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Ausgebrannt?

Eine Suche nach "Erschöpfungs-Pattern": psychobiologische Betrachtung von Erschöpfungszuständen und Burnout

©2011 Diplomarbeit 114 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
‘Von 2001 bis 2005 stieg der Anteil der durch psychische Störung bedingten AU-Tage (Arbeitsunfähigkeitstage) von 6,6 auf 10,5 % an. Bei unter 50-Jährigen stehen depressive Störungen als Frühberentungsgrund mittlerweile an zweiter Stelle. Immer mehr Menschen erleben sich in der Arbeit als ‘an der Belastungsgrenze’, wobei die gleichzeitig sinkenden AU-Tage kaum anders als durch hohen systemischen Druck erklärbar sind. Halten wir diesem Druck nicht stand respektive erleben wir die erhaltenen Gratifikationen relativ zum persönlichen Einsatz als zu gering (…), ist ‘Burnout’ ein Stress-Symptome und erlebte Beeinträchtigungen plausibel erklärendes und zudem das individuelle Selbstwertgefühl stabilisierendes Krankheitsmodell. (…) Schon deshalb verdient Burnout in hohem Maße wissenschaftliche, therapeutische und politische Aufmerksamkeit’.
Bei der Suche nach Literatur zu dem Begriff Burnout lassen sich in Datenbanken wie Pubmed und PsycINFO etwa 6000 bis 6500 Artikel und bei Google Scholar circa 315.000 Verweise finden. Vergleicht man diese mit der Anzahl an Ergebnissen, die man für den Suchbegriff Depression erhält wird deutlich, dass dieses Phänomen wissenschaftlich noch ein vergleichbar dünnes Fundament hat (PubMed zeigt etwa 248.000 und PsycINFO etwa 168.000 Ergebnisse an bei der Suche nach dem Begriff Depression). Erklären lässt sich das vermutlich aufgrund der definitorischen Unschärfe von Burnout. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Depressionsforschung bereits Anfang des 19. Jahrhunderts begann (Pinel, 1801). Somit entstand die Depressionsforschung etwa 170 Jahre früher, als die seit etwa 35 Jahren bestehende Burnoutforschung. Betrachtet man jedoch das allgemeine Interesse in der Bevölkerung und den Medien, so wird ein anderes Verhältnis deutlich. Bei der Suche nach dem Begriff depression auf google.com erhält man etwa 63.000.000 Ergebnisse. Wird der Begriff burnout beziehungsweise exhaustion dort eingegeben erscheinen circa 10.600.000 beziehungsweise (bzw.) 34.000.000 Einträge. Diese Resonanz kann in dem Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen begründet liegen. So ist Stress – insbesondere am Arbeitsplatz – häufig aus persönlicher Erfahrung präsent. Gleiches gilt für damit oftmals einhergehende Gefühle von Lustlosigkeit, Mattheit oder Abgeschlagenheit. Relevant ist das Thema jedoch vielmehr noch aufgrund von langfristigen und auch kostenintensiven Folgen, die mit Burnout und Erschöpfung einher gehen. […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Sandra Waeldin
Ausgebrannt?
Eine Suche nach "Erschöpfungs-Pattern": psychobiologische Betrachtung von
Erschöpfungszuständen und Burnout
ISBN: 978-3-8428-2082-1
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2011
Zugl. Universität Trier, Trier, Deutschland, Diplomarbeit, 2011
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© Diplomica Verlag GmbH
http://www.diplomica.de, Hamburg 2011

MAI 2011
ZUSAMMENFASSUNG
II
Z
USAMMENFASSUNG
Burnout hat eine hohe Prävalenzrate und ist begleitet von vielfältigen Einbußen in der Lebens-
qualität und Leistungsfähigkeit. Das öffentliche Interesse an diesem Phänomen ist hoch,
wenngleich es der Forschung bisher kaum gelang, Burnout differenziert zu erfassen und zu
konzeptualisieren. Obwohl es an validen und differentialdiagnostischen Messinstrumenten
mangelt, wird Erschöpfung von den meisten Autoren als Hauptkriterium für Burnout gesehen.
Dabei wird der Zusammenhang von Burnout und Depression stark diskutiert. Die vorliegende
Arbeit hat das Ziel psychologische, biologische und somatische Merkmale erschöpfter Patien-
ten zu erfassen. Hierzu wurden 343 psychisch oder psychosomatisch erkrankte stationäre und
ambulante Patienten mit der NeuropatternTM-Diagnostik untersucht (Altersdurchschnitt 45,5
Jahre, 65.3% weiblich). Über die Neuropattern-Questionnaires (NPQ) sowie dem Patient-
Health-Questionnaire (PHQ) werden somatische und psychische Symptome, darunter das Er-
schöpfungsausmaß, erfasst. Zusätzlich vermerkt ein Arzt über einen Anamnesebogen klinisch
relevante Symptome. Die Patienten messen über eine Elektrokardiogramm-Aufzeichnung die
Herzratenvariabilität und sammeln an zwei Tagen jeweils sechs Speichelproben zur
Cortisolbestimmung (0, 30, 45 und 60 Minuten nach dem Erwachen sowie um 15 und 20 Uhr).
Vier weitere morgendliche Speichelproben werden nach der Einnahme von 0,25 mg Dexame-
thason erhoben (ultra-low-dose Dexamethasonhemmtest). Aus den Ergebnissen dieser Arbeit
wird die Bedeutung von chronischem Stress am Arbeitsplatz für ein erhöhtes Erschöpfungs-
ausmaß ersichtlich. In gleicher Weise spielen mangelnde soziale oder emotionale Unterstüt-
zung, traumatische Ereignisse, familiäre Konflikte, Arbeitslosigkeit und eine einfache oder nied-
rige Arbeitsposition eine Rolle. Erschöpfte Personen leiden vor allem an mentaler und
körperlicher Müdigkeit sowie Niedergeschlagenheit. Zusätzlich ist ihre Symptomatik jedoch
durch Anspannung, Angst, Nervosität, Reizbarkeit und einem ausgeprägtem Gefühl des
Krankseins bestimmt. Somatisch imponieren bei Erschöpften Schmerzen, Magen-Darm-
Probleme, kardiovaskuläre Beschwerden und eine Reihe von Symptomen, die erst nach
Stressphasen auftreten. Trotz einer hohen Überschneidung scheint es über sympathisch und
noradrenerg geprägte Symptome möglich, erschöpfte von depressiven Personen zu unter-
scheiden. Das Erschöpfungsausmaß scheint überdies mit einer reduzierten autonomen Regu-
lationsfähigkeit einher zu gehen. Zwar gibt es kaum Belege für eine generell erniedrigte Corti-
solkonzentration bei Erschöpften, allerdings zeigt sich bei hoch erschöpften Patienten ein
deutlich negativer Zusammenhang zwischen dem Erschöpfungsausmaß und der Cortisolauf-
wachreaktion, der area under the curve und der Cortisolkonzentration. Weitergehende Studien
sollten die Möglichkeit einer symptomatischen Abgrenzung von Depression und Erschöpfung
sowie eine Differenzierung zwischen hoch und gering erschöpften Personen anhand der Corti-
solaufwachreaktion und -Konzentration prüfen. Überdies sind eine einheitliche Konzeptualisie-
rung von Burnout und eine Validierung der Messinstrumente erforderlich.
D
I P L O M A R B E I T V O N
S
A N D R A
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RSCHÖPFUNGS
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III
I
NHALTSVERZEICHNIS
Z
USAMMENFASSUNG
... II
I
NHALTSVERZEICHNIS
... III
A
BBILDUNGSVERZEICHNIS
... V
T
ABELLENVERZEICHNIS
... VI
A
BKÜRZUNGSVERZEICHNIS
... VII
1. E
INLEITUNG
... 1
2. T
HEORETISCHE
G
RUNDLAGEN
... 3
2.1. B
URNOUT
... 3
2.1.1. B
EGRIFFSENTWICKLUNG
... 3
2.1.2.
Verlauf und Symptome ... 6
2.1.3.
Definition und Diagnose ... 9
2.1.4. Differentialdiagnose
... 12
2.1.5.
Häufigkeit und Relevanz ... 14
2.1.6.
Ätiologie und Risikofaktoren ... 18
2.2. N
EUROPATTERN
TM ... 24
2.2.1. Kovarianz-
und
Heterogenitätsproblem
... 24
2.2.2.
Was ist NeuropatternTM?... 25
2.2.3. HHNA-Biomarker
... 26
2.2.4. Sympatho-adrenerge
Biomarker
...
31
2.3. F
RAGESTELLUNG
... 34
2.3.1.
Hypothesen zur Messung von Erschöpfung... 34
2.3.2.
Hypothesen der Unterscheidbarkeit von erschöpften Subgruppen ... 35
2.3.3.
Hypothesen über die Unterscheidbarkeit von Depression und Erschöpfung ... 36
2.3.4.
Hypothesen über Symptome erschöpfter Personen ... 36
2.3.5.
Hypothesen über biologische Marker von Erschöpfung ... 37
3. M
ETHODE
... 38
3.1. S
TUDIENABLAUF UND
­D
ESIGN
,
-S
ETTING
... 38
3.1.1. S
TUDIENSETTING UND
­Z
IEL
... 38
3.1.2. A
BLAUF
... 38
3.1.3. S
TICHPROBENBESCHREIBUNG UND
A
US
-
UND
E
INSCHLUSSKRITERIEN
... 40
3.1.4. Z
USÄTZLICHE
S
TICHPROBE
... 41
3.2. U
NTERSUCHUNGSMETHODEN
... 43
3.2.1. B
ESTIMMUNG VON
C
ORTISOL IM
S
PEICHEL
... 43
3.2.2. D
EXAMETHASONHEMMTEST
... 44
3.2.3. H
ERZRATENVARIABILITÄTSMESSUNG
... 45

MAI 2011
INHALTSVERZEICHNIS
IV
3.2.4. NPQ-A ... 46
3.2.5. NPQ-S ... 46
3.2.6. NPQ-P ... 47
3.2.7. PHQ-D
... 47
3.2.8. W
EITERE
D
ATENERFASSUNGEN
... 48
3.3. S
TATISTISCHE
M
ETHODEN
... 49
4. E
RGEBNISSE
... 51
4.1. D
ESKRIPTIVE
B
ESCHREIBUNG
... 51
4.1.1. S
TICHPROBE
... 51
4.2. D
ATENANALYSE
... 55
4.2.1.
Ergebnisse zu den Erschöpfungsmaßen ... 55
4.2.2.
Ergebnisse zu erschöpften Subgruppen ... 56
4.2.3.
Ergebnisse zur Unterscheidbarkeit von Depression und Erschöpfung ... 60
4.2.4.
Ergebnisse über Merkmale und Symptome erschöpfter Personen ... 61
4.2.5.
Ergebnisse zu biologischen Merkmalen erschöpfter Personen ... 69
5. D
ISKUSSION
... 73
6. L
ITERATURVERZEICHNIS
... 83
7. A
NHANG
... 96
7.1. C
OPENHAGEN
B
URNOUT
I
NVENTORY
... 96
7.2. K
ORRELATIONEN DER
NPQ-S
E
RSCHÖPFUNGSITEMS UNTEREINANDER
... 97
7.3. K
ORRELATION ZWISCHEN
E
RSCHÖPFUNG UND
NPQ-P-S
YMPTOMEN
... 98
7.4. K
ORRELATION ZWISCHEN
E
RSCHÖPFUNG UND
E
RKRANKUNGEN
... 100
7.5. D
ENDOGRAMM DER
C
LUSTERANALYSE
... 102
7.6. V
ERTEILUNG
D
EPRESSIONSAUSMAß
... 103
7.7. R
EGRESSION ZWISCHEN
E
RSCHÖPFUNG UND
D
EPRESSION
... 103

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V
A
BBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Zusammenfassendes Burnout-Modell ... 23
Abbildung 2: Das Stresssystem (Lupien, McEwen, Gunnar, & Heim, 2009). ... 27
Abbildung 3: Cortisolaufwachreaktion (Wüst, Wolf, Hellhammer, et al., 2000) ... 28
Abbildung 4: Totala area under the curve (AUCt) der CAR und AUC increase (AUCi)
mm
(Hellhammer, Fries, Schweisthal, et al., 2007) ... 28
Abbildung 5: Demografische Merkmale ambulanter und stationärer Patienten ... 52
Abbildung 6: Erschöpfung bei stationären und ambulanten Patienten ... 53
Abbildung 7: Erschöpfung bei Männern und Frauen. ... 53
Abbildung 8: Verteilung der Variable Erschöpfung (SEr). ... 55
Abbildung 9: Verteilung der Variable Erschöpfung (SPEr). ... 56
Abbildung 10: Verteilung der Erschöpfungswerte (SPEr, eine Standardabweichung über
mm
dem Mittelwert) ... 57
Abbildung 11: Erschöpfung, zwei Cluster ... 58
Abbildung 12: Erschöpfung, drei Cluster ... 58
Abbildung 14: Diagnostizierte NeuropatternTM bei hoch und niedrig erschöpften Patienten . 60
Abbildung 14: Demografische Angaben stark und weniger erschöpfter Patienten. ... 65
Abbildung 15: Beruflicher Positionen stark und weniger erschöpfter Patienten. ... 66
Abbildung 16: Lebensereignisse hoch und niedrig erschöpften Patienten ... 68
Abbildung 17: Cortisolaufwachreaktion bei stark und weniger erschöpften Patienten ... 69
Abbildung 18: Cortisolaufwachreaktion bei stark und niedrig erschöpften Patienten ... 70
Abbildung 19: Modellartige Zusammenfassung der Ergebnisse. ... 74
Abbildung 20: Dendogramm der Clusteranalyse. ... 102
Abbildung 21: Streudiagramm für Depression... 103
Abbildung 22: Streudiagramm der Regression zwischen Depressions und Erschöpfung ... 103

MAI 2011
TABELLENVERZEICHNIS
VI
T
ABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1: Burnout-Symptomatik nach Burisch (2006) ... 9
Tabelle 2: Nature of psychosocial hazards at work (European Agency for Safety and
mm
Health at Work, 2010) ... 21
Tabelle 3: Zusammenfassung der mit Erschöpfung assoziierten Symptome. ... 63
Tabelle 4: Zusammenhangsstärke zwischen Merkmalen erschöpfter Männern und
mm
Frauen sowie Vergleich zur Zusammenhangsstärke zu Depression... 64
Tabelle 5: Exploratives lineares Regressionsmodell zwischen dem Erschöpfungsausmaß
mm
und verschiedenen Lebensereignissen als Prädiktoren ... 67
Tabelle 6: Korrelationen zwischen der Cortisolkonzentration und Erschöpfung ... 71
Tabelle 7: Korrelationen zwischen Erschöpfung und der Herzratenvariabilität. ... 72
Tabelle 8: Korrelationen zwischen den Erschöpfungssymptomen des NPQ-S ... 97
Tabelle 9: Korrelation zwischen Symptomen und Erschöpfung sowie Depression ... 98
Tabelle 10: Korrelationen zwischen Erschöpfung und Erkrankungen. ... 100

AUSGEBRANNT?
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A
BKÜRZUNGSVERZEICHNIS
ACTH
Adrenocorticotropes
Hormon
AUC
i / g
Area under the curve with respect to increase / ground, An
stieg der Fläche / Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve
AU-Tage Arbeitsunfähigkeitstage
CAR
Cortisolaufwachreaktion
CRH
Corticotropin-Releasing-Hormon
EKG
Elektrokardiogramm
Erschöpfung (SEr)
Erschöpfungsausmaß gemessen über die Skala Erschöpfung
des Symptomfragebogens der Neuropattern-Questionnaires
Erschöpfung (SPEr)
Erschöpfungsausmaß gemessen über die Skala Erschöpfung
des Symptomfragebogens und weiterer erschöpfungsbezoge-
ner Items des Patientenfragebogens der NPQs
GR oder GC
Glucocorticoidrezeptor
H Hypothese
/
Fragestellung
HHNA
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse
ICD-10
Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und
verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision
LF / HF
Verhältnis Low Frequency zu High Frequency
M Mittelwert
MBI
Maslach Burnout Inventory
NPQ-A
Neuropattern-Questionnaire ­ Anamnesebogen
NPQ-P
Neuropattern-Questionnaire ­ Patientenfragebogen
NPQ-PSQ
Neuropattern-Questionnaire ­ prä-postnataler Fragebogen
NPQ-S
Neuropattern-Questionnaire ­ Symptomfragebogen
p
Fehlerwahrscheinlichkeit
PHQ-D Patient-Health-Questionnaire ­ deutsche Version
PNS
Parasympathisches
Nervensystem
r Korrelationskoeffizient
SCL-90-R
Symptom-Checkliste von L. R. Derogatis
SD
standard deviation, Standardabweichung,
Ä
quivalent: ±
SE
standard error, Standardfehler
SNS
Sympathisches
Nervensystem
TBS
Teacher Burnout Scale
²
Chi²-Quotient
Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird nachfolgend das generische Maskulinum verwendet.


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1.
E
INLEITUNG
,,Von 2001 bis 2005 stieg der Anteil der durch psychische Störung bedingten AU-Tage (Arbeitsun-
fähigkeitstage) von 6,6 auf 10,5 % an. Bei unter 50-Jährigen stehen depressive Störungen als Frühbe-
rentungsgrund mittlerweile an zweiter Stelle. Immer mehr Menschen erleben sich in der Arbeit als ,,an
der Belastungsgrenze", wobei die gleichzeitig sinkenden AU-Tage kaum anders als durch hohen sys-
temischen Druck erklärbar sind. Halten wir diesem Druck nicht stand respektive erleben wir die erhal-
tenen Gratifikationen relativ zum persönlichen Einsatz als zu gering (...), ist ,,Burnout" ein Stress-
Symptome und erlebte Beeinträchtigungen plausibel erklärendes und zudem das individuelle Selbst-
wertgefühl stabilisierendes Krankheitsmodell. (...) Schon deshalb verdient Burnout in hohem Maße
wissenschaftliche, therapeutische und politische Aufmerksamkeit." (Hillert & Marwitz, 2008, S. 239)
Bei der Suche nach Literatur zu dem Begriff Burnout lassen sich in Datenbanken wie
Pubmed und PsycINFO etwa 6000 bis 6500 Artikel und bei Google Scholar circa 315 000
Verweise finden. Vergleicht man diese mit der Anzahl an Ergebnissen, die man für den
Suchbegriff Depression erhält wird deutlich, dass dieses Phänomen wissenschaftlich noch
ein vergleichbar dünnes Fundament hat (PubMed zeigt etwa 248 000 und PsycINFO etwa
168 000 Ergebnisse an bei der Suche nach dem Begriff Depression; alle Anfragen abgerufen
am 02.10.2010). Erklären lässt sich das vermutlich aufgrund der definitorischen Unschärfe
von Burnout. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Depressionsforschung bereits Anfang des
19. Jahrhunderts begann (Pinel, 1801). Somit entstand die Depressionsforschung etwa 170
Jahre früher, als die seit etwa 35 Jahren bestehende Burnoutforschung (Freudenberger,
1974; vergleiche (vgl.) Burisch, 2006). Betrachtet man jedoch das allgemeine Interesse in
der Bevölkerung und den Medien, so wird ein anderes Verhältnis deutlich. Bei der Suche
nach dem Begriff depression auf google.com erhält man etwa 63 000 000 Ergebnisse. Wird
der Begriff burnout beziehungsweise exhaustion dort eingegeben erscheinen circa
10 600 000 beziehungsweise (bzw.) 34 000 000 Einträge (Anfragen abgerufen am
02.10.2010). Diese Resonanz kann in dem Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklun-
gen begründet liegen. So ist Stress ­ insbesondere am Arbeitsplatz ­ häufig aus persönli-
cher Erfahrung präsent. Gleiches gilt für damit oftmals einhergehende Gefühle von Lustlo-
sigkeit, Mattheit oder Abgeschlagenheit. Relevant ist das Thema jedoch vielmehr noch
aufgrund von langfristigen und auch kostenintensiven Folgen, die mit Burnout und Erschöp-
fung einher gehen. Konsequenzen von Arbeitsunfähigkeit spiegeln sich nicht nur in medizini-
schen Kosten wieder, sondern in einer ganzen Reihe an persönlichen Einschränkungen so-
wie volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Schäden (siehe 2.1.5). Von daher ist
eine Auseinandersetzung mit Burnout sowie den Prädiktoren und Konsequenzen dringend.
Ebenso wichtig ist es jedoch, die Schwächen dieses Konzepts zu betrachten (siehe 2.1.1,
2.1.3 oder 2.1.4). Neben speziellen konzeptuellen Problemen steht Burnout daneben auch
grundlegenden Problemen psychischer Störungen gegenüber (siehe 2.2.1).

MAI 2011
EINLEITUNG
2
An der Universität Trier wurde indes ein Verfahren entwickelt, welches durch eine indivi-
dualspezifische Betrachtung multidimensionaler Komponenten einige dieser Probleme um-
geht. NeuropatternTM erfasst stresssensitive Veränderung anhand von Schnittstellen zwi-
schen biologischen, psychologischen und physiologischen Parametern. Anschließend
werden für die jeweiligen Veränderungsmuster (Neuropattern) spezifische psycho- und
pharmakotherapeutische Maßnahmen abgeleitet (siehe 2.2.2 bis 2.2.4). Da Burnout zu
stressbezogenen Gesundheitssyndromen zählt, wird anhand einer klinischen Stichprobe
überprüft, wie verschiedene NeuropatternTM mit Burnout, bzw. Erschöpfungszuständen zu-
sammenhängen (siehe 2.3 sowie 4). Zusätzlich wird in dieser Arbeit eine möglichst umfas-
sende Beschreibung von erschöpften Personen anhand psychologischer, biologischer und
somatischer Merkmale gegeben. Die Stichprobe wurde im Rahmen einer Studie mit 106 am-
bulanten und Patienten erhoben, die stationär in der Rehabilitationsklinik Seehof in Teltow
behandelt wurden und an NeuropatternTM teilnahmen. Ziel dieser Studie ist es, durch ein
randomisiert Design die Wirksamkeit von NeuropatternTM anhand von Belastungsmaßen zu
evaluieren (siehe 3.1 und 4.1.1). Außerdem wurden Daten von 237 ambulanten Patienten
ergänzt, die im Rahmen einer aktuell laufenden Studie bei Hausärzten in Rheinland-Pfalz
dieselben Daten erhoben haben (siehe 3.1.4). Dabei soll einerseits die Häufigkeit der Neuro-
patternTM bei Hausarztpatienten festgestellt und andererseits die Praxistauglichkeit der Neu-
ropatternTM-Diagnostik geprüft werden.
Wie bereits angedeutet, wird im Folgenden zunächst der theoretische Hintergrund von
Burnout besprochen. Das umfasst eine Darstellung der Entwicklung des Begriffs ,,Burnout"
und der Häufigkeit seines Auftretens. Anhand von Symptomen, Ätiologie und der Möglichkei-
ten der Messung von Burnout wird das Konzept Burnout vertieft. Anschließend wird Neuro-
patternTM, seine Bestandteile und Vorteile vorgestellt. Die sich daraus ergebende Fragestel-
lung für diese Arbeit wird nach einer Darstellung der Studie im methodischen Teil
aufgegriffen und empirisch überprüft. Nach der Darstellung der Ergebnisse werden diese
diskutiert und Einschränkungen erörtert.

AUSGEBRANNT?
EINE
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UCHE NACH
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RSCHÖPFUNGS
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3
2. T
HEORETISCHE
G
RUNDLAGEN
Burnout steht zusammen mit einer Reihe von psychischen, psychosomatischen aber
auch somatischen Erkrankungen in engem Zusammenhang zu Stress. In der Diagnostik und
Behandlung dieser Störungen zeigen sich in der Praxis jedoch einige Probleme. Hier stellt
die NeuropatternTM-Diagnostik einen neuartigen Ansatz dar, der einige dieser Probleme um-
geht.
Nachfolgend werden zunächst einige wesentliche Aspekte des Burnout-Konzepts vor-
gestellt. Es wird auf die Begriffsentwicklung, Konzeptrealisierung, Symptome und epidemio-
logische Aspekte eingegangen. Anschließend folgt in der zweiten Hälfte des Theorieteils ei-
ne Vorstellung des NeuropatternTM-Verfahrens. Schließlich soll geprüft werden, welcher
Zusammenhang zwischen NeuropatternTM, den hiermit erhobenen Maßen und Burnout, bzw.
Erschöpfung besteht.
2.1.
B
URNOUT
Wie beschrieben, wird ausgehend von einer Begriffsbestimmung im ersten Teil der theo-
retischen Grundlagen auf verschiedene Aspekte von Burnout eingegangen. Dabei dient
Burnout als zeitgemäßes Beispiel eines stressbedingten Syndroms mit gesundheits- und
wirtschaftsschädlichen Folgen. Die Ursachen von Burnout werden weitläufig nicht zuletzt als
gesellschaftlich bedingt gesehen (Hillert & Marwitz, 2008). Dieser Tatsache bedeutet jedoch
ebenfalls eine langfristige Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Auftretenshäufigkeit und un-
terstreicht die Bedeutung der Auseinandersetzung mit diesem Thema.
,,Natürlich wird unser Begriff ,Burn-out` meist völlig falsch verwendet", kommentierte die US-
Psychotherapeutin Christina Maslach, die nach Freudenberger als ,,Entdeckerin" des Phänomens gilt,
den Flächenbrand (...), ,,aber das Echo zeigt uns doch, dass wir offensichtlich das Wundzentrum einer
Gesellschaft offengelegt haben. Plötzlich entdeckt die Menschheit, dass sie eine Seele hat." (Goebel &
Hofer, 2011)
2.1.1.
Begriffsentwicklung
Burned out, oder unüblicher: worn out, flame-out (Maslach & Schaufeli, 1993; vgl.
Burisch, 2006), also sich ,,ausgebrannt fühlen" umschreibt ein ,,Stresssyndrom" mit den
Hauptsymptomen Erschöpfung und Antriebslosigkeit, welche zu Leistungsminderung führen
(Brühlmann, 2007; Cordes & Dougherty, 1993; Deutsche Agentur für Health Technology
Assesment, DAHTA, 2010; Hillert & Marwitz, 2008; von Känel, 2008). Solche Symptome

MAI 2011
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
4
emotionaler und kognitiver Erschöpfung wurden historisch schon früh beschrieben
1
und tre-
ten häufig innerhalb eines stark belastenden Umfelds auf. Begleitet wird dieser Zustand von
Motivations- und Leistungsdefiziten und einer Reihe von weiteren psychischen, somatischen
und zwischenmenschlichen Beschwerden (vgl. Burisch, 2006; von Känel, 2008). Erhart und
Meyer (1997) verweisen in diesem Zusammenhang auf den Begriff ,,Nervosität". Mit diesem
soll bereits im 18. / 19. Jahrhundert eine mit Burnout vergleichbare Erscheinungsform
bezeichnet worden sein und auch hier gingen gestiegenen gesellschaftliche Anforderungen
voran. Gleichzeitig wurde der Begriff ,,Burnout" umgangssprachlich wohl etwa ab 1900 mit
der Bedeutung ,,
Ü
berarbeitung und früher Tod" verstanden (Enzmann & Kleiber, 1990; zitiert
nach Albrecht, ohne Zeitangabe; vgl. Burisch, 2006). Im wissenschaftlichen Kontext wurde
Burnout vermutlich jedoch erstmals 1974 von dem deutsch-amerikanischen Psychoanalytiker
Herbert J. Freudenberger verwendet. In Fallstudien beschrieb er, wie zunächst engagierte
Mitarbeiter aus sozial-helfenden Berufen zunehmend erschöpft und reizbar gegenüber ihren
Klienten wurden und unter körperlichen Symptomen litten (Freudenberger, 1974). Er
verstand Burnout als körperliche und geistige Erschöpfung, die entsteht, wenn das eigene
Selbstbild (im Sinne von persönlicher Rolle oder Lebensplan) nicht erfüllt werden kann.
Freudenberger beobachtete bei sich und anderen Betroffenen neben Erschöpfung auch
Müdigkeit, Kopfschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Schlafprobleme, Gereiztheit und
Einbußen in der Flexibilität. Dennoch sah er die Symptomatik als individuell sehr
unterschiedlich an und charakterisierte Burnout infolgedessen eher aufgrund der Genese
(Hillert & Marwitz, 2008). Die Sozialpsychologin Christina Maslach begann nur wenige Zeit
später damit, sich mit Emotionen und emotionalen Stress am Arbeitsplatz zu beschäftigen
(Maslach, 1976; zitiert nach Burisch, 2006). Da sie in ähnlicher Weise Pflegeberufe und
Dienstleisungsberufe untersuchte, war die Burnoutforschung in der Pionierzeit somit eher auf
Berufe mit Klienten-, bzw. Patientenkontakten beschränkt. Außerdem wurde sie durch
qualitative Methoden dominiert (Maslach, Schaufeli, & Leiter, 2001).
Weniger als zehn Jahre darauf gewann die Forschung an Systematik. Zentral hierfür
war, dass nun ein ökonomisches Testverfahren zur Verfügung stand. Dieses wurde von der
Arbeitsgruppe um Maslach entwickelt (Maslach, Schaufeli, & Leiter, 2001). Mit dem Maslach
Burnout Inventory (MBI, Maslach & Jackson, 1981) wurde Burnout folglich ab den 1990ern
branchenübergreifend untersucht (Cordes & Dougherty, 1993; Maslach, Schaufeli, & Leiter,
2001). Entstanden ist das MBI zunächst aufgrund hypothetisch angenommener Aspekte des
1
Von Känel (2008) berichtet beispielsweise, dass bereits Goethe über solche Beschwerden klagte. Burisch be-
richtet dies von Shakespeare und verweist sogar auf Stellen des Alten Testaments, in denen Beschreibungen von
Erschöpfungszuständen zu erkennen seien (2. Mose 18, 17-18; zitiert nach Burisch, 2006).

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Burnout Syndroms. In darauffolgenden Schritten wurde aus ursprünglich 47 Items, vier
Faktoren und zwei Ratingskalen die heute bekannte Form erstellt. Diese besteht aus 25
Items, die über eine sechsstufige Ratingskala per Selbsteinschätzung bezüglich der
jeweiligen Auftretenshäufigkeit bewertet werden können. Obwohl ,,ein vierter Faktor
(Anmerkung des Autors: involvement) konsistent in der Faktoranalyse auftauchte", wurde
eine Lösung mit drei Subskalen aufgrund ihrer Eigenwerte gewählt (Maslach & Jackson,
1981, S. 104). Dieses Drei-Komponenten-Modell von Maslach umfasst 1.) emotionale Er-
schöpfung als ein Gefühl von gefühlsbezogener
Ü
beranstrengung und des Energiemangels,
2.) Depersonalisierung als ein häufig von Zynismus begleitetes Gefühl der Nichtverantwort-
lichkeit gegenüber Klienten sowie 3.) reduzierte Leistungsfähigkeit, die sich in der mangeln-
den
Ü
berzeugung in die eigene Kompetenz und den Erfolg wiederspiegelt (Cordes &
Dougherty, 1993; Maslach & Jackson, 1981). In späteren Arbeiten sieht Maslach das MBI
nicht nur als Messinstrument für die Ausprägung von Burnout, sondern als Maß auf einem
Kontinuum zwischen Burnout und Engagement (Maslach & Leiter, 2008). Ebenfalls hat die
Arbeitsgruppe einige Jahre nach dessen entstehung das MBI umformuliert, wodurch der
Fragebogen seit 1996 als MBI ­ General Survey (Schaufeli, Leiter, Maslach, & Jackson,
1996) in der dreidimensionalen Struktur auch für klientenunabhängige Berufe einsetzbar ist
(Bakker, Demerouti, & Schaufeli, 2002). Infolgedessen ist der Faktor Depersonalisierung nun
als eine Haltung der inneren Distanz gegenüber der Tätigkeit zu verstehen (Schaufeli, Leiter,
Maslach, & Jackson, 1996).
Während Reliabilitätsmaße wie die Iteminterkorrelation, internale Konsistenz und
Retestreliabilität über zwei bis vier Wochen (Maslach & Jackson, 1981), bzw. drei Monate
(Schaufeli, Enzmann, & Girault, 1993) zufriedenstellend bis gut sind, sind andere Gütemaße
diskutabel. Ebenfalls scheint die Vorhersagekraft bei Zeitabständen, die größer als sechs bis
acht Monate sind, nachzulassen und bewegt sich um eine Korrelation um r = .5 (Shirom et
al., 2005). Regelmäßig sind heterogene Ansichten und Befunde bezüglich der diskriminanten
Validität, etwa in Abgrenzung zu Depression (siehe 2.1.4), zu finden (Deutsche Agentur für
Health Technology Assesment, DAHTA, 2010; Schaufeli, Enzmann, & Girault, 1993).
Dennoch wird in der Literatur und auch in Untersuchungen, die das MBI verwenden, die
Konstruktvalidität dieses Fragebogens weniger stark diskutiert. Dabei wird das MBI in etwa
85 % (Deutsche Agentur für Health Technology Assesment, DAHTA, 2010) bzw. über 90 %
(Burisch, 2006) der wissenschaftlichen Untersuchungen zu Burnout eingesetzt. Die darin
operationalisierten Symptomdimensionen sind demnach die am häufigsten untersuchten
(von Känel, 2008) und von daher auch zahlreich belegt. Allerdings gibt es unabhängig von
dieser Operationalisiserung bisher keine einheitliche und anerkannte Definition (siehe 2.1.3),
obligatorische Einzelsymptome (Hillert & Marwitz, 2008) oder objektive Marker für Burnout
(von Känel, 2008). Insofern können sich Befunde zu Burnout nur auf das, dem jeweiligen

MAI 2011
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
6
Fragebogen zugrundeliegende Konstrukt von Burnout beziehen. Unabhängig
davon
verweisen Analysen des Deutschen Insituts für Medizinische Dokumentation auf eine
Beliebigkeit der im MBI angenommenen dreidimensionalen Struktur (Deutsche Agentur für
Health Technology Assesment, DAHTA, 2010).
Ä
hnlich beliebig sieht Shirom (2005) die
dreidimensionale Struktur des MBI. Dies stellt die Konstruktvalidität zusätzlich infrage (vgl.
Shirom et al., 2005). Als weiteres, recht häufig verwendetes Burnoutmessinstrumente lässt
sich das Oldenburg Burnout Inventar nennen (Demerouti, Bakker, Nachreiner, & Schaufeli,
2001). Es erfasst Erschöpfung und Distanzierung von der Arbeit. Alternativ gibt es daneben
das Copenhagen Burnout Inventory (Kristensen, Borritz, Villadsen, & Christensen, 2005),
welches zwischen persönlichem, arbeitsbezogenem und klientenbezogenem Burnout
unterscheidet oder der Shirom-Melamed Burnout Questionnaire (Shirom, 2005), welcher die
Subskalen emotionale Erschöpfung, phsysische Müdigkeit und kognitive Ermüdung enthält.
Eine weitergehende Betrachtung verschiedener Messverfahren und vereinzelt ihrer
Gütekriterien ist in Burisch (2006), bei Shirom und Ezrachi (2003) oder Bakker, Demerouti
und Schaufeli (2002) zu finden.
Gelegentlich lässt sich auch der Begriff vitale Erschöpfung finden. Dieser wurde etwa
Mitte der 1980er Jahre im klinischen Kontext insbesondere von A. Appels als Bezeichnung
für den Zustand von Patienten vor einem Herzinfarkt eingeführt. Kennzeichen sind eine
übermäßige Müdigkeit, Energieverlust, Reizbarkeit und Demoralisierung, welche ,,einen
Zustand mentaler Erschöpfung wiederspiegeln" (Appels & Mulder, 1989, S. 728). Allerdings
konnten keine Befunde gesichtet werden, die eine konzeptuelle Redundanz widerlegen oder
den Zusammenhang zu Burnout darstellen (vgl. Edelmann, 2010).
Ü
berdies mag die sehr
geringe Anzahl an Studien über vitale Erschöpfung auf ein wenig ergiebiges Konzept
hindeuten.
Es lässt sich festhalten, dass es neben einer gewissen Diversität einen dominanten
Ansatz in der Burnoutforschung gibt. Obwohl kritisch diskutiert ist das MBI das
meistverwendete Burnoutmessinstrument. Um Burnout möglichst unabhängig davon zu
beschreiben und ein anschauliches Bild zu erhalten, wird der begrifflichen und historisch-
konzeptuellen Sicht eine symptomatische Beschreibung gegenübergestellt.
2.1.2.
Verlauf und Symptome
Eine vielseitige und greifbare Darstellung von Burnout ist anhand von dessen Symptomen
möglich. Häufig werden diese zugleich in eine zeitliche Abfolge gebracht. In der Literatur las-
sen sich hierzu verschiedene Phasenmodelle der Burnout-Genese finden, welche mehrheit-
lich zwischen zwei und zehn Stufen umfassen. Die erste Phase beginnt oftmals damit, dass
Betroffene unter Berufsstress und
Ü
berforderung leiden. Dies wandelt sich anschließend in
Frustration, Stillstand oder Hilflosigkeit und endet nach einem Zustand der Erschöpfung

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schließlich mit Burnout (Burisch, 2006; Hillert & Marwitz, 2008). In manchen Modellen wird
eine zusätzliche Phase vorangestellt, worin Begeisterung und starkes Engagement für die
Aufgaben als Voraussetzung gesehen wird. Es ist jedoch eher zweifelhaft, ob Burnout eine
solche Hingabe für die jeweilige Tätigkeit vorausgegangen sein muss (Burisch, 2006; Hillert
& Marwitz, 2008); im Sinne von ,,Wer ausgebrannt ist muss zuvor auch gebrannt haben.".
Vielmehr ist zu erwähnen, ob nicht eine von vorneherein bestehende Abneigung gegen die
zu erledigende Arbeit ein mindestens ebenso starker, potentieller Prädiktor für Burnout ist.
Eine Synopsis von Burnoutsymptomen aus einer Vielzahl von Arbeiten, wie beispiels-
weise der von Schaufeli und Enzmann (1998), ist in Burisch (2006, S. 25 f) zu finden. Diese
ist in Tabelle 1 abgebildet und gibt einen Eindruck über mögliche Verlaufsformen und Symp-
tome von Burnout auf unterschiedlichen Ebenen. Einschränkend merkt der Autor allerdings
eine gewisse Willkürlichkeit der Einteilung und Unschärfe der Begrifflichkeiten an (Burisch,
2006, S. 27). Außerdem ergänzt er an dieser Stelle, die Reihenfolge sei nicht allzu zwingend
gemeint. Burisch geht von einer Anfangsphase mit überhöhtem Energieeinsatz und ersten
Erschöpfungsanzeichen aus, die über mehrere Stufen zu einem ,,Burnout-Stadium" (Burisch,
2006, S. 34) führen kann. In den Phasen dazwischen lassen sich zunehmend schwerwie-
gendere Symptome auf behavioraler, emotionaler, psychosomatischer und kognitiver Ebene
finden. So ist beispielsweise zu erkennen, wie nach ersten Anzeichen von Kraftlosigkeit eine
größere Distanz zu Klienten, bzw. genereller Empathieverlust, sich häufende Konflikten,
Stimmungsschwankungen und Irritierbarkeit (Melamed et al., 1999)
2
, depressive Verstim-
mungen (Bauer et al., 2003),
Ä
ngstlichkeit und Hilflosigkeit (Rada & Johnson-Leong, 2004;
Richardsen, Burke, & Leiter, 1992; Turnipseed, 1998) oder auch Aggressivität auftritt. An-
schließend kommt es zu einem allgemeinen Abbau der Leistungsfähigkeit (Salamela-Aro,
Kiuru, Leskinen, & Nurmi, 2009; zitiert nach Deutsche Agentur für Health Technology
Assesment, 2010) sowie einer emotionalen und sozialen Verflachung. So zeigen Burnoutbet-
roffene weniger Einsatz und Vorbereitung für ihre Tätigkeit (Lee & Shin, 2005) und auch das
Familien- und Eheleben wird weniger zufrieden stellend bewertet (Greenglass & Burke,
1988;
Ü
bersicht in Maslach & Leiter, 2008). Ergänzend argumentieren Maslach, Schaufeli
und Leiter (2001), dass die Leistungsminderung durch Unzufriedenheit über die Arbeit in ei-
ner Abwärtsspirale verstärkt werden kann. Begleitet wird dieser Prozess von körperlichen
Reaktionen wie Schmerzen (Brattberg, 2006; Soares & Jablonska, 2004). Ebenso zeigen
sich Schlafprobleme wie Durchschlafstörungen und ein wenig erholsamer Schlaf (vgl. von
Känel, 2008; Grossi et al., 2003 Melamed et al., 2005
2
Die in der Tabelle aufgeführten Symptome werden mit weiteren mit weiteren Belegen ergänzt.

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THEORETISCHE GRUNDLAGEN
8
1. Warnsymptome
der
Anfangsphase
a.
Ü
berhöhter Energieeinsatz:
-
Hyperaktivität
-
Freiwillige
unbezahlte
Mehrarbeit
-
Gefühl
der
Unentbehrlichkeit
-
Gefühl, nie Zeit zu haben
-
Verleugnung eigener Bedürfnisse
-
Verdrängung von Misserfolgen und Enttäu-
schungen
-
Beschränkung sozialer Kontakte auf Klienten
-
Schuldzuweisung für Probleme an Klienten
-
Höhere Akzeptanz von Kontrollmitteln wie
Strafen oder Tranquilizer
-
Stereotypisierung
von
Klienten, Kunden, etc.
-
Betonung
von
Fachjargon
-
Dehumanisierung
b. Erschöpfung
-
Nicht Abschalten können
-
Energiemangel
-
Unausgeschlafenheit
-
Erhöhte
Unfallgefahr
2. Reduziertes Engagement
a. Für Klienten, Patienten etc.
-
Desillusionierung
-
Verlust
positive
Gefühle
gegenüber
Klienten
-
größere Distanz zu Klienten
-
Vermeidung von Kontakt mit Klienten
und/oder Kollegen
-
Aufmerksamkeitsstörungen in der Interaktion
mit Klienten
-
Verschiebung des Schwergewichts von Hilfe
auf Beaufsichtigung
b. Für Andere allgemein
-
Unfähigkeit
zu
geben
-
Verlust
von
Empathie;
Kälte
-
Verständnislosigkeit
-
Schwierigkeiten,
anderen
zuzuhören
-
Zynismus
c. Für
die
Arbeit
-
Verlust
von Idealismus
-
Desillusionierung
-
negative Einstellung zur Arbeit
-
Widerwillen,
Ü
berdruss
-
Widerstand, täglich zur Arbeit zu gehen
-
Ständiges auf-die-Uhr-Sehen
-
Fluchtfantasien
-
Tagträume
-
Ü
berziehen von Arbeitspausen
-
Verspäteter Arbeitsbeginn
-
Fehlzeiten
-
Verlagerung des Schwergewichts auf die Frei-
zeit, aufblühen am Wochenende
-
Höheres Gewicht materieller Bedingungen für
die Arbeitszufriedenheit
d. Erhöhte Ansprüche
-
Konzentration auf die eigenen Ansprüche
-
Gefühl
mangelnder
Anerkennung
-
Gefühl, ausgebeutet zu werden
-
Familienprobleme
-
Konflikte mit den eigenen Kindern
-
Eifersucht
3. Emotionale Reaktionen; Schuldzuweisung
a. Depression
-
Schuldgefühle
-
Reduzierte
Selbstachtung
-
Insuffizienzgefühle
-
Gedankenverlorenheit
-
Selbstmitleid
-
Humorlosigkeit
-
Unbestimmte Angst und Nervosität
b. Abrupte Stimmungsschwankungen
-
Verringerte
emotionale
Belastbarkeit
-
Bitterkeit
-
Abstumpfung, Gefühl von Abgestorbensein und
Leere
-
Schwächegefühl
-
Neigung
zum
Weinen
-
Ruhelosigkeit
-
Hilflosigkeit-,
Ohnmachtsgefühle
-
Pessimismus,
Fatalismus
-
Apathie
c. Aggressionen
-
Schuldzuweisung an andere oder "das
System"
-
Vorwürfe
an
anderer
-
Verleugnung der Eigenbeteiligung
-
Ungeduld
-
Launenhaftigkeit
-
Intoleranz
-
Kompromissunfähigkeit
-
Nörgelei
-
Negativismus
-
Reizbarkeit
-
Ä
rger und Ressentiments
-
defensive/paranoide
Einstellungen
-
Misstrauen
-
häufige
Konflikte
mit
anderen
4. Abbau
a. der kognitiven Leistungsfähigkeit
-
Konzentrations-, Gedächtnisschwäche
-
Unfähigkeit zu komplexen Aufgaben
-
Ungenauigkeit
-
Desorganisation
-
Unfähigkeit zu klaren Anweisungen
-
Entscheidungsunfähigkeit
b. der Motivation
-
Verringerte
Initiative
-
Verringerte
Produktivität

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-
Dienst nach Vorschrift
c. der Kreativität
-
Verringerte Fantasie bezieht
-
Verringerte
Flexibilität
d. Entdifferenzierung
-
Rigides
Schwarzweißdenken
-
Widerstand gegen Veränderungen aller Art
5. Verflachung
a. des emotionalen Lebens
-
Verflachung gefühlsmäßiger Reaktionen
-
Gleichgültigkeit
b. des sozialen Lebens
-
Weniger persönliche Anteilnahme an anderen
oder exzessive Bindung an Einzelne
-
Meidung
informeller
Kontakte
-
Suche nach interessanten Kontakten
-
Meidung von Gesprächen über die eigene Ar-
beit
-
Eigenbröteleien
-
Mit sich selbst beschäftigt sein
-
Einsamkeit
c. des geistigen Lebens
-
Aufgeben
von
Hobbys
-
Desinteresse
-
Langeweile
6. psychosomatische
Reaktionen
-
Schwächung
der
Immunreaktion
-
Schlafstörungen
-
Albträume
-
Sexuelle
Probleme
-
Gerötetes
Gesicht
-
Herzklopfen
-
Engegefühl in der Brust
-
Atembeschwerden
-
Beschleunigter
Puls
-
Erhöhter
Blutdruck
-
Muskelverspannungen
-
Rückenschmerzen
-
Kopfschmerzen
-
Nervöse
Tics
-
Verdauungsstörungen
-
Ü
belkeit
-
Magen-Darm-Geschwüre
-
Gewichtsveränderungen
-
Veränderte
Essgewohnheiten
-
Mehr
Alkohol/Kaffee/Tabak
7.
Verzweiflung
-
Negative Einstellung zum Leben
-
Hoffnungslosigkeit
-
Gefühl der Sinnlosigkeit
-
Selbstmordabsichten
-
Existenzielle
Verzweiflung
-
Selbstmordgedanken
Tabelle 1: Burnout-Symptomatik nach Burisch (2006)
Grundlegend ist ersichtlich, dass Burnout ein schrittweiser und kontinuierlicher Prozess
mit einer Vielzahl an emotionalen, motivationalen, kognitiven, sozialen und somatischen Fol-
gen ist. Dabei ,,wird der Prozess des Ausbrennens als jederzeit anhaltbar und umkehrbar be-
schrieben. Auch kann er von einer Person mehrfach durchlaufen werden" (Erhart & Meyer,
1997, S. 120). Eine detailliertere Darstellung der Konzeptualisierung von Burnout als Pro-
zess lässt sich zum Beispiel in dem Review von Cordes und Dougherty (1993), sowie bei
Burisch (2006; vgl. 2010) nachlesen. In der vorliegenden Arbeit wird zugunsten einer stärke-
ren thematischen Eingrenzung darauf verzichtet. Außerdem weisen Hillert und Marwitz
(2008) darauf hin, dass solche Phasen zwar im Einzelfall plausibel erscheinen, jedoch ein
empirischer Nachweis fehle. Deshalb ist es wichtig, nachfolgend das Konzept von Burnout
weiter einzugrenzen, Möglichkeiten der Diagnose zu erörtern und in dem darauffolgenden
Abschnitt von anderen Konzepten abzugrenzen.
2.1.3.
Definition und Diagnose
,,Burnout ist der Professor, der ­ nach seiner Assistenzzeit an einem unruhigem Institut Ende der
Sechziger rasch avanciert, in den ersten Jahren die Tür seines Büros, ja seiner Wohnung, stets für je-
dermann offen hielt, der sich in Studienreform und Selbstverwaltung engagierte und stets dabei war,

MAI 2011
THEORETISCHE GRUNDLAGEN
10
wenn ein ,,autoritärer Zopf" abzuschneiden war ­ und der seine Begegnungen mit Studenten, ,,diesen
narzisstischen Kretins", heute auf ein kühles Minimum beschränkt, Konferenzen allenfalls seufzend
absitzt und ansonsten wieder zwischen seinen Bücherwänden lebt." (Burisch, 2006, S. 2)
In der Literatur finden sich zwar ähnliche, jedoch kaum einheitliche Beschreibung bzw.
Definition von Burnout. Wie in 2.1.1 beschrieben, ist das MBI das in der Forschung am häu-
figsten verwendete Messinstrument für Burnout. Folglich beinhaltet auch die Definition von
Burnout in den meisten wissenschaftlichen Arbeiten das dem Fragebogen zugrunde liegende
Drei-Komponentenmodell aus emotionaler Erschöpfung, reduzierter Leistungsfähigkeit und
Depersonalisation (siehe beispielsweise McManus, Winder, & Gordon, 2002; vgl. Cordes &
Dougherty, 1993; Erhart & Meyer, 1997). Auch im klinischen Kontext ist das MBI der am
häufigsten verwendete Burnoutfragebogen (Deutsche Agentur für Health Technology
Assesment, DAHTA, 2010). Da allerdings keine klaren Toleranzgrenzen für Burnout
existieren, ist eine valide klinische Einordnung mit diesem Fragebogen nicht möglich
(Deutsche Agentur für Health Technology Assesment, DAHTA, 2010; von Känel, 2008).
Weitgehende
Ü
bereinstimmung gibt es unabhängig von dem Burnout-Konstrukt von Maslach
in der Ansicht, dass Burnout insbesondere in Zusammenhang mit, bzw. in Folge von langan-
haltendem Stress und Belastungen auftritt (Burisch, 2006; Erhart & Meyer, 1997; Maslach &
Leiter, 2008; McManus, Winder, & Gordon, 2002). Dieser Symptomkomplex (Burisch, 2006),
bzw. unspezifische Stresserkrankung (von Känel, 2008) oder Stressreaktion (Erhart &
Meyer, 1997) hat als Hauptmerkmal chronische Erschöfpung, jedoch werden auch Reizbar-
keit, reduzierter Leistungswille und Effektivität oftmals als zentrale Merkmale erwähnt
(Burisch, 2006; Erhart & Meyer, 1997; Maslach & Jackson, 1981; Schaufeli & Enzmann,
1998). Eine weitere verbreitete Definition von Burnout nach Arie Shirom (1989; zitiert nach
Shirom et al., 2005; vgl. Melamed et al., 1999) bezieht sich auf die anhaltende Erschöpfung
der individuellen Ressourcen, die sich in emotionaler Erschöpfung, physischer Müdigkeit und
kognitiver Mattheit niederschlägt. Vergleichbar sieht die Arbeitsgruppe um Ayala Maslach-
Pines Burnout als körperliche, geistige und seelische Erschöpfung durch gefühlsmäßige
Ü
berlastung (Pines, Aronson, & Kafry, 2006; vgl. Deutsche Agentur für Health Technology
Assesment, DAHTA, 2010).
Folgt man der aktuellen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und
verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10; Deutsches Insitut für Medizinische Doku-
mentation und Information, 2010), so existiert das ,,Burn-out-Syndrom" nicht als eigenständi-
ge Erkrankung und ist somit auch nicht Bestandteil des Leistungskatalogs der deutschen
Krankenkassen (Berg, 2007). Es kann jedoch als diagnostische Zusatzinformation unter Ein-
flussfaktoren verschlüsselt werden. ,,Ausgebranntsein [Burn out]" (Z73.0) zählt somit zu den
,,Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des
Gesundheitswesens führen" (Deutsches Insitut für Medizinische Dokumentation und
Information, 2010, S. 759). Gemeinsam mit ,,Mangel an Entspannung und Freizeit" (Z72.2),

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,,Stress" (Z73.3), oder ,,sozialen Rollenkonflikten" (Z73.5) stellt Burnout ein ,,Problem mit Be-
zug auf Schwierigkeiten bei der Lebensführung" dar, welches zu Erkrankungen führen kann
(Deutsches Insitut für Medizinische Dokumentation und Information, 2010, S. 780). Das Syn-
drom ist demnach krankheitswertig und spezifiziert in der Verwendung dieser Zusatzcodie-
rung laut ICD-10 assoziierte Krankheitsbilder wie Depression (F32 bis F34), Anpassungsstö-
rung (F43.2), Somatoforme Störungen (F45) oder auch Fibromyalgie (M79.7). Hierbei weist
gerade die Anpassungsstörung durch ihren Bezug auf belastende Lebensereignisse, Leis-
tungsminderung, ängstliche und depressive Reaktionen mit Burnout vergleichbare Merkmale
auf (Deutsches Insitut für Medizinische Dokumentation und Information, 2010).
Sofern der vorliegende Symptomkomplex nicht einer bestimmten Diagnose zuordenbar
ist oder entsprechende Einflussfaktoren in einer Zusatzcodierung angegeben werden kön-
nen, gibt es schließlich noch die Möglichkeit Erschöpfungsmerkmale unter ,,Symptome und
abnorme klinische und Laborbefunde, die andernorts nicht klassifiziert sind" zu verschlüsseln
(Deutsches Insitut für Medizinische Dokumentation und Information, 2010, S. 607). So kann
der hierzu zählende ICD-Code R53 ,,Unwohlsein und Ermüdung" verwendet werden. Er wird
umschrieben mit allgemeinen körperlichen Abbau, Asthenie, Lethargie, Müdigkeit, chroni-
sche, nervöse oder Schwäche ohne nähere Angabe. Allerdings ist auch hier die Abdeckung
durch den Leistungskatalog der Krankenkassen eher fraglich und zugleich werden durch
diese Verschlüsselung die Merkmale von Burnout stark reduziert.
Löst man sich jedoch etwas von dem Begriff Burnout, so kann man im ICD-10 ein Burn-
out ähnelndes psychisches Störungsbild finden, welches zu den ,,Neurotischen, Belastungs-
und somatoformen Störungen" zählt. ,,Neurasthenie" (F 48.0) wird dabei als eine Form geis-
tiger Ermüdbarkeit und Konzentrationsschwäche oder als körperliche Erschöpfung mit
Schmerzempfindungen und einer Unfähigkeit, sich zu entspannen definiert. Begleitet wird
dieser Zustand von unangenehmen somatischen Symptomen und oftmals Schlafstörungen,
Reizbarkeit, Depression und Angst (Deutsches Insitut für Medizinische Dokumentation und
Information, 2010). Allerdings lassen sich in der Literatur zu Burnout kaum Bezüge auf diese
Störung finden. Nur punktuell wird diskutiert, ob Burnout und Neurasthenie vergleichbar sind,
wie berichtet in der Arbeit von Hillert und Marwitz (2008), oder eher voneinander abzugren-
zen sind, wie in von Känel`s Review (2008) zu finden ist
3
. Diagnostisch hingegen ist die Lage
zwar ebenso wenig aufklärend, jedoch klar geregelt: Laut ICD-10 schließt die Diagnose Neu-
rasthenie (F48.0) die Zusatzcodierung Burn-out-Syndrom (Z73) genauso wie Unwohlsein
und Ermüdung (R53) aus.
3
Allerdings sind auch hier keine Vorschläge zu finden, wie das geschehen sollte, oder worin der Unterschied ge-
nau liegt.

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Wie beschrieben steht Burnout in Zusammenhang mit einer Reihe von psychischen Er-
krankungen. Dazu zählen Depression, Belastungs- oder Angststörungen (Burisch, 2006;
Schaufeli, Enzmann, & Girault, 1993; von Känel, 2008). Aufgrund der geschilderten diagnos-
tischen und definitorischen Unklarheiten bleibt unbeantwortet, ob es sich bei den betrachte-
ten Merkmalen tatsächlich um Symptome oder Folgen eines Burnout-Syndroms handelt.
Ebenso kann es sich um Symptome komorbider, bzw. assoziierter Erkrankungen handeln.
Insofern erscheint der durch das ICD-10 vorgegebene Weg, Burnout in der klinischen Praxis
als Zusatzcodierung zu verschlüsseln, naheliegend. Da Burnout aber auch als eigenständige
Erkrankung diskutiert wird, folgen nachstehend ein Versuch der Abgrenzung zu assoziierten
Störungen und eine differenzialdiagnostische Betrachtung von Burnout.
2.1.4.
Differentialdiagnose
Wie im vorigen Abschnitt dargestellt, ist Burnout ein Stresssyndrom, das insbesondere
von chronischer Erschöpfung mit Auswirkungen auf emotionaler, kognitiver und physischer
Ebene gekennzeichnet ist. Betrachtet man diese als Kardinalsymptom, so ist augenschein-
lich, dass Burnout neben Konzentrationsproblemen und körperlichen Beschwerden mit
Schläfrigkeit bis Hypersomnie einhergehen kann. Folglich sind im diagnostischen Prozess
zunächst somatische Ursachen sowie andere Gründe für Schlafstörungen oder auch gemin-
derten Antrieb zu überprüfen und auszuschließen (zum Beispiel Chronique-Fatigue-
Syndrome, G93.3; vgl. von Känel, 2008; oder Schlaf-Apnoe, G47.3; Hypothyreose, E03 und
Nebenniereninsuffizienz bzw. Morbus Addison, E27.1). Zu beachten ist daneben, dass eine
primäre Nebenniereninsuffizienz auch mit spätem Krankheitsbeginn autoimmunologisch ver-
ursacht sein kann
4
oder als tertiäre Form durch eine abrupt endende Glucocorticoid-
behandlung entstehen kann. Insofern liegt zur diagnostischen Abklärung ein ACTH-Kurztest
nahe (Siewert, Rothmund, & Schumpelick, 2007). Die Deutsche Agentur für Health
Technology Assesment (2010) weist darauf hin, dass auf somatischer Ebene außerdem
Anämien, Eisenmangel, Herzinsuffizienz, Leukämien, Malignome, entzündliche
Systemerkrankungen, degenerative Erkrankungen des zentralen Nervensystems oder
Medikamentennebenwirkungen abzuklären sind. Wenig überraschend ist, dass diese Vor-
schläge an die Differentialdiagnose von Depression erinnern. Entsprechend von Känel's Re-
view geht schweres Burnout in 53 % der Fälle mit depressiven Störungen einher, obwohl die
Prävalenzrate für Depression alleine weit niedriger im einstelligen Bereich liegt. Folglich
4
Oftmals tritt Morbus Addison bei einem polyglandulären Autoimmunsyndrom (Typ 1 oder 2) auf, welches gele-
gentlich bis häufig auch mit Hypothyreose, bzw. Hypoparathyreodismus und Diabetes mellitus Typ 1 einher geht
(Siewert, Rothmund, & Schumpelick, 2007).

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scheint es zentral, das Burnoutkonzept von Depression abzugrenzen. Bakker und Kollegen
(2000) berichten von Befunden, wonach die Konzepte Depression und emotionale Erschöp-
fung 26 % ihrer Varianz teilen (Schaufeli & Enzmann, 1998). Der gemeinsame Varianzanteil
erscheint aufgrund der sich ähnelnden
Ä
tiologie plausibel, ohne dass die beiden Konzepte
jedoch isomorph sein müssen (Glass & McKnight, 1996; zitiert nach Shirom et al., 2005). Ein
konzeptioneller Unterschied scheint auch dadurch bekräftigt, dass nicht jeder anhaltenden
Erschöpfung eine depressive Störung folgt, bzw. umgekehrt (von Känel, 2008). Entspre-
chend konnte in einer niederländischen Studie Burnout (gemessen mit dem MBI)
faktoranalytisch von Depression (gemessen mit der Center for Epidemiologic Studies De-
pression Scale, CES-D; Radloff, 1977) getrennt werden (Bakker et al., 2000). In dieser Stu-
die gibt es außerdem Belege dafür, dass Burnout situativ begrenzter und kontextspezifischer
ist im Vergleich zu Depression (vgl. auch Shirom et al., 2005). Maslach, Schaufeli und Leiter
(2001) berichten hierzu von ähnlichen Befunden (vgl. Glass & McKnight, 1996). Ebenso
konnten weitere Studien berufsbezogene Neurasthenie von anderen psychischen Er-
krankungen unterscheiden (Schaufeli et al., 2001; zitiert nach Maslach & Leiter, 2008). Na-
heliegend ist daneben ebenso eine Sicht, wonach Burnout eine Entwicklungsphase von De-
pression sein kann (Ahola et al., 2009; zitiert nach Deutsche Agentur für Health Technology
Assesment, DAHTA, 2010; vgl. Befunde von Glass, McKnight, & Valdimarsdotter, 1993;
zitiert nach Shirom et al., 2005).
Ä
hnlich argumentiert auch Brühlmann (2009, S.5), dass es
fließende
Ü
bergänge von ,,präklinische(n) Burnout-Zuständen" über ,,Erschöpfungsdepressi-
on" zu einer ,,typischen Depression" gibt.
Bei Betrachtung dieser Befunde und der Konzeptualisierung von Burnout und Depressi-
on erschließt sich eine Möglichkeit, wie diese voneinander abgrenzbar sind. Als Kriterien für
die Diagnose Depression sind in Manualen wie dem ICD-10 die Kardinalsymptome Nieder-
geschlagenheit, Interessenverlust, Freudlosigkeit und verminderter Antrieb über mindestens
zwei Wochen als notwendig aufgeführt (Deutsches Insitut für Medizinische Dokumentation
und Information, 2010). Von Känel (2008) schlägt daher vor, dass für eine Differenzialdiag-
nose Patienten gefragt werden sollten, ob sie ­ unter der Annahme, sie seien weniger nie-
dergeschlagen, bzw. erschöpft ­ Interesse an Tätigkeiten mit höherem Aktivitätslevel haben.
Zwar sind Rückzugsverhalten und verminderter Antrieb sowohl bei Depression wie bei Burn-
out zu finden, allerdings wird angenommen, dass sich Personen mit Burnout eher aufgrund
von Erschöpfung und Müdigkeit als aufgrund von einer generellen Interesselosigkeit zurück-
ziehen. Insofern würden Personen mit Burnout ein grundlegendes Interesse bekunden, wel-
ches sie jedoch aufgrund ihrer Erschöpfung nicht ausleben. Personen mit Depression wür-
den entsprechend dieser Annahme jedoch keine eigene Motivation zeigen (von Känel,
2008). Weiterführendes zur Differentialdiagnostik von Burnout findet sich in dem Bericht des
Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI; Deutsche

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Agentur für Health Technology Assesment, DAHTA, 2010) oder in dem
Ü
berblickskapitel von
Maslach und Schaufeli (1993).
2.1.5.
Häufigkeit und Relevanz
,,Burnout unter den Arbeitskräften Nordamerika nimmt seuchenartige Ausmaße an. Das liegt nicht
so sehr daran, dass mit uns etwas nicht mehr stimmt, sondern eher daran, dass es fundamentale Ver-
änderungen am Arbeitsplatz und an der Art unserer Berufe gegeben hat. Der heutige Arbeitsplatz ist
meist ein kaltes, fahles, forderndes Umfeld, sowohl in wirtschaftlicher als auch in psychologischer Hin-
sicht." (Maslach & Leiter, 2001, S. 1)
Burnout wurde bereits vor über zehn Jahren als ,,gesamtgesellschaftliches Phänomen
der westlichen Welt" gesehen (Erhart & Meyer, 1997, S. 115) und scheint auch schon we-
sentlich früher von zentralem Interesse gewesen zu sein (siehe 2.1.1). Gleichzeitig taucht
Burnout aber gerade auch beständig mit aktuellem Bezug auf und ist ,,derzeit nicht zuletzt
auch ein boomender Markt" (Hillert & Marwitz, 2008, S. 240). Insofern scheint es grundle-
gend wichtig, das Ausmaß des Auftretens und der Folgen von Burnout etwas genauer zu be-
trachten. Zunächst jedoch einige Einschränkungen, die Statistiken über Burnout betreffen.
Das Auftreten von Burnout beschränkt sich weder auf Berufstätige noch auf bestimmte
Branchen. Dennoch bezieht sich die Mehrheit der Statistiken über Erschöpfungszustände auf
den Arbeitnehmerbereich und darunter insbesondere soziale und pflegerische oder Dienst-
leistungsberufe. Betrachtet man die durch psychische Erkrankungen bedingten Arbeitsunfä-
higkeitstage kann der Eindruck verstärkt werden, dass diese Berufsgruppe besonders belas-
tet ist. So entfielen im Jahr 2008 auf jeden Beschäftigten im Sozialwesen knapp 27
Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von psychischen Erkrankungen. Das sind etwa doppelt so
viele, wie im Durchschnitt. Gleichzeitig weist jedoch die oftmals weniger beachtete Gruppe
der Erwerbslosen eine um das 4,5-fache erhöhte Anzahl an Arbeitsunfähigkeitstagen auf-
grund von psychischen Erkrankungen gegenüber dem Mittel auf (BKK Bundesverband,
2009). In Burisch (2006) lassen sich hierzu Befunde zu Burnout in etwa 60 verschiedenen
Berufs- und Personengruppen finden. Darunter Lehr- und Pflegepersonal (Skinner, 1979),
Journalisten (Bodin, 2000), Anwälte (Petermann & Studer, 2003), Privatpersonen (Pines &
Aronson, 1988) und auch Erwerbslose (Kasl, Gore, & Cobb, 1975).
Generell gibt es nur wenige Statistiken zu Burnout und häufig lassen sich nur Angaben
über die Prävalenz psychischer Erkrankungen allgemein finden. Hat man hingegen Befunde
über die Häufigkeit von Burnout vorliegen, so sind diese von der Heterogenität der verwen-
deten Definitionskriterien oder Messinstrumente beeinflusst (von Känel, 2008). Gleichzeitig
kommt hinzu, dass Aussagen über die Auftretenshäufigkeit dieses Phänomens einerseits
von direkten Umgebungsvariablen geprägt sind. Hierzu zählen beispielsweise der Arbeits-
platz oder das familiäre Umfeld. Andererseits wirken sich aber auch indirekte, vergleichswei-
se schwer abschätzbare Variablen wie arbeitsmarkt- und rentenpolitische Gesetzgebungen

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15
auf die Prävalenzrate aus. Ebenso muss der diagnostische Habitus von Haus- oder Klinik-
ärzten als solch ein Faktor betrachtet werden (Burisch, 2006). Gerade wegen diagnostischer
Unklarheiten darf dieser Umstand bei Burnout nicht unterschätzt werden. Ein Beispiel für in-
direkte Einflussfaktoren legen die Ergebnisse der vierten europäischen Umfrage zu Arbeits-
bedingungen nahe. Hierin wurde festgestellt, dass EU-weit etwa 22 % der Angestellten aus
den 25 Mitgliedsstaaten Stress am Arbeitsplatz erfahren. Gleichzeitig gibt es jedoch signifi-
kante Unterschiede zwischen den Ländern. So berichten Arbeitnehmer aus den neuen EU-
Staaten bis zu 3,5-mal häufiger über Stress als Arbeitnehmer aus den Ländern, die bereits
vor 2004 Mitglied waren (European Agency for Safety and Health at Work, 2009).
Dementsprechend unterschiedlich fallen auch Angaben über die Auftretenshäufigkeit
von Burnout aus. Vergleicht man internationale Befunde zur Prävalenz, so kommt Burnout in
acht bis 82 % der Fälle vor (Prins et al., 2007; zitiert nach von Känel, 2008; European
Agency for Safety and Health at Work, 2009). In der Regel bewegen sich die Angaben
jedoch im unteren Viertel dieses Bereichs. So wird über Burnout
5
bei acht bis elf Prozent der
niederländischen Angestellten zwischen den Jahren 1997 und 2004 (European Agency for
Safety and Health at Work, 2009), über mittelschweres Burnout bei 33 % und schweres
Burnout bei vier Prozent der europäischen Bevölkerung (Goehring, Bouvier-Gallacchi, Künzl,
& Bovier, 2005), über Burnout bei etwa 20 % der dänischen Pfleger (Borritz et al., 2006)
sowie fortgeschrittenes Burnout bei 20 % der nordamerikanischen Arbeitnehmehr berichtet
(Maslach, Schaufeli, & Leiter, 2001). Häufiger scheint dieser Zustand jedoch bei asiatischen
und osteuropäischen Arbeitnehmern (Burnout bei durchschnittlich 28 %, Varianz 12 - 69 %)
und insbesondere japanischen und taiwanesischen Angestellte vorzukommen (Burnout bei
durchschnittlich 48 % - 69 %; Maslach, Schaufeli, & Leiter 2001). Bezogen auf Deutschland
sind laut einer repräsentativen Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits-
medizin (2010) im Jahr 2006 sieben Prozent der Erwerbstätigen von Burnout betroffen. Da-
neben berichten weitere rund 18 % über Niedergeschlagenheit, 27 % von Nervosität oder
Reizbarkeit und 43 % über allgemeine Müdigkeit, Mattigkeit und Erschöpfung. Im Vergleich
dazu liegt die Prävalenzrate für Depression bei etwa vier Prozent. Bemerkenswert ist dane-
ben der Prozentsatz der Betroffenen, die sich bei einem Arzt oder Therapeuten behandeln
lassen. Während es bei einer Depression immerhin etwa 54 % sind, suchen wegen Burnout
nur knapp 28 % der Betroffenen eine Therapie auf.
Mindestens ebenso unklar ist zu beantworten, ob sich die Prävalenzrate von Burnout
verändert. Anhaltspunkte hierfür lassen sich jedoch aus Entwicklungen der Arbeitsunfähig-
keitsrate gewinnen. Trotz eines generell rückläufigen Krankenstands und einer annähernden
5
Soweit verfügbar, wir die in der jeweiligen Arbeit berichteten Ausprägungsschwere angegeben, andernfalls be-
zieht sich die Angabe auf ein generelles Vorliegen von Burnout.

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Halbierung der Krankheitszeiten über die letzten zwei Jahrzehnte
6
, nehmen die durch psy-
chische Krankheiten verursachten Arbeitsunfähigkeitstage deutlich zu. Der Anteil der durch
psychische Erkrankung bedingten Fehlzeiten ist zwischen 2003 und 2008 um 51 % gestie-
gen. Somit stehen diese an zweit- (BARMER Gesundheitsreport, 2009), bzw. dritthäufigster
Stelle der für Fehlzeiten verantwortlichen Erkrankungen (Statistisches Bundesamt
Deutschland, 2007). Bemerkenswert ist überdies, dass psychische Erkrankung mit rund 23
Behandlungstagen je Fall eine um etwa 65 % längere Behandlungszeit haben, als alle ande-
ren Erkrankungen durchschnittlich (Badura, Schröder, Klose, & Macco, 2010). Es erweckt
den Eindruck, als ob Burnout hierbei eine wesentliche Rolle spielt: Während die Betriebs-
krankenkassen im Jahr 2004 noch 4,6 burnoutbedingte Arbeitsunfähigkeitstage je 1000 be-
schäftigter Mitglieder registriert haben, ist diese Zahl vier Jahre später auf fast 35 angestie-
gen (BKK Bundesverband, 2009). Gleichwohl ist zu hinterfragen, inwiefern dieser Anstieg die
Auftretenshäufigkeit von Burnout widerspiegelt oder lediglich die Verwendung des
Zusatzcodes Z73 laut ICD-10. Dennoch geht etwa Burisch (2006) von einer Zunahme der
Burnout-Prävalenzrate aus.
Unabhängig davon kann zumindest der Zusammenhang zwischen Fehlzeiten und
Burnout, bzw. Erschöpfung durch eine Reihe von Befunden bestätigt werden (Ahola et al.,
2008; Schaufeli, Bakker, & van Rhenen, 2009; Leone, Huibers, Knottnerus, & Kant, 2007;
van Amelsvoort, Kant, Beurskens, Schröer, & Swaen, 2002; Toppinen-Tanner et al., 2005).
Konkret berichtet die Arbeitsgruppe um Borritz (2006), dass unabhängig von Alter,
Geschlecht, Lebensstil, familiärem und sozioökonomischem Status oder Erkrankungen der
Anstieg um eine Standardabweichung auf der Skala Arbeitsburnout des Copenhagen Burn-
out Inventory (Kristensen, Borritz, Villadsen, & Christensen, 2005) einem Anstieg der krank-
heitsbedingten Fehltage um neun Prozent entspricht (eine Veranschaulichung ist im Anhang
7.1). Gleichzeitig schätzt die europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am
Arbeitsplatz, dass europaweit etwa 60 % aller Fehlzeiten auf beruflichen Stress
zurückzuführen sind (siehe Deutsche Agentur für Health Technology Assesment, DAHTA,
2010).
Die Relevanz des Phänomens Burnout kann man neben der Prävalenzrate insbesonde-
re an den indirekten, direkten und intangiblen Kosten ablesen. Die intangiblen Kosten betref-
fen die Lebensqualität und wurden bereits in 2.1.2 beschrieben. Zu den indirekten und direk-
ten, also volkswirtschaftlichen und medizinischen Kosten tragen insbesondere die Kosten für
die Behandlung von Burnout und die durch Burnout entstandenen Arbeitsfehltage bei. Hierü-
ber konnten keine direkten Angaben gefunden werden. Allerdings lässt sich ein Eindruck
6
Indes ist seit 2006 jedoch erstmals wieder ein Anstieg des durchschnittlichen Krankenstandes zu erkennen
(BKK Bundesverband, 2009).

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783842820821
DOI
10.3239/9783842820821
Dateigröße
1.6 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Trier – I Psychologie, Studiengang Psychologie
Erscheinungsdatum
2011 (September)
Note
1,3
Schlagworte
burnout erschöpfung cortisolaufwachreaktion stressdiagnostik psychobiologie
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