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Die Bedeutung von Vätern für die Entwicklung von Sozialkompetenz

©2011 Wissenschaftliche Studie 97 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
In Hinblick auf das familiäre Zusammenleben gab es in den letzten Jahrzehnten eine Reihe tief greifender Veränderungen der soziokulturellen Rahmenbedingungen. Zahl und Vielfalt nichtehelicher Beziehungen haben in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen und traditionelle Rollenvorstellung haben sich hin zu einem Ideal von Egalität und Gleichberechtigung innerhalb einer Partnerschaft gewandelt. Dadurch verändert sich auch die Idee der Familie. Familien werden heutzutage weniger als Organisation von Rollenzuweisungen (Mutter/Vater, Eltern/Kinder), sondern als Ort, an welchem Gefühle von hoher Bedeutung sind und die Persönlichkeit sich entwickeln kann, angesehen.
Dies hat tief greifende Konsequenzen für das Verständnis von Elternschaft im Allgemeinen sowie Vaterschaft im Speziellen. Wenn traditionelle Konzepte von Beziehung und Partnerschaft einem Großteil der heutigen Beziehungen nicht mehr entsprechen, kann ein Verständnis von Vaterschaft, welches wesentlich in diesen Konzepten verankert ist, nur noch bedingt als angemessen angesehen werden.
Hinzu kommt, dass über ein Drittel der Männer bezüglich der Fragen, was Männlichkeit bedeutet und wie man sich als Mann zu verhalten habe, ungeklärt und unsicher ist. Sie lehnen die traditionelle Männerrolle zwar ab, haben jedoch für sich noch keine annehmbare Vorstellung von Männlichkeit entwickelt.
Zusätzlich haben sich nicht nur die Vorstellungen von Familie und Männlichkeit geändert. Auch Kinder werden heute aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Sie werden zunehmend als eigenständige Persönlichkeiten angesehen, welche schon früh über eine Vielzahl von Fähigkeiten verfügen sowie ein Recht auf Bildung und körperliche Unversehrtheit haben.
Die Pluralisierung möglicher Familien- und Rollenmodelle einerseits und das größere Bewusstsein der Bedürfnisse und Komplexität des Kindes anderseits erschweren vielen Männern die Übernahme der eigenen Vaterrolle, da sie nicht wissen, was von ihnen erwartet wird und auf welche Art sie für ihr Kind Bedeutung erlangen. Zum Teil wird diesbezüglich sogar von einer Krise der Vaterschaft gesprochen, da die selbstverständliche traditionelle Vaterschaft so nicht mehr existiert, eine neue pädagogische Rolle sich aber noch nicht etabliert hat.
Die Absicht, Vater-Kind-Beziehungen besser zu verstehen, um Orientierungspunkte für die Etablierung neuer Vaterschaftskonzepte zu haben, mag einer der Gründe für die Zunahme der Väterforschung in den letzten […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Johannes Müller
Die Bedeutung von Vätern für die Entwicklung von Sozialkompetenz
ISBN: 978-3-8428-2088-3
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2011
Zugl. Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland, Fachstudie, 2011
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2011

Hinweis
Aus Gründen einer besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit das generische Maskulinum
verwendet. Die Verwendung des Maskulinums beinhaltet nicht den Ausschluss weiblicher
Personen. Sollten sich Aussagen ausschließlich auf Männer oder Frauen beziehen, wird
explizit darauf hingewiesen.

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Danksagung
Ich danke allen Teilnehmern dieser Studie für ihre Bereitschaft, mich durch das Ausfüllen der
Fragebögen zu unterstützen! Vielen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben!
Ein besonderer Dank gilt Diplom-Psychologin Jana Petzold. Danke dafür, dass Du dich als
zweite Auswerterin zur Verfügung gestellt und Dich mit 209 Beschreibungen von Vätern
auseinandergesetzt hast! Danke für das Korrekturlesen und die kritischen Kommentare! Um
es auf den Punkt zu bringen: Danke für all die Zeit und Energie, die Du aufgebracht hast!
Auch allen anderen Korrekturlesern und konstruktiven Kritikern danke ich ganz herzlich:
Andreas, Annette, Tobias, Anja und Mareike, ich danke Euch!
Von ganzem Herzen möchte ich an dieser Stelle meiner Familie danken, Mami, Papi, meinen
lieben Großeltern. Danke für 26 Jahre Liebe, Vertrauen und Unterstützung! Und Dir, Tobbi,
danke für 24,5 Jahre Liebe, Vertrauen und Unterstützung ... und Schelmereien. ;-)

3
Zusammenfassung
In dieser Arbeit wird untersucht, welche Bedeutung Väter für die Entwicklung der
Sozialkompetenz ihrer Kinder haben. Diesbezügliche Zusammenhänge sind für
fremdbezogene Sozialkompetenz empirisch gut belegt. In der vorliegenden Arbeit wurde
überprüft, welche väterlichen Einflussfaktoren bedeutungsvoll für die Entwicklung
selbstbezogener Sozialkompetenz sind.
Zur Operationalisierung der selbstbezogenen Sozialkompetenz wurde der
Unsicherheitsfragebogen von Behzadi (1983) verwendet, wobei die damit erhobene
Selbstunsicherheit fehlender selbstbezogener Sozialkompetenz entspricht. Weiterhin wurde
der Fragebogen Kindheitserinnerungen (Mützky, 2010) verwendet, um die Bindung zum
Vater zu erfassen. Zusätzlich wurde ein Itempool erstellt, welche spezifische Erinnerung an
Verhaltensweisen des Vaters in der eigenen Kindheit abfragt. Bestehende Erkenntnisse über
die Bedeutung bestimmter Verhaltensweisen des Vaters für die Entwicklung fremdbezogener
Sozialkompetenz waren hierbei Ausgangspunkt für die Auswahl der Items.
Die Daten wurden mittels eines Online-Fragebogens erhoben. Insgesamt wurden 209
Datensätze ausgewertet. Die Probanden waren zwischen 18 und 65 Jahren alt. Bezüglich des
Itempools konnten vier reliable Faktoren bestimmt werden: Liebevolle Vater-Kind-
Interaktion, Anregung, Dominanz und machtvolles Durchsetzen sowie Sport.
Anregung (r = -.21; p < .01) durch den Vater und Liebevolle Vater-Kinder-Interaktion
(r = -.25; p < .05) korrelieren negativ mit Selbstunsicherheit und gehen damit mit erhöhter
selbstbezogener Sozialkompetenz einher. Dominanz und machtvolles Durchsetzen korreliert
positiv (r = .31; p < .01) mit Selbstunsicherheit und steht damit mit einer geringeren
selbstbezogenen Sozialkompetenz im Zusammenhang.
Weiterhin verfügten sicher gebundene Probanden über eine signifikant niedrigere
Selbstunsicherheit (z = -0,12) als unsicher-ambivalent gebundene Probanden (z = 0,34).

4
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung _____________________________________________________________ 6
2. Stand der Forschung / theoretischer Hintergrund _____________________________ 9
2.1. Sozialkompetenz ___________________________________________________________ 9
2.1.1. Bedeutung sozialer Kompetenz _____________________________________________________ 9
2.1.2. Definition sozialer Kompetenz ____________________________________________________ 10
2.1.3 Einflussfaktoren auf die soziale Kompetenz __________________________________________ 12
2.2. Väter ____________________________________________________________________ 14
2.2.1. Vater ­ Eine Definition __________________________________________________________ 14
2.2.2. Die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes ______________________________ 17
2.2.3. Die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung von Sozialkompetenz ______________________ 19
2.2.4. Vaterschaft im kulturellen Kontext _________________________________________________ 22
3. Fragestellung der vorliegenden Untersuchung ________________________________ 23
3.1. Hypothesen _______________________________________________________________ 23
3.1.1. Erziehung und Strafe ____________________________________________________________ 24
3.1.2. Spielen _______________________________________________________________________ 24
3.1.3. Sprachliche Interaktion __________________________________________________________ 25
3.1.4. Anregungen und Herausforderungen________________________________________________ 25
3.1.5. Involviertheit __________________________________________________________________ 26
3.1.6. Bindung ______________________________________________________________________ 26
3.1.7. Unterschiedlichkeit von Mutter und Vater ___________________________________________ 26
3.1.8. Stärkere Effekte bei Männern _____________________________________________________ 27
3.2. Explorative Datenanalyse ___________________________________________________ 27
4. Methodik _______________________________________________________________ 28
4.1. Erhebungsverfahren _______________________________________________________ 28
4.2. Untersuchungsinstrumente __________________________________________________ 29
4.2.1. Soziodemographische Daten ______________________________________________________ 30
4.2.2. Fragebogen Kindheitserinnerungen (Mützky, 2010)____________________________________ 30
4.2.3. Beschreibung des väterlichen Verhaltens ____________________________________________ 34
4.2.4. Unsicherheitsfragebogen (Behzadi, 1983)____________________________________________ 39
5. Auswertung_____________________________________________________________ 42

5
6. Ergebnisse______________________________________________________________ 44
6.1. Stichprobe________________________________________________________________ 44
6.2. Kennwerte zu den Erhebungsinstrumenten ____________________________________ 48
6.2.1 Beschreibung des väterlichen Verhaltens _____________________________________________ 48
6.2.2. Fragebogen Kindheitserinnerungen_________________________________________________ 54
6.2.3. Unsicherheitsfragebogen _________________________________________________________ 57
6.3. Überprüfung der Hypothesen ________________________________________________ 58
6.3.1. Erziehung und Strafe ____________________________________________________________ 58
6.3.2. Spielen _______________________________________________________________________ 60
6.3.3. Sprachliche Interaktion __________________________________________________________ 62
6.3.4. Anregung und Herausforderung ___________________________________________________ 63
6.3.5. Involviertheit __________________________________________________________________ 64
6.3.6. Bindung ______________________________________________________________________ 65
6.3.7. Unterschiedlichkeit von Vater und Mutter ___________________________________________ 69
6.3.8. Stärkere Effekte bei Männern _____________________________________________________ 70
7. Diskussion______________________________________________________________ 71
7.1. Diskussion der Methodik____________________________________________________ 71
7.2. Diskussion der Erhebungsinstrumente ________________________________________ 73
7.3. Diskussion der Ergebnisse___________________________________________________ 77
8. Literaturverzeichnis ______________________________________________________ 85
9. Tabellenverzeichnis ______________________________________________________ 93
10. Abbildungsverzeichnis ___________________________________________________ 94

6
1. Einleitung
In Hinblick auf das familiäre Zusammenleben gab es in den letzten Jahrzehnten eine Reihe
tief greifender Veränderungen der soziokulturellen Rahmenbedingungen (vgl. Nickel
Quaiser-Pohl, 2001). Zahl und Vielfalt nichtehelicher Beziehungen haben in den letzten
Jahrzehnten stark zugenommen (Schmidt et al., 2003) und traditionelle Rollenvorstellung
haben sich hin zu einem Ideal von Egalität und Gleichberechtigung innerhalb einer
Partnerschaft gewandelt (ebd.). Dadurch verändert sich auch die Idee der Familie. Familien
werden heutzutage weniger als Organisation von Rollenzuweisungen (Mutter/Vater,
Eltern/Kinder), sondern als Ort, an welchem Gefühle von hoher Bedeutung sind und die
Persönlichkeit sich entwickeln kann, angesehen (Le Camus, 2003, S.40).
Dies hat tief greifende Konsequenzen für das Verständnis von Elternschaft im Allgemeinen
sowie Vaterschaft im Speziellen. Wenn traditionelle Konzepte von Beziehung und
Partnerschaft einem Großteil der heutigen Beziehungen nicht mehr entsprechen, kann ein
Verständnis von Vaterschaft, welches wesentlich in diesen Konzepten verankert ist, nur noch
bedingt als angemessen angesehen werden.
Hinzu kommt, dass über ein Drittel der Männer bezüglich der Fragen, was Männlichkeit
bedeutet und wie man sich als Mann zu verhalten habe, ungeklärt und unsicher ist. Sie lehnen
die traditionelle Männerrolle zwar ab, haben jedoch für sich noch keine annehmbare
Vorstellung von Männlichkeit entwickelt (Zulehner Volz, 1999).
Zusätzlich haben sich nicht nur die Vorstellungen von Familie und Männlichkeit geändert.
Auch Kinder werden heute aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Sie werden zunehmend
als eigenständige Persönlichkeiten angesehen, welche schon früh über eine Vielzahl von
Fähigkeiten verfügen sowie ein Recht auf Bildung und körperliche Unversehrtheit haben (Le
Camus, 2003, S.41).
Die Pluralisierung möglicher Familien- und Rollenmodelle einerseits und das größere
Bewusstsein der Bedürfnisse und Komplexität des Kindes anderseits erschweren vielen
Männern die Übernahme der eigenen Vaterrolle, da sie nicht wissen, was von ihnen erwartet
wird und auf welche Art sie für ihr Kind Bedeutung erlangen. Zum Teil wird diesbezüglich
sogar von einer Krise der Vaterschaft gesprochen, da die selbstverständliche traditionelle
Vaterschaft so nicht mehr existiert, eine neue pädagogische Rolle sich aber noch nicht
etabliert hat (Knijn, 1995).

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Die Absicht, Vater-Kind-Beziehungen besser zu verstehen, um Orientierungspunkte für die
Etablierung neuer Vaterschaftskonzepte zu haben, mag einer der Gründe für die Zunahme der
Väterforschung in den letzten Jahren sein (Seiffge-Krenke, 2008, S.195). Trotz alledem
machen Untersuchungen von Vater-Kind-Beziehungen weniger als 2% der Forschung zu
Kindern und Jugendlichen aus (ebd.).
In dieser Arbeit soll ­ im Sinne eines weiteren Mosaiksteines zum Verständnis des
väterlichen Einflusses ­ die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung von Sozialkompetenz
des Kindes untersucht werden.
Dem aktuellen Forschungsstand zu Folge ist die Entwicklung von Sozialkompetenz einer der
zentralen Bereiche, in welchem sich väterliche Einflüsse belegen lassen. Die vorliegende
Untersuchung unterscheidet sich in drei Punkten von einem Großteil der bisherigen Studien
zu diesem Themenbereich, um so bestehende Erkenntnisse um weitere Aspekte zu ergänzen.
1) Ausgehend von der Unterscheidung zwischen selbst- und fremdbezogener
Sozialkompetenz (Perren, Groeben, Stadelmann von Klitz, 2008) wird in dieser Arbeit die
selbstbezogene Sozialkompetenz als abhängige Variable verwendet. Statt fremdbezogener
Sozialkompetenz im Sinne von Rücksichtnahme, sozialer Verträglichkeit und Ähnlichem
wird die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse in sozialer Interaktion zu befriedigen, betrachtet.
2) Der größte Teil der Forschungsarbeiten, welche den Einfluss von Vätern untersuchen,
betrachtet vor allem Kinder im Alter von zwei bis elf Jahren (Seiffge-Krenke, 2008, S.195).
In dieser Arbeit hingegen werden Personen befragt, welche durchschnittlich 30 Jahre alt sind.
Die Frage nach den langfristigen Auswirkungen, welche sich auch noch weit nach der
Kindheit aufzeigen lassen, steht hier im Mittelpunkt.
3) In dieser Studie wurde sich statt für die häufig verwendeten Verhaltensbeobachtungen und
Fremdbeurteilungen durch Dritte für die Auswertung von Selbstkundgaben der Probanden
entschieden. Hiermit wird der Fokus der Untersuchung auf das subjektive Erleben der Vater-
Kind-Beziehung gelegt.
Es werden zunächst die theoretischen Grundlagen vorgestellt. Dabei wird auf die Bedeutung
sozialer Kompetenz im Allgemeinen eingegangen, das Konstrukt Sozialkompetenz definiert
sowie die Unterscheidung zwischen selbst- und fremdbezogener Sozialkompetenz und die

8
Verwendung des Begriffes Vater geklärt. Der Schwerpunkt liegt jedoch vor allem auf der
Darstellung des Zusammenhangs von väterlichem Verhalten beziehungsweise der Vater-
Kind-Beziehung einerseits und der Sozialkompetenz des Kindes andererseits. Die daraus
abgeleiteten Hypothesen werden im Anschluss dargestellt.
Der empirische Teil umfasst neben einer ausführlichen Erläuterung der Erhebungsinstrumente
die Beschreibung der Stichprobe und die Darstellung der Ergebnisse. Diese werden
anschließend kritisch diskutiert. Hierbei wird sich maßgeblich an drei Fragen orientiert.
Erstens: Hat sich die Wahl der Instrumente und der Erhebungsmethode als passend für die
Fragestellungen erwiesen und was kann diesbezüglich bei nachfolgenden Untersuchungen
verbessert werden?
Zweitens: Was bedeuten die Ergebnisse für die Theorie und welche weiteren
Forschungsfragen ergeben sich daraus?
Drittens: Welche Implikationen haben diese Ergebnisse für die Praxis und welche
Interventionen lassen sich daraus ableiten?

9
2.
Stand der Forschung / theoretischer Hintergrund
2.1. Sozialkompetenz
In diesem Abschnitt wird auf die Bedeutung sozialer Kompetenzen für die allgemeine
psychosoziale Entwicklung eingegangen und herausgearbeitet, welche Konzeptualisierungen
des Konstruktes Sozialkompetenz im weiteren Verlauf dieser Arbeit verwendet werden.
2.1.1. Bedeutung sozialer Kompetenz
Die Fähigkeit, in sozialen Interaktionen angemessen reagieren zu können, hat eine
wesentliche Bedeutung für die Entwicklung von Menschen. Sie wirkt sich positiv auf die
soziale und psychische Adaptivität aus und kann somit als Ressource bzw. Resilienzfaktor
angesehen werden (Henricsson Rydell, 2006; Masten Coatsworth, 1998; Silbereisen
Lerner, 2007).
Im Umkehrschluss kann fehlende Sozialkompetenz als Risikofaktor betrachtet werden und ist
als solcher mit Beeinträchtigungen der Beziehungen zu anderen Menschen und des
emotionalen Wohlbefindens assoziiert (Perren, Groeben, Stadelmann von Klitzing, 2008),
sodass fehlende Sozialkompetenz bedeutsame Einschränkungen der gesamten Lebensqualität
zur Folge haben kann (Hinsch Pfingsten, 2007, S.8).
In einer Metaanalyse von Newcomb, Bukowski und Pattee (1993) zeigte sich, dass sowohl
Kinder, welche sich von anderen zurückzogen, als auch Kinder, welche sich aggressiv
verhielten, von Gleichaltrigen abgelehnt, ausgegrenzt und viktimisiert werden. Viktimisierung
geht mit erhöhter Depressivität, sozialer Angst und Suizidalität sowie einem geringen
Selbstwertgefühl einher (Boivin, Hymel Burkowski, 1995; Craig, 1998; Graham, Bellmore
Mize, 2006; Hawker Boulton, 2000; Rigby Slee, 1999; Storch, Phil, Nock, Masia-
Warner Barlas, 2003). Isolation wiederum kann als ein Prädiktor für die Entwicklung
depressiver Symptome angesehen werden (Rubin Mills, 1998). Weitere Studien zeigen

10
deutliche Zusammenhänge zwischen mangelnder sozialer Kompetenz und der Entwicklung
psychopathologischer Symptome (Deater-Deckard, 2001; Hay, Payne Chadwick, 2004).
Darüber hinaus lassen sich auch Auswirkungen auf akademische Leistungen aufzeigen
(Caprara, Barbaranelli, Pastorelli, Bandura Zimbardo, 2000).
Das Erlernen von sozial kompetenten Verhaltensweisen kann demnach als eine wesentliche
und bedeutungsvolle Entwicklungsaufgabe eines Menschen angesehen werden. Die Fähigkeit,
soziale Interaktionen bedürfnisgerecht initiieren, gestalten und aufrechterhalten zu können, ist
eine wichtige Voraussetzung für psychische Gesundheit und die Entfaltung weiterer
persönlicher Entwicklungsmöglichkeiten (Pfingsten, 2003, S. 473)
2.1.2. Definition sozialer Kompetenz
Nähert man sich der Frage, was unter sozialer Kompetenz genau zu verstehen ist, eröffnet
sich ein weites Feld an Definitionen und Auflistungen von spezifischen Fähigkeiten.
So kann soziale Kompetenz in einer ersten Annäherung als ein Oberbegriff für Konzepte wie
Selbstbehauptung, Durchsetzungsfähigkeit, Selbstsicherheit, soziale Fertigkeiten oder
Selbstvertrauen aufgefasst werden (Pfingsten, 2003). Prosoziales Verhalten und
Konfliktfähigkeit sind weitere spezifische Bereiche (Simoni, Herren, Kappeler Licht,
2008), welche hierzu ergänzt werden können. Jaursch und Beelman (2008) verweisen darauf,
dass soziale Kompetenz zumeist als Sammelbegriff unterschiedlicher sozialer Teilfertigkeiten
wie sozialer Wahrnehmung, sozialer Informationsverarbeitung, Problemlösekompetenzen,
Empathie, Emotionsregulation, Selbstkontrolle und Verhaltensfertigkeiten verstanden wird.
Auch für Baumgartner und Alsaker (2008) ist soziale Kompetenz ein Metakonstrukt. Sie
unterscheiden behaviorale, affektive und sozial-kognitive Aspekte. Sozial-kognitive
Fähigkeiten ­ wie beispielsweise die der sozialen Perspektivenübernahme (Selman, 1980) ­
stehen wiederum im Zusammenhang mit kooperativer Interaktionsfähigkeit und konstruktiver
Kommunikation (Dunn Cutting, 1999), der Qualität des Sozialverhaltens (Malti, 2003;
Malti, 2006) sowie mit sozialer Interaktionsfähigkeit (Bosacki Astington, 1999).
Unter dem Konstrukt der sozialen Kompetenz lassen sich demnach eine Vielzahl von
Handlungsmustern, Kognitionen und Fähigkeiten subsumieren. Abhängig von den Autoren
können hierbei unterschiedliche Auflistungen entstehen (Hinsch Pfingsten, 2007, S.4).

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Jugert, Rehder, Notz und Petermann (2009, S.13) sprechen sich dafür aus, diese als soziale
Fertigkeiten zu bezeichnen. Soziale Kompetenz ist ihnen zu Folge als Oberbegriff
verschiedener sozialer Fertigkeiten zu verwenden. Um einen sachgemäßen Wortgebrauch und
eine damit einhergehende eindeutige Verständigung zu gewährleisten, sollten ,,soziale
Fertigkeiten" und ,,soziale Kompetenz" nicht synonym verwendet werden.
Über eine solche Katalogisierung verschiedener sozialer Fertigkeiten hinausgehend gibt es
aber auch Ansätze, welche soziale Kompetenz als solche definieren.
So liegt die Bedeutung sozialer Kompetenz nach Rose-Krasnor (1997) darin, positive soziale
Beziehungen zu anderen Menschen zu pflegen und eigene Bedürfnisse im Rahmen sozialer
Interaktionen zu befriedigen. Baumgartner und Alsaker (2008) fassen dies dahingehend
zusammen, als dass das Metakonstrukt Sozialkompetenz für sie all jene Fähigkeiten
beinhaltet, ,,die eine persönliche Zielerreichung unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer
interindividuellen Verbundenheit unterstützen" (ebd., S.70). Zwei Aspekte werden hierbei als
charakterisierend angesehen: Einerseits die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse in der Interaktion
mit anderen zu befriedigen und dabei andererseits die Interaktion aufrecht zu erhalten. Auch
Perren, Groeben, Stadelmann und von Klitzing (2008) sehen die Fähigkeit, eigene Ziele zu
erreichen und Bedürfnisse zu befriedigen, als ein wesentliches Merkmal sozialer Kompetenz
an. Sie unterscheiden sich jedoch dahingehend von Rose-Krasnor (1997) sowie Baumgartner
und Alsaker (2008), als dass sie zusätzlich zu den eigenen Bedürfnissen die Berücksichtigung
der Bedürfnisse Anderer, und nicht das Aufrechterhalten der Interaktion, in ihrer Definition
benennen.
Diese beiden Ausrichtungen sozialer Kompetenz ­ die eigenen Bedürfnisse auf der einen
Seite und die Bedürfnisse der Mitmenschen bzw. die Interaktion als solche auf der anderen
Seite ­ sind von verschiedenen Autoren unterschiedlich benannt worden. So spricht Rose-
Krasnor (1997) von Autonomie und Verbundenheit, Kanning (2002) von Durchsetzung und
Anpassung, Asendorpf (2007) von Durchsetzungsfähigkeit und Beziehungsfähigkeit. Die
Annahme, dass soziale Kompetenz aus zwei Faktoren besteht, wurde unter anderem von
Rydell, Hagekull und Bohlin (1997) mittels Faktorenanalyse bestätigt. Die beiden Faktoren
nannten sie soziale Initiative und prosoziales Verhalten. Auch Perren, Groeben, Stadelmann
und von Klitz (2008) konnten dies faktoranalytisch bestätigen. Sie nannten die beiden
Faktoren selbstbezogene Sozialkompetenz und fremdbezogene Sozialkompetenz.

12
Ausgangspunkt für diese Arbeit ist diese Unterscheidung zwischen selbstbezogener und
fremdbezogener Sozialkompetenz. Fremdbezogene Sozialkompetenz stellt die Fähigkeit dar,
die Bedürfnisse und Ziele anderer zu berücksichtigen, sich also prosozial und kooperativ zu
verhalten. Defizite zeigen sich hierbei vor allem durch aggressives Verhalten.
Selbstbezogene Sozialkompetenz ist die Fähigkeit, in sozialen Interaktionen eigene Ziele zu
erreichen und die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Solche Interaktionen initiieren zu
können gehört genauso dazu wie das Setzen von Grenzen. Defizite zeigen sich hier besonders
durch starkes Vermeidungs- und Rückzugsverhalten und lassen sich durch das Konzept der
Selbstunsicherheit von de Muynck und Forster (1974) differenziert beschreiben.
Selbstunsicherheit wird von de Muynck und Forster (1974) über die drei Bestimmungsstücke
subjektive Einstellung zu sich selbst, soziale Angst und Hemmung sowie das Fehlen sozialer
Fertigkeiten definiert. Die subjektive Einstellung zu sich selbst ist durch niedrige
Selbstwertschätzung und fehlende Selbstakzeptanz gekennzeichnet. Zu den Ängsten und
Hemmungen zählen sie Angst vor Fehlschlägen, vor Kritik, vor öffentlicher Beachtung, vor
Ablehnung und Ähnliches. Beim Fehlen sozialer Fertigkeiten beziehen sie sich sowohl auf
einzelne, konkrete Fähigkeiten im engeren Sinne, als auch auf Defizite bezüglich der
Fähigkeit, die von der Umwelt gegebenen Verstärker für soziales Verhalten zu erkennen und
sich daran zu orientieren.
Das Konzept der Selbstunsicherheit (de Muynck Forster, 1974) ist in dieser Untersuchung
Grundlage der Operationalisierung der selbstbezogenen Sozialkompetenz.
2.1.3 Einflussfaktoren auf die soziale Kompetenz
Die Entwicklung sozialer Kompetenz und deren Ausprägung unterliegen bereits im
Jugendalter zahlreichen Einflussfaktoren (Jugert, Rehder, Notz Petermann, 2009, S.16). Als
wesentlicher Faktor wird die emotionale Kompetenz des Kindes genannt. Kinder, welche zu
Empathie fähig sind, verhalten sich prosozialer und sind bei Gleichaltrigen beliebter. Auch
eine gute Emotionsregulation sowie die damit verbundene Verhaltensregulation gehen mit
höherer Sozialkompetenz und größer Beliebtheit einher (ebd., S.16f).

13
Ein weiterer Faktor, welcher in einem direkten Zusammenhang mit der Entwicklung
sozialkompetenten Verhaltens steht, ist die Entwicklung sozialer Kognition. So ziehen höher
ausgeprägte soziale Kognitionen höhere Sozialkompetenz nach sich (Silbereisen Ahnert,
2002, S.611). Anstöße für die Entwicklung sozialer Kognitionen werden vor allem durch den
Austausch in der Familie gegeben. Das Vorbild durch die Eltern, die Interaktion mit
Geschwistern, das Ansprechen affektiver Zustände und die affektive Perspektivübernahme
sind hierbei von zentraler Bedeutung (ebd., S.609).
Auch Feinfühligkeit der Bezugspersonen wirkt sich positiv auf die Entwicklung der
Sozialkompetenz aus. Einerseits verfügen Kinder mit feinfühligen Müttern über höhere
soziale Kognitionen (Fabes, Eisenberg Miller, 1990). Anderseits ist Feinfühligkeit eine
zentrale Variable zur Entwicklung von Bindungsrepräsentationen, welche wiederum spätere
Beziehungen und soziale Interaktionen wesentlich beeinflussen (Fröhlich-Gildhoff, 2007,
S.49). Die theoretischen Grundlagen zur Bindungsforschung werden bei der Beschreibung des
Fragebogens Kindheitserinnerungen (4.2.2.) kurz dargestellt. Für eine ausführliche
Darstellung der Bindungstheorie und ihrer empirischen Fundierung sei an dieser Stelle auf
weitere Fachliteratur verwiesen (z.B. Brisch, 1999; Grossmann Grossmann, 2006; Mützky,
2010).
Der Kontakt mit Gleichaltrigen ist ein weiterer Faktor, welcher schon ab einem frühen
Zeitpunkt bedeutsam wird. So lassen sich bereits ab der zweiten Hälfte des ersten
Lebensjahres soziale Beeinflussungen durch Peers feststellen (Schmidt-Denter, 2005, S.70).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Entwicklung sozialer Kompetenz ein Prozess
ist, welcher durch verschiedene Faktoren wie emotionale und (sozial-)kognitive
Kompetenzen, Feinfühligkeit der Mutter, Vorbild der Eltern sowie Interaktion mit
Geschwistern und Peers beeinflusst wird. Diese multifaktorielle Beeinflussung muss bei der
Betrachtung spezifischer Einflüsse auf die Entwicklung von Sozialkompetenz bedacht
werden.
Der diesbezügliche Einfluss des Vaters wird ausführlich in Abschnitt 2.2.3. dargestellt.

14
2.2. Väter
In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie der Begriff Vater in der folgenden Arbeit verwendet
wird und verstanden werden soll.
Weiterhin wird ein Überblick darüber gegeben, welche Bedeutung für die psycho-soziale
Entwicklung des Kindes dem Vater in der Vergangenheit zugesprochen wurde, wie
väterliches Erziehungsverhalten auszusehen hatte, welche Veränderungen diesbezüglich zu
verzeichnen sind und welche Bedeutung dem kulturellen Kontext beigemessen werden muss.
Es wird expliziter ausgeführt, inwieweit Väter die Entwicklung von Sozialkompetenz
beeinflussen.
2.2.1. Vater ­ Eine Definition
In einer ersten, intuitiven Annährung haben die meisten Menschen eine Vorstellung davon,
was genau ein Vater bzw. wer genau ihr Vater ist. Bei genauerer Betrachtung des Begriffes
Vater fällt jedoch auf, dass hierbei verschiedene Aspekte von Bedeutung sind, welche zwar
für viele Menschen in einer Person ­ nämlich ihrem Vater ­ vereinigt sind, für eine
wissenschaftliche Analyse jedoch voneinander getrennt dargestellt und betrachtet werden
müssen.
Der französische Psychologe Jean Le Camus (2001) unterscheidet in seinem Buch ,,Väter"
zwischen drei Arten der Vaterschaft. Er benennt den biologischen, den juristischen und den
erziehenden Vater.
Bei dem biologischen Vater handelt es sich ausschließlich um den Erzeuger. Die Beziehung
beider biologischer Elternteile zueinander ist hier nicht von Bedeutung.
Der juristische Vater ist derjenige, welcher in allen rechtlichen Aspekten in Erscheinung tritt.
Er ist somit Vormund und trifft in dieser Funktion Entscheidungen für das Kind. Er
übernimmt im strafrechtlichen Sinne Verantwortung für das Kind und kann diesbezüglich
auch zur Rechenschaft gezogen werden.
Der erziehende Vater hingegen ist derjenige, der im Alltag anwesend ist. Er ist für das Kind
präsent und nimmt aktiv Einfluss auf dessen Entwicklung.

15
Eine etwas andere Unterscheidung trifft der österreichische Psychologe Harald Werneck
(1998). Er benennt sechs Aspekte von Vaterschaft: Erzeuger, Ernährer, Beschützer, Erzieher,
Identifikationsobjekt und Freizeitpartner. Wie Le Camus misst auch Werneck der
biologischen Vaterschaft zwar Bedeutung bei, stellt sie jedoch nicht ins Zentrum der
Betrachtung. Bei beiden Autoren ist sie nur einer von mehreren Aspekten. Dies kommt bei
Werneck noch stärker zum Ausdruck, da neben der biologischen Vaterschaft noch fünf
weitere Gesichtspunkte von Bedeutung sind. Auch scheint der ,,Zeugungsaspekt
[...] nach
Außen hin an Bedeutung zu verlieren" (ebd., S.7).
Ähnliches gilt für die Rolle des Ernährers und Beschützers. Es kann davon ausgegangen
werden, dass auch diese in westlichen Gesellschaften an Gewichtung verliert. Da Frauen die
Möglichkeit zur finanziellen Unabhängigkeit haben und vielfach auch nutzen (Nickel
Quaiser-Pohl, 2001, S.44f; Statistisches Bundesamt, 2006), sind sie, trotz der immer noch
bestehenden Ungleichbehandlung auf dem Arbeitsmarkt, heutzutage weniger darauf
angewiesen, von ihrem Mann versorgt und finanziert zu werden, als dies noch vor wenigen
Jahrzehnten der Fall war. Auch wenn diesbezüglich noch lange nicht von einer
wirtschaftlichen Gleichstellung gesprochen werden kann, ist eine Zunahme der Häufigkeit
berufstätiger Frauen als deutlicher Trend zu verzeichnen (Le Camus, 2001, S.26). Dies hat zur
Folge, dass der Aspekt des Ernährers für das Verständnis von Vaterschaft an Bedeutung
verliert.
Die Beschützerfunktion hat dahingehend an Bedeutung abgenommen, als dass der Schutz von
Person und Eigentum in modernen, westlichen Gesellschaften zu weiten Teilen
institutionalisiert ist und durch Polizei und Militär übernommen wird. Schutz ist nicht mehr
mit physischer Stärke des Vaters gleichzusetzen.
Vaterschaft im Wesentlichen als Dreigestirn aus Erzeuger, Ernährer und Beschützer zu
begreifen scheint demnach anachronistisch. Auch wenn diese drei Funktionen nicht gänzlich
negiert werden sollen, so sind heutzutage andere Vaterfunktionen für das Erleben von
Vaterschaft zentraler.
Auch die juristische Vaterschaft scheint für die Frage, ab wann ein Mann als Vater erlebt
wird, kaum von Bedeutung zu sein, da sie auf rein formalen Kriterien beruht. Bei
Fragestellungen bezüglich des Zusammenhanges zwischen dem Vater und der psycho-
sozialen Entwicklung des Kindes sind diese formalen Kriterien wenig bedeutungsvoll. Es ist
hier angebrachter, sich für die Definition von Vaterschaft auf die Erlebniswelt des Kindes zu
beziehen und zu fragen, ab wann ein Vater als solcher erlebt wird.

16
Hier setzt Le Camus (2001) mit dem erziehenden Vater an. Es muss jedoch beachtet werden,
dass Väter für Kinder nicht nur als Erzieher, sondern auch als Freizeitpartner in Erscheinung
treten. Freizeitpartner zu sein ist ,,historisch
[eine] relative neue Funktion des Vaters"
(Werneck, 1998, S.11). Aus diesem Grund soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden,
dass ein Vater sich auch durch das spielerische Miteinander mit dem Kind auszeichnet.
Verschiedene Untersuchung legen sogar nahe, dass die Vater-Kind-Interaktionen vor allem
durch gemeinsames Spielen geprägt sind (Hoffman, 1977; Nugent, 1991).
Um als Kind einen Mann als Vater erleben zu können, muss eine Beziehung zu Grunde
liegen, in der es zu Kontakt und Austausch kommt. So fassen Fagan und Iglesias (2000) in
ihrer Studie den Vater als male caregiver auf. Der Aspekt der Betreuung ist hier
ausschlaggebend. Demnach konnte auch ein Stiefvater, Onkel oder Großvater die Rolle der
Vaterfigur einnehmen.
Auch Franz, Lieberz und Schepank (2004) definieren die Rolle des Vaters über die
Interaktion mit seinem Kind. In ihrer Studie über die Folgen der Vaterlosigkeit nach dem
Zweiten Weltkrieg gelten nicht nur jene Kinder als vaterlos, bei denen der Vater auf Grund
von Abwesenheit im Krieg, Tod oder Kriegsgefangenschaft nicht anwesend war. Kinder,
deren Väter sich auf Grund von Kriegstraumatisierung jeglicher liebevollen Interaktion
entzogen, wurden in dieser ebenfalls Studie als vaterlos aufgefasst.
Auch hier wird der Vater nicht über formale (juristische oder biologische) Beziehungen zum
Kind, sondern über die konkrete Interaktion zwischen ihnen, definiert.
Diesen Überlegungen folgend sind drei der von Werneck (1998) genannten Funktionen des
Vaters ­ nämlich Erzieher, Identifikationsobjekt und Freizeitpartner ­ wesentliche
Bestimmungsstücke für ein zeitgemäßes Verständnis von Vaterschaft. Vater ist demnach der
Mann, welcher mit dem Kind aktiv in Kontakt getreten ist und diesem ein Gegenüber war. Er
hat sich an der Erziehung beteiligt und direkten Einfluss auf die Entwicklung des Kindes
genommen. Väterliche Fürsorge ist somit ein zentraler Bereich väterlichen Verhaltens,
welcher sich dann entwickelt, wenn Väter sich im Leben ihres Kindes engagieren (Fthenakis
Minsel, 2002, S.20).
Zeit und Direktheit in der Interaktion mit dem Kind sowie die einfache Addition von
Aktivitätsbereichen sind für eine umfassende Definition jedoch nicht ausreichend (ebd., S20).
Das Verständnis von Vaterschaft kann noch dahingehend erweitert werden, dass väterliches
Verhalten all jene Verhaltensweisen umfasst, welche die Bedürfnisse des Kindes derart

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befriedigen, dass sich eine normative Beziehung entwickelt und diese aufrecht erhalten wird
(Dollahite, Hawkins Brotherson, 1997).
Auch wenn solch ein Verständnis von Vaterschaft ein Idealbild ist, welches nicht für alle
realen Vater-Kind-Beziehungen zutrifft, erweist es sich im Rahmen dieser Untersuchung
trotzdem als zweckdienlich. Einerseits stellt es einen Prototypen dar, welcher bei
gleichzeitigem Bewusstsein über mögliche Abweichungen ein gemeinsames Verständnis von
Vater und Vaterschaft ermöglicht. Andererseits wird hier den Bedürfnissen des Kindes und
damit einhergehend dem Erleben der Vater-Kind-Interaktion aus der Perspektive des Kindes
ein zentraler Stellenwert beigemessen.
Dem folgend ist das subjektive Erleben Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Der Vater wird
im weiteren Verlauf nicht über formale Kriterien oder eine spezifische Art der Interaktion mit
dem Kind bestimmt. Entscheidend ist, wer in der Kindheit als Vater erlebt wurde.
2.2.2. Die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes
Noch bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus wurde dem Vater für die psychische
Entwicklung des Kindes nur eine sehr eng umgrenzte Bedeutung zugestanden. Gerade für
dessen emotionales Wohlbefinden galt er größtenteils als irrelevant. Dies zeigt sich deutlich
in folgendem Zitat von Virginia Satir: ,,Damals wurden Väter nicht wirklich als ein Teil des
Gefühlslebens einer Familie angesehen, deshalb dachte der Therapeut gewöhnlich gar nicht
an sie." (zit. nach Jürgens Salm, 1984, S. 404).
Der Einfluss des Vaters wurde zwar in keinem Fall als unbedeutend angesehen, war aber sehr
eng umrissen. Gerade das psychoanalytische Paradigma prägte das Verständnis in starkem
Maße. Nach Le Camus (2001) wurden die Aufgaben des Vaters darin gesehen, die Symbiose
zwischen Mutter und Kind aufzulösen sowie das Verbot des Über-Ichs zu verkörpern.
Weiterhin sprach man ihm eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Geschlechtsidentität
des Kindes zu.
Es wurde als besonders wichtig angesehen, dass der Vater eine Autoritätsperson darstellt und
er die Mutter in der Erziehung im Wesentlichen dadurch unterstützt, indem er das Gesetz und
die Ordnung verkörpert. So postulierte beispielsweise die französische Psychoanalytikerin
Porot, dass ,,das Kind von seinem Vater vor allem Autorität erwartet" (zit. nach Le Camus,
2001, S.16) und auch Lacan (2006) betont die Einheit von Vaterrolle und Autorität.

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Väterliche Beteiligung bei der Erziehung des Kindes wurde erst als notwendig erachtet, wenn
dieses dem Kleinkindalter entwachsen ist. So galten Fürsorge, Pflege und Erziehung von
Kleinkindern durch den Vater als unbedeutend, nicht zu seinen Aufgaben gehörend und
wurde zum Teil sogar als Charakterschwäche aufgefasst (vgl. Le Camus, 2001, 18f).
Heutzutage scheint dieses traditionelle Vaterbild gesellschaftlich immer weniger vertreten zu
werden (Stein, 2000). Dieser Wandel der Väterlichkeit kann als ein Wandel von der
traditionellen autoritären, repressiven und marginalen Rolle des Vaters hin zu einer
freundschaftlichen, liebevollen und zentralen Rolle in der Familie umschrieben werden
(ebd., S. 63).
Nach aktuellem Forschungsstand kann davon ausgegangen werden, dass dieses eben
beschriebe, traditionelle Vaterbild zu eng umrissen ist. So lassen sich schon bei Kindern im
Alter von fünf Monaten Auswirkungen väterlichen Erziehungsverhaltens finden (Feldmann
Masalha, 2010). Auch sind Kinder bereits vor Beendigung des ersten Lebensjahres in der
Lage, eine enge Bindung mit ihren Vätern einzugehen (Schaffer Emerson, 1964).
Weiterhin kann davon ausgegangen werden, dass sich der Einfluss des Vaters in
verschiedenen Bereichen auswirkt und eine gute Vater-Kind-Beziehung im Allgemeinen mit
höherer Leistungsfähigkeit und psychologischem Wohlbefinden des Kindes im späteren
Leben einhergeht (Barber Thomas, 1986; Barnett, Marshall Pleck, 1992; Harris,
Furstenberg Marmer, 1996). Auch wenn es sich als förderlich erweist, wenn Väter und
Mütter sich in ihrem Verhalten gegenüber dem Kind unterscheiden (Le Camus, 2001, S.48;
Zaouche-Gaudron, Ricaud Baumatin, 1998), ist eine vereinfachte Dichotomisierung
zwischen mütterlicher Fürsorge und väterlicher Autorität unangemessen, da auch Väter in der
Lage sind, ein Kind feinfühlig und kompetent zu umsorgen (Parke 2002; Parke 2004) und
Neugeborenen Wärme und Schutz zu bieten (Christensson, 1996).
Besondere Beachtung bei der Betrachtung von Vater-Kind-Interaktionen bzw. Vater-Kind-
Beziehungen kann auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen gelegt werden. Aufgrund des
sozialisierenden Einflusses des Vaters spricht Le Camus (2001) hier auch von einer
,,Brückenfunktion zwischen der Gruppe der Familie und der der Gleichaltrigen" (ebd., S.44).
Dieser Aspekt wird im nächsten Abschnitt genauer behandelt werden.

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2.2.3. Die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung von Sozialkompetenz
Es kann davon ausgegangen werden, dass sich ein konsistenter, autoritativer Erziehungsstil
und positives Elternverhalten ­ unabhängig davon, ob von der Mutter oder dem Vater
ausgehend - positiv auf die Entwicklung sozialer Kompetenzen des Kindes auswirken
(Baumrind, 1991; Franiek Reichle, 2007). Doch legen verschiedene Untersuchungen nahe,
bestimmte väterliche Verhaltensweisen bedeutungsvoller für das Ausbilden sozial
kompetenten Verhaltens zu erachten.
So ist der korrelative Zusammenhang, den Beelmann, Stemmler, Lösel Jarusch (2007)
zwischen körperlich strafendem, problematischem Elternverhalten und aggressivem und
rücksichtslosem Verhalten von Kindern gegenüber Gleichaltrigen fanden, bei Vätern höher
als bei Müttern. Ähnlich dazu erhielten Franiek Reichle (2007) körperliches Strafen und
machtvolles Durchsetzen durch den Vater als regressionsanalytisch beste Prädiktoren für
oppositionell-aggressives Verhalten sowie geringere sozial-emotionale Kompetenz des
Kindes. In derselben Studie zeigte sich, dass Involviertheit durch den Vater mit höherer
sozial-emotionaler Kompetenz einhergeht.
Zusätzlich zum konkreten Erziehungsverhalten scheint auch die Art, in der Väter mit ihren
Kindern spielen, Auswirkungen zu haben. Väter neigen im Vergleich zu Müttern eher dazu,
Kinder zu Körper- und Bewegungsspielen sowie zu Spielen mit Gegenspielern anzuregen.
Das wiederum scheint sich dahingehend positiv auf das Kind auszuwirken, als dass dieses
durch ein spielerisches Miteinander lernt, Regeln zu beachten und Respekt vor seinem
Gegenüber zu entwickeln (Clarke-Stewart, 1978; Mac Donald Parke, 1984; Mac Donald
Parke, 1986; Paquette et al., 2003). Weiterhin überraschen und verwirren Väter ihre Kinder
beim Spielen mehr (Labrell, 1996) und regen sie dazu an, Risiken auf sich zu nehmen
(Paquette, 2004). Da sie im selben Moment aber auch Sicherheit bieten, scheint diese Art des
Spielens für die Entwicklung von Selbstvertrauen und die Fähigkeit, für sich selbst einstehen
zu können, besonders förderlich zu sein (Paquette, 2004). Dies wiederum sind zwei Aspekte,
welche sich bei der selbstbezogenen Sozialkompetenz wieder finden.
Ein weiterer Bereich, welcher ­ neben Erziehungsstil und Spielverhalten ­ besonderer
Beachtung bedarf, ist der Sprachgebrauch des Vaters. Väter verwenden im Gegensatz zu
Müttern gegenüber kleinen Kindern häufiger wenig vertraute Worte (Bernstein Ratner, 1988).
So stellen Mervis Mervis (1982) fest, dass Väter die im allgemeinen Sprachgebrauch

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842820883
DOI
10.3239/9783842820883
Dateigröße
659 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg – Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft, Psychologie
Erscheinungsdatum
2011 (September)
Note
1,0
Schlagworte
sozialkompetenz väter erziehung psychologie vater
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Titel: Die Bedeutung von Vätern für die Entwicklung von Sozialkompetenz
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