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Kontinuität oder Modellwechsel? Zur Entwicklung des deutschen Systems der industriellen Beziehungen

©2006 Magisterarbeit 102 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Marktwirtschaftliche Gesellschaften sind von einem grundlegenden Interessenkonflikt zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen geprägt, der unter dem Begriff des „industriellen Konflikts“ diskutiert wird. Während die Arbeitnehmerseite an einem hohen Arbeitseinkommen und einer geringen Arbeitsmühe interessiert ist, streben die Arbeitgeber geringe Lohnkosten und eine hohe Arbeitsleistung der Arbeitnehmer an.
Zwar ist der industrielle Konflikt inhärenter Bestandteil der Marktwirtschaft, doch haben sich in unterschiedlichen Staaten verschiedene Formen des Umgangs mit diesem Konflikt entwickelt, die sich in unterschiedlichen Beziehungsmustern zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern niederschlagen und in unterschiedlichen Systemen industrieller Beziehungen ausdrücken. So hat sich auch in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein spezifisches System industrieller Beziehungen herausgebildet.
Das deutsche System der industriellen Beziehungen und dessen Veränderungen innerhalb der letzten 15 Jahre sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Ziel ist es, einen Überblick über den Stand der Entwicklung der industriellen Beziehungen zu liefern, die spätestens seit Beginn der 1990er Jahre im Zentrum einer breiten öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte stehen. Im Rahmen der Arbeit sollen Antworten auf zwei leitende Fragestellungen gefunden werden:
Wie hat sich das System der industriellen Beziehungen in Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre verändert?
Können die beobachteten Veränderungen als Modellwechsel interpretiert werden oder überwiegt das Moment der Kontinuität?
Gang der Untersuchung:
Um diese Fragen beantworten zu können, werden in Kapitel 2 zunächst die typischen Strukturmerkmale des deutschen Systems industrieller Beziehungen herausgearbeitet. Insbesondere ist hier die Dualität der Interessenvermittlung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zu beleuchten, die eine funktional differenzierte Aufgabenteilung zwischen zwei Arenen der Konfliktbewältigung ermöglicht. Diese sind zum einen auf der Ebene betrieblicher Mitbestimmung, zum anderen auf Ebene unternehmensübergreifender Tarifregelungen angesiedelt. Im weiteren Verlauf sollen die Besonderheiten beider Arenen, die als tragende Säulen des deutschen Systems industrieller Beziehungen betrachtet werden können, dargestellt werden.
Besonders die unternehmensübergreifende Ebene und damit ein konstitutiver Bestandteil des deutschen Systems […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis
1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ... 3
2 Das deutsche System der industriellen Beziehungen ... 7
2.1 Dualität der Interessenvermittlung ... 7
2.2 Betriebliche Mitbestimmung... 9
2.2.1 Rechte
von
Betriebsräten ... 11
2.2.2 Betriebsvereinbarungen ... 13
2.2.3 Kooperation als Verhandlungsmodus der betrieblichen Ebene ... 14
2.3 Tarifautonomie ... 15
2.3.1 Typen von Tarifverträgen ... 18
2.3.2 Der
Flächentarifvertrag... 20
2.3.3 Akteure
des
Tarifvertragssystems... 21
2.3.3.1 Gewerkschaften... 21
2.3.3.2 Verbände der Arbeitgeberseite... 24
2.3.4 Voraussetzungen für unternehmensübergreifende Tarifregelungen 26
2.4 Zwischenfazit: Arbeitsteilige Konfliktbewältigung ... 29
3 Industrielle Beziehungen im Spannungsfeld neuer Herausforderungen .. 31
3.1 Gesellschaftlicher Strukturwandel und Wandel der Arbeit... 34
3.2 Deutsche Wiedervereinigung ... 36
3.3 Internationalisierung der Wirtschaft... 39
3.3.1 Globalisierung... 40
3.3.2 Europäisierung ... 42
3.4 Zwischenfazit: Neue Herausforderungen... 48
4 Zum Stand der Entwicklung des Flächentarifvertrags ... 51
4.1 Tarifbindung... 52
4.2 Orientierung an Flächentarifverträgen ... 59
4.3 Organisationsstärke der Verbände ... 61
4.3.1 Gewerkschaften ... 62
4.3.2 Arbeitgeberverbände... 69
4.4 Flexibilisierung und Dezentralisierung ... 76
4.4.1 Flexibilisierung von Arbeitszeitregelungen... 79
4.4.2 Flexibilisierung von Entgeltregelungen... 80
4.4.3 Verbreitung und Anwendung von Öffnungsklauseln ... 82
4.4.4 Betriebliche
Bündnisse ... 83
4.4.5 Verbetrieblichung von Tarifpolitik ... 84

Inhaltsverzeichnis
2
5 Fazit: Sektorale und regionale Differenzierung ... 87
Literatur ... 97
Internetquellen... 103
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ... 105

Einleitung
3
1 Einleitung
Marktwirtschaftliche Gesellschaften sind von einem grundlegenden Interessen-
konflikt zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen
1
geprägt, der unter
dem Begriff des ,,industriellen Konflikts" diskutiert wird (vgl. Müller-Jentsch
1997: 34). Während die Arbeitnehmerseite an einem hohen Arbeitseinkommen
und einer geringen Arbeitsmühe interessiert ist, streben die Arbeitgeber geringe
Lohnkosten und eine hohe Arbeitsleistung der Arbeitnehmer an (vgl. Müller-
Jentsch 1997: 36). Zwar ist der industrielle Konflikt inhärenter Bestandteil der
Marktwirtschaft, doch haben sich in unterschiedlichen Staaten verschiedene For-
men des Umgangs mit diesem Konflikt entwickelt (vgl. Hall/Soskice 2001; vgl.
Albert 1992), die sich in unterschiedlichen Beziehungsmustern zwischen Arbeit-
nehmern und Arbeitgebern niederschlagen und in unterschiedlichen Systemen
industrieller Beziehungen
2
ausdrücken. So hat sich auch in Deutschland nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs ein spezifisches System industrieller Beziehungen
herausgebildet (vgl. Schmidt 1999: 491; vgl. Streeck 1999: 17; vgl. Schauer 1995:
29; vgl. Bispinck/Schulten 1999: 188).
Das deutsche System der industriellen Beziehungen und dessen Veränderungen
innerhalb der letzten 15 Jahre sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Ziel ist
es, einen Überblick über den Stand der Entwicklung der industriellen Beziehun-
gen zu liefern, die spätestens seit Beginn der 1990er Jahre im Zentrum einer brei-
ten öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte stehen (für viele: vgl. Wendl
2002; vgl. Schroeder 2003; vgl. Cattero 1998; vgl. Streeck 1998a).
1 Zwecks der besseren Lesbarkeit werden ausschließlich die männlichen Formen verwendet.
Selbstverständlich sind ­ wenn nicht anders gekennzeichnet ­ immer sowohl weibliche als
auch männliche Beschäftigte gemeint.
2 Der Begriff ,,industrielle Beziehungen", wie er sowohl in der öffentlichen als auch in der
wissenschaftlichen Diskussion gebraucht wird, bezieht sich in der Regel nicht ausschließlich
auf den industriellen Sektor bzw. das produzierende Gewerbe. Dort findet er seinen Ursprung,
wird aber heutzutage auch für die Arbeitsbeziehungen in anderen Bereichen wie dem Dienst-
leistungssektor verwendet.

Einleitung
4
Im Rahmen der Arbeit sollen Antworten auf zwei leitende Fragestellungen ge-
funden werden:
1. Wie hat sich das System der industriellen Beziehungen in Deutschland seit
Beginn der 1990er Jahre verändert?
2. Können die beobachteten Veränderungen als Modellwechsel interpretiert
werden oder überwiegt das Moment der Kontinuität?
Um diese Fragen beantworten zu können, werden in Kapitel 2 zunächst die typi-
schen Strukturmerkmale des deutschen Systems industrieller Beziehungen her-
ausgearbeitet. Insbesondere ist hier die Dualität der Interessenvermittlung zwi-
schen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zu beleuchten, die eine funktional
differenzierte Aufgabenteilung zwischen zwei Arenen der Konfliktbewältigung
ermöglicht. Diese sind zum einen auf der Ebene betrieblicher Mitbestimmung,
zum anderen auf Ebene unternehmensübergreifender
3
Tarifregelungen angesie-
delt. Im weiteren Verlauf sollen die Besonderheiten beider Arenen, die als tragen-
de Säulen des deutschen Systems industrieller Beziehungen betrachtet werden
können, dargestellt werden.
Besonders die unternehmensübergreifende Ebene und damit ein konstitutiver
Bestandteil des deutschen Systems industrieller Beziehungen ist jedoch verstärkt
in die Kritik geraten. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die tradierten Mus-
ter der Bewältigung des industriellen Konflikts auch in Zukunft Bestand haben
können. Die Debatten um die Zukunftsfähigkeit der auf unternehmensübergrei-
fender Ebene ausgehandelten Flächentarifverträge sind Thema des dritten Kapitels
und beziehen sich auf unterschiedliche veränderte Rahmenbedingungen. Hierzu
zählen der Wandel von einer Industrie- zu einer Dienstleitungsgesellschaft, der
eine veränderte Arbeitsorganisation mit sich bringt sowie die Frage, ob die west-
deutschen Muster der Bewältigung des industriellen Konflikts auch in den 1990
beigetretenen neuen Bundesländern funktionieren würden. Zudem wird die zu-
nehmende Internationalisierung der Wirtschaft im Rahmen von Globalisierung
3 Müller-Jentsch verwendet an dieser Stelle den Begriff der überbetrieblichen Ebene (vgl.
Müller-Jentsch 1997: 17). Jedoch ist für die Beschreibung der hier gemeinten Arrangements
der Begriff unternehmensübergreifend präziser, da unter Umständen überbetriebliche Verein-
barungen auch innerhalb eines einzelnen Unternehmens, das mehrere Betriebe umfasst, getrof-
fen werden können.

Einleitung
5
und europäischer Integration als Belastungsprobe für das deutsche System indus-
trieller Beziehungen und insbesondere für die unternehmensübergreifende Ebene
diskutiert.
Die Frage, wie sich das deutsche System industrieller Beziehungen vor dem
Hintergrund der aufgezeigten neuen Rahmenbedingungen verändert hat, ist Ge-
genstand des vierten Kapitels. Dabei sind zwei Dimensionen des Wandels zu
unterscheiden: Zum einen die quantitativen Entwicklungen der Verbreitung un-
ternehmensübergreifender Tarifstandards sowie der Mitgliederzahlen und Organi-
sationsgrade von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, die im Auftrag ihrer
Mitglieder unternehmensübergreifende Arrangements aushandeln. Zum anderen
ist zu diskutieren, ob sich flächentarifliche Arrangements in inhaltlicher ­ also
qualitativer Weise ­ verändert haben und ob sie auch heute noch als verbindliche
branchenbezogen Richtgröße betrachtet werden können.
Im fünften und letzten Kapitel sollen die erarbeiteten Ergebnisse überblicksartig
zusammengefasst und eine Antwort auf die Leitfragen der Arbeit gefunden wer-
den. Abschließend soll ein Ausblick über die mögliche weitere Entwicklung des
deutschen Systems industrieller Beziehungen gewagt werden.

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
7
2 Das deutsche System der industriellen Beziehungen
Im folgenden Kapitel werden die typischen Merkmale des deutschen Systems der
industriellen Beziehungen vorgestellt. In einem ersten Schritt wird dessen grund-
legende Struktur erläutert, die sich als duales System der Interessenvermittlung
beschreiben lässt und die Bewältigung des industriellen Konflikts in zwei vonein-
ander getrennten Arenen ermöglicht. Dabei spielt der Staat eine zentrale Rolle, der
diese Arenen rechtlich strukturiert. Im weiteren Verlauf werden die Besonderhei-
ten beider Arenen herausgearbeitet, die die zwei tragenden Säulen des deutschen
Systems industrieller Beziehungen darstellen. Abschließend wird die daraus resul-
tierende funktional differenzierte Form der Konfliktbewältigung diskutiert.
2.1 Dualität der Interessenvermittlung
Das deutsche System der industriellen Beziehungen wird gemeinhin als ein duales
System der Interessenvermittlung bezeichnet. Der Begriff der Dualität bezieht
sich in diesem Zusammenhang auf die Trennung zweier funktional differenzierter
Arenen, die als ,,Orte geregelter Konfliktaustragung" (Müller-Jentsch 1997: 80)
den industriellen Konflikt in rechtlich festgelegte Bahnen lenken (vgl. Müller-
Jentsch 1998: 140; vgl. Müller-Jentsch 1997: 195; vgl. Schmidt 1999: 496; vgl.
Schroeder 2000: 24). Diese beiden Arenen sind auf zwei unterschiedlichen Ebe-
nen verortet und stellen die zwei tragenden Säulen des deutschen Systems der
industriellen Beziehungen dar. Während auf der betrieblichen Ebene zwischen
Betriebsrat und Unternehmensleitung die betriebsspezifischen Arbeitsbedingun-
gen verhandelt werden, sind in Deutschland tarifpolitische Fragen typischerweise
Gegenstand der unternehmensübergreifenden Ebene. Hier sind es die Tarifpartei-
en ­ Gewerkschaften auf der einen und Arbeitgeberverbände oder einzelne Unter-
nehmen auf der anderen Seite ­, die im Rahmen der Tarifautonomie in erster
Linie Verhandlungen um den Umfang der Arbeitszeit und die Höhe von Löhnen
und Gehältern führen (vgl. Müller-Jentsch 1997: 195; vgl. Keller 1997: 98). Mül-
ler-Jentsch trifft an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen Anwendungsbedin-
gungen der Arbeitskraft, die in den Zuständigkeitsbereich der betrieblichen Ebene
fallen und ihrer Verkaufsbedingungen, die üblicherweise auf unternehmensüber-
greifender Ebene verhandelt werden (vgl. Müller-Jentsch 1997: 195).

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
8
Für beide Arenen der Konfliktaustragung spielt der Staat als rechtsetzende In-
stanz eine zentrale Rolle. Er regelt in gesetzlicher Form, welche Akteure in wel-
cher der beiden Arenen agieren, welche Konflikte Gegenstand der Verhandlungen
sind sowie auf welche Weise diese Konflikte ausgetragen werden. Hieraus ergibt
sich für die betreffenden Akteure ein jeweils spezifisches Set von Handlungsmög-
lichkeiten (opportunities) innerhalb klar definierter Grenzen (constraints) (vgl.
Müller-Jentsch 1998: 140), was das deutsche System industrieller Beziehungen
mit einem hohen Grad an Verrechtlichung im Sinne gesetzlicher Regulierung
auszeichnet (vgl. Müller-Jentsch 1997: 197). Wichtig ist an dieser Stelle zu beto-
nen, dass der Staat seine Aufgabe primär im Setzen von Rahmenbedingungen
sieht, während die inhaltliche Ausgestaltung den jeweils zuständigen Akteuren
überlassen wird: ,,Die Systemgrenzen von Arenen eindeutig zu fixieren, ist ge-
wöhnlich Aufgabe des Staates im Rahmen seiner prozeduralen Politik" (Müller-
Jentsch 1997: 81). Mit prozedural ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass der
Staat zwar Verfahrensregeln rechtlich festlegt, sich aber nicht in Regelungen
inhaltlicher, also substantieller Art einmischt (vgl. Keller 1997: 60).
4
Prigge
charakterisiert ein solches Staatshandeln als prozeduralen Interventionismus (vgl.
Prigge 1987: 46). Der Staat interveniert zwar in den industriellen Konflikt, sein
Handeln bleibt dabei jedoch auf die Festlegung rechtlicher Rahmenbedingungen
und Verfahrensweisen für die betriebliche und die unternehmensübergreifende
Ebene beschränkt. Staatliche Politik setzt also in Deutschland den Rahmen für die
institutionalisierte und geregelte Austragung des industriellen Konflikts.
Im Folgenden sollen die beiden tragenden Säulen des deutschen Systems indus-
trieller Beziehungen vorgestellt werden. Zunächst wird dabei die betriebliche
Mitbestimmung dargestellt, die die erste der beiden Säulen repräsentiert. Dabei
wird sowohl ihr rechtlicher Rahmen und inhaltlicher Zuständigkeitsbereich als
auch der spezifische Modus der Konfliktaustragung thematisiert. Anschließend
wird näher auf die unternehmensübergreifende Ebene der Bewältigung des indus-
triellen Konflikts eingegangen. Hier wird zuerst das Prinzip der Tarifautonomie
4 Einige inhaltliche Fragen sind jedoch auch gesetzlich geregelt. Beispiele hierfür sind der
gesetzliche Mindesturlaub, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie Regelungen bezüg-
lich des Gesundheits- und Kündigungsschutzes und zahlreiche Unfallverhütungsvorschriften
(vgl. Brox et al. 2004: 8f.).

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
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erläutert, welches den rechtlichen Rahmen für Flächentarifverträge setzt, die
neben der betrieblichen Mitbestimmung als zweites zentrales Charakteristikum
des deutschen Systems industrieller Beziehungen betrachtet werden können. Ins-
besondere sollen an dieser Stelle die beteiligten Akteure dargestellt und die Be-
dingungen des Zustandekommens unternehmensübergreifender Arrangements
aufgezeigt werden.
2.2 Betriebliche Mitbestimmung
Nachdem die duale Struktur der Interessenvermittlung mit ihren zwei Arenen der
Konfliktaustragung sowie die Rolle des Staates im System der industriellen Be-
ziehungen der Bundesrepublik Deutschland dargestellt wurden, sollen im Folgen-
den die Besonderheiten der betrieblichen Mitbestimmung thematisiert werden.
Geregelt sind die Modalitäten betrieblicher Mitbestimmung im Betriebsverfas-
sungsgesetz (BetrVG), das 1952 in Kraft trat und nach zwei Novellierungen in
den Jahren 1972 und 2001 (vgl. Brox et al. 2004: 265) noch immer Gültigkeit
besitzt. Die Grundprinzipien des BetrVG blieben im Wesentlichen unverändert
und definieren die Bedingungen der Mitbestimmung von Arbeitnehmern auf der
Ebene einzelner Betriebe.
5
Konkret sieht das Gesetz die Organisation einer betrieblichen Interessenvertre-
tung in Form von Betriebsräten in Betrieben mit fünf oder mehr abhängig Be-
schäftigten vor (vgl. § 1 BetrVG), wobei die Anzahl der Betriebsratsmitglieder
nach Unternehmensgröße gestaffelt ist (vgl. § 9 BetrVG). Betriebsräte sind von
den Gewerkschaften formal unabhängige Organisationen (vgl. Revel 1994: 63),
dennoch kommt es häufig zu personellen Überschneidungen: So sind etwa 80%
der Betriebsratsmitglieder auch Gewerkschaftsmitglieder (vgl. Schroeder 2000:
29). Sie werden von den Beschäftigten für vier Jahre gewählt (vgl. § 13 BetrVG)
und fungieren als Repräsentativorgan aller Beschäftigten unabhängig davon, ob
diese gewerkschaftlich organisiert sind (vgl. Müller-Jentsch 1997: 267). Es
5 Ausnahmen vom BetrVG gelten sowohl für die Interessenvertretung der leitenden Angestellten
als auch für die Beschäftigten bei Verwaltungen und anderer Körperschaften des öffentlichen
Rechts, für die mit dem Sprecherausschussgesetz (SprAuG) beziehungsweise mit den Perso-
nalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder jeweils eigene Regelungen vorgesehen sind
(vgl. Müller-Jentsch 1997: 265f.).

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
10
kommt jedoch nicht in allen Unternehmen, in denen dies rechtlich möglich wäre,
zur Bildung eines Betriebsrats: Die Gründungsinitiative hierfür muss von den
Beschäftigten ausgehen. Weder stehen die Arbeitgeber in der Pflicht, Betriebsräte
einzurichten, noch sind Sanktionsmaßnahmen vorgesehen, falls es nicht zur Grün-
dung eines Betriebsrates kommt. So haben gerade kleinere und mittlere Betriebe
außerhalb von Ballungszentren häufig keinen Betriebsrat, während in größeren
Betrieben in der Regel Betriebsräte vorzufinden sind (vgl. Keller 1997: 89).
In Betrieben mit mindestens fünf Arbeitnehmern, die das 18. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben oder die sich in der Berufsausbildung befinden und das 25.
Lebensjahr noch nicht vollendet haben, kann zur Wahrnehmung ihrer besondern
Belange zusätzlich zu den Betriebsräten eine Jugend- und Auszubildendenvertre-
tung eingerichtet werden (vgl. § 60 BetrVG; vgl. Keller 1997: 87). Für Unterneh-
men, die mehrere Standorte umfassen, ist im BetrVG die Möglichkeit vorgesehen,
einen Gesamtbetriebsrat einzurichten, der für Belange Sorge trägt, die das gesam-
te Unternehmen betreffen. Er ist aber den einzelnen Betriebsräten nicht überge-
ordnet, sondern hat einen ergänzenden Charakter (vgl. §§ 47, 50 BetrVG). Ähnli-
ches gilt auch für Konzerne, die mehrere Unternehmen umfassen: Hier können
Konzernbetriebsräte eingerichtet werden, die für betriebsübergreifende Angele-
genheiten im Rahmen des Konzerns zuständig sind. Auch sie stehen nicht über
den Betriebsräten bzw. Gesamtbetriebsräten der einzelnen Unternehmen (vgl. §§
54, 58 BetrVG).
Gewählte Betriebsratsmitglieder werden für die Dauer ihrer Interessenvertre-
tungsarbeit von ihrer regulären Arbeit freigestellt. Zudem genießen sie als Interes-
senvertreter der Arbeitnehmerschaft einen besonderen Kündigungsschutz, der in §
15 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) geregelt ist. Ab einer Betriebsgröße
von 200 Beschäftigten werden ­ gestaffelt nach Betriebsgröße ­ einige Betriebs-
ratsmitglieder auch ganz für die Betriebsratsarbeit freigestellt (vgl. §§ 37, 38
BetrVG; vgl. Keller 1997: 82). Dies hat gerade in größeren Unternehmen eine
Professionalisierung der Betriebsratsarbeit zur Folge, was sich auch an hohen
personellen Kontinuitäten zeigt (vgl. Keller 1997: 90). An dieser Stelle betont
Keller, dass dadurch einerseits die Gefahr des Bezugsverlusts zwischen Betriebs-
rat und Mitarbeitern bestehe, andererseits aber die Mitarbeit im Betriebsrat ein

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
11
hohes Maß an Sachwissen und Vertrautheit mit komplizierter Rechtsmaterie
erfordere (vgl. ebd.).
2.2.1 Rechte von Betriebsräten
Das BetrVG definiert eine Reihe von Mitbestimmungsrechten für Betriebsräte, die
ihren inhaltlichen Zuständigkeitsbereich sowie ihre Reichweite festlegen. Diese
betreffen soziale, personelle sowie wirtschaftliche Fragen und sind unterschiedlich
stark ausgeprägt (vgl. Keller 1997: 83).
Rechte, die sich auf soziale Angelegenheiten beziehen, verlangen Einigungen
zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern und sind so als echte Mitbestimmungs-
rechte am weitesten ausgebaut. Damit stellen sie das ,,Herzstück der Betriebsver-
fassung" (Müller-Jentsch 1997: 269) dar. Sie sind in § 87 BetrVG verbrieft und
betreffen insbesondere die betriebliche Ausgestaltung von Urlaub und der Lage
der Arbeitszeit, die Anwendung von technischen Einrichtungen zur Überwachung
von Verhalten und Leistung der Arbeitnehmer, Arbeitsschutzmaßnahmen, betrieb-
liche Sozialeinrichtungen und Entlohnungsmethoden sowie Grundsätze zum
betrieblichen Vorschlagswesen und zur Gruppenarbeit.
Die Reichweite der Rechte, die den Bereich der Gestaltung von Arbeitsplatz,
Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung betreffen, beschränkt sich auf Unterrich-
tungs- und Beratungsrechte (vgl. § 90 BetrVG). In diesem Bereich muss die Un-
ternehmensleitung also keine Einigung mit den Betriebsräten erzielen.
Rechte, die personelle Angelegenheiten betreffen, sind unterschiedlichen Ge-
wichts. Bezüglich der Personalplanung (vgl. § 92 BetrVG) muss der Arbeitgeber
den Betriebsrat lediglich informieren. Des Weiteren besteht seitens des Betriebs-
rates ein Vorschlagsrecht für die Einführung und Durchführung einer Personal-
planung sowie bei Maßnahmen zur Sicherung und Förderung von Beschäftigung
(vgl. § 92a BetrVG). In personellen Angelegenheiten, die einzelne Mitarbeiter
betreffen (wie z.B. Einstellungen, Umgruppierungen oder Versetzungen), muss
der Betriebsrat unter bestimmten Bedingungen zustimmen (vgl. § 99 BetrVG). Im
Falle von Kündigungen besteht für den Betriebsrat jedoch nur ein Anhörungsrecht
(vgl. § 102 BetrVG; vgl. Müller-Jentsch 1997: 269).

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
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Die wirtschaftlichen Angelegenheiten betreffend hat der Betriebsrat ausschließ-
lich Informationsrechte. In Unternehmen mit über hundert Beschäftigten wird ein
Wirtschaftsausschuss unter Beteiligung von mindestens einem Betriebsratsmit-
glied eingereichtet. Dieser hat die Funktion, wirtschaftliche Fragen mit dem Un-
ternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu informieren (vgl. § 106 Abs. 1
BetrVG). Ebenso ist der Betriebsrat bei gravierenden Änderungen wie Standort-
schließungen oder Verlegungen zu unterrichten, insbesondere wenn diese ,,we-
sentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft"
(vgl. § 111 BetrVG) zur Folge haben können. Das einzige weitergehende Recht in
diesem Bereich umfasst die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen Sozial-
pläne für entlassene Beschäftigte erzwingen zu können (vgl. § 112 BetrVG).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Rechte, die den sozialen Bereich
betreffen, am stärksten ausgeprägt sind. Im personellen Bereich hat der Betriebs-
rat im Vergleich dazu nur abgeschwächte Einflussmöglichkeiten. Am geringsten
ist der Einfluss auf den Gebieten, die strategische Unternehmensentscheidungen
oder die Planung des Produktionsprozesses betreffen (vgl. Keller 1997: 84; vgl.
Müller-Jentsch 1997: 271).
Neben der Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene gibt es noch eine Reihe von
Beteiligungsrechten für Arbeitnehmer auf der Unternehmensebene, die im Mitbe-
stimmungsgesetz (MitbestG) geregelt sind. Diese umfassen beispielsweise Mitbe-
stimmungsmöglichkeiten in den Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften (vgl.
Keller 1997: 115). Da diese Rechte aber nicht entscheidend zur Konstitution des
dualen Systems der industriellen Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland
beitragen, sondern eher als ergänzende Elemente zur betrieblichen Mitbestim-
mung zu verstehen sind (vgl. Müller-Jentsch 1998: 140), soll auf diesen Aspekt
nicht weiter eingegangen werden.
Zusätzlich zu den Betriebsräten als betriebliche Interessenvertretung aller Be-
schäftigten existiert in einigen Unternehmen auch ein System ehrenamtlich tätiger
gewerkschaftlicher Vertrauensleute, die als Kontaktpersonen zwischen der Ge-
werkschaft und ihren Mitgliedern fungieren (vgl. Müller-Jentsch 1997: 279). Ihre
Stellung ist jedoch rechtlich nicht abgesichert und sie sind lediglich an gewerk-
schaftliche ,,Richtlinien der Vertrauensleutearbeit" gebunden (vgl. Keller 1997:

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
13
101). Gewählt werden die Vertrauensleute im Unterschied zu den Betriebsräten
ausschließlich von den Betriebsangehörigen, die auch Gewerkschaftsmitglieder
sind. In vielen Fällen stehen gewerkschaftliche Vertrauensleute jedoch weniger in
einem Konkurrenzverhältnis zum Betriebsrat, als dass sie dessen Arbeit unterstüt-
zen und sich eine ,,alltagsweltliche Verzahnung" (Schroeder 2000: 29) beider
Institutionen einstellt.
2.2.2 Betriebsvereinbarungen
Das wichtigste Regelungsinstrument der betrieblichen Mitbestimmung ist die Be-
triebsvereinbarung, die entweder zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern ausge-
handelt wird, oder ­ falls das nicht gelingt ­ durch den Spruch von einer Eini-
gungsstelle zustande kommt (vgl. Müller-Jentsch 1997: 288). Die Einigungsstelle
besteht aus Vertretern des Arbeitgebers und des Betriebsrates unter dem Vorsitz
eines Unparteiischen, auf den sich beide Parteien einigen müssen (vgl. § 76
BetrVG). Falls die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten auf diesem Weg
nicht gelingt, können Arbeitsgerichte angerufen werden (vgl. Müller-Jentsch
1997: 293). Betriebsvereinbarungen können als ,,Tarifverträge im Kleinformat"
(Keller 1997: 85) angesehen werden, die unternehmensübergreifend ausgehandel-
te Tarifverträge ergänzen. Sie besitzen innerhalb des Betriebs Rechtsverbindlich-
keit. Allerdings können Betriebsvereinbarungen nur getroffen werden, wenn die
betreffenden Angelegenheiten nicht schon gesetzlich oder tarifvertraglich geregelt
sind (vgl. Keller 1997: 85). Betriebsvereinbarungen sind dann gefragt, wenn die
Tarifverträge entsprechende betrieblich zu verhandelnde Spielräume in Form von
Öffnungsklauseln vorsehen (vgl. Abschnitt 4.4) oder wenn bestimmte Sachverhal-
te nicht tarifvertraglich oder gesetzlich geregelt sind (vgl. Müller-Jentsch 1997:
289). Zudem können Betriebsvereinbarungen gemäß dem Günstigkeitsprinzip
immer abgeschlossen werden, wenn durch sie Arbeitnehmer besser gestellt wer-
den als es tarifliche Mindestbedingungen vorsehen (vgl. Schmidt/Trinczeck 1999:
110; vgl. Schnabel 2005: 20).

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
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2.2.3 Kooperation als Verhandlungsmodus der betrieblichen Ebene
Die Ebene betrieblicher Mitbestimmung nimmt innerhalb des deutschen Systems
industrieller Beziehungen eine zentrale Rolle ein. Die hohe Kontinuität, die das
Prinzip betrieblicher Mitbestimmung in der Bundesrepublik Deutschland auf-
weist, liegt dabei in erster Linie in seiner rechtlichen Fixierung bzw. in der ,,Ge-
burtshilfe des Staates" (Müller-Jentsch 1997: 196) begründet. Einmal eingerichte-
te Betriebsräte müssen von den Unternehmensleitungen akzeptiert werden und
stehen nicht zur Disposition. Sie sind fester Bestandteil des Betriebs und mit
Rechten ausgestattet, die im Zweifel auch vor den Arbeitsgerichten einklagbar
sind. Diese im BetrVG verbrieften Mitbestimmungsrechte legen einerseits die
inhaltlichen Zuständigkeiten und andererseits die Handlungsmöglichkeiten von
Betriebsräten fest.
Die inhaltlichen Zuständigkeiten betreffen vor allem den Bereich betriebsbezo-
gener Arbeitsbedingungen, wobei die Mitbestimmungsmöglichkeiten im Bereich
sozialer Angelegenheiten am weitesten gehen. Müller-Jentsch betont, dass es sich
bei den Konflikten, die zwischen Betriebsräten und Arbeitgebern ausgetragen
werden, meist nicht um harte Verteilungskonflikte handelt, sondern in vielen
Fällen beide Seiten gleichermaßen von den vereinbarten Regelungen profitieren
können. So seien sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer an guten Arbeitsbe-
dingungen und einem damit einhergehenden guten Betriebsklima interessiert, da
dies auch eine produktivitätssteigernde Wirkung mit sich führe (vgl. Müller-
Jentsch 1997: 260).
Was die Handlungsmöglichkeiten von Betriebsräten betrifft, zeigen sich deutli-
che Unterschiede zu denen der Akteure auf unternehmensübergreifender Ebene
(vgl. Abschnitt 2.3): Betriebsräte sind grundsätzlich an die Friedenspflicht gebun-
den, was bedeutet, dass sie zur Interessendurchsetzung nicht zu Arbeitskampf-
maßnahmen aufrufen dürfen und sie dadurch über keinerlei Drohpotenzial gegen-
über dem Arbeitgeber verfügen (vgl. § 74 Abs. 2 BetrVG; vgl. Revel 1994: 63).
Diese Einschränkung zwingt die Betriebsräte bei der innerbetrieblichen Konflikt-
bewältigung zur Zusammenarbeit mit den Unternehmensleitungen, worin eine
Doppelfunktion der Betriebsräte angelegt ist: Einerseits haben sie die Aufgabe der
Interessenvertretung der Beschäftigten auf betrieblicher Ebene, andererseits sind

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
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sie zu kooperativen Problemlösungen im Einvernehmen mit den Unternehmens-
leitungen angehalten und tragen Mitverantwortung für das Unternehmen (vgl.
Schroeder 2000: 29).
6
Dieser Grundsatz ist ebenfalls im BetrVG fixiert: ,,Arbeit-
geber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge ver-
trauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerk-
schaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des
Betriebs zusammen" (§ 2 Abs. 1 BetrVG).
Die klare Festlegung von inhaltlichen Zuständigkeiten und Handlungsmöglich-
keiten durch das Betriebsverfassungsgesetz sowie der darin angelegte kooperative
Modus der Konfliktbewältigung sind also die zentralen Merkmale der betriebli-
chen Ebene des deutschen Systems industrieller Beziehungen.
2.3 Tarifautonomie
Die zweite tragende Säule des deutschen Systems der industriellen Beziehungen
bildet das Prinzip der Tarifautonomie. Dies bedeutet, dass die Tarifparteien ­ also
Gewerkschaften auf der einen und Arbeitgeber oder ihre Verbände auf der ande-
ren Seite ­ innerhalb eines von staatlicher Seite rechtlich normierten Rahmens
eigenverantwortliche Verhandlungen um tarifpolitische Fragen führen. Inhaltlich
geht es dabei hauptsächlich um die Aushandlung der Höhe von Löhnen und Ge-
hältern sowie den Umfang der Arbeitszeit. Im Vergleich zu den Inhalten, die im
Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung verhandelt werden, stehen hier also
Themen im Mittelpunkt, die sich in wesentlich stärkerem Maße als Verteilungs-
konflikte mit hohem Konfliktpotenzial charakterisieren lassen. Win-win-Situatio-
nen, wie etwa das beidseitige Interesse an guten Arbeitsbedingungen, die auf
betrieblicher Ebene häufig vorzufinden sind, sind aufgrund der Thematiken, die
im Rahmen der Tarifautonomie verhandelt werden, wesentlich schwieriger zu
erreichen.
Die Verhandlungen im Rahmen der Tarifautonomie verlaufen autonom und
ohne staatliche Intervention: ,,In einem Satz zusammengefasst stellt die Tarifauto-
6 Zur ambivalenten Rolle der Betriebsräte gibt es eine rege wissenschaftliche Debatte, die die
Betriebsräte zwischen ihren Funktionen als ,,Klassenkämpfer" und ,,Co-Manager" (vgl. Klitzke
et al. 2000) bzw. zwischen ,,Gegenmacht" oder ,,Ordnungsfaktor" (vgl. Keller 1997: 81; vgl.
Kotthoff 1994) thematisiert.

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
16
nomie ein Regelungssystem dar, das den Tarifvertragsparteien in einem staatli-
cherseits gewährten Freiraum die autonome Gestaltung von Arbeitsbeziehungen
und ihrer eigenen Beziehungen mit prinzipiell offenem Ausgang überlässt" (Mül-
ler-Jentsch 1997: 203). Durch die Delegation
7
tarifpolitischer Konflikte an die
Verbände wird der Staat von Regelungsaufgaben wie der Festsetzung von Lohn-
richtlinien oder Arbeitsbedingungen entlastet. Er übernimmt also keine Verant-
wortung für den konkreten Ausgang von Tarifverhandlungen, sondern fungiert
höchstens als neutraler Vermittler in offenen Konfliktsituationen (vgl. Bispinck
2003: 397).
Die wesentliche Voraussetzung für Kollektivverhandlungen im Rahmen der Ta-
rifautonomie findet sich in Artikel 9, Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepu-
blik Deutschland (GG). Hier ist mit der sogenannten Koalitionsfreiheit die Mög-
lichkeit der Gründung von Vereinigungen zur ,,Wahrung und Förderung der
Arbeits- und Wirtschaftbedingungen" (Art. 9 Absatz 3 GG) garantiert (vgl. Keller
1997: 143). Dies schafft die rechtliche Basis für die Gründung von Verbänden,
welche im Auftrag ihrer Mitglieder mit der Gegenseite in Verhandlungen treten
und rechtsverbindliche Kollektivverträge über Arbeitsbedingungen abschließen
können. Allerdings sieht das Grundgesetz keinen Zwang zur Verbandsgründung
oder -mitgliedschaft vor: Gründung und Mitgliedschaft beruhen also für Arbeitge-
ber wie für Arbeitnehmer auf freiwilliger Basis. Dieses Prinzip wird als negative
Koalitionsfreiheit bezeichnet (vgl. Revel 1994: 26; vgl. Keller 1997: 143). Dies ist
insofern von Bedeutung, als dass an dieser Stelle deutlich wird, dass die Verbände
bezüglich der Sicherstellung ihrer Organisationsressourcen und Handlungsfähig-
keit auf sich gestellt sind. Die genauen Modalitäten der Tarifautonomie werden im
Tarifvertragsgesetz (TVG) konkretisiert, welches am 9. April 1949 in Kraft trat
und in der Fassung vom 25. November 2003 bis heute gültig ist. Insbesondere
definiert das TVG, dass nur Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber oder Vereini-
gungen von Arbeitgebern berechtigt sind, Tarifverträge abzuschließen (vgl. § 2
TVG).
7 Zum Konzept des ,,delegierenden Staates" vgl. Schmidt 1999: 493f.

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
17
Der Abschluss eines Tarifvertrages setzt eine Einigung beider Tarifparteien
voraus. Im einfachsten Fall kommt diese direkt durch eine Verhandlung zustande.
Falls es nicht gelingt, auf diesem Weg ein kompromissfähiges Ergebnis zu erzie-
len, stehen weitere Möglichkeiten offen, um den Abschluss eines Tarifvertrages
zu forcieren. Die erste Möglichkeit besteht darin, einen unabhängigen Schlichter
in die Verhandlungen einzubeziehen (vgl. Keller 1997: 152). Ziel eines Schlich-
tungsverfahrens ist die Beilegung von Tarifstreitigkeiten, bevor es zu Arbeits-
kampfmaßnahmen kommt. Der Schlichter hat hierbei die Aufgabe, dafür zu sor-
gen, dass alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden (vgl. Keller 1997:
155). Dies kann zum einen durch die Verbesserung des Informationsflusses zwi-
schen verhärteten Verhandlungsfronten geschehen. Zum anderen kann ein Teil der
Verantwortung für das Verhandlungsergebnis dem Schlichter zugesprochen wer-
den, was unter Umständen Prestigeeinbußen für die Konfliktparteien bzw. einen
,,Gesichtsverlust" gegenüber ihren Mitgliedern oder der Öffentlichkeit zu verhin-
dern hilft (vgl. Keller 1997: 158). Falls auch durch ein Schlichtungsverfahren
keine Einigung erzielt werden kann, bleibt den Tarifparteien als ,,Schwert an der
Wand" (Müller-Jentsch 1997: 212) die Möglichkeit, Arbeitskampfmaßnahmen
einzuleiten, um den Druck auf die Gegenseite zu erhöhen. Diese können auch
allein durch ihr Drohpotenzial ­ also durch die bloße Ankündigung ­ den Verlauf
von Tarifauseinandersetzungen erheblich beeinflussen: ,,Zum Wesen des Arbeits-
kampfes gehört es, den Kontrahenten durch Androhung und Zufügung von
Nachteilen kompromissbereit zu machen" (Müller-Jentsch 1997: 291). Für die
Arbeitnehmerseite ist dies das Mittel des Streiks, also einer temporären kollekti-
ven Arbeitsniederlegung, dem ein Warnstreik als Drohgebärde vorausgehen kann.
Die Arbeitgeberseite hat die Möglichkeit, auf Streiks mit Aussperrungen zu rea-
gieren, also die Arbeitnehmer zeitlich befristet und unter Verweigerung der Lohn-
fortzahlung von ihrer Beschäftigung auszuschließen. Arbeitskampfmaßnahmen
sind zumeist auf wenige Branchen und Tarifbezirke beschränkte und strategisch
eingesetzte Mittel, da sie für beide Tarifparteien mit hohen Kosten verbunden sind
(vgl. Keller 1997: 167). Anhand der Möglichkeit des Arbeitskampfes wird deut-
lich, dass konfliktbehaftete Regelungsinhalte legitimer Bestandteil der Ebene der
Tarifautonomie sind und dass Konflikte hier offen, aber kontrolliert und in zeitlich

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
18
festgelegen Abständen ausgetragen werden (vgl. Müller-Jentsch 1997: 43). Wäh-
rend der Laufzeit von Tarifverträgen sind die Tarifparteien ebenso wie die Be-
triebsräte an die Friedenspflicht gebunden und dürfen keine Arbeitskampfmaß-
nahmen einleiten (vgl. WSI 2006: 274). Verletzungen der Friedenspflicht, bei-
spielsweise durch ,,wilde Streiks", gelten als Tarifbruch und können zu Unterlas-
sungs- und Schadenersatzansprüchen führen (vgl. Keller 1997: 147).
Neben Tarifverhandlungen mit den Optionen von Schlichtungsverfahren und
Arbeitskampf besteht eine weitere Möglichkeit, wie Tarifverträge Gültigkeit
erlangen können: So können sie unter bestimmten Bedingungen vom Bundesmi-
nister für Arbeit und Soziales für einen bestimmten Bereich mit dem Status der
Allgemeinverbindlichkeit versehen werden (vgl. § 5 TVG). Wenn ein Tarifvertrag
für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, gilt dieser auch für alle nicht tarifge-
bundenen Arbeitgeber und Beschäftigten seines räumlichen Geltungsbereichs
(vgl. Bispinck 2003: 402). Allgemeinverbindlichkeitserklärungen sind an drei
Bedingungen geknüpft: Erstens muss ein öffentliches Interesse an dieser Regelung
bestehen, zweitens müssen bereits 50% der im betreffenden Bereich Beschäftigten
einer Tarifbindung unterliegen und drittens müssen die Tarifparteien einer Allge-
meinverbindlichkeitserklärung zustimmen. Tarifverträge mit dem Status der All-
gemeinverbindlichkeit haben jedoch in Relation zu allen abgeschlossen Tarifver-
trägen eine geringe quantitative Bedeutung und stellen eher Ausnahmen dar (vgl.
Keller 1997: 149).
8
2.3.1 Typen von Tarifverträgen
Grundsätzlich schreibt das TVG weder den räumlichen noch den inhaltlichen
Gültigkeitsbereich von Tarifverträgen vor. Demnach sind prinzipiell unterschied-
liche Formen von Tarifverträgen möglich, die im Folgenden kurz erläutert werden
sollen. Bezüglich der räumlichen Reichweite lassen sich folgende Typen unter-
scheiden (vgl. Revel 1994: 24; vgl. Keller 1997: 148):
8 Eine besondere Form von Allgemeinverbindlichkeit, die vor allem das Baugewerbe betrifft, ist
im Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) von 1996 geregelt und verpflichtet ausländische Bau-
firmen zur Einhaltung tariflicher Mindeststandards (vgl. Bispinck 2003: 402).

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
19
- Tarifverträge auf volkswirtschaftlicher Ebene, die alle Branchen eines
Landes umfassen. Dieser Typ kommt jedoch in der tarifpolitischen Realität
der Bundesrepublik Deutschland nicht vor.
- Tarifverträge auf Branchenebene: Im Gegensatz zur volkswirtschaftlichen
Ebene ist diese Form von Tarifverträgen schon nahe liegender, da durch
ähnliche Produktionsverfahren und Arbeitsbedingungen eine Einigung auf
einheitliche Tarifnormen erleichtert wird. Dennoch kommt es nur in Aus-
nahmefällen zu Tarifverträgen, in denen bundesweit einheitliche Regelun-
gen für eine Branche vereinbart werden.
- Zusätzlich zur Differenzierung nach Branchen ist auf regionaler Branchen-
ebene die Einbeziehungen regionaler Besonderheiten möglich. Dieser Typ
von Tarifverträgen ist in Deutschland am weitesten verbreitet.
- Tarifverträge, die nur für ein Unternehmen oder einen Betrieb Gültigkeit
haben. Diese werden auch als Haustarifverträge bezeichnet, orientieren
sich häufig an branchenbezogenen Tarifverträgen oder übernehmen die
dort vereinbarten Regelungen in Gänze. In einem solchen Fall wird von
einem Anerkennungstarifvertrag gesprochen (vgl. WSI 2006: 273).
Anhand der Inhalte können ebenfalls Typen von Tarifverträgen unterschieden
werden, wobei in der Praxis häufig Mischformen vorzufinden sind und innerhalb
eines der oben genannten Tarifvertragstypen häufig mehrere der folgenden Aspek-
te geregelt werden (vgl. Müller-Jentsch 1997: 225f.):
- Vergütungstarifverträge, in denen Regelungen zu Löhnen und Gehältern
festgelegt sind.
- Rahmentarifverträge, in denen Lohngruppen und Bewertungssysteme de-
finiert sind.
- Manteltarifverträge, die allgemeine Arbeitsbedingungen wie Arbeitszeit,
Urlaub, Kündigungsmodalitäten oder Fragen der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall betreffen.
Neben den genannten Typen von Tarifverträgen gibt es noch eine Reihe sonstiger
Bereiche, die tarifvertraglich geregelt werden können. Dies kann unter anderem
vermögenswirksame Leistungen für die Beschäftigten sowie Weiterbildungs- oder
Förderungsmaßnahmen für bestimmte Beschäftigtengruppen betreffen (vgl. Mül-
ler-Jentsch 1997: 226). Die Dauer der Gültigkeit von Tarifverträgen ist unter-
schiedlich geregelt. Während Vergütungstarifverträge in der Regel für 12 bis 24
Monate gültig sind, haben Rahmen- und Manteltarifverträge meist eine Laufzeit
von mehreren Jahren (vgl. Müller-Jentsch 1997: 228; vgl. WSI 2006: 275).
Tarifverträge, die über den Geltungsbereich für ein Unternehmen hinausgehen,
die also entweder bundesweite Gültigkeit für eine bestimmte Branche besitzen

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
20
oder auf regionaler Branchenebene angesiedelt sind, werden unter dem Begriff
des ,,Flächentarifvertrags"
9
zusammengefasst.
2.3.2 Der
Flächentarifvertrag
Unter den möglichen Typen von Tarifverträgen nimmt der Flächentarifvertrag
eine exponierte Stellung ein. Flächentarifverträge werden von den Verbänden der
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite einer Branche mit Gültigkeit für einen räum-
lich begrenzten Bereich ­ also eine bestimmte Fläche ­ abgeschlossen. Als einzi-
ge tatsächlich existierende Kollektivvertragsform geht er über die Regulierung
von Arbeitsverhältnissen für einen Betrieb oder ein Unternehmen hinaus. Er stellt
somit eine rechtsverbindliche, unternehmensübergreifende und einheitliche Be-
zugsgröße für Arbeitsbedingungen dar. Der Flächentarifvertrag ist als dominie-
rende Tarifvertragsform ,,strukturbildend für das deutsche Tarifvertragssystem"
(Bispinck/Schulten 1999: 193) und damit zentraler Bestandteil des deutschen
Systems der industriellen Beziehungen. In seinem Rahmen wird in Deutschland
nach wie vor ein Großteil der Rahmenbedingungen von Arbeitsverhältnissen
ausgehandelt (vgl. Ellguth/Kohaut 2005: 401).
Meist werden in einigen Bundesländern Flächentarifverträge abgeschlossen, die
dann eine gewisse Leitbildfunktion für die Verhandlungen in anderen Bundeslän-
dern haben und seitens der Tarifparteien überregional koordiniert werden (vgl.
Revel 1994: 72).
10
Zudem kommt den Flächentarifverträgen bestimmter Branchen
eine Vorreiterrolle für Verhandlungen in anderen Branchen zu: Vor allem Tarif-
verträge, die im Metallsektor ausgehandelt werden, dienen hier als Orientierungs-
rahmen und haben dadurch gesamtwirtschaftliche Auswirkungen (vgl. Schroeder
2000: 31). Ein weiterer wichtiger Aspekt, der über die formale Bindung an Flä-
chentarifverträge hinaus geht, ist ihre Funktion als Richtgröße für nicht tarifge-
bundene Unternehmen, die sich nach dem ,,Geleitzugprinzip" (Schroeder 2000:
31) in Fragen der Arbeitszeit und der Höhe von Löhnen und Gehältern häufig an
den branchenüblichen tarifvertraglichen Regelungen orientieren (vgl. Ellguth/
9 Häufig werden in der Literatur die Begriffe Flächentarifvertrag, Branchentarifvertrag und
Verbandstarifvertrag synonym verwendet.
10 Derartige Tarifabschlüsse werden häufig auch als ,,Pilotabschlüsse" bezeichnet.

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
21
Kohaut 2005: 400). Die Bedeutung von Flächentarifverträgen geht somit deutlich
über ihre formale Bindungskraft hinaus.
2.3.3 Akteure des Tarifvertragssystems
In den folgenden beiden Abschnitten soll näher auf die Akteure eingegangen
werden, die im Rahmen der Tarifautonomie unternehmensübergreifende Regelun-
gen von Arbeitsbedingungen aushandeln und im Auftrag ihrer Mitglieder Flächen-
tarifverträge abschließen. Die Interessenvertretungsorganisationen der Arbeit-
nehmer- und Arbeitgeberseite bilden neben der rechtlichen Verregelung die Exis-
tenzgrundlage eines unternehmensübergreifenden Verhandlungssystems. Zunächst
sollen mit den Gewerkschaften die kollektiven Interessenvertretungsorgane der
Arbeitnehmer vorgestellt werden. Im Anschluss daran werden die Arbeitgeber-
verbände thematisiert, die stellvertretend für ihre Mitgliedsunternehmen Tarifver-
handlungen auf unternehmensübergreifender Ebene führen.
2.3.3.1 Gewerkschaften
Die Gewerkschaften stellen die Interessenvertretungsorganisationen der Arbeit-
nehmer auf der unternehmensübergreifenden Ebene dar. Nach einer von Keller
vorgeschlagenen allgemeinen Definition können unter Gewerkschaften ,,freiwilli-
ge, auf Dauer angelegte Interessenvereinigungen von abhängig beschäftigten
Arbeitnehmern mit dem Ziel der Absicherung und Verbesserung ihrer wirtschaft-
lichen und sozialen Lage bzw. Arbeitsbedingungen" (Keller 1997: 29) verstanden
werden. Zu unterscheiden sind zunächst Richtungs- und Einheitsgewerkschaften.
Richtungsgewerkschaften bauen auf ein spezielles Mitgliederprofil, das sich von
anderen Arbeitnehmern durch Merkmale wie Beruf, Qualifikation, politische
Einstellung oder Religion unterscheidet (vgl. Keller 1997: 30). In diesem Fall
kann es zwischen den Gewerkschaften zu einer Konkurrenz um Mitglieder kom-
men, was Tarifverhandlungen auf branchenweiter Ebene gravierend erschwert, da
sich auf dieser Basis keine Organisation auf den Vertretungsanspruch aller in
einer Branche beschäftigten Arbeitnehmer berufen kann. Die deutschen Gewerk-
schaften sind im Gegensatz dazu als Einheitsgewerkschaften nach dem Industrie-
verbandsprinzip organisiert (vgl. Schmidt 1999: 498). Das Industrieverbandsprin-
zip zeichnet sich dadurch aus, dass für jede Branche nur eine Gewerkschaft

Das deutsche System der industriellen Beziehungen
22
besteht, deren Ziel es ist, unabhängig von weltanschaulichen, religiösen oder
politischen und beruflichen Unterschieden alle Arbeitnehmer der Branche zu
organisieren.
11
Als Einheitsgewerkschaften streben sie ein tarifpolitisches Vertre-
tungsmonopol für alle Arbeitnehmer der jeweiligen Branche an (vgl. Müller-
Jentsch 1997: 107; vgl. Bispinck/Schulten 1999: 193). Durch die weltanschauli-
che und politische Offenheit ergeben sich gewisse Einschränkungen im Hinblick
auf die Aufgaben bzw. die politische Ausrichtung der Gewerkschaften. Daher
konzentriert sich ihre Arbeit in erster Linie auf die Vertretung der tarifpolischen
Interessen ihrer Mitglieder in ihrer Funktion als Arbeitnehmer. Die weltanschauli-
che und politische Neutralität geht jedoch nicht soweit, dass Gewerkschaften nicht
auch zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Fragen Stellung beziehen (vgl.
Keller 1997: 30).
Die meisten gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer in Deutschland gehö-
ren einer der acht Mitgliedsgewerkschaften des 1949 gegründeten Dachverbandes
,,Deutscher Gewerkschaftsbund" (DGB) an. So repräsentieren die DGB-Gewerk-
schaften mehr als 80% aller gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer (vgl.
Ebbinghaus 2003: 181). Als Dachverband übernimmt der DGB gemäß seiner
Satzung Koordinierungsaufgaben zwischen den Einzelgewerkschaften, fungiert
als Repräsentationsorgan von allgemeinen ,,gesellschaftlichen, wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmerinnen und der Arbeitnehmer
und [setzt] sich für die Geschlechterdemokratie ein" (§ 2 Abs. 1b DGB Satzung,
vgl. DGB 2006
12
). Die Tarifverhandlungen selbst sind jedoch alleinige Angele-
genheit der Mitgliedsgewerkschaften ­ hier ist der Einfluss des DGB als gering
einzuschätzen, da die Einzelgewerkschaften politisch eigenständig agieren und
auch finanziell unabhängig sind (vgl. Keller 1997: 32). Die Mitgliedsgewerk-
11 Dennoch gibt es auch hierzulande einige Ausnahmen: Ein Beispiel hierfür ist der 1957 gegrün-
dete und konfessionell ausgerichtete Christliche Gewerkschaftsbund (CGB), der allerdings mit
2-3% aller gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer nur wenig ins Gewicht fällt (vgl. Eb-
binghaus 2003: 180f.). Ebenso existieren einige Verbände, die ausschließlich bestimmte Be-
rufsgruppen repräsentieren. Dazu gehören unter anderem die Pilotenvereinigung ,,Cockpit"
sowie der ,,Marburger Bund" als Interessenvertretungsorganisation von Ärzten (vgl. WSI 2006:
62).
12 Verweise auf Quellen aus dem Internet sind zugunsten einer besseren Übersichtlichkeit kursiv
gesetzt. Die verwendeten Internetquellen sind am Ende der Arbeit in einem separaten Ver-
zeichnis aufgeführt.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836602310
Dateigröße
436 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Darmstadt – Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften, Politikwissenschaft
Erscheinungsdatum
2014 (März)
Note
1
Schlagworte
deutschland arbeitsbeziehungen entwicklung gewerkschaft arbeitgeberverband industrielle beziehung tarifvertrag tarifautonomie
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Titel: Kontinuität oder Modellwechsel? Zur Entwicklung des deutschen Systems der industriellen Beziehungen
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