihre Dienste anbieten und 300 Jungs, die sie übers Jahr
4
vgl. WERNER, 1997, S. 182.
5
vgl. SCHICKEDANZ, 1979, S. V.
6
anschaffen bedeutet als männliche oder weibliche Prostituierte(r) zu arbeiten.

Die mann-männliche Prostitution
6
in München treffen.
7
Einer genaueren Untersuchung zu Folge konnte Wright die Zahl
der Stricher, die im Ruhrgebiet und in Düsseldorf anschaffen exakt benennen. So halten
sich in Düsseldorf zwischen 488 - 598 und im gesamten Ruhrgebiet zwischen 110 - 130
Stricher auf.
8
Diese Stricher sind nicht nur deutscher Herkunft, sondern kommen haupt-
sächlich aus den Ostblockländern wie Rumänien, Bulgarien, den slawischen Ländern,
Polen, Tschechien und der Türkei. Diese Migranten, die hier meist einen ungeregelten
Aufenthaltsstatus durch ein Touristenvisum haben und somit illegal arbeiten, machen
den größten Anteil der Klienten in den Stricherprojekten aus. Es wird häufig auch von
Armutsprostitution gesprochen, da viele der Jungs sich prostituieren, um sich und ihre
Familien in den Herkunftsländern durchzubringen
9
. Beachtenswert ist, dass sich in den
einzelnen Städten jeweils unterschiedliche ethnische Hauptgruppen angesiedelt haben.
So haben viele Migranten ihren Fixpunkt im Zielland Deutschland, zu dem sie immer
wieder zurückkehren, da dieser ihnen Vertrauen in einer Welt gibt, in der sie sich nicht
wirklich zurechtfinden.
10
2.2. Übersicht der vorhandenen Angebote und ihrer Grund-
merkmale
Aktuell gibt es in Deutschland sieben Stricherprojekte. Diese Projekte haben einen sehr
niedrigschwelligen Zugang, das heißt sie befinden sich fast alle in Bahnhofsnähe bzw.
in der Nähe der Stricherszene
11
. Diese Anlaufstellen haben die Funktion einer Versor-
gungseinrichtung, die psychische und physische Grundbedürfnisse abdecken soll. So
bieten die Anlaufstelle konkrete Überlebenshilfen. Die Stricher haben hier die Möglich-
keit zu Beratungen, Gesprächen, medizinischer Versorgung und die Grundbedürfnisse
wie Essen, Körperhygiene, Erholung und Regeneration zu befriedigen. Nicht zuletzt
dient eine Anlaufstelle aber auch als Informationsvermittlung über HIV/ Aids
12
, STD
13
und, Safer Sex, Safer Use
14
und rechtliche Informationen.
7
vgl. Quelle aus persönlichen Gesprächen.
8
vgl. WRIGHT, 2003, S. 64ff.
9
vgl. REICHERT, taz Magazin Nr. 7624, S IV.
10
Quelle aus persönlichen Gesprächen.
11
Deutsche Aidshilfe, AKSD- Leitlinien, 2002, S.158.
12
HIV: human infected virus, so nennt sich der Virus. Aids: so nennt sich die Krankheit, die durch den
Virus entsteht.
13
STI aus dem englischen sexual transmitted infections: sexuell übertragbare Infektionen.
14
Safer use aus dem englischen: sicherer Gebrauch von intravenös injizierten Drogen.

Die mann-männliche Prostitution
7
Es ist wichtig, dass es in den Anlaufstellen täglich eine warme Mahlzeit gibt, da es
vielen Strichern nicht möglich ist durch ihre schlechte wirtschaftliche Lage, sich ausrei-
chend zu versorgen - und gerade diese Stricher stellen die Zielgruppe von solchen
Anlaufstellen dar.
15
Viele Stricher sind oft tagelang auf der Straße unterwegs und des-
halb ist ein Angebot zur Körperhygiene ebenso wichtig. Um die allgemein schlechte
finanzielle Lage zu entschärfen, gibt es in vielen Einrichtungen eine Kleiderkammer.
16
Als weitere Funktion dient eine Anlaufstelle als Schutzraum. Es wird hier vor allem ein
konkurrenz- und stressfreier Raum geschaffen, wo ein Austausch untereinander aber
auch Gespräche mit den Mitarbeitern stattfinden können. Die Anlaufstellen sind aber
auch ein Treffpunkt wo Gemeinschaft erfahren werden kann durch gemeinsame Aktivi-
täten. Kostenlose Kondome und Gleitmittel, Infobroschüren über sexuell übertragbare
Krankheiten, über HIV und Aids und Infos über rechtliche Veränderungen im Asylrecht
oder Prostitutionsgesetz
17
gehören zur Grundausstattung einer jeden Anlaufstelle.
Einige Projekte haben zusätzlich ihre festen Notschlafstellen, die vor allem für minder-
jährige und obdachlose Stricher gedacht sind. Diese ,,Notunterkünfte" sind oft in Form
von kompletten Wohnungen ebenfalls in sehr szenenahen Gebieten untergebracht
18
.
1993 haben sich die bis dahin bestehende fünf deutsche Stricherprojekte zu einem
Arbeitskreis für deutschsprachige Stricherprojekte (AKSD) vereint. ,,Der AKSD ver-
steht sich als Fachgremium von hauptamtlichen Mitarbeitern/ Mitarbeiterinnen in der
Stricher- Sozialarbeit. Aufgaben des AKSD sind es die Zusammenarbeit der Projekte zu
verbessern, um durch Erfahrungsaustausch und Reflexion eine professionellere Ar-
beitsweise zu gewähren. Des Weiteren wurde festgelegt, welche Arbeitsbereiche
19
die
Stricherarbeit einschließt. Gegenseitige Unterstützung der verschiedenen Institutionen
und die Zusammenarbeit aller Stricherprojekte sind eine der wichtigsten Aufgaben.
20
Der Arbeitskreis bietet interne Fortbildungsmöglichkeiten und Entwicklungsmöglich-
keiten an, ist aber auch ein Gremium für Informations- Fort- und Weiterbildung für
externe Interessierte, Projekte im Aufbau, Ämter etc.
21
Heute sind auch in den Arbeits-
kreis Projekte aus den Niederlanden und der Schweiz mit einbezogen und der AKSD
15
vgl. SCHLAGHECK, 2002, S.40.
16
vgl. Deutsche Aidshilfe, AKSD- Leitlinien, 2002, Kapitel 158.
17
Eigene Beobachtung durch den Besuch mehrerer Einrichtungen.
18
vgl. SCHLAGHECK, 2002, S. 41f.
19
vgl. Punkt 8.4. dieser Arbeit.
20
vgl. Internationaler Fachkreis für Stricherarbeit im deutschsprachigem Raum, 2002, S.123f.
21
Vgl. Internationaler Fachkreis für Stricherarbeit im deutschsprachigem Raum, 2002, S. 126f.

Die mann-männliche Prostitution
8
wurde umbenannt in ,,internationaler Fachkreis für Stricherarbeit im deutschsprachigen
Raum", wobei die Abkürzung AKSD beibehalten wurde. Aktuell existieren Leitlinien,
die 2002 entwickelt wurden und erstmals ein einheitliches Konzept und Grundsätze für
diesen neuen Bereich beinhalten. Die Inhalte stellen eine Beschreibung der Zielgruppe
dar, Ziele und Leitideen der Arbeit, Arbeitsmethoden, Arbeitsbereiche und Rahmenbe-
dingungen für die Stricherarbeit sowie eine Orientierungshilfe für Mitarbeiter/ Mitarbei-
terinnen.
Im Jahre 1997 wurde auf internationaler Ebene von AMOC/ DHV
22
mit Partnern aus 18
verschiedenen Ländern das ,,European network of male prostitution"
23
(ENMP) ins
Leben gerufen. Dabei hat jedes teilnehmende Land eine(n) Koordinator/ Koordinatorin,
die/ der für den Aufbau eines nationalen Netzwerkes im Bereich der männlichen Prosti-
tution verantwortlich ist und regelmäßig dem nationalen und internationalen Netzwerk
Bericht erstattet. ENMP ist in drei Hauptgruppen eingeteilt, nämlich Südeuropa, Mittel-
und Osteuropa und Nordeuropa. ENMP hat durch Zusammenarbeit der verschiedenen
Länder ein Handbuch entwickelt, wo all die unterschiedlichen Erfahrungen, vor allem
im Bereich HIV- und STI- Prävention, gesammelt und niedergeschrieben wurden.
Bisher wurden verschiedene Netzwerkaktivitäten durchgeführt: eine Pilotstudie, bei der
Migration unter Strichern als völlig neues und unbekanntes Phänomen beschrieben
wurde, ein Internetstudie, in der herausgefunden werden sollte, wie viele Männer Sex
im Internet anbieten, wie der gesamte Sexmarkt im Internet organisiert ist und welche
Möglichkeiten es für die soziale Arbeit gibt, mit diesem Sexmarkt umzugehen. Ebenso
wurde ein Training für Mitarbeiter in Strichereinrichtungen angeboten, bei dem es vor
allem um Methoden und Strategien in der Kontaktaufnahme ging, aber auch um Netz-
werk-Zusammenarbeit und um die Entwicklung von Präventionskonzepten.
24
2.3.
Zusammenfassung
Der Arbeitsbereich der männlichen Prostitution hat sich in den letzten Jahren, bedingt
durch die Erweiterung der EU und der Zunahme an männlichen Migranten in der Stri-
cherszene, ausgeweitet. In Deutschland gibt es mittlerweile sechs anerkannte Stricher-
projekte, die im Rahmen des AKSD zusammenarbeiten. Da die Klientel in diesem
22
Stichting Amsterdams Oecumenisch Centrum/ Stichting deutscher Hilfsverein.
23
ENMP: europäisches Netzwerk für männliche Prostitution.
24
Vgl. Deutsche Aidshilfe- ENMP, europäisches Netzwerk, 2003, S. 131- 136.

Die mann-männliche Prostitution
9
Bereich immer internationaler wird, ist man um eine Zusammenarbeit sowohl im natio-
nalen als auch im internationalen Bereich bemüht. So wird versucht, durch die Erfah-
rung der einzelnen Projekte das Angebot der Anlaufstellen auf die Klientel zuzuschnei-
den. Durch diese Zusammenarbeit sollen ebenso neue und dem Klientel angemessene
Präventionskonzepte entwickelt werden.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
11
3. Die verschiedenen Seiten der Prostitution
Zur Prostitution gehören zwei Seiten: Einerseits derjenige, der die sexuellen Dienstleis-
tungen anbietet und als ,,Stricher" bezeichnet wird und andererseits derjenige, der die
angebotenen sexuellen Dienstleistungen in Anspruch nimmt, dafür bezahlt und als
,,Kunde" oder ,,Freier" bezeichnet wird. Es gibt ,,Freierinnen", diese sind jedoch im
Verhältnis zu den Männern in der Minderheit.
3.1. Stricher mit professionellem Bewusstsein
Stricher mit professionellem Bewusstsein auch ,,Callboys" genannt, sind junge, volljäh-
rige Männer, die bewusst und selbstsicher sexuelle Dienste anbieten, um ihren Lebens-
unterhalt zu verdienen um sich materielle Wünsche erfüllen zu können. Sie stellen hohe
Ansprüche an ihren eigenen Körper, an ihre Gesundheit und ihre Bildung. Callboys
müssen in ihrer Arbeit eine hohe Flexibilität hinsichtlich der Örtlichkeit als auch des
Angebotes der Dienstleistungen aufweisen. Sie zeichnen sich aus durch ihre ausgepräg-
te Identität in Bezug auf ihre Arbeit als Callboy und vor allem auf ihre sexuelle Orien-
tierung. Die Callboys sind von der Gesellschaft weniger diskriminiert und fühlen sich
selbst weniger desorientiert.
25
Orte für die Prostitution dieser Strichergruppe sind die
eigene Wohnung, Clubs und Apartments, Striptease-Lokale, in der Pornobranche und in
Begleitagenturen (Escort-Service). Selten sind sie in öffentlichen Einrichtungen für
Stricher zu finden, da sie häufig ein anonymes Leben führen wollen und aufgrund ihrer
wirtschaftlichen sozialen Situation die Angebote nicht benötigen. Auch Angebote von
Einrichtungen zur Selbsthilfe für Callboys werden selten in Anspruch genommen, da
die Tätigkeit der Prostitution eine enorme Konkurrenz mit sich bringt und somit eine
Zusammenarbeit oft nicht stattfinden kann.
3.2. Stricher ohne professionelles Bewusstsein
Die Gruppe der Stricher ohne professionelles Bewusstsein ist weitaus größer als die der
Callboys. In dieser Arbeit wird nur auf diese Gruppe der Stricher eingegangen.
25
vgl. SCHICKEDANZ, 1979, S. 87f.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
12
Die Jungs kommen aus unterschiedlichen Lebensräumen und Kulturen in verschiedenen
Lebensaltersstufen in die Prostitution, wobei sie sich hier selbst zurechtfinden müssen
und die Regeln der Stricherszene eigenständig erfahren und erlernen und die Szenen-
mitglieder einschätzen müssen.
26
Sie gehen der Prostitution nach, um sich kurz- oder
langfristig ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es dreht sich somit alles um das Geld, es
wird im Hier und Jetzt und von ,,der Hand in den Mund" gelebt ohne Zukunftsplanung
und Zukunftsperspektiven. Ein Bewusstsein für die Prostitutionsausübung ist nicht
vorhanden, die Prostitution dient eher als Mittel zum Zweck des Überlebens. Viele der
Jungs und jungen Männer träumen von der klassischen Normalfamilie mit Frau und
Kind. Durch ihre mangelnde Identität, verglichen mit den professionellen Strichern,
verfestigen sie ihre Rolle in der unteren Schicht der sozialen Hierarchie in der Szene
und sind daher auch einer größeren Diskriminierung ausgesetzt.
27
Es kann nicht von
dem typischen Strichjungen gesprochen werden, da die Jugendlichen und jungen Män-
ner, die der männlichen Prostitution nachgehen, eine äußerst heterogene Gruppe darstel-
len. Die einzige Gemeinsamkeit, ist der Verkauf von sexuellen Handlungen. Sie unter-
scheiden sich aber in ihren Einstellungen, in ihren Identitäten, Nationalitäten und Moti-
vationen.
28
Zu den nicht professionellen Strichern zählen auch diejenigen, die auf Grund ihres
Alters oder ihres aufenthaltsrechtlichen Status juristisch unselbstständig und ebenso für
professionelle Hilfen schwer erreichbar sind
29
. Oft fliehen die Minderjährigen aus ihren
zerrütteten Familien oder aus Heimen und begeben sich auf Trebe,
30
um der unerträgli-
chen Situation und den damit verbundenen Problemen zu entkommen
31
. Als Minderjäh-
rige verfügen sie nicht über das Recht, ihren Aufenthaltsort selbst zu bestimmen und
werden von der Jugendbehörde meist an den Ort zurückgebracht, von dem sie geflüchtet
sind. Aus dieser emotional schwierigen Situation heraus entstehen oft Kontakte zu
pädophilen Männern, die den Jungs scheinbar Freiheiten, Anerkennung, Liebe und
Geborgenheit geben. Jedoch stehen hier im Gegenzug die sexuellen Handlungen, die
diese aufgezählten Bedürfnisse wieder zunichte machen. Der Pädophile, der für den
Jungen Vaterersatz oder großer Bruder darstellt, verliert mit zunehmendem Alter des
26
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 64.
27
vgl. SCHICKEDANZ, 1978, S. 80; WAGNER, 1990, S. 45f.
28
vgl. ASKD Leitlinien, 2002, Kapitel 1, Zielgruppe.
29
vgl. WERNER, 1997, S. 184.
30
So nennt man von zu Hause ausgerissene Jugendliche, die vorübergehend ohne festen Wohnsitz sind
und die sich oft an Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen aufhalten.
31
vgl. MÖBIUS, 1990, S. 30.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
13
Jungen das Interesse. In der Regel beginnen diese, ihre Jungs mit ca. 14 Jahren in die
Stricherszene einzuführen
32
. Das Ergebnis ist eine weitere große Enttäuschung des
Jungen, der sich nun in einer Notsituation befindet und sich dadurch unfreiwillig prosti-
tuiert.
3.2.1. Sexuelle Identität der Stricher
Eine klare und stabile sexuelle Identität haben viele Stricher, vor allem die Jüngeren,
noch nicht gefunden oder sie ist noch nicht genügend gefestigt, obwohl sich alle durch
die Prostitution homosexuell verhalten
33
. Ihre sexuellen Identitäten sind äußerst wider-
sprüchlich und spiegeln Tendenzen von Männlichkeitsideologien, Wunschdenken und/
oder Homosexuellenhass. So dient der Strich vielen Jungs, bewusst oder unbewusst, als
Experimentierfeld auf der Suche nach ihrer sexuellen und persönlichen Identität.
34
Durch die sexuellen Handlungen, die zwischen Strichern und Freiern ablaufen, kommt
es häufig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wenn die Männlichkeit der Stricher
in Frage gestellt wird. ,,Diese Jungen verteidigen also ihre sexuelle Identität, wie sie sie
begreifen; und diese Identität scheint fest verankert und erduldet nicht einmal eine
Relativierung zur so genannten Bisexualität."
35
Dies bedeutet aber nicht, dass es nur
heterosexuelle Jungs auf dem Strich gibt. ,,Unter den Strichjungen wird man Hetero-,
Homo- und Bisexuelle finden, aber auch solche, die sich ihrer Sexualorientierung noch
unsicher sind, solche, die ihre Heterosexualität unterstreichen, in der Prostitution aber
ihre latenten homosexuellen Anteile befriedigen, und solche, die die Prostitution als
Hilfe für ihr homosexuelles ,,Coming Out" verwenden.
36
Ebenso bezeichnen sich viele
Jungs als bisexuell. Die Prostitution wird als Geschäft angesehen, bei dem homosexuel-
le Handlungen nur für eine Gegenleistung praktiziert werden. So haben Stricher auch
auf privater Ebene sexuelle Kontakte zu nur Frauen, aber nicht immer aus Überzeugung,
sondern auch um sich selbst zu beweisen, für Bezahlung als homosexuell zu gelten.
37
Zu beobachten ist jedoch eine gefestigte homosexuelle Identität bei den meisten profes-
32
vgl. FINK/WERNER, 2005, S. 68.
33
vgl. SCHROTT/ PANT/ KLEIBER, 1994, S. 399ff.
34
vgl. TEUERKAUF, 2003, S. 36.
35
LAUTMANN, 1990, S. 8.
36
vgl. TEUERKAUF, 2003, S. 28.
37
vgl. VOLKWEIN/ WERNER, 1998, S. 116f.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
14
sionell anschaffenden Strichern bzw. Freiern
38
.Warum für viele der Stricher die Identi-
tätsfindung ein Problem darstellt, ist darauf zurückzuführen, dass viele Jungs unter
mangelnde Identifikationsmöglichkeiten, hervorgerufen durch die fehlende Vaterrolle
oder die oft daraus entstehende Überbehütung der Mütter leiden. Folgen sind dann
Identifikationsverluste, wodurch sie nicht mehr im Stande sind, selbstständig Entschei-
dungen zu treffen und sich nicht auf eine psychosoziale und psychosexuelle Identität
festlegen können.
39
3.2.2. Motivation der Stricher
Männliche Prostituierte gehen der Prostitution aus sehr unterschiedlichen Gründen nach.
Diese variieren je nach Prostitutionsform, ob professioneller/ nicht professioneller
Prostitution, Armutsprostitution, Alter, existenzieller Situation und sozialer Herkunft.
Über allem steht jedoch immer noch Geld, das alle benötigen, um sich entweder nur ein
Taschengeld zu verdienen oder seinen gesamten Lebensunterhalt oder auch eine Dro-
gensucht damit zu finanzieren.
Im Folgenden werden nun die häufigsten Motivations-
gründe aufgelistet, die Stricher dazu veranlassen, ihren Körper und sexuelle Handlungen
zu verkaufen.
· Die Suche nach dem Vater: Immer wieder sind auch in der männlichen Prostitu-
tion Jungs zwischen 9 und 14 Jahren anzutreffen, die sich häufig vor Klappen
40
,
schwulen Saunen oder in Schwimmbädern aufhalten. Hier warten sie, da sie
wissen, dass Männer diese Orte aufsuchen, um mit Jungs in Kontakt zu kom-
men. Was diese Jungs dazu motiviert, mit weitaus älteren Männern mitzugehen
und auch sexuelle Handlungen über sich ergehen zu lassen, hat unterschiedliche
Motive. Die Jungs sind auf der Suche nach einem Vater, da sie ihren eigenen nur
kurz oder nie gesehen haben. Es fehlt also die Vaterfigur in der Entwicklung des
Jungen, die die Mutter nicht auszugleichen vermag. Der Pädophile ist hier erst-
rangig die emotionale Bezugsperson, die so lange gesucht wird. Sie steht im
Vordergrund und der Junge ist bereit dafür sexuelle Handlungen auszuüben oder
über sich ergehen zu lassen
41
.
38
vgl. Punkt 3.1. dieser Arbeit.
39
SCHICKEDANZ, 1979, S. 151 ff.
40
vgl. Punkt 4.1.1. dieser Arbeit.
41
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 70.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
15
· Die Flucht aus Heimen und der Familie: Viele der Jungs die anschaffen, stam-
men aus sehr zerrütteten Familien, wachsen in Heimen auf oder kommen aus
Familien der ,,sozialen Unterschicht". Geprägt durch Alkoholismus in den Fami-
lien, Stiefväter ohne Interesse am Stiefkind, sexueller Missbrauch
42
und psychi-
sche Gewalt sowie die Überbelastung allein erziehender Mütter und die aus allen
diesen Missständen resultierende soziale Vernachlässigung, bringt die meisten
Jungen dazu, das Leben auf der Straße dem zu Hause vorzuziehen. So verglei-
chen Jungen das Leben auf dem Strich mit ihrem Leben, das sie zuvor gelebt
haben und sehen die neue Lebenssituation als eine mit besseren Perspektiven.
Der Kontakt zu anderen Menschen mit Erfahrungen auf der Straße und der Kon-
takt zu diesen führt schnell dazu, dass sie dieses Milieu sehr rasch als ihre neue
Familie bezeichnen
43
. Hier finden sie aber auch Freier, die ihnen die volle Auf-
merksamkeit schenken, die ihnen bessere Wohnverhältnisse bieten und um sie
einen ,,Wettbewerb" veranstalten. Noch dazu können sie sich ihre ,,Wahlfami-
lie
44
" aussuchen. Auf sexueller Ebene gesehen, können sie Sex mit Freiern oder
anderen Strichern haben ohne als homosexuell abgestempelt zu werden. Das Ge-
fühl, sich den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, das Abenteuer und das An-
treffen von Gleichgesinnten, tragen auch zu dieser neuen und scheinbar besseren
Perspektive bei. Aber nicht nur materielle Werte sind Motivationsgründe, son-
dern auch die Abenteuerlust, der Spaß am Sex, die Möglichkeit zu wechselnden
Sexualpartnern
45
und das Coming Out.
· Coming Out: Unter Coming Out versteht man den intensiven und lebenslangen
Prozess, bei dem sich ein Jugendlicher mit seiner homosexuellen Orientierung
auseinandersetzen muss, sich die Homosexualität selbst eingestehen muss und
lernen muss, sich so zu akzeptieren. Man teilt das Coming Out in unterschiedli-
che Phasen ein, nämlich das innere Coming Out, bei dem der Jugendliche er-
kennt, homosexuell oder bisexuell zu sein, das familiäre Coming Out, bei dem
der Jugendliche seiner näheren Umgebung, Familie, und Freunden mitteilt, ho-
42
vgl. STALLBERG, 1990, S. 23f; Nach einer Umfrage von Weissberg zufolge, wurden 29% der von ihr
Befragten von eigenen Familienmitgliedern und 15% von nicht Verwandten Personen missbraucht
worden zu sein.
43
vgl. PFENNIG, 1994, S. 9.
44
Stricher können sich den Freier aussuchen, bei dem sie sich wohl fühlen, der am ehesten der Vaterrolle
gerecht wird und der die von ihnen erwarteten Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit und Zuneigung am
besten befriedigen kann.
45
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S.78 und 225.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
16
mosexuell zu sein, das globale Coming Out, bei dem die Einstellung überwiegt,
dass es alle Welt wissen soll und letztens, das lebenslange Coming Out.
46
Was
in dieser Phase passiert, ist abhängig davon, wie die vorherigen Phasen erfahren
wurden. Viele Jungs benutzten auch die Stricherszene als Ort des Coming Out,
da sie hier nicht dem Druck ausgesetzt sind, Stellung zu ihrer Sexualität zu be-
ziehen und nicht zugeben müssen, schwul oder bisexuell zu sein. So bietet die
Stricherszene guten Schutz, da demselben Problem ebenso viele Freier ausge-
setzt sind und das Thema tabuisiert wird. Ein großer Nachteil besteht darin, dass
Stricher, die ihr Coming Out in der Stricherszene erleben, nicht lernen, ihre ei-
genen Bedürfnisse nach Liebe und Geborgenheit zufrieden zu stellen und eigene
Wünsche anzumelden.
47
· Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch: Spätestens dann, wenn die Jungs eini-
ge Zeit anschaffen, erleben diese häufig Missbrauchserfahrungen durch gewalt-
bereite Freier. Viele von ihnen haben jedoch bereits in ihrer frühen Kindheit se-
xuellen Missbrauch durch Eltern oder Bekannte erlebt. So handeln diese Jungs
nach dem Belohnungsprinzip, das sie durch den Missbrauch sehr früh erlernt
und diese Verhaltensweisen verinnerlicht haben. Es besagt, dass sie durch sexu-
elle Handlungen mit Zuneigung, Liebe und Aufmerksamkeit belohnt werden.
Auf dem Strich versuchen sie die genannten Gefühle zu finden, bleiben jedoch
weiter in der Opferrolle, da sie den sexuellen Missbrauch noch nicht aufgearbei-
tet haben. Bisher ist man davon ausgegangen, dass nur deutsche Stricher, ge-
prägt durch sexuelle Missbrauchserfahrungen auch durch Pädophile, in die
männliche Prostitution hineingeraten. Nach Jahren berichten nun auch Stricher
aus osteuropäischen Ländern von sexuellen Erlebnissen vor ihrem 14ten Lebens-
jahr mit pädophilen Männern aus Deutschland.
48
· Drogenabhängigkeit: Bei den Junkiestrichern
49
ist Beschaffungsdruck Motivati-
on für die Prostitution. Der Drogenkonsum steht im Vordergrund. Die Prostitu-
tion ist nur ein Nebeneffekt, bei dem die Tendenz zu riskanten Sexualpraktiken
in Bezug auf HIV und STI steigt. Viele dieser Stricher verkaufen sich für sehr
wenig Geld und werden somit wiederum von anderen Strichergruppen diskrimi-
46
vgl. EURO-KOPS, 1999, 53ff.
47
vgl. FINK/WERNER, 2005, S. 90.
48
vgl. Protokoll DAH Seminar S. 9.
49
Dieser Begriff wurde 1992 bei einem Konzeptseminar der deutschen Aidshilfe definiert.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
17
niert und mit Vorurteilen belastet. Die typischen Drogen in dieser Szene sind
Partydrogen wie Exctasy, Amphetamine und Kokain und natürlich Haschisch
und Marihuana, aber auch Heroin und Crack. Genauso gelten Drogen oft als
Zahlungsmittel der Freier. Vor allem Alkohol, dient als zeitliches Überbrü-
ckungsmittel, wenn die Stricher in den Kneipen oder auf dem Straßenstrich auf
Freier warten. Häufig entstehen aber auch Spielsüchte an Spielautomaten oder
mit dem Handy.
50
Viele Jungs bezeichnen die Stricherszene an sich als Droge.
Der Ausstieg ist schwer, die einzigen Freunde sind in der Szene und neue
Freunde distanzieren sich, sobald sie von der Prostitutionsausübung erfahren.
51
· Migration: Migranten nehmen in der Stricherszene einen Anteil von bis 85%
ein. Ein ständiger Wandel im Bereich der Migranten ist zu beobachten. Junge
Männer entscheiden sich für die Arbeit im Ausland, da sie in ihren Herkunfts-
ländern nicht genügend Förderung oder Möglichkeit haben, ihre physische oder
psychische Sicherheit zu erlangen. Es herrscht für sie der Eindruck, dass be-
stimmte Ziele, z. B. Anbindung an eine medizinische Grundversorgung in ihrer
Herkunftsgesellschaft nicht erreicht werden können. Ebenso emigrieren viele
junge Männer, da sie sich in den Herkunftsländern nicht verwirklichen können,
zum Beispiel auf Grund der strengen Sanktionen des Staates oder der Kirche. So
ist es für manche Migranten auch die einzige Chance, ihre Homosexualität un-
gehindert und ohne gesetzliche Bestrafung auszuleben. Es besteht auch oft nur
der Wunsch auszusteigen. Nicht immer ist die politische Situation gesichert und
führt dazu, dass sich einzelne Personen oder Gruppen auf die Flucht begeben
müssen. Die häufigsten Motivationsgründe sind aber immer noch die schlechten
wirtschaftlichen Verhältnisse, die es nicht zulassen, ein ausreichend gesichertes
Leben zu führen.
52
Die meisten Migranten stammen momentan aus den Ost-
blockländern, vor allem aus den Ländern Rumänien und Bulgarien,
53
aber auch
aus Südamerika, Afrika und aus Nah- und Fernost. Die schlechte wirtschaftliche
Lage veranlasst viel junge Männer ins Auslande zu gehen, dahin zu gehen, ,,wo
das Geld auf der Straße liegt"
54
, um die eigene Familie zu unterstützen. Die
schlechten Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, auch bedingt durch den il-
50
vgl. Information aus den durchgeführten Interviews.
51
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 83.
52
vgl. FINK/WERNER, 2005, S. 269f.
53
Informationen aus den durchgeführten Interviews.
54
Zitat aus dem Interview I.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
18
legalen Aufenthaltsstatus, führen bei vielen Migranten als letzte Möglichkeit
Geld zu verdienen, zum Einstieg in die mann-männliche Prostitution.
· Abziehen: Einige nutzen die Szene, um an Geld zu gelangen ohne unbedingt als
Gegenleistung sexuelle Dienstleistungen anzubieten. Dieses so genannte ,,Abzie-
hen" des Freiers hat zum einen den Effekt, dass ein Stricher an mehr Geld
kommt und zum anderen eine ,,Eigenschutzfunktion." Vor allem Jungen im Co-
ming Out versperren sich diese dadurch den Rückweg zu manchen Freiern, die
sie vielleicht als sympathisch und angenehm empfunden haben und verbieten
sich somit, den Freier wieder zu treffen. Ihre Angst, ,,etwas schön zu finden, was
überhaupt nicht schön sein darf." ist ebenso von großer Bedeutung. Genauso
dient es dem Selbstschutz der Stricher bei unangenehmen Freiern, den aufge-
kommenen Ekel zu verdrängen und durch das ,,Abziehen" zu kompensieren.
3.2.2. Problemlagen von Strichern
Stricher, die mit einem unprofessionellem Bewusstsein anschaffen,
55
sind häufig einer
Vielfalt von psychischen, sozialen und gesundheitlichen Problemen ausgesetzt. Die
Jungs leben hauptsächlich auf der Straße, da sie von zu Hause vertrieben wurden oder
von dort oder aus Heimen geflüchtet sind. Sie gehen einer von der Gesellschaft verach-
teten Tätigkeit nach und dadurch entstehen weitere Schwierigkeiten. Hinzu kommt, dass
Stricher in einem bestimmten Alter, oft schon Mitte 20, aus der Stricherszene herausfal-
len, da attraktivere junge Stricher nachkommen und die älteren vom Markt verdrän-
gen.
56
Psychische Probleme sind häufig schon vorhanden, da viele aus zerrütteten
Familien oder chaotischen Familienkonstellationen kommen, Heim- und Psychiatrieauf-
enthalte hinter sich haben und frühe kindliche Erfahrungen durch sexuellen Missbrauch
gemacht haben. Somit ist bei den meisten die Herkunftsproblematik sehr ähnlich. ,,Für
einige Jungen bedeutet das Anschaffen nichts weiter als das, was sie zuvor schon in der
Familie machen mussten. Für etwas Geborgenheit, Aufmerksamkeit oder Zuneigung
mussten sie sich gut verkaufen können. Jungen, die anschaffen, sind auf der Suche nach
dem, was sie in der Familie nie selbstverständlich bekommen haben und setzen das ein,
was sie beispielsweise in den Herkunftsfamilien gelernt haben. Dazu gehört auch, dass
55
vgl. Abschnitt 2.2
56
vgl. LANG, 1989, S. 29.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
19
in einigen Familien der Mutter oder dem Vater sexuelle Gegenleistungen zu erbringen
waren. Jungen erleben dabei vielfältige Rollenkonflikte (...), die sich in der Strichersze-
ne wiederholen."
57
Manche haben noch Kontakte zu ihren Müttern, so gut wie keiner
jedoch zu seinem Vater. Eine fehlende Schulausbildung ist bei den meisten Jungs auf
ihre frühe Flucht von zu Hause zurückzuführen.
Stricher müssen sich zusätzlich der Diskriminierung nicht nur der Gesellschaft allge-
mein stellen, sondern auch den Ausgrenzungen und Diskriminierungen in der schwulen
Szene selbst. Sie müssen mit unterschiedlichen Vorurteilen der Gesellschaft zurecht-
kommen, wie zum Beispiel damit, dass männliche Prostituierte als moralisch und sozial
krank gelten und deswegen hilfebedürftig sind, dass sie körperlich krank sind und als
Gefahr gelten, weil sie HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten in der Gesell-
schaft verbreiten und nicht zuletzt, dass sie kriminell sind.
58
Für Außenstehende gelten
sie lieber als kriminell, als dass sie die Tätigkeit des Prostituierens zugeben würden.
Durch den ständigen Druck, der von der Gesellschaft auf sie einwirkt, das tägliche
Bemühen Geld zu verdienen, das zum Leben gebraucht wird, das harte Leben auf der
Straße und in der Prostitution, treten viele Stricher in Kontakt zu Drogen. Oft ist Prosti-
tution eine Möglichkeit um ihre Drogensucht zu finanzieren,
59
oder sie nehmen Drogen,
um überhaupt der Prostitution nachgehen zu können. Durch die Drogenabhängigkeit der
Stricher entstehen mannigfache gesundheitliche Probleme, denen die Stricher ausgesetzt
sind.
Durch den intensiven Beschaffungsdruck lassen sich viele Jungs auf riskante Sexual-
praktiken ein, bei denen die Gefahr steigt, sich mit HIV/Aids oder STI
60
zu infizieren.
Gerade die STI werden oft nicht frühzeitig erkannt und ziehen schwere körperliche
Schäden nach sich. So kommt es häufig zu einer Verwahrlosung des eigenen Körpers.
Aber nicht nur durch Drogen und deren damit verbundenen Lebenseinstellungen erge-
ben sich Gesundheitsprobleme, sondern viele leiden auch unter chronischen Erkrankun-
gen. Dazu gehören neben Hepatitis und HIV auch Erkrankungen des Bewegungs- und
Verdauungsbereiches sowie der Zähne und des Zahnfleisches auf Grund mangelnder
Körperhygiene. Die Scheu der Stricher gegenüber den Ärzten, diesen ihre Erwerbstätig-
keit zu offenbaren, aber auch die Unsicherheit der Ärzte selbst, wie mit diesen Jungs
57
VOLKWEIN / WERNER, 1998, S. 115
58
vgl. AKSD, Leitlinien für die soziale Arbeit mit Strichern, 2002, Kapitel 1.
59
Beschaffungsprostitution
60
sexuell übertragbare Krankheiten, wie Tripper, Syphilis, Hepatitis und Herpes.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
20
umzugehen ist, tragen zu dieser Problematik bei. Stricher lehnen oft Therapieschemata
ab oder brechen Therapien ab, da sie sehr schnell den Eifer verlieren. Lieber wählen sie
aber den Weg, der ihnen den schnellsten Erfolg verspricht, welcher nicht von Dauer ist.
Durch die starke psychische Belastung kommt es häufig zu psychosomatischen Be-
schwerden in Form von Bauch- Rücken- und Kopfschmerzen bis hin zu autoaggressiven
Handlungen wie Suizidversuche, Selbstverstümmelungen durch Ritzen und Branding
aber auch zu vermehrten Drogenkonsum.
61
Ein weiteres, häufig auftretendes Problem, das in der mann-männlichen Prostitution zu
finden ist, ist Gewalt. Hier zeigen die Formen der Gewalt sehr viele Gesichter. So tritt
hier vor allem neben psychischer und physischer Gewalt auch verbale und mitunter
strukturelle Gewalt
62
auf. Die Stricher haben bereits in ihren Familien, in Heimen
Gewalt erlebt, vor allem dann, wenn Jungs homosexuelle Tendenzen zeigen, werden sie
häufig Opfer von Gewalt und sexueller Ausbeutung. Auch in der Prostitution wird
Gewalt durch Freier ausgeübt. Hier werden Stricher zu ungewollten Sexpraktiken
gezwungen, werden erpresst oder über längere Zeit festgehalten. Rechtlich sind solche
Übergriffe schwer nachzuweisen. Es ist ebenso schwierig für die Jungs darüber zu
reden, sich zu wehren oder ihre Schwäche einzugestehen. Dies führt dazu, dass sich
Stricher nicht ausreichend vor gefährlichen Freiern warnen. Auf der anderen Seite sind
es aber auch Stricher, die Gewalt gegen Freier ausüben. Man spricht von folgenden
Hauptgründen: Freier gelten als schwach oder pervers und sind somit leichte Opfer.
Durch die Nichtabsprache von sexuellen Dienstleistungen oder finanziellen Vereinba-
rung kommt es zu Konflikten, die in Gewaltakten enden. Bei Gewaltakten von Minder-
jährigen bietet das Gesetz Schutz, da diese noch nicht straffähig sind. Viele Gewalttaten
durch Stricher sind eine Entladung von Emotionen, die durch Ekel und Hass entstehen.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Prostitution, homophobe Tendenzen stehen
sich gegenüber und können in Gewaltausbrüche münden.
63
Für viele Stricher gilt das Überlebensmotto ,,der Stärkere hält sich am Schwächeren
schadlos." Man spricht hier von einer Gewaltspirale.
64
So werden vor allem neue und
junge Stricher als Konkurrenz gesehen, da sie auf dem Prostitutionsmarkt als ,,Frisch-
61
vgl. Deutsche Aidshilfe AKSD, Leitlinien für die soziale Arbeit mit Strichern 2002, Kapitel 1.
62
Darunter wird die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung verstanden.
63
vgl. Deutsche Aidshilfe AKSD Leitlinien für die soziale Arbeit mit Strichern 2002, Kapitel 1.
64
vgl. WERNER, 1993, S. 144 ff.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
21
fleisch
65
" sehr erfolgreich sind. Es hat sich aber auch eine klare Hierarchie in der Stri-
cherszene entwickelt, die sowohl die Orte der Prostitution, die Herkunft der Stricher,
das Alter und die Motivation der Stricher betreffen. Gemeinsamkeiten entstehen meist
dann, wenn man zusammen gegen eine andere Strichergruppe vorgeht. Gegnerische
Gruppen sind z. B. deutsche gegen ausländische Stricher, rumänische gegen Rromastri-
cher, Nichtjunkiestricher gegen Junkiestricher oder die Gruppe der schwulen gegen die
nicht schwulen Stricher. Der anderen Gruppe wird grundsätzlich die Schuld an schlech-
ten Preisen, Verbreitung von Krankheiten und die Schuld an der eigenen existenziellen
Not zugeschoben.
66
So werden einzelne Stricher, ja ganze ethnische Gruppen von
Strichern aus der Szene vertrieben.
3.2.3. Lebenslagen von Strichern
Viele Stricher sind obdachlos und leben auf der Straße. Manche haben ein kleines
Apartment, das sie sich mit anderen teilen oder können für einige Zeit bei einem Freier
unterkommen. Die Straße ist jedoch der Ort an dem sie sich ihr Leben abspielt. Sie sind
auf Kunden angewiesen und müssen deswegen so oft als möglich an den Orten der
Prostitution präsent sein. So wird der gesamte Tagesablauf auf die Bedürfnisse der
Freier ausgerichtet. Dies hat allerdings zur Folge, dass sie ihre Arbeit und ihr Freizeitle-
ben bzw. ihr privates Leben nicht trennen können. Durch das oftmals beschriebene
,,Rumhängen" ist ihr Tag durch Warten, Hoffen und Zeit überbrücken gekennzeichnet.
67
Im Gegensatz zur weiblichen Prostitution gibt es kein offensives Anwerben der
Prostituierten. Um von der Diskriminierung der Gesellschaft verschont zu bleiben,
bedeutet dies, sich diskret und zurückhaltend zu verhalten.
68
Meist kommt es in der Stricherszene vor, dass die Jungs nicht als Menschen, sondern als
Sexobjekte betrachtet werden. Sie werden auf ihr Äußeres hin taxiert und dementspre-
chend bewertet. Wenn die Stricher jung sind und gut aussehen, können sie die Geschäf-
te mit den Freiern steuern, da junge und ,,unverbrauchte" Stricher in der Szene am
beliebtesten sind. Werden sie dagegen älter, schwindet zunehmend das Interesse der
Freier, aber sie müssen trotzdem versuchen, auf dem Markt weiter zu überleben. Sie
65
so werden frisch in der Szene angekommene Jungs bezeichnet.
66
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 114 -129.
67
vgl. TEUERKAUF, 2003, S. 38.
68
vgl. STALLBERG, 1990, S. 22.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
22
müssen sich umorientieren, Sexpraktiken zulassen, die sie bisher nicht geduldet haben
und unter Umständen auch riskanten Sexualpraktiken zustimmen.
69
Dadurch schwindet
das so kurzzeitig erworbene Selbstwertgefühl und es entstehen neue Probleme.
Die Lebenslage der Stricher wird auch bestimmt durch das HIV. Die neuesten Untersu-
chungen zeigen, dass die Zahlen von Neuinfektionen mit HIV in der Gruppe der Män-
ner, die Sex mit Männern haben (MSM) am meisten zugenommen haben, nämlich im
Jahre 2005 um ca. 13%.
70
Das Robert- Koch- Institut schätzt im Jahre 2005 den Anteil
der homosexuellen Männer auf 58%. So sind vor allem Stricher, die regelmäßigen
sexuellen Kontakt zu anderen Männern haben, gefährdet, da viele Freier es als unmänn-
lich ansehen, von Kondomen Gebrauch zu machen. Drogenabhängige, die zu riskanten
Sexualpraktiken bereit sind, Spritzbestecke gemeinsam benutzen oder damit tätowieren
oder Piercen, sind ebenfalls einem höherem Risiko ausgesetzt.
71
Geringes Selbstwertge-
fühl und mangelndes Selbstbewusstsein, niedriger Bildungstand und die Diskriminie-
rung, der die Stricher ausgesetzt sind, tragen dazu bei, dass sie sich in Risikosituationen
nicht ausreichend schützen.
72
Die Diskriminierung von männlichen Prostituierten ist im Vergleich zur weiblichen
Prostitution sehr viel stärker, da sie zusätzlich mit Homosexualität in Verbindung ge-
bracht werden. Das heißt, sie werden nicht nur in der Gesellschaft wegen ihres prostitu-
iven und homosexuellen Verhaltens diskriminiert, sondern auch in der homosexuellen
Subkultur
73
selbst. Stricher werden auch vor allem durch den Anstieg der Beschaf-
fungsprostitution immer mehr in die Kriminalität abgedrängt. So ist die Kriminalität oft
Folge des Selbsthasses der Stricher. Stricher werden oft als ,,Todesboten" (AIDS-
Virusträger) dämonisiert.
74
Zunächst galten nur Homosexuelle als Hauptrisikogruppe
für HIV- Verbreiter, doch bald wurden auch die Stricher als eine weitere Risikogruppe
ins Auge gefasst, weil sie ständig wechselnde Sexualpartner haben, ohne sich regelmä-
ßig medizinischen Untersuchungen zu unterziehen.
75
69
vgl. VOLKWEIN/ WERNER, 2003, S. 113.
70
vgl. Untersuchungen des Robert- Koch- Institutes und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-
rung.
71
vgl. BUNDESZENTRALE FÜR GESUNDHEITLICHE AUFKLÄRUNG, 2006, S. 10f.
72
vgl. DEUTSCHE AIDS- HILFE, 2004, S. 15.
73
vgl. SCHICKEDANZ, 1979, S. 198f.
74
vgl. WAGNER, 1990, S. 47.
75
vgl. WAGNER, 1990, S. 47.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
23
3.2.4. Zusammenfassung
Im Allgemeinen kann man sagen, dass nur Stricher mit fehlendem Bewusstsein für ihre
Tätigkeit und ihre sexuelle Orientierung mit vielen Problemen konfrontiert sind und
einer umfassenden Hilfe bedürfen. Diese Probleme spiegeln sich wieder in den unter-
schiedlichen Motivationen, in der Prostitution tätig zu sein, wie zum Beispiel wirt-
schaftliche Verhältnisse, sexueller Missbrauch und Coming Out und Drogenabhängig-
keit. Ihr Umfeld ist geprägt durch Gewalt, HIV/ STI, Obdachlosigkeit und Diskriminie-
rung. Regeln und Strukturen in der Stricherszene müssen erlernt und akzeptiert werden.
3.3. Freier
Die eine Seite der Prostitution sind die Stricher mit professionellem oder unprofessio-
nellem Bewusstsein, die anderen sind diejenigen, die für sexuelle Dienstleistungen
bezahlen, die so genannten Kunden oder Freier. ,,Freier sind Männer aller Altersklas-
sen, die, ungeachtet ihrer eigenen sexuellen Orientierung oder Lebensweise, gelegent-
lich oder regelmäßig Entlohnung für sexuelle Kontakte und/oder Gesellschaft von
Strichern und Callboys bieten."
76
Es wird davon ausgegangen, dass die Mehrzahl der
Freier aus der Mittelschicht stammt, jedoch findet man auch Ärzte, Pfarrer und Juristen,
die als Freier tätig werden
77
. Das Basis Projekt in Hamburg geht davon aus, dass sich
20- 30% der Männer, die im geschlechtsfähigen Alter sind, sexuelle Handlungen kau-
fen.
78
Das Prostituiertenprojekt Hydra allerdings ist der Meinung, dass ca. 75% der
Männer als Freier gelegentlich oder regelmäßig in der männlichen oder weiblichen
Prostitution aktiv sind.
79
Es gibt Freier, die kaufen sich ausschließlich professionelle
Stricher
80
, jedoch den größten Teil stellen diejenigen dar, die gelegentlich das Angebot
der männlichen Prostitution auf dem Straßen- oder Kneipenstrich wahrnehmen. Man
bezeichnet diese Freier auch als ,,Springer", da sie kaum für aufeinander folgende
sexuelle Interaktionen zum gleichen Stricher gehen, um ihre Anonymität zu wahren.
81
Die Kontakte sind oft nur von kurzer Dauer, z. B. der gemeinsame Besuch in einem
Sexkino. Im Gegensatz zu den ,,Springern" stehen die ,,Stammkunden", die bei den
76
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 96.
77
vgl. SCHICKEDANZ, 1979, S. 90.
78
vgl.
http://www.freiersein.de/information/prostitution.php
, Stand : 26.08.2006.
79
vgl. BILITEWSKI/ CZAIKA/ FISCHER u. a., 1991, S. 20.
80
vgl. auch Punkt 3.1. dieser Arbeit.
81
vgl. SCHICKEDANZ; 1979, S.89ff.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
24
Strichern die Hingabe und die Vertrautheit suchen und sich aus diesem Grunde meist an
die gleichen Stricher wenden. Für diese Kunden ist Sex zweitrangig, viel mehr suchen
sie hier enge Beziehungen und intensiven Kontakt zu den Strichern. Diese Kontakte
können über mehrere Jahre andauern und sogar in feste Beziehungen übergehen. Jedoch
werden viele Stricher durch die überwältigenden Wünsche der Freier nach einer Part-
nerschaft, nach einem Geliebten und Kind in einem buchstäblich erdrückt und entflie-
hen aus der Obhut des Freiers. Der Freier steht unter starkem psychischen und sozialen
Druck. Das Verlassenwerden durch den Stricher kann bei den Freiern zu schweren
Depressionen bis hin zu Suiziden führen. Oft werden die aufgestauten Frustrationen
beim nächsten Stricher ausgelassen.
82
3.3.1. Verschiedene Freiertypen
Auch die Gruppe der Freier ist eine nicht homogene Gruppe, die in zwei Gruppen
eingeteilt wird, wobei die Orte, an denen die Prostitution stattfindet, keine Rolle spielt.
Die eine Gruppe der Freier sieht die Prostitution ganz klar als Geschäft, die andere
Gruppe sucht in der Prostitution nach Zuwendung, engen Kontakten und Beziehungen.
In der erstgenannten Gruppe spielt es eine große Rolle, schnellen unkomplizierten Sex
zu haben, ohne dabei die Schwulenszene durchlaufen zu müssen. Der Sex wird hierbei
als Geschäft angesehen.
83
So wollen Freier ihre homosexuellen Anteile ausleben, die sie
in ihrem parallel als heterosexuelle Männer geltenden Leben nicht leben können. Oft
schützen sich homo- und bisexuelle Männer durch eine Ehe, da sie sich durch den
immer noch hohen gesellschaftlichen Druck nicht frei in der Schwulenszene bewegen
können. Die versteckte männliche Prostitution bietet für diese Männer guten Schutz.
Auch Männer mit pädosexuellen Neigungen suchen hier Schutz.
84
Die Flucht aus fami-
liären Bindungen bzw. Männer, die keine engen Beziehungen eingehen wollen oder
können, leben in der Stricherszene ihr Sexualleben aus, ohne dabei sich vor der Familie
oder der Gesellschaft rechtfertigen zu müssen. Auch der Reiz an perversen Sexprakti-
ken, die in anderen Beziehungen nicht ausgelebt werden können, wie sadistisch- maso-
chistische oder fetischistische Praktiken, motivieren Freier, zu Strichern zu gehen. Für
viele homosexuelle Männer ist Sex mit einem Strichjungen eine Abwechslung im
82
vgl. MÖBIUS, 1990, S.36f.
83
vgl. FINK/ KARIN, 2005, S. 103.
84
vgl. FINK, WERNER, 2005, S. 99

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
25
Alltagssex mit ihren Lebensgefährten. Es finden sich auch viele homosexuelle Männer
in der Stricherszene, die vorübergehend ohne Partner sind.
Die andere Hauptgruppe stellen Freier dar, die auf der Suche nach Liebe, Zärtlichkeit,
Geborgenheit, Wärme und Entspannung sind. Sie haben die Illusion, den finanziellen
Kontakt zu dem Stricher sobald wie möglich zu beenden und durch eine feste emotiona-
le Bindung zu ersetzen. Häufig entsteht beim Freier das Bedürfnis, den Strichern zu
helfen. ,,Sie belügen sich selber dadurch, dass sie so viel helfen wollen und so viel
unternehmen müssen, um die Stricher unterzubringen, weil diese so arm sind. Sie
bringen sie auch unter bei sich, Sex dazwischen ist ein reiner Zufall. Das sind Men-
schen, die nicht sehen, wie sie sich selbst belügen."
85
Diese Freier machen den Zufall
dafür verantwortlich, dass sie Sex mit den Jungs haben. Es steht im Vordergrund, den
Jungs zu helfen, ihnen den Vater ersetzten zu wollen oder den wohlmeinenden Erzieher.
Die Hilfestellungen der Freier werden den Jungs nicht gerecht, da die Altersunterschie-
de erschwerend hinzukommen und die Hilfen nicht auf den Stricher zugeschnitten sind.
Da es trotz allem zu sexuellen Handlungen kommt, werden die Jungs weiterhin ausge-
beutet. Hingegen gibt es auch Freier, deren Hilfe konstruktiv ist, zum Beispiel kosten-
freier juristischer Beistand.
86
3.3.2. Identität der Freier
Es gibt wenige Männer, die wie Stricher keine Identität zu ihrem Freierdasein entwi-
ckelt haben. Auch in Bezug auf sexuelle Identität der Freier bestehen Unklarheiten.
87
Die meisten Männer jedoch trennen strikt zwischen dem Freierleben und dem restlichen
Alltagsleben. Natürlich entstehen Konflikte bei der Trennung der verschiedenen Wel-
ten, wie zum Beispiel zwischen Sex und Liebe, Strich und Alltag oder Homo- und
Heterosexualität. Andere Freier sind unfähig, ihr privates Leben und das in der Stricher-
szene zu trennen. Durch Ihre Suche nach Liebe und Geborgenheit sind sie verletzlich
und werden leicht Opfer.
88
Sie werden häufiger von den Strichern ausgeraubt, erpresst
oder Opfer von Gewalt. Hinzu kommt, dass sie sich mit ständigen Enttäuschungen über
85
Zitat aus dem Interview I, Zeile 262.
86
Information aus persönlichen Gesprächen.
87
vgl. SCHROTT- BEN- REDJEB, 1990, S. 18f.
88
vgl. Deutsche Aidshilfe AKSD, Leitlinien für die soziale Arbeit mit Strichern 2002, Kapitel 1.

Die verschiedenen Seiten der Prostitution
26
nicht zustande kommende emotionale Beziehungen auseinandersetzen müssen.
89
. Bei
dieser Gruppe fehlt eine Freieridentität und durch die längere sexuelle und emotionale
Beziehung die Bereitschaft zu Safer Sex. Die Freier, die eine gefestigte Identität haben
und Prostitution rein als Geschäft ansehen, assoziieren Kondomgebrauch automatisch
damit. Thomas Möbius schätzt, dass 60% der Freier nach außen heterosexuell leben,
verheiratet sind, Kinder haben und hin und wieder zu Strichern gehen.
90
So leugnen
viele Freier ihre Intentionen und geben an, wie Schickedanz in seinen Untersuchungen
herausfand,
91
verheiratet zu sein und Kinder zu haben. Der Strich ist somit der einzige
Bezugspunkt für deren Homosexualität. Es gibt wenige Kontakte unter den Freiern,
obwohl sich diese flüchtig aus den Stricherkneipen kennen, jedoch wird auch hier das
Freierdasein tabuisiert.
3.3.3. Zusammenfassung
Der Freier oder Kunde kann nicht klar definiert werden. Wie auch bei den Strichern
unterscheiden sich diese in Bezug auf ihre sexuelle Identität und auf das Freiersein. Der
Strich dient einigen nur dazu, ihre Homosexualität auszuleben und Sex zu haben, andere
wiederum suchen nach emotionalen Beziehungen, Liebe und Geborgenheit.
89
vgl. FINK/WERNER, 2005, S. 105.
90
vgl. MÖBIUS, 1990, S. 28.
91
vgl. SCHICKEDANZ, 1979, S.89.

Orte der Prostitution
27
4. Orte der Prostitution
4.1. Die reale Stricherszene
Die reale Stricherszene ist die Szene, wo sowohl Stricher als auch Freier persönlich
anwesend sind. Die Kontaktaufnahme findet im Wesentlichen in öffentlichen Bereichen
sehr verdeckt und verschleiert statt. Stricher senden nur eindeutige Signale an potentiel-
le Kunden oder überlassen die Annäherungsversuche gänzlich den Freiern. Es wird
dabei streng darauf geachtet, dass beide, Stricher und Freier, von der Öffentlichkeit
nicht als homosexuell identifiziert werden können auf Grund der Stigmatisierung des
prostituiven und homosexuellen Verhaltens durch die Gesellschaft. Die Kontaktauf-
nahme erfolgt in mehreren Phasen: einer Phase des Anmachens, in der beide Parteien
sich fixieren, imponieren und durch Körpersprache verständigen. Nach diesem Prozess
kommt es dann meist seitens des Kunden zur persönlichen Kontaktaufnahme mit Hilfe
von alltäglichen Fragen. Nun werden die geschäftlichen Fragen besprochen, wobei es
hier um das ,,wo", ,,wie" und ,,wie viel" geht. Im Gegensatz zu den öffentlichen Räu-
men verläuft die Kontaktaufnahme in halböffentlichen Räumen anders ab. In Stricher-
kneipen zum Beispiel muss nicht so streng auf Anonymität und Diskretion geachtet
werden, da es leichter ist, Freier und Stricher als Personen zu identifizieren. Oft reicht
hier ein kurzes Augenzwinkern oder Zuwinken und die Mithilfe des Barkeepers um die
Kontaktaufnahme in Gang zu setzten.
92
4.1.1. Prostitution in öffentlichen Räumen
Am häufigsten spielt sich männliche Prostitution auf den Straßen um den Bahnhof oder
am Bahnhof selbst ab. In einigen Städten dienen diese Bereiche auch als ,,cruising-
areas"
93
von Homosexuellen. Die Prostitution in öffentlichen Gebieten ist gekennzeich-
net durch ihre schlechte Organisation und durch sehr hohe Anonymität, die durch das
doppelte Tabu Prostitution und Homosexualität bestimmt wird. Prostitution ist für
Unwissende unsichtbar, da sich sowohl Stricher und deren Kunden äußerst diskret
92
vgl. SCHICKEDANZ, 1979, S. 168ff.
93
engl./ amerik.: sich an ,,homosexuellen" Treffpunkten auf die Suche nach einem Sexualpartner machen,
vor allem an öffentlichen Plätzen.

Orte der Prostitution
28
verhalten.
94
Auf dem Bahnhofsgelände halten sich die unterschiedlichsten Menschen
auf und das ist für viele Jungs der Anfang ihres Stricherdaseins.
95
Den meisten jungen
Männern, die sich hier prostituieren, fehlt der professionelle Umgang mit Prostitution.
96
Gleichzeitig sind aber Bahnhöfe auch Orte der Gewalt. Die Städte versuchen die Bahn-
höfe frei von Prostitution zu halten. Dadurch kommt es immer wieder zu Hausverboten,
die die Stricher nicht einhalten, was zur Folge hat, dass sie kriminell werden.
Auf öffentlichen Toiletten, auch Klappen genannt, sowohl an Bahnhöfen, als auch in
anderen Gebieten, sind Homosexuelle auf der Suche nach schnellem Sex. Einige Stri-
cher, vor allem aber sehr junge und drogenabhängige Stricher halten sich hier auf, um
anzuschaffen. Klappen sind Orte, an denen es rein um Sex geht. Es wird nicht geredet,
Gespräche werden eher als Störung empfunden. Verständigung läuft auf nonverbaler
Ebene ab.
97
Parkanlagen und Raststätten sind vor allem bekannt als cruising - areas für Homosexu-
elle. Es gibt Parkanlagen, die zu bestimmten Zeiten dafür bekannt sind, dass dort Prosti-
tution stattfindet. Oftmals können hier Stricher, die schon älter als 30 Jahre sind und auf
dem Prostitutionsmarkt nicht mehr viele Chancen haben, noch Geld verdienen. Auch
hier läuft Prostitution sehr diskret und anonym ab und Stricher und Freier offenbaren
sich nicht. Auch auf den Raststätten findet Prostitution statt. Probleme entstehen durch
die hohe Anonymität und Fluktuation, da sich das Aufdecken von gewaltbereiten Frei-
ern als viel schwieriger erweist als zum Beispiel an Bahnhöfen.
98
4.1.2. Prostitution in halböffentlichen Räumen
Als halböffentlicher Raum, werden Räumlichkeiten verstanden, die von einem jeweili-
gen Besitzer oder Pächter zu einem für die Öffentlichkeit zugänglichem Raum genutzt
werden. Der jeweilige Besitzer oder Pächter kann letztendlich entscheiden, wer diesen
Raum nutzen kann und vor allem sind diese Räume nur beschränkt zugänglich für die
94
vgl. Deutsche Aidshilfe, AKSD- Leitlinien, 2002, S155.
95
vgl. PFENNING, 1996, S.9f;
96
vgl. NICK, 2000, S. 49f.
97
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 146.
98
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 144f.

Orte der Prostitution
29
Polizei.
99
Hierzu gehören vor allem Clubs, Bars, Diskos und Kneipen, aber auch Bordel-
le.
In Stricherkneipen, meist größerer Städte sind hauptsächlich Stricher und Freier anzu-
treffen. Der Wirt fungiert als Hausherr und entscheidet über das Ausmaß der Prostituti-
on. Viele Kneipen besitzen einen Raum, in dem Sex stattfinden kann oder sind ange-
koppelt an Stundenhotels, in die sich Stricher und Kunde zurückziehen können.
100
Auch
hier findet Gewalt statt. Es treffen oft Stricher, die eine heterosexuelle Identität haben,
und aus der untersten sozialen Schicht kommen, auf Freier, die aus denselben Schichten
stammen. Konflikte werden dementsprechend gelöst.
101
Die im Vergleich zum Bahn-
hofs- und Straßestrich bessere bestehende Organisation bietet für die Stricher einen
Vorteil. So ist das Personal oft Ansprechpartner sowohl für Stricher als auch für Freier,
weil es einen guten Überblick über die Kneipengäste hat. Hier werden hauptsächlich
Partydrogen wie Kokain, LSD oder Amphetamine konsumiert.
102
In Boy - Clubs oder Bordellen arbeiten bis zu 15 Jungs. Bemerkenswert ist die hohe
Anzahl von Migranten aus überwiegend südamerikanischen, asiatischen oder afrikani-
schen Ländern. In vielen Schwulenzeitschriften, im Internet oder in Schwulen- Reisfüh-
rern wird hier für solche Einrichtungen geworben. In diesen Clubs oder Bordellen gibt
es einen so genannten ,,boys - room", in dem die Jungs auf ihre Kunden warten und in
dem sie die Möglichkeit haben zu essen und zu duschen. Die Jungs, die in Clubs an-
schaffen, haben eine gesicherte Existenz und es finden sich hier selten Jungs, die von
Verwahrlosung oder Verelendung betroffen sind. Oftmals gibt es auch einseitig durch-
sichtiges Schaufenster, wodurch die Freier sich ihre Sexualpartner aussuchen können.
Die Stricher, die hier arbeiten, haben meist eine ausgeprägte homosexuelle Identität,
sprechen eine oder mehrere Fremdsprachen, sind gebildet und haben Arbeits- und
Mietverträge. Solche Clubs bieten darüber hinaus ein umfangreiches Angebot zur HIV,
Aids und STI- Prävention durch ausreichendes Bereitstellen von Kondomen und Gleit-
mittel. Die Sicherheit der Stricher ist gewährleistet durch feste Arbeitszeiten, klare
Trennung zwischen Arbeit und Privatem und das Einlassverbot von alkoholisierten und
erkennbar gewaltbereiten Kunden.
103
Es wird streng darauf geachtet, dass keiner der
99
vgl. AUSOBSKY, 1997, S. 168f.
100
vgl. SCHICKEDANZ, 1979, S. 171.
101
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 134.
102
vgl. Deutsche Aidshilfe, ASKD- Leitlinien, 2002, S.155.
103
vgl. GAFFNEY, 2002, S. 34.

Orte der Prostitution
30
Stricher HIV-positiv ist. Die Verträge sind so formuliert, dass die Stricher eine be-
stimmte Anzahl von Freiern pro Tag haben müssen und für genügend Getränkeumsatz
zu sorgen haben. Dadurch stehen die Stricher unter Druck und ein kollegiales Verhältnis
unter diesen Strichern wird weitgehend verhindert.
104
4.1.3. Prostitution in privaten Räumen
Vor allem selbstständige, professionelle Stricher oder Callboys mit einer homosexuellen
Identität haben sich darauf spezialisiert Apartments anzumieten, um dort Prostitution
ausüben zu können. Das Anschaffen in privaten Räumen hat für die Stricher mehrere
Vorteile. Sie sind unabhängig und müssen keine Verträge eingehen, die sie zu bestimm-
ten Umsätzen oder Freierzahlen verpflichten und können ihre Arbeitszeiten selbst
einteilen. Außerdem sind sie jederzeit über Handy, Anrufbeantworter und Internet zu
erreichen. Die Gefahr an gewaltbereite Freier zu gelangen ist weniger groß, da sich
diese auf unbekanntem Gebiet bewegen. Außerdem bietet die Prostitution in eigenen
Räumen Schutz vor Diskriminierung oder Erpressung durch andere Stricher. Anderer-
seits besteht für die Callboys die Gefahr von Vereinsamung, da sie nicht mehr aus dem
Haus gehen, aus Angst davor, dass genau in diesem Moment ihr Traumfreier anrufen
könnte. Oft werden Appartements angemietet, um inoffizielle Boys - Club zu eröffnen.
Hier arbeiten sehr häufig Migranten ohne Arbeitserlaubnis, gesichert durch die Anony-
mität. Diese wiederum verlassen kaum die Appartements aus Angst vor Sanktionen und
polizeilichen Kontrollen. Ihre einzigen sozialen Kontakte beschränken sich auf Kolle-
gen und Freier. Es gibt unter diesen Appartementbesitzern so genannten ,,Handel", d. h.
die Jungs werden von einem Besitzer zum nächsten weitergereicht.
4.2. Die virtuelle Stricherszene
Zur virtuellen Stricherszene, die sich hauptsächlich über das Medium Internet abspielt,
gehören sowohl sämtliche Foren, in denen man nach Escorts
105
suchen kann, die Szene,
die sich rein über Handys verständigt und als sichtbare Szene nicht mehr vorhanden ist
104
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 139.
105
Escort werden bezahlte männliche oder weibliche Begleitpersonen genannt. Im Vergleich zu weibli-
chen Escorts geht es bei männlichen Escort mehr um sexuelle Dienstleistungen.

Orte der Prostitution
31
als auch Live-Web-Pornos und Kinderpornographie dazu gezählt. Durch stärkere Poli-
zeikontrollen verlagert sich die Prostitution immer mehr ins Internet.
Escorts findet man hauptsächlich im Internet auf Seiten, die homo-, bisexuellen und
transsexuellen Männern die Möglichkeit zur Kommunikation in Chats bietet. Jeder
,,Escort", hat hier die Möglichkeit, sich durch ein selbst gestaltetes Profil mit Photo
darzustellen und für sich zu werben. Es werden Angaben gemacht über Größe, Haarfar-
be, Vorlieben oder Tabus und klare Ansagen über Sexpraktiken und Safer Sex. Diese
Angebote beziehen sich auch auf Massagen oder Begleitung zu abendlichen Gesell-
schaften, versehen mit klaren Angaben über Preise. Da viele Escorts von Stadt zu Stadt
reisen, oftmals auch im gesamten mitteleuropäischen Raum, zeigen sie an, zu welchen
Terminen sie in bestimmten Städten sind. Kontakt wird dann entweder über das Internet
durch eine E-Mail aufgenommen oder sie werden auf den angegebenen Handynummern
kontaktiert.
106
Das Internet bietet natürlich auch eine hohe Anonymität, vor allem für Freier mit einer
fehlenden Freieridentität und für solche, die viel zu verlieren haben. ,,Es gibt Freier, die
heterosexuell leben mit Frau und Kindern. Je versteckter ein Freier ist, desto eher wird
er das Internet nutzen als Anbahnungsmöglichkeit."
107
Mit dem zunehmenden Einsatz von Handys hat sich vor allem auch die Szene in der
Kinder- und Jugendprostitution geändert. Häufig schenken Freier beim Erstkontakt zu
neuen Jungs diesen ein Handy, damit sie für sie immer erreichbar sind. Eine Szene ist
somit überflüssig, Kneipen oder einschlägige Bars können von beiden Seiten vermieden
werden und eine größere Anonymität kann gewährleistet werden.
108
4.3. Zusammenfassung
Die Szene spielt sich zu gleichen Teilen in realen Räumen, wie öffentlichen und halböf-
fentlichen Räumen ab. Die Anonymität wird gesucht und demnach werden die öffentli-
chen Räume frequentiert, die diese gewährleisten, wie zum Beispiel der Bahnhof. Je
privater die Örtlichkeiten, desto bessere wirtschaftliche Konditionen werden für die
106
vgl.
www.gayromeo.com
, Stand: 02.09.2006 sowie GAFFNEY, 2002, S. 29.
107
Interview II, Zeile 225- 228.
108
vgl. FINK/ WERNER, 2005, S. 260f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836603447
DOI
10.3239/9783836603447
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Katholische Stiftungsfachhochschule München – Soziale Arbeit
Erscheinungsdatum
2007 (Mai)
Note
1,0
Schlagworte
deutschland strichjunge sozialarbeit migration prostitution freier infektionsschutzgesetz
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