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Erwerbslosigkeit in Deutschland

Die Bedeutung des prozessual-systemischen Ansatzes in der Vermittlung von Arbeitssuchenden aus der Perspektive der sozialen Arbeit in Deutschland

©2006 Diplomarbeit 117 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Seit Mitte der 70er Jahre ist in Deutschland eine starke Veränderung auf dem Arbeitsmarkt zu beobachten. Die Zeiten der Vollbeschäftigung, so wie sie im „Wirtschaftswunder“ nach dem Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 70er Jahre auf dem Territorium der westlichen Siegermächte zu beobachten waren, sind vorbei. Wenn noch in den 60er Jahren von einem Arbeitskräftemangel ausgegangen werden konnte, hat sich die Situation, in der wir uns heute befinden, grundlegend verändert.
Diese strukturell gewachsene Erwerbslosigkeit in Deutschland wird Anfang des 21. Jahrhunderts durch das Phänomen der Globalisierung verstärkt. Immer mehr Unternehmen stehen in einem weltweiten Konkurrenzkampf mit ihren Produkten, dem sie nach eigenen Angaben oftmals nur mit der Verlagerung ihrer lohnintensiven Produktionsteile ins Ausland oder mit dem Verkauf von einzelnen Produktionssparten glauben begegnen zu können. Dies hat Entlassungen auch in Deutschland zur Folge.
Die Veränderung der wirtschaftlichen Gesamtsituation, insbesondere die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, hat die Staatskassen stark belastet und somit die Bundesregierung zum Umsteuern gezwungen. Die am 01.01.2005 in Kraft getretene letzte Stufe der „Hartz IV“- Reform ist nur ein Instrument, mit dem versucht wird, der Massenerwerbslosigkeit entgegenzuwirken und die Bundesrepublik Deutschland auf dem Weltmarkt neu zu platzieren.
Diese Veränderungen haben weitreichende Folgen für die Betroffenen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat im Oktober des Jahres 2005 ihre Erwerbslosenzahlen veröffentlicht und geht von ca. 4,5 Mio. Erwerbslosen ohne die stille Reserve aus. Im Vergleich dazu stehen im selben Monat diesen Personen aber nur ca. 450 000 offene Stellen zur Verfügung.
4,5 Mio. Erwerbslose bedeuten viereinhalb Millionen Einzelschicksale mit ihren individuellen Bewältigungsstrategien, psychischen Auswirkungen für sie und ihre Angehörigen sowie materielle Nöte, aber auch viereinhalb Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze weniger, welche Steuerausfälle und somit fehlende Investitionsmöglichkeiten des Staates zur Folge haben.
Problemstellung:
Arbeit spielt in modernen Gesellschaften eine zentrale Rolle in den Lebensläufen der Menschen. Dennoch ist festzustellen, dass der Arbeitsbegriff in den einzelnen Epochen der Menschheitsgeschichte sowie in den verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Bedeutung hatte und auch heute noch […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Sven Petruschkat
Erwerbslosigkeit in Deutschland
Die Bedeutung des prozessual-systemischen Ansatzes in der Vermittlung von
Arbeitssuchenden aus der Perspektive der sozialen Arbeit in Deutschland
ISBN: 978-3-8366-0157-3
Druck Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2007
Zugl. Fachhochschule Erfurt, Erfurt, Deutschland, Diplomarbeit, 2006
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplom.de, Hamburg 2007
Printed in Germany

I
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis...I
1
Einleitung ... 1
1.1 Problemaufriss... 2
1.2 Fragestellungen ... 3
1.3 Darstellung
der
Vorgehensweise... 3
2
Historische Entwicklung des Arbeitsbegriffes... 5
2.1
Zum Verständnis von Arbeit in der griechisch-römischen Antike ... 5
2.2
Arbeit im Kontext der Bibel... 7
2.3 Arbeit
im
Mittelalter... 9
2.4
Arbeit in der Neuzeit ... 14
3
Begriffsklärung: Gegenstand Arbeit in modernen Gesellschaften... 19
3.1
Was ist unter Arbeit zu verstehen?... 19
3.2
Was ist Erwerbsarbeit?... 22
3.3
Verschiedene Formen von Arbeitsverhältnissen... 24
4
Aspekte der Erwerbslosigkeit in unserer Gesellschaft ... 27
4.1
Was bedeutet Erwerbslosigkeit? ... 27
4.2
Zugangsrisiko und Verbleibsrisiko in der Erwerbslosigkeit ... 29
4.3 Risikogruppen ... 31
4.4
Mögliche individuelle Folgen von Erwerbslosigkeit ... 32
5
Erwerbslosigkeit und ihre ökonomischen Ursachen in modernen Gesellschaften ... 35
5.1
Erwerbslosigkeit aus makroökonomischer Sicht ... 35
5.1.1 Neoklassische
Arbeitsmarkttheorie... 35
5.1.2 Keynesianische
Beschäftigungstheorie ... 37
5.2
Erwerbslosigkeit aus mikroökonomischer Sicht ... 38
5.2.1 Segmentationstheorie ... 38
5.2.2
Suchtheorie... 39
6
Handlungstheorie und Gegenstandsbestimmung in der Wissenschaft der
Sozialen Arbeit... 41
6.1
Braucht die Soziale Arbeit Handlungstheorien? ... 41

II
6.2
Was ist eine Handlungstheorie und welche Bedeutung hat diese für die
Soziale Arbeit... 42
6.3
Gegenstand der Sozialen Arbeit ... 46
7
Bedeutung der Menschenrechte und deren Anwendung in der Sozialen Arbeit ... 49
7.1
Was sind Menschenrechte? ... 49
7.2
Soziale Arbeit als eine ,,Menschenrechtsprofession"... 50
7.3
Kann ein Recht auf Arbeit durchgesetzt werden? ... 51
7.4
Bedeutung der Ethik, Werte, Gerechtigkeit und Menschenbilder in der
Sozialen Arbeit... 52
8
Aspekte des Systemischen Denkens ... 57
8.1 Systemtypen ... 58
8.2
Wo endet ein System und wo fängt die Umwelt an? ... 59
8.3 Selbstreferentialität
und
Autopoiesis ... 61
8.4
Kommunikation in Systemen ... 61
8.5 Warum
Systemtheorie? ... 63
9
Prozessual-systemische Betrachtungen ... 65
9.1
Wissensbereiche der Sozialen Arbeit ... 66
9.2 Bedürfnisse
des
Menschen ... 67
9.3
Vorgehensweise bei sozialen Problemen ... 68
9.4
Ziele für die Soziale Arbeit ... 69
9.5 Ressourcenerschließung
der
Klientel ... 71
10
Bezug auf die Soziale Arbeit als Profession ... 73
10.1 Fallbeispiel ... 73
10.2
Wissensebenen im Bezug zur Erwerbslosigkeit... 73
10.3
Bedürfnisse und Ziele der Erwerbslosen nach gesellschaftlicher Teilhabe ... 76
10.4
Abgeleitete Ziele der Sozialen Arbeit ... 79
11
Schlussfolgerung... 81
11.1
Die ökonomische Ausgangssituation ... 81
11.2
Soziale Arbeit am Arbeitsmarkt ­ Möglichkeiten und Grenzen
unserer Profession ... 84
11.3
Aufgaben der Sozialen Arbeit bei der Vermittlung von Langzeiterwerbslosen ... 89
11.4 Ausblick ... 91

III
12
Zusammenfassung ... 95
Literaturverzeichnis... 99
Internetadressen ... 101
Anhang ... 97

IV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Verschiedene Systemebenen... 59
Abbildung 2: Die vier Seiten einer Nachricht ... 62
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1... 21
Tabelle 2... 24
Abkürzungsverzeichnis
Art.
Artikel
BA
Bundesagentur für Arbeit
ca.
circa
d.h.
das
heißt
EU
Europäische
Union
ebd.
ebenda
f. folgende
ff.
fortfolgende
Gen
Genesis
GG
Grundgesetz
IFSW
International Federation of Social Workers
Mill.
Milliarden
Mio.
Millionen
S. Seite
SGB
Sozialgesetzbuch
sog.
so
genannte
u.a.
und
andere
UNO
Vereinten Nationen
vgl.
vergleiche
vs.
versus

1
1
Einleitung
Seit Mitte der 70er Jahre ist in Deutschland eine starke Veränderung auf dem Arbeitsmarkt zu
beobachten. Die Zeiten der Vollbeschäftigung, so wie sie im ,,Wirtschaftswunder" nach dem
Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 70er Jahre auf dem Territorium der westlichen Siegermächte
zu beobachten waren, sind vorbei. Wenn noch in den 60er Jahren von einem Arbeitskräftemangel
ausgegangen werden konnte, hat sich die Situation, in der wir uns heute befinden, grundlegend
verändert (vgl. Keller 1995, S. 247).
Diese strukturell gewachsene Erwerbslosigkeit in Deutschland wird Anfang des 21. Jahrhunderts
durch das Phänomen der Globalisierung verstärkt. Immer mehr Unternehmen stehen in einem
weltweiten Konkurrenzkampf mit ihren Produkten, dem sie nach eigenen Angaben oftmals nur
mit der Verlagerung ihrer lohnintensiven Produktionsteile ins Ausland oder mit dem Verkauf von
einzelnen Produktionssparten glauben begegnen zu können. Dies hat Entlassungen auch in
Deutschland zur Folge.
Die Veränderung der wirtschaftlichen Gesamtsituation, insbesondere die Auswirkungen auf den
Arbeitsmarkt, hat die Staatskassen stark belastet und somit die Bundesregierung zum Umsteuern
gezwungen. Die am 01.01.2005 in Kraft getretene letzte Stufe der ,,Hartz IV"- Reform ist nur ein
Instrument, mit dem versucht wird, der Massenerwerbslosigkeit entgegenzuwirken und die Bun-
desrepublik Deutschland auf dem Weltmarkt neu zu platzieren.
Diese Veränderungen haben weitreichende Folgen für die Betroffenen, aber auch für die Gesell-
schaft insgesamt. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat im Oktober des Jahres 2005 ihre Er-
werbslosenzahlen veröffentlicht und geht von ca. 4,5 Mio. Erwerbslosen ohne die stille Reserve
aus. Im Vergleich dazu stehen im selben Monat diesen Personen aber nur ca. 450 000 offene
Stellen zur Verfügung (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2005 a, S. 4ff.).
4,5 Mio. Erwerbslose bedeuten viereinhalb Millionen Einzelschicksale mit ihren individuellen
Bewältigungsstrategien, psychischen Auswirkungen für sie und ihre Angehörigen sowie materiel-
le Nöte, aber auch viereinhalb Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze weniger,
welche Steuerausfälle und somit fehlende Investitionsmöglichkeiten des Staates zur Folge haben.

2
1.1 Problemaufriss
Arbeit spielt in modernen Gesellschaften eine zentrale Rolle in den Lebensläufen der Menschen.
Dennoch ist festzustellen, dass der Arbeitsbegriff in den einzelnen Epochen der Menschheitsge-
schichte sowie in den verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Bedeutung hatte und auch
heute noch hat. Unser gegenwärtiges Verständnis von Arbeit beschränkt sich in erster Linie auf
die Erwerbsarbeit, welche der Sicherung des Lebensunterhalts dient. Andere Tätigkeiten, wie
beispielsweise Familienarbeit, gemeinnützige Arbeit oder Beziehungsarbeit, werden als weniger
bedeutsam angesehen, da sie oftmals unentgeltlich verrichtet werden und weniger Ansehen ha-
ben. Deutlich wird dies beispielsweise beim Bewerbungsschreiben, in welchem insbesondere
Frauen versuchen die Erziehungszeit zu umschreiben, da dies eine Zeitspanne darstellt, welche
für manche Arbeitgeber negativ besetzt ist ­ obwohl jede/r, die/der Kinder hat, weiß, wie an-
strengend, anspruchsvoll und letztlich auch verantwortungsvoll diese Aufgabe für die Eltern und
wie wichtig sie für eine Gesellschaft ist. Die Arbeitsethik, mit welcher wir uns heute konfrontiert
sehen, stellt für den Fall der Erwerbslosigkeit keine adäquaten und sinnstiftenden Alternativen
zur Verfügung. Dies ist beispielsweise durch psychische Probleme, Drogenkonsum oder Desillu-
sionisierung belegbar.
Für die in der Praxis anfallenden Probleme der Sozialen Arbeit werden verschiedene Hand-
lungsmöglichkeiten benötigt, um den individuellen Anforderungen professionell gerecht zu wer-
den. Daraus resultierend erfordert die Lösung der Phänomene in modernen Gesellschaften wie
der unseren auch theoretische Erklärungsansätze, welche dieser Komplexität gerecht werden
können. Hierbei nehmen vor allem die Systemtheorien eine besondere Stellung für die Soziale
Arbeit ein (vgl. Staub-Bernasconi 1986, S. 6). Da im Systemischen die Wechselwirkungen zwi-
schen den Menschen als Teil eines Ganzen, welches wiederum Teil eines größeren Ganzen ist,
gesehen werden, hat dies eine Bedeutung insbesondere für die gesamte Soziale Arbeit. Der pro-
zessual-systemische Denkansatz von Silvia Staub-Bernasconi (1986) ist ein Versuch der Wissen-
schaft der Sozialen Arbeit, diesen Anforderungen gerecht zu werden.
Die Erfahrungen, welche ich bei der Arbeit im Praxissemester in Bezug auf die Vermittlung von
Langzeiterwerbslosen gemacht habe, bewegten mich dazu, die Arbeitsmarktproblematik unter
dem systemischen Blick zu betrachten. Des Weiteren ergibt sich durch den Auftrag der Sozialen
Arbeit, soziale Ungleichheiten zu bekämpfen, infolge der aktuellen Ereignisse (zum Beispiel

3
,,Hartz IV") in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ein großer Handlungsbedarf für unsere Pro-
fession.
1.2 Fragestellungen
In dieser Arbeit soll versucht werden, die Bedeutung des prozessual-systemischen Ansatzes für
die Soziale Arbeit mit Langzeiterwerbslosen unter den folgenden Fragestellungen aufzuzeigen:
1 Welche ökonomischen Ursachen können für die Erwerbslosigkeit in Deutschland ausgemacht
werden?
2 Welche Möglichkeiten und Grenzen hat der prozessual-systemische Ansatz von
Staub-Bernasconi für die praktische Soziale Arbeit mit Langzeiterwerbslosen?
3 Welche Aufgaben/Ziele kann sich die Soziale Arbeit in der Arbeitsvermittlung setzen?
1.3
Darstellung der Vorgehensweise
Um diese Fragen mit dem Anspruch der Ganzheitlichkeit zu beantworten, soll zu Beginn dieser
Arbeit ein historischer Überblick auf die Entwicklung des Arbeitsbegriffes gegeben werden.
Hierbei wird nach der hermeneutischen Erkenntnismethode vorgegangen. Es werden die Texte in
einem sinnhaften Zusammenhang gedeutet, ausgelegt und interpretiert, um die erkenntnisleiten-
den Fragen logisch zu beantworten. Ausgehend von der griechisch-römischen Antike und deren
Verständnis von Arbeit werden weiterführend die Auffassungen im Mittelalter und dem damit
verbundenen scholastischen Arbeitsverständnis, insbesondere von Thomas von Aquin, beleuch-
tet. Abschließend soll ein Blick zurück in die Neuzeit den Wandel des Arbeitsbegriffes unter der
aufkommenden Industrialisierung deutlich machen, da dieser bis in unsere Zeit Auswirkungen
hat.
Danach wird der Gegenstand Arbeit im Verständnis der heutigen Zeit skizziert werden. Hierbei
wird auf die Unterteilung in geistige und körperliche Arbeit sowie auf die Bedeutung der Er-
werbsarbeit besonders eingegangen.
Die andere Seite der Erwerbsarbeit, der freiwillige oder unfreiwillige Ausschluss von derselben,
wird anschließend beschrieben. In diesem Zusammenhang wird versucht, die verschiedenen
Aspekte der Erwerbslosigkeit für den einzelnen Menschen sowie ihre ökonomischen Ursachen in
der Gesellschaft herauszuarbeiten.

4
Um nicht nur eine Zustandsbeschreibung in dieser Arbeit zu geben, sondern auch Handlungs-
möglichkeiten für die Soziale Arbeit aufzuzeigen, ist es wichtig sich mit den Aufgaben der Sozia-
len Arbeit zu beschäftigen. Hierzu soll zuerst ein Einstieg in eine Handlungstheorie unserer Pro-
fession gegeben werden. Der Fokus ist dabei auf die prozessual-systemische Betrachtungsweise
von Silvia Staub-Bernasconi (1986) im Umgang mit Langzeiterwerbslosen gerichtet. Dieser
beinhaltet die Frage nach den Menschenrechten, das Verständnis von Ethik sowie die Darstellung
des Menschenbildes in der Sozialen Arbeit.
Nachdem die verschiedenen Aspekte des Phänomens Erwerbslosigkeit aus den unterschiedlichen
Sichtweisen vorgestellt wurden, geht es in den abschließenden Teilen der Arbeit darum, das
Wissen für die Soziale Arbeit und für die betroffenen Menschen nutzbar zu machen. Die Beant-
wortung der Fragestellungen sowie die Schlussfolgerung daraus werden den Abschluss dieser
Arbeit bilden.

5
2
Historische Entwicklung des Arbeitsbegriffes
Im Folgenden wird versucht, den Wandel des Arbeitsbegriffes transparent zu machen, da dies
notwendig erscheint, um unsere heutige Auffassung von Arbeit zu reflektieren. Hierbei spielen
die Veränderungen, insbesondere der Werte und Normen in den jeweiligen Epochen, eine we-
sentliche Rolle. Weiterhin ist der gesellschaftliche Kontext, in welchem sich die Betrachtungen
wiederfinden, zu berücksichtigen, da Arbeit einen Teil der Gesellschaft bildet.
2.1
Zum Verständnis von Arbeit in der griechisch-römischen Antike
J. Michael Schnarrer (1996) beschreibt in ,,Arbeit und Wertewandel im postmodernen Deutsch-
land" ein sehr differenziertes Verständnis von Arbeit in der Antike. Es wurde sehr deutlich zwi-
schen körperlicher Arbeit, welche eines freien Menschen unwürdig erschien, und der geistigen
Arbeit, welche den höheren Gesellschaftsschichten vorbehalten war, unterschieden. Tätigkeiten,
die der Lohn- und Handwerksarbeit sowie der Feldarbeit entsprachen, wurden abgewertet und
teilweise als ,,banausisch" beschrieben, da mit der körperlichen Arbeit eine Schwächung des
Geistes einhergehe, so die damals vorherrschende Meinung. Diese Einstellung erfasste auch
große Denker wie Aristoteles, welcher den ,,...Gradmesser der ,Banausie` mit dem Grad der
Involvierung in körperliche Arbeit..." (Aristoteles zitiert in: Schnarrer 1996, S. 44) verglichen
hat.
Weitere Aspekte der banausischen Tätigkeiten werden bei Jürgen Kocka und Claus Offe (2000)
in ,,Geschichte und Zukunft der Arbeit" beschrieben: Diese ,,...Tätigkeiten machten unfähig zum
Kriegsdienst, und sie gewährten nicht die Muße, die für anspruchsvolle geistige Tätigkeiten, die
Pflege sozialer Beziehungen und die Mitwirkung im Gemeinwesen erforderlich sei..." (Xenophon
zitiert in: Kocka, Offe 2000, S. 55).
Eine aktive Beteiligung der freien Bürger am Wirtschaftssystem war nicht erlaubt und nicht
standesgemäß, denn Banausen wurden vom Staat nicht zu Bürgern gemacht, welche somit von
den Unfreien abgegrenzt wurden. Weiter wird beschrieben, dass Ausländer Arbeiten verrichten
mussten, bei denen sie oftmals großen physischen und gesundheitlichen Belastungen unterlagen.
Das Eigentum, welches jemand besaß oder eben nicht besaß, spielte eine weitere wichtige Rolle
in der antiken Welt. Eigentum war ,,Kapital" und dieses befreite vom körperlichen Arbeiten. Wer
keinen Besitz hatte, war zum Arbeiten verdammt, bekam aber so wenig Geld, dass es nicht zur

6
,,Kapitalakkumulation", also zur Anhäufung von Geld oder Subsistenzmitteln, kommen konnte.
Eine weitere Überzeugung dieser Zeit war die, dass körperliche Arbeit den Menschen am Philo-
sophieren hindert, denn nur wer frei und weise ist, hat auch die Muße sich mit philosophischen
Fragen auseinander zu setzen (vgl. Schnarrer 1996, S. 45). In diesen gesellschaftlichen Kreisen
wurde sich damit gerechtfertigt: ,,..., daß die Gottheit auch nicht arbeiten würde wie ein Hand-
werker." (Epikur zitiert in: Schnarrer 1996, S. 45).
Die Einstellungen der griechischen Antike zur körperlichen sowie geistigen Arbeit wurden in der
römischen Antike aufgenommen. Das Handwerk wurde mit Schmutz und Unfreiheit verbunden
und war somit Sklaven und Dienern vorbehalten. Die körperliche Arbeit, und damit verbunden
die Wirtschaft der römischen Antike, stellte gesellschaftlich eine untergeordnete Rolle dar. Neben
dem Philosophieren galt für die Römer die politische Arbeit für die Gemeinschaft als ehrenwert,
aber auch nur dann, wenn sie nicht entlohnt wurde. Diese unentgeltliche Tätigkeit setzte Eigen-
tum beziehungsweise Geld voraus, denn wer für Geld im Sinne von Erwerbsarbeit seine Kraft
einsetzte, war unwürdig ein Staatsamt inne zu haben. Die Wichtigkeit des Philosophierens anstel-
le der Arbeit wurde auch hier deutlich, denn nur durch die Philosophie konnte zum einen die Zeit
im Leben sinnvoll genutzt werden und sich andererseits angemessen auf den Tod vorbereitet
werden (vgl. Schnarrer 1996, S. 46).
Eine genauere Betrachtung der Arbeit in Bezug auf die Erwerbsarbeit in der Antike wird in ,,Ge-
schichte und Zukunft der Arbeit" unternommen. Hier ist festzustellen, dass, wie schon beschrie-
ben, körperliche Arbeit einem angesehenen Bürger nicht würdig war. So wird zum Beispiel
berichtet, dass Handwerker oder Lohnarbeiter von dem Bürgerstatus ausgeschlossen waren.
Ebenfalls wird dargestellt, dass ein bestimmtes Mindestvermögen, welches nach Grundbesitz
unterschieden wurde, Voraussetzung für politische Mitbestimmung war. Sozial Bessergestellte
waren in erster Linie Großgrundbesitzer, welche ihr Vermögen durch Handels- oder Geldge-
schäfte erwirtschaftet haben (vgl. Kocka, Offe 2000, S. 57).
Neben der Sklavenarbeit hatte auch freie Arbeit durchaus ihre Berechtigung. Abgesehen von
Bauern und Handwerkern, welche sich ihren Lebensunterhalt sichern konnten, gab es auch Bür-
ger, die auf Erwerbsarbeit angewiesen waren. Diese Arbeit bestand vorrangig darin, als Saisonar-
beiter sowie als Tagelöhner auf dem Bau oder im Hafen tätig zu sein. Ebenso ist festgehalten,
dass Arbeitsverträge als Werk- oder Dienstverträge abgeschlossen wurden, wobei letztere auf
einige Tage begrenzt waren. Ein Arbeitsmarkt, welcher sich durch Angebot und Nachfrage selbst
regulierte, war in diesem Zusammenhang nicht vorhanden. Trotzdem blieb die Erwerbsarbeit

7
eines freien Menschen unwürdig, weil sie ihn in eine sklavenähnliche Position brachte (vgl. ebd.,
S. 60f.).
2.2
Arbeit im Kontext der Bibel
Das Verständnis von Arbeit im ,,Alten" und ,,Neuen" Testament ist ähnlich dem zu interpretieren,
wie es in der griechisch-römischen Antike vorherrschte. Es sind keine grundlegend neuen Aspek-
te bezüglich der Sicht auf Arbeit festzustellen (vgl. Schnarrer 1996, S. 52). Für die vorwiegend
heidnisch geprägte Antike ist zu konstatieren, dass es eine religiös motivierte Berufsethik noch
nicht geben konnte. Eine Ausnahme stellten die frühchristlichen Gemeinden in der Antike dar,
welche Arbeit als eine abhängige Position verstanden (vgl. Kocka, Offe 2000, S. 65).
Zudem war eine Abwertung der körperlichen Arbeit im frühen Christentum vorhanden, welche
aber durch den göttlichen Schöpfungsauftrag eine neue Akzentuierung erhielt. Die Arbeit, welche
Gott als Schöpfer für die Menschen vollbracht hat, ist gleichzeitig auch für sie bindend. Weiter-
hin ist das Bild vom immer währenden Paradies ohne den arbeitenden Menschen nicht vorstellbar
(vgl. Schnarrer 1996, S. 48). In der Bibel ist dies wie folgt niedergeschrieben: ,,Gott, der Herr,
nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und behü-
te." (Gen 2, 15).
Andere Autoren sprechen davon, dass nach biblischer Überlieferung Arbeit ein Grundfaktum
menschlicher Existenz sei. Gott übergibt dem Menschen die Verantwortung zum Bebauen und
Bewahren der Erde. Der Mensch habe das Mandat des Schöpfers, sich die Erde, die Natur unter-
tan zu machen und mehr noch: ,,Arbeit ist Einsetzung in Partizipation, in Teilnahme an Prozes-
sen, die der Umwelt der Menschen Struktur und Qualität geben. Das bedeutet, daß Arbeit die
Weise ist, Wirklichkeit zu gewinnen und Wirklichkeit zu erfahren. Arbeit ist der Vorgang, sich
handelnd und gestaltend als eines wirklichen Menschen zu vergewissern. In der Arbeit findet der
arbeitende Mensch seine Identität." (Brakelmann 1988, S. 9f.) oder: ,,Arbeiten, das mit Härte,
Mühsal und Vergeblichkeit verbunden ist, wird das Privileg des Menschen. Die Gabe des Schöp-
fers wird zur schöpferischen Aufgabe des Geschöpfs." (ebd., S. 11).
Neben dem im Schöpfungsauftrag mitgegebenen Arbeitsauftrag für den Menschen ist das Gelin-
gen der Arbeit noch nicht garantiert, denn erst durch den Segen Gottes ist der Erfolg der mensch-
lichen Arbeit gesichert. Reichtum ist hierbei als ein Geschenk Gottes zu verstehen. Arbeit ist
dennoch kein absoluter Wert im ,,Alten" Testament, wenngleich auch ein wichtiger. Neben der

8
Arbeit soll der Mensch auch in dem Verständnis der Bibelüberlieferung Pause machen und sich
erholen. Diese Auffassung wird im Sabbatgebot deutlich, denn hier ist darauf hingewiesen, dass
sechs Tage gearbeitet werden soll und der siebte Tag der Erholung für Mensch, Tiere und Skla-
ven dient. Anderenfalls bleibt demjenigen, der trotzdem arbeitet, der Segen verwehrt. Arbeit und
Ruhe sind in einem sinnvollen Verhältnis zueinander auszubalancieren und bekommen beide ihre
Berechtigung zugesprochen (vgl. Schnarrer 1996, S. 51).
Im ,,Neuen" Testament wird durch Jesus Christus ein neues Motiv für die Arbeit beschrieben.
Jesus, der ,,Sohn Gottes", fordert die Menschen durch die Basileia zur Arbeit auf, denn nur da-
durch sei es möglich die Voraussetzung für das ,,Reich Gottes" zu schaffen. Die Basileia stellt die
Erwartung der Juden dar, dass Gott die Welt regiert. Dafür war es aber notwendig für das ange-
kündigte ,,Reich Gottes" auf der Erde zu arbeiten. Für die Christen der ersten Jahrhunderte zählte
das Irdische nicht. Sie lebten und arbeiteten in erster Linie für die Erfüllung der Basileia, nicht
aber für das, was auf der Erde galt. Die Jenseitsorientierung wurde über die hiesige Welt gestellt
(vgl. Schnarrer 1996, S. 52ff.).
Wer sich auf diese Botschaft von Gott, verkündet durch Jesus, einlässt, soll dies ohne Einschrän-
kungen tun. Arbeit wird in diesem Kontext so verstanden, dass sie nicht zum Selbstzweck der
Menschen werden soll, denn dieser führt zu Gier, Verschwendung und ins Verderben. Der gläu-
bige Christ dieser Zeit soll durch Arbeit sein Überleben sichern, aber nicht mehr. Dabei ist die
irdische Arbeit als ein Abschnitt auf dem Weg zu Gott zu verstehen, um nach dem Tod die Erfül-
lung im Jenseits zu haben. Die entstehenden Sorgen der Menschen, einerseits genügend Geld
durch Lohnarbeit zu haben, um sich und ihre Familien ernähren zu können, sowie andererseits
nicht in Widerspruch zur Reich-Gottes-Verkündigung zu kommen, versucht das Matthäus Evan-
gelium zu verbinden (vgl. Dautzenberg in: ebd., S. 55). Es wird hierbei auf die Notwendigkeit der
Arbeit für die/den Einzelne/n und die Wohlgefälligkeit der Arbeit für Gott besonders eingegan-
gen. ,,Nicht wer faul und selbstgefällig auf Kosten anderer existiert, findet Anerkennung bei Gott,
sondern wer arbeitet und gute Werke vollbringt." (ebd., S. 55) Diese Auffassung von Arbeit
spiegelt nicht nur das Offensichtliche wider, sondern stellt auch die innere Einstellung, die Ge-
wissensbildung der christlichen Menschen dar. Arbeit ist für Paulus, den Völkerapostel, der sich
mit der praktischen Umsetzung des Missionarauftrages in der Nachfolge von Jesus befasste, mit
mehreren Aspekten versehen. Hierbei ist einmal die materielle Unabhängigkeit durch Arbeit
sowie bescheidener Wohlstand zu nennen und weiterhin die Möglichkeit, durch eigene Leistun-
gen dem Nächsten zu helfen (vgl. Schnarrer 1996, S. 58).

9
Das Christentum wertet durch die Berufsbezeichnungen in der Bibel, wie zum Beispiel Fischer,
Zöllner und nicht zuletzt Handwerker, die körperliche Arbeit auf. Jesus selbst kommt aus einer
Handwerkerfamilie und war Zimmermann. Die Verkündigung des Evangeliums wird als Arbeit
deklariert und körperlicher Arbeit gleichgestellt. Die noch in der griechisch-römischen Antike
geltenden Differenzierungen zwischen körperlicher und geistiger Arbeit werden im Christentum
verändert. Die Auffassung, dass der freie Mensch der körperlichen Arbeit fern bleiben muss und
sich der Muße oder Politik widmen soll, wird ins Gegenteil verkehrt (vgl. Kocka, Offe 2000 S.
69f.).
Abschließend ist festzustellen, dass es so etwas wie einen ,,Einheitsbegriff" oder eine ,,Einheits-
definition" von Arbeit in der Bibel nicht geben kann. Wiederzufinden sind die zuvor skizzierten
einzelnen Bereiche, in denen Dimensionen von Tätigkeit im täglichen Leben sowie die Erwerbs-
arbeit der Menschen beschrieben sind (vgl. Fahlbusch, Przybylski, Schröter 1987, S. 60).
2.3
Arbeit im Mittelalter
Die Gesellschaft zu Beginn des Mittelalters ist eine ständische, die im Wesentlichen in die Kleri-
ker, welche beteten, die Ritter, welche kämpften und die Arbeitenden, welche vorwiegend Bau-
ern waren, unterteilt wurde. Diese drei Stände waren gesellschaftlich funktional konzipiert, wo-
durch Arbeit erstmals als gesellschaftlich notwendig angesehen wurde. Neben der Notwendigkeit
kam die geistige Aufwertung der körperlichen Arbeit in der Epoche des Mittelalters hinzu, wel-
che letztlich auch immer mehr zu einer Pflicht zum Arbeiten führte (vgl. Oexle in: Kocka, Offe
2000, S. 72f.).
Trotz dieser sich ändernden gesellschaftlichen Umstände im frühen Mittelalter war eine weiterhin
abwertende Einstellung der physischen Arbeit gegenüber vorherrschend. Diejenigen, welche die
schmerzhaften und mühseligen Tätigkeiten ausführten, gehörten nicht zu den angesehenen Ge-
sellschaftsschichten oder dem Adel. Als das Ideal der damaligen Zeit wurden die Ordensgemein-
schaften beschrieben, weil sie den irdischen Dingen, Sorgen und Versuchungen entsagt hatten
und deshalb Gott am nächsten standen. Die Klöster hatten in dieser Zeit die Aufgabe die christli-
chen Vorstellungen zu verbreiten. Gleichzeitig waren sie auf die materielle Unterstützung der
arbeitenden Menschen der Umgebung angewiesen. Als diese Unterstützung durch verschiedene
Ereignisse der Zeit ausblieb, zum Beispiel durch Kriege, waren die Mönche und Nonnen auf
eigene Handarbeit angewiesen, um ihr Überleben zu sichern. Somit wurde die Handarbeit ein

10
wichtiges Element, welches aber weiterhin nicht den irdischen Dingen nutzen sollte, sondern
mithalf, das ,,Reich Gottes" in der Welt zu verkünden. Einhergehend mit der Gründung des ,,Be-
nediktinischen Mönchtums" durch Benedikt von Nursia im 5. Jahrhundert wurde diese Verbin-
dung von weltlichen und geistlichen Elementen in der Kurzformel: ,,Ora et labora" ,,Bete und
arbeite" (Benedikt zitiert in: Schnarrer 1996, S. 65) deutlich. Hierbei wird zum Ausdruck ge-
bracht, dass Arbeit einzig und allein religiösen und nicht wirtschaftlichen oder finanziellen Zwe-
cken diente. Als wichtige Werte der Arbeit sind die Wohlgefälligkeit sowie die Achtung vor Gott
beschrieben, denn eine Überbewertung der Arbeit würde zu einer Priorität der Transzendenz, des
Übersinnlichen, über die Immanenz, das Fassbare, führen. Der Besitz von Gütern ist im Ver-
ständnis des frühen Mittelalters als Zufall bezeichnet worden und nicht als Ergebnis von physi-
scher Arbeit (vgl. Schnarrer 1996, S. 62ff.).
Eine veränderte Sicht auf die Arbeit wurde im Hochmittelalter durch die Lehren des heiligen
Thomas von Aquin Mitte des 13. Jahrhunderts bemerkt. Er behielt die Vorstellung, dass körperli-
che Arbeit als ,,Versklavung" galt, wie sie auch bei Aristoteles vorherrschte, bei, fügte ihr aber
christlich orientierte, positive Elemente hinzu. Thomas von Aquin führte die Überlegungen zum
Aristotelismus weiter aus und verband Glauben mit Wissen, Theologie und Philosophie neu (vgl.
ebd., S. 68).
Der Sinn der Arbeit wird bei ihm durch mindestens vier Aspekte charakterisiert: ,,Sie dient zur
Gewinnung des Lebensunterhalts, zur Überwindung des Müßiggangs, zur Zügelung der Begier-
lichkeiten und sie schafft die Voraussetzung, um Almosen geben zu können." (Aquin zitiert in:
ebd., S. 68).
Die menschliche Arbeit ist kein Tauschgut, welche nach Angebot und Nachfrage bewertet wer-
den kann, sondern sie hat einen Sinn für die Menschen. Dieser Sinn ist für Thomas von Aquin
darin begründet, dass das menschliche Handeln, das die Arbeit einschließt, in drei Bereiche zu
differenzieren ist: in den Gegenstand des Tuns, den Sinnbezug der Aktion und der Frage nach der
Ordnung der Natur (vgl. Aquin in: ebd., S. 70f.).
Um das naturrechtlich-theologische Weltbild richtig einzuordnen ist es notwendig, kurz sein
Menschenbild zu skizzieren. Der triebhafte Mensch wird von ihm nicht mehr ausschließlich
negativ bewertet. Ebenso sieht er die Ehe, den Besitz sowie das Privateigentum als prinzipiell
positiv an und sie sollten nicht der Willkür des Staates ausgeliefert sein. Vielmehr sollte jeder in
seinem Rahmen für das Gemeinwohl des Staates einen Beitrag leisten, was letztlich bedeutet,
dass eine Pflicht zum Arbeiten besteht. Ein weiterer neuer Aspekt der Arbeit ist darin zu sehen,

11
dass eine Gemeinsamkeit zwischen körperlicher und geistiger Arbeit deutlich wurde, indem beide
erstmals positiv dargestellt wurden (vgl. ebd., S. 68f.). Diese neue Sichtweise war aber weiteren
Kriterien unterworfen, wie der Berücksichtigung der Vernunft des Handelns, der Sittlichkeit und
der Gottbezogenheit, welche in dem Buch ,,Arbeit ist nicht alles" beschrieben sind (vgl. Auer in:
Fahlbusch, Przybylski, Schröter 1987, S. 18).
Die physische Arbeit war bei Thomas von Aquin durch folgende Punkte charakterisiert: Bei
dieser Form des Tätigseins sind verschiedene Körperteile des Menschen involviert, insbesondere
die Hände. Die körperliche Arbeit diente der Bereitstellung verschiedener Güter, welche die
Grundlage für den Lebensunterhalt des Einzelnen und für ein tugendhaftes Leben im Sinn der
Gemeinschaft bildeten. Müßiggang sowie die Beherrschung der Begierden sollte durch körperli-
che Arbeit vermieden, beziehungsweise kontrolliert werden und die Erträge der Tätigkeit sollten
mit denen geteilt werden, die nichts hatten (vgl. ebd., S. 18). Weitere Aspekte der körperlichen
Arbeit werden von anderen Autoren benannt. Sie schreiben, dass jeder seinen Möglichkeiten
entsprechend arbeiten und wirken sollte, weil dies Ausdruck von einem gottgefälligen Leben und
ein Zeichen für eine positive Persönlichkeit nach außen darstellte (vgl. Schnarrer 1996, S. 76).
Eine größere Aufmerksamkeit richtete Aquin auf die geistige Arbeit. Er verband sie mit der
Erkenntnis zur Wahrheit, sie diente nicht vorrangig der Sicherung des Lebensunterhalts, wurde
aber als Erwerbsmöglichkeit nicht kategorisch ausgeschlossen. Gekennzeichnet war diese Art der
Arbeit, welche für ihn einen hohen Stellenwert hatte, durch Innerlichkeit, Selbstwertigkeit und
Schöpfertum. Dennoch blieb die geistige Arbeit durch Begabungen und Neigungen sowie durch
persönliche Eigenschaften immer nur wenigen Menschen in der Gesellschaft vorbehalten (vgl.
Welty in: Fahlbusch, Przybylski, Schröter 1987, S. 19). Einen Teil der geistigen Arbeit stellte für
Thomas von Aquin die geistliche Arbeit dar. Beide Arten kommen an der Stelle zusammen, an
welcher sich die Wahrheitsfindung auf Gott bezieht. Bei Schnarrer wird hinzugefügt, dass geistli-
ches Arbeiten das Predigen, die wissenschaftliche Auslegung der heiligen Schrift und schließlich
das Spenden der Sakramente beinhaltete (vgl. Schnarrer 1996, S.76). Geistliche Arbeit wird der
körperlichen Arbeit, aber auch der geistigen Arbeit übergeordnet (vgl. Welty in: Schnarrer 1996,
S. 77).
Wichtig für diese Arbeit zu erwähnen ist, dass bei Thomas von Aquin eine frühe Charakterisie-
rung von Berufsarbeit, so wie sie sich bis in unsere Zeit erhalten hat, zu finden ist. Es wurden
Berufsarbeit und Gelegenheitsarbeit unterschieden. Der Beruf bekam eine dreifache Bedeutung:
Einmal wird der Mensch durch spezifische Handlungen zum Nachdenken bewegt, was eine

12
wichtige menschliche Eigenschaft ist, da durch monotone Handgriffe eine Entfremdung des
Menschen stattfindet, weiterhin wurde nur, was sittlich ist, als Beruf anerkannt und schließlich
musste die soziale Komponente vorhanden sein, welche dem Gemeinwohl half (vgl. Schnarrer
1996, S. 71).
Einen anderen Zusammenhang stellte er zwischen Arbeit und Armut her. Durch die Schöpfung
sind die Gaben unterschiedlich verteilt, wobei die meisten Menschen die Möglichkeiten und
Fähigkeiten zur körperlichen Arbeit ,,mitbekommen haben". Dennoch war für ihn Armut kein
erstrebenswertes Ziel, vielmehr sollte jeder nach seinen Möglichkeiten versuchen tätig zu sein.
Somit wendete er sich gegen den Pauperismus, worunter die Massenverelendung im Mittelalter
zu verstehen ist (vgl. Aquin in: ebd., S. 75).
Im Spätmittelalter wurde das Verständnis in Bezug auf die Arbeit und die Armutsdebatte weiter
vertieft. Kocka und Offe (2000) beschreiben in ,,Geschichte und Zukunft der Arbeit", dass im 14.
und 15. Jahrhundert eine gesellschaftliche Veränderung, welche als ,,Krise des Spätmittelalters"
(Graus zitiert in: Kocka, Offe 2000, S. 76) bezeichnet wird, stattgefunden hat. Die sich hier ent-
wickelnden Kategorien der Unterscheidung von arbeitenden Menschen zu denjenigen, welche
nicht arbeiten konnten oder wollten, sind bis in unser heutiges Verständnis geblieben. Dabei
werden die Arbeitsunfähigen damals wie heute in diejenigen, die aus Gründen körperlicher Be-
einträchtigung nicht arbeiten können, von denen unterschieden, die nicht wollen. Die Feststel-
lung, ob jemand ,,verschuldet" oder ,,unverschuldet" keiner Erwerbsarbeit nachgehen konnte oder
eben wollte, wurde ein zentrales Moment der gesellschaftlichen Ordnung dieser Zeit. Im Verlauf
dieser Pädagogisierung wurden Verhaltensnormen für Arme aufgestellt, für die eine Pflicht zur
Arbeit bestand, jedoch nahmen auch protestantische Tugenden, wie Fleiß, Ordnung und Diszip-
lin, einen immer größeren Stellenwert ein. Der Paradigmenwechsel, welcher das Verständnis von
Arbeit, beziehungsweise Armut, aus der Antike und Spätantike oder aus dem frühen und hohen
Mittelalter neu bewertet, ist in dieser Epoche deutlich zu erkennen. Armut wird nicht mehr durch
den gesellschaftlichen Druck zur Arbeit definiert, sondern wird als Mittel gegen die Armut ver-
standen, Armut ist in diesem Kontext Nicht-Arbeit. Die moralische Unterscheidung zwischen
dem Arbeitenden als würdig und dem Nicht-Arbeitenden als unwürdig ist bis in unsere heutige
Zeit zumindest latent vorhanden geblieben (vgl. Kocka, Offe 2000, S. 76ff.).
Dieser sich hier abzeichnende ,,Prozeß der Sozialdisziplinierung" wird bei Ronald Lutz (2001)
deutlicher beschrieben als: ,,... der Prozeß einer Erziehung sozialer Unterschicht zu Arbeitsdis-
ziplin, Fleiß, Ordnung und Gehorsam. Das ist zugleich die Umerziehung von Menschen, die

13
vormals völlig anderen Lebensentwürfen und -grundsätzen folgten, eben stärker agrarisch-
traditionalen Mustern des feudalen Kontextes." (Lutz 2001, S. 44).
Einen Höhepunkt dieser Umerziehung stellten die sich entwickelnden Arbeitshäuser dar, in denen
die Menschen zur Arbeit ,,diszipliniert" werden sollten und gleichzeitig zur Abschreckung für die
anderen dienten. Die erste Einrichtung dieser Art befand sich 1553 in England und wurde von
Eduard VI. errichtet. Er ließ in einem alten Palast müßiggehende Arme und Bettler sowie Ar-
beitsfaule unter Folter zur Arbeit erziehen (vgl. ebd., S. 57).
Eine weitere Veränderung der Wertigkeit von Arbeit wurde durch die Reformatoren Luther und
Calvin beeinflusst. Die gesamte Arbeit (körperliche, geistige und geistliche) wird hierbei positiv
gesehen und von dem lange anhaltenden negativen Stigma allmählich befreit. Arbeit wird als
Berufung bei Luther und als Selbstpflicht bei Calvin verstanden und führte letztlich zur immer
weitergehenden Loslösung aus religiösen Motiven. Eine Aufwertung der geistigen aber vor allem
der körperlichen Arbeit wird durch Luther gegeben. Er versteht Arbeit als Pflicht gegenüber Gott.
Mehr noch, Luther hebt durch die Bezeichnung ,,vocatio" (Berufung) (Luther zitiert in: Schnarrer
1996, S. 79) die Beziehung zwischen Berufsarbeit und Gott hervor und hebt somit die privilegier-
te Stellung der Geistlichen auf. Diese haben geistliche und geistige Arbeit als einzige Möglich-
keit gesehen, Gott wohlgefällig zu sein (vgl. Schnarrer 1996, S. 79ff.).
Bei Calvin ist die Vorbestimmung eines jeden Menschen von der Geburt an durch Gott gegeben.
Jeder/jede Christ/in hat einen ausgewählten Weg von Gott bekommen, welchen er/sie beschreiten
muss. Der Erfolg des einzelnen Menschen in seiner Arbeit ist ein Zeichen der göttlichen Gnade.
Um dieser Hoffnung willen, wirklich auserwählt zu sein, musste der oder die Prädestinierte im-
mer weitere Erfolge und ununterbrochene Leistungen durch rastloses Schaffen erbringen. Die
Überzeugung, dass der Gewinn der Arbeit als Zeichen Gottes zu interpretieren war, bildete letzt-
lich das Fundament für das sich daraufhin entwickelnde ökonomische Denken im Kapitalismus
(vgl. ebd., S. 84f.).
Zu der von Calvin postulierten Prädestinationslehre kommt für Max Weber die Rationalisierung
der Lebensführung hinzu. Beschrieben ist diese genauer bei Friedhelm Guttandin (1998): ,,Sie
beruht für den einzelnen auf dem religiösen Antrieb zur methodischen Kontrolle seines Gna-
denstandes in der Lebensführung und damit in deren asketischer Durchdringung. Dieser asketi-
sche Lebensstil bedeutet eine an Gottes Willen orientierte rationale Gestaltung des ganzen Da-
seins." (Weber zitiert in: Guttandin 1998, S. 134).

14
Erst durch diese Verbindung von der Berufspflicht durch Gottes Auftrag und der rationalen Le-
bensführung entwickelte sich die kapitalistische Basis unserer heutigen Gesellschaften (vgl. ebd.,
S. 134). ,,Ziel dieser Lebensführung war ursprünglich die Mehrung der Ehre Gottes; ein Mittel,
diese Askese durchzuführen, bestand in der rastlosen Berufsarbeit." (Weber zitiert in: ebd., S.
163) Das Leben eines Calvinisten bestand aus Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung, denn
jeder Aspekt des Lebens wurde daraufhin überprüft, ob es den Vorstellungen des heiligen Lebens
entsprach. Diese praktizierte Lebensführung ermöglichte, so Weber, die Durchrationalisierung
der Berufsarbeit. Der einzelne Mensch konzentrierte seine ganze Lebensführung auf die Berufs-
arbeit und diese Einstellung macht den Calvinisten zum Berufsmenschen schlechthin (vgl. Weber
in: ebd., S. 140).
Weber sieht in dieser rationalen Lebensführung einen Grund für die von ihm beschriebene Wahl-
verwandtschaft zwischen protestantischer Ethik und dem kapitalistischen Wirtschaftshandeln.
Beide werden nach Zweckrationalem, dem Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen, und
Wertrationalem, dem Handeln nach Würde, Schönheit und Pflicht, organisiert. Hierbei ist darauf
hinzuweisen, dass Weber die protestantische Ethik als Startbedingungen für die kapitalistische
Wirtschaftsform ansieht, aber eben auch nicht mehr (vgl. Weber in: ebd., S. 160f.).
2.4
Arbeit in der Neuzeit
Arbeit, insbesondere die physische Tätigkeit, war, wie zuvor beschrieben, in der Antike und im
Mittelalter immer eine Sache der Armen und Besitzlosen. Schnarrer (1996) hält fest, dass sich
diese Vorstellung seit dem 17. Jahrhundert grundlegend verändert hat. Ab hier wurde Arbeit
erstmals als Möglichkeit gesehen, Wohlstand und Anerkennung in der Gesellschaft zu erlangen.
Hier entwickelte sich eine Vorstellung, nach der es möglich war, durch Arbeit reich zu werden,
wobei es gleichzeitig zu einer Verherrlichung der Arbeit kam. Dennoch ist dieser Umbruch zu
Beginn noch moralisch verwerflich, da es vor Gott als habgierig galt und mit Sünde assoziiert
wurde, wenn jemand mehr erarbeitete, als zur Deckung des Lebensunterhaltes notwendig war
(vgl. Schnarrer 1996, S. 88).
Zu einer Veränderung der Arbeit kommt es, als die Berufsarbeit einen neuen Sinn erhält. ,,Sie ist
nun nicht mehr Teil der Armut, Teil der Menschen, die arbeiten müssen, sondern hat die poten-
tielle Kraft, Reichtum, Besitz und Eigentum zu erwirtschaften. Die Berufsarbeit wurde zum akti-
ven Prinzip, ja zur Norm aller, egal welchem Stand der einzelne angehörte." (ebd., S. 89) Es

15
entwickelten sich zwei neue Sichtweisen auf die Arbeit. Zum einen der im Protestantismus ver-
wurzelte Optimismus des Wirkens und Arbeitens und zum anderen der Optimismus der ökono-
mischen Entwicklungen. Beide begünstigten das neuzeitliche Verständnis von Arbeit. Armut
wird in Folge dieser Entwicklung sehr schnell als Krankheit begriffen und das Erlangen von
Reichtum als Ziel allen Seins verstanden. Grenzenloses Wachstum und nicht mehr die Sicherung
des Lebensunterhaltes allein wird als neues Ziel entworfen. Durch John Locke und Thomas Hob-
bes wurden nun auch die ersten Theorien aufgestellt, welche Eigentum und Reichtum versuchten
wissenschaftlich zu erklären. Die Grundlage des Reichtums stellten die damaligen Manufakturen
und letztlich die darin beschäftigten Arbeiter/innen dar. Demzufolge war es eine Aufgabe des
Staates, gut qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, um die ökonomischen Voraus-
setzungen für Wachstum zu schaffen. Arbeit sollte nun zum Produktionsfaktor werden, welcher
Wert schafft und Einfluss auf die Sicht der Dinge im Leben gewinnt (vgl. Weidmann in: ebd., S.
89ff.).
Ein neues Bild vom Menschen wird durch Francis Bacon in der Neuzeit entworfen. Im Zuge
seiner Schriften wendet er sich von der göttlichen Ordnung ab, indem er der technischen Nütz-
lichkeit eine höhere Priorität zuspricht. Es werden Zielvorgaben und Wertorientierung bei sich
selbst gesucht, was den Individualismus zum Ideal der Renaissance werden ließ. Die menschliche
Arbeit sollte verwertbare Erkenntnisse hervorbringen, mit denen zum einen die Bewältigung des
Seins möglich ist und andererseits die Beherrschung der Natur erreicht werden konnte. Diese
Ideen von Bacon zu einer aktiven Wissenschaft werden durch John Locke aufgenommen und
weiter ausgeführt (vgl. ebd., S. 93ff.).
Im weiteren Verlauf der Entwicklung der aufkommenden Industrialisierung entstanden im 18.
Jahrhundert verschiedene ökonomische Theorien. Adam Smith als ein Vertreter der Ökonomi-
schen Theorie verfolgte die Basisthese, dass der freie und liberale Markt, auf welchem Angebot
und Nachfrage sich gegenseitig durch verschiedene Interessen regulieren, die beste Möglichkeit
darstellt, um Wachstum zu erzielen. Da Smith nicht nur Ökonom war, sondern auch Moralphilo-
soph, sollte zu dem wirtschaftlichen Wohlstand durch Wachstum auch ein sozialer, ja christlich
karitativer, Aspekt hinzukommen. Dadurch sollte der Erfolg des Wirtschaftens nicht nur weni-
gen, sondern vielen Menschen zugute kommen. Dies geschah durch eine gerechte Ausrichtung
der gesellschaftlichen Strukturen (vgl. Schnarrer 1996, S. 103ff.).
Neben dieser ersten Theorie zur ,,Sozialen Marktwirtschaft", wie wir sie heute in Deutschland in
modifizierter Form vorfinden, beschäftigte sich Smith mit der Entwicklung des Arbeitsbegriffs.

16
Durch die Veränderungen der Arbeitsverhältnisse bildete sich zuerst in England eine differenzier-
te Arbeitsteilung heraus. Damals ist die Arbeitsteilung noch als Chance für den/die Arbeiter/in
und nicht als Entfremdung oder als Vereinseitigung der Fähigkeiten von Berufsarbeitern/Berufs-
arbeiterinnen verstanden worden. Der Faktor Arbeit als Element eines Wirtschaftssystems wurde
neben Boden und Kapital zum Maßstab des Warenwertes (vgl. ebd., S. 109). Im Zuge der Indust-
rialisierung wird die menschliche Arbeit zu einer Ware transformiert. Gleichzeitig wird die Be-
rufsarbeit weiter aufgewertet und gewinnt an Priorität. Schnarrer (1996) beschreibt das wie folgt:
,,Hier beginnt die neuzeitliche Sicht von der gewinnstrebenden Leistungsgesellschaft, die schon
bald die menschliche Person unter das subsumieren sollte, was sie schafft, leistet und welche
Gütermenge sie herzustellen in der Lage ist." (ebd., S. 111).
Einen Gegenpol zu dieser liberalen Sichtweise stellen unter anderem die Lehren von Karl Marx
dar. Er kritisiert den überzogenen individualistischen Ansatz und favorisiert den materialistischen
Kollektivismus. Marx glaubte die Entfremdung des Menschen durch die Arbeit mit Hilfe einer
wirtschaftlichen Lösung beseitigen zu können. Er sah die Arbeit als Mittel zur Freiheit des Men-
schen, erkannte aber auch, dass die Arbeit zu einer Belastung werden kann, insbesondere dann,
wenn sie das Maß aller menschlichen Dinge wird. Für Marx war der Hauptgrund der Ungerech-
tigkeit darin begründet, dass es Privateigentum gab, das in den Händen nur Weniger lag. Er kriti-
sierte die Arbeits- und Klassengesellschaft, welche in Besitzende, die Finanzkapital hatten, und
Nichtbesitzende, die nur ihre Arbeitskraft besaßen, unterteilt wurde. Die Geschichte der Welt ist
für Marx darin begründet, dass der Mensch durch seine Arbeit die Dinge auf der Erde geschaffen
hat. In einer sich weiterentwickelnden Gesellschaft stellte dabei für ihn Freiheit einen zentralen
Wert dar, welcher zur alleinigen Humanisierung der Gesellschaft führte. Diese Freiheit bekommt
der Mensch im Marx`schen Sinne durch die Beseitigung der fremdbestimmten Arbeit, was für
ihn Verkürzung der Arbeitszeit, Befreiung der Arbeit im gesellschaftlichen Sinn und die Weiter-
entwicklung von Technik sowie Wissenschaft bedeutete. Die Humanisierung der Arbeitswelt
wird für Marx durch den Materialismus praktisch, historisch, atheistisch und auf den Klassen-
kampf ausgerichtet begründet. In Bezug auf den ersten Aspekt möchte Marx die Gesellschafts-
ordnung so verändern, dass sie nicht die Welt als abgeschlossenes Gebilde versteht, sondern zur
Veränderung fähig. Das Ziel ist es, die kapitalistische Gesellschaftsordnung in eine kommunisti-
sche, auf Klassenlosigkeit ausgerichtete, umzubilden. Für den historischen Teil seiner Überle-
gungen sieht er es als erwiesen an, dass alles, was den Menschen umgibt, auf materiellen Gege-
benheiten beruht (vgl., ebd., S. 112ff.).

17
Es sind hierbei nicht nur leblose Dinge gemeint, sondern auch der Mensch selbst, welcher durch
seine Errungenschaften in seinen speziellen Produktionsverhältnissen zum Fortschritt beiträgt.
Der erzielte Erfolg soll der Verbesserung des Einzelnen und dem Lebensstandard aller nutzen. Zu
seiner Vorstellung einer klassenlosen Welt passt keine Religion, welche die Menschen in ,,gött-
lich" vorgegebene Schichten einteilt. Zudem ist im Verständnis seines Klassenkampfes eine
Religion, welche den Menschen zur Duldung seiner Verhältnisse auf der hiesigen Welt anhält
und sie auf eine bessere nach dem Tod vertröstet, nicht akzeptabel (vgl. Hirschberger in: Schnar-
rer 1996, S. 115).
Basis der Argumentation ist der Mehrwert eines Produktes, welcher von den Besitzern der Pro-
duktionsmittel als Gewinn einbehalten wird. Dieser Mehrwert bildet sich dadurch, dass der/die
Arbeiter/in Lohn für das Schaffen eines Produktes bekommt. Dieser Lohn reicht um den Lebens-
unterhalt zu decken, aber nicht um Kapital zu akkumulieren. Der Nutzwert der Güter beim Ver-
kauf auf dem Markt ist aber höher, dennoch hat der/die Arbeiter/in von dem Gewinn nichts. Aus
diesem Grund ist das kapitalistische System eine Art Ausbeutung der Arbeiter/innen, welche sich
gegen diese Verelendung wehren sollten. Sie haben ihr Ziel erreicht, wenn das Privateigentum
aufgelöst ist. Dabei weist Marx immer wieder auf das Mittel des Klassenkampfs als soziale Frage
der Arbeiter hin (vgl. ebd., S. 115).
Die Menschwerdung sieht Marx allein in der Arbeit. Der Mensch, als Arbeiter und Tätiger, steht
im Mittelpunkt seiner Überlegungen. Gott existiert hierbei nicht, dies führt zu einer Vergötzung
der Arbeit, welche im Zentrum steht. Arbeit ist nicht nur Bedingung der Produktion, sondern
elementarer Bestandteil der menschlichen Fortpflanzung und Schöpfung aller Werte. Trotzdem
bleibt die Frage nach dem Sinn der Arbeit unbeantwortet (vgl. Engels in: ebd., S. 117).

19
3
Begriffsklärung: Gegenstand Arbeit in modernen Gesellschaften
Nachdem die historischen Betrachtungen des Phänomens Arbeit hier abgeschlossen werden, stellt
sich die Frage, was in modernen Gesellschaften unter Arbeit verstanden wird. Bei einer Annähe-
rung an die Frage, wie der Gegenstand Arbeit in modernen Gesellschaften charakterisiert wird, ist
schnell festzustellen, dass keine eindeutige Antwort gegeben werden kann. Je nach wissenschaft-
licher Richtung des einzelnen Betrachters sind beispielsweise anthropologische, ökonomische,
sozialethische, psychologische oder soziologische Nahaufnahmen möglich. Im alltäglichen
Sprachgebrauch verschwimmt die Kategorisierung des Arbeitsbegriffes noch deutlicher, weil
damit verschiedene Tätigkeiten, je nach subjektivem Empfinden, gemeint sein können. Für
die/den Eine/n ist Gartenarbeit lästig und eine Plage, für andere wiederum ist sie eine Möglich-
keit der Natur und sich nahe zu sein. Somit ist Arbeit ein relativer Begriff, denn Erste/r wird
beispielsweise das Tätigsein im Garten als Arbeit begreifen, Letzter/e womöglich nicht.
3.1
Was ist unter Arbeit zu verstehen?
Zu Beginn soll ein wirtschaftswissenschaftlicher Definitionsvorschlag, welcher von Paulsen in
,,Arbeitsmarktpolitik und -theorie" gegeben wird und die menschliche Arbeit unter ökonomi-
schen Gesichtspunkten wie folgt beschreibt, vorgestellt werden. ,,Im ökonomischen Sinne ist die
Arbeit eine Dienstleistung, die begehrt und ökonomisch knapp ist, daher einen Ertrag oder Preis
[Lohn, Gehalt, Honorar etc.] erzielt." (Paulsen zitiert in: Zerche, Schönig, Klingenberger 2000,
S. 1) Im selben Buch wird weiter argumentiert, dass Arbeit ,,... diejenige körperliche oder geisti-
ge Tätigkeit von Personen definiert, die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtet ist." (Zerche,
Schönig, Klingenberger 2000, S. 1 f.).
Eine weitere mögliche ökonomische Sichtweise der Arbeit, bei welcher die Bezahlung im Fokus
liegt, wird in ,,Arbeit ist nicht alles" vorgestellt: ,,..., ob eine Tätigkeit Arbeit ist, wäre demnach
das Faktum ihrer Entlohnung, wobei es keine Rolle spielt, ob diese über den Markt oder andere
Mechanismen erfolgt." (Fahlbusch, Przybylski, Schröter 1987, S. 37). Das Merkmal der Arbeit
an der Bezahlung einer Tätigkeit festzumachen, wird aber weiterführend als inakzeptabel be-
schrieben, denn Hausarbeit zum Beispiel wäre in der Argumentation nur dann Arbeit, wenn sie
finanziell entlohnt werden würde (vgl. ebd., S. 37).

20
Diese sehr allgemeinen und verkürzten Definitionen von Arbeit sind aus volkswirtschaftlichen
Gesichtspunkten vielleicht nachvollziehbar, vergessen aber wesentliche Punkte. Konkreter for-
muliert kommen zwei entscheidende Elemente zur menschlichen Arbeit hinzu. Ein erstes wesent-
liches Merkmal menschlicher Arbeit ist dabei die Planung, welche im Unterschied zu einer trieb-
haften Handlung kognitiv vom Menschen vorbereitet und in Ansätzen zumindest abstrakt vor-
weggenommen werden muss. Als zweiter Aspekt muss ein Zweck der Handlung erkennbar sein,
welcher zur Planung hinzukommt. Erst durch das Zusammentreffen von Planung und Zweck wird
eine Handlung zu Arbeit und kann beispielsweise vom Spiel, in dem ein Resultat nicht zwingend
notwendig ist, unterschieden werden (vgl. Riedel in: ebd., S. 38). Dabei ist die Unterscheidung
zwischen Arbeit und einer Tätigkeit noch von Bedeutung. Die Abgrenzung zwischen Arbeit und
Tätigkeit ist demnach wie folgt vorzunehmen: ,,Tätigkeit umfasst die Gesamtheit menschlicher
Aktivität, beinhaltet also auch die Arbeit, ist aber nicht in ihr begrenzt." (Fahlbusch, Przybylski,
Schröter 1987, S. 38). Daraus folgt, dass Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit als Arbeit
bezeichnet werden können, vorausgesetzt, sie erfüllen die zwei oben genannten Merkmale (vgl.
ebd., S. 39).
Neben dem Ziel und der Planung als zentrale Merkmale der menschlichen Arbeit kommen weite-
re soziale und anthropologische Dimensionen der Arbeit hinzu. Anthropologisch betrachtet ist
Arbeit in vorindustriellen Gesellschaften zumindest erst einmal in andere soziale Tätigkeiten
eingebunden gewesen, die unerlässlich für die Reproduktion menschlichen Lebens waren. Dem-
zufolge stellt Arbeit einen zentralen Aspekt aller Gesellschaften dar, unabhängig von dem, was
die einzelnen Mitglieder darüber denken. Zu einer tief greifenden Veränderung kam es durch die
Entstehung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, welche erstmalig die menschliche Arbeit als
nicht eingebettet in soziale Tätigkeiten betrachtete, und immer mehr zur Entfremdung der Arbei-
ter/innen führte (vgl. Kocka, Offe 2000, S. 24f.).
Nun sind in modernen Gesellschaften, die Tätigkeiten nicht nur auf die reproduktiven und sozia-
len Arbeiten des Menschen zu reduzieren, sondern weiter zu fassen. Das anthropologische und
soziologische Verständnis von Arbeit in der heutigen Gesellschaft geht davon aus, dass die sub-
jektiven Bewertungen der verschiedenen Beschäftigungsformen zu berücksichtigen sind (vgl.
ebd., S. 48). Einen entscheidenden Einfluss auf die Bewertung der Arbeit hat die Information
darüber, ob die Tätigkeit auf Entfremdung oder Identifikation der involvierten Personen hindeu-
tet. Es ist also wichtig, die Gegebenheiten, die beispielsweise in einem Haushalt vorzufinden
sind, richtig einzuordnen. Die Entfremdung und Identifikation bei der Arbeit sind in einem Mo-

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2006
ISBN (eBook)
9783836601573
DOI
10.3239/9783836601573
Dateigröße
555 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Fachhochschule Erfurt – Sozialwesen, Studiengang Soziale Arbeit und Sozialpädagogik
Erscheinungsdatum
2007 (Februar)
Note
1,0
Schlagworte
arbeitslosigkeit sozialarbeit arbeitsvermittlung sozialpädagogik zeitarbeit soziale arbeit
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