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Der Umgang mit Immigranten im deutschen Schulsystem

Konsequenzen für die Sonderpädagogik

©2006 Examensarbeit 57 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Am 21. September 2006 hielt Bundespräsident Horst Köhler an der Kepler Oberschule im Berliner Stadtteil Neukölln eine Rede zum Thema Bildung in Deutschland. In dieser stellte er fest, dass es in Deutschland 80.000 Schulabgänger ohne Abschluss gebe. Es fehle außerdem an Ausbildungsplätzen. Von den 51 Schülern der Kepler-Oberschule, die dieses Jahr ein Abschlusszeugníss bekamen, habe bis dahin nur ein Schüler eine Lehrstelle gefunden. Eine schockierend geringe Zahl. Kinder aus Facharbeiterfamilien hätten nur ein Viertel der Chancen eines Akademikerkindes, auf ein Gymnasium zu kommen. Er thematisierte weiterhin, dass das Fehlen von Disziplin und die Gewaltbereitschaft den Alltag an vielen Schulen bestimme.
Der Bundespräsident hob auch hervor, wie wichtig Bildung für ein erfolgreiches Leben sei. Eine Demokratie sei darauf angewiesen, dass ihre Bürger über eine gute Bildung verfügen. Die Bildung in Kindergärten, Schulen, Lehrwerkstätten und Universitäten habe großen Anteil an der Gesellschaft in der wir leben. Bildung sei der wichtigste Rohstoff in einer globalisierten Welt, insbesondere in einem Land ohne nennenswerte Bodenschätze. Es sei in der globalisierten Welt wichtig, dass dieses Land seinen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften selbst abdecke.
Von den vielen Immigrantenkindern in Deutschland blieben überproportional viele ohne einen Schulabschluss. Im Vergleich zu Deutschen erreichten nur halb so viele Migranten einen qualifizierten Berufsabschluss. Eine gelungene Integration von Immigranten verlange, dass diese Missstände behoben werden. Deutschland müsse allen Menschen und somit auch Immigranten, gute und faire Bildungschancen bieten und jene müssten sie im Gegenzug mit ihren Mitteln fördern.
Diese Rede verdeutlichte mir noch einmal die Brisanz meines Themas. Ist die Organisation Schule, in der zu arbeiten mein Ziel ist, Teil dieser Problematik? Ich möchte als Lehrer die mir anvertrauten Schüler doch so gut, wie es mir möglich ist, fördern und auf ein erfolgreiches Leben vorbereiten. Sie sollen ein Teil dieser Gesellschaft werden. Dieses Ziel möchte ich auch dem Großteil meiner Kommilitonen und späteren Kollegen unterstellen.
Bei meinen Recherchen fand ich ein wohl maßgebliches Werk zu dieser Thematik: Gomolla und Radtke– Institutionalisierte Diskriminierung im Deutschen Schulsystem (Gomolla, Radtke, Opladen 2002). Die beiden Autoren versuchen die Mechanismen, welche ihrer Meinung nach, innerhalb der […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Daniel Bick
Der Umgang mit Immigranten im deutschen Schulsystem
Konsequenzen für die Sonderpädagogik
ISBN: 978-3-8366-0293-8
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Frankfurt/Main, Goethe Universität, Frankfurt/Main, Deutschland,
Staatsexamensarbeit, 2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

1
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG 3
1.
HINTERGRÜNDE DER DISKRIMINIERUNG VON
MIGRANTENKINDERN 9
1.1. Begriff der Institutionellen Diskriminierung
9
1.2. Diskriminierung als Begriff
10
1.3.
Motive für Diskriminierung in Institutionen
11
1.4. Pädagogische Erklärungsmuster
13
1.4.1.
Inkorporiertes Kulturkapital
15
1.4.2.
Objektiviertes Kulturkapital
16
1.4.3.
Institutionalisiertes Kulturkapital
17
1.4.4.
Soziales Kapital
17
1.4.5.
Kapitalumwandlung
18
2.
MECHANISMEN DER ERHALTUNG VON UNGLEICHHEIT
21
2.1. Rekonstruktion einer Schlussregel
24
2.2. Der Wissenshaushalt der Schule
26
2.2.1.
Schlussregeln für die Einschulung
28
2.2.2.
Schlussregeln für die Überweisung auf die Sonderschule für
Lernbehinderte
32
2.2.3.
Schlussregeln für den Übergang in die Sekundarstufe
36
2.3. Gemeinsamkeiten der Schlussregeln
38
3.
WEITERE EINFLÜSSE AUF DEN SCHULERFOLG
43
3.1. Einfluss von Sprachschwierigkeiten auf den Schulerfolg
43
3.2. Einfluss der Eltern auf den Schulerfolg
46
3.3. Einfluss einer fremden Kultur auf die Schulkariere
49
4.
MÖGLICHKEITEN FÜR MEHR CHANCENGLEICHHEIT
53
4.1. Was kann der Staat zu mehr Chancengleichheit beitragen
53
4.2. Weitere Maßnahmen für eine gerechtere Chancenverteilung
55
LITERATURVERZEICHNIS 59

3
Einleitung
Am 21. September 2006 hielt Bundespräsident Horst Köhler an der
Kepler Oberschule im Berliner Stadtteil Neukölln eine Rede zum Thema
Bildung in Deutschland. In dieser stellte er fest, dass es in Deutschland
80.000 Schulabgänger ohne Abschluss gebe. Es fehle außerdem an Ausbil-
dungsplätzen. Von den 51 Schülern der Kepler-Oberschule, die dieses Jahr
ein Abschlusszeugníss bekamen, habe bis dahin nur ein Schüler eine Lehr-
stelle gefunden. Eine schockierend geringe Zahl. Kinder aus Facharbeiter-
familien hätten nur ein Viertel der Chancen eines Akademikerkindes, auf ein
Gymnasium zu kommen. Er thematisierte weiterhin, dass das Fehlen von
Disziplin und die Gewaltbereitschaft den Alltag an vielen Schulen bestimme.
Der Bundespräsident hob auch hervor, wie wichtig Bildung für ein er-
folgreiches Leben sei. Eine Demokratie sei darauf angewiesen, dass ihre
Bürger über eine gute Bildung verfügen. Die Bildung in Kindergärten, Schu-
len, Lehrwerkstätten und Universitäten habe großen Anteil an der Gesell-
schaft in der wir leben. Bildung sei der wichtigste Rohstoff in einer globali-
sierten Welt, insbesondere in einem Land ohne nennenswerte Bodenschät-
ze. Es sei in der globalisierten Welt wichtig, dass dieses Land seinen Bedarf
an qualifizierten Arbeitskräften selbst abdecke.
Von den vielen Immigrantenkindern in Deutschland blieben überpro-
portional viele ohne einen Schulabschluss. Im Vergleich zu Deutschen er-
reichten nur halb so viele Migranten einen qualifizierten Berufsabschluss.
Eine gelungene Integration von Immigranten verlange, dass diese Missstän-
de behoben werden. Deutschland müsse allen Menschen und somit auch
Immigranten, gute und faire Bildungschancen bieten und jene müssten sie
im Gegenzug mit ihren Mitteln fördern.
Diese Rede verdeutlichte mir noch einmal die Brisanz meines The-
mas. Ist die Organisation Schule, in der zu arbeiten mein Ziel ist, Teil dieser
Problematik? Ich möchte als Lehrer die mir anvertrauten Schüler doch so
gut, wie es mir möglich ist, fördern und auf ein erfolgreiches Leben vorberei-

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ten. Sie sollen ein Teil dieser Gesellschaft werden. Dieses Ziel möchte ich
auch dem Großteil meiner Kommilitonen und späteren Kollegen unterstellen.
Bei meinen Recherchen fand ich ein wohl maßgebliches Werk zu die-
ser Thematik: Gomolla und Radtke­ Institutionalisierte Diskriminierung im
Deutschen Schulsystem (Gomolla, Radtke, Opladen 2002). Die beiden Auto-
ren versuchen die Mechanismen, welche ihrer Meinung nach, innerhalb der
Organisation Schule zu einer Benachteiligung von Immigranten führen, zu
beleuchten.
Die Autoren begreifen die Organisation Schule als Organismus, wel-
cher als natürliches Ziel die Selbsterhaltung und damit verbunden die Redu-
zierung von Problemen in der Lehrtätigkeit habe. Der Organismus und damit
auch die Arbeitsplätze müssten unabhängig von den einzelnen Beschäftig-
ten fortbestehen können. Es sei also notwendig, dass die einzelnen Men-
schen in ihrer Funktion austauschbar blieben. Die persönliche Haltung und
Einstellung des Lehrers dürfe also nicht allein die Erfüllung der Aufgaben
bestimmen. Gleichzeitig solle den Lehrkräften ermöglicht werden, mit ihrer
Arbeit zurecht zu kommen. Das heißt, das analoge Verhalten der Schüler
müsse in Kategorien gefasst werden können und die entsprechenden Maß-
nahmen ebenfalls. Dies ermögliche eine Reduzierung der Unterschiedlich-
keit der Schüler und der Probleme auf die sich die Lehrer, Studienräte und
so weiter einstellen müssten. Die vom Organismus erlernten Strategien der
Problemreduzierung würden institutionalisiert, das heißt im System veran-
kert und darüber hinaus als implizites Wissen den Lehrkräften zur Verfügung
gestellt. So würden zum Beispiel Förderklassen eingerichtet um die Hetero-
genität in den Schulklassen zu reduzieren. Parallel dazu würden den Leh-
rern Entscheidungskriterien und Begründungen an die Hand gegeben um
Kinder für diese schulzeitverlängernden Maßnahmen zu rekrutieren.
An diesen Organismus würden nun von außen, das heißt, vor allem
durch Staat und Gesellschaft, Ansprüche gestellt. Zum Beispiel die Erzeu-
gung von Chancengleichheit bei und mit der Verteilung von Bildung und den
damit eng verbundenen Zukunftsperspektiven. Das System Schule müsse
diese Ziele nun vor dem Hintergrund der eigenen Bestrebungen erfüllen. Um

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den eigenen Fortbestand zu legitimieren, sei es nötig, die möglichen Misser-
folge bei der Erfüllung dieser Ansprüche zu rechtfertigen.
Hierbei greife man auf Deutungsangebote zurück, die diesem Zweck
dienlich seien. Zum Beispiel, die angeblich ethnisierende Zuschreibung,
dass Eltern mit Immigrationshintergrund und mangelnden Deutschkenntnis-
sen Anteil an der ebenfalls mangelnden Sprachkompetenz ihrer Kinder hät-
ten. Gomolla und Radtke behaupten, dass dieser und ähnliche Sachverhalte
nicht die Ursachen für Probleme in der Schule seien. Diese würde im Ge-
genteil nur genutzt, um das Versagen der Schule bei der Beschulung dieser
Kinder im Nachhinein zu legitimieren.
Die beiden Autoren versuchen nun die Strategien zur Problemver-
meidung, zur Eigensicherung und deren Legitimierung seitens der Schule,
mit Hilfe von Interviews mit Lehrern und Schulleitern zu rekonstruieren.
Hierbei betrachten sie hauptsächlich, die wohl entscheidenden, Schnittstel-
len in der Schulkarriere. Diese seien vor allem die Einschulung, die Verset-
zungsempfehlung der Grundschule, die Empfehlung nach Beenden der
Förderstufe, die Versetzung an eine Sonderschule und die geringe vertikale
Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems. Weiterhin spielten schulzeit-
verlängernde Fördermaßnahmen eine Rolle.
Der Sachverhalt, dass Kinder von Immigranten bei der Verteilung der
Bildungsabschlüsse statistisch gesehen nicht fair behandelt würden, müsse
nun legitimiert werden. Die positive wie auch negative Diskriminierung der
Kinder sei jedoch weder Selbstzweck noch Ursache, sondern nur ein Pro-
dukt der Problemreduzierung der Organisation und der Legitimierung von
Schulhandeln vor der Gesellschaft. Grundlegende Erklärungsmuster seien
hier Defizite in der Sprache, Passungsprobleme bezüglich den Kulturen,
Notwendigkeit von Alters- und Leistungshomogenität für eine optimale För-
derung. Weiterhin müsse der unterschiedliche soziale Hintergrund, wie von
Bourdieu in seinen Thesen vom kulturellen Kapital dargelegt, auch zur Legi-
timierung des Versagens seitens der Schule, bei der Herstellung von Chan-
cengleichheit, herhalten.
Wenn aber diese Gründe nun nicht Ursache, sondern nur nachgetra-
gene Rechtfertigungen sind, warum versagt die Schule dann bei der Erfül-

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lung, der von Gomolla und Radtke formulierten Ansprüche? Salopp ausge-
drückt: Wenn etwas nicht kaputt ist, muss man es nicht reparieren. Ich
möchte also nun einige der von Gomolla und Radtke als reine Entschuldi-
gungsmuster angeführten Konstrukte darauf hin überprüfen, in wie weit sie,
trotz der formulierten Vorwürfe an das System Schule, als legitime Ursachen
für Probleme in der Bildungskarriere der Kinder gelten dürfen. Die Autoren
der institutionellen Diskriminierung Gomolla und Radtke kritisieren z.B. den
monolingualen Habitus der Schulen. Dieser ist aber durch eine einfache
pragmatische Überlegung zu legitimieren. In einem Land, wie Deutschland,
in dem Menschen aus so vielen Ländern miteinander und nicht nebeneinan-
der leben müssen, ist es aus Gründen der Rationalität wichtig, dass eine
Sprache von allen beherrscht wird. Da die meisten Menschen hier Deutsch
sprechen und diese Nation auch historisch auf einer gemeinsamen Mutter-
sprache gründet, muss diese Sprache die Landessprache sein. Weiterhin
bedarf eine Gesellschaft zentraler Grundsätze, in Deutschland sind diese im
Grundgesetz verankert und stehen außer Frage.
Nachdem ich die Bedeutung von Gomollas und Radtkes Thesen von
der Institutionalisierten Diskriminierung dann dargestellt und hinterfragt ha-
be, möchte ich im letzten Teil meiner Arbeit versuchen einige Möglichkeiten
zur Verbesserung des Schulsystems aufzuzeigen. Hierbei behalte ich die
Auffassung von der Organisation Schule als Organismus bei. Diese Meta-
pher scheint mir sinnvoll und als Ausgangspunkt für Verbesserungen geeig-
net. Da der Organismus Schule getrieben ist von Selbsterhaltung und Prob-
lemreduzierung, und dies in Einklang mit äußeren Forderungen bringen
muss, sollten Verbesserungsmaßnahmen sich dieses Streben des Wesens
Schule zu Nutze machen. Durch bessere Finanzierung und andere Rah-
menbedingungen für die Schule sollten die externen und internen Anforde-
rungen an das Schulsystem zu größerem Einklang gebracht werden. Bei-
spielsweise würde die Pflicht zur Einrichtung von Sprachförderklassen an
allen Schulformen bewirken, dass Kinder mit Sprachproblemen nicht so
häufig auf Haupt- oder Sonderschulen für Lernhilfe verwiesen werden, da
zur Zeit nur diese die entsprechende Förderung anbieten. Dies würde bei-
spielsweise gleichzeitig Arbeitsplätze an Gymnasien sichern und die Lehrer

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der Regelklassen entlasten. Allerdings bedarf diese Schule dann entspre-
chender Kapazitäten, wie Räumlichkeiten und Personal. Diese Maßnahmen
kosten Geld. Es ist jedoch billiger, als die Probleme, entstanden aus man-
gelnder Integration, im Nachhinein zu beheben.

9
1. Hintergründe der Diskriminierung von Migran-
tenkindern
In diesem Teil meiner Arbeit möchte die Abhandlung von Gomolla
und Radtke nachvollziehen und sie durch eine kurze Betrachtung des Beg-
riffs Kulturkapital ergänzend erläutern. In ihrem Buch über die Verankerung
der Ungleichbehandlung im deutschen Schulsystem beschreiben sie die
Schieflage bei der Bildung von Immigranten, als ein alleiniges Produkt des
Schulsystems. Zuerst erörtern sie den Begriff der Institutionellen Diskriminie-
rung. Danach bestimmen sie die Schlüsselstellen in der Bildungskarriere von
Immigrantenkindern. Da sie zu der Auffassung gelangen, dass die Schule
ein lernender Organismus ist, der sich entsprechend seiner Maximen als
Ganzes kohärent verhält, versuchen sie nun dieses Verhalten und das zu
Grunde liegende Wissen des Systems, zu rekonstruieren. Hierfür führten sie
zahlreiche Interviews mit Lehrkräften und Schulleitern. In ihrem Buch dru-
cken sie, wohl repräsentative, Auszüge aus den Interviews ab und versu-
chen, nach einem bestimmten Schema, von ihnen als Schlussregeln be-
nannte, Wissensbestände des Schulsystems zu bestimmen. Diese Regeln
fassen sie jedoch als bloße Legitimationsversuche für das Schulverhalten
auf. Ich werde diese Regeln wiedergeben und die die ihnen zu Grunde lie-
genden Prinzipien benennen. Hierbei wird von mir, wie bereits erwähnt der
Begriff des Kulturkapitals nach Bourdieu herangezogen.
1.1. Begriff der Institutionellen Diskriminierung
Die Beschäftigung mit dem Phänomen der institutionellen Diskriminie-
rung habe, laut Gomolla und Radtke, in Deutschland, im Gegensatz zu den
angelsächsischen Ländern, keine Tradition. In diesen Ländern wurde schon
früher der Anteil von Institutionen als Ganzes und nicht nur der hier Beschäf-
tigten an bestehenden Ungleichbehandlungen wahrgenommen, zum Bei-
spiel im Rahmen der Emanzipierung der Frauen und vor allem auch beim
Streben der schwarzen Bevölkerung der Vereinigten Staaten nach Gleichbe-

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rechtigung. Diese Bewegungen brachten einige Ansätze hervor, um der
Problematik zu begegnen. Als Beispiel möge hier die Einführungen von
Mindestquoten dienen, welche mittels positiver Diskriminierung mit mehr
oder weniger Erfolg in bestimmten Institutionen Einzug hielten.
Der deutsche Sozialstaat, dessen Aufgabe es sei, durch Umvertei-
lung, sozialen Missständen zu begegnen, fasse die These von der Institutio-
nalisierung solcher diskriminierenden Mechanismen als Vorwurf auf. Er habe
einen Auftrag zu erfüllen, nämlich Chancengleichheit herzustellen. Gelänge
ihm dies nicht, gelte es diesen Sachverhalt zu legitimieren, um den eigenen
Fortbestand zu sichern. Hierbei würden gerne populärwissenschaftliche
Erklärungen benutzt.
Die statistisch gemessenen Ungleichheiten von Migranten und Deut-
schen bezüglich des Schulerfolges, der Beschäftigung und der Bezahlung
würden hingenommen oder einvernehmlich wegerklärt. Wo den Immigranten
nicht individuelles Versagen oder gar mangelnde Integrationsbereitschaft
vorgeworfen werde, ziehe man ihre soziale Lage und ihre kulturelle Fremd-
heit zur Erklärung der Missstände heran sagen Gomolla und Radtke. Dabei
vertreten sie die Ansicht, dass die Deutsche Schule als Organisation die
Hauptschuld trifft. Bestenfalls setze man darauf, dass sich die Probleme bei
der Integration nach drei oder vier Generationen von selber lösen würden.
Der Fokus der Arbeit von Gomolla und Radtke ist die Ungleichbehandlung
von Immigranten im deutschen Schulsystem. Sie fragen sich, wie es dem
System gelingt diesen Zustand zu legitimieren.
1.2. Diskriminierung als Begriff
Zunächst gilt es, den hier verwendeten Begriff der Diskriminierung zu
klären. Maßgeblich sei das Unterscheiden und Bewerten anhand von äuße-
ren Unterschieden. Abstrakt gesprochen würden Individuen in Kategorien
wie A oder nicht A (-A) eingeteilt. Hierbei stelle stets der positive Wert die
Meßlatte dar und sei darüber hinaus die Grundlage für eine unterschiedliche
Behandlung. Diskriminierung bezeichne in diesem Fall also eine Benachtei-

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ligung auf Grund von äußeren Merkmalen, die nicht im Einflussbereich des
Individuums liegen. Oft diene sie der Sicherung von Machtverhältnissen und
der Wahrung von Privilegien.
Es bestünden verschiedene Ebenen dieses Sachverhaltes. Aus die-
sen erwüchsen Handlungen, wie tätliche Übergriffe bis hin zur Benachteili-
gung ganzer Gruppen seitens des Staates. Eine Demokratie könne sich
derartiges nicht erlauben. Um solche Vorgänge zu vermeiden, sei es nicht
legitim, die diskriminierten Merkmale einzuebnen, sondern es gelte die An-
zahl der Entscheidungsstellen, an denen diese relevant würden zu verrin-
gern.
Der Nachweis der Diskriminierung im Einzellfall sei in der Regel
schwierig, da hier Entscheidungskriterien andere Art herangezogen würden.
Mit Hilfe von Statistiken ließen sich jedoch, bei einer Kumulation derartiger
Einzelfälle, Hinweise auf eine Systematik finden (vgl. Gomolla, Radtke,
Opladen 2002, Seiten 14-16)
1.3. Motive für Diskriminierung in Institutionen
Organisationen beziehungsweise Teilsysteme handeln aus einer
eigenen Logik heraus. Sie hätten ein Interesse den eigenen Fortbestand zu
sichern und Probleme so gering wie möglich zu halten. Hierbei solle die
eigene Funktion nach innen und außen darstellbar sein. Beobachter von
Ungleichbehandlung kämen in der Regel von außerhalb der Institutionen. So
fänden sich hier moralische Instanzen, wie Protestgruppen und die Kirchen,
sowohl als auch Politiker und mehr und minder unabhängige Wissenschaft-
ler. Die Diskriminierung von Minderheiten hätte es ungleich schwerer, öffent-
liches Interesse zu erregen, als Beispielsweise die Benachteiligung von
Frauen. Ihre Bekämpfung fordere ein höheres Maß an Altruismus, da Eigen-
nutz als Motiv fehlt. So gibt es zum Beispiel beim Thema der Unterdrückung
der Frau natürlich eine viel größere Gruppe an Menschen, die von einer
Verbesserung der Situation profitieren würden, weil es in diesem Land we-

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sentlich mehr einheimische Frauen als Immigranten beiden Geschlechts
gibt.
Die Ungleichbehandlung bestimmter Gruppen sei bereits in die Struk-
turen der Teilsysteme, wie zum Beispiel das Schulsystem, integriert und
durch Rückgriff, zum Beispiel auf pädagogische Deutungsmuster, auch für
die eigenen Organisationsmitglieder verschleiert. Zu diesen Strukturen ge-
hörten formales Recht, bewährte Gewohnheiten, etablierte Wertvorstellun-
gen und im Schulalltag bewehrte Handlungsmaximen (vgl. Gomolla, Radtke,
Opladen 2002, Seite 14). Dies finde sich in Behörden, Betrieben und Anstal-
ten wieder. Ein Ziel dieser Institutionen sei es, der Auffassung, dass die
einzelnen Menschen in den Organisationen nur Ihre Pflicht täten, Vorschub
zu leisten. So sollten die einzelnen Arbeitnehmer entlastet werden.
Die meisten Akte von Benachteiligung seitens der Organisationen
seien durch eine Reduktion der eigenen Leistungen motiviert. Es gelte ja die
begrenzten Ressourcen an Arbeitskräften und finanziellen Mitteln einzutei-
len. So müsste man die Leistungsempfänger in Kategorien verschiedener
Anspruchsberechtigung einteilen. Solche seien dann Deutsche, nicht Deut-
sche und hier noch mal EU-Bürger, Gastarbeiter, Flüchtling, Asylbewerber,
Türken, Marokkaner und so weiter. Diese Klassifikation ermögliche es der
betreffenden Organisation besser, mit ihren Ressourcen zu haushalten.
Die Sichtweise von Gomolla und Radtke lässt sich mit einer Metapher
vielleicht am besten veranschaulichen. Die verschiedenen Schulorganisatio-
nen sind als Organismen zu begreifen. Diese bestehen aus Organen welche
nun wiederum aus Zellen zusammengesetzt sind. Ein Organismus ist bei-
spielsweise eine Sonderschule, die unter anderem die Organe Schulverwal-
tung und Lehrerkollegium hat. Die einzelnen Beschäftigten stellen die Zellen
dar. Organismen haben, wie bereits erwähnt, verschiedene Motive, wobei
die wichtigsten die Sicherung des eigenen Fortbestands und die Reduzie-
rung von Problemen sind. Gleichzeitig werden von außen weitere Anforde-
rungen gestellt, wie zum Beispiel die Herstellung von Chancengleichheit.
Diese gelte es zu erfüllen um die eigene Existenz zu legitimieren und damit
verbunden den Anspruch auf finanzielle Mittel. Sollte die Erfüllung der äuße-

13
ren Ansprüche nicht gelingen oder zu aufwendig sein, gelte es dies zu recht-
fertigen.
Der Organismus ist darauf bedacht unabhängig von der Lebensdauer
der einzelnen Zellen zu bestehen. Das heißt die Arbeitsplätze sollen gesi-
chert werden. Die Funktion der einzelnen Zellen soll, obwohl nicht identisch
vergleichbar sein und sich in einem bestimmten Rahmen bewegen. Der
Rahmen soll es ermöglichen, dass Zellen ausgetauscht werden können.
Darüber hinaus sollen die Zellen ihre Funktionen relativ selbstständig erfül-
len können ohne sich dabei zu verschleißen. Hierzu ist es natürlich auch
nützlich die eigene Arbeitsweise zu konservieren. Der Organismus verfügt
über ein ,,Wissen" welches er an seine Zellen vererbt um die vorher genann-
ten Ziele zu erfüllen.
Für die Schule hieße dies konkret, dass den einzelnen Lehrern nur
begrenzte Handlungsspielräume zugestanden würden. Begrenzt seien diese
durch Erlasse und Rechtsvorschriften. Die theoretisch unendliche Anzahl
von verschiedenen Schülertypen wird in Gruppen eingeteilt, für die es ein-
zelne Schulformen gibt. Diese richteten wiederum teilweise eigene Organe,
etwa in Form von Förderklassen ein. Die ganze Bandbreite an Schülerleis-
tungen würde bis zur gymnasialen Oberstufe in nur sechs Kategorien ge-
fasst. Das sind dann die Noten von eins bis sechs. Ab Klasse elf wird dann
durch das Punktesystem in fünfzehn Abstufungen geurteilt. Probleme defi-
niere das Wesen Schule eigenständig und entwickle Routinen im Umgang
mit ihnen.
1.4. Pädagogische Erklärungsmuster
Die Routinen im Umgang mit den, von der Schule im Vorhinein defi-
nierten, Problemen führten laut Gomolla und Radtke unter anderem dazu,
dass Kinder mit Migrationshintergrund im Vergleich zu ihren deutschen Al-
tersgenossen statistisch schlechter abschnitten.
Das Schulsystem sei durch seine Abhängigkeit von öffentlichen Res-
sourcen dazu gezwungen, diesen Missstand zu rechtfertigen. Primär zöge

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836602938
DOI
10.3239/9783836602938
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main – Sonderpädagogik, Studiengang L5-Lehramt an Förderschulen LH/PB
Erscheinungsdatum
2007 (April)
Note
1,0
Schlagworte
benachteiligung institutionelle diskriminierung ausländer ungleichbehandlung soziale ungleichheit immigrant
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