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Sexueller Missbrauch als ätiologischer Faktor der Borderline-Persönlichkeitsstörung?

Eine Evaluation der Literatur

©2009 Bachelorarbeit 65 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (zukünftig mit ‘BPS’ abgekürzt) zählt im DSM-IV unter den Persönlichkeitsstörungen zum Cluster B. Dieses umfasst diejenigen Persönlichkeitsstörungen, die sich durch ein dramatisches, launenhaftes und emotionales Verhalten auszeichnen. Neben der Borderline-Störung zählen hierzu auch die histrionische, narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörung. In erster Linie ist die BPS durch eine Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und den Affekten gekennzeichnet und somit von einer deutlichen Impulsivität geprägt.
Im DSM-IV sind die unten aufgelisteten Kriterien zur Beschreibung der BPS zu finden. Für eine Diagnosestellung sind fünf der neun Kriterien ausreichend. Dies hat zur Folge, dass das Erscheinungsbild der BPS sehr breit gefächert ist.
Kriterium 1:
Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. (Suizidale oder selbstverletzende Handlungen werden nicht berücksichtigt, da diese in Kriterium 5 enthalten sind)
Kriterium 2:
Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
Kriterium 3:
Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
Kriterium 4:
Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Fressanfälle). (auch hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, da diese in Kriterium 5 enthalten sind)
Kriterium 5:
Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
Kriterium 6:
Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung.
Kriterium 7:
Chronische Gefühle von Leere.
Kriterium 8:
Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren
Kriterium 9:
Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.
Die Inzidenz der BPS hat ihren Höhepunkt im frühen Erwachsenenalter. Ihre Lebenszeitprävalenz liegt in der Bevölkerung bei 1-2%, wobei Frauen weitaus häufiger betroffen sind als Männer (ca. 70-75% der Diagnosen). Borderline-Patienten gehören zu denjenigen Patienten, die am ehesten bereit sind eine Therapie zu machen (meist aus Gründen der wiederholten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

0 Danksagung

1 Zusammenfassung

2 Einleitung

3 Methoden

4 Studienergebnisse
4.1 Prävalenz des sexuellen Missbrauchs bei Borderline-Patienten
4.2 Gruppenunterschiede bezüglich des sexuellen Missbrauchs
4.3 Korrelation zwischen sexuellem Missbrauch und BPS
4.4 Odds Ratio für BPS
4.5 Prädiktoren für den Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und BPS
4.6 Prävalenz der BPS bei sexuell Missbrauchten
4.6.1 Prävalenz von sexuellem Missbrauch in der Allgemeinbevölkerung
4.6.2 Langzeitfolgen von sexuellem Missbrauch
4.7 Zusammenhang einzelner BPS-Symptome und sexuellem Missbrauch
4.7.1 Angst vor dem Alleinsein oder Verlassenwerden (Kriterium 1)
4.7.2 Instabilität in den Beziehungen (Kriterium 2)
4.7.3 Identitätsdiffusion (Kriterium 3)
4.7.4 Selbstmordversuche und Selbstschädigung (Kriterium 5)
4.7.5 Affektive Instabilität (Kriterium 6)
4.7.6 Massive Ärger- und Wutreaktionen (Kriterium 8)
4.7.7 Dissoziative und psychosenahe Symptome (Kriterium 9)

5 Diskussion
5.1 Auswertung der Studienergebnisse
5.2 Zukünftige Forschung

6 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

7 Literaturverzeichnis

0 Danksagung

Mein Dank gilt:

Fr. Prof. Dr. Rockstroh für die hilfreiche und geduldige Unterstützung bei der Erstellung der Bachelorarbeit,

Dr. Odenwald dafür, dass er sich so kurzfristig als Zweitprüfer zur Verfügung gestellt hat,

Dr. Nagl, Jan Querengässer und Nina Meyer-Blankenburg für die Klärung bei statistischen Fragestellungen und last but not least

meiner lieben Kommilitonin Ulrike Stalitza für das Korrekturlesen der Arbeit.

1 Zusammenfassung

In der Literatur zur Ätiologie der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) findet man immer wieder Hinweise auf traumatische Lebensereignisse, insbesondere sexuellen Kindesmissbrauch. In der vorliegenden Arbeit geht es darum zu untersuchen, ob aktuelle Studien die Hypothese stützen, dass es einen korrelativen Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und der BPS gibt (Hypothese 1) oder dass sexueller Missbrauch sogar ein ursächlicher Faktor bei der Entstehung der BPS ist (Hypothese 2).

Mittels der Datenbanken PsycINFO, PubMed und PILOTS wurden Artikel ab dem Jahr 1999 recherchiert, die speziell auf den Zusammenhang zwischen BPS und sexuellem Missbrauch fokussierten (anstelle anderer Formen frühkindlichen Stresses) und in denen die Borderline-Störung als Ganzes (anstatt einzelner Borderline-Symptome) betrachtet wurde.

In den ausgewählten 24 Studien wurde der Zusammenhang zwischen der Entstehung der Borderline-Störung und sexueller Missbrauchserfahrung durch unterschiedliche statistische Verfahren analysiert. Die Prävalenz von sexuellem Kindesmissbrauch unter Borderline-Patienten lag zwischen 34,2 und 87,5%. Zwölf von 14 Studien, die Borderliner mit den unterschiedlichsten Kontrollgruppen (Gesunde und Probanden mit anderen Störungsbildern) in Bezug auf diese Prävalenzrate verglichen, ergaben signifikant häufiger Missbrauchserfahrungen bei Borderline-Patienten. Eine durchgeführte Latent-Class-Analyse zeigte einen linear ansteigenden Zusammenhang zwischen der Häufigkeit erlebten sexuellen Missbrauchs und der Schwere der BPS-Symptomatik, welche in vier Ausprägungsgrade abgestuft wurde. Untersuchungen zur Korrelation ergaben eine geringe bis mittlere Effektstärke für den Zusammenhang zwischen der Diagnose einer Borderline-Störung und der Erfahrung sexueller Traumata. Das Odds Ratio, dass in drei Studien errechnet wurde lag bei 3,98, 4,5 und 17,6. Eine von fünf Studien, im Rahmen derer der ursächliche Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und der Entwicklung einer BPS untersucht wurde, wies sexuellen Missbrauch als signifikanten Prädiktor aus. In den restlichen vier Studien erklärten andere Faktoren den ätiologischen Zusammenhang zur BPS besser.

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bestätigen somit, wie schon Studien in der Vergangenheit (vor 1999), dass ein Zusammenhang zwischen sexuellen Missbrauchserfahrungen und der Entwicklung einer Borderline-Symptomatik nicht von der Hand zu weisen ist (Hypothese 1). Die Untersuchungen zu Prädiktoren zeigen, dass sexueller Missbrauch ein ursächlicher Faktor sein kann, jedoch nicht sein muss, d.h. die BPS kann auch aufgrund anderer traumatischer Erfahrungen oder auch ganz ohne diese entstehen. Hypothese 1 konnte somit- im Gegensatz zu Hypothese 2- bekräftigt werden.

Grund für die scheinbar vielfältigen ätiologischen Wege, die zur Entwicklung einer BPS führen, könnte die breit angelegte Definition der Störung sein. Die zukünftige Forschung sollte meiner Meinung nach daher die bereits begonnen Bemühungen der Neudefinition und der Klassifizierung von Subtypen der BPS mit verschiedenen ätiologischen Ursachen fortsetzen. Dabei sollten auch die traumatischen Kindheitserfahrungen im Detail untersucht werden, da sehr viele Parameter Einfluß auf die Schwere der Folgen haben. Sexueller Missbrauch führt nicht zwangsläufig zur BPS, vielmehr spricht einiges dafür, dass manifest gewordene Gefühle durch frühkindlichen Stress jeglicher Art (Verlust, Missbrauch, Vernachlässigung etc.) in Kombination mit erlernten Abwehrmechanismen zu bestimmten Symptomen der BPS führen. Hier gilt es also zu untersuchen aus welcher Art, Kombination und Schwere von frühkindlichem Stress, welche BPS-Symptome entstehen.

2 Einleitung

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (zukünftig mit „BPS“ abgekürzt) zählt im DSM-IV (Saß, 2003) unter den Persönlichkeitsstörungen zum Cluster B. Dieses umfasst diejenigen Persönlichkeitsstörungen, die sich durch ein dramatisches, launenhaftes und emotionales Verhalten auszeichnen. Neben der Borderline-Störung zählen hierzu auch die histrionische, narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörung. In erster Linie ist die BPS durch eine Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und den Affekten gekennzeichnet und somit von einer deutlichen Impulsivität geprägt.

Im DSM-IV (Saß, 2003) sind die unten aufgelisteten Kriterien zur Beschreibung der BPS zu finden. Für eine Diagnosestellung sind fünf der neun Kriterien ausreichend. Dies hat zur Folge, dass das Erscheinungsbild der BPS sehr breit gefächert ist.

Kriterium 1:

Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. (Suizidale oder selbstverletzende Handlungen werden nicht berücksichtigt, da diese in Kriterium 5 enthalten sind)

Kriterium 2:

Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.

Kriterium 3:

Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.

Kriterium 4:

Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Fressanfälle). (auch hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, da diese in Kriterium 5 enthalten sind)

Kriterium 5:

Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.

Kriterium 6:

Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung.

Kriterium 7:

Chronische Gefühle von Leere.

Kriterium 8:

Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren

Kriterium 9:

Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Die Inzidenz der BPS hat ihren Höhepunkt im frühen Erwachsenenalter. (Saß, 2003). Ihre Lebenszeitp rävalenz liegt in der Bevölkerung bei 1-2% (Swartz, Blazer, George, & Winfield, 1990), wobei Frauen weitaus häufiger betroffen sind als Männer (ca. 70-75% der Diagnosen (Widiger & Weissman, 1991), (Saß, 2003), auch (Davison, Hautzinger, & Neale, 2007)). Borderline-Patienten gehören zu denjenigen Patienten, die am ehesten bereit sind eine Therapie zu machen (meist aus Gründen der wiederholten Suizidalität ((Saß, 2003)), welche bei 5-10% liegt ((Berger & Al-Shajlawi, 2008)))- sie machen ca. 10 % der ambulanten und ungefähr 20 % der stationären psychiatrischen Patienten aus(Saß, 2003). In klinischen Populationen mit Persönlichkeitsstörungen beträgt der Anteil sogar 30-60 % (Saß, 2003).

Komorbide Störungen sind bei beiden Geschlechtern affektive Störungen- angeführt von der Major Depression (85 bzw. 76%), Substanzmissbrauch bzw. –abhängigkeit, Angststörungen (beide Geschlechter >80%), Essstörungen und weitere Persönlichkeitsstörungen. Dabei gibt es folgende Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Bei Frauen treten häufiger Angststörungen auf (insbesondere in Form der posttraumatischen Belastungsstörung mit 61%). Ebenso zeigen sich Essstörungen vermehrt bei Frauen (62 vs. 21%). Männer liegen dagegen beim Substanzmissbrauch deutlich vorne (82 vs. 60%). Die exakten Prozentwerte aller untersuchten Störungen können Tabelle 1 entnommen werden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Komorbidität mit anderen psychischen Störungen (Achse I); Auszug aus: (Zanarini et al., 1998)

Betrachtet man die Achse-II-Störungen gesondert (siehe Tabelle 2), so treten bei Frauen und Männern gehäuft weitere Persönlichkeitsstörungen aus dem Cluster B auf. Bei Männern kommt im gleichen Maße gehäuft die paranoide Persönlichkeitsstörung hinzu.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Komorbidität mit anderen Persönlichkeitsstörungen (Achse II); Auszug aus: (Zanarini et al., 1998)

Erkenntnisse zum Verlauf der BPS ermöglichen Langzeitstudien. Im Rahmen der Studie von (Zanarini, Frankenburg, Hennen, & Silk, 2003), wurden alle zwei Jahre während einer Gesamtstudiendauer von zehn Jahren 242 Borderline-Patienten untersucht. Dabei zeigte sich insgesamt ein deutlich positiveres Bild des Störungsverlaufs, als bislang vermutet. 84% der BPS-Patienten erreichten den Zustand der Remission. 39,3% hiervon erstmals bis zum 2-Jahres-Follow-up, weitere 22,3% bis zum 4-Jahres-Follow-up, zusätzliche 21,9% bis zum 6-Jahres-Follow-up, 12,8% bis zum 8-Jahres-Follow-up, and 3,7% bis zum 10-Jahres-Follow-up. Prädiktoren für eine kürzere Remissionszeit waren ein jüngeres Alter, das Fehlen von sexuellem Missbrauch, kein Substanzmissbrauch in der Familienanamnese, eine gute berufliche Laufbahn, keine weitere Cluster-B-Störung, niedriger Neurotizismus und hohe Verträglichkeit.

Eine zweite Langzeit-Verlaufsstudie, die CLPS-Studie, bestätigte weitgehend diese Ergebnisse ((Grilo et al., 2004) zitiert nach (Bohus & Schmahl, 2007)).

Die Ätiologie der Borderline-Persönlichkeitsstörung wird seit über 30 Jahren erforscht und verschiedene Theorien zur Entstehung der BPS vorgeschlagen (Davison et al., 2007), (Kernberg, 2000) und (Fiedler, 2007). Die drei maßgeblichen Theorien sind die Objekt-Beziehungs-Theorie (Vertreter sind Kernberg und Kohut), die Annahme einer genetischen Disposition und das Diathese-Stress-Modell nach Linehan.

Der Name „ Objekt-Beziehungs-Theorie “ fokussiert darauf, dass bei diesem Erklärungsansatz die internalisierten Repräsentationen der gefühlsmäßigen Beziehungen der Borderline-Patienten zu den wichtigen Bezugspersonen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen. Diese psychodynamische Theorie geht davon aus, dass schädliche Kindheitserfahrungen, wie beispielsweise sexueller Missbrauch, emotionale Vernachlässigung oder inkonsistente Betreuung, zur Ausbildung eines unsicheren Egos im Kind führen. Dies hat zur Folge, dass Borderline-Patienten ständig Bestätigung suchen und Spaltung als Abwehrmechanismen einsetzen. Objekte, die Welt oder die eigene Person werden so in Kategorien wie „gut“ und „böse“ eingeteilt, anstatt sie in ihrer Ganzheit wahrzunehmen, um sich vor potenziell verletzenden Beziehungserfahrungen zu schützen. Dadurch erklärt sich laut Kernberg die hohe Instabilität in den Affekten, Beziehungen und dem Selbstbild der Borderline-Patienten.

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die der Frage nachgingen, ob der BPS eine genetische Disposition zugrunde liegt. Es gibt für diese These gleichermaßen stützende wie auch widerlegende Befunde. Die Studie von (Torgersen et al., 2000) über Persönlichkeitsstörungen bei mono- und dizygoten Zwillingen, ergab Konkordanzraten von 35% für mono- und 7% für dizygote Zwillingspaare und stützt somit die Annahme eines genetischen Einflusses für die Entstehung von Persönlichkeitsstörungen. Es gibt außerdem die Vermutung, dass bei Borderlinern eine beeinträchtigte Funktionsweise des Frontallappens vorliegt, welcher eine Rolle bei der Verhaltensregulation spielt. Weitere Untersuchungen zeigen, dass sich durch Einnahme eines Serotoninspiegel erhöhenden Medikaments, Gefühle von Wut mindern lassen. Es wird somit im Umkehrschluss angenommen, dass ein niedriger Serotoninspiegel modulierend auf die Impulsivität der Borderline-Patienten wirkt.

Linehans Diathese-Stress-Modell postuliert, dass Menschen dann eine BPS entwickeln können, wenn bei ihnen in Bezug auf die Emotionsregulation eine biologische Diathese vorliegt und zudem stressvolle Kindheitserfahrungen gemacht werden. Dieser frühkindliche Stress kann körperlichen, psychischen (Vernachlässigung, Entwertung etc.) oder sexuellen Missbrauch betreffen oder andere traumatische Ereignisse (frühe Verluste etc.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Neurobehaviorales Modell der BPS

Laut (Saß, 2003) lässt sich diese Theorie dadurch begründen, dass sich auch empirisch in den Kindheitsgeschichten dieser Menschen körperlicher und sexueller Missbrauch, Vernachlässigung, feindselige Konflikte sowie früher Verlust oder frühe Trennung von den Eltern häufiger finden als bei anderen Störungen.

Dass bei rund dreimal so vielen Frauen wie Männern die BPS diagnostiziert wird und schätzungsweise doppelt so viele Frauen wie Männer als Kinder sexuell missbraucht werden (J. L. Herman, Perry, & Van der Kolk, 1989) zitiert nach (Rohde-Dachser, 2004), könnte ebenfalls ein Hinweis dafür sein, dass der sexuelle Missbrauch ein ätiologischer Faktor für die BPS ist.

Der Aufgabenstellung dieser Bachelorarbeit liegen somit zwei mögliche Hypothesen zugrunde:

1) Es liegt ein korrelativer Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und der BPS vor
2) Sexueller Missbrauch ist der ätiologische Faktor für die BPS

Erstere postuliert lediglich einen Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und der BPS, die zweite Hypothese unterstellt zusätzlich einen gerichteten Zusammenhang insofern, dass sexueller Missbrauch Prädiktor für die BPS ist.

3 Methoden

Die Literaturrecherche wurde mittels der psychologischen Fachdatenbanken „PsycINFO“, „PubMed“ und „PILOTS“ durchgeführt.

PsycINFO, betrieben von der American Psychological Association (APA), berücksichtigt Publikationen (Artikel, Bücher, Fallstudien etc.) aus ca. 2.000 Zeitschriften der Gebiete der Psychiatrie, Soziologie, Erziehungswissenschaften, Anthropologie, Pharmakologie, Physiologie, Kriminologie und Linguistik soweit sie für die Psychologie von Interesse sind.

PubMed umfasst u.a. die Datenbank MEDLINE, die 4.800 biomedizinische Zeitschriften aus den Bereichen Medizin, Zahnmedizin, vorklinische Fächer, Gesundheitswesen, Krankenpflege, Tiermedizin etc. umfasst, aber auch Randbereiche wie Biologie, Biochemie, Psychologie oder Sportmedizin. (Universität Regensburg, 2009)

Die bibliografische Datenbank PILOTS des National Center for Post-Traumatic Stress Disorder in White River Junction (Vermont), deckt die veröffentlichte internationale Literatur zum traumatischen Stress ab. Die Zusammenstellung in dieser Datenbank zielt darauf, ohne Beschränkung auf bestimmte Disziplinen, Sprachen oder Länder, alle Literaturzitate zu Folgeerkrankungen traumatischer Ereignisse nachzuweisen. Zu den in PILOTS berücksichtigten Themenbereichen zählen somit auch die BPS und solche Störungen, die ätiologisch und epidemiologisch mit der Erfahrung eines traumatischen Ereignisses verbunden sind. (Universität Regensburg, 2009)

In den genannten Datenbanken wurden mittels unterschiedlicher Kombination diverser Stichwörter die Abstracts (Zusammenfassungen) der Artikel durchsucht:

- „Borderline personality disorder“, „borderline“ oder „personality disorder“ wurde kombiniert mit
- „sexual abuse“, „childhood abuse“, „child abuse”, „abuse”, „maltreatment”, „trauma”, „early life stress” oder „etiology”.

Die mit den zuvor genannten Stichwörtern und deren Kombinationsmöglichkeiten gefundenen Artikel wurden in die Literaturverwaltung „ Refworks “ übertragen, um Duplikate mit Hilfe des Programms zu eliminieren. Als Resultat verblieben 588 Artikel, die die gewünschten Stichwörter im Abstract enthielten. Die Überprüfung jedes dieser Abstracts ermöglichte alle jene Artikel herauszufiltern, die auch tatsächlich empirisches Datenmaterial über den Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und der BPS enthielten. Alle Artikel (und die dazugehörigen Abstracts) können unter dem folgenden Link eingesehen werden: http://www.refworks.com/refshare?site=040471159167600000/RWWS1A674106/009151213007165000. Ausgeschlossen wurden beispielsweise Studien, die den sexuellen Missbrauch nicht getrennt von anderen Missbrauchsformen untersuchten, sondern nur Missbrauch im Allgemeinen betrachteten und Studien, die den Fokus auf Borderline-Symptomen (z.B. Dissoziation) gerichtet hatten, anstatt auf das gesamte Störungsbild der BPS. Nach diesem Screening verblieben 172 Studien. Diese Anzahl wurde weiter reduziert, indem die Studien ausgeschlossen wurden, die zwar untersuchten, welche Störungen (z.B. BPS) Kinder entwickeln, die sexuell missbraucht wurden, aber nicht in umgekehrter Richtung fragen, ob Borderliner in der Kindheit sexuellen Missbrauch erfahren haben. Von den verbliebenen 100 Studien wurden für die vorliegende Arbeit 24 berücksichtigt - all jene, die seit 1999 publiziert wurden:

(Arntz, Dietzel, & Dreessen, 1999; Bandelow et al., 2005; Bierer et al., 2003; Bradley, Jenei, & Westen, 2005; Brunner, Parzer, & Resch, 2001; Christopher, Lutz-Zois, & Reinhardt, 2007; Fossati, Madeddu, & Maffei, 1999; Guzder, Paris, Zelkowitz, & Feldman, 1999; Horesh, Sever, & Apter, 2003; Horesh, Ratner, Laor, & Toren, 2008; Laporte & Guttman, 2001; Lysaker, Wickett, Lancaster, & Davis, 2004; Machizawa-Summers, 2007; Renneberg, Weibß, Unger, Fiedler, & Brunner, 2003; Rosenthal, Cheavens, Lejuez, & Lynch, 2005; Sar, Akyüz, Kugu, Ozturk, & Ertem-Vehid, 2006; Simeon, Nelson, Elias, Greenberg, & Hollander, 2003; Thatcher, Cornelius, & Clark, 2005; Timmerman & Emmelkamp, 2001; Trull, 2001a; Trull, 2001b; Yen et al., 2002; Zanarini et al., 2002; Zelkowitz, Paris, Guzder, & Feldman, 2001)

Im Jahr 1999 wurde von Fossati et al. eine Studie veröffentlicht (Fossati et al., 1999), die die bisher einzige Meta-Analyse ist, die sich mit dem Thema „sexueller Missbrauch als ätiologischer Faktor der BPS“ beschäftigt hat. So knüpft diese Bachelorarbeit, indem sie die Studien von heute (April 2009) bis 1999 zurückverfolgt, nahtlos an die Ergebnisse von Fossati et al. an.

Diese 24 Studien wurden verglichen hinsichtlich:

- Stichprobengröße,
- verschiedener Kontrollgruppen,
- demografischer Variablen (Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status und Bildung),
- diagnostischer Verfahren zur Erfassung der BPS und der traumatischen Lebensereignisse und
- eingesetzter statistischer Analysen und Tests.

Da sich die aktuell ausgewerteten Studien hinsichtlich der angewandten Datenanalyse unterscheiden, wurden zur besseren Vergleichbarkeit jeweils die Ergebnisse gleicher Datenanalysen zusammengefasst. In einigen Studien wurden lediglich die Prävalenzangaben bezüglich sexuellen Missbrauchs bei Borderline-Patienten erfasst (Kap. 4.1), in anderen wurden diese Häufigkeiten auf signifikante Unterschiede in den Gruppen untersucht (Chi-Quadrat-Analysen, Varianzanalysen etc.) (Kap. 4.2). Es wurden verschiedene Arten von Korrelationen (partielle Korrelation, Pearson-Korrelation etc.) (Kap. 4.3) und Regressionsanalysen (logistische, hierarchische, schrittweise Regression etc.) (Kap. 4.4/4.5) angewandt. (Thatcher et al., 2005) hat eine Clusteranalyse durchgeführt (Kap. 4.2) und (Trull, 2001b) hat ein Structural Equation Model aufgestellt (Kap. 4.5).

Zur Diagnose der BPS wurden durchgehend standardisierte Diagnoseverfahren eingesetzt- entweder wurden Test wie z.B. DIB (Diagnostic Interview for Borderlines) oder DIPD (Diagnostic Interview for DSM Personality Disorders) angewandt oder eine Diagnose durch den Psychologen mithilfe des DSM oder ICD erstellt. Zur Erfassung des sexuellen Traumas wurden größtenteils standardisierte Verfahren wie z.B. der CTQ (Childhood Trauma Questionnaire) eingesetzt, in einigen Studien kamen jedoch auch selbstkonstruierte Fragebögen zum Einsatz. In nicht allen Studien wurden Angaben zur Reliabilität der Testverfahren gemacht, wurde jedoch Cronbachs Alpha angegeben, lag der Wert bei mindestens 0,68.

Bei der Auswertung der Daten wurden die in den Studien angegebenen Signifikanzangaben auf zwei Signifikanzwerte beschränkt: p<0,05 und p<0,01. Werte mit p<0,001 wurden als p<0,01 angegeben. P-Wert-Angaben wie z.B. p=0,028 wurden dem entsprechenden Signifikanzniveau (hier: p<0,05) zugeordnet.

Die Interpretation der Korrelationskoeffizienten erfolgte nach (Cohen, 1988):

r > 0,1 als „geringe Korrelation",

r > 0,3 als „mittlere Korrelation“ und

r > 0,5 als "hohe Korrelation".

4 Studienergebnisse

Die wissenschaftliche Untersuchung, ob sexueller Missbrauch ein ätiologischer Faktor für die BPS ist, kann aus zwei verschiedenen Richtungen angegangen werden. Borderline-Patienten können in Bezug auf Missbrauchserfahrungen mit anderen Patienten oder einer gesunden Kontrollgruppe verglichen werden, um festzustellen, ob Borderliner häufiger als andere in der Kindheit sexuell missbraucht wurden (Kap. 4.1-4.5). Umgekehrt können auch Opfer sexuellen Missbrauchs dahingehend untersucht werden, ob sie psychische Störungen entwickelten, wenn ja, welche vorrangig und ob die BPS zu jenen zählt (Kap. 4.6).

Etwa seit Mitte der 80er Jahre wurde der Zusammenhang zwischen kindlichem Missbrauch und der BPS wissenschaftlich untersucht. 1999 erschien eine Meta-Analyse von Fossati et al. (Fossati et al., 1999), die die bis dato vorhandenen wichtigsten Studien zum Zusammenhang zwischen sexuellem Missbrauch und der Ätiologie der BPS zusammenfasste. Die Meta-Analyse umfasste nicht nur Studien, bei denen der Fokus auf den Borderline-Patienten lag (I), sondern auch Studien, bei denen Missbrauchsopfer im Mittelpunkt standen (II):

- Untersuchungsziel I: Wurden Patienten mit BPS häufiger sexuell missbraucht als Personen aus Kontrollgruppen? Dazu wurden folgende Studien herangezogen:

(Baker, Silk, Westen, & Nigg, 1992; Byrne, Velamoor, Cernovsky, & Cortese, 1990; Goldman, D'Angelo, DeMaso, & Mezzacappa, 1992; J. L. Herman et al., 1989; Hurlbert, Apt, & White, 1992; Links, Steiner, Offord, & Eppel, 1988; Links & Van Reekum, 1993; Ludolph, Westen, Misle, & Jackson, 1990; Nigg et al., 1991; Ogata et al., 1990; Paris, 1994a; Paris, 1994b; Sansone, Sansone, & Wiederman, 1995; Waller, 1994; Weaver & Clum, 1993; Westen, Ludolph, Misle, Ruffins, & Block, 1990; Zanarini, Gunderson, Marino, & Schwartz, 1989)

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783842823402
DOI
10.3239/9783842823402
Dateigröße
577 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Konstanz – Psychologie, Studiengang Psychologie
Erscheinungsdatum
2011 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
sexueller missbrauch borderline-persönlichkeitsstörung ätiologie kindesmissbrauch
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Titel: Sexueller Missbrauch als ätiologischer Faktor der Borderline-Persönlichkeitsstörung?
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