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Vergleichende elektromyographische Messungen bei Patienten mit einer Nervus Plexus Läsion

©2009 Bachelorarbeit 70 Seiten

Zusammenfassung

Inhaltsangabe:Einleitung:
Das Vorhandensein von elektrischen Strömen in menschlichen und tierischen Körpern wurde schon relativ früh erkannt. Doch erst 1912 gelang es PIPER als Erstem auf diesem Gebiet, die Willküraktivitäten von verschiedenen Muskeln verzerrungsfrei abzuleiten. Dies galt als die Geburtsstunde der Elektromyographie, welche von nun an v.a. in der wissenschaftlichen Forschung Beachtung fand. Bis zur Veröffentlichung bedeutsamer klinischer Publikationen verging eine überschaubare Zeit. In den darauf folgenden Jahren etablierte sie sich allmählich als Diagnoseverfahren neurogener und muskulärer Erkrankungen. Heutzutage werden zu diesem Zweck größtenteils Nadelelektroden verwendet. Dabei kann durch das invasive Einführen der Nadelelektrode in die Muskulatur die jeweilige elektrische Reizung mit verschiedenen Parametern aufgezeichnet werden. Neben dieser Art von Elektroden existieren Oberflächenelektroden, die über der Muskulatur auf der Haut platziert werden. Durch sie ist es möglich, die algebraische Summe der Aktionspotenziale zu erfassen. Der Genauigkeit und hohen Differenzierungsmöglichkeit der Nadel – EMG steht der geringe Kostenaufwand und die einfache Handhabung der Oberflächen – EMG gegenüber. Deswegen wird Letztere v.a. im Hochleistungstrainings- und vereinzelt im Rehabilitationsbereich genutzt. Dennoch hat sie sich noch nicht vollständig etablieren können.
Eine neurogene Erkrankung, die mit Hilfe der EMG diagnostiziert werden kann, ist die Läsion des Nervus Plexus brachialis. Im 20. Jahrhundert galten Schusswunden im 1. und 2. Weltkrieg als der häufigste Auslöser dieser Erkrankung. Heutzutage sind es hauptsächlich Traumata bei motorisierten Unfällen mit dem Zweirad. Jährlich wird von insgesamt ca. 1000 - 1500 Plexus - Läsionen in Deutschland ausgegangen. Die Behandlung dieser Erkrankung gestaltet sich oft als langwierig und komplex, da erschwerte anatomische Gegebenheiten vorliegen und sie häufig Bestandteil eines Polytraumas mit schweren Begleitverletzungen ist. Aus diesem Grund und dem individuell unterschiedlichen klinischen Bild existiert kein einheitliches Behandlungskonzept. Dementsprechend existieren zahlreiche Diskussionen über die optimale Therapieart, da zudem die Effektivität eines jeden Verfahrens schlecht prognostizierbar ist.
In der hier vorliegenden Arbeit soll die Auswirkung eines solchen operativen Verfahrens mittels Oberflächen - EMG - Messungen herausgestellt werden. Dazu werden zwei Probanden mit einer […]

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theorie
2.1 Nervus Plexus Läsion
2.1.1 Pathogenese
2.1.2 Klinisches Bild
2.1.2.1 Symptome
2.1.2.2 Klassifikation
2.1.2.3 Verteilung
2.1.3 Therapie
2.1.3.1 Allgemein
2.1.3.2 Konservative Therapie
2.1.3.3 Operative Therapie
2.2 Elektromyographie
2.2.1 Definition
2.2.2 Natur von SEMG - Signalen
2.2.3 Einflussfaktoren auf das SEMG - Signal
2.3 Bedeutung der EMG bei der Diagnostik neuromuskulärer Erkrankungen

3 Methodik
3.1 Probandengut
3.2 Untersuchungsgang
3.3 Apparaturbesprechung
3.4 Statistik
3.4.1 Signalverarbeitung
3.4.2 Deskriptive Statistik
3.4.3 Interferenzstatistik

4 Ergebnisse

5 Diskussion
5.1 Ergebnisinterpretation
5.2 Methodenkritik
5.3 Ausblick

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Anwendungsbereiche der verschiedenen EMG - Techniken nach DROST et al. (2006)

Abbildung 2: Bestimmung der Ableitposition des M. biceps brachii nach ZIPP (Zipp 1982, 50)

Abbildung 3: Positionierung des Probanden auf dem Versuchsstuhl

Abbildung 4: Das verwendete EMG - Gerät und der Verstärker einschließlich Kabel

Abbildung 5: Das zur Messung benutzte Schaltbild in DASYLab (Vers. 10)

Abbildung 6: Die verwendeten Elektroden (aus www.tycohealth-ece.com), letzter Zugriff am 22.08

Abbildung 7: Der Versuchsstuhl

Abbildung 8: Die Auswertung der Roh-Daten in DASYLab (Vers. 10)

Abbildung 9: Die mittlere Amplitude aus den sechs Kontraktionen in µV

Abbildung 10: Das Integral aus den sechs Kontraktionen

Abbildung 11: Die maximale Amplitude aus den sechs Kontraktionen in µV

Abbildung 12: Das Root Mean Square aus den sechs Kontraktionen

Abbildung 13: Verhältnis des Mittelwertes (mit Standardabweichung) der mittleren Amplitude aus sechs Kontraktionen des betroffenen Armes zum gesunden Arm innerhalb Proband B.

Abbildung 14: Verhältnis des Mittelwertes (mit Standardabweichung) der mittleren Amplitude aus sechs Kontraktionen des betroffenen Armes zum gesunden Arm innerhalb Proband A

Abbildung 15: Die Differenzen der Mittelwerte aus jeweils sechs Kontraktionen der Parameter maximale Amplitude (µV), Integral, Root Mean Square und Mittlere Amplitude (µV) zum Seitenvergleich innerhalb eines Probanden

Abbildung 16: Verhältnis des Mittelwertes (mit Standardabweichung) der mittleren Amplitude aus sechs Kontraktionen des gesunden Armes von Proband B zum gesunden Arm von Proband A

Abbildung 17: Verhältnis des Mittelwertes (mit Standardabweichung) der mittleren Amplitude aus sechs Kontraktionen des betroffen Armes von Proband B zum betroffen Arm von Proband A

Abbildung 18: Die Differenzen der Mittelwerte aus jeweils sechs Kontraktionen der Parameter maximale Amplitude (µV), Integral, Root Mean Square und Mittlere Amplitude (µV) zum Vergleich zwischen den Probanden

Abbildung 19: Der Verlauf der Rohdaten sechs Kontraktionen mit Mittelwert (in mV) der betroffenen Seite der Probanden

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Bedeutung der EMG bei der Diagnostik neuromuskulärer Erkrankungen nach BISCHOFF et al. (2005), FIALKA – MOSER (2005), LEHRNER et al. (2006) und STÖHR (2005)

Tabelle 2: Probandengut

Tabelle 3: Standardabweichung und doppelte Standardabweichung des Nulllinienrauschens in µV

Tabelle 4: Mittelwerte () und Standardabweichungen (s) aus jeweils sechs Kontraktionen der Parameter Kontraktionszeit (sec), maximale Amplitude (µV), Integral, Root Mean Square und Mittlere Amplitude (µV)

Tabelle 5: Die Verhältnisse der Mittelwerte mit Standardabweichung aus jeweils sechs Kontraktionen mit den Parametern Kontraktionszeit, maximale Amplitude, Integral, Root Mean Square und mittlere Amplitude

Tabelle 6: Der Kolmogorov - Smirnov Test mit den Signifikanzen der Parameter maximale Amplitude, Integral, Root Mean Square und mittlere Amplitude

Tabelle 7: Der t-Test (gepaart und unabhängig) mit den Signifikanzen der Parameter maximale Amplitude, Integral, Root Mean Square und mittlere Amplitude

Tabelle 8: Der Reliabilitätstest mit Angabe von Cronbachs α, ermittelt über alle sechs Kontraktionen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Das Vorhandensein von elektrischen Strömen in menschlichen und tierischen Körpern wurde schon relativ früh erkannt (Galvani, 1791). Doch erst 1912 gelang es PIPER als Erstem auf diesem Gebiet, die Willküraktivitäten von verschiedenen Muskeln verzerrungsfrei abzuleiten. Dies galt als die Geburtsstunde der Elektromyographie, welche von nun an v.a. in der wissenschaftlichen Forschung Beachtung fand. Bis zur Veröffentlichung bedeutsamer klinischer Publikationen verging eine überschaubare Zeit (vgl.: DENNY – BROWN & PENNYBACKER, 1938; EICHLER & HATTINGBERG, 1938; BRUCHTHAL & CLEMENS, 1941a, 1941b; WEDDELL et al., 1944; KUGELBERG, 1947). In den darauf folgenden Jahren etablierte sie sich allmählich als Diagnoseverfahren neurogener und muskulärer Erkrankungen. Heutzutage werden zu diesem Zweck größtenteils Nadelelektroden verwendet. Dabei kann durch das invasive Einführen der Nadelelektrode in die Muskulatur die jeweilige elektrische Reizung mit verschiedenen Parametern aufgezeichnet werden. Neben dieser Art von Elektroden existieren Oberflächenelektroden, die über der Muskulatur auf der Haut platziert werden. Durch sie ist es möglich, die algebraische Summe der Aktionspotenziale zu erfassen. Der Genauigkeit und hohen Differenzierungsmöglichkeit der Nadel – EMG steht der geringe Kostenaufwand und die einfache Handhabung der Oberflächen – EMG gegenüber. Deswegen wird Letztere v.a. im Hochleistungstrainings- und vereinzelt im Rehabilitationsbereich genutzt. Dennoch hat sie sich noch nicht vollständig etablieren können.

Eine neurogene Erkrankung, die mit Hilfe der EMG diagnostiziert werden kann, ist die Läsion des Nervus Plexus brachialis. Im 20. Jahrhundert galten Schusswunden im 1. und 2. Weltkrieg als der häufigste Auslöser dieser Erkrankung. Heutzutage sind es hauptsächlich Traumata bei motorisierten Unfällen mit dem Zweirad. Jährlich wird von insgesamt ca. 1000 - 1500 Plexus - Läsionen in Deutschland ausgegangen (HIERNER & BERGER, 2002). Die Behandlung dieser Erkrankung gestaltet sich oft als langwierig und komplex, da erschwerte anatomische Gegebenheiten vorliegen und sie häufig Bestandteil eines Polytraumas mit schweren Begleitverletzungen ist. Aus diesem Grund und dem individuell unterschiedlichen klinischen Bild existiert kein einheitliches Behandlungskonzept. Dementsprechend existieren zahlreiche Diskussionen über die optimale Therapieart, da zudem die Effektivität eines jeden Verfahrens schlecht prognostizierbar ist.

In der hier vorliegenden Arbeit soll die Auswirkung eines solchen operativen Verfahrens mittels Oberflächen - EMG - Messungen herausgestellt werden. Dazu werden zwei Probanden mit einer Nervus Plexus Läsion untersucht und verglichen, wobei an einem Probanden bereits eine Muskel – Sehnen – Transplantation zur Verbesserung der Symptomatik erfolgte. Es existiert zwar eine größere Anzahl von Studien über die Interventionsresultate von Muskel – Sehnen – Transplantationen bei Nervus Plexus Läsionen, jedoch beschränken sich diese zumeist auf eine postoperative Diagnose der motorischen und sensiblen Gegebenheiten ohne den EMG – Werten nähere Beachtung zu schenken (vgl.: AKASAKA et al., 1991; BERGER et al., 1990; DOI et al., 2000; KIMBERLY et al., 2004; MANKTELOW et al., 1984). Diese Lücke soll durch die vorliegende Arbeit geschlossen werden. Zudem wird der praktische Nutzen der Oberflächen – EMG bei der Beurteilung von Interventionsmaßnahmen herausgestellt.

Die zentrale Fragestellung, die mittels dieser Untersuchung geklärt werden soll, lautet:

Inwieweit verbessert die Muskel – Sehnen – Transplantation die neuromuskuläre Ansteuerung des M. biceps brachii?

Daraus lässt sich folgende Hypothese herausstellen:

H1: Die Muskel – Sehnen – Transplantation führt zu einer signifikant höheren neuromusklären Ansteuerung.

Aufgrund einer besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit ausschließlich die grammatische Form des generischen Maskulinums verwendet. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass stets beide Geschlechter gemeint sind.

2 Theorie

2.1 Nervus Plexus Läsion

2.1.1 Pathogenese

Die Hauptursache für Plexusläsionen bei Erwachsenen sind Traumata, die vor allem bei Motorradunfällen entstehen. Laut BERGER & MAILÄNDER (1990) kann man 85 % der jährlich ca. 1000 - 1500 Fälle (HIERNER & BERGER, 2002) auf Verkehrsunfälle zurückführen (vgl.: BERLIT, 1999 und NARAKAS, 1985). Weniger häufig sind geburtstraumatische Schädigungen, Klavikula-Frakturen, Stich- und Schussverletzungen oder Armzerrungen bei einem Einklemmen der Hand in rotierenden Maschinen (DELANK, 1981). Bei den Traumata kommt es meist zu Quetschungen und/oder Traktionen, die einen vorübergehenden Leistungsblock oder einen Ausriss des Plexus bewirken können (HÜTER-BECKER et al., 1998; KOESLING, 2008).

Nahezu prädestiniert sind sog. Prädilektionsorte (HÜTER-BECKER et al., 1998). Dies sind Engpassstellungen, in denen die Nervenfasern in direkter Nachbarschaft zu knöchernen und bindegewebigen Muskelstrukturen verlaufen. Ätiologisch weiterhin in Betracht zu ziehen sind neben den Kompressionen in anatomischen Engpässen (wie z.B. das Thoracic - outlet - Syndrom), radiogene Bestrahlungen, iatrogene Schädigungen (HÜTER-BECKER et al., 1998; KOESLING, 2008), zirkulierende Immunkomplexe (BRANDENBUSCH, 2003), Armplexus-Neuritis als entzündliche Affektionen (STÖHR, 2005) oder allergische Polyneuritis als Folge von Schutzimpfungen (POECK, 1994). Als zusätzliche Verursacher können zudem noch Druckläsionen genannt werden (DELANK, 1981). Diese sind oft die Folge von Lastendruck auf den Schultern, Krückendruck, mangelhafter Armlagerung in Narkose und Schlaf sowie Nachbarschaftstumoren.

2.1.2 Klinisches Bild

2.1.2.1 Symptome

In Abhängigkeit von Ausprägung und Lokalisation der Schädigung kommt es zu verschiedenen Ausfällen. Eine Läsion des gesamten Plexus bewirkt einen sensiblen Ausfall wie auch eine vollständige motorische Lähmung des betroffenen Armes. Bei einer anteiligen Läsion erweisen sich die Schädigungsmuster sehr vielfältig. Meist sind Funktionsausfälle an mehreren Gelenken (Schulter-, Ellenbogen-, Handgelenk) zu verzeichnen. Neben gravierenden sensiblen und motorischen Störungen mit Folgeerscheinungen wie Atrophien, kann es aufgrund der langen Regenerationszeit und häufig zurückbleibenden Restdefiziten zu starken psychischen Belastungen kommen (KOESLING, 2008). Weitere Symptome sind ausstrahlende Schmerzen, Störungen in der Schweißsekretion und Abschwächungen der Reflexe (DELANK, 1981).

2.1.2.2 Klassifikation

Laut HIERNER & BERGER (2002) können Plexusläsionen nach der Lokalisation (unilateral/bilateral), dem Schweregrad der Nervenschädigung (Gradeinteilung nach Sunderland (SUNDERLAND, 1951) oder Dellon) und der Ausprägung klassifiziert werden. In einschlägigen Fachliteraturen sind darüber hinaus weitere Klassifikationen zu finden (vgl.: BRADDOM, 1996; FIALKA-MOSER, 2005). In Anlehnung an DELANK (1981) und MUMENTHALER (1982) wird eine zusammengefasste Klassifikation zur Beurteilung von Plexus brachialis – Läsionen mit zwei Ausprägungen dargestellt: (1) obere Plexusläsionen und (2) untere Plexusläsionen.

(1) Obere Plexus brachialis – Läsion

Bei der am häufigsten vorkommenden oberen Plexuslähmung, auch Erbsche Lähmung (DELANK, 1981) oder Erb-Duchenne-Typ (MUMENTHALER, 1982) genannt, findet sich eine Faserläsion aus den Wurzeln C5 - C6. Charakteristisch für diese Form der Plexus brachialis – Läsion ist die motorische Funktionseinschränkung der Abduktion und Außenrotation im Schultergelenk, der Flexion im Ellenbogengelenk und der Supination des Unterarms (MUMENTHALER, 1982).

(2) Untere Plexus brachialis – Läsion

Die untere Plexuslähmung, auch Klumpkesche Lähmung (DELANK, 1981) oder Dèjerine – Klumpke – Typ (MUMENTHALER, 1982) genannt, hat eine Läsion der aus den Wurzeln C8 - Th1 stammenden Stränge zur Ursache (DELANK, 1981). Die charakteristischen motorischen Funktionseinschränkungen für diese Form betreffen u.a. die Ad- und Adduktion der Finger, aber auch die Flexion in den Fingergelenken und die des Handgelenkes (MUMENTHALER, 1982).

2.1.2.3 Verteilung

Betrachtet man die Verteilung der Läsionen auf den einzelnen Plexusanteilen, erkennt man laut CLAUS (2006) und HUFGARD et al. (2005) einen offensichtlichen Schwerpunkt in den supraclavikulären Anteilen. Demnach zeigen über 25% eine Verletzung des Truncus superior mit weiteren Strukturen des supraclaviculären Plexusanteiles und ca. 18% eine isolierte Läsion des Truncus superior. Lediglich ca. 5% wiesen eine Verletzung des infraclaviculären Plexus auf (HUFGARD et al., 2005).

2.1.3 Therapie

2.1.3.1 Allgemein

Die Therapie und Heilung einer Plexus brachialis – Läsion gestaltet sich oft als langwierig und komplex, da erschwerte anatomische Gegebenheiten vorliegen (vgl.: CLAUS, 2006) und sie häufig Bestandteil eines Polytraumas mit schweren Begleitverletzungen ist. Deswegen muss nach einem schweren Trauma zuerst die Versorgung primärer Verletzungen und die Stabilisation der Vitalfunktion gewährleistet werden (SCHMOLKE et al., 2007). Laut MUMENTHALER (1982) und HIERNER & BERGER (2002) sollte zu diesem Zeitpunkt bei einem operativen Eingriff von einer chirurgischen Rekonstruktion der Nerven abgesehen werden, da ungünstige Bedingungen herrschen. Erst in der darauf folgenden Phase mit stabilisierten Körperfunktionen entscheidet sich nach eingehender Diagnostik (vgl.: u.a. HAUSNER et al., 2008; KRISHNAN et al., 2003; MUMENTHALER, 1982) das weitere Therapieverfahren. Dieses wird in der Literatur unterschiedlich angegeben (z.B. HIERNER & BERGER, 2002; MILLESI, 1997; SCHMOLKE et al., 2007).

Grundsätzlich unterscheidet man die operative und die konservative Therapie. Die Hauptziele der Therapien sind die Verringerung der Deafferenzierungsschmerzen, die Wiederherstellung der Funktion der betroffenen Extremität, v.a. der aktiven Beweglichkeit, die Vermeidung von sekundären Kontrakturen, die optimale Versorgung von Begleitverletzungen, die Verbesserung ästhetischer Aspekte und die erfolgreiche Wiedereingliederung in den Alltag (HIERNER & BERGER, 2002).

2.1.3.2 Konservative Therapie

In der konservativen Therapie kommen meist folgende Methoden kombiniert zur Anwendung: (1) Lagerung, (2) physikalische Therapie, (3) Bewegungs- und Sporttherapie.

(1) Lagerung

Vor allem zu Beginn der Rehabilitation ist eine passende Lagerung des betroffenen Armes mit Schlingen und Schienen zu gewährleisten. Dadurch werden eine Luxation des Humeruskopfes und eine Überdehnung der paretischen Muskulatur verhindert. Erst nach dem Erreichen einer physiologischen Stabilisation im Gelenk kann auf die geschiente Lagerung verzichtet werden (KOESLING, 2008).

(2) Physikalische Therapie

Die Elektrotherapie mit Schwell- und Reizströmen ist ein grundlegender Bestandteil der Therapie und sollte möglichst früh initialisiert werden (DRUSCHKY, 1979). BERGER et al. (1990) weisen zwar darauf hin, dass der Einfluss der Reizstrombehandlung unterschiedlich beurteilt wird, jedoch wird er von der eindeutigen Mehrzahl an Autoren empfohlen (vgl.: BIRNBAUM et al., 2007; DRUSCHKY, 1979; NARAKAS, 1985). PSHENISNOV und PULIN stellten 1994 etwa in einer Studie den Nutzen von Elektrotherapie nach einer Muskeltransplantation dar. Die Ziele sind generell sowohl die Verlangsamung der Muskelatrophie im betroffenen Gebiet als auch die Verbesserung der Reinnervierung. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass vorhandene Bewegungsbilder nicht aus dem motorischen Gedächtnis gelöscht werden (vgl.: SENN & RUSCH, 1990). Um dies sicher zu stellen, wird geraten, die Behandlung einmal täglich durchzuführen, wobei die Muskulatur immer bis zum Auftreten einer sichtbaren Kontraktion gereizt werden sollte (SENN & RUSCH, 1990).

(3) Bewegungs- und Sporttherapie

Zu Beginn steht die passive und aktive Mobilisation im Vordergrund (vgl.: DOI et al., 2008). Damit soll die Regeneration der motorischen Nervenfasern angeregt und mögliche Gelenkkontrakturen vermieden werden (Koesling, 2008). Zu den Maßnahmen, die hierzu ergriffen werden, zählen die Koaktivierung der paretischen Muskulatur durch das gezielte Training intakter Synergisten, die Innervation der Antagonisten, die Aktivierung der symmetrischen Muskeln der Gegenseite durch bilaterales Training und die Reintegration in die Bewegungsschablonen mit leichter Dehnreizung (DRUSCHKY, 1979). Dafür haben sich spezielle Methoden, wie die Bewegungstherapie unter Wasser oder die Vojta - Therapie besonders bewährt (HUFGARD et al., 2005). Es erweist sich als sinnvoll, die Maßnahmen bis zur Remission der Willkürinnervation regelmäßig durchzuführen.

Wenn von dem Patienten eine gewisse Muskelkontrolle erreicht wird, kann mit der klassischen Sporttherapie im Rahmen der medizinischen Trainingstherapie begonnen werden. Ziele sind vor allem die Vergrößerung des Bewegungsausmaßes und eine Verbesserung der Kraftausdauer. Bei Letzterem gilt es zu beachten, dass mit wenig Gewicht, einer hohen Wiederholungsanzahl und einer langsamen Ausführungsgeschwindigkeit trainiert werden soll. Hierdurch wird bei einem geringen Verletzungsrisiko v.a. die Aktivierung der ST – Fasern sowie der tonischen Muskulatur gewährleistet. Diese sichern eine Stabilisation in den Gelenken (RADLINGER, 1998).

2.1.3.3 Operative Therapie

Die operative Therapie sollte nur gewählt werden, wenn mit der konservativen keine oder nur minimale Erfolge erzielt wurden. HIERNER & BERGER (2002) raten zu einem operativen Eingriff, wenn sich drei Monate nach dem Trauma noch keine Spontanregeneration zeigt und zusätzlich eine komplette Läsion mit Horner-Zeichen (vgl.: PSCHYREMBEL & DORNBLÜTH, 2007) besteht. Bei einer inkompletten Läsion sollen weitere sechs Monate konservativ behandelt werden und erst im Anschluss, wenn keine oder nur eine zu geringe Spontanregeneration auftritt, chirurgisch eingegriffen werden. Andere Autoren (TERZIS, 2001; KATO et al., 2006) befürworten hingegen eine frühere operative Rekonstruktion und verweisen auf bessere Resultate sowie eine größere Schmerzreduktion. Einigkeit besteht jedoch darin, dass von einer konservativen Therapie vor dem chirurgischen Eingriff nicht abgesehen werden sollte, da diese die Voraussetzungen für die Operation verbessert. Nach dem Eingriff sollten stets eine langfristige konservative Therapie sowie eine soziale und berufliche Reintegration folgen.

Generell unterscheidet man zwei Hauptmethoden in der operativen Therapie von Plexus brachialis – Läsion: (1) Nervenrekonstruktionen und (2) sekundäre Ersatzoperationen

(1) Nervenrekonstruktionen

Die Methoden der Nervenrekonstruktion sind die erste Wahl der operativen Therapie. Man differenziert zwischen Neurolyse, Nerventransplantation und Neurotisation (SCHMOLKE et al., 2007).

Die Neurolyse ist ein chirurgischer Eingriff, bei der ein Nerv von seinen umgebenden Strukturen gelöst wird. Dies ist möglich, wenn der Nerv in seiner Kontinuität erhalten ist. Mittels einer Nervenscheidenschlitzung (externe Neurolyse) oder einer Faserpräperation (faszikuläre Neurolyse) kommt es zu einer Entlastung des intraneuralen Druckes und dadurch zu einer Erholung der Funktionalität (KRISHNAN et al., 2003; MILLESI & MEISSL, 1994).

Die Nerventransplantation, auch Nerveninterposition genannt, bezeichnet eine Operation, bei der Nervendefekte mittels autologer Nerveninterponate überbrückt werden. Dies ist bei einer anteiligen Ruptur des Plexus brachialis mit struktureller Unversehrtheit der Wurzeln möglich. Als Spendernerv dient meist der N. surealis. Ist das Ausmaß der Läsion sehr gering, besteht die Möglichkeit, den Nerv ohne ein Interponat mit sich selbst anzuschließen (KRISHNAN et al., 2003; MILLESI & MEISSL, 1994).

Die Neurotisation, auch exakter als Nerventransfer bezeichnet (vgl.: MILLESI & MEISSL, 1994), beschreibt nach PSCHYREMBEL & DORNBLÜTH (2007) die Regeneration durchtrennter Nerven durch eine Anastomisierung des zentralen Stumpfes zum peripheren Ende. Bei dem neurochirurgischen Verfahren kommt es zur Verwendung von gesunden Spendernerven außerhalb oder, wenn möglich, innerhalb des Plexus brachialis für die Wiederherstellung der distalen Nervenstämme des Armplexus. Die Neurotisation findet vor allem Anwendung bei Plexusläsionen mit Wurzelausrissen (KRISHNAN et al., 2003). Der am häufigsten eingesetzte Spender ist der N. accessorius spinalis (MILLESI & MEISSL, 1994). Das genaue Prinzip, Indikation und mögliche Komplikationen sind ausführlich in NIKKHAH et al. (1997) dargestellt.

Erst wenn die Möglichkeiten der Nervenrekonstruktion ausgeschöpft und keine befriedigende Ergebnisse erreicht sind, kann auf eine sekundäre Ersatzoperation zurückgegriffen werden. Dazu sollte nach der Nervenrekonstruktion jedoch eine Regenerationszeit von ein bis eineinhalb (KRISHNAN et al., 2003) bzw. zwei bis drei Jahren (HIERNER & BERGER, 2002, SCHMOLKE et al., 2007) eingehalten werden.

(2) Sekundäre Ersatzoperationen

Laut KRISHNAN et al. (2003) benötigen ca. 60 % aller Patienten einer Plexus brachialis Rekonstruktion und Revision im späteren Zeitverlauf mindestens eine Zusatzoperation zur Verbesserung des funktionellen Zustandes. Die Operationswahl und -technik ist dabei stark von den individuellen Voraussetzungen und Zielen abhängig. Aus diesem Grund werden in Anlehnung an SCHMOLKE et al. (2007) die wichtigsten Verfahren nur grob dargestellt. Die Autoren unterteilen drei Anwendungen, die in besonderer Häufigkeit zum Einsatz kommen: Muskeltranspostionen, Arthrodesen und Korrekturosteotomien.

Durch eine Muskeltransposition von gesunden Sehnen - Muskel - Einheiten können irreparabel verlorene Muskelfunktionen wiederhergestellt werden. GOHRITZ et al. (2007) differenzieren hierbei zwei Techniken. Bei einer bipolaren Verlagerung wird der Spendermuskel als Inseltransplantat mit Ursprung und Ansatz unter Erhalt des Gefäß – Nerven – Bündels transportiert, bei einer unipolaren Verlagerung verbleibt er proximal in natürlicher Lage, wobei seine Sehne gestielt auf den peripheren Anteil des zu ersetzenden Muskel transferiert wird. Voraussetzung für einen Muskel – Sehnen – Transfer ist ein noch genügender Kraftgrad der im Läsionsgebiet verbliebenen Muskulatur. Verschiedene Techniken, wie die Steindler – Operation (STEINDLER, 1918), werden übersichtlich in GOHRITZ et al. (2007 und 2008) und RÜHMANN et al. (2004a) dargestellt. Als mögliche Spendermuskulatur werden neben der Unterarmbeugemuskulatur sowohl der M. pectoralis major, M. latissimus dorsi als auch der M. triceps genannt. Bei einer komplett freien Verpflanzung müssen zusätzliche Bedingungen beachtet werden (vgl.: HIERNER & BERGER, 2002). Unter anderem kommen laut RÜHMANN et al. (2004a) als potentielle Spender nur Muskeln in Frage, die einen Kraftgrad von vier bis fünf aufweisen und eine ausreichende Gelenkfunktion besitzen.

Die Arthrodese, also die operative Gelenkversteifung, wird bei einer Plexus – brachialis – Läsion v.a. im Schultergelenk (vgl.: CHAMMAS, 2004; GOSSÈ et al., 2003; JÄGER & WIRTH, 1977; KOHN & Rupp, 1997; RÜHMANN et al., 2004b; WONG et al., 2005) und seltener im Handgelenk (vgl.: GRECHENIG, 2002; MILLESI & MEISSL, 1994) vorgenommen. Als Ziel gilt hierbei u.a. eine verbesserte Stabilisation im jeweiligen Gelenk.

Korrekturosteotomien kommen bei Plexus – brachialis – Läsionen hauptsächlich in Form einer Humerusdrehosteotomie zur Anwendung (vgl.: MILLESI & MEISSL, 1994; RÜHMANN, 2002). Ziel eines solchen Eingriffes ist eine erweiterte Beweglichkeit des betroffenen Armes. RÜHMANN et al. (2004a) stellen fest, dass es dem Patient durch dieses Verfahren in bestimmten Fällen möglich ist, die Hand ungehindert in die Gesichtsregion zu führen, ohne mit dem Unterarm an die Thorax anzuschlagen.

2.2 Elektromyographie

2.2.1 Definition

Die Elektromyographie ermöglicht den Vorgang der elektrischen Muskelerregung durch Aktionspotentiale zu messen (PIPER, 1912). Die Erregung wird in Form von myoelektrischen Signalen durch die physiologische Zustandsvariation der Muskelfasermembran generiert und durch Nadel- oder Oberflächenelektroden erfasst (FREIWALD et al., 2007; KONRAD, 2005; MERLETTI & PARKER, 2004).

Bei der EMG – Messung mit Oberflächenelektroden, der sog. SEMG (Surface Electromyographie), wird ein Summenpotential bzw. ein Interferenzsignal abgeleitet. Ein Summenpotential bezeichnet die Überlagerung aller Aktionspotentiale der motorischen Einheiten (KONRAD, 2005). Ebenso sind tiefer gelegene Muskeln nur bedingt untersuchbar und benachbarte Muskeln können jederzeit die Messung durch Interferenzen (Cross Talk) stören. Letztendlich gehen hohe Frequenzen verloren, da diese durch das umgebende Gewebe abgeschwächt werden und die Elektroden an der Hautoberfläche nicht erreichen. Durch die geringe räumliche Auflösung eignet sich die SEMG somit nicht für die Untersuchung von Aktivitäten einzelner motorischer Einheiten (LUDIN 1997). Dazu müsste man Nadel- oder Fadenelektroden verwenden (FREIWALD et al., 2007).

Die SEMG – Messung erfolgt als Einzelelektrodenableitung (Ableitung des Summenaktionspotentials eines Muskels bzw. Muskelanteile), Polygraphie (Ableitung der Summenaktionspotentiale mehrerer Muskel bzw. Muskelanteile) oder Mapping (Untersuchung der topographischen Verteilung des Summenaktionspotentialfeldes über einem Muskel). Die Einzelelektrodenableitung findet zu ca. 90 % (FRERIKS & HERMENS, 1997) in Form einer bipolaren Ableitung statt. Bei dieser verwendet man zwei Elektroden und eine Referenzelektrode. Diese Art von Messung erweist sich gegenüber Störungen als sehr robust und erlaubt einen globalen Überblick über die Muskulatur. Genauso werden Aktionspotentiale aus tieferer Schicht gedämpft (FREIWALD et al., 2007; Olivier, 2005).

Eine Sonderstellung in der Elektromyographie hat die Elektroneurographie (ENG). Sie dient der Untersuchung der Nervenleitung durch elektrische Reizung (HODES et. al., 1948). Somit lässt sich u.a. die Nervenleitgeschwindigkeit bestimmen (FIALKA – MOSER, 2005).

2.2.2 Natur von SEMG - Signalen

Ein SEMG – Signal ist stochastischer Natur. Das heißt, es kann kein zweites Mal exakt reproduziert werden (vgl.: KOMI, 1970). Die Ursachen sind hierbei v.a. die sich ständig ändernde Anzahl, Entfernung und somit Konstellation aktivierter motorischen Einheiten sowie deren Entladungsverhalten (FREIWALD et al., 2007; KONRAD, 2005). Ausschlaggebend dafür ist die Rekrutierung und Frequentierung der motorischen Einheiten. Generell stellen sie den Hauptmechanismus für die Dosierung des Kontraktionsprozesses und somit den Kraft - Output dar. Steigt die Frequenz oder Rekrutierung an, erhöht sich das Summenpotential. Zusätzlich kommt dem koordinativen Zusammenspiel von Agonisten, Antagonisten und Synergisten eine wichtige Bedeutung zu (KONRAD 2005).

Durch die Verwendung von verschiedenen Glättungsalgorithmen oder durch die Auswahl geeigneter Amplitudenparametern ist es möglich, die Reproduzierbarkeit zu verbessern. Diese Bearbeitungsmöglichkeiten werden unter Punkt 3.4. dargestellt. Im unbearbeiteten und ungefilterten Zustand wird ein bipolares SEMG - Signal auch als Roh - SEMG bezeichnet. Dies kann laut KONRAD (2005) bei Spitzenathleten einen Ausschlag von bis zu 5000 µV erwirken. Der Frequenzgehalt liegt zwischen 5 und 500 Hz. Roh – SEMG – Signale sind dadurch gekennzeichnet, dass sie unbearbeitet immer wieder die Nulllinie durchlaufen, die Grundlinie selbst jedoch bleibt stabil. Ist keine neuromuskuläre Aktivität messbar, da der abgeleitete Muskel keine (Halte-) Arbeit leisten muss, kann es trotz allem zu einem sehr geringen Grundlinienrauschen kommen. Im Idealfall liegt dieses bei etwa 1 - 2 µV. Ist das Rauschen erhöht und liegt über 5 µV, kann die Ursache u.a. in einer der folgenden genannten Einflussfaktoren auf das SEMG - Signal liegen. Eine erhöhte Nulllinienaktivität darf nicht als ein gesteigerter Muskeltonus interpretiert werden. (FREIWALD et al., 2007, KONRAD, 2005).

2.2.3 Einflussfaktoren auf das SEMG - Signal

Folgende Faktoren haben aufgrund der sensitiven Signalnatur hauptsächlichen Einfluss auf das SEMG – Signal und variieren meist mit den Untersuchungsbedingungen (vgl.: DE LUCA & MERLETTI, 1988; FARINA et al., 2004; FARINA et al., 2002; FARINA & RAINOLDI, 1999; FREIWALD et al., 2007; HOGREL et al., 1998; HOGREL, 2005; KONRAD, 2005; MESSI et al., 2009; PFEIFER et al., 2003; VIGREUX et al., 1979): (1) Elektroden und Verstärker, (2) Physiologische Eigenschaften, (3) Cross Talk, (4) Distanz (-änderung) zwischen Elektrode und Muskulatur sowie Elektrodenpositionierung und (5) externe Störfaktoren. Eine detailierte Übersicht der elektrotechnischen Zusammenhänge inklusive mathematischer Formeln findet sich in WINTER (2005).

(1) Elektroden und Verstärker

Mangelnde Qualität oder Defekte der Elektroden bzw. des Verstärkers können die SEMG - Erfassung beeinflussen. Ebenso sind Größe, Form, Material der Elektrodenableitung und Volumenleiter sowie die Elektrodenkonfiguration von Bedeutung.

(2) Physiologische Eigenschaften

Die elektrische Volumenleitfähigkeit des Körpergewebes ist von vielen physiologischen Eigenschaften abhängig: von der Verteilung und Anzahl der motorischen Einheiten in der Muskulatur, der Synchronisation, Frequentierung, und Rekrutierung der motorischen Einheiten, sowie der Verteilung, Anzahl, Länge, Leitgeschwindigkeit, Durchblutung, Typ und Durchmesser der Muskelfasern. Weiterhin beeinflussen Typ, Dicke, Temperatur, Feuchtigkeit und physiologische Änderungen (z.B. Entzündungen, Ödeme) des Körpergewebes das Roh - EMG. Dies betrifft v.a. Muskulatur, Fettgewebe und Haut. Zudem ist der momentane Zustand der Muskulatur, wie Ermüdungsgrad, Kontraktionsintensität und -art, von Bedeutung.

Die Bedingungen variieren zwischen Individuen sowie bei unterschiedlichen Ableitstellen innerhalb eines Individuums. Zusätzlich können Verletzungen, Operationen oder degenerative Gelenkerkrankungen zu einer Abnahme der Rekrutierung der betroffenen Muskulatur führen.

(3) Cross Talk

Bei dicht beieinander liegenden Muskeln kann es bei einer SEMG - Messung zum Übersprechen, dem sog. Cross Talk, kommen. Dabei streuen benachbarte Muskeln in die Messung ein und produzieren auf diese Weise einen signifikanten Anteil des SEMG - Signals. Der Herzmuskel streut bei Messungen am oberen Rumpf oder der Schulter in Form von EKG – Zacken in die Messung ein. Diese können allerdings leicht erkannt werden und durch entsprechenden Bearbeitungsroutinen und Filter eliminiert werden.

(4) Distanz (-änderung) zwischen Elektrode und Muskulatur sowie Elektrodenpositionierung

Je größer der Abstand zwischen Elektrode und elektrischer Quelle, desto schwächer das Signal. Die Haut und das Bindegewebe zwischen Elektrode und Muskelfaser haben einen Tiefpass - Filtereffekt auf das Signal.

Zusätzlich modifizieren Distanzänderungen bei dynamischen Bewegungen durch die Eigenbewegung des Muskels die SEMG – Signalamplitude. Die exakte Elektrodenpositionierung hat ebenfalls einen großen Einfluss auf die gemessenen Werte.

(5) Externe Störfaktoren (Artefakte)

Die meisten elektrischen Störspannungen kommen von schlecht oder gar nicht geerdeten externen Geräten. Sie machen sich durch ein 50 - Hz - Netzbrummen bemerkbar. Außerdem beeinflussen laut FREIWALD et al. (2007) z.B. elektrische Felder von Neonröhren oder Kabelrollen das Grundlinienrauschen. Ebenso können durch Volumenänderungen zwischen Muskeln und Elektroden, lokale Drücke oder Kabelbewegungen, sog. Nulllinien-Shifts, entstehen. Darunter versteht man SEMG - Ausschläge, die binnen Millisekunden wieder zur Nulllinie zurückfallen und dort konstant verbleiben.

2.3 Bedeutung der EMG bei der Diagnostik neuromuskulärer Erkrankungen

Die EMG ist ein wichtiger Bestandteil in der Diagnostik und Verlaufsüberwachung neuromuskulärer Erkrankungen. Laut HUFGARD et al. (2005) ist sie die aussagekräftigste Zusatzuntersuchung. Sie soll nach einer klinischen Untersuchung zur Einschätzung der Erkrankung und vor einer neuroradiologischen Untersuchung erfolgen. Dabei ist ihre Bandbreite von Untersuchungsmethoden sehr groß (vgl.: BISCHOFF et al., 2005; STÖHR, 2005) und richtet sich vor allem nach der genauen Fragestellung. Unter Bezugnahme der Ergebnisse der klinischen Untersuchung soll ein individuelles Untersuchungsprogramm erstellt werden, ohne dabei auf die größtmögliche Standardisierung zu verzichten. Generell hat in diesem Feld neben der Elektroneurographie die Elektromyographie mit Nadelelektroden die größte Bedeutung. Mit ihrer Hilfe kann eine Unterscheidung der ursächlichen Erkrankungen vorgenommen werden. Auch können diverse Kompensationsmechanismen, wie adaptive biomechanische Veränderungen oder funktionelle Kompensationen, von einer wahrhaftigen neurologischen Regeneration unterschieden werden. Die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Diagnose mit EMG ist hoch (vgl.: FEINBERG, 2006). Die hauptsächlich diagnostizierbaren Erkrankungen mit den jeweilig verwendeten Untersuchungstechniken und EMG – Befunden sind in Anlehnung an BISCHOFF et al. (2005), FIALKA – MOSER (2005), LEHRNER et al. (2006) und STÖHR (2005) zusammengefasst in Tabelle 1 dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Bedeutung der EMG bei der Diagnostik neuromuskulärer Erkrankungen nach BISCHOFF et al. (2005), FIALKA – MOSER (2005), LEHRNER et al. (2006) und STÖHR (2005)

Die Ziele der Untersuchungen sind u.a. der Nachweis der Schädigung, die Lokalisation des Prozesses sowie die Beurteilung der Prozessdynamik, der Prognose und des Schweregrades.

Der Verwendung der Oberflächenelektromyographie erreicht nicht die Aussagekraft und Genauigkeit der Nadel – EMG. Zu diesem Ergebnis kamen u.a. PULLMANN et al. (2000) und HAIG et al. (1996). In Zuge einer umfassenden Literaturrecherche stellten sie fest, dass der Informationsgewinn mit SEMG für die Diagnostik und Verlaufsbeobachtung von neuromuskulärer Erkrankungen sehr limitiert und der klinische Gebrauch aus diesem Grund fragwürdig erscheint. Somit ist es nicht möglich, tiefer liegende Muskeln zu untersuchen, einzelne motorische Einheiten zu analysieren, Messsignale von verschiedenen Muskeln zu unterscheiden, spontane Aktivitäten beim Einstechen aufzuzeichnen oder die Größe eines Denervationspotentials zu bestimmen. Des Weiteren sind die Ergebnisse bei SEMG – Messungen schwer mit anderen Publikationen vergleichbar, da es keine einheitliche Standardisierung gibt (HOGREL, 2005). DROST et al. (2006) weist jedoch darauf hin, dass auf der technischen Ebene ständig neue Fortschritte auf dem Gebiet der SEMG gemacht werden. So wird in dieser Publikation die SEMG in manchen Gebieten als Alternative zur Nadel – EMG vorgestellt. Vorteile einer Oberflächen – EMG liegen v.a. im nicht invasive Charakter, bei günstigeren Kostenfaktoren und im globalen Muskelvolumen, das erfasst werden kann. Invasive Eingriffe sind oft schmerzhaft, können zu Infekten führen, zerstören Muskelfasern und sind zudem nicht bei jedem Patienten möglich (HORGEL, 2005; LEHRNER et al., 2006). Eine Weiterentwicklung der SEMG stellt die High Density surface EMG (HD – sEMG) dar. Sie ermöglicht mehrkanalige hochauflösende EMG – Messungen. DROST et al. (2006) und HUPPERTZ et al. (1997) haben zu diesem Thema sehr umfangreiche Literaturrecherchen und -zusammenfassungen erstellt. HOGREL (2005) bezeichnet die HD – sEMG als Kompromiss zwischen der grob darstellenden SEMG und der selektiven Nadel – EMG.

Abbildung 1 stellt zusammenfassend die Methoden SEMG, HD – sEMG und Nadel – EMG in ihren möglichen Anwendungsbereichen dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Anwendungsbereiche der verschiedenen EMG - Techniken nach DROST et al. (2006)

3 Methodik

3.1 Probandengut

Für die Untersuchung stellten sich zwei Personen zur Verfügung. Beide erlitten ein Trauma des Nervus Plexus. Alle wichtigen Daten wurden am jeweiligen Untersuchungstag erfasst und sind Tabelle 2 zu entnehmen. Die Patienten hatten z.Z. der Untersuchungen keine sonstigen Erkrankungen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Probandengut

Die Rekonstruktion bei Proband B erfolgte im Oktober 2007 durch einen freien funktionellen Muskeltransfer des M. gracilis dexter. Dieser wurde zum linken Oberarm transplantiert und dort an den N. thoracicus longus als M. biceps – Ersatz angeschlossen.

3.2 Untersuchungsgang

Die Erhebung und Bearbeitung der elektromyographischen Signale orientierte sich an den Richtlinien der European Recommendations for Surface Electromyography der SENIAM group (vgl.: FRERIKS & HERMENS, 2000) und vergleichbaren Studien.

Die Untersuchungen fanden innerhalb eines Zeitrahmens von zwei Wochen statt.

Allgemeine Vorbereitung

In Vortests an außen stehenden Personen zeigte sich der genau Ort der Messung bzgl. externer Störartefakte als geeignet. Um mögliche Signalstörungen während der Durchführung zu vermeiden, wurden nicht notwendige elektrische Geräte, wie Mobiltelefone, aus dem Untersuchungsraum geräumt. Vor Beginn der eigentlichen Messungen erfolgte jeweils ein aufklärendes Gespräch mit den Probanden über Ablauf und Bedeutung des Tests. Anschließend folgte die Unterschreibung der Einwilligungserklärung (s. Anhang), die Messungen der konstitutionellen Gegebenheiten, das Ausfüllen des Fragebogens (s. Anhang), die Konfiguration der Apparaturen (s. Kap. 3.3.), sowie die Entnahme der Temperatur. Diese betrug bei dem Test von Proband A 24,8° C und bei Proband B 25,5° C (vgl.: FEINBERG, 2006)

Bestimmung der Ableitpunkte für die Oberflächenelektroden

Am stehenden Proband bestimmte man auf beiden Seiten die Punkte, auf denen die Elektroden angebracht werden sollten. Dazu legte man das Maßband auf die Verbindungslinie zwischen der zuvor markierten Fossa cubitalis und dem medialen Acromion. Nach einem Drittel von der Fossa cubitalis ausgehend markierte man die Stelle (vgl.: FRERIKS & HERMENS, 2000, ZIPP, 1982).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Bestimmung der Ableitposition des M. biceps brachii nach ZIPP (Zipp 1982, 50)

Vorbereitung der Haut

An der bestimmten Stelle wurden großflächig die Haare mit einem Trockenrasierer entfernt und mit einem speziellen Elektrodenspray sowie einem keimfreien Tuch gereinigt (vgl.: FRERIKS & HERMENS, 2000). Selbiges führte man am Handrücken durch, auf dem die Referenzelektrode befestigt werden sollte (vgl.: FREIWALD et al., 2007; FRERIKS & HERMENS, 2000; KONRAD, 2005). Nachdem die Flüssigkeit weitgehend verdampfte und die Haut relativ trocken war, färbte sie sich leicht rötlich. Diese Färbung lies auf eine gute Impedanzbedingung schließen.

Positionierung des Probanden

Anschließend nahm der Proband auf dem Untersuchungsstuhl Platz. Die beiden Unterarme ließ man horizontal in Pronation bei einer ca. 80° Flexion im Ellenbogengelenk (vgl.: VIGREUX et al., 1979) auf die Armstützen des Stuhles legen. SENIAM (vgl.: FRERIKS & HERMENS, 2000) und eine Vielzahl von Studien (z.B. ZIPP, 1982) empfehlen zwar zur optimalen Messung des M. bizeps brachii eine Supination der Unterarme, dies war aufgrund der Plexus Läsion allerdings nicht möglich.

[...]

Details

Seiten
Erscheinungsform
Originalausgabe
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783842813748
DOI
10.3239/9783842813748
Dateigröße
1.4 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Chemnitz – Sportwissenschaften, Sportmedizin
Erscheinungsdatum
2011 (April)
Note
1,3
Schlagworte
elektromyographie nervus plexus läsion muskel-sehnen-transplantation oberflächen-emg
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Titel: Vergleichende elektromyographische Messungen bei Patienten mit einer Nervus Plexus Läsion
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