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Issuesuche, -identifikation und -selektion in Unternehmen

Einschränkungen und Lösungsansätze

©2006 Diplomarbeit 126 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Der Ausgangspunkt meiner Überlegungen war die Annahme, dass Unternehmen Schwierigkeiten bei der proaktiven Wahrnehmung und Verarbeitung von Issues haben werden. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Es wurde deutlich, wie komplex und vielgestaltig Issues sind: Sie entwickeln sich aus strittigen Themen zwischen Anspruchsgruppen und Unternehmen. Im Kampf um ihre Deutungshoheit kommen die Medien ins Spiel. Sie entwickeln eine Eigendynamik, verändern sich und können für Unternehmen Risiken und Chance zugleich sein. Sie erzeugen Spuren: Unsichere, mehrdeutige und unscharfe Hinweise auf ihre Existenz und Entwicklung. Die Verarbeitung dieser Hinweise ist für Unternehmen eine Herausforderung.
Eine Herausforderung, der sich Unternehmen jedoch stellen müssen, um ihre Reputation in einer von zunehmender Komplexität und Dynamik geprägten Umwelt mit sich rasant verändernden Kommunikationsverhältnissen zu schützen und dem wachsenden Legitimationsdruck gegenüber der Öffentlichkeit standzuhalten. Dies ist die Aufgabe des Issues Management, das dafür geeignete Verfahren und Managementsysteme zur Verfügung stellen soll. Sein vordergründiges Ziel, nämlich die Vorbereitung und Einleitung von Issue-Beantwortungsstrategien kann Issues Management aber nur erreichen, wenn möglichst viele Issues frühzeitig erkannt, adäquat interpretiert und vom Unternehmen als relevant betrachtet werden. Folglich stand im Mittelpunkt meiner Arbeit die Analyse und Bewertung der auf die Erkennung, Interpretation und Selektion abzielenden Verfahren und angewandten Managementsysteme des Issues Management.
Zur Analyse und Bewertung dieser Verfahren und angewandten Managementsysteme wählte ich ein deduktives Vorgehen: Der Theorierahmen der Arbeit vereint theoretische Überlegungen zu der Frage, wie Unternehmen Informationen aus ihrer Umwelt aufnehmen und verarbeiten können. Aus diesen theoretischen Annahmen wurden dann zwei Thesen deduziert, die auf spezifische Einschränkungen des Issues Managements hinweisen. Auf dieser Grundlage konnte dann herausgearbeitet werden, inwieweit die Verfahren und Managementsysteme des Issues Management diese Einschränkungen berücksichtigen können (=Grenzen) und Berücksichtigen (=Defizite).
Ein solches theoriebasiertes, deduktives Vorgehen hat mehrere Vorteile: Zum einen konnten mittels übergeordneter Fragen neue Perspektiven auf die „Praxis“ aufgeworfen werden (z.B. zur Beobachtungsfähigkeit von Unternehmen im allgemeinen). Und, damit […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Matthias Gebhard
Issuesuche, -identifikation und -selektion in Unternehmen
Einschränkungen und Lösungsansätze
ISBN: 978-3-8366-0186-3
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Universität der Künste zu Berlin, Berlin, Deutschland, Diplomarbeit, 2006
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http://www.diplom.de, Hamburg 2007
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Danke
i
Danke
Für wertvolle Hinweise und Informationen:
Dr. Achim Kinter, tabularasa corporate communications
Tobias Weller, Dresdner Bank AG
Thomas Paul, paul und collegen berlin
Dr. Michael Paul, paul und collegen wien
Matthias Koch, DPRG Berlin
Für kritische Unterstützung und Betreuung meiner Arbeit:
Dr. Jürgen Schulz, UdK Berlin
Prof. Volker Riegger, UdK Berlin/ logos AG München
Für Feedback, inhaltliche und moralische Unterstützung, Verbesserungsvorschläge:
Wolfgang und Helga Gebhard
Kathrin Sarzio
Friederike Schulz
Sarah Bagel
Jochen Mayer
Boris Herrmann
Boris Walter
Bodo Hasenberg
Frederick Jenkins
Simone Sommer

Inhaltsverzeichnis
iii
Inhaltsverzeichnis
Danke
i
Inhaltsverzeichnis iii
Einleitung vii
Forschungsinteresse und Problemstellung
viii
Vorgehen und Methodik
ix
I.
Issues Management im überblick
1
1.
Grundlagen und Anforderungen des Issues Management
1
1.1.
Umweltdynamik und Reputation als strategische und kommunikative
Herausforderung 1
1.1.1.
Unternehmensumwelt im Wandel
1
1.1.2.
Konsequenzen für Unternehmen
2
1.2.
Issues 4
1.2.1.
Issue ­ eine Definition
4
1.2.2.
Aspekte des Issuekonstruktes
6
1.3.
Issues Management
14
1.3.1.
Issues Management im Überblick
14
1.3.2.
Abschließende Begriffsbestimmung des Issues Management
18
1.3.3.
Abgrenzung des Issues Management
19
1.4.
Zwischenfazit 20
II.
Defizite bei der Suche, Interpretation und Selektion von Issues
21
2.
Theorieperspektiven 21
2.1.
Theorieauswahl 22
2.2.
Konstruktivismus als erkenntnistheoretische Perspektive
23
2.2.1.
Umwelt als Konstruktion
23
2.2.2.
Lebende Systeme als Autopoietische Systeme
24
2.2.3.
Einschätzungen und Schlussfolgerungen
25
2.3.
Neuere Systemtheorie
26
2.3.1.
Problem: Komplexe Umwelt(en) und kontingente Handlungsalternativen
26
2.3.2.
Das Grenzproblem System ­ Umwelt als Ausgangspunkt
27
2.3.3.
Beobachtung als Handhabung von Differenz
28
2.3.4.
Emergente Phänomene und Steuerungsprobleme
29
2.3.5.
Einschätzungen und Schlussfolgerungen
30
2.4.
Interpretative Soziologie nach Karl Weick
32
2.4.1.
Organisationen sind Produkt des Organisierens
32
2.4.2.
Die Umwelt als Erfindung der Organisation: Sensemaking
32
2.4.3.
Umweltbeobachtung und Interpretation als Prozess des Organisierens
33
2.4.4.
Stabilität, Flexibilität und Wandel als Herausforderung
36
2.4.5.
Einschätzung und Schlussfolgerungen
37
2.5.
Zwischenfazit und Thesen
39

Inhaltsverzeichnis
iv
3.
Forschungsstand zum operativen Issues Management
41
3.1.
Prozessschritte des Issues Management
41
3.1.1.
Issuesuche und -identifikation
42
3.1.2.
Issueanalyse und -selektion
46
3.1.3.
Issuestrategien und Evaluation
51
3.2.
Organisation des Issues Management
52
3.2.1.
Organisatorische Dimension
53
3.2.2.
Aufbauorganisation: Ebenen und Akteure
54
3.2.3.
Ablauforganisation: Zusammenspiel und Prozess
56
3.2.4.
Semiotische Dimension
57
3.2.5.
Physische Dimension
58
3.3.
Empirische Untersuchungen
62
3.3.1.
Die Exzellenz-Studie von Ingenhoff
62
3.3.2.
Weitere Studien
63
3.4.
Issues Management in der Praxis
65
3.4.1.
Fallbeispiele: Brent Spar und Lipobay
65
3.4.2.
Issues Management Experten
67
3.5.
Zwischenfazit 68
4.
Defizite und Grenzen der Issues Management-Konzepte
70
4.1.
These 1: Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeit 70
4.1.1.
Plausibilisierung der These
71
4.1.2.
Bewertung der anwendungsorientierten Issues Management Ansätze
71
4.2.
These 2: Akzeptanz
74
4.2.1.
Plausibilisierung der These
75
4.2.2.
Bewertung der anwendungsorientierten Issues Management Ansätze
76
4.3.
Schlussfolgerung: Grenzen von Issues Management Systemen
79
III.
Lösungsansatz 83
5.
Der Einsatz von Planspielen als Lösungsansatz
83
5.1.
Vorüberlegungen 83
5.1.1.
Zielgruppenspezifische Veränderungsziele
83
5.1.2.
Überlegungen zur Anwendung eines Instruments
84
5.2.
Möglichkeiten von Planspielen
86
5.2.1.
Begriffsbestimmung und Aspekte
86
5.2.2.
Funktionen und Anwendungen von Planspielen
87
5.2.3.
Issues Management spezifische Potentiale von Planspielen
90
5.2.4.
Playing Fast Food Dilemmas
93
5.2.5.
Konzeption und Durchführung von Planspielen
94
5.3.
Fazit: Anwendung von Planspielen für Issues Management Probleme
96
6.
Schluss 99
6.1.
Überblick und Einschätzung der Arbeit
99
6.2.
Ausblick und weiterführende Fragen
103

Inhaltsverzeichnis
v
Anhang
xi
Abbildungsverzeichnis xi
Tabellenverzeichnis xi
Bibliografie xii
Literatur
xii
Sekundärliteratur xviii
Tageszeitungen xix
Dokumentation Planspiel
xx

Einleitung
vii
Einleitung
Ich glaube wir haben die Dimension dieser Affäre nicht richtig begriffen
(Peter Tuborgh, Chef des dänisch-schwedischen Lebensmittel-Konzerns Arla Foods)
Anfang Februar 2006 rollt eine - gegen Dänemark und Norwegen gerichtete - Welle der Em-
pörung durch die islamische Welt
1
: Arabische Medien berichten voller Hass und Abscheu,
Botschafter werden kurzfristig abgezogen, Mobs skandieren ,,Jeder Däne ist eine Zielschei-
be". In den Feuilletons wird der Kulturkampf ausgerufen. Die Krise hat für dänische Unter-
nehmen weit reichende Konsequenzen: In der gesamten moslemischen Welt kommt es zu
Boykottaufrufen gegen dänische Produkte, die nicht folgenlos bleiben. So muss zum Beispiel
der dänisch-schwedischen Molkereikonzern Arla seine Großmolkerei in der saudischen
Hauptstadt Riad schließen und 800 Mitarbeiter nach Hause schicken. Erste Analysen der dä-
nischen Jyske Bank gehen von mittelfristigen Einnahmeverlusten von etwa 2,4 Mrd. Kronen
(321,6 Mill. Euro) und dem Verlust von bis zu 4 000 Arbeitsplätzen aus. Es kommt zu hasti-
gen Absetzungstendenzen bei europäischen Unternehmen: Vorsorglich versichert das fran-
zösische Unternehmen Carrefour seinen ägyptischen Kunden, dass selbstverständlich alle
dänischen Waren aus den Regalen der Supermärkte verbannt wurden. Der Schweizer Kon-
zern Nestlé informiert seine saudi-arabischen Kunden per Zeitungsanzeige, dass sein Milch-
pulver nicht von dänischen Kühen stammt. Im gesamten Nahen Osten verzeichnen
Werbeagenturen und Anzeigenverkäufer Umsatzsprünge, da sich immer mehr Unternehmen
öffentlich von allem Dänischen distanzieren.
Die Entstehungsgeschichte dieser Krise wird der Leser noch deutlich vor Augen haben: Im
September 2005 druckt die dänische Regionalzeitung Jyllands-Posten zwölf Karikaturen un-
ter der Überschrift: ,,Die zwölf Gesichter Mohammeds". Die Zeichnungen beschäftigen sich
auf satirische und kritische Weise mit dem Islam und seinen fundamentalistischen Auswüch-
sen. Zum Stein des Anstoßes wird die Abbildung des Propheten Mohammed in den Karika-
turen, denn im islamischen Glauben ist die bildliche Darstellung des Propheten strengstens
untersagt. Zunächst bleiben die Karikaturen ohne Folgen. Ende Oktober gelangen die Kari-
katuren über E-Mails und diverse Websites und ergänzt um düstere "Verfolgungs-
Geschichten in den weltweit zirkulierenden Kreislauf der Medien in der islamischen Welt.
Der endgültige Auslöser der Krise wird auf den Protestbesuch einer dänischen Imam-
Delegation im Nahen Osten zurückgeführt. Ende Januar kommt es dann zur Eskalation, der
Konflikt entwickelt eine unvorhersehbare Eigendynamik mit noch offenem Ausgang.
Damit bin ich beim übergeordneten Thema meiner Diplomarbeit: Wie können sich Unter-
nehmen auf vergleichbar kritische Umweltentwicklungen - im Folgenden Issues genannt -
einstellen und vorbereiten? Dabei soll kein falscher Eindruck entstehen: Issues weisen nur
im seltensten Fall solch gewaltige politische und kulturelle Dimensionen auf wie im Karika-
turenstreit: So sah sich Coca-Cola aufgrund der Arbeitsbedingungen und Methoden seiner
südamerikanischen Lizenznehmer mit Verbraucherboykotts amerikanischer Universitäten
konfrontiert. Ähnlich das Beispiel des Saatgutherstellers Europlant, der wegen seines geplan-
1
Vgl. Faz (02.02.2006); Handelsblatt (01. & 02.02.2006); taz (10.2.2006) und Süddeutsche Zeitung (9.2.2006)

Einleitung
viii
ten Marktrückzuges der Kartoffelsorte ,,Linda" plötzlich im Mittelpunkt der Medienbericht-
erstattung stand, obwohl ebendieser Rückzug rechtlich vollkommen legal war.
Wie das Beispiel der Karikaturen zeigt, kann der Umgang mit Issues eine zentrale unter Um-
ständen überlebenswichtige Herausforderung für ein Unternehmen werden: ,,Arguably, or-
ganizational survival rests on the abilitiy of organizations to monitor, interpret, and respond
to the myriad issues that both threaten and enhance survival and growth."
(Lautzen
1995:187) Die derartige konsequente Auseinandersetzung des Unternehmens mit seiner
Umwelt ist die Aufgabe des Issues Managements, welches systematische Verfahren zur
Umweltbeobachtung, Issuefilterung und Issueanalyse zur Verfügung stellt (Vgl. Herrmanns
& Glogger 1996:638).
Forschungsinteresse und Problemstellung
Die Bewertung und Aufarbeitung der Karikaturenstreits ist nicht das Ziel dieser Diplomar-
beit. Das Beispiel verdeutlicht jedoch, welche unüberschaubaren und fatalen Konsequenzen
aus Issues für Unternehmen entstehen können. Augenscheinlich waren die betroffenen Un-
ternehmen von dem Ausmaß der arabischen Kundenreaktionen überrascht. Dabei gab es (re-
trospektiv) durchaus Signale für die sich anbahnende Krise: Protestbriefe und Petitionen,
eine brodelnde Gerüchteküche im Internet und Drohungen gegen die Zeichner hätten als
Hinweise auf die Problematik des Themas verstanden werden können. Zur entscheidende
Frage wird dann: Wie können Unternehmen solche Hinweise auffinden und richtig interpre-
tieren?
Im Rahmen des Issues Managements richtet sich mein Forschungsinteresse auf die Such-, In-
terpretations- und Selektionsprozesse, die Unternehmen bezüglich Issues anstrengen. Diese
Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse und ihre operative Umsetzung im Unternehmen
sind zentral für die Bedeutungsbeschaffung und damit die Handlungsableitungen, die Unter-
nehmen bezüglich Issues treffen (Vgl. Ingenhoff 2004:87). Unternehmen können nur auf die-
jenigen Issues reagieren, die sie kennen und von denen sie eine adäquate Vorstellung haben.
Dieser wesentlichen Aspekt des Issues Managements wird im Mittelpunkt der Arbeit stehen.
Im Umkehrschluss werden Überlegungen zur Konzeption, zur Umsetzung und zur Evaluati-
on von Issuestrategien nur peripher behandelt. In der Konzentration auf Issues Management
im Unternehmen
2
erfährt meine Arbeit eine weitere Begrenzung zu Organisationen, in denen
Issues Management denkbar ist (z.B. Non-Profit-Organisationen, Behörden oder Parteien).
Aus dieser Fokussierung ergibt sich meine Problemstellung: Unternehmen sollen danach
streben, möglichst alle für sie relevanten Issues zu finden und eine adäquate Vorstellung von
ihnen zu entwickeln. Gleichzeitig liegt der Verdacht nahe, dass diese Wahrnehmungs- und
Interpretationsleistung häufig nicht fehlerfrei und umfassend erfolgt: ,,Nicht alles, was in der
Welt passiert, nicht alle Ereignisse, Informationen und Zustände können von sozialen Sys-
temen berücksichtigt und verarbeitet werden." (Willke 1993:56) Deswegen ist die Grundan-
2
Unternehmen werden in Anlehnung an die Definitionen verschiedener Wirtschaftslexika (Vgl. Lexikon der ö-
konomischen Bildung 2001, Gablers Wirtschaftslexikon 2004 und Lexikon der VWL 2000) verstanden als orga-
nisatorisch-rechtliche Einheiten zu Verfolgung wirtschaftlicher Ziele, gleichzeitig ist ein Unternehmen ein
soziales, mit menschlichem Zweckhandeln erfülltes Gebilde, das planvoll organisiert. In einem Unternehmen fin-
det man Arbeitsteilung, informelle und formelle Beziehungen zwischen Mitgliedern sowie Hierarchien.

Einleitung
ix
nahme meiner Arbeit, dass die Verarbeitung von Issues im Unternehmen in der Praxis mit
Einschränkungen verbunden ist. Die systematische Beschreibung und Begründung dieser
Einschränkungen stellen mein primäres Erkenntnisziel dar. Dabei soll der Praxisbezug nicht
aus den Augen verloren werden. Das bedeutet, dass ich eine Antwort darauf suche, inwie-
weit die Einschränkungen auf Defizite bestehender und im Unternehmen angewandter, ope-
rationaler Verfahren und Mangementsysteme (Heuristiken) zurückzuführen ist. Im Gegenzug
möchte ich klären, inwieweit diese Einschränkungen in der ,,Natur des Gegenstandes" liegen
und damit die Grenzen dieser Heuristiken im Unternehmen aufzeigen. So können einerseits
Hinweise darauf gegeben werden, wo die operationalen Wahrnehmungs- und Verarbeitungs-
prozesse des Issues Managements Verbesserungspotential aufweisen. Durch das Aufzeigen
ihrer natürlichen Grenzen können diese Ansätze aber auch vor zu hohen Ansprüchen und
Erwartungen geschützt werden. Folglich lautet die Fragestellung meiner Arbeit: Welche De-
fizite und Grenzen weisen die bestehenden Verfahren und Managementsysteme zur Suche,
Interpretation und Selektion von Issues durch Unternehmen aus einer (noch zu näher zu be-
stimmenden) theoretischen Perspektive auf?
Eine solche systematische Untersuchung bliebe auf halber Strecke stehen, würde sie keine
Konsequenzen aus den Untersuchungsergebnissen ableiten. Aufbauend auf den Analyseer-
gebnissen wird abschließend einen Lösungsansatz zur Abschwächung der herausgearbeiteten
Einschränkungen zu skizzieren. Die sekundäre Fragestellung meiner Arbeit lautet deshalb:
Wie kann ein Ansatz zur Abschwächung der herausgearbeiteten Einschränkungen aussehen?
Vorgehen und Methodik
Meine Arbeit gliedert sich in drei wesentliche Teile:
I. Issues Management im Überblick
In diesem ersten Teil werden auf der Grundlage von Studien und Fachliteratur die Eckpunkte
und Anforderungen des Issues Management beschrieben. Dabei wird herausgearbeitet, wel-
che Entwicklungen dazu geführt haben, dass sich Unternehmen mit dem Thema Issues Ma-
nagement auseinandersetzen müssen. Die nähere Bestimmung des Issuekonstrukts und seiner
wesentlichen Aspekte verdeutlicht den mehrdeutigen und unscharfen Charakter der Hinwei-
se, die Unternehmen auf die Spur von Issues bringen können. Mit den Überlegungen zum Is-
suekonstrukt eng verbunden ist die Beantwortung der Frage nach den Aufgaben und Zielen
von Issues Management. Damit sind die Voraussetzungen für die Beschäftigung mit der Fra-
ge geschaffen, wie Unternehmen im Rahmen der Zielsetzungen des Issues Management die
Spuren von Issues wahrnehmen und verarbeiten können.
II. Defizite bei der Suche, Interpretation und Selektion von Issues
Dieser Teil bildet den Schwerpunkt der Arbeit und geht deduktiv vor: Auf der Grundlage ei-
nes Theorierahmens werden Thesen über mögliche Einschränkungen in der Suche, Interpre-
tation und Selektion von Issues formuliert. Anhand dieser werden dann die bestehenden
operationalen Ansätze zur Suche, Interpretation und Selektion auf Defizite überprüft. So
können Schwachstellen der anwendungsorientierten Issues Management-Konzepte aufge-
deckt werden.

Einleitung
x
Die Thesen basieren auf einem Theorierahmen, der sich auf Überlegungen zur Erkennung
und Verarbeitung von Informationen stützt. Diese sind die erkenntnistheoretischen Überle-
gungen des Konstruktivismus, die neuere Systemtheorie und die interpretative Soziologie,
die jeweils kurz dargestellt werden. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, wie Organi-
sationen Daten aus ihrer Umwelt verarbeiten, wie sie diese wahrnehmen und welche Ein-
flussgrößen und Störfaktoren es dabei gibt. Wo sind diese Überlegungen auf den Kontext des
Issues Managements übertragbar und wo nicht? Als ,,Essenz" der theoretischen Konzepte
werden zwei Thesen über die grundsätzlichen Einschränkungen bei der Suche, Interpretation
und Selektion von Issues durch Unternehmen formuliert.
Im nächsten Schritt wird der Forschungsstand zum operativen Issues Management geschil-
dert und um praktische Aspekte erweitert: Die in der Literatur vorgeschlagenen Prozesse der
Suche, Interpretation und Selektion werden geschildert und analysiert. In einem nächsten
Schritt wird der Forschungsstand zur konkreten unternehmerischen Umsetzung dieser Pro-
zesse beschrieben. Diese werden um empirische Untersuchungen zu Erfolgsfaktoren des Is-
sues Managements ergänzt. Abschließend werden praxisorientiert zwei Fallanalysen und
zwei ExpertenInterviews ausgewertet. Bei der Erarbeitung des Forschungsstandes stehen
folgende Fragen im Vordergrund: Wie sollen Unternehmen die Wahrnehmung und Verarbei-
tung von Issues strukturieren und organisatorisch implementieren? Welche Probleme tau-
chen dabei auf? Wie sollen diese gelöst werden?
In der Zusammenführung der Thesen mit dem Forschungsstand zum operativen Issues Ma-
nagement werden in der Folge die zentrale Defizite und Grenzen von Issues Management
aus der Perspektive des Theorierahmens herausgearbeitet: Zunächst werden die in den The-
sen formulierten Annahmen aus der Praxis verdichtet. Im Anschluß wird auf dieser Grundla-
ge dann eine Bewertung der operationalen Heuristiken vorgenommen.
III. Lösungsansatz
Vor dem Hintergrund der herausgearbeiteten Probleme wird als Ausblick ein Lösungsansatz
erarbeitet. Dabei steht zunächst die Frage nach den Verbesserungszielen im Vordergrund.
Anschließend wird beschrieben, wie der Einsatz von Planspielen auf die Erreichung dieser
Verbesserungsziele einzahlen kann. Dazu werden die wesentlichen Eigenschaften von Plan-
spielen kurz skizziert. Abschließend werden Hinweise auf die Anwendbarkeit und Aspekte
eines entsprechenden Planspieles gegeben.

I. Issues Management im Überblick
1
I.
Issues Management im Überblick
1.
Grundlagen und Anforderungen des Issues Management
In diesem einführenden Kapitel wird verdeutlicht, warum Unternehmen sich mit dem Thema
Issues Management beschäftigen müssen. In der Folge wird erklärt, was unter einem Issue zu
verstehen ist, wie Issues entstehen und welche Hinweise sie hinterlassen. Abschließend wer-
den die Aufgaben und Ziele von Issues Management bestimmt.
1.1.
Umweltdynamik und Reputation als strategische und kommunikative Heraus-
forderung
1.1.1.
Unternehmensumwelt im Wandel
Bereits 1969 bemerkte der amerikanische Managementforscher Peter Drucker, dass Politik
und Wirtschaft zunehmend mit unvorhersehbaren Entwicklungen konfrontiert werden: ,,Now
however, we face an Age of Discontinuity in world economy and technology." (Drucker
1969:22) Was damals noch als visionär galt, ist heute längst Realität: Neue Technologien
entwickeln sich rasant, Unternehmen agieren in globalisierten Märkten, Volkswirtschaften
sind vernetzt und voneinander abhängig.
Spätestens seit dem mit dem Erreichen des wirtschaftlichen Überflusses vollzogenen Wandel
vom Verkäufer- zum Käufermarkt ist ,,Veränderung" eines der wenigen kontinuierlichen
Merkmale in der Umwelt von Unternehmen (Vgl. Konrad 1991:102). Hinter diesen Verände-
rungen stehen zwei sich gegenseitig verstärkende Kräfte:
Die Zunahme der Umfeldturbulenz über die Jahrzehnte hinweg wird gemeinhin auf zwei Fak-
toren zurückgeführt: Komplexität und Dynamik. (Liebl 2000: 10)
Diese Beschleunigungseffekte werden dabei nicht nur durch Wettbewerbs- und Technolo-
gieveränderungen hervorgerufen. Zunehmen werden sozio-politische und sozio-
gesellschaftliche Veränderungen zu komplexen, strategischen Faktoren (Liebl 1996:3):
Nach Liebl befindet sich unsere Gesellschaften seit langem in einer Phase des gesellschaftli-
chen Umbruchs, der von Soziologen, Kulturwissenschaftlern und Philosophen verschiedenst
diagnostiziert wurde und für den sich der Begriff des ,,Wertewandels" etabliert hat. Die zu-
nehmende Bedeutung solcher sozio-kultureller Entwicklungen gegenüber rein ökonomischen
und technologischen Fragestellungen lässt sich auch quantifizieren: Gegenwärtig sind min-
destens 50 Prozent aller Investitionsbudgets hochsensitiv gegenüber Entwicklungen aus dem
sozio-kulturellen Bereich
3
(Vgl. Nolan 1985).
In einem solchem Umfeld wird Kommunikation zu einer immer wertvolleren Ressource für
Unternehmen (Vgl. Ingenhoff 2004:15). Doch auch im kommunikativen Umfeld von Unter-
nehmen verändern sich die Rahmenbedingungen rasant, bedingt durch die qualitative und
quantitative Ausdifferenzierung des Mediensystems. Zum einen wird schneller, häufiger und
folgenreicher über Medien kommuniziert: Von 1960 bis 1990
4
stieg das tägliche Informati-
onsangebot in der BRD um das 40fache! (Vgl. Merten 2001:43) Gleichzeitig verändern sich
3
Vor hundert Jahren waren dies nach Nolans Angaben nur 5 Prozent .
4
Bedingt durch neue Medienangebote und Medienarten ist zu erwarten, dass sich dieser Faktor bis heute stark er-
höht hat.

I. Issues Management im Überblick
2
Relevanz und Form der Medienrezeption. So vertritt Merten (2001:43) die Ansicht, dass
Medien zum Anbieter nicht mehr hinterfragbarer Realitätsentwürfe werden. In dieser Me-
diengesellschaft ist nur das Wirklichkeit, was von den Medien als Wirklichkeit dargestellt
wird. Vom hohem Konkurrenzdruck angetrieben, berichten die Medien heute stärker in fikti-
onalen Strukturen, reißerischer und ,,scoop"-orientierter. Hinzu kommt, dass sich die traditi-
onellen Kommunikationsverhältnisse verändern: Neue Medientypen (z.B. das Internet)
erleichtern die Bildung neuer Öffentlichkeiten, innerhalb derer sich neue Bezugsgruppen mit
neuen Meinungsmachern ausdifferenzieren (Vgl. Zerfaß 2004:419).
Treffend werden diese Entwicklungen von Röttger zusammengefasst:
Komplexe und dynamische Organisationsumwelten ­ gekennzeichnet durch einen Wandel ge-
sellschaftlicher Werte, gesteigerter Partizipationsansprüche von Bürgerinnen und Bürgern und
eine wachsende Sensibilisierung der Bevölkerung zum Beispiel hinsichtlich ökologischer Fra-
gestellungen, eine qualitative und quantitative Ausdifferenzierung des Mediensystems, die all-
gemeine Zunahme an Informationen, die Internationalisierung der Märkte und Handlungsfelder
verbunden mit größeren räumlichen Flexibilitäten ­ erhöhen die Anforderungen an die Bezie-
hungsgestaltung durch die Öffentlichkeitsarbeit erheblich. (Röttger 2000:345)
1.1.2.
Konsequenzen für Unternehmen
Unternehmen müssen auf die oben beschriebenen Veränderungen reagieren und -in welcher
Form auch immer gestaltete - Bewältigungsstrategien entwerfen und umsetzen. Aus der Per-
spektive des strategischen Managements rückt damit eine Unternehmensführung im Sinne
der Bewältigung von Umweltanforderungen zunehmend in den Mittelpunkt. Es wird erkannt,
dass sich Entwicklungen der Unternehmensumwelt auf die Wettbewerbsfähigkeit des Unter-
nehmens auswirken können (Vgl. Herrmanns & Glogger 1996:637). Dies verlangt eine Ab-
kehr von den klassischen Strategieansätzen (z.B. Porter, der sich in der Umweltbeobachtung
auf die Beobachtung des Wettbewerbs
5
konzentriert) und eine adäquate Antwort auf erhöhte
Planungs- und Handlungsunsicherheit. Der Bedarf an entscheidungsrelevanten Umweltin-
formationen steigt, deren systematischen Gewinnung und Interpretation wird zum ,,wesentli-
chen Engpassfaktor" (Röttger 2001:11) von Unternehmen. Die Bewältigung dieses
Engpasses wird entscheidend für die Position des Unternehmens im veränderten Wettbewerb
(Vgl. Ingenhoff 2004:16).
Zu einer Schlüsselressource für die erfolgreiche Bewältigung der veränderten Wettbewerbs-
bedingungen und neuen Herausforderungen wird die Kommunikation: So findet der moderne
Wettbewerb weniger auf einer Produktebene, sondern im Kampf um Aufmerksamkeit ver-
stärkt auf Kommunikationsebene statt (Schmid 2001). Aus einer absatzorientierten Perspek-
tive ist die Aufmerksamkeit der Rezipienten - respektive Konsumenten - ein immer knapper
werdendes Gut: Das Medien- und Informationsangebot ist gesamtgesellschaftlich erheblich
gewachsen und wächst weiter, die Aufmerksamkeit und Verarbeitungskapazität der Rezi-
pienten sind begrenzt. In diesem Wettbewerb um Aufmerksamkeit beeinflussen Glaubwür-
digkeit, Image und tatsächliche oder angenommene Relevanz ganz erheblich, inwieweit
Rezipienten bereit sind, einzelnen Unternehmen ihre Aufmerksamkeit zu widmen (Vgl. Zer-
5
Die Realität zeigt, dass die Wettbewerbsorientierung zu kurz greift: Internetprovider greifen klassische Tele-
kommunikationsunternehmen mit Internettelefonie an, die Internetsuchmaschine Google entwickelt sich zum
Clearinghouse für Werbung auch in Print- und TV-Medien und greift damit das Geschäftsfeld klassischer Medie-
agenturen an (Vgl. New York Times Supplement der Sueddeutschen Zeitung: 14.11.2005, S. 5)

I. Issues Management im Überblick
3
faß 2004:394f). So wird Reputation zu einer Grundvoraussetzung für Aufmerksamkeit, die
wiederum Grundlage zur werblichen Vermarktung von Produkten ist:
Unternehmen müssen heute akzeptieren, dass über Erfolg und Misserfolg außer am ,,point of
sale" auch am ,,point of public opinion formation" entschieden wird. (Ries & Wiedmann
2003:16)
Ökonomisch läßt sich argumentieren, dass teuer erkämpfte und mittels gezielter Auftrags-
kommunikation ,,erkaufte" Aufmerksamkeit zur Steigerung der Marken- oder Unterneh-
mensimages Investitionen darstellen, die geschützt werden müssen (Vgl. Zerfaß 2004:394;
Röttger 2000:175). Für Unternehmen bedeutet das in der Folge, dass sie ihre Reputation
schützen müssen, um überhaupt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu gelangen
und zu bleiben. Die Relevanz der Unternehmensreputation belegt eine Studie der Aon Risk
Management & Insurance, die zeigt, dass Reputationsverlust in den 100 größten europäi-
schen Firmen als zweitgrößte Gefahr für die Geschäftsentwicklung eingeschätzt wird (Vgl.
Maitland 2003).
...langfristiger ökonomischer Erfolg von Unternehmen ist nicht ausschließlich über Beschaf-
fungs- und Absatzmärkte zu erzielen, sondern macht den Einbezug des gesellschaftlichen Um-
felds notwendig. (Röttger 2001:15)
Hinzu kommt, dass Reputation von der Unternehmensumwelt zunehmend eingefordert wird,
es besteht ein erhöhter Legitimationsdruck gegenüber einer wachsenden Zahl von An-
spruchsgruppen, mit denen sich Unternehmen auseinandersetzen müssen (Vgl. Röttger
2001:15). Ein weiterer Aspekt ist die stärkere Medialisierung von Unternehmen: Medien-
vermittelte Kommunikation über Wirtschaft hat sprunghaft zugenommen und gleicht sich
immer mehr der Politikberichterstattung an. Dies hat zur Folge, dass Unternehmen in ihrem
Wirkungsraum als Akteure wahrgenommen werden, die soziale Verpflichtungen einzuhalten
haben (Vgl. Eisenegger & Imhof 2001:259). Hinzu kommt die allgemeine Tendenz, das Un-
ternehmen zunehmend auch gesellschaftspolitischen Imperativen unterworfen werden: allge-
genwärtige Schlagwörter wie Corporate Citizenship oder Sustainability weisen darauf hin,
dass Öffentlichkeit und Anspruchsgruppen von Unternehmen bürgerschaftliches Engage-
ment - auch im globalen Kontext - erwarten (Vgl. Zerfass 2004:398). Wirtschaftsorganisati-
onen haben zum Zweck der Erzeugung positiver Aufmerksamkeit die Moral entdeckt: Sie
wollen Good Citizens sein und beziehen moralisch aufgeladene Positionen. Diese Politik ist
ein zweischneidiges Schwert: Den potentiellen Reputationsgewinnen steht eine sprunghaft
gestiegene Skandalisierungsgefahr entgegen, für den Fall, dass das Unternehmenshandeln im
Widerspruch zum kommunizierten Moralanspruch verhält (Vgl. Imhof & Eisenegger
2001:259). Das Management kommunikativer Beziehungen zu Bezugs- und Anspruchsgrup-
pen gewinnt so enorm an Relevanz:
Eine sich rasch verändernde Umwelt mit ihrer Vielfalt von Themen bei permanent wechseln-
den Interessen der Anspruchsgruppen macht es besonders für Großunternehmen unumgäng-
lich, entstehende kritische Themen in diesem hoch kontingentem System frühzeitig zu
erkennen und systematisch zu ,,managen". (Ingenhoff 2004:15)
Die Bedeutung von Reputation und Image wirkt sich auch auf die monetäre Bewertung von
Unternehmen aus, die wiederum großen Einfluss auf Kapitalkosten und Börsennotierungen
haben. Zunehmend werden in diesen Bewertungsmodelle
6
neben klassischer Unternehmens-
6
Z.B. Basel II als neues Standardrating zur Kreditvergabe, die Due Dilligence im Falle einer Unternehmensüber-
nahme oder Scoringsysteme von bspw. Standard & Poors zur Analyse des Börsenkurses

I. Issues Management im Überblick
4
kennzahlen auch Image und Reputation quantitativ als Teil des Unternehmenswertes abge-
bildet (Zerfass 2004: 396). Damit müssen auch traditionell eher zahlengetriebene Unterneh-
men die Bedeutung des Images und der Reputation anerkennen. Aus dieser Perspektive ist
Reputation ein Teil des Unternehmenswertes, den es zu steigern und zu schützen gilt.
Halten wir fest: Unternehmen agieren vor dem Hintergrund einer immer komplexeren und
dynamischeren Umwelt. Vor diesem Hintergrund wird die Reputation eines Unternehmens
wirtschaftlich zu einer immer wertvolleren Größe, die gleichzeitig durch veränderte Kom-
munikationsverhältnisse und komplexe Konstellationen von Anspruchgruppen zu einem um-
kämpften Gut wird. Aus dieser Perspektive werden die Beobachtung der
Unternehmensumwelt zur Erkennung und Deutung aufkommender kritischer Themen und
die proaktive, frühzeitige Bearbeitung dieser Themen zu zentralen Herausforderungen der
Unternehmen und der Unternehmenskommunikation.
Damit ist die Relevanz des Untersuchungsumfeldes beschrieben. Die zentrale Frage dieser
Diplomarbeit ist nun, wie Unternehmen mit diesen Herausforderungen umgehen. Hilfestel-
lung bietet das Konzept des ,,Issues Management", dass auch beschrieben wird als ,,Antwort
auf steigende Umweltkomplexität in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften und wach-
sendem Legitimationsdruck." (Hoffjann 2001: 126f.)
1.2. Issues
Die bis zu diesem Punkt etwas unklar bezeichneten ,Umweltentwicklungen' werden im
Konzept des Issues Management beschrieben als ,Issues'. Auf der Suche nach einer exakten
Definition dieses Begriffs ist es zunächst nahe liegend, die Übersetzung
7
von ,Issue' heran-
zuziehen: Frage, Thema, Problem, Angelegenheit. Liebl meint, dass der Begriff konfliktäres
Thema einer sinngemäßen Wiedergabe am nächsten kommt (Liebl 2000:21). Röttger
(2001:16) sieht in der Verwendung des Begriffs ,Thema' eher eine ,,Behelfslösung"
8
. Ziel
meiner Arbeit ist die Untersuchung der Verarbeitung von Issues im Unternehmen. Grundlage
dafür muss ein umfassendes Verständnis von Issues sein. Dieses soll aufdecken, was genau
als Issue zu verstehen ist (und was nicht), welche Kräfte auf Issues einwirken und wie sich
Issues entwickeln.
1.2.1.
Issue ­ eine Definition
In der Literatur wird im Allgemeinen auf das ,,Nicht-Vorhandensein" einer einheitlichen,
theoretisch stringenten und wissenschaftlich geschlossenen Definition des Issuekonstrukts
und den damit verbundenen Problemen hingewiesen (Vgl. Lütgens 2002, Wartick & Mahon
1994, Ingenhoff 2004). Diese Definitionsvielfalt erklärt sich auch durch die Aufteilung der
Issues-Forschung in die Lager der kommunikationswissenschaftlichen und der betriebswirt-
schaftlichen Perspektive. Aus einem kommunikationswissenschaftlichen Blickwinkel stehen
stärker öffentliche, kontroverse Diskussionen über Themen im Mittelpunkt:
An issue may be defined as a point of conflict between an organization and one or more of its
publics. (Hainsworth 1990:33)
7
,,Issue: 1. Frage, Thema, Problem; be at issue zur Debatte stehen; the point at issue is worum es (eigentlich)
geht, ist; make an issue of something etwas aufbauschen" (nach Langenscheidt Online-Wörterbuch,
www.langenscheidt.de, zugriff am 14.10.2005)
8
Deswegen wird im folgenden auch der englische Begriff der deutschen Übersetzung vorgezogen.

I. Issues Management im Überblick
5
Aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive sind Issues strategierelevante Ereignisse, die
einen potentiellen Einfluss auf die Unternehmensleistung haben:
A strategic issue is a forthcoming development, either inside or outside of the organization,
which is likely to have an important impact on the ability of the enterprise to meet its objec-
tives. (Ansoff 1990:369)
Vereinfacht gesagt sind aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive nur diejenigen Umwelt-
entwicklungen strategisch, welche die mittel- und langfristigen Ergebnisziele des Unterneh-
mens positiv oder negativ verändern können. Das Unternehmen betreffende öffentliche und
kontroverse Diskussionen werden hingegen als public issues bezeichnet, die dieses Potential
nicht zwangsläufig aufweisen (Vgl. Lütgens 2002:24). Natürlich können public issues den
Status eines strategischen Issues erhalten, wenn davon auszugehen ist, dass sie strategische
Auswirkungen haben werden. Folglich sieht Liebl
(1996: 10) den Fokus des strategischen Is-
sues Management in der Schnittmenge von public und strategic issues. So werden aus der
Gesamtheit der Entwicklungen im sozio-politischem Umfeld diejenigen selektiert, die eine
strategische Bedeutung besitzen, gleichzeitig aus der Gesamtheit der strategischen Fragen im
Unternehmen diejenigen selektiert, die im Zusammenhang
9
mit dem Umfeld stehen.
Den Versuch einer integrierten Begriffsbestimmung machen Wartick & Mahon (1994), die
drei unterschiedliche Bestimmungsansätze
10
(impact, controversity und exeptional gaps) dis-
kutieren, modifizieren und in einer Meta-Definition des ,corporate issue construct' vereini-
gen:
,, Corpotate Issue Construct being defined as (a) a controversial inconsistency based on one or
more expectational gaps (b) involving management perceptions of changing legitimacy and
other stakeholder perceptions of changing cost/benefit positions (c) that occur within or be-
tween views of what is and /or what ought to be corporate performance or stakeholder percep-
tions of corporate performance and (d) imply an actual or anticipated resolution that creates
significant, identifiable present or future impact on the organization." (Wartickc & Mahon
1994:306)
Auf der Grundlage einer systematischen Analyse unterschiedlicher Sichtweisen formuliert
Lütgens eine Definition:
Issues im Sinne des Issues Management Konzepts sind Sachverhalte von öffentlichem, zumeist
auch medialem Interesse, die als Konsequenz aus der Beziehung zwischen einer Organisation
und einer oder mehrerer ihrer Teilöffentlichkeiten entstehen, Konfliktpotential bergen und nach
Ansicht einer oder beider Parteien einer Behandlung bedürfen.
Issues werden entweder durch Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien und entspre-
chende ein- bzw. wechselseitige Anpassung oder im Zuge des öffentlichen Meinungsbildungs-
prozesses durch hoheitliche Regelung einer (vorübergehenden) Lösung zugeführt und können
­ im Sinne einer Gefahr oder Chance ­ entsprechend negative oder positive Auswirkungen auf
die gesamte Organisation haben. (Lütgens 2002:27)
Diese Definition wird für die Arbeit übernommen. Dafür spricht, dass sie umfassend ist und
alle wesentlichen Elemente vereint. Sie ist neutral in der Bewertung von Issues (Chancen &
9
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass interne Themen der strategischen Planung oder des Controlling ausge-
schlossen werden.
10
Aus der Perspektive des impact theme nur diejenigen Entwicklungen als Issue zu sehen, die eine Auswirkung
(,Impact') auf die strategische Position des Unternehmens haben können. (Wartick & Mahon 1994: 296) Der An-
satz des controversity theme hat seinen Ursprung in der public policy-Forschung und sieht Issues an Kontroversen
gebunden. (1994: 297) Aus der Sicht des expectational gaps theme sind Issues auf Erwartungslücken zurückzu-
führen und werden so zu einer Wahrnehmungsfrage der Anspruchsgruppen. (Vgl. 1994:298)

I. Issues Management im Überblick
6
Risiken) und enthält den Aspekt der Konflikthaftigkeit (public issue) genauso wie den As-
pekt der Auswirkung (strategic issue) und impliziert darüber hinaus die Beteiligung mehrerer
Anspruchsgruppen. Gegenüber den Überlegungen von Wartick & Mahon (die sich erkennbar
auch in der Definition von Lütgens widerspiegelt) hat sie den Vorteil geringerer Komplexität
und der Muttersprachlichkeit. Die Erwähnung des medialen Interesses deutet tendenziell auf
ein kommunikationswissenschaftliche Perspektive hin. Vorwegnehmend gesagt deckt sich
dies mit meiner im allgemeinen kommunikationswissenschaftlichen Herangehensweise an
Issues Management (Hierauf wird in Kapitel 1.3.2 eingegangen).
1.2.2.
Aspekte des Issuekonstruktes
Auf der Suche nach Hinweisen darauf, wie Unternehmen Issues aufspüren und identifizieren
können muss geklärt werden, wo und nach welchen Informationen über Issues gesucht wer-
den kann. Dazu werden nun einzelne Aspekte des Issuekonstruktes genauer untersucht.
Themen und Trends bilden den Kontext von Issues
In modernen Gesellschaften ist ein schier unerschöpfliches Reservoir an Themen vorhanden,
das von öffentlichen Akteuren prozessiert und bearbeitet wird, dabei entstehen kontinuierlich
wiederum neue Themen.
Öffentliche Themen werden hier als Zeichen- bzw. Sinnkomplexe verstanden, die in einem
komplexen Kommunikationsprozess innerhalb eines Zusammenspiels von a) beobachtbaren
Sachverhalten und Ereignissen, b) Äußerungen von Akteuren, d.h. Beschreibungen, Interpreta-
tionen und Bewertungen der Sachverhalte/Ereignisse und c) Äußerungen über die Äußerungen
zustande kommen. (Bentele & Rutsch 2001:143)
Aus der Perspektive von Bentele & Rutsch (2001:143) bilden diese öffentlichen Themen den
Pool für mögliche Issues. Interessant im Rahmen der Fragestellung ist, welche öffentliche
Themen relevante Issues für Unternehmen sind und welche nicht. Der Kreis der öffentlich
diskutierten Themen wird auf diejenigen Themen eingeengt, die Organisationsrelevanz
11
aufweisen. In einem zweiten Schritt können dann - abhängig vom genauen Issue-Verständnis
- die relevanten Issues herausgefiltert werden ist. Dieser Zusammenhang stellt sich dar wie
folgt:
Abbildung 1: Zusammenhang von Themen und Issues (Bentele/Rutsch 2001: 145)
Für Liebl stehen Issues in einer engen Verwandschaft zu Trends, da hinter beiden Argumen-
tationslinien stehen, die als Themen bezeichenbar sind. ,,Die - gemeinsame - Basis von
Trends und Issues bilden demnach Themen und damit verbundene Deutungsmuster." (Liebl
2000:66) Trends erzeugen sozialen Wandel, der Mobilisierung und im Endeffekt einem Issue
führen kann. Sie erzeugen also den Kontext für Issues: ,,Trends sind Issues im embryonalen
Zustand." (Liebl 2003:63) Im Gegensatz zu Themen und Trends verfügen Issues im Regel-
fall über definierte Komponenten sowie klare Zuordnungen von Deutungsrahmen und An-
11
Organisationsrelevant sind z.B. Themen, welche die eigene Branche, die eigenen Absatzmärkte etc. betreffen.

I. Issues Management im Überblick
7
spruchsgruppen. Sie gehorchen spezifischen Prinzipien der Mobilisierung und besitzen einen
diagnostischen und prognostischen Deutungsrahmen. Öffentliche Themen und Trends bilden
folglich der Ausgangspunkt von Issues, die Übergänge zwischen Themen, Trends und Issues
sind aber fließend (Vgl. Liebl 2003:63f.). Damit ist ein Ausgangspunkt für die Suche von Is-
sues identifiziert: Das schier unerschöpfliche und ständig wechselnde Reservoir von öffentli-
chen Themen und Trends.
Das Strittige als Ausgangspunkt von Issues
Wie entstehen Issues aus Themen oder Trends? Am Anfang eines jeden Issues steht ein
Moment, in dem ein Individuum oder eine Gruppe eine Situation als problematisch identifi-
ziert und diese Situation zurückführt auf das Handeln anderer: ,,Most issues evolve from eve-
ryday situations" (Hallahan 2001:28). Problematisch, oder strittig, kann prinzipiell jede
Unternehmenshandlung
12
sein, denn ,,Kommunikation ist per se strittig, weil eine Informati-
on so oder auch anders verstanden werden kann." (Schulz & Wachtel 2003:161)
Spezifischer ist die Annahmen, dass Strittigkeit auf Erwartungslücken zurückzuführen sind,
die sowohl zwischen Anspruchsgruppen oder aber zwischen der Wahrnehmung und dem
Bedürfnis einer Anspruchsgruppe
13
entstehen können. Dabei kommt es zu einem Auseinan-
derklaffen von Ansprüchen und deren Erfüllung, einen Vorgang, der auch als Deprivation
bezeichnet wird (Vgl. Liebl 2000:33). Diese Erwartungslücken lassen sich in Anlehnung an
Wartick & Mahron (1994) in drei Typen unterscheiden
14
: 1) ,Was ist' versus ,was ist': Di-
vergierende Beurteilung und Wahrnehmung von Tatsachen. 2) ,Was ist' versus ,was sein
soll': Abweichung vom Anspruch. 3) ,Was sein soll' versus ,was sein soll': Unterschiedliche
Wahrnehmung von Idealvorstellungen. Liebl sieht im sozio-kulturellem Umfeldwandel, also
in geänderten Wertvorstellungen, neuen Trends und technologischen Entwicklungen den
,,Bodensatz" für solche Deprivationen. Prinzipiell können in einem Issue verschiedene Ty-
pen von Anspruchslücken vorkommen. Die Identifikation realer oder potentieller Erwar-
tungslücken bei den Anspruchsgruppen des Unternehmens stellt folglich eine weitere
Herausforderung bei der Suche und Identifikation von Issues dar.
Das Vorhandensein von Erwartungslücken, also einer Strittigkeit, entscheidet noch nicht ü-
ber das Auftreten einer öffentlich relevanten Konfliktlinie. Strittige Themen sind noch keine
Issues, sondern nur strukturelle Gegensätze, deren Anzahl in funktional ausdifferenzierten
Gesellschaften unendlich groß ist (Hug 1997:358):
[...] es existieren eigentlich unzählige Issues, aber nur die wenigsten finden Beachtung in der
Öffentlichkeit und bei Entscheidungsträgern. (Liebl 2000:34).
Strittigkeit muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass ein Thema ein Risiko darstellt. Im Ge-
genteil lassen sich strittige Themen auch imagefördernd und markenstabilisierend besetzen
und werden so zu Chancen (Vgl. Röttger 2001:17). Dies zeigen Beispiele wie das CleanE-
nergy-Projekt im BMW-Konzern (Vgl. Armbrecht & Hollweg 2001) oder die aktuelle ,,bey-
12
Handlung im Luhmannschen Sinne verstanden als Kommunikation
13
Eine genaue Begriffbestimmung von Anspruchsgruppe erfolgt im nächsten Abschnitt.
14
Eine ähnliche Konfliktsystematisierung zieht Schulz (2000) heran :
· Sach- oder Erkenntniskonflikt: Wissenschaftliches Erkenntnisproblem, Wahrheit/Unwahrheit.
· Interessenkonflikt: Streitfragen der Systeminteressen.
· Fundamentalkonflikt: Moral und Frage von Achtung und Missachtung.

I. Issues Management im Überblick
8
ond petroleum"-Kampagne des BP-Konzerns
15
: Strittige Themen - in diesem Fall Umwelt-
schutz - werden dabei imagefördernd besetzt.
Issues sind an Öffentlichkeiten gebunden: Stakeholder
Wie formt sich ein Issue aus einem strittigem Thema? Es ist die Organisationsfähigkeit ver-
schiedener Anspruchsgruppen, die eine Durchsetzungskraft erzeugt (Vgl. Liebl 2000). Issues
werden erst dann relevant, wenn es Anspruchsgruppen gelingt, Konsens zu mobilisieren und
eine möglichst breite Öffentlichkeit von den eigenen Positionen zu überzeugen:
Issues emerge as a consequence of some action taken or proposed to be taken by an organiza-
tion and / or one or more of ist publics (Hainsworth 1990:33)
Aus dieser Perspektive sind Issues immer an Anspruchsgruppen gebunden (Vgl. Ries &
Wiedmann 2003:16) und können über die Beziehungsdimension zwischen Organisation und
Anspruchsgruppen definiert werden (Vgl. Röttger 2001:18): Sachverhalte werden erst dann
relevant, wenn Akteure ihn als Problem wahrnehmen und in Beziehung zur Organisation
setzten (Vgl. Hoffjahn 2001:270).
Als gängige Bezeichnungen für ,,...diejenigen Teile der Gesamtöffentlichkeit, die zu einer
Organisation in einem besonderen Verhältnis stehen" (Schaufler & Stiegnitzer 1990:33) ha-
ben sich Teilöffentlichkeit (publics) und Anspruchsgruppen (stakeholder) etabliert. Klassi-
sche Anspruchsgruppen
16
eines Unternehmens sind Eigentümer, Kunden, Mitarbeiter und
Lieferanten. Hinzu kommen Mitbewerber, Konsumentenvertreter, Umweltschützer, Regie-
rungs- und Verwaltungsstellen sowie Medien und eine Vielzahl von weiteren Interessen-
gruppen (nach Lütgens 2002:40).
Der Zusammenhang zwischen Issues und Anspruchsgruppen ist beidseitig: Einerseits erge-
ben sich Issues, wie beschrieben, aus dem Stakeholder-Kontext des Unternehmens. Gleich-
zeitig können in Abhängigkeit vom Issue Öffentlichkeiten zu Akteuren werden, die nicht in
der eigentlichen Stakeholder-Landschaft des Unternehmens enthalten sind (Vgl. Liebl
2000:28). Jedes Issue konstituiert nach Meinung von Schulz & Rawe (2005:111) in der
Funktion eines Themas ein neues Kommunikationssystem zwischen Organisation und ihren
Anspruchsgruppen. Damit verändert sich die Konstellation der Anspruchsgruppen von Issue
zu Issue. In der Konsequenz muss für jedes Issue eine eigene Anspruchsgruppenanalyse
17
15
Welchen argumentativen ,,Husarenritt" der BP-Konzern damit beschreitet, lässt sich aus den Geschäftszahlen
herauslesen: Aus dem erzielten Umsatz von 16,2 Mrd. US$ wurden lediglich 570 Mio. US$ über erneuerbare E-
nergien erzielt. Trotzdem behauptet der Konzern von sich, ,,beyond petroleum" zu sein. (Vgl. BP anual review
2004)
16
Das Konzept des Stakeholders entstammt einer Strömung im strategischen Management, die sich mit dem
Spannungsfeld Unternehmen ­ Interessensgruppen beschäftigt und davon ausgeht, dass es Individuen und Grup-
pen gibt, welche ein Unternehmen in ihren Interessen berührt oder das Unternehmen in seinen Interessen tangiert
(Vgl. Liebl 2000:27). Im Unterschied zum Shareholder, also dem Eigentümer eines Unternehmens, stellen Stake-
holder aufgrund ihres ,,Einsatzes" (stake) in Form von Besitz/Eigentum, gesetzlichen oder moralischem Recht
oder allgemeinem Interesse eine Beziehung zum Unternehmen her (Vgl. Lütgens 2002:39).
Im Folgenden wird die Übersetzung Anspruchsgruppe anstatt des englischen Begriffs stakeholder verwendet.
17
Aufbauend auf dem Modell der Teilöffentlichkeiten von
Grunig & Hunt
entwickelt Hallahan (2001:33) ein
Modell, welches fünf relevante Issue-Öffentlichkeiten zur Analyse unterscheidet:
1. Active Publics: Aktive Akteure mit einem hohen Wissen und hohem Involvement in ein Issue.
2. Aroused Publics: Akteure mit hohem Involvement aber geringem Wissen über Lösungsmöglichkeiten.
3. Aware publics: Hohes Wissen aber geringes Involvement und geringe Betroffenheit. Meinungsführer.
4. Inactive publics: Geringes Wissen und Involvement

I. Issues Management im Überblick
9
durchgeführt werden. Stakeholder Management und Issues Management sind vor diesem
Hintergrund komplementäre Sichtweisen zur Berücksichtigung des Unternehmensumfeldes.
Das Stakeholder-Management stellt dabei die institutionell-orientierte Dimension, Issues
Management hingegen die sachbezogene Dimension dar; die Grenze ist jedoch fließend
(Vgl. Herrmanns & Glogger 1996:638).
Massenmedien als Katalysator für Issues
Aus den vorangegangenen Abschnitten ist deutlich geworden, dass der Ausgangspunkt eines
Issues ein konfliktäres Thema ist, welches von Akteuren als Problem verstanden wird, und
diese so zu Anspruchsgruppen des Unternehmens macht. In der Folge werden sie bemüht
sein, eine Lösung in ihrem Sinne herbei zuführen. Mangels ausreichendem Sanktionspotenti-
al sind sie dabei auf die Unterstützung der Öffentlichkeit angewiesen (Vgl. Hoffjahn
2001:275), die für den Erfolg
18
eines Issue ein wesentlicher Bestimmungsfaktor ist (Vgl.
Liebl 2000:43). Dies gelingt, indem eine breite Öffentlichkeit in den Konflikt involviert wird
und die Anspruchsgruppen ihre Sichtweise auf die öffentliche Agenda und in die öffentli-
chen Diskurse hinein transportiert.
Überragende Bedeutung für die öffentliche Agenda besitzt die Medienagenda. Dort werden
in der Regel die Themendiskurse geführt, konkurrierende Deutungsrahmen und Interpretati-
onen gelangen in die Öffentlichkeit und werden kommentiert. Wenn es nicht in den Medien
auftaucht, dann bleibt das Issue anschluss- und folgenlos. Prägnant bemerkt Luhmann dazu:
Es mögen Fische sterben oder Menschen, das Baden in Seen oder Flüssen mag Krankheiten er-
zeugen, es mag kein Öl mehr aus den Pumpen kommen und die Durchschnittstemperaturen
mögen sinken oder steigen: solange nicht darüber kommuniziert wird, hat dies keine gesell-
schaftlichen Auswirkungen. (Luhmann 1990:63)
Den Medien wird eine zentrale Treiber-Rolle im Prozess der öffentlichen Thematisierung,
des sogenannten Agenda-Settings zugesprochen (Vgl. Liebl 2000:44), da mindestens 80 Pro-
zent unserer heutigen Informationen in irgendeiner Form medial vermittelt sind (Vgl. Lüt-
gens 2002:52). Im Umkehrschluss meint Hug (1997:358), dass gesellschaftliche Konflikte
ohne journalistische Thematisierung nicht in Gang kommen. Aus einer systemtheoretischen
Perspektive sind die Medien als Leistungssystem der Öffentlichkeit Verstärker und Katalysa-
tor gesellschaftlicher Konflikte. Sie ,,bilden Konflikte ab", erzeugen sie jedoch nicht
19
(Vgl.
Hoffjahn 2001:273).
Die Agenda-Setting-Hypothese nach Cobb & Elder (1972) geht davon aus, dass die Medien
signifikant mehr sind als Übermittler von Informationen. Entgegen den in den 60er Jahren
diskutierten Manipulations-These erklärt sie, dass Medien weniger in der Lage sind, der Öf-
fentlichkeit zu sagen, was sie denken sollen, sondern eher woran sie denken sollen. Die Me-
dien treffen eine ,,...Entscheidung darüber, ob und welche Issues welche Bedeutung auf der
Tagesordnung der öffentlichen Diskussion erhalten." (Lütgens 2002:52) Bestimmte Themen
5. Nonpublics: Kein Wissen und kein Involvement.
18
Erfolg aus der Perspektive einer Anspruchsgruppe bedeutet die Durchsetzung der eigenen Positionen (Lösun-
gen) und letztendlich die Beeinflussung der politischen Entscheidungsträger.
19
Die Systemtheorie weist den Massenmedien eine wichtige Funktion in der Erhaltung und Reproduktion von
Moral zu, dies geschieht jedoch nicht indem sie ethnische Grundsätze bestimmen, sondern indem sie eine ,,fort-
laufende Selbstirritation der Gesellschaft" leisten (Luhmann 1996), die eine Reproduktion von moralischer Sen-
sibilität auf einer individuellen und kollektiven Ebene bewirkt.

I. Issues Management im Überblick
10
werden von den Medien als relevante Themen übernommen und auf die Medienagenda ge-
setzt:
Massenmedien beeinflussen demnach primär, worüber das Publikum spricht, sehr viel weniger
jedoch die Haltung des Publikums zu einzelnen Themen. (Liebl 2000:45)
So haben Medien mobilisierende oder demobilisierende Wirkung auf den weiteren Prozess
der Issue-Entwicklung (Vgl. Lütgens 2002:52). Die Schlüsselgröße für die Medienressonanz
(damit auch der Mobilisierungsfähigkeit) ist der wirkliche oder virtuelle Aufmerksamkeits-
wert eines Themas (Vgl. Liebl 2000:48). Die Aktualität eines Themas ist nach Meinung von
Merten (2001:47) die wesentliche Voraussetzung zur Medienresonanz. Weitere Einflussfak-
toren für den Aufmerksamkeitswert eines Themas sind (Vgl. Liebl 2000; Hoffjahn 2001;
Lütgens 2002): Allgemeinheit des Issues, lebensweltlicher Bezug, empirische Beweiskraft,
soziale Bedeutung, niedrige Komplexität, hohe Konflikthaftigkeit sowie Überraschung. Die
Wahrscheinlichkeit, dass ein für die Medien interessanter Konflikt schnell wieder aus den
Schlagzeilen verschwindet ist gering, da Journalisten ein hohes Eigeninteresse an Konflikten
haben (Vgl. Hoffjahn 2001:260).
Massenmedien stellen jedoch nicht den einzigen Weg dar, Öffentlichkeit für ein Issue zu er-
zeugen: Denkbare Alternativen sind nach Ansicht von Hoffjahn (2001:288) Werbung, Lob-
byarbeit oder Demonstrationen. Seit dem Aufkommen des Internets entwickeln sich zudem
neue, Öffentlichkeit erzeugende Medientypen, die weitgehend unabhängig von Massenme-
dien operieren. Beispiele dafür sind Internetkampagnen in Form virtueller Unterschriftenlis-
ten oder Internetblogs, die große Massen ,,an den Massenmedien vorbei" mobilisieren und
ein eigene Öffentlichkeit
20
erzeugen können. Darüber hinaus gibt Hoffjahn (2001:288) zu
bedenken, dass bedingt durch die zunehmende Ausdifferenzierung des Medienmarktes die
Relevanz einzelner Medien und Journalisten als Formgeber abnimmt und so genannte Leit-
medien im Vergleich zu früher wesentlich an Einfluss verloren haben.
Issues als ausgehandelte Deutungsmuster
Besonders interessant erscheint vor dem Hintergrund der Fragestellung dieser Diplomarbeit
die Überlegung, wie Issues in der Öffentlichkeit interpretiert werden und welche Effekte von
diesen Deutungshandlungen ausgehen. Dabei kommt wiederum den Medien eine wichtige
Bedeutung zu: Die inhaltliche Bestimmung eines Issues wird erst im Rahmen der medialen
Diskussion unter Berücksichtigung der verschiedenen Stakeholderperspektiven vorgenom-
men. Als Ergebnis etabliert sich ein Deutungsmuster in den Medien. Dabei wirken Massen-
medien eher wahrnehmungslenkend als meinungsbildend: Sie reduzieren die Komplexität
der unterschiedlichen Argumente auf wenige Deutungsmuster (Vgl. Liebl 2000:45). Issues
sind dann weniger objektiven Entitäten, sondern zwischen Anspruchsgruppen ausgehandelte
Deutungsmuster über einen bestimmten Sachverhalt. ,,Das Deutungsmuster eines Issue be-
steht also darin, dass Fakten zu einem Ganzen arrangiert und mit einem Etikett versehen
20
Interessant, jedoch in dieser Arbeit nicht behandelbar, ist die Frage, wie sich dieses Kräfteverhältnis in Zukunft
durch das Aufkommen von personal Media wie Blogs und neuer technischer Möglichkeiten der Informationsdist-
ribution verändern wird. So bemerkte Christiane Amanpour (Chef-Korrespondentin CNN International) in Ihrer
Keynote anlässlich der Medienwoche 2005, dass Medien zukünftig im Kontext von großen Ereignissen zuneh-
mend auf nichtjournalistische Informationen wie Blogs, Privatphotos, Handyvideos etc. angewiesen sein werden.

I. Issues Management im Überblick
11
werden." (Liebl 2000:36) Als gutes Beispiel lässt sich hier die deutsch Medienberichterstat-
tung anlässlich des Wirbelsturms ,,Andrea" im August 2004 heranziehen
21
.
Der diagnostische Deutungsrahmen, also die Wahrnehmung des Problems hängt stark mit
dem prognostischen Deutungsrahmen, also den Lösungsvorschlägen zusammen. Erst wenn
ein allgemeiner Konsens über die Art und Ursachen eines Issue herrscht, kann auch eine ge-
meinsame Lösung gefunden werden. Der Prozess der Deutungsmustergenerierung findet so-
wohl vor als auch während der Medialisierung von Issue statt: Ereignisse und Fakten werden
in einen größeren Zusammenhang gestellt und griffig bezeichnet, um Komplexität zu redu-
ziere und effiziente Kommunikation zu ermöglichen.
Wir haben es also hier mit Interpretationsleistungen zu tun, bei denen Fakten so arrangiert
werden, dass ein Thema daraus resultiert. (Liebl 2000:46)
Die Lebensgeschichte eines Themas ist zugleich eine Geschichte der Sinnverdichtung und
Konkretisierung. (Luhmann 1970:15)
Dieser Prozess der Thematisierung kann als Aushandeln von Bedeutung durch die beteiligten
Akteure angesehen werden: ,,Issues are social constructions." (Hallahan 2001: 28) Die Büh-
ne dafür stellen die Medien zur Verfügung. Aus einer solchen interaktionistischen Perspekti-
ve erlangt die Sinnstiftung durch Benennung und Kontextualisierung von Issues eine hohe
Relevanz. Issues sind dann ,,...reflections of a dynamic interaction between participants in
an enacted structure, who engage in a power struggle over the meaning constructed for the
underlying objective conditions." (Lamertz & Martens & Heugens 2003:86) Folglich liegt es
im Interesse von Unternehmen, die eigenen Deutungsmuster in der Öffentlichkeit durchzu-
setzen. Voraussetzung dafür ist die Kenntnis und das Verständnis der Deutungsmuster der
Issue-Anspruchsgruppen.
Wie entwickeln sich Issues? Issue-Lebenszyklus
Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Entwicklungsstufen von Issues las-
sen sich in eine zeitliche Abfolge stellen: Den Issue-Lebenszyklus. Aus der Sicht eines Un-
ternehmens steht dabei die Frage ,,In welcher Phase befindet sich das Issue?", also eine
Verlaufsbetrachtung und ­prognose, im Mittelpunkt der Betrachtung (Vgl. Ingenhoff
2004:45). Die Kenntnis über den Lebenszyklus ist zentral in der praktischen Umsetzung von
Issues Management, da die Einleitung von Handlungen grundsätzlich von der Einschätzung
über den Status eines Issues im Lebenszyklus abhängt: Mit dem Voranschreiten eines Issues
nehmen die Handlungsspielräume ab, der Zeitdruck und die Bewältigungskosten steigen. Je
deutlicher ein Issue hervortritt (also mehr Sicherheit über sein Eintreten herrscht), desto re-
aktiver und kostspieliger ist der Umgang mit dem Issue (Vgl. Ansoff 1990:383). Erschwe-
rend kommt hinzu, dass ein verfrühtes Handeln (z.B. Stellungnahme zu einem Thema) in
Risiko darstellt, da damit möglicherweise Positionen verfrüht bezogen werden oder sogar
schlafende Hunde geweckt werden:
Bezieht man seine Position frühzeitig, wenn der Handlungsspielraum noch groß ist, existiert
ein beträchtliches Risiko, sich irreversibel und dabei falsch festzulegen, denn die später gängi-
ge Interpretation ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Wartet man andererseits, bis sich ein be-
21
Wurden früher vergleichbare Naturkatastrophen noch in die Kategorie ,,Schicksal" eingeordnet, wurde der
Wirbelsturm im August 2005 in der medialen Rezeption sofort mit dem Phänomen der globalen Erwärmung,
Klimaveränderung und vor allem mit der US-amerikanischen Ablehnung des Kyoto-Protokolls verbunden.

I. Issues Management im Überblick
12
stimmtes Deutungsmuster herauskristallisiert und durchgesetzt hat, ist es möglicherweise für
eine adäquate Reaktion zu spät. (Liebl 2000: 23)
Grafisch stellt sich der Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeit, Bewältigungskosten und
Handlungsspielräumen so dar:
Abbildung 2: Aufmerksamkeit, Bewältigungskosten und Handlungsspielräume von Issues (Liebl
2000:22)
Die Darstellung verdeutlicht aus Unternehmensperspektive die Relevanz einer proaktiven,
frühzeitigen Bearbeitung von Issues. Am Verlauf der Aufmerksamkeitskurve lässt sich schon
ungefähr erahnen, wie sich Issues typischerweise entwickeln. Dieser Aufmerksamkeitsver-
lauf soll im Folgenden noch etwas genauer betrachtet werden.
Bereits Luhmann hat sich 1970 in seinem Aufsatz Öffentliche Meinung mit der ,,Karriere ei-
nes Themas" beschäftigt und damit die Lebenszyklusidee vorweg genommen:
Obwohl auch hier ausreichende empirische Forschung fehlt, kann man beobachten, daß politi-
sche Themen im strukturellen Rahmen des politischen Systems nicht beliebig erzeugt und ent-
wickelt werden können, sondern eine Art Lebensgeschichte haben, die [...] nach typischen
Phasen geordnet ist. (Luhmann 1970:13f.)
Es gibt in der Literatur eine Vielzahl von Issue-Lebenszyklusmodellen
22
, die sich in der An-
zahl der Phasen und ihren Verlaufskurven sowie in der analytischen Tiefe unterscheiden. Sie
alle orientieren sich im Wesentlichen an dem vom Produktlebenszyklus abgeleiteten Prob-
lem-Aufmerksamkeitszyklus von Downs (1972) und spiegeln den Aufmerksamkeitswert (öf-
fentlichen Druck) eines Issues an seinem Zeitverlauf. Für diese Arbeit wird das von
Ingenhoff modifizierte Modell von Köcher & Birchmeier (1992) herangezogen, dass den
Vorteil hat, dass zusätzlich zur Beschreibung der verschiedenen Issue-Phasen auch Aussagen
über Akteure gemacht. Das Modell berücksichtig auch, dass Issues nicht notwendigerweise
den gesamten Lebenszyklus durchlaufen. Im Optimalfall schafft es Issues Management, dass
das Issue schon in der Emergenz- oder Aufschwungphase beendet wird. Das frühzeitige Ab-
flauen des Issues zurück in eine Latenzphase, in der Grafik in Anlehnung an Lütgens
(2002:79) durch die senkrechten Pfeile angedeutet, ist nicht zwangsläufig mit einer Lösung
verbunden: Es kommt häufig vor, dass das öffentliche Interesse an einem Thema abflaut.
Denkbare Gründe
23
sind mangelnde Kommunikationskompetenzen, Ressourcenengpässe,
22
Vgl. die bei Lütgens (2002:56f.) vorgestellten Modelle von Corado 1993; Buchholz 1988; Newman 1985;
Crable & Vibbert 1985; Hainsworth 1990
23
Provokativ könnte man sogar behaupten, dass eine Mehrzahl von Themen ungelöst bleibt und schlichtweg
,,versandet". Im Fall von Hungersnöten in Afrika ist dies besonders zu beobachten: Sobald die Katastrophen eine
Dramatik erreichen, landen sie auf den Titelseiten der Medien und es werden Grundsatzdiskussionen zur Armuts-
bekämpfung losgestoßen. Wenige Tage später - die Regierung verspricht Hilfslieferungen - ist das Thema ,,ver-
schwunden", das Problem ,,Armut in Afrika" existiert jedoch weiter.

I. Issues Management im Überblick
13
Überlagerung durch neue Themen und mediale ,,Ermüdungserscheinungen" (Vgl. Hallahan
2001:31).
Abbildung 3: Der Issue- Lebenszyklus adaptiert nach Ingenhoff (2004:46)
Die wesentlichen Phasen lassen sich in Anlehnung an Ingenhoff (2004), Lütgens (2002) und
Crable & Vibbert (1985) wie folgt beschreiben:
· Latenzphase: Einzelne Personen interessieren sich für einen Sachverhalt oder sind von
ihm betroffen, sie definieren das Ereignis durch Fragen, Argumente und Antworten. Das
Thema wird zum potentiellen Issue.
· Emergenzphase: Das Thema gewinnt an Akzeptanz, eine meist wissenschaftliche Öffent-
lichkeit nimmt sich seiner an, Experten werden involviert und legitimieren es, es wird ei-
ne erste Bewertung des aufkommenden Issues vorgenommen.
· Aufschwungphase: Das Issue gewinnt an Akzeptanz durch weitere Teilöffentlichkeiten,
Massenmedien und Meinungsführer werden involviert und es kommt zu einer häufig ver-
einfachenden Berichterstattung mit polarisierenden, unterschiedlichen Positionen, das
Thema wird zu einem aktuellen Issue.
· Reifephase: Aktive Teilöffentlichkeiten beziehen Position, identifizieren das Thema als
,,ihr" Thema und drängen auf eine Lösung (u.U. gesetzliche Regelung) des kritischen Is-
sues, es kommt zu einer Lösung. Spätestens an dieser Phase kann ein Unternehmen nur
noch durch Krisenkommunikation agieren. Das Issue erreicht seinen Höhepunkt.
· Abschwungphase: Das Thema wird zum latenten Issue, das öffentliche Interesse nimmt
ab, kann aber im Kontext ähnlicher Issues durch semantische Verbindungen wieder auf-
leben.
Issues hinterlassen wahrnehmbare Spuren
Es wurde bereits deutlich, dass Issues nicht aprupt auftreten. Im Gegenteil: Issues kündigen
sich an. Sie entstehen, entwickeln sich und gelangen über komplexe Prozessen Schritt für
Schritt auf die öffentliche Agenda. Im Verlauf dieser Entwicklung hinterlassen Issues wahr-
nehmbare Spuren, Informationen und Hinweise. So ergibt sich für Unternehmen die theoreti-
sche Möglichkeit, relevante Issues frühzeitig zu identifizieren und dann zu bearbeiten.

I. Issues Management im Überblick
14
Von Interesse ist im Rahmen dieser Arbeit, wie sich die Informationen charakterisieren las-
sen, die dann von Unternehmen gesucht und interpretiert werden müssen. Hinweise dazu
gibt das Konzept der schwachen Signale von Ansoff (1976). Dieser geht davon aus, das Un-
ternehmen regelmäßig mit internen und externen Diskontinuitäten konfrontiert werden. Jede
Veränderung gehen Hinweise voraus, diese werden als schwache Signale bezeichnet. Sie
sind Anregungsinformationen über Veränderungen (Konrad 1991:184) und dadurch charak-
terisiert, dass sie 1) keine breite Diffusion erfahren haben, 2) qualitativer und strategischer
Natur sind, 3) schlecht definierte und unscharf strukturierte Probleme implizieren, 4) keine
eindeutigen Wirkungszusammenhänge beinhalten und 5) unklare, vage, unvollkommene o-
der verschwommene Information darstellen (Vgl. Konrad 1991:185).
Der Begriff der schwachen Signale wird kritisiert für seine konzeptuelle Unstrukturiertheit
und mangelnde methodische Tiefe (Vgl. Röttger 2001:18, Gutermann & Weller 2003:238).
In meiner Arbeit wird der Begriff eher als Metapher zur Bezeichnung von Informationen
verstanden, die Hinweise auf die Entwicklung von Issues geben. Diese Informationen sind in
der Regel gekennzeichnet durch ihren ,,weichen" Charakter, Mehrdeutigkeit und Unschärfe.
1.3.
Issues Management
Folgt man der vorangegangenen Diskussion über Inhalt und Definition des Issuekonstruktes,
dann ist Issues Management logischerweise als Organisationsaktivität im weitesten Sinne zu
verstehen, die eine frühzeitige Auseinandersetzung mit der für die Organisation relevanten
Issues verfolgt: ,,Im Kern der Bedeutung von Issues Management steht danach erstens die
Früherkennung von potentiellen und aktuellen Issues und zweitens die daraus resultierende
Einflussnahme auf Anspruchsgruppen." (Vgl. Bentele & Rutsch 2001:146) Dabei ist der
Begriff selbst missverständlich, wenn nicht sogar irreführend, da er impliziert, dass Issues
und damit die öffentliche Meinung im Sinne von Kontrolle und Steuerung ,,gemanaged"
werden können. Wie die vorangegangene Diskussion gezeigt hat, bewegen sich Issues je-
doch in einem Spannungsfeld mit vielfältigen Einflussfaktoren und Wirkungsgrößen, die im
besten Fall beeinflusst werden können. Deswegen meint Johnson:
What can be managed and what we are really talking about is the corporate response to an is-
sue. (Johnson 1983:22)
Verstanden als Managementfunktion ist Issues Management ein systematischer, strukturier-
ter und koordinierten Ansatz, der sowohl strategische Planungs- als auch strategische Kom-
munikationsfunktionen einer Organisation betrifft (Vgl. Ingenhoff 2004:18; Lütgens
2002:145) und Such-, Analyse-, Planungs- und Entscheidungsprozesse beinhaltet (Vgl. Ries
& Wiedmann 2003:16; Merten 2001:41).
1.3.1.
Issues Management im Überblick
Das Konzept des Issues Managements entstammt verschiedenen funktionalen Unterneh-
mensbereichen. Eine Darstellung der diversen Entwicklungslinien illustriert dies:

I. Issues Management im Überblick
15
Abbildung 4: Entwicklungsstränge des Issues Management auf der Zeitachse (nach Liebl 2003:65)
In der Abbildung 4 wird die Vielfalt der bestehenden Perspektiven und Zielannahmen für Is-
sues Management Systeme und die im Konzept enthaltene Multidisziplinarität deutlich. Das
Spektrum reicht von ethisch motivierten Ansätzen bis hin zu dem von Kennzahlen gesteuer-
tem Controlling. Wie bereits angedeutet, orientieren sich die zwei wichtigsten Hauptströ-
mungen an den Public Relations und dem strategischen Management.
Public Relations Perspektive
Der Public Relations-Ansatz des Issues Managements ist von Fragen der Kommunikation
geprägt und betont die Bedeutung des Dialoges mit den Stakeholdern.
Die Aufgabe besteht nach dieser Sichtweise vorwiegend darin, ein Missverhältnis zwischen
den Aktionen des Unternehmens und den Erwartungen der Betroffenen zu erkennen. Fragen
der Unternehmenskommunikation, Government Relations und Lobbyismus sind betroffen, ge-
nauso wie Frage nach sozialer Rolle und Verantwortung (Liebl 2000:15).
Die Forschungsansätze konzentrieren sich auf das politische Agenda-Setting (Vgl. Schulz
2003), kommunikationswissenschaftlich orientierte Public Relations
24
und politikwissen-
schaftlich orientierten Public Affairs -Theorien. Der Ansatz hat seine Wurzeln in den 60er
und 70er Jahren in den USA: Zusammenschlüsse von Aktivisten führten zu erfolgreichen
Protestaktionen gegen Unternehmen. Konfrontiert mit diesem öffentlichen Widerstand wur-
den Antwortstrategien gesucht (Vgl. Heath 2003:3). Chase und O'Toole formulierten in den
70er Jahren unter Bezug auf den Issue-Attention Cycle von Downs (1972) erstmalig den um-
fassende Prozess des Issues Management und führten ihn als eigenständiges Management-
system in die Public Relations ein. Dieses Konzept etablierte sich in den 80er Jahren
zunehmend. Im deutschsprachigen Raum wurde das Konzept erst relativ spät von Schaufler
(1989) und Schaufler & Stignitzer (1990) thematisiert. Hier die ,,klassische" Definition von
Chase:
Issues Management is the capacity to understand, mobilize, coordinate, and direct all strategic
and policy planning functions, and all public affairs / public relations skills, towards achieving
one objective: meaningful participation in creation of public policy that affects personal and in-
stitutional destiny. (Chase 1982:1)
24
Public Relations wird in dieser Arbeit in Anlehnung an Grunig & Grunig & Dozier verstanden als ,,manage-
ment of communication between an organization and its publics"

I. Issues Management im Überblick
16
Schulz & Rawe heben hervor, dass es dabei nicht prinzipiell um die Ausbildung von Dialog
oder Konsens mit Stakeholdern geht: ,,Gerade aus Sicht der Public Affairs würde so ver-
kannt, dass es vielfach nicht um Verständigung und Konsens, sondern vielmehr um die
Durchsetzung strategischer Interessen geht." (2005:111)
Im Mittelpunkt steht die Bewältigung von Umweltunsicherheit:
Issues Management ist eines der Verfahren, das die organisationale Beobachtungs- und Infor-
mationsverarbeitungsfähigkeit sicherstellt und die Organisation so bei der Bewältigung von
Ungewissheit und Risiko unterstützt. (Röttger 2001:11)
Etwas allgemeiner argumentieren Hainsworth & Meng (1988:18), die unter Issues Manage-
ment eine ,,...management activity intended to bring some control to the impact caused by
the discontinuity of the environment" verstehen. Die Bewältigung von Unsicherheit erreicht
Issues Management durch die Zielsetzung der ,,...proaktive Antizipation, Beobachtung, Pla-
nung, Kommunikation und Evaluation unternehmensrelevanter Issues." (Bentele & Rutsch
2001:147). Dabei geht es nicht darum, ein objektives Abbild der Realität zu entwickeln, also
die ,,Wahrheit" über die Umwelt zu herauszufinden oder zu antizipieren, sondern ,,[...] was
an neuen Interpretationen und Deutungsleistungen aufkommen und was sich davon letzten
Endes durchsetzten könnte." (Liebl 2000:48) Das Aufgabenspektrum eines solchen Mana-
gementsystems umfasst (Vgl. Ries & Wiedmann 2003:16; Liebl 2003:64):
· Das Aufspüren von Trends und Issues und die Schaffung eines Verständnisses für dro-
hende Diskontinuitäten, also die Früherkennung von Risiken und Chancen und der damit
verbundenen strategischen Implikationen.
· Die Entwicklung und Begründung angemessener Positionen, welche die Anpassung oder
Neuentwicklung von Handlungsstrategien beinhaltet und gleichzeitig der Unschärfe der
Situation Rechnung tragen.
· Die Vorbereitung und Ergreifung von Maßnahmen und die Vermittlung von Positionen
an relevante Öffentlichkeiten.
Neben dieser, die öffentliche Agenda betreffenden Frühwarnfunktion und der damit verbun-
denen proaktiven Auseinandersetzung mit konflikthaltigen Sachverhalten hat Issues Mana-
gement eine weitere wichtige Funktion (Vgl. Röttger 2000:340f.): Die Einspeisung der durch
Umweltinformationen gewonnen Informationen in die organisationale Systemreproduktion.
Die Zweiteilung in umweltorientierte Thematisierungsprozesse (extern) und unternehmens-
orientiertes Wissensmanagement (intern) ist wichtig, da aus dieser Perspektive Issues Mana-
gement auch darauf abzielt, organisationsinterne Verhaltensänderungen zu erzielen und so
zum Managementsystem wird, das über ein reines Public Relations Werkzeug hinaus geht
(Vgl. Röttger 2000:340f.).
Aus der Richtung der Public Relations wird versucht, dem Issues Management eine umfas-
sendere Rolle als bisher einzuräumen: So argumentiert Herger (2001:79f.), dass es die Auf-
gabe eines Issues Managements sein sollte, die Steuerungsfunktion der
Unternehmenskommunikation zu besetzen und für die Kommunikationsinstrumente Marken-
führung, Public Relations, Corporate Communications, Sponsoring und klassische Werbung
als vorgelagerte, themenbestimmende und Strategiebezug herstellende Struktur zu dienen.
Will (2001:103f.) meint, dass Issues Management (verstanden als Steuerungsfunktion der

I. Issues Management im Überblick
17
Unternehmenskommunikation) eine verstärkte Anbindung an die strategische Unterneh-
mensführung erhält und spricht ihm so die Funktion eines Kommunikationsmanagements zu.
Auch Heath (1988, 1997) und Heath & Nelson (1989) versuchen, den PR-Ansatz um eine
solche strategische Dimension zu erweitern.
Issues Management aus der Perspektive des Strategisches Management
Wie bereits angedeutet, stehen aus der Perspektive des strategischen Managements die stra-
tegischen Konsequenzen eines Issues, also seine Auswirkungen auf die gegenwärtige und
zukünftige Position des Unternehmens im Mittelpunkt. Zentrales Problem ist Herausfilterung
und Frühwarnung von strategisch relevanten Umfeldentwicklungen (Vgl. Liebl 2000:15).
Die Forschung fokussiert deshalb auf die strategische Issue Diagnose, der Analyse und In-
terpretation des Issues als Grundlage für die zu treffenden strategischen Entscheidungen (In-
genhoff 2004:41; Dutton et al. 2001; Dutton & Fahey & Narayanan 1983).
Erstmals beschäftigte sich Aguilar (1967) mit der Relevanz einer solchen Umfeldbeobach-
tung (environmental scanning) für die strategische Position eines Unternehmens. Ansoff
(1980) lieferte mit seiner These von den Diskontinuitäten vorausgehenden schwachen Signa-
len den zentralen Beitrag zu einem strategisch ausgerichteten Management. ,,Als zentrale
Spielart dieser Aufgabe von Issues Management wird angesehen, die für ein Unternehmen
strategisch relevanten Umfeldentwicklungen rechtzeitig zu erkennen und zielführend auszu-
filtern." (Ansoff 1980) Darauf aufbauend entwickelten sich auch im deutschsprachigen
Raum viele Konzepte, die sich mit Früherkennung und Frühwarnung beschäftigen und die
darauf abzielen, Prognosen über die Verletzung kritischer, quantitativer Grenzen anzustellen
(Vgl. Krysteck & Müller-Stewens 1993). Anfang der 80er Jahre setzte sich dann ein Ver-
ständnis von Frühaufklärung durch, das weniger ein Prognoseverfahren als eine Denkhaltung
im Unternehmen und im Management darstellt. Dieser Wandel des strategiezentrierten Is-
sues Management erfolgt analog zum Wandel der Strategischen Planung seit den 80er Jah-
ren: Weg von einem statischen Weltbild, in dem eine Positionierung in Erwartung einer
bestimmten Zukunft angestrebt wird. Hin zu der Einsicht, dass sich im Kontext erhöhter
Turbulenz die ,,...Horizonte verlässlicher Prognosen im Zeitablauf radikal verkürzt haben."
(Liebl 2000:17) Das bedeutet für Unternehmen, die Gegenwart und ihre soziokulturellen
Überformungen als Ausgangspunkt für eine gestaltbare Zukunft besser verstehen zu müssen.
Dabei soll Issues Management die zyklische strategische Planung
25
entlasten, indem es in
Echtzeit aufkommende Trends und Issues frühzeitig erkennt und rechtzeitig adäquate Maß-
nahmen zur Nutzung und Abwehr einleitet (Vgl. Ansoff & McDonell 1990). Damit einher
geht ein neues Paradigma der Einbindung von Informationen in den Managementprozess: In
der strategischen Planung orientiert sich die Informationsbedarf an anstehenden Entschei-
dungen, konkrete Probleme bilden also die Zielvorgabe über Quantität und Qualität des In-
formationsbedarfs (inside-out), Issues Management untersucht hingegen, welche
Folgerungen aus den vorliegenden mehrdeutigen Informationen gezogen werden können
(Vgl. Liebl 1994:363). Umweltinformationen werden also zum Impulsgeber von strategi-
schen Analysen und Aktionen (outside-in). In diesem Sinne kann Issues Management als
25
Strategische Planung hat dabei die Aufgaben: Unterscheidung im Wettbewerb, Weiterentwicklung von Kompe-
tenzen und Suche neuer Geschäftmodelle

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836601863
DOI
10.3239/9783836601863
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität der Künste Berlin – Gestaltung, Strategische Kommunikationsplanung
Erscheinungsdatum
2007 (Februar)
Note
1,0
Schlagworte
issue issues management planspiel öffentlichkeitsarbeit public relations krisenkommunikation
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Titel: Issuesuche, -identifikation und -selektion in Unternehmen
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