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Die Kunsterziehung in der Zeit des Nationalsozialismus

Grundlagen, Inhalte und Umsetzung

©2010 Examensarbeit 153 Seiten

Zusammenfassung

Einleitung:
‘Heil und rein’ mit dieser Überschrift beginnt Gunter Ottos Beitrag zur Kunsterziehung im Nationalsozialismus. Er hätten diesen Beitrag wahrscheinlich kaum treffender betiteln können, denn beide Begriffe ziehen sich wie ein roter Faden durch die komplette Thematik. In ihrer gesamten Bedeutung aber erscheint die Zeit von 1933 bis 1945 alles andere als ‘heil’ und ‘rein’. Denn die faschistische, rassistische und zerstörerische Weltanschauung der Nationalsozialisten führte dabei nicht nur zu einem Empfinden deutscher Überlegenheit in jeglicher Hinsicht, sondern bewirkte auch die Abkehr von humanistischen Prinzipien wie Toleranz, Gewaltfreiheit und Gewissensfreiheit. Die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten führte die Menschheit außerdem in die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts, den Zweiten Weltkrieg. Wie sich ein Volk hat derartig verführen lassen durch die kranke und untragbare Weltanschauung eines Mannes, wurde in den letzten 65 Jahren unter nahezu allen Gesichtspunkten erforscht. Vor allem hat man dabei versucht Antworten zu finden. Antworten auf die Fragen einer entsetzten und verstörten, aber gleichzeitig interessierten Nachwelt. Auf der Suche nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachtung unternahm man den Versuch Schuldfragen zu klären, gleichzeitig haben damalige Opfer aber auch vergeben und die Welt scheint im Zuge dessen ein kleines Stück näher zusammengerückt zu sein. In unserer heutigen Generation sind das Interesse und das informelle Angebot an jener Zeit so groß wie nie zuvor. Auch wenn die NS-Thematik den wahrscheinlich dunkelsten Teil in der Geschichte der Menschheit ausmacht, so beschäftigen sich nach wie vor Wissenschaft, Medien, Schulen, Privatpersonen und nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens immer wieder mit diesem Kapitel deutscher Geschichte.
Auch während meines Studiums der Kunst und der Geschichte begegnete mir die NS-Thematik immer wieder. Der Nationalsozialismus war und ist ein fester Bestandteil meiner studentischen Arbeit und wird auch im zukünftigen Arbeitsfeld als Lehrer wiederkehren. Ich konnte feststellen, dass sich die Thematik aufgrund ihrer Komplexität, ihrer unmittelbaren zeitlichen Nähe und leider auch wegen ihrer Aktualität durch einen reichhaltigen Fundus an Quellen auszeichnet. Dadurch erweist sich der Nationalsozialismus als eines der am besten aufgearbeiteten Themen der Weltgeschichte und die Fülle an Quellen scheint unaufhörlich zu wachsen [...]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Einleitung:

‘Heil und rein’ mit dieser Überschrift beginnt Gunter Ottos Beitrag zur Kunsterziehung im Nationalsozialismus. Er hätten diesen Beitrag wahrscheinlich kaum treffender betiteln können, denn beide Begriffe ziehen sich wie ein roter Faden durch die komplette Thematik. In ihrer gesamten Bedeutung aber erscheint die Zeit von 1933 bis 1945 alles andere als ‘heil’ und ‘rein’. Denn die faschistische, rassistische und zerstörerische Weltanschauung der Nationalsozialisten führte dabei nicht nur zu einem Empfinden deutscher Überlegenheit in jeglicher Hinsicht, sondern bewirkte auch die Abkehr von humanistischen Prinzipien wie Toleranz, Gewaltfreiheit und Gewissensfreiheit. Die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten führte die Menschheit außerdem in die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts, den Zweiten Weltkrieg. Wie sich ein Volk hat derartig verführen lassen durch die kranke und untragbare Weltanschauung eines Mannes, wurde in den letzten 65 Jahren unter nahezu allen Gesichtspunkten erforscht. Vor allem hat man dabei versucht Antworten zu finden. Antworten auf die Fragen einer entsetzten und verstörten, aber gleichzeitig interessierten Nachwelt. Auf der Suche nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachtung unternahm man den Versuch Schuldfragen zu klären, gleichzeitig haben damalige Opfer aber auch vergeben und die Welt scheint im Zuge dessen ein kleines Stück näher zusammengerückt zu sein. In unserer heutigen Generation sind das Interesse und das informelle Angebot an jener Zeit so groß wie nie zuvor. Auch wenn die NS-Thematik den wahrscheinlich dunkelsten Teil in der Geschichte der Menschheit ausmacht, so beschäftigen sich nach wie vor Wissenschaft, Medien, Schulen, Privatpersonen und nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens immer wieder mit diesem Kapitel deutscher Geschichte.
Auch während meines Studiums der Kunst und der Geschichte begegnete mir die NS-Thematik immer wieder. Der Nationalsozialismus war und ist ein fester Bestandteil meiner studentischen Arbeit und wird auch im zukünftigen Arbeitsfeld als Lehrer wiederkehren. Ich konnte feststellen, dass sich die Thematik aufgrund ihrer Komplexität, ihrer unmittelbaren zeitlichen Nähe und leider auch wegen ihrer Aktualität durch einen reichhaltigen Fundus an Quellen auszeichnet. Dadurch erweist sich der Nationalsozialismus als eines der am besten aufgearbeiteten Themen der Weltgeschichte und die Fülle an Quellen scheint unaufhörlich zu wachsen.
Warum also noch einen Beitrag zu seiner Aufarbeitung leisten? Diese Frage lässt sich für mich recht einfach beantworten: Die NS-Thematik hat mich in vielerlei Hinsicht gefesselt und seit meiner ersten Begegnung im Jahr 1993 nicht mehr losgelassen. Im Laufe der vergangenen Jahre und vor allem im Laufe meines Geschichtsstudiums habe ich gelernt mich reflektierend zu ihm zu äußern. Das Streben nach Objektivität stand immer an oberster Stelle. Das Kunststudium, speziell die künstlerische Praxis, war aber das genaue Gegenteil. Wertende Auslegungen von Sachverhalten, beispielsweise bei Bildanalysen oder Kunstbetrachtungen sowie die eigenen Schöpfungen im Laufe meines Studiums zeichneten sich vor allem durch ein wesentliches Kriterium aus: Subjektivität. In der Geschichte der Fachdidaktik scheinen nun diese beide Aspekte aufeinanderzuprallen. Dabei ist es mir wichtig genau auf dieser reflektierenden Ebene einen Beitrag zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Kunsterziehung zu leisten.
In der nun vorliegenden Arbeit zur Kunsterziehung in der Zeit des Nationalsozialismus versuche ich mich daher möglichst reflektierend und neutral zu äußern. Es versteht sich dabei für mich von selbst, dass wir es bei dieser Thematik mit einer faschistischen, rassistischen, zerstörerischen und völlig untragbaren Ideologie zu tun haben, die sich nicht nur heute oder morgen, sondern auch in ferner Zukunft niemals wiederholen darf. Trotz allem Selbstverständnis in einer demokratischen und liberalen Gesellschaft, wie der unseren muss dies betont zum Ausdruck kommen. Auch denke ich, dass es nicht zu meiner Aufgabe gehört von Opfern und Tätern in der Kunsterziehung zu sprechen. Da sich die gesamte Zeit des Nationalsozialismus als ein höchst sensibler und emotionaler Abschnitt deutscher Geschichte erweist, ist es umso wichtiger zugunsten einer wirklich wissenschaftlichen Betrachtung sachlich und fachlich neutral zu formulieren. Ich distanziere mich jedoch klar und bestimmend von auftretenden NS-Parolen, Schlachtrufen und allem Menschenverachtenden, das der Nationalsozialismus mit sich gebracht hat.
Inhaltlich habe ich mir folgende Schwerpunkte gesetzt: Alle Betrachtungen sollen die Perspektive der Kunsterzieher jener Zeit reflektieren. Ihnen gilt mein Hauptaugenmerk. Dabei ist es unvermeidbar auch bereichsübergreifende Themen einzubeziehen, denn für die Zeit des Nationalsozialismus im Zusammenhang mit seiner Schule gilt vor allem eine grundlegende Tatsache: Durch das totalitäre System der Nationalsozialisten gibt es keine Trennung zwischen Politik und Schule. Die Schule versteht sich als ein Machtinstrument der Diktatur und wird zu jedem Zeitpunkt meiner Arbeit als solches betrachtet. Ebenso wenig sind Rassismus und die NS-Ideologie voneinander zu trennen. Daher kann das NS-Regime nur unter Einbezug ihrer rassistischen Intentionen betrachtet werden, alles andere wäre verklärend und falsch.
Bei der Verwendung bestimmter Begriffe möchte ich jedoch klar differenzieren; allen voran den Begriff ‘Kunsterziehung’. Immer wieder begegnet dieser Begriff im Zusammenhang mit ‘Zeichnen’ oder ‘Zeichenunterricht’, teilweise gar als ‘Zeichnen und Werken’. Dabei versteht sich der Zeichenunterricht als die Kunsterziehung der Volksschulen (Diel 1969, S. 101) und versteht sich als eine hierarchische Ordnung. Zur Zeit des Nationalsozialismus legte man einen besonders großen Wert auf die Erziehung durch die Kunst. Es wird daher im Folgenden die Rede von der ‘Kunsterziehung’ sein, als welche sich das Fach am besten in die Diktatur einordnen lässt. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass ich mich vordergründig auf der Betrachtungsebene der Volksschulen bewegen werde, da diese die größte Institution für Bildung im Dritten Reich ausmachten. Auf dieser Grundlage habe ich mich dazu entschlossen meine Betrachtungen sukzessiv von allgemeinen hin zu den spezifischen Entwicklungen vorzunehmen. Zunächst wird die Rede vom Kunstverständnis Hitlers und von gesellschaftlichen Entwicklungen sein. Danach wird es um das Kunst- und Kulturverständnis sowie die Politik der Nationalsozialisten gehen, ehe ich konkret auf die Bildungspolitik und die Entwicklungen um die Kunsterziehung im Dritten Reich zu sprechen kommen. Ich gehe diesen Weg deshalb, weil ich die Kunsterziehung immer in ihrem Gesamtkontext und ihrer Situation im Dritten Reich betrachten möchte. Für sie gelten die gleichen Voraussetzungen zu jener Zeit wie für alle anderen Schulfächer im Nationalsozialismus. Trotzdem kommt ihr eine entscheidende und wichtige Rolle zu, welche ich zu ergründen versuche.
Von dieser allgemeinen Betrachtungsebene werde ich mich lösen, wenn es um die konkrete Umsetzung des Faches Kunsterziehung geht. Neben den grundlegenden Theorien und Konzepten jener Zeit werde ich die Umsetzung an den Beispielen der Städte München und Leipzig vornehmen. Am Münchner Beispiel möchte ich konkret auf den Unterricht an den Schulen zu sprechen kommen, während für Leipzig eine Lehrplananalyse erfolgt. Im abschließenden Teil der vorliegenden Arbeit möchte ich mit einem kurzen Fazit eine Bewertung der Thematik vornehmen. Zeitgenössische Bewertungen des Faches in jener Zeit kommen darin ebenso zur Ansprache wie mein eigener Standpunkt. An dieser Stelle beginne ich meine Ausführungen.

Kapitel 4.1.1, Fehlende Konzepte und Kulturkonservatismus:

‘Mit Robert Böttcher, einem Zeichenlehrer aus Zwickau, profilierte sich in den Jahren 1933 und 1934 der neue kunstpädagogische ‘Führer’, der die alten kulturkonservativen Gedankengänge als Neue ausgab.’ Dabei orientierte sich diese ‘Neuauslegung’ durch Böttcher vordergründig an den Kunstvorstellungen der Nationalsozialisten. Eine klare Aufgabenstellung für den künftigen NS-Kunstunterricht lieferte hingegen der Reichserziehungsminister Bernhard Rust: ‘Der Reichserziehungsminister hat dem Kunstunterricht die Aufgabe gestellt, an der Gestaltung des germanisch – deutschen Wesens mitzuwirken. Für den Kunstunterricht ist in diesem Gebot eine Verpflichtung höchster Art enthalten.’ Kunst ist nach seiner Auffassung ein Ausdruck von Rasse. Kunstunterricht soll sich aus dem Anschauen der Umwelt und dem Schauen in die Innenwelt gestalten. Kunstunterricht ist demnach Weltanschauung in ihrer ursprünglichsten Art. Robert Böttcher, ab 1935 Leiter der Reichsfachgruppe deutscher Kunsterzieher, versuchte in seinem Zuständigkeitsbereich diese Neuorganisation bis Ende 1935 gezielt und ganz im Sinne der NS-Regierung umzusetzen. Max Herrmann, Böttchers Vorgänger, wurde in diesem Zusammenhang abgesetzt. Die reformerisch-progressiven Elemente des Faches, die angelegt waren an den Gestaltungslehren der Moderne (z.B. Bauhaus, Expressionismus, Impressionismus) fanden keine Beachtung mehr. Was aber blieb ist das Seelenvolle, das Gemeinschaftsfördernde und das Volksnahe. Der ursprüngliche Fachgeist, nämlich das Offene, das Vielseitige und der reformerische Geist ging durch die fortlaufende Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten und deren rassistisch – rationale Weltanschauung immer mehr verloren. Die Kunstvermittlung sollte in erster Linie ein Propagandainstrument werden und im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung erfolgen. Sie sollte entgegen der individualistischen Auswüchse der Moderne wirken und verstand sich genau wie die völkische Schule als ein verlängerter Parteiarm. Entgegen den individuellen Auswüchsen der Moderne verstand sich auch die ‘Deutsche Kunst’ als eine Massenkunst. Mit Hilfe der Kunsterziehung sollte diese rational ausgelegte Massenbasis erhalten und fortentwickelt werden. Dabei ist zu betonen, dass trotz aller Rückschrittlichkeit und der Ausgrenzung moderner Strömungen auch ein kleiner Teil der geistigen Grundlagen der Moderne erhalten blieb. Die ‘Neue Sachlichkeit’ etwa galt in der bildenden Kunst des Dritten Reichs zwar als entartet, bestand aber in ihrer philosophischen Dimension ebenso wie die Lebensphilosophie fort. ‘Für die Übertragung auf die Kunstpädagogik hieß dies, dass man an den Varianten des Irrationalismus festhielt. Allerdings war die Grenze dieses Irrationalismus dort erreicht, wo die Hinwendung zum Individualismus die faschistische Integrationsideologie störten.’ Hier lässt sich deutlich die Instrumentalisierung der Kunsterziehung zu weltanschaulichen und Propagandazwecken erkennen. Der Kollektivgeist und die Massentauglichkeit einer Kunst waren grundlegend für die Integration im Sinne der NS-Ideologie. Individualismus und freies Schöpfertum hatten in diesem Verständnis keinen Platz und reichten als Begründung für die Ablehnung eines Kunststils. Für die Nationalsozialisten bestand kein Interesse an einer freischöpferischen oder an der Individualerziehung ausgelegten Kunstpädagogik. Das neue kunstdidaktische Konzept, auch wenn es das bisher nicht gab, richtete sich also von Anfang an gegen die Theorie Gustav Kolbs, der eine freie Entfaltung des produktiven Kindes und dessen Entwicklung vorsah. Dennoch versuchte Kolb während der Jahre 1933 und 1934 seine Theorie auf den Nationalsozialismus zu übertragen. Er präsentierte seine Theorie vom ‘Bildhaften Gestalten als Aufgabe der Volkserziehung’ und stellte Leitsätze für die NS-Kunstpädagogik auf. Daraufhin ließ er sie von höheren Funktionären überprüfen. Bereits im Vorwort der vorgelegten zweiten ‘verbesserten und erweiterten Auflage’ lassen sich jedoch Formulierungen und Vorstellungen Kolbs finden, die nicht mit den totalitären nationalsozialistischen Vorstellungen vereinbar waren. Er schreibt: ‘Wer aber in dem Buch Stoffpläne im Sinne der üblichen und üblen ‘Leitfäden’ zu finden hofft, die die Lehrstoffe womöglich für die einzelnen Lehrstunden des Jahres im voraus festlegen, wird nicht auf seine Rechnung kommen. Wir werden nicht die Totengräber dessen sein, was eben erst zum Leben erwacht. Nichts ist schädlicher als solche Leitfäden, die den Lehrer der Aufgabe entheben wollen, den Unterricht selbst zu gestalten, aus dem Leben der Schule und der Schüler herauswachsen zu lassen.’ Genau das sollte aber Kern der nationalsozialistischen Kunsterziehung werden. Es sollte einen strikten Leitfaden geben, der vordergründig der ideologischen Erziehung und Hinwendung zum Nationalsozialismus dienlich war. Der neue Kunstunterricht sollte zwar vom Lehrer gestaltet werden, Schülerinnen und Schüler sollten aber durch ihn vordergründig erzogen und gehorsam im Sinne der NS-Weltanschauung gemacht werden. ‘Gestaltung’ und ‘Herauswachsen’ sind demnach Begriffe, die sich mit einem uniformierten Kunstunterricht, wie dem des Dritten Reiches nicht vereinbaren lassen. Ein Individualgeist und der gestalterische Einfluss von Phantasie und Vorstellungskraft seitens der Lehrer und Schüler, wie es Kolb vorschwebte, war nicht gefragt. In der Retrospektive und im ideologischen Verständnis des Nationalsozialismus lässt sich demnach nur auf einen Unterrichtsstil deuten: autoritär, unter klaren Vorgaben und ganz im Sinne der Weltanschauung des Nationalsozialismus.
Trotz des gewagten Versuches einer weitestgehend möglichen Umformulierungen, aber gemäß den Vorstellungen seiner Theorie, konnte sich Kolbs Theorie vom ‘Bildhaften Gestalten als Aufgabe der Volkserziehung’ nicht durchsetzen. Vor allem Kolbs Vorstellungen vom Einfluss der Phantasie auf den gestalterischen Prozess sowie seine Auffassung von Schauen und Wahrnehmen und vom Gestalten und Darstellen waren nicht mit den rationalen Ansichten der Nationalsozialisten zu vereinen. Zwar beruhte Kolbs Theorie u.a. auch auf dem Naturstudium, einer bevorzugten Methode der Nationalsozialisten, aber er erkannte dabei, dass der Mensch ohnehin einem permanenten Strom von Bildern ausgesetzt ist. Jeden Tag dringen Unmengen an Bildern unaufhaltsam und kontinuierlich, ob gewollt oder ungewollt in die menschliche Seele. Er unterschied in Bewusstsein und Unbewusstsein. Kolb formulierte wie folgt: ‘Jedes Können erwächst aus dem Unbewussten.’ Für ihn hatte die Phantasie einen grundlegenden Einfluss für das eigene Gestalten und sie war wesentlicher Teil des Schöpfungsprozesses. Der Phantasiebegriff zog sich durch die gesamte bildnerische Entwicklung des Heranwachsenden. Außerdem betonte Kolb: ‘Die Gefühle sind es, die zu schöpferischen Akten treiben.’ Hier werden vor allem die Bezüge zu den verschiedenen Strömungen der Moderne deutlich, welche die NS-Diktatur grundsätzlich ablehnte und verachtete. Außerdem betrachtet er das freie bildnerische Gestalten von Kindern und das der bildenden Künste auf einer Ebene. Er zog hier sogar Vergleiche heran. Auch dies wurde von den Nationalsozialisten abgelehnt, da die Kunst der Moderne vor allem aus den Verwirrungen der Zeit vor 1933 entstanden war und demnach nicht kindlich war. Außerdem begründete sich nach ihrem Schöpfungsverständnis dieser Prozess als die Steigerung vom kindlich-naiven hin zur ästhetischen und technischen Perfektion. Demnach musste sich an dieser Auffassung also auch die NS-Kunsterziehung orientieren. Wie sich später noch zeigen wird, haben letztlich auch die Vermittlungswege im Kunstunterricht des Nationalsozialismus diese Methodik als Grundlage. Freies Gestalten fand nur eine geringe Bedeutung und wurde als Grundlage für höhere, bzw. meisterliche Schöpfungen gesehen.
Kolbs Theorie war daher immer wieder der Kritik in der wachsenden Anzahl nationalsozialistischer Gesinnungsträger der kunstpädagogischen Fachkreise ausgesetzt. Im Herbst 1934 kam es schließlich zum Eklat zwischen dem RmfWEV und Gustav Kolb. Womöglich wurde dieser Eklat auch durch das energische, nicht immer verhaltene, aber überzeugte Auftreten Kolbs provoziert. Vermutlich sahen die Nationalsozialisten auch die Gefahr einer völligen Stagnation bei der Konzepterarbeitung für eine NS-Kunsterziehung und dem Kontrollverlust bei der Fachdiskussion um die Neukonzeption des Unterrichts. Auf einer Tagung der Kunsterzieher des Reichs in Frankfurt am Main wurde Kolb öffentlich angegriffen. ‘Die allzu hohe Bewertung phantasiegemäßer Bildversuche im vergangenen System, ohne ernste Formenstudien, hätte zu Scheinresultaten geführt, mit denen weder wirkliche Kunst noch das praktische Leben etwas anzufangen wussten.’ Daraufhin wurde der Theorie Kolbs endgültig die Absage durch das RMfWEV erteilt. Ein eigenes ideologiekonfirmes Konzept hatte man aber nun auch nicht. Das Fach erstickte fortan in theoretischem Geschwätz und wurde nach 1933 sogar zugunsten des Staatsjugendtages um fast die Hälfte seines Stundenpensums reduziert. Der Kunsterziehung an den Volksschulen tat diese Entwicklung alles andere als gut. Die Folge waren neben der Stundenkürzung auch die Streichung finanzieller Mittel und Materialien, was die Kunsterzieher sehr verärgerte. Wie die Nationalsozialisten in Folge dessen mit Gustav Kolb und seiner offenen Kritik an den herrschenden Zuständen in der Zeitschrift ‘Kunst und Jugend’ verfuhren, ist bereits erwähnt worden. Es ist dabei ein besonders gutes Beispiel für die rigide Verfahrensweise der Nationalsozialisten mit ‘Querdenkern’ und ‘Störenfrieden’, die es offensichtlich in der Kunsterziehung auch gegeben hat.

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783842813847
DOI
10.3239/9783842813847
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Leipzig – Kunstpädagogik, Studiengang Kunstpädagogik (Lehramt)
Erscheinungsdatum
2011 (April)
Note
1,0
Schlagworte
kunsterziehung nationalsozialismus münchen leipzig inhalte
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