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Wie lange leben Totgesagte?

Eine Analyse über die Stabilität und Überlebenschancen des gegenwärtigen politischen Systems Nordkoreas

©2011 Bachelorarbeit 42 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘North Korea will collapse soon.’ Dieser Satz stammt von Kim Jong-Nam, dem ältesten Sohn des derzeitigen nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-Il.
Zumindest behauptete dies 2010 der Vorsitzende des südkoreanischen Rates zur Wiedervereinigung, Lee Gi-Taek. Genauer gesagt, soll Kim Jong-Nam dies einem Vertrauten Gi-Taeks gegenüber erwähnt haben, welcher die brisante Aussage wiederum an den südkoreanischen Ratsvorsitzenden weitergab.
Dabei ist nicht der Inhalt dieser Äußerung das Bemerkenswerte, sondern vielmehr die Tatsache, dass der Satz aus einer nordkoreanischen Quelle stammt. Westliche Beobachter hingegen sagen seit Längerem die Implosion dieses politisch oftmals ebenso rätselhaft wie unberechenbar agierenden Staates voraus. Beispielhaft hierfür können die Äußerungen des deutschen Politikwissenschaftlers Hanns W. Maull angeführt werden, der 2009 wiederholt auf den akuten politischen sowie wirtschaftlichen Reformbedarf Nordkoreas hinwies, da andernfalls der nordkoreanische Staat, laut Maull, nicht länger überlebensfähig sei.
Fakt ist, dass beide Zitate zwei Gemeinsamkeiten aufweisen: So sind sie erstens inhaltlich weder neu noch sind sie zweitens bisher Realität geworden. Dennoch drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, wie stabil dieses totalitäre politische System tatsächlich noch ist.
Aus diesem Grund beschäftigt sich die vorliegende Bachelorarbeit mit der Thematik der Systemstabilität sowie den sich daraus ergebenden zukünftigen Überlebenschancen des Staates Nordkorea. Der Fokus der Arbeit liegt hierbei jedoch eindeutig auf der Analyse der gegenwärtigen Systemstabilität.
Zwecks dieser Untersuchung wird sich einer zweigleisigen Analyseebene bedient. Die erste, umfassendere Ebene beschäftigt sich ausschließlich mit innenpolitischen Einflussfaktoren, um somit festzustellen, welche Faktoren in welchem Maße ursächlich zur gegenwärtigen Systemstabilität beitragen.
Hierbei geht es vor Allem um die Ursachenforschung, wieso die Ideologie nach wie vor eine solch übergeordnete Rolle in Nordkorea spielt. Mit dem ideologischen Ansatz einhergehend wird sowohl die Rolle der allgegenwärtigen Herrscherfamilie Kim als auch die innenpolitische Rolle des Militärs hinsichtlich des Einflusses auf die Systemstabilität untersucht. Darauf aufbauend setzt sich die Arbeit mit dem Machtverhältnis zwischen dem einflussreichen Militärapparat und der alleinherrschenden ‘Partei der Arbeit Nordkoreas’ (PdAK) auseinander. In diesem […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

Innenpolitische Analyseebene:

2. Die „Juche-Ideologie“
2.1. Die Funktion der „Juche-Ideologie“
2.2. Die „Songun-Ideolgie“
2.3. Die Funktion der „Songun-Ideologie“
2.4. Der Beitrag der „Juche-“ und „Songun-Ideologie“ zur weiteren Systemstabilität

3. Die Machtstellung der Kommunistischen Partei innerhalb des politischen Systems in Nordkorea
3.1. Das Machtverhältnis zwischen der Kommunistischen Partei und dem Militär
3.2. Der Beitrag des veränderten Machtverhältnisses zwischen Partei und Militär zur weiteren Systemstabilität

4. Die außenwirtschaftliche Entwicklung Nordkoreas seit
4.1. Die binnenwirtschaftliche Entwicklung Nordkoreas seit
4.2. Die Frage nach Wirtschaftsreformen in Nordkorea
4.3. Die Resultate der Wirtschaftsreformen
4.4. Der Beitrag der Wirtschaftsreformen zur weiteren Systemstabilität Außenpolitische Analyseebene:

5. Nordkoreas Beziehungen zu den USA

6. Nordkoreas Beziehungen zu der VR China

7. Nordkoreas Beziehungen zu Südkorea

Fazit:

8. Die zukünftigen Überlebenschancen Nordkoreas

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„North Korea will collapse soon.“ Dieser Satz stammt von Kim Jong-Nam, dem ältesten Sohn des derzeitigen nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-Il.

Zumindest behauptete dies 2010 der Vorsitzende des südkoreanischen Rates zur Wiedervereinigung, Lee Gi-Taek. Genauer gesagt, soll Kim Jong-Nam dies einem Vertrauten Gi-Taeks gegenüber erwähnt haben, welcher die brisante Aussage wiederum an den südkoreanischen Ratsvorsitzenden weitergab.[1]

Dabei ist nicht der Inhalt dieser Äußerung das Bemerkenswerte, sondern vielmehr die Tatsache, dass der Satz aus einer nordkoreanischen Quelle stammt. Westliche Beobachter hingegen sagen seit Längerem die Implosion dieses politisch oftmals ebenso rätselhaft wie unberechenbar agierenden Staates voraus. Beispielhaft hierfür können die Äußerungen des deutschen Politikwissenschaftlers Hanns W. Maull angeführt werden, der 2009 wiederholt auf den akuten politischen sowie wirtschaftlichen Reformbedarf Nordkoreas hinwies, da andernfalls der nordkoreanische Staat, laut Maull, nicht länger überlebensfähig sei.[2]

Fakt ist, dass beide Zitate zwei Gemeinsamkeiten aufweisen: So sind sie erstens inhaltlich weder neu[3] noch sind sie zweitens bisher Realität geworden. Dennoch drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, wie stabil dieses totalitäre politische System tatsächlich noch ist.

Aus diesem Grund beschäftigt sich die vorliegende Bachelorarbeit mit der Thematik der Systemstabilität sowie den sich daraus ergebenden zukünftigen Überlebenschancen des Staates Nordkorea. Der Fokus der Arbeit liegt hierbei jedoch eindeutig auf der Analyse der gegenwärtigen Systemstabilität.

Zwecks dieser Untersuchung wird sich einer zweigleisigen Analyseebene bedient. Die erste, umfassendere Ebene beschäftigt sich ausschließlich mit innenpolitischen Einflussfaktoren, um somit festzustellen, welche Faktoren in welchem Maße ursächlich zur gegenwärtigen Systemstabilität beitragen.

Hierbei geht es vor Allem um die Ursachenforschung, wieso die Ideologie nach wie vor eine solch übergeordnete Rolle in Nordkorea spielt. Mit dem ideologischen Ansatz einhergehend wird sowohl die Rolle der allgegenwärtigen Herrscherfamilie Kim als auch die innenpolitische Rolle des Militärs hinsichtlich des Einflusses auf die Systemstabilität untersucht.

Darauf aufbauend setzt sich die Arbeit mit dem Machtverhältnis zwischen dem einflussreichen Militärapparat und der alleinherrschenden „Partei der Arbeit Nordkoreas“ (PdAK)[4] auseinander. In diesem Kontext steht die Frage im Mittelpunkt, warum sich in der jüngeren Vergangenheit der politische Einfluss zunehmend zu Gunsten des Militärs verlagerte und welche Ursachen hinter dieser innenpolitischen Machtverschiebung stecken.

Des Weiteren soll mit Hilfe dieser Analyseebene geklärt werden, wieso bis zum heutigen Tage - der enormen ökonomischen Probleme und großen Hungersnöte zum Trotz - keinerlei langfristige wirtschaftliche Liberalisierungen und Reformen in Nordkorea durchgeführt wurden.

Folglich soll die beschriebe innenpolitische Ebene nicht nur einen ideologischen, sondern ebenso einen politischen sowie wirtschaftlichen Untersuchungsansatz im Hinblick auf mögliche Ursachen für eine Systeminstabilität Nordkoreas darstellen.

Die zweite, kürzer gefasste Analyseebene, wiederum beschäftigt sich mit den außenpolitischen Einflussfaktoren auf die Stabilität des Systems.

Einerseits geht es in diesem Punkt um die Beziehungen zwischen Nordkorea und seinen drei wichtigsten internationalen Partnern. So liegt der Schwerpunkt vor Allem auf den Kontakten zwischen Nordkorea und China sowie auf dem traditionell angespannten Verhältnis Nordkoreas zu Südkorea und den USA.

Andererseits untersucht der Abschnitt die unterschiedlichen Motive der genannten Nationen an einem weiteren Überleben dieses häufig scheinbar irrational handelnden und zugleich außenpolitisch aggressiven sowie wirtschaftlich stark angeschlagenen Staates.

Mit Hilfe der beschriebenen zweigleisigen Analyse sollen somit die Ursachenkomplexe ausgearbeitet und untersucht werden, welche eine destabilisierende Wirkung auf das derzeitige politische System haben könnten.

Dementsprechend ist das Ziel dieser Arbeit, auf Grundlage der Untersuchung möglicher interner beziehungsweise externer Veränderungspotentiale das gegenwärtige politische System Nordkoreas auf seine Stabilität hin zu untersuchen, um dadurch abschließend im Fazit eventuelle Gefahren für einen Systemwechsel und damit für das Überleben des Systems herausstellen zu können. Ein solcher potentieller Destabilisierungsfaktor könnte beispielsweise die zwangsläufig zu klärende Nachfolgeregelung Kim Jong-Ils sein.

In diesem Zusammenhang ist einschränkend zu erwähnen, dass die vorliegende Arbeit keinen Anspruch auf die Vollständigkeit sämtlicher möglicher Ursachenkomplexe für einen Systemwandel erheben kann, sondern lediglich, die aus Sicht des Autors am Wahrscheinlichsten innen- beziehungsweise außenpolitischen Veränderungspotentiale für einen Wandel behandelt.

Die Problematik, dass die Frage der tatsächlichen Ursachen für einen solchen Systemwechsel erfahrungsgemäß erst nach dessen Eintritt seriös beantwortet werden kann, erschwert die Untersuchung zusätzlich. Davon abgesehen zeigt die jüngere Geschichte der Systemwechsel seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, dass stets eine Verkettung mehrerer unterschiedlicher Faktoren einen Systemwandel hervorbrachten und somit jeder Umsturz eine spezifische Zusammensetzung verschiedener Ursachenkomplexe beinhaltete. Diese Vielfalt der einzelnen Ursachen macht eine allgemein gültige Definition, welche Ursachen zwingend solch einen Wandel vorhersehbar bedingen, daher praktisch unmöglich.

Nichtsdestotrotz gibt es in der aktuellen Literatur, auf das nordkoreanische Fallbeispiel bezogen, immer wiederkehrende Erklärungsansätze für einen möglichen Systemwandel, welche die Untersuchungsgrundlage der oben geschilderten zweigleisigen Analyse darstellen.

Auf Grund der Tatsache, dass sich kaum ein zweites Land seit Jahrzehnten in einem solchen Maße von der Außenwelt abschottet wie Nordkorea, ist die Anzahl an brauchbaren Quellen verhältnismäßig gering. Deswegen setzt sich der Großteil der verarbeiteten Quellen aus Untersuchungen von südkoreanischen oder westlichen Politikwissenschaftlern sowie aus Einschätzungen von Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen, Journalisten, ehemaligen Botschaftern in Nordkorea und einigen wenigen Flüchtlingen zusammen.

Das erste innenpolitische Feld, das hinsichtlich seines Beitrags zur Systemstabilität untersucht werden soll, bezieht sich auf die staatstragende „Juche-Ideologie“. Hierbei geht es insbesondere um die Frage, welchen Beitrag die allgegenwärtige Ideologie zur weiteren Systemstabilität leisten kann beziehungsweise welche Funktion sie im

politischen System Nordkoreas innehat. Anschließend wird diese Untersuchungsmethode auf die „Songun-Ideologie“ (Militär-zuerst-Strategie) angewendet.

2. Die „Juche-Ideologie“

Die „Juche-Ideologie“ wurde 1955 von Staatsgründer Kim Il-Sung eingeführt. Wörtlich übersetzt bedeutet „Juche“Subjekt. Zentrales ideologisches Subjekt ist dabei, neben dem gemäß nordkoreanischer Verfassung „ewigen Präsidenten“ Kim Il-Sung, sein Nachfolger Kim Jong-Il. Die propagandistische Argumentationskette verdeutlicht dies, indem dem Volk oktroyiert wird, dass Nordkorea dank der „Juche-Ideologie“ im alleinigen Besitz der Wahrheit ist und daher über den Schlüssel zum Fortschritt der Menschheit verfügt. Hüterin dieses Wissens über die Wahrheit ist allein die Partei. Die Partei wiederum ist das Instrument des (Staats)Führers, da das unmündige Volk einen Führer braucht.[5]

Neben diesem allgegenwärtigen Führergedanken ist ein weiteres wichtiges Merkmal der Staatsideologie die Betonung der nationalen Eigenständigkeit und Autarkie. Dabei steht in erster Linie nicht die ökonomische Autarkie im Vordergrund, sondern primär geht es um ideologische Eigenständigkeit. Diese Eigenständigkeit wurde außenpolitisch insbesondere ab Mitte der 60iger Jahre forciert, als Kim Il-Sung notgedrungen die einträgliche Symbiose mit den wechselnden Partnern in Moskau und Peking notgedrungen aufgeben und dieses Vorgehen ideologisch begründen musste. Ideologisches Ziel war dabei, außenpolitisch weder dem Vorbild Moskaus noch Pekings folgen zu müssen, ohne dabei jedoch gleichzeitig in Widerspruch zu beiden Lagern zu geraten.[6]

Programmatisch betrachtet ist „Juche“ ein einzigartiges Sammelsurium bestehend aus marxistisch-leninistischen Einflüssen kombiniert mit konfuzianischen Hierarchievorstellungen sowie vor Allem nationalistischen Elementen, welche „Juche“ insgesamt zu einer nur schwer greifbaren, im täglichen Leben allerdings omnipotenten, Universaltheorie verschmelzen läßt.[7]

Folglich ist es durchaus legitim, „Juche“ als angewandte Form des „Kimismus“ zu bezeichnen, da es pragmatisch betrachtet die ideologische Rechtfertigung für den geschaffenen Zustand kimistischer Selbstherrschaft darstellt[8], und als solche ideologische Zwangsordnung jegliche Form von pluralistischer Denkweisen durch strikte Zensur, Repressionen und Überwachung unterdrückt.

Exemplarisch für die Ausrichtung der Ideologie auf den kimistischen Führerstaat kann ein Zitat von Ho Dam, Mitglied des Politbüros der Partei, von 1988 angeführt werden. Demgemäß sei „der Juchestandpunkt zum Leben das kollektivistische Herangehen an das Leben, dessen Kern wiederum die revolutionäre Orientierung auf den Führer sei“. Kim Il-Sung persönlich sprach 1974 gar von einer neuen staatstragenden Philosophie, die „ausschließlich vom Führer geschaffen ist“.[9]

So gesehen ist es wenig verwunderlich, dass in der jeder Schule, in jedem Betrieb und in jeder Kaserne extra Räume vorhanden sind, in denen ausschließlich die Werke der Kims studiert werden können.

2.1. Die Funktion der „Juche-Ideologie“

Der Österreicher Walter Pfabigan, der Anfang der 80iger Jahre als Austauschstudent in Pjongyang den stundenlangen, sich täglich wiederholenden Frontalunterricht selber miterlebte, beschreibt die „Juche-Lehre“ wie folgt: „Das Ziel einer Erziehung in „Juche“ ist nicht der kompetent-kritische Diskutant der Ideen des Führers, sondern der gehorsame Untertan.“[10]

Dieses extrem enge und zugleich unkritische Verhältnis zwischen „Großem Führer“ und Volk kann selbstverständlich nur solange bestehen, wie die permanente ideologische Indoktrination überdies in staatliche Zensur eingebettet ist. Ausländische Informationsquellen sind für die nordkoreanische Bevölkerung nicht zugänglich. Sämtliche Fernseh- und Radiogeräte sind auf staatliche Sendefrequenzen fixiert. Der Kontakt zu Ausländern ist nur wenigen, speziell geschulten Personen gestattet. Auch koreanische (Geschichts)Bücher, die vor 1945 publiziert wurden, sind weitestgehend

verbannt. Lediglich staatlich zensierte Zeitungen und Zeitschriften stehen der Bevölkerung als weitere Informationsquelle uneingeschränkt zur Verfügung.[11]

Dementsprechend sorgt dieses führerzentrierte staatliche Meinungsmonopol, bestehend aus jahrzehntelanger Zensur und allgegenwärtiger Propaganda, dafür dass es keinerlei Kritik oder Widersprüche des Volkes am bestehenden politischen und gesellschaftlichen System mehr gibt und das Volk somit eine führertreue, unkritische und homogene Gefolgschaft bildet.

Die Schuld für offensichtlichen Mangel sowie die marode Wirtschaft wird dabei einzig dem Ausland, den sogenannten „Volksfeinden“, zugeschrieben. Infolgedessen werden ausländische Hilfslieferungen, wie beispielsweise deutsche Rindfleischlieferungen, dem Volk offiziell nicht als Hilfslieferungen verkauft, sondern als Tributzahlungen an den „mächtigen“ nordkoreanischen Staat und sein Volk.

Der letzte DDR-Botschafter in Pjöngjang, Hans Maretzki, spricht hinsichtlich dieser realitätsfernen nationalen Regimetreue gar von „ideeler Verkrüppelung“.[12]

Dabei bedient das künstlich gezüchtete ausländische Feindbild einerseits einen historisch gewachsenen gesamtkoreanischen Reflex nach jahrzehntelanger ausländischer Unterdrückung und Bevormundung und andererseits dient es zugleich als Legitimation für die fortschreitende Militärisierung des Landes.

2.2. Die „Songun-Ideolgie“

So folgte Mitte der 90iger Jahre die wichtige Erweiterung des ideologischen Kanons um das „Songun-Prinzip“ (Militär-zuerst-Politik), welches mittlerweile neben dem „Juche-Prinzip“ im Mittelpunkt der nordkoreanischen Staatsideologie steht. Eingeleitet wurde diese Entwicklung bereits im Dezember 1991, als Kim Jong-Il von seinem Vater, Kim Il-Sung, zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt wurde. Nachdem anschließend 1998 die „Nationale Verteidigungskommission“ unter dem Vorsitzenden Kim Jong-Il zum „höchsten militärischen Führungsorgan der Staatssouveränität“ aufgewertet wurde[13], gipfelte diese zunehmende ideologische Fokussierung auf das Militär 2003 schließlich in einer offiziellen Stellungsnahme des Regimes, in der es hieß, dass nun „der Gewehrlauf seinen Platz über dem Hammer und der Sichel habe“.

Hierdurch wurde das Militär endgültig zur tragenden Säule der nordkoreanischen Revolutionsstrategie und die „Songun-Ideologie“ wiederum zur höchsten staatlichen, ideologischen Handlungsmaxime.[14]

2.3. Die Funktion der „Songun-Ideologie“

Während das erklärte Ziel der „Juche-Ideolgie“ in erster Linie in der Erziehung zum gehorsamen und führertreuen Untertanen liegt, dient die „Songun-Ideologie“ primär zur außenpolitischen Abschreckung, da seit Einführung der „Militär-zuerst-Strategie“ eine enorme militärische Aufrüstung einsetzte. Demzufolge soll diese Aufrüstung nicht nur die USA und ihre Verbündeten vor einer zu aggressiven und möglicherweise existenzbedrohenden Politik gegenüber Nordkorea abhalten, sondern darüber hinaus stellt sie ein bedeutsames Erpressungsinstrument dar, welches es Pjöngjang immer wieder ermöglicht, internationale Sanktionen gegen das Regime abzumildern, wenn nicht sogar zu verhindern.

Möglich wurde die beispiellose Militärisierung der nordkoreanischen Bevölkerung vor Allem durch das jahrzehntelang propagierte überspitze Feindbild. Angesichts dieses systematischen Schüren von Angst vor einem südkoreanischen oder amerikanischen Angriff, kann das Regime einerseits die enorme Aufrüstung legitimieren und gleichzeitig dem Volk weitere Entbehrungen aufzwingen, da die Rüstungsindustrie, getreu der „Militär-zuerst-Strategie“, Vorrang vor allen weiteren Wirtschaftszweigen besitzt.

Die Armee dabei als eigene Machtstütze zu wählen, hat für Kim Jong-Il zudem einige unbestreitbare innenpolitische Vorteile: Offiziere denken nationaler als Zivilisten; abgesehen davon haben Soldaten in Nordkorea einen höheren Lebensstandard als die einfache Bevölkerung. Alleine deshalb besitzen sie ein höheres Interesse, den status quo zu wahren. Dementsprechend kommt der ehemalige japanische Regierungsberater Hajime Izumi zu dem Urteil, dass „so lange das Militär die Privilegien behalten kann, die es heute genießt, es auch keine ernsthaften Spannungen an der Führungsspitze geben wird.“ Als Beleg für die angesprochene einträgliche Symbiose zwischen Kim und seinem Militärapparat überraschte Kim Jong-Il seine Generäle 1998 mitten in der großen nordkoreanischen Hungersnot mit 200 Mercedes S-Klasse Limousinen zum Stückpreis von je 100.000$.[15]

Überdies gibt es allerdings noch eine dritte wichtige Funktion der „Militär-zuerst-Strategie“: Denn sofern man Nordkorea eine zumindest graduelle ökonomische Modernisierung nach chinesischem Vorbild unterstellt, wird der diesbezügliche Nutzen der „Songun-Ideologie“ offensichtlich.

Die Grundidee dabei ist die Einführung marktwirtschaftlicher Anreizmechanismen unter gleichzeitiger Wahrung des Machtmonopols der Kommunistischen Partei. Diesen theoretischen Widerspruch löst „Songun“ insofern, dass praktisch beinahe jeder nordkoreanische Bürger zum Militär gehört. Hierbei ist es unerheblich, ob es sich um aktive Soldaten, Reservisten, Unternehmen, die für das Militär tätig sind, oder gar Unternehmen, mit deren Gewinnen das Militär finanziert wird, handelt. Der Vorteil der ideologischen Flexibilität ist offensichtlich, da die Zugehörigkeit zu dieser neuen gesellschaftlichen Gruppe nahezu willkürlich durch die politische Führung definiert werden kann. Somit wird durch die beschriebene ideologische Erweiterung eine Kompatibilität zwischen einer, zugegebenermaßen äußerst widerwillig verlaufenden, wirtschaftlichen Modernisierung einerseits und der sozialistischen Staatsideologie andererseits erreicht.

2.4. Der Beitrag der „Juche-“ und „Songun-Ideologie“ zur weiteren Systemstabilität

Fest steht, dass insbesondere durch die jahrzehntelange Zensur und konsequente Verfolgung von Systemkritikern die nordkoreanische Bevölkerung, aller massiven wirtschaftlichen Mangelerscheinungen zum Trotz, keinerlei öffentliche Zweifel an der Richtigkeit der Staatsideologie zu hegen scheint. Eine solche Beobachtung konnten weder ehemalige ausländische Diplomaten noch nordkoreanische Flüchtlinge im Land ausmachen. Folglich leistet die Kombination aus „Juche“ und „Songun“ einen ganz erheblichen Anteil zur weiteren Systemstabilität, da hierdurch nicht nur der Kimistische Machtanspruch begründet und weiter gefestigt wird, sondern außerdem - bedingt durch die Einzigartigkeit und ideologische Autarkie beider Ansätze – eine extrem flexible und vielfältige Interpretation dieser Ideologie durch die Partei dem mittlerweile blindgläubigen Volk oktroyiert werden kann.

Exemplarisch für diese im Zweifel nahezu willkürliche ideologische Auslegung sind die marktwirtschaftlichen Reformen aus den Jahren 2002/2003, welche nach kurzer Experimentierphase umgehend von der Kommunistischen Partei wieder rückgängig gemacht wurden.[16] Die jahrzehntelange massive ideologische Durchdringung des Volkes sowie die damit einhergehende Verbannung jeglichen Pluralismus aus der Gesellschaft unterstreicht dabei lediglich die zynische Entschlossenheit der politischen Führung, dem Erhalt des Regimes unbedingten Vorrang einzuräumen.

Dementsprechend scheint dem Streben der nordkoreanischen Führung nach Machterhalt ideologisch betrachtet nichts im Wege zu stehen, da die beiden verbliebenen potentiellen Gefahrenherde außerhalb der Parteikreise, das Volk und das Militär, durch die beinahe beliebige Definierbarkeit von „Juche“ und „Songun“ entweder durch Unterdrückung oder durch das Gewähren wertvoller Privilegien mundtot gemacht wurden.

Nachdem der ideologische Beitrag zur Systemstabilität nun geklärt wurde, stellt sich im kommenden Kapitel die Frage nach der derzeitigen Machtstellung der Kommunistischen Partei innerhalb des politischen Systems Nordkoreas. Besonderes Augenmerk in diesem Zusammenhang liegt auf dem Machtverhältnis zwischen der Partei und der zunehmend priviligierten Stellung des Militärs, um somit feststellen zu können, inwiefern in diesem Bereich eventuelle instabilisierende Faktoren für das Überleben des derzeitigen Regimes existieren.

3. Die Machtstellung der Kommunistischen Partei innerhalb des politischen Systems in Nordkorea

Das politische System Nordkoreas kennzeichnet sich durch eine Dreiteilung, bestehend aus einer engen Verflechtung zwischen der Kommunistischen Partei (PdAK) sowie dem Staat und Militär. So war Staatsgründer Kim Il-Sung lange Zeit in Personalunion Generalsekretär der PaAK, Oberkommandierender der Streitkräfte und Präsident der Demokratischen Volksrepublik Koreas (DVRK).

[...]


[1] vgl. Jackson, Andy: Kim Jong-Nam:North Korea will collapse soon, in: Asien correspondent, 26.10.2010,http://asiancorrespondent.com/41920/kim-jong-nam-north-korea-will-collapse-soon/, abgerufen am 26.09.2011

[2] vgl. Maull, Hanns W.: Nordkorea am Ende?, in: Moeskes, Christoph (Hrsg.), Nordkorea – Einblicke in ein rätselhaftes Land, 1. Auflage, Bonn, Christoph Links Verlag, 2009, S.213,214

[3] Bereits zu Beginn der 90iger Jahre, sowohl bedingt durch die akuten ökonomischen Probleme des Landes, als auch durch die zu klärende politische Nachfolgeregelung des Staatsgründers Kim Il-Sung prophezeite der Großteil der ausländischen Beobachter ein rasches Kollabieren des nordkoreanischen Systems. Stellvertretend für diese weitverbreitete Expertenmeinung kann sich auf die Aussage des ehemaligen CIA-Chefs, John Dutch, von 1996 bezogen werden, der ein Zusammenbrechen Nordkoreas innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre vorhersagte.

vgl. Noland, Marcus: Korea after Kim Jong-Il, 1. Auflage, Washington, Institute for International Economics, 2004, S.14,15

[4] Im Folgenden auch die „Kommunistische Partei“, „Partei der Arbeit“ oder die „Kommunistische Partei Nordkoreas“ genannt.

[5] vgl. Fritz, Martin: Schauplatz Nordkorea: Das Pulverfass im Fernen Osten, 1. Auflage, Freiburg, Herder Verlag, 2004, S.25

[6] vgl. Frank, Rüdiger: Nordkorea: Zwischen Stagnation und Veränderungsdruck, in: Derichs, Claudia, Heberer, Thomas (Hrsg.), Einführung in die politischen Systeme Ostasiens, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, 2008, S.381

[7] vgl. Moeskes, Christoph: Einleitung, in: Moeskes, Christoph (Hrsg.), Nordkorea – Einblicke in ein rätselhaftes Land, 1. Auflage, Bonn, Christoph Links Verlag, 2009, S.13

[8] So endet seit 1998 die Präambel der nordkoreanischen Verfassung mit den Worten: „Die sozialistische Verfassung der DVRK ist eine Kim Il-Sung Verfassung, welche die vom Genossen Kim Il-Sung entwickelte, auf dem „Juche“ basierende Ideologie des Staatsaufbaus und seine entsprechenden Errungenschaften rechtlich verkörpert.“

vgl. Frank, Rüdiger: Nordkorea: Zwischen Stagnation und Veränderungsdruck, in: Derichs, Claudia, Heberer, Thomas (Hrsg.), Einführung in die politischen Systeme Ostasiens, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, 2008, S.392

[9] vgl. Maretzki, Hans: Kimismus in Nordkorea:Analyse des letzten DDR-Botschafters in Pjöngjang, 1. Auflage, Böblingen, Anita Tykve Verlag, 1991, S.69,70

[10] vgl. Pfabigan, Walter: Schlaflos in Pjöngjang. Vom gescheiterten Versuch, einen skeptischen Europäer zu einem Mitglied der Familie zu machen, 1. Auflage, München/Wien, Christian Brandstätter Verlag, 1986, S.85,99,102

[11] vgl. Moeskes, Christoph: Einleitung, in: Moeskes, Christoph (Hrsg.), Nordkorea – Einblicke in ein rätselhaftes Land, 1. Auflage, Bonn, Christoph Links Verlag, 2009, S.17

[12] vgl. Maretzki, Hans: Kimismus in Nordkorea:Analyse des letzten DDR-Botschafters in Pjöngjang, 1. Auflage, Böblingen, Anita Tykve Verlag, 1991, S.82

[13] vgl. Maull, Hanns W.: Nordkorea am Ende?, in: Moeskes, Christoph (Hrsg.), Nordkorea – Einblicke in ein rätselhaftes Land, 1. Auflage, Bonn, Christoph Links Verlag, 2009, S.218

[14] vgl. Fritz, Martin: Schauplatz Nordkorea: Das Pulverfass im Fernen Osten, 1. Auflage, Freiburg, Herder Verlag, 2004, S.84,85

[15] vgl. ebd., S.87,88

[16] Zu diesen Maßnahmen von 2002/2003 zählten vor Allem Lohnerhöhungen, die Ausweitung der Entscheidungskompetenzen der Führungspersonen in Unternehmen sowie die Legalisierung von Tauschmärkten. Diese Liberalisierungstendenzen wurden jedoch bereits ab 2004 wieder schrittweise revidiert. Zuerst wurde im Mai 2004 jegliche private Nutzung von Mobiltelefonen untersagt, anschließend wurde im Oktober 2007 vom Zentralkomitee festgestellt, dass auf Grund der wirtschaftlichen Öffnungsmaßnahmen ausländische Produkte mittlerweile weit verbreitet seien und „gefährliche Fantasien über den Feind Vorschub leisten“, weswegen diese Maßnahmen umgehend rückgängig gemacht wurden. vgl. Lankov, Andrei: Pyongyang strikes back:North Korean Policies of 2002-2008 and Attempts to Reverse „De-Stalinization from Below“, in: Asia Policy, Juli 2009, Band 8, S.60

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842823723
Dateigröße
384 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ruhr-Universität Bochum – Ostasienwissenschaft, Studiengang Wirtschaft und Politik Ostasiens
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Note
2,5
Schlagworte
nordkorea system jong-il systemstabilität
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Titel: Wie lange leben Totgesagte?
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