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"Bamboo Policy - bending with the prevailing wind?"

Eine konstruktivistische Analyse des Wandels thailändischer Außenpolitik im Kontext der Ära Thaksin Shinawatra

©2011 Magisterarbeit 139 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Gegenstand und Erkenntnisinteresse der Untersuchung:
‘Always solidly rooted but flexible enough to bend whichever way the wind blows in order to survive’
Dieses alte siamesische Sprichwort ist laut dem Historiker Arne Kislenko charakteristisch für die traditionelle Auswärtige Politik Thailands, die vereinfachend als ‘bamboo diplomacy’ oder ‘bamboo in the wind’ bezeichnet wird. Hier wir eine pragmatische Haltung hinsichtlich der Pflege internationalen Beziehungen deutlich, welche von den politischen Akteuren als ‘einzigartiges Merkmal’ thailändischer Außenpolitik kultiviert wurde. Darüber hinaus liegt diesem Konzept ein Selbstverständnis zugrunde, das tief in der thailändischen Gesellschaft verankert ist. So gilt zum Beispiel die Tatsache, dass Thailand das einzige Land in Südostasien ist, welches nie kolonialisiert wurde, als eine der wichtigsten Errungenschaften dieser undogmatischen Außenpolitik und ist darüber hinaus ist ein von der politischen Elite häufig kommunizierter Bestandteil der thailändischen Identität.
Neben dem Vermeiden einer Kolonialisierung bildeten weitere, ähnlich prägende historische Erfahrungen, sowie die damit verbundene, ausgeprägte Flexibilität thailändischer Diplomatie, den Bezugspunkt und die Basis für eine rationale Politik, die die Wahrung der territorialen Integrität und nationalen Souveränität als höchsten außenpolitische Ziele festsetzte. Um diese Interessen zu sichern, bediente sich Thailand, in einer günstigen geografischen Lage auf dem südostasiatischen Festland, traditionell dem Mittel der Bildung von Allianzen mit dem jeweilig stärksten Partner in der Region um sich der aktuellen politischen Lage anzupassen.
Die außenpolitischen Interessen wurden stark von einer, auf sozialen Normen (lakpatibat) beruhenden thailändischen Identität - ‘Thainess’ (khwampenthai) - geprägt, die seit jeher versuchte das Gleichgewicht zu internationalen ‘westlichen’ Normen (lakpatibat rawangprathet) zu finden. So gilt als Implikationen der Identität: ‘being a pure and genuine Thai (…) had to balanced against behaving in a way deemed acceptable to Westerners’
Das seit Februar 2001 regierende und im September 2006 mit dem Coup d’État des thailändischen Militärs gestürzte Regime des Premiermisters Thaksin Shinawatras, gehört bis heute ohne Zweifel nicht nur zu den umstrittensten Regierungsperioden in der Geschichte der thailändischen Demokratie, sondern markiert auch einen radikalen Bruch mit der bisherigen […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


David Wildner
"Bamboo Policy ­ bending with the prevailing wind?"
Eine konstruktivistische Analyse des Wandels thailändischer Außenpolitik im Kontext der
Ära Thaksin Shinawatra
ISBN: 978-3-8428-3030-1
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
Zugl. Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena, Deutschland, Magisterarbeit, 2011
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2012

Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Glossar...I
Abkürzungsverzeichnis...IV
1.
Einleitung ... 1
1.1
Gegenstand und Ziel der Untersuchung ... 1
1.2
Leitfragen der Untersuchung ... 3
1.3
Die Gliederung der Untersuchung ... 9
2.
Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive ... 11
2.1
Begriffliche Eingrenzung... 11
2.2
Zur Begründung des theoretischen Ansatzes ... 15
2.3
Methodentheoretische Vorüberlegungen ... 26
2.4
Zur Quellenlage ... 30
3.
Traditionelle thailändische Außenpolitik ­ ,,The Bamboo in the Wind" ... 33
3.1
Handlungsnormen und kollektive Identitäten ... 33
3.1.1
Innenpolitisches Bezugssystem... 35
3.1.2
Internationales Bezugssystem ... 41
3.1.3
Außenpolitischer Entscheidungsprozess ... 47
3.2
Selbstverständnis, Interessen und Mittelpräferenzen in den internationalen Beziehungen ... 50
3.2.1
Regionale Beziehungen - ASEAN ... 51
3.2.2
Bilaterale Beziehungen - Myanmar ... 54
3.3
Zwischenfazit ... 57
4.
Regierung Thaksin Shinawatra ­ ,,Bending the wind?" ... 59
4.1
Qualitative Inhaltsanalyse ... 59
4.2
Zur Person Thaksin Shinawatra ... 61
4.3
Handlungsnormen und kollektive Identitäten ... 64
4.3.1
Innenpolitisches Bezugssystem... 67
4.3.2
Internationales Bezugssystem ... 74
4.3.3
Außenpolitischer Entscheidungsprozess ... 79
4.4
Selbstverständnis, Interessen und Mittelpräferenzen in den internationalen Beziehungen ... 84
4.4.1
Regionale Beziehungen ... 87
4.4.1.1
ACD ... 87
4.4.1.2
ACMECS... 92
4.4.1.3
ASEAN ... 95
4.4.2
Bilaterale Beziehungen - Myanmar ... 98
4.5
Zwischenfazit ... 103
5.
Schlussbetrachtung ... 105
5.1
Problemorientierte Zusammenfassung ... 105
5.2
Ausblick: Außenpolitik in der "Post-Thaksin-Ära" ... 111
Quellen- und Literaturverzeichnis...117

Glossar I
Glossar
Adhamma:
Negativer Verdienst im Buddhismus bzw.
schlechte Eigenschaften durch das Fehlen von
dhamma . Der Begriff kann auch als ,,unnatürlich"
übersetzt werden.
Ajjava:
Integrität,
Korrektheit.
Akkodha: Friedfertigkeit.
Avihimsa:
Gewaltlosigkeit.
Avirodha:
Versöhnung.
Chat:
Nation,
Heimatland.
Dana:
Gnade,
Nächstenliebe.
Devaraja:
Bezeichnung der sakrosankten Stellung des
Königs aus der Synthese von Gott (deva) und
König (raja).
Dhamma:
Positiver Verdienst nach buddhistischer Lehre
bzw. die guten Eigenschaften eines Menschen. Der
Begriff kann auch als ein natürlicher, harmonischer
Prozessablauf übersetzt werden.
Farang:
Als Substantiv oder Adjektiv für eine Person des
westlichen Kulturkreises, ohne Bezugnahme auf
spezifische Aspekte der ethnischen Herkunft,
Nationalität oder Sprache.
Kanraksa kwampenthai:
Die Bewahrung/Verteidigung von Thainess.
Khanti: Ruhe,
Gelassenheit.
Khaorop: Respekt.
Khamchaoren thang setthkit:
Wirtschaftliche Prosperität; wirtschaftlicher
Fortschritt.
Khwammankhong haeng chat:
Nationale Sicherheitspolitik.
Khwamchueafang:
Folgsamkeit.
Khwamkatanyu: Dankbarkeit.

Glossar
II
Khwampenthai:
Im Sinne einer thailändischen Identität bzw.
,,Thainess" unter Bezugnahme von kulturellen,
ideologischen, religiösen, politischen und sozialen
Verhalten.
Khwamphakdi: Loyalität.
Khwamrak:
Wert
der
Liebe.
Krom Tha:
Thailändisches Außenministerium.
Lakpatibat:
Norm, Bestimmung.
Lakpatibat rawangprathet:
Internationale Norm; westliche Bestimmung.
Lokiya dhamma:
Teil der buddhistischen Lehre, der die weltlichen
Bedingungen des Lebens definiert.
Lokuttara dhamma:
Teil der buddhistischen Lehre, der die spirituellen
Bedingungen des Lebens definiert.
Lu tam lom:
Wörtliche
Bedeutung: ,,Sich im Wind biegen".
Bezieht sich auf die flexible thailändische
Außenpolitik.
Maddava:
Güte,
Sanftmut.
Mankhong:
Ordnung,
Stabilität.
Pariccaga:
Aufopferung,
Verzichtsbereitschaft.
Phapphot:
Charakterbild,
Ansehen;
Image.
Phramahakasat:
Die Bezeichnung für König, wird auch synonym
für Monarchie verwendet.
Pracha: Demokratische
Partizipation.
Raja dhamma:
Teil
des
lokiya dhamma, der die Handlungsnormen
für einen Herrscher definiert.
Seri Thai:
Freie
Thais.
Sang Chat:
Neue
Nation.
Satsana:
Religion in einem allgemeinen Sinne und ohne
direkten Bezug auf den (Theravada-) Buddhismus.
Sila:
Moral,
sittliches
Verhalten.
Tapa:
Zurückhaltung,
Selbstkontrolle.

Glossar
III
Udomkan trai pak:
Die Bewahrung des Dreisatzes von Nation,
Religion und König, als Bezugspunkte
thailändischer Identität.
Tam kon farang:
Wörtliche Übersetzung: ,,Auf dem Rücken von
Westlern reiten". Die pejorative Bedeutung als eine
nicht-thailändische Verhaltensweise und
Bevormundung durch westliche Personen/Staaten.
Tam kon Phama:
Wörtliche
Bedeutung: ,,Auf dem Rücken der
Burmesen reiten". Vergleichbarer Sinngehalt wie
tam kon farang.

Abkürzungsverzeichnis
IV
Abkürzungsverzeichnis
ABM
Asian Bond Market = Asiatischer Anleihemarkt
ACD
Asia Cooperation Dialogue = Asiatischer Kooperations-Dialog
ACMECS
Ayeyawady-Chao Phraya-Mekong Economic Cooperation Strategy =
Irawadi-Chao Praya-Mekong Strategie für wirtschaftliche Kooperation
AMF
Asian Monetary Fund = Asiatischer Währungsfond
APEC
Asia-Pacific Economic Cooperation = Asiatisch-Pazifische
wirtschaftliche Zusammenarbeit
ASEAN
Association of Southeast Asian Nations = Vereinigung
südostasiatischer Nationen
ASEAN + 3
Association of Southeast Asian Nations Plus Three = Vereinigung
südostasiatischer Nationen plus China, Japan, Südkorea
ASEM
Asia-Europe Meeting = Asien-Europa-Treffen
BIMSTEC
Bay of Bengal Initiative for MultiSectoral Technical and Economic
Cooperation = Golf von Bengalen Initiative für multi-sektorale
wirtschaftliche und Technische Zusammenarbeit
BP
Bangkok Process = Bangkok Prozess
CEO
Chief Executive Officer = Geschäftsführer / Vorstandsvorsitzender
DP
Democratic Party = Demokratische Partei
ECS
Economic Cooperation Strategy = Strategie für Wirtschaftliche
Zusammenarbeit
EXIM
Export-Import Bank
GCC
Cooperation Council for the Arab States of the Gulf = Kooperationsrat
der Arabischen Staaten des Golfes
IB
Internationale
Beziehungen
IAI
Initiative for ASEAN Integration = Initiative für ASEAN-Integration
IMF
International Monetary Fund = Internationaler Währungsfond
KNU
Karen National Union
LDC
Least Developed Countries = am wenigsten entwickelte Länder
MDG
Millennium Development Goals = Millennium-Entwicklungsziele der
Vereinten Nationen
NLD
National League for Democracy = National Bund für Demokratie

Abkürzungsverzeichnis
V
ODA
Official Development Assistance = Öffentliche
Entwicklungszusammenarbeit
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development =
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
PAD
People's Alliance for Democracy
PPP
People's Power Party
RIA
Roadmap for Integration of ASEAN = Leitplan für ASEAN-Integration
SEATO
Southeast Asia Treaty Organization = Südostasiatische
Verteidigungsoraganisation
SAARC
South Asian Association for Regional Cooperation = Südasiatische
Vereinigung für regionale Kooperation
SPDC
State Peace and Development Council = Staatsrat für Frieden und
Entwicklung
TRT
Thai Rak Thai = Thais lieben Thais-Partei
UNDP
United Nations Development Programme = Entwicklungsprogramm der
Vereinten Nationen
UNHCR
United Nations High Commissioner for Refugees = Hoch-Kommissar
der UN für Flüchtlinge
UNO (UN)
United Nations Organization = Vereinte Nationen

Einleitung
1
1.
Einleitung
1.1
Gegenstand und Erkenntnisinteresse der Untersuchung
"Always solidly rooted but flexible enough to bend whichever way the wind blows in
order to survive"
1
Dieses alte siamesische Sprichwort ist laut dem Historiker Arne Kislenko
charakteristisch für die traditionelle Auswärtige Politik Thailands, die vereinfachend als
,,bamboo diplomacy"
2
oder ,,bamboo in the wind"
3
bezeichnet wird.
Hier wir eine
pragmatische Haltung hinsichtlich der Pflege internationalen Beziehungen deutlich,
welche von den politischen Akteuren als ,,einzigartiges Merkmal"
4
thailändischer
Außenpolitik kultiviert wurde. Darüber hinaus liegt diesem Konzept ein
Selbstverständnis zugrunde, das tief in der thailändischen Gesellschaft verankert ist. So
gilt zum Beispiel die Tatsache, dass Thailand das einzige Land in Südostasien ist,
welches nie kolonialisiert wurde, als eine der wichtigsten Errungenschaften dieser
undogmatischen Außenpolitik und ist darüber hinaus ist ein von der politischen Elite
häufig kommunizierter Bestandteil der thailändischen Identität.
5
Neben dem Vermeiden einer Kolonialisierung bildeten weitere, ähnlich prägende
historische Erfahrungen, sowie die damit verbundene, ausgeprägte Flexibilität
thailändischer Diplomatie, den Bezugspunkt und die Basis für eine rationale Politik, die
die Wahrung der territorialen Integrität und nationalen Souveränität als höchsten
außenpolitische Ziele festsetzte. Um diese Interessen zu sichern, bediente sich Thailand,
in einer günstigen geografischen Lage auf dem südostasiatischen Festland, traditionell
dem Mittel der Bildung von Allianzen mit dem jeweilig stärksten Partner in der Region
um sich der aktuellen politischen Lage anzupassen.
6
Die außenpolitischen Interessen wurden stark von einer, auf sozialen Normen
(lakpatibat) beruhenden thailändischen Identität - ,,Thainess" (khwampenthai) ­
1
Klausner, William J., Reflections on Thai Culture, Bangkok 1981, S.79-80.
2
McCargo, Duncan, Politics and the Press in Thailand: Media Machinations (= Rethinking Southeast
Asia, Routledge Research on Southeast Asia), London 2000, S. 170.
3
Kislenko, Arne, Bending with the Wind: The Continuity and Flexibility of Thai Foreign Policy, in:
International Journal 57 (2002), H. 4, S. 537-561, hier S. 537.
4
Chachavalpongpun, Pavin, Reinventing Thailand. Thaksin and His Foreign Policy, Singapur 2010, S.
63.
5
Ebd., S. 63ff.
6
Neben Vermeidung einer Kolonialisierung durch europäische Nationen zu Beginn des 20.
Jahrhunderts, der Allianz mit den USA im Ost-West-Konflikt um nicht als letzter ,,Domino zu fallen",
ist die Bildung von Allianzen Thailands im Zweiten Weltkrieg ein häufig angeführtes und explizites
Beispiel für die extreme Flexibilität der thailändischen Diplomatie, vgl. dazu Kap. 3.1.3.

Einleitung
2
geprägt, die seit jeher versuchte das Gleichgewicht zu internationalen ,,westlichen"
Normen (lakpatibat rawangprathet) zu finden. So gilt als Implikationen der Identität:
,,being a pure and genuine Thai (...) had to balanced against behaving in a way deemed
acceptable to Westerners"
7
Das seit Februar 2001 regierende und im September 2006 mit dem Coup d'État des
thailändischen Militärs gestürzte Regime des Premiermisters Thaksin Shinawatras,
gehört bis heute ohne Zweifel nicht nur zu den umstrittensten Regierungsperioden in
der Geschichte der thailändischen Demokratie, sondern markiert auch einen radikalen
Bruch mit der bisherigen Auswärtigen Politik Thailands. Der von 2001 bis 2006
vollzogene, tief greifende Wandel der thailändischen Gesellschaft im Nachgang der
asiatischen Finanzkrise
8
erstreckte sich ebenso konsequent auf den Bereich der
Außenpolitik. In ihm kommt eine grundlegende Veränderung der internationalen
Orientierung des Landes zum Ausdruck, welche die Handlungsorientierung der
politischen Akteure einschließt und unter anderem die bestimmende Grundlage für
Konfliktlinien der bis heute andauernden politischen Krise vorgibt. So lassen sich für
diese Regierungsperiode entscheidende Neuausrichtungen in Zielsetzung und
Formulierung der thailändischen Außenpolitik feststellen. Diese korrelierte mit einer
praktisch vollständigen Reorganisation der personellen und strukturellen Organisation
des Außenministeriums (Krom Tha) bzw. außenpolitischer Entscheidungsprozesse.
Damit änderte sich nicht nur der Inhalt der Außenpolitik, sondern auch die operationale
Ebene wurde grundlegend reformiert.
Unter der Regierung Shinawatra versuchte Thailand sein historisch gewachsenes
Selbstverständnis im Kontext internationaler Politik fundamental zu verändern, sodass
im wissenschaftlichen Diskurs von einer ,,Thaksination of Thailand"
9
beziehungsweise
von ,,Thaksiplomacy"
10
gesprochen wurde.
Seit Absetzung des Thaksins Power Network durch ein oppositionelles Netzwerk,
bestehend aus hochrangigen Militärs, Königshaus und einer bürokratischer Elite aus
7
Reynolds, Craig J., Introduction: National Identity and its Defenders, in: Ders. (Hrsg.): National
Identity and its Defenders: Thailand 1939-1989 (= Monash Papers on Southeast Asian, Bd. 25),
Clayton 1991, S. 1-40, hier S. 8.
8
Möller, Kay, Pacific Sunset. Vom vorzeitigen Ende des ostasiatischen Jahrhunderts (= SWP-Studie
2002/S09) Berlin 2002, S. 15.
9
McCargo,Duncan/Pathmanand, Ukrist (Hrsg.), The Thaksinisation of Thailand, Copenhagen 2005.
10
Chachavalpongpun, Reinventing Thailand, S. XII.

Einleitung
3
Bangkok
11
kam es zu vier neuen Regierungsbildungen, welche jeweils durch
unterschiedliche Maßnahmen versuchten, das ,,außenpolitische Erbe Thaksins"
entweder fortzuführen oder vollständig zu verdrängen. Die mit den innenpolitischen
Machtwechseln verbundene, chronische Re-Konzeptualisierung der außenpolitischen
Leitideen ist nicht nur in erster Linie für thailändische Diplomaten, sondern in der
Hauptsache auch für die internationalen Beziehungen Thailands zu einer
Belastungsprobe geworden.
Das Erkenntnis leitende Interesse der Untersuchung konzentriert sich auf die
Konstitution des außenpolitischen Wandel Thailands im Kontext der Regierungsperiode
Thaksin Shinawatras und versucht die dahinter stehenden Bestimmungsfaktoren der
Neuorientierung, sowie ihrer Wirkungsweise mit Hilfe eines sozialkonstruktivistischen
Analyserahmens zu erkennen.
In diesem Kontext soll die vorliegende Arbeit die Oszillation der thailändischen
Außenpolitik zwischen den unterschiedlichen Polen analysieren, welche seit Beginn
der Regierungszeit Thaksin Shinawatras die politische und gesellschaftliche Diskussion
dominiert.
1.2 Leitfragen
der
Untersuchung
Die Untersuchung soll einen Beitrag leisten, den außenpolitischen Wandel Thailands im
Zeitraum von 2001 bis 2006 wissenschaftlich zu erfassen und zudem in den historischen
Bezugsrahmen der ,,klassischen" thailändischen Außenpolitik einzuordnen. Die
Forschungsfrage lautet daher:
Wie lässt sich ein grundlegender außenpolitischer Wandel in der Regierungszeit
Thaksin Shinawatra anhand von Handlungsnormen und kollektiven Identitäten
erkennen?
Vor diesem Hintergrund ergeben sich sechs Leitfragen, deren Beantwortung im
Mittelpunkt der Untersuchung stehen soll:
1. Welche Handlungsnormen und kollektive Identitäten bestimmten die Handlungsweise
der thailändischen Außenpolitik vor der Regierungszeit Thaksin Shinawatras?
11
McCargo unterscheidet zwischen dem "Thaksin Power Network" und dem ,,Network Monarchy",
vgl. McCargo, Duncan, Network Monarchy and Legitimacy Crises in Thailand, in: The Pacific Review
18 (2005), H. 4, S.499-519, ebenso dazu: Chachavalpongpun, Pavin, Behind the red shirts is a
strong, underrated network, in: Bangkok Post vom 20.04.2009.

Einleitung
4
In diesem Teil der Untersuchung wird es nötig sein, die Entwicklung der Außenpolitik
in ausgewählten Teilbereichen bis zum Beginn der Regierung Thaksin zu analysieren,
um anhand dessen im Verlauf der Arbeit einen systematischen Vorher-Nachher-
Vergleich, wie auch eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen außenpolitischen
Teilbereichen zu ermöglichen. Ziel soll es sein, historisch gewachsene Traditionen,
sowie Besonderheiten des außenpolitischen Handelns und Denken zu bestimmen.
12
Es
wird also danach gefragt, welche kollektive Identität die Interessen Thailands in den
Auswärtigen Beziehungen bestimmten und wie diese sich im Rahmen der
gesellschaftlichen und internationalen Umwelt herausgebildet haben. Welche Faktoren
konstituieren eine nationale, thailändische Identität bzw. ,,Thainess" (khwampenthai),
und wie haben diese sich in einer historischen Perspektive entwickelt?
13
Vor diesem Hintergrund sollen die intersubjektiv geteilten Erwartungen über eine
Handlungsweise, die von den Akteuren als adäquat eingeschätzt wurde,
herausgearbeitet werden. Bei der Analyse außenpoltischen Handeln aus einer
konstruktivistischen Perspektive kommt sozialen Normen die Rolle von unabhängigen
Variablen zu.
14
Daher steht in diesem Zusammenhang die Beantwortung folgender
Fragen im Mittelpunkt: Was bedeutet die ,,bending with the wind"-Vorgehensweise (lu
tam lom) als eine Charakteristik thailändischer Außenpolitik und an welchen Normen
richtete sich die Außenpolitik aus? Wie wirkt sich diese kollektive Identität auf das
Selbstverständnis, die Interessen und Mittelpräferenzen Thailands in internationalen
Beziehungen aus? An dieser Stelle sollen exemplarisch die regionalen Beziehungen
Thailands im Rahmen der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) betrachtet
werden, dabei wird der Schwerpunkt der Betrachtung auf den bilateralen Beziehungen
zu Myanmar und Kambodscha liegen.
Weiterhin ist in einer historischen Retrospektive zu bestimmen, dass die ambivalenten
Beziehungen zu dem Nachbarland Myanmar einen der entscheidenden Fixpunkte für
12
Diese kollektiven Identitäten sind immer auch sehr stark von der Vergangenheit einer
gesellschaftlichen Gruppe bestimmt, vlg. dazu Assmann, Jan, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift,
Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 6. Aufl., München 2007, S. 43f, 130-
133, ebenso dazu: Risse, Thomas, Deutsche Identität und Außenpolitik, in: Hellmann,
Gunther/Schmidt, Sigmar/Wolf, Reinhard (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Außenpolitik, 1. Aufl.,
Wiesbaden 2007, S. 49-61, hier S. 50.
13
Vgl. Chachavalpongpun, Pavin, A Plastic Nation. The Curse of Thainess in Thai-Burmese Relations,
New York/Toronto 2005, S. 2.
14
Vgl. Boekle, Henning/Rittberger, Volker/Wagner, Wolfgang, Normen und Außenpolitik.
Konstruktivistische Außenpolitiktheorie (= Tübinger Arbeitspapiere zur Internationalen Politik und
Friedensforschung, Nr. 34), Tübingen 1999, S. 3.

Einleitung
5
die Bestimmung des nationalen Selbstverständnisses und der Außenpolitik der
politischen Akteure darstellt. Die Festlegung des Untersuchungsschwerpunktes auf
dieses Land ist somit besonders im Kontext der ,,Ära Thaksin" relevant.
Im Sinne einer Vergleichsfolie sollen diese Aspekte für die folgende Analyse des
außenpolitischen Wandels in der Regierungszeit Thaksin Shinawatras herausgearbeitet
werden.
2. Welche Rolle spielte die Persönlichkeit Thaksin Shinawatras bei der Gestaltung des
Wandels thailändischer Außenpolitik?
In der Untersuchung werden Aspekte des beruflichen Werdegangs und der
wirtschaftlichen Prägung der Persönlichkeit Thaksins mit in die Analyse der
außenpoltischen Wandels einfließen müssen. Dass dieser bereits vor der Ausübung des
Amtes des Premierministers als thailändischer Außenminister tätig war, spielte für das
Verständnis seiner politischen und persönlichen Motive ebenso eine Rolle wie die
Tatsache, dass Thaksin als ,,Self-made-Millionär" als einer der reichsten Person in
Asien galt.
15
Dementsprechend können individuelle Denk- und Weltbilder aufgearbeitet
werden um die Auswirkungen der idiosynkratischen Eigenschaften, des
Premierministers als Entscheidungsträgers, auf die Außenpolitik zu bestimmen. Neben
der Frage, wie Thaksin die Umwelt auf Basis seiner kognitiven Dispositionen
wahrgenommen hat und ob bzw. in welchem Umfang diese Einfluss auf die
Außenpolitik hatte, ist ebenso die Frage nach seinem individuellen Führungsstil
entscheidend. Einerseits kann davon ein direkter Einfluss auf bestimmte
Verhandlungsstile- und Taktiken ausgehen.
16
Andererseits kann diese Prägung
hinsichtlich der Arbeitsgewohnheiten (Arbeitsumwelt, Organisation des
Entscheidungsprozesses) indirekt wirksam werden. Zu analysieren wäre hier Thaksins
Fixierung auf eine überwiegend wirtschaftlich orientierte Politik und sein Selbstbild als
,,CEO Prime Minister"
17
Thailands. Die daraus gewonnene Erkenntnis bildet zudem
eine Grundlage bei der Bestimmung von Handlungsräumen und Restriktionen im
außenpolitischen Entscheidungsprozess, welche maßgeblich für einen Politikwandel
sind. Des Weiteren lässt die damit verbundene Etablierung von CEO-Diplomaten im
15
Vgl. Southeast Asia's 40 Richest, in: Forbes Magazin vom 27.08.2004.
16
Vgl. Peters, Methoden der Außenpolitikanalyse, S. 829f.
17
Shinawatra, Thaksin, Forward Engagement Policy: The New Era of Thailand's Foreign Policy,
Inaugural Lecture at The Saranrom Institute of Foreign Affairs, Bangkok 12.03.2003.

Einleitung
6
Rahmen der organisatorischen Umgestaltung des Außenministeriums, Rückschlüsse auf
die veränderten Mittelpräferenzen in den internationalen Beziehungen zu.
3. Lassen sich konkrete Einflüsse der internationalen und/oder gesellschaftlichen
Umwelt Thailands erkennen, welche die Prozesse auslösten, die zu einer grundlegenden
Änderung in der internationalen Orientierung in der Regierungszeit Thaksin
Shinawatras führten?
In diesem Teil der Arbeit soll analysiert werden, welche Rahmenbedingungen für eine
außenpolitische Veränderung maßgebend waren. An dieser Stelle ist nach den Aspekten
der innenpolitischen, gesellschaftlichen und internationalen Umwelt Thailands zu
Beginn der Regierungszeit Thaksins im Jahr 2001 zu fragen. Im Fokus stehen dabei
Indikatoren, die zu veränderten Handlungsnormen und kollektiven Identitäten geführt
haben könnten. Auf der gesellschaftlichen Ebene bildet der Einfluss der hohen
Unzufriedenheit der thailändischen Bevölkerung mit der wirtschaftlichen und sozialen
Situation im Nachgang der Asienkrise von 1997, sowie der schnelle Aufstieg der ,,Thai
Rak Thai" (,,Thais lieben Thais") unter der Führung von Thaksin Shinawatra den
Schwerpunkt.
Der internationale Kontext, in dem die thailändische Außenpolitik unter Thaksin
operierte, wurde entscheidend durch das Phänomen der Globalisierung
18
bestimmt.
Weiterhin stellte der Aufstieg der beiden asiatischen Großmächte Indien und China eine
weitere Herausforderung für die Ausrichtung der thailändischen Außenpolitik dar.
Zudem spiele das regionale Führungsvakuum durch das Ausscheiden charismatischer
Persönlichkeiten aus der Politik eine gewichtige Rolle, da infolgedessen die
Möglichkeit für Thaksin bestand, diese Lücke auszufüllen.
19
Diese Elemente
bestimmten in einem hohen Maße die Situationsdefinitionen, auf die die Außenpolitik
18
Aufgrund der umstrittenen Definition und der Vielzahl theoretischen Ansätze den Begriff
Globalisierung zu operationalisieren, soll im weiteren Verlauf der Arbeit die Vorstellung der
thailändischen Regierung zugrunde gelegt werden: ,,The Thai Government likes to think of
globalization as characterized by the free flow of 4 things: people; goods and services; capital;
technology and knowledge", zit. nach: Srivihok, Vitavas, CEO Ambassador: Challenges of the
International Management of External Relations, Genf 2006, S. 2. Vitavas war zu dieser Zeit
Botschafter des thailändischen Außenministeriums.
19
Als Beispiel wären hier die, auch für die wachsende Rolle der ASEAN, wichtigen regionalen
Führungspersönlichkeiten, wie Singapurs Lee Kuan Yew, Indonesiens Haji Mohamed Suharto und
Malaysias Mahathir Mohamad, zu nennen. Auch wenn Letzterer bei dem Amtsantritt Thaksins und
bis zu seinem Rücktritt als Premierminister 2003 noch im Amt war. Vgl. dazu: McCargo, Duncan,
Can Thaksin lead Southeast Asia? Only if he wins over the region's Muslims, in: Time vom 7.
Februar 2005, S.21.

Einleitung
7
aufbaute. Vor diesem Hintergrund soll daher die Beantwortung nachfolgender
Leitfragen in der Arbeit fokussiert werden.
4. Wie bestimmt sich Art und Ausmaß des Wandels von Handlungsnormen und
kollektiven Identitäten, am außenpolitischen Entscheidungsprozess und im Kontext des
nationalen und internationalen Bezugssystems?
Die von den politischen Akteuren mystifizierte Vorstellung vom Erfolg thailändischer
Außenpolitik durch die Flexibilität ,,to bend with the pervailing wind", bedarf im
Kontext der ,,Ära Thaksin" einer grundlegenden Neuinterpretation. In dieser
Regierungsperiode schien ein neues außenpolitisches Selbstbewusstsein zu dominieren,
welches eher eine richtungsweisende als eine opportunistische, an den internationalen
Zwängen, ausgerichtete Politik erkennen ließ.
20
Vermutlich von einem ökonomischen
Imperativ geprägte, neue Weltsicht, zielte auf eine Änderung der geopolitischen
Landschaft in Südostasien. Mit Thailand als treibende Kraft einer wirtschaftlichen
Entwicklung an der Spitze von regionalen Kooperationsrahmen und bei der Bildung und
Integration einer asiatischen Gemeinschaft. Als institutionalisiertes Beispiel dieser
ehrgeizigen Politik können die von Thaksin etablierten Organisationen, Ayeyawady-
Chao Phraya-Mekong Economic Cooperation Strategy (ACMECS) und der Asia
Cooperation Dialogue (ACD), dienen, deren Stellenwert für die Außenpolitik kritisch
im Hinblick auf die Rolle Thailands in den ASEAN analysiert werden muss. Darüber
hinaus änderten sich nicht nur die Inhalte, und Motive hinter der Außenpolitik, sondern
auch der Prozess des policy-making unterlag einem grundlegenden Wandel.
In diesem Zusammenhang sollen Art und Ausmaß der facettenreichen Neubestimmung
der thailändischen Außenpolitik untersucht werden. Folgende Fragen stehen daher im
Zentrum: Welche veränderten Handlungsnormen lassen sich in den Antrittsreden bzw.
Regierungserklärungen der politischen Akteure erkennen? Wie definieren die
kollektiven Identitäten den Spielraum für außenpolitisches Handeln in der
Regierungszeit Thaksin?
5. Wie wirken sich diese Veränderungen auf das Selbstverständnis, die Interessen und
Mittelpräferenzen in den internationalen Beziehungen als Topoi thailändischer
Außenpolitik aus?
20
Vgl. Chachavalpongpun, Reinventing Thailand, S. 5.

Einleitung
8
An dieser Stelle geht es um die durch veränderte Handlungsnormen und nationale
Identitätsvorstellungen neu definierten Interessen und Mittelpräferenzen Thailands in
den internationalen Beziehungen. Das von einer nationalistischen Rhetorik geprägte
Selbstverständnis sollte durch eine Verbesserung der Reputation und Stellung Thailands
im Ausland seinen Ausdruck finden. Mit unterschiedlichen emanzipatorischen
Maßnahmen, versuchte Thaksin Thailand als ein Land der ,,Ersten Welt" zu etablieren.
So zum Beispiel durch den Imagewandel vom Nehmer- zum Geberland internationaler
Entwicklungshilfe oder durch anhand der von ihm im Rahmen der ASEAN initiierten
Einrichtung eines asiatischen Anleihemarktes.
Die Wahrnehmung nationaler Interessen, welche sich vornehmlich an der Stärkung der
thailändischen Wirtschaft im In- und Ausland orientierten, wurden durch eine
Verschiebung der außenpolitischen Mittelpräferenzen und der Schaffung neuer
Methoden forciert. Es zeichnete sich jedoch bereits bei dem Amtsantritt Thaksins ein
erhöhtes außenpolitisches Konfliktpotenzial im Rahmen der bilateralen Beziehungen zu
angrenzenden Staaten ab. Durch Abkehr von einer traditionell flexiblen
sicherheitspolitischen Ausrichtung Thailands, hin zu dem Anspruch eine ökonomisch-
hegemoniale Führungsrolle in der Region einzunehmen, schien das Misstrauen seitens
der Nachbarstaaten eher noch verstärkt zu werden. Zur Beantwortung dieses Komplexes
stehen daher folgende Fragen im Mittelpunkt: Welche außenpolitischen Interessen und
Mittelpräferenzen spiegeln das veränderte Selbstverständnis Thailands in der
Regierungszeit Thaksins wieder? Wie wirken sich diese auf die regionalen und
bilateralen Beziehungen Thailands aus?
6. Wie lässt sich der Wandel der internationalen Orientierung in der ,,Ära Thaksin" in
einem historischen Bezugsrahmen der thailändischen Außenpolitik einordnen und
verstehen?
In diesem Teil der Untersuchung soll abschließend der Wandel beziehungsweise die
Kontinuität in der Außenpolitik im Verhältnis mit den klassischen Auswärtigen
Beziehungen Thailands analysiert werden. Im Fokus steht hier die Frage, ob es Thaksin
in seiner Regierungszeit gelungen ist, einen neuen ,,Punkt 0" zu schaffen. Im Sinne
eines neuen historischen Bezugspunkt - welcher in Abkehr von der traditionellen
bamboo policy - für die zukünftige Gestaltung der Außenpolitik maßgebend ist und sich
weiterhin konstituierend au das Selbstverständnis der politischen Akteure auswirkt. Zu
untersuchen wäre an dieser Stelle, inwieweit die Regierungen in der ,,Post-Thaksin-

Einleitung
9
Ära" auf dessen außenpolitisches Erbe rekurrieren, beziehungsweise dieses gezielt
ablehnen. Dies lässt sich gut am Beispiel der zwei von Thaksin etablierten und
persönlich stark geprägten, internationalen Organisationen, dem ACD und der
ACMECS, verdeutlichen.
1.3
Aufbau der Untersuchung
Die vorliegende Arbeit ist in drei Teile strukturiert. Dem theoretischen Grundlagenteil
folgt der Hauptteil der Untersuchung. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf die
Außenpolitik in der ,,Post-Thaksin-Ära" und zusammenfassenden Ergebnisteil ab.
Zu Beginn erfolgt die Darstellung der einleitenden Gesichtspunkte der Arbeit im
Kapitel 1. Nachfolgend werden die allgemeinen theoretischen Prämissen, die für die
Untersuchung außenpolitischen Wandels aus einer konstruktivistischen Perspektive
notwendig sind, im Kapitel 2 artikuliert. An dieser Stelle sollen die wichtigsten Begriffe
bestimmt, und das Analyseraster der Arbeit herausgearbeitet werden. Den Abschluss
des Grundlagenteils bildet die Einschätzung über die verwendeten Quellen und der
aktuellen Forschungslage der Untersuchung. Der Hauptteil als analytischer Abschnitt
der Arbeit ist in zwei Kapitel gliedert. Im Kapitel 3 liegt der Fokus auf den Aspekten
der historischen Verhaltensweisen und Wesensarten der thailändischen Außenpolitik.
Mit Blick auf das Erkenntnis leitende Interesse der Arbeit sollen Handlungsnormen und
Aspekte der kollektiven Identität bestimmt werden, die für die thailändische
Außenpolitik von Bedeutung sind, um sie für das Analyseraster im Kapitel 4 nutzbar zu
machen.
Die Regierungszeit Thaksin Shinawatra bildet mit dem Kapitel 4 den Mittelpunkt der
Arbeit. Zunächst erfolgt eine kurze Darstellung der Person Thaksin Shinawatra, seiner
Entwicklungsgeschichte und die daraus folgenden Implikationen für seine Position als
Premierminister im Hinblick auf die Auswirkungen für den Wandel der Außenpolitik.
Hierbei sollen im Kapitel 4.2 die maßgebenden Identitäten und Handlungsnormen - die
den Wandel der Außenpolitik determinieren - mithilfe der vorab dargelegten
theoretischen und methodischen Bezugspunkte herausgearbeitet werden. Das Kapitel
4.3 versucht diese Erkenntnisse auf eine Auswahl von Konflikten anzuwenden. Der
Fokus liegt hierbei auf den regionalen und bilateralen Beziehungen Thailands. So das
die Interessen- und Mittelpräferenzen in den regionalen Verbindungen anhand der
ASEAN, ACD und der ACMECD verdeutlicht werden. Die Auswahl der bilateralen
Beziehungen erstreckt sich wie im Kapitel 3.2.2 auf die Staaten Myanmar und

Einleitung 10
Kambodscha. Den Abschluss soll eine kurze Zusammenfassung des Wandels der
thailändischen Außenpolitik in der Regierungszeit Thaksin Shinawatras bilden.
Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, können nicht alle Elemente bei der
Untersuchung, die direkte Auswirkungen auf die Veränderung der Identitäten und
Handlungsnormen haben, berücksichtigt werden. So soll sich die Analyse der
Handlungsnormen auf die zugänglichen offiziellen Regierungsdokumente beziehen. Im
Hinblick auf die Zielsetzung der Arbeit können an dieser Stelle nur die wichtigsten
Entwicklungslinien nachgezeichnet werden.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 11
2.
Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische
Perspektive
Nachfolgend soll das dieser Arbeit zugrunde liegende Vorverständnis herausgearbeitet
werden. Dabei soll expliziert werden, warum sich die sozialkonstruktivistische
Perspektive für eine kritische Auseinandersetzung eines außenpolitischen Wandels
eignet und somit die Grundlage für die Analyse des Untersuchungsgegenstands der
vorliegenden Arbeit bildet. Neben der Ableitung der Untersuchungskriterien und
Handlungsorientierungen, soll zudem das methodische Vorgehen begründet werden.
2.1 Begriffliche
Eingrenzung
Ziel der Arbeit ist es, den außenpolitischen Wandel Thailands aus einer
konstruktivistischen Perspektive zu verstehen und zu analysieren. Daher sollen
nachfolgend, die für die Analyse notwendigen Metaverständnisse des
Sozialkonstruktivismus deutlich gemacht werden. Im Fokus stehen hierbei die
Begrifflichkeiten der ,,(kollektiven) Identität", der ,,Normen" und ,,Interessen". Der
Begriff der ,,Identität" wurde im Rahmen der politikwissenschaftlichen Kulturforschung
aus Perspektive der demokratietheoretischen Tradition lange als "vollkommene
Übereinstimmung oder Gleichheit von Herrschern und Beherrschten zur
Gewährleistung direkt ausgeübter Volkssouveränität"
21
angesehen. Durch eine
Erweiterung um eine sozialwissenschaftliche Dimension ist in der Literatur eher die
Unterscheidung des Begriffes in eine personale und kollektive Identität gebräuchlich.
Somit bezeichnet ,,Identität" das Selbstverständnis eines Individuums, einer Gruppe
oder Gesellschaft.
22
Diese bestimmen sich nicht nach exogenen Faktoren, sondern
bilden sich in einen gesellschaftlichen Prozess anhand von sozialer Kommunikation und
Interaktion heraus. Während die personale Identität die Selbstreflexion eines
Individuums bezeichnet, bezeichnet die soziale Identität die Identifikation eines
21
Bergem, Wolfgang, Identität, in: Geiffenhagen, Marting/Greifenhagen, Sylvia (Hrsg):
Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, 2., überarb. Aufl.,
Wiesbanden 2002, S. 192-200, hier S. 192.
22
König, Jens Christian, Politische Kultur in den USA und Deutschland: Nationale Identität am Anfang
des 21. Jahrhunderts, Diss., Aachen 2010, S. 89.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 12
Individuums mit einer sozialen Gruppe.
23
Da wie bereits dargelegt, eine
konstruktivistische Herangehensweise Interessen nicht als objektiv von der
gesellschaftlichen oder internationalen Umwelt vorgegeben, sondern durch soziale
Prozesse konstituiert und folglich veränderbar ansieht,
24
hat sich ,,das Thema kollektiver
Identitäten zu einem Paradethema konstruktivistischer Forschung (...) entwickelt".
25
Wesentlich lassen sich drei Merkmalsdimensionen von sozialen Identitäten
unterscheiden, welche im Besonderen für das Erkenntnis leitende Interesse dieser
Untersuchung unabdingbar sind. So beschreiben soziale Identitäten erstens die
Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und definieren den gemeinsamen Nenner
anhand historischer Erfahrungen und zukünftiger Zielvorstellungen. Zweitens legen die
sozialen Identitäten die Zusammengehörigkeit einer Nation fest und grenzen diese
anhand von spezifischen Unterschieden im Sinne einer Innen- und Außenbarriere von
anderen ab. Am Beispiel Thailands legt laut dem Historiker Thongchai Winichakul
ausdrücklich diese Abgrenzung über negative Merkmale fest, was Bestandteil von
,,khwampenthai" oder ,,Thainess" ist.
26
Das dritte Charakteristikum sozialer Identitätskonstruktionen ist, das Individuen in der
Regel über mehrere soziale Identitäten verfügen, welche meist problemlos
nebeneinander existieren können.
27
Samuel Huntington erweitert diese Ausprägung um
den Aspekt der Situationsbedingtheit von Identitäten. So werden in unterschiedlichen
Situationen verschiedene Aspekte der Identität(en) bedient und unterschiedlich stark
akzentuiert.
28
Kollektive Identitäten formieren sich um spezifische Attribute und
definieren sich durch ,,die zeit- und generationsübergreifende Beständigkeit von
Institutionen, Symbolen, Werterhaltungen und Zielen einer Gruppe oder staatlich
verfassten Gesellschaft"
29
Weller betont in diesem Zusammenhang den ,,ingroup"-
Aspekt von Gemeinsamkeiten der Gruppe und den ,,outgroup"-Aspekt, der diesen
23
Boekle, Henning/Nadoll, Jörg/Stahl, Bernhard, Identität und vergleichende Analyse europäischer
Außenpolitiken. Theoretische Grundlegung und methodische Vorgehensweise (= PAFE-
Arbeitspapier, Nr. 1), S. 12f.
24
Risse, Thomas, Deutsche Identität und Außenpolitik, in: Hellmann, Gunther/Schmidt; Sigmar, Wolf,
Reinhard (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Außenpolitik, 1. Aufl., Wiesbaden 2007, S. 49-61, hier S.
50.
25
Vgl. Risse, Theorien Internationaler Beziehungen, S. 121.
26
"If the domain of what is Thainess is hard to define clearly, the domain of what is not Thai- that is,
un Thai - is identified from time to time", Winichakul, Thongchai, Siam Mapped: A History of the
Geo-Body of a Nation, Chiang Mai 1998, S. 5.
27
Risse, Deutsche Identität, S. 51; vgl. König, Politische Kultur, S. 93ff.
28
Vgl. Huntigton, Samuel P., Who are we? Die Krise der amerikanischen Identität, Hamburg/Wien
2004, S. 42-45Vgl. König, Politische Kultur, S. 93.
29
Holtmann, Everhard (Hrsg.), Politik-Lexikon, München/Wien 1991, S. 237.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 13
Gemeinsamkeiten einen identitätsstiftenden Wert in Abgrenzung zu anderen
Kollektiven verleiht.
30
,,Nationale Identität" hingegen versteht sich als eine bestimmte
Form der kollektiven Identität, die sich auf die Selbstdefinition einer Gruppe auf Basis
einer gemeinsamen Geschichte als Nation bezieht.
31
Diese Identitätsvorstellung
konstruiert sich anhand von sozialen Interaktionen, als "eine gedachte Ordnung, eine
kulturell definierte Vorstellung, die eine Kollektivität von Menschen als eine Einheit
bestimmt"
32
Nationale bzw. kollektive Identitäten lassen sich folglich nicht als
greifbare, sondern als imaginäre Größen verstehen.
Hinsichtlich der Bedeutung von kollektiver bzw. nationaler Identität für eine Analyse
der Außenpolitik eines Staates lässt sich konstatieren, dass diese die Möglichkeiten
dessen abgrenzen, was in Übereinstimmung mit dieser Identität durchführbar ist und
folglich den ,,Raum möglichen außenpolitischen Handelns [definieren]".
33
In
Abgrenzung zu der Identitätskonstruktion Alexander Wendts, welcher bei der
Konstitution von Identitäten nur durch Interaktionen zwischen Staaten, also auf
Prozesse der internationalen Ebene rekurriert, versucht diese Arbeit darüber hinaus für
die Analyse des außenpolitischen Wandels Identitätskonstruktionen mit einzubeziehen,
die auf gesellschaftliche Faktoren basieren.
34
Um eine genaue Vorstellung der Erklärungsreichweite der Variable Identität für das
außenpolitische Handeln von Entscheidungsträgern zu erhalten, ist es notwendig, diese
Aspekte einer konstruktivistischen Herangehensweise genau zu bestimmen. So wäre es
ein Fehlschluss ,,Kultur" als Synonym für ,,Identität" zu verwenden. Der Begriff
,,Kultur" meint die ,,tradierten, sozial konstruierten und reproduzierten
Bedeutungssysteme, intersubjektiv geteilt und zur Interpretation von Wirklichkeit
herangezogen werden"
35
. Demgemäß kann Kultur entscheidend für die Reproduktion
von Identitätsaspekten angesehen werden, ist jedoch nicht deckungsgleich mit Gruppen,
die ein kollektives Identitätsverständnis teilen.
36
Mit anderen Worten, "culture is the
30
Weller, Christoph, Kollektive Identitäten in der internationalen Politik. Anmerkungen zur
Konzeptionalisierung eines modischen Begriffs, in: Reese-Schäfer, Walter (Hrsg.): Identität und
Interesse. Der Diskurs der Identitätsforschung , Baden-Baden 1999, S. 249-278, hier S. 256.
31
Vgl. Boekle/Nadoll/Stahl, Identität und vergleichende Analyse, S. 13.
32
Lepsius, Rainer M., Interessen, Ideen, Institutionen, 2. Aufl., Wiesbaden 2009, S. 232.
33
Risse, Deutsche Identität, S. 52.
34
Vgl. Wendt, Anarchy.
35
Boekle/Nadoll/Stahl, Identität und vergleichende Analyse, S. 15.
36
Ebd., S. 16.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 14
`frame' in which people derive a sense of who they are, how they should act and
identity is the `action unit of culture'".
37
Eine weitere entscheidende Trennlinie muss zu der Variablen Normen gezogen werden.
Entsprechend der von Boekle, Rittberger und Wagner formulierten konstruktivistischen
Außenpolitiktheorie, kann davon ausgegangen werden, dass Vorstellungen von
angemessenem beziehungsweise unangemessenem außenpolitischen Verhalten der
Entscheidungsträger, maßgeblich von den Normen internationaler und gesellschaftlicher
Gemeinschaften bestimmt wird, in welchen diese sozialisiert sind.
38
Kratochwil
definiert Normen in Abgrenzung zu Prinzipien und Regeln als "standards of behavior
defined in terms of rights and obligations"
39
und impliziert damit die Funktion vor
Normen als autoritative Leitlinie für normales Verhalten. Konstruktivistische Ansätze
unterscheiden zudem zwischen konstitutiven und regulativen Effekten von Normen.
Mithin können diese einerseits sowohl die Identitäten der Akteure bestimmt werden,
indem sie als Regeln für angemessenes Verhalten dienen, andererseits aber auch als
Standards wie umgesetzt werden.
40
Daraus ergibt sich, dass Normen ,,stabile und
flexible Qualitäten" haben, indem sie durch ,,soziale Interaktionen gesellschaftlich
konstruiert" sind und Verhalten regulieren und ebenso eine ,,handlungsleitende
konstitutive Wirkungen" besitzen, indem Sie Identitäten definieren.
41
Normen grenzen
sich durch verschiedene definitorische Merkmale von anderen ideellen Variablen wie
Ideen, Werten und Weltbildern ab. An dieser Stelle sind vor allem Intersubjektivität (in
dem Normen über individuelle Überzeugung hinaus gehen), unmittelbare
Verhaltensorientierung (die Normen mit einer expliziten Verhaltensanforderung
verbinden), sowie durch ihren Wertebezug eine kontrafaktische Gültigkeit besitzen
(sodas Normen auch bei gelegentlicher Nichtbeachtung existent sein können) als
wichtige Attribute zu nennen.
42
Die Logik der Angemessenheit
43
bildet das Bindeglied
37
Shaffer, Brenda (Hrsg.), The limits of Culture: Islam and Foreign Policy, Cambridge 2006, S. 51.
38
Boekle/Rittberger/Wagner, Normen und Außenpolitik, S. 4.; vgl. Peters, Außenpolitikanalyse, S.
831.
39
Kratochwil, Friedrich V., Rules, Norms and Decisions: On the Conditions of Practical and Legal
Resoning in International Relations and Domestic Affairs (=Cambridge Studies in International
Relations, Bd. 2), Cambridge 1989, S. 59.
40
Vgl. Rother, Stefan, Normen, Identitäten und die Logik der Anarchie: Die ASEAN aus
konstruktivistischer Perspektive (= Freiburger Beiträge zu Entwicklung und Politik, Bd. 32), Freiburg
i. Br. 2004, S. 39f.
41
Wiener, Antje, Die Wende zum Dialog: Konstruktivistische Brückenstationen und ihre Zukunft, in:
Hellmann, Gunther/ Wolf, Klaus Dieter/Zürn, Michael (Hrsg.): Die neuen Internationalen
Beziehungen. Forschungsstand und Perspektiven in Deutschland (= Weltpolitik im 21. Jahrhundert,
Bd. 10), Baden-Baden 2003, S. 133-159, hier S. 150.
42
Boekle/Rittberger/Wagner, Normen und Außenpolitik, S. 4.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 15
zwischen Normen als unabhängige Variablen und dem Verhalten der Akteure in der
Außenpolitik.
44
Durch die Sozialisation der Entscheidungsträger auf internationaler und
gesellschaftlicher Ebene versteht sich das Vorhandensein von Normen und ihrer
Wirkungsmechanismen in beiden Kontexten, beziehungsweise lassen sie sich nicht
eindeutig als Akteurs- oder Strukturmerkmal identifizieren.
45
Dies muss für eine
umfassende Analyse außenpolitischen Wandels berücksichtigt werden.
Forschungsansätze des transnationalen und sozietalen Konstruktivismus, wie sie
Boekle, Rittberger und Wagner entwickelt haben, tragen diesem Sachverhalt Rechnung.
Entscheidend für eine Untersuchung der Wirkungsmechanismen von Normen auf die
Gestaltung der Außenpolitik ist, die Identifikation von Topoi, wo diese Normen
nachgewiesen werden können und die Festlegung von Variablen, wie diese sich
operationalisieren lassen. So können internationale Normen anhand des
Völkergewohnheits- oder Völkervertragsrechts, sowie in Dokumenten von
internationalen Konferenzen oder Organisationen identifizieren werden. Zur Erhebung
gesellschaftlicher Normen bieten Umfragedaten, Partei- und Wahlprogramme,
Parlamentsdebatten oder die grundsätzliche Verfassungsordnung des Staates, Grundlage
für eine Analyse.
2.2
Zur Begründung des theoretischen Ansatzes
,,Constructivism is what scholars make of it"
46
Die vorliegende Arbeit verfolgt einen theoriegeleiteten Ansatz der Außenpolitikanalyse,
der nachstehender Logik folgt.
47
Bei der Außenpolitikanalyse gilt es zu bedenken, dass die Theorieentwicklung von einer
Vielzahl konkurrierender beziehungsweise sich ergänzender Denkansätze
gekennzeichnet ist. Diese unterscheiden eine Reihe von Einflussvariablen, welchen eine
erklärende Bedeutung für staatliche Außenpolitik zukommt. So werden je nach
43
Vgl. March, James G./Olsen, Johan, P., The Logic of Appropriateness (= ARENA Working Papers,
Centre for European Studies, Nr. 04/09), Oslo 2004.
44
Boekle/Rittberger/Wagner, Normen und Außenpolitik, S. 5.
45
Ebd., S. 8.
46
Frierke, Karin/Jørgensen, Knud Erik, in: Ders. (Hrsg.), Constructing International Relations. The Next
Generation, New York/London 2001.
47
Vgl. Rittberger, Volker/Schimmelpfennig, Frank, Deutsche Außenpolitik nach der
Wiedervereinigung. Realistische Prognosen auf dem Prüfstand. Ein Tübinger Projekt (= Tübinger
Arbeitspapiere zur Internationalen Politik und Friedensforschung, Nr. 28), Tübingen 1997, S. 4f.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 16
Erkenntnisinteresse entweder Strukturen, Akteure oder Interessen in den Mittelpunkt
der Analyse gerückt. Entscheidend dabei ist, das Herausfiltern von relevanten Aspekten
empirischer Beobachtungen, die für die Erklärung von außenpolitischen Handlungen
notwendig sind. Diese Selektionsfunktion des theoretischen Ansatzes ist für die Analyse
von Außenpolitik entscheidend, denn nur so können Kausalzusammenhänge zwischen
unabhängigen und abhängigen Variablen aufgezeigt werden, die generalisierende
Aussagen über die Außenpolitik eines Landes zulassen. Mithilfe dieses theoretischen
Rahmens wird eine Analyse ermöglicht, die über die reine Beschreibung historischer
Abläufe hinaus geht.
Dessen ungeachtet ersteht in der politikwissenschaftlichen Fachliteratur der Eindruck,
dass die Analyse von Außenpolitik als ,,unwanted stepchild of domestic politics and
comparative politics"
48
gilt. Es lässt sich daher konstatieren, dass trotz der
Unterscheidung von Internationalen Beziehungen
49
in Internationale Politik und
Außenpolitik in den 1950iger Jahren des 20.Jahrhunderts, für die letztere keine
umfassende Theorie entwickelt wurde und der methodologische Forschungsstand in
diesem Bereich der Politikwissenschaft ,,nach wie vor unbefriedigend"
50
ist.
Mithin haben sich, anders als in der politikwissenschaftlichen (Teil-)Disziplin der
Internationalen Politik, bei der Außenpolitikanalyse keine umfassenden Denkschulen
herausgebildet, die sich voneinander abgrenzen lassen, sondern es existiert eine
Myriade von Herangehensweisen.
51
Während Internationale Politik die Teilbereiche des
internationalen Systems analysiert, bezieht sich Außenpolitik auf das Handeln aus der
Sicht des Akteurs. Der Erklärungsansatz der Außenpolitikforschung richtet sich daher
auf den Staat als Einheit, mit dem Ziel, durch die Öffnung der black box, Aussagen über
die Konstitution außenpolitischer Entscheidung zu treffen.
52
48
Smith, Steve, Foreign Policy Analysis and International Relations, in: Dyer, Hugh C./Mangasarian,
Leon (Hrsg.): The Study of International Relations. The State of Art, New York 1989, S.375-379,
hier. S. 377.
49
Im weiteren Verlauf der Arbeit bezieht sich die Formulierung ,,internationale Beziehungen auf den
Untersuchungsgegenstand, während sich hingegen der Begriff ,,Internationale Beziehungen" auf
den politikwissenschaftlichen Fachbereich erstreckt.
50
Seidelmann, Reimund, Außenpolitik, in: Woyke, Wichard (Hrsg): Handwörterbuch Internationale
Politik (= Schriftenreihe Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 404), 9., überarb. Aufl., Bonn
2004, S. 1-7, hier S. 4.
51
Vgl. Peters, Dirk, Ansätze und Methoden der Außenpolitikanalyse, in: Hellmann, Gunther/Schmidt;
Sigmar, Wolf, Reinhard (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Außenpolitik, 1. Aufl., Wiesbaden 2007, S.
815-835, hier. S. 816.
52
Kubálková, Vendulka, Foreign Policy, International Politics, and Constructivism, in: Ders. (Hrsg.):
Foreign Policy in a Constructed World, New York 2001, S. 15-37.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 17
Je nach zugrunde gelegtem Ansatz kann sich die Erklärung für den Inhalt der
Außenpolitik eines Staates auf Faktoren unterschiedlicher Analyseebenen beziehen. So
können zum Beispiel die individuelle Dimension der politischen Entscheidungsträger,
aber auch Umwelteinflüsse auf innerstaatlicher oder internationaler Ebene als ursächlich
für politische Entscheidungen betrachtet werden. Da jedoch die Vielzahl
unterschiedlicher Ansätze nicht isoliert voneinander besteht, kann es je nach
Erkenntnisinteresse notwendig sein, im Sinne einer integrativen Herangehensweise
unterschiedliche Aspekte mehrerer Ebenen für die Analyse nutzbar zu machen.
Der folgende Abschnitt dient der Darstellung und Ableitung des konstruktivistischen
Analyserahmens, welcher als Grundlage zur Beantwortung der Leitfragen angewendet
werden soll. Daher gilt es zuerst die Kernaussagen dieses Forschungsansatzes
herauszuarbeiten, um anschließend aufzuzeigen, welche Erklärungskraft für das
Phänomen des außenpolitischen Wandels dieser theoretischen Herangehensweise
zukommt.
Diese Arbeit orientiert sich an der konstruktivistischen Außenpolitiktheorie, welche
versucht, Einflüsse mehrerer Analyseebenen einzubeziehen.
53
Bei dieser wird weniger
die Rolle rationalen Handels als vielmehr die durch Identitäten geprägten und durch
Sozialisationsprozesse vermittelten Handlungsnormen von Akteuren, die wiederum das
Selbstverständnis, Interessen und Mittelpräferenzen der staatlich organisierten
Gesellschaft im Verhältnis zu ihrer internationalen Umwelt bestimmen, in den
Mittelpunkt der Betrachtung gerückt.
54
Ausgehend vor der Annahme, dass die
Entscheidungsträger in internationale und gesellschaftliche Gemeinschaften
eingebunden sind, werden auf diese Weise über eine ,,Logic of appropriatness"
55
Erwartungshaltungen, auf Basis von Werten und Normen dieser Institutionen über
angemessenes außenpolitisches Verhalten, an die staatlichen Akteure herangetragen.
Aus konstruktivistischer Sicht werden dadurch außenpolitische Entscheidungen eines
Staates durch Einflüsse unterschiedlicher Ebenen beeinflusst. Diese konzeptionellen
Überlegungen gilt es, in der folgenden Untersuchung zu berücksichtigen.
53
Vgl. Peters, Außenpolitikanalyse, S. 831.
54
Vgl. Medick-Krakau, Monika, Außenpolitischer Wandel: Diskussionsstand ­ Erklärungsansätze ­
Zwischenergebnisse, in: Ders. (Hrsg.), Außenpolitischer Wandel in theoretischer und
vergleichender Perspektive: Die USA und die Bundesrepublik Deutschland, 1. Aufl., Baden-Baden
1999, S. 9-13.
55
March, James G./Olsen, Johann P., Rediscovering Institutions. The Organizational Basis of Politics,
New York 1989, S. 160.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 18
Auf dieser Grundlage kann für Analyse außenpolitischen Wandels aus
konstruktivistischer Sicht aktuell keine homogene Theorie angeboten werden. Jedoch
lässt sich festhalten, dass diese Perspektive primär die Veränderungen von
immateriellen Faktoren, wie Handlungsnormen und darauf aufbauende Identitäten,
konzeptualisiert. Materielle Faktoren werden dabei zwar nicht grundsätzlich
ausgeblendet, erhalten aber für die Erklärung außenpolitischen Wandels nur insofern
Relevanz, wie sich Akteure in ihren Wahrnehmungen darauf beziehen.
56
Differenzierte
Ausführungen hierzu werden im nachfolgenden Unterkapitel artikuliert. Ausgehend von
dem Standpunkt, dass das Regime Thaksin Shinawatras eine historische Zäsur für die
Auswärtige Politik Thailands darstellte und zu einer grundlegenden Veränderung in der
internationalen Orientierung des Landes führte, bezieht sich diese Arbeit auf den Ansatz
außenpolitischen Wandels nach Thomas Risse. Dieser argumentiert, dass von einem
grundsätzlichen außenpolitischen Wandel nur dann ausgegangen werden kann, wenn
sich die Identitäten und Handlungsnormen der Akteure verändern. Anpassungen
einzelner Instrumente und/oder Zielorientierungen der Außenpolitik sind daher nicht
ausreichend.
57
Um den Gegenstand der Untersuchung - wie sich der Wandel der thailändischen
Außenpolitik erfassen, bewerten und erklären lässt - adäquat zu bearbeiten, müssen
folglich zunächst die theoretischen Annahmen über Akteurskonzepte und
Handlungslogiken des Konstruktivismus herausgestellt werden. Im Folgenden geht es
also um den Aufschluss der ontologischen und epistemologischen Grundauffassungen,
die dieser Untersuchung zugrunde gelegt werden. Aufgrund der Dominanz von
rationalistischen Theorien in der Politikwissenschaft und dem sich daraus für
konstruktivistische Ansätze ergebenden Konkurrenzverhältnis, kann ,,kaum eine
konstruktivistische IB-Studie
58
(...) darauf verzichten, zur Selbstlegitimation zunächst
darzustellen, dass der jeweils untersuchte Fall mit dem Modell des machtorientieren
56
Vgl. Risse, Thomas, Identitäten und Kommunikationsprozesse in der internationalen Politik ­
Sozialkonstruktivistische Perspektiven zum Wandel von Außenpolitik, in: Medick-Krakau, Monika
(Hrsg.): Außenpolitischer Wandel in theoretischer und vergleichender Perspektive: Die USA und
die Bundesrepublik Deutschland, 1. Aufl., Baden-Baden 1999, S. 33-57, hier S. 45f.
57
Vgl. ebd., S. 43f. Eine differenzierte Analyse geringer außenpolitischer Anpassungen ermöglicht z.B.
das verhaltensorientierte Konzept nach Charles F. Hermann. Dieser differenziert die
Verknüpfungen einzelner Politikbereiche und geht von einem außenpolitischen Wandel bereits bei
einer Anpassung der Mittel- und Strategiewahl der Akteure, vgl. Hermann, Charles F., Changing
Course: When Gouvernments Choose to Redict Foreign Policy, in: International Stuides Quarterly
34 (1990), H. 1., S. 3-21, hier S. 4f.
58
Internationale Beziehungen-Studie.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 19
egoistischen Nutzenmaximierers nicht befriedigend erklärt werden kann"
59
Das führt
dazu, das ,,Analysen in starken Maße im Kontext rationalistischer Erklärungslücken
bestimmt werden".
60
Mithin wird dieser Tatsache im Folgenden Rechnung getragen und
die in dieser Arbeit verwendeten konstruktivistischen Erklärungsfaktoren auf
vergleichende Art und Weise, den rationalistischer gegenübergestellt.
61
Konstruktivistische Forschungsansätze gelten als eine relativ junge Sichtweise auf die
internationale Politik. Angeregt wurden diese aus dem Unvermögen realistischer,
liberaler oder institutionalistischer Theorieansätze, den tief greifenden Wandel des
internationalen Systems zu erklären. Damit entwickelte sich parallel zu den
Veränderungen der internationalen Politik in den vergangenen Jahrzehnten ein reger
Diskurs zur wissenschaftlichen Analyse innerhalb der politikwissenschaftlichen
Disziplin der Internationalen Beziehungen zwischen unterschiedlichen
Theorieansätzen.
62
Im Zusammenhang mit historischen Zäsuren des 20. Jahrhunderts,
wie dem Scheitern des Völkerbundes, der Entstehung von zwei Weltkriegen und dem
Beginn des Ost-West-Konfliktes, eignete sich der (Neo-) Realismus
63
als adäquate
Theorie, um diese Entwicklungen zu erklären bzw. zu prognostizieren. Im Besonderen
konnten so die Blockbildung und die Rüstungsspirale im ,,Kalten Krieg" durch das
Sicherheitsdilemma erklärt werden. Die in erster Linie sicherheitspolitischen
Auffassungen, sowie Annahme eines fixen, anarchischen internationalen Systems,
fanden ihre Entsprechungen in den realhistorischen Zeitumständen.
Die Entwicklungen nach dem Ende des bipolaren Systemantagonismus jedoch, geprägt
durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und das Ausbleiben der Bildung eines
59
Weller, Christoph, Perspektiven eines reflexiven Konstruktivismus für die Internationalen
Beziehungen, in: Ulbert, Cornelia/Ders. (Hrsg.): Konstruktivistische Analysen der internationalen
Politik , 1. Aufl., Wiesbaden 2005, S. 35-64, hier S. 50.
60
Ebd., S. 52.
61
Zur ausführlichen Aufarbeitung der Kontroverse zwischen Rational-Choice-Ansätzen und
Konstruktivismus vgl. Risse-Kappen, Thomas, Reden ist nicht billig. Zur Debatte um Kommunikation
und Rationalität, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen 2 (1995), H. 1, S. 171-184.
62
Vgl., Weller, Christoph, Internationale Politik und Konstruktivismus. Ein Beipackzettel, in:
WeltTrends 41 (2004), Winter 03/04, S.109-118, hier S. 107.
Kernaussage dieses Paradigmas, unter welchem eine Reihe von neorealistischen Theorien
subsumiert werden können, ist die Annahme, dass der Staat als einheitlicher und rational
handelnder Akteur durch Machtmittel versucht, seine Position in dem anarchischen System der
internationalen Beziehungen (ohne übergeordnete Kontrollinstanz) zu behaupten und seine
Interessen durchzusetzen. Die Wahrung der (militärischen und wirtschaftlichen) Sicherheit des
Staates wir die höchste Priorität eingeräumt. Als wichtige Vertreter dieser Richtung lassen u.a.
Kenneth N. Waltz, Stephen D. Krasner oder Barry Buzan nennen.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 20
Gegenblocks zu den USA als einzige verbleibende Großmacht, führten dazu, dass die
,,Theorien des Realismus und Liberalismus (...) vor unvorhersagbaren und schwer
erklärbaren Herausforderungen standen".
64
Diese Erklärungslücke bedingte das
Erstarken neuer Forschungsansätze und trug so zur Ausbildung alternativer
Analysekonzepte bei. Konstruktivistische Herangehensweisen ermöglichten in diesem
Zusammenhang qualifizierte Erklärungen der Veränderungen des internationalen
Systems, ebenso wie auch bei dem Wandel der sowjetischen Außenpolitik durch eine
,,weiterreichende Erfassung der die staatliche Außenpolitik betreibenden Akteure, ihrer
Wirklichkeitskonstruktionen und der diese beeinflussenden Strukturen".
65
Anarchie
schien, wie der amerikanischer Politikwissenschaftler Alexander Wendt feststellte,
somit nicht mehr unveränderbarer ontologischer Bestandteil der internationalen Politik
zu sein, sondern vielmehr ,,anarchy is what states make of it".
66
Bei der Verwendung des in dieser Arbeit zugrunde gelegten konstruktivistischen
Herangehensweise ist jedoch anzumerken, dass es keine einheitliche Auffassung einer
klassischen konstruktivistischen Analyse gibt. Daher kann beim Konstruktivismus in
Internationalen Beziehungen nicht von einem homogenen Ansatz gesprochen werden.
67
Vielmehr haben sich, entsprechend dem Untersuchungsschwerpunkt, unterschiedliche
Prämissen konstruktivistischer Analysen mit jeweils verschiedenen Gesetzmäßigkeiten
herausgebildet.
68
So ist diese Herangehensweise, ähnlich der Rational Choice Theory,
"a meta-theoretical standpoint in the study of social phenomena, and hence is
foundational to politic analysis rather than being a specific analytical or theoretical
approach within International Relations"
69
. Je nach Ebene der Abstraktion wird
Konstruktivismus in der Fachliteratur unter anderem auch als Meta-Theorie, als
philosophische Kategorie, in Sinne einer konstruktivistischen Theoriebildung oder
64
Wilhelm, Andreas, Außenpolitik. Grundlagen, Strukturen und Prozesse, Oldenburg 2006, S. 65f,
ebenso: Weller, Christoph, Konstruktivismus, S. 44.
65
Schmalz, Uwe, Deutschlands europäisierte Außenpolitik. Kontinuität und Wandel deutscher
Konzepte zur EPZ und GASP, 1.Aufl., Wiesbaden 2004, S. 513.
66
Wendt, Alexander E., Anarchy is what States Make of it: The Social Construction of Power Politics,
in: International Organization 46 (1992), H. 2, S. 391-425, hier S. 391.
67
Vgl., Ulbert, Cornelia, Konstruktivistische Analysen der internationalen Politik. Theoretische
Ansätze und methodische Herangehensweisen, in: Ders./Weller, Christoph (Hrsg.):
Konstruktivistische Analysen der internationalen Politik , 1. Aufl., Wiesbaden 2005, S. 9-35, hier S.
9.
68
Vgl. Weller, Internationale Politik, S. 109ff.
69
Carlsnaes, Walter, Foreign Policy, in: Carlsnaes, Walter/Risse, Thomas/Simmons, Beth A. (Hrsg.):
Handbook of International Relations, London 2002, S. 331-349, hier S. 339.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 21
konstruktivistischer empirischer Forschung, verstanden.
70
Konstruktivismus wird
entsprechend dem zugrunde gelegten Erkenntnis leitenden Interesse einer Untersuchung
auch als Forschungsperspektive, theoretischer Ansatz
71
oder Methode
72
verstanden.
Emanuel Adler diagnostiziert drei unterschiedliche Ebenen als Erklärungsgrundlage
konstruktivistischer Positionen. Zum einen bedeutet Konstruktivismus eine
metaphysische Haltung über die Beschaffenheit der Realität. Basierend auf dieser
metaphysischen Ausgangsposition ist Konstruktivismus eine Sozialtheorie, die eine
Grundlage bietet, wie Wissen über die Konstitution dieser Realität erlangt werden kann.
Zum anderen ist Konstruktivismus eine theoretische und empirische Perspektive die auf
beiden vorgehenden Elementen aufbauen den Forschungsschwerpunkt auf Aspekte der
Konstruktion dieser sozialen Welt verschiebt. Am Beispiel der Internationalen
Beziehungen wirft dies unter anderem Fragen nach der Rolle von
Identitätskonstruktionen und Normen in der Herausbildung nationaler Interessen auf.
73
Somit lässt sich die grundlegende Frage des Konstruktivismus wie folgt formulieren:
,,Wie entsteht und worauf bezieht sich das Wissen, das die Wissenschaft liefert"
74
.
Entsprechend der Vielzahl von theoretischen Ansätzen, zur Wirklichkeitskonstruktion,
werden jeweils unterschiedliche Faktoren betont. Diese gehen forschungshistorisch auf
die Arbeit von Peter Berger und Thomas Luckmann über Die gesellschaftliche
Konstruktion der Wirklichkeit
75
zurück. Im Verlauf der 1990er Jahre hat sich dieser
Ansatz stark ausdifferenziert.
76
So kann zwischen einer Reihe unterschiedlicher Typen
von sozialkonstruktivistischen Ansätzen unterschieden werden. Gängige
Ordnungsmerkmale hierfür sind die Einteilung nach Autoren, die als spezifische
Vertreter einer bestimmten Strömung wahrgenommen werden oder nach zugrunde
70
Jørgensen, Knud Erik, For Levels and a Discipline, in: Frierke, Karin/Ders. (Hrsg.): Constructing
International Relations. The Next Generation, New York/London 2001, S. 36-53.
71
Ulbert, Konstruktivistische Analysen, S. 9.
72
Checkel, Jeffrey T., The Constructivist Turn in International Relations Theory, in: World Politics 50
(1998),H.2, S.324-348, hier S. 325, vgl. dazu auch: Kissolewki, Janine, Weltbilder und Ideen. Eine
konstruktivistische Analyse am Beispiel der deutschen Zuwanderungspolitik, Diss., München 2005.
73
Vgl. Adler, Emanuel, Constructivism and International Relations, in: Carlsnaes, Walter/Risse,
Thomas/Simmons, Beth A. (Hrsg.): Handbook of International Relations, London 2002, S. 95-118,
hier S. 96.
74
Jensen, Stefan, Erkenntnis-Konstruktivismus-Systemtheorie. Einführung in die Philosophie der
konstruktivistischen Wissenschaft, Wiesbaden 1999, S. 98.
75
Berger, Peter L./Luckmann, Thomas, The Social Construction of Reality. A Treatise in the Sociology
of Knowledge, New York 1966. Mit diesem Werk begründen die beiden Autoren den
Sozialkonstruktivismus. ,,Die Wirklichkeit, so die These (...) existiert nur durch die Handelnden", zit.
nach Knoblauch, Hubert, Wissenssoziologie, Konstanz 2005, S. 153.
76
Vgl. Schmalz, Kontinuität und Wandel, S. 71f.

Außenpolitischer Wandel ­ eine sozialkonstruktivistische Perspektive 22
gelegten Gesetzmäßigkeiten, die sich in Vereinfachungen von ,,thinner" vs. ,,thicker"
Versionen konstruktivistischer Ansätze finden, wie Sie Walter Carlsneas vornimmt.
77
Wobei Erstere sich auf ,,modernist constructivists" und Letztere auf ,,rule-oriented
constructivists" beziehen. Thomas Risse unterscheidet sozialkonstruktivistische Ansätze
entlang von Schulen bzw. Theorien der Internationalen Beziehungen.
78
Diese gliedern
sich nach dem staatszentrierten Ansatz von Alexander Wendt in institutionalistisch-
liberale, neo-gramscianische und feministisch argumentierende Ansätze.
79
Ebenfalls
unterscheiden einige Autoren nach ,,harten" und ,,weichen" konstruktivistischen
Theorien.
80
Als Paraphrasierung Alexander Wendts erscheint die Vorstellung
nahliegend: ,,Constructivism is what scholars make of it".
Eine breiter angelegte Aufarbeitung der inner-konstruktivistischen Debatte würde an
dieser Stelle zu weit führen und soll daher nicht detaillierter nachgezeichnet werden.
Um den in dieser Arbeit verwendeten sozialkonstruktivistischen Ansatz jedoch
wissenstheoretisch einzuordnen, ist es notwendig, die grundlegenden ontologischen und
epistemologischen Implikationen zu verdeutlichen und für den empirischen Teil der
nachfolgenden Untersuchung nutzbar zu machen.
Eine grundlegende ontologische Annahme - welchen allen sozialkonstruktivistischen
Herangehensweisen gemein ist - ist die soziale Konstruktion der Welt durch das
gesellschaftliche Handeln der Akteure. Eine entscheidende Funktion dabei kommt der
Sprache als Träger sozialer Entwicklungen zu. Daraus ergibt sich der Standpunkt, dass
es keine objektive Wirklichkeit gibt. Diese ist immer als soziale (kognitive)
Konstruktion zu verstehen und über Interpretationen zugänglich.
81
,,Gesellschaftliche
Strukturen konstituieren Akteure, insofern sie ihnen allererst eine soziale Identität
vermitteln (...) gleichzeitig gilt, daß Akteure durch ihre Interaktionen und ihre
Alltagspraxis diese Strukturen reproduzieren und gleichzeitig prinzipiell verändern
77
Vgl. Harnisch, Sebastian, Theoriegeleitete Außenpolitikforschung in einer Ära des Wandels, in:
Hellmann, Gunther/Wolf, Klaus Dieter/ Zürn, Michael (Hrsg.): Die neuen Internationalen
Beziehungen. Forschungsstand und Perspektiven in Deutschland (= Weltpolitik im 21. Jahrhundert,
Bd. 10), Baden-Baden 2003, S. 313-360, hier S. 332.
78
Ulbert, Konstruktivistische Analysen, S. 9.
79
Vgl. Risse, Identitäten und Kommunikationsprozesse, S. 35f, Weller versteht anders als Risse die
Spielart Wendts nicht als Sozialkonstruktivismus, weil die soziale Struktur der internationalen
Politik durch Staaten beeinflusst wird, sondern führt für diesen Ansatz den Begriff
,,Staatskonstruktivismus" an, vgl. Weller, Internationale Politik, S. 111f.
80
Kubálková, Foreign Policy, S. 15-37.
81
Vgl. Jensen, Konstruktivismus, S. 204f.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842830301
Dateigröße
893 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena – Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften, Politikwissenschaft
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
1,3
Schlagworte
bamboo policy thailand konstruktivismus wandel außenpolitik thaksin shinawatra
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Titel: "Bamboo Policy - bending with the prevailing wind?"
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